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Der folgende Text von Peter Kratz wurde im November 1993 beim Bundesparteitag der SPD in Wiesbaden als Flugblatt verteilt, als Fichter in der Presse als "Chef der Parteischule" und damit indirekter Nachfolger Rosa Luxemburgs dargestellt wurde; später dementierte die SPD diese Funktion: Fichter sei "Bildungsreferent beim Parteivorstand", eine "Parteischule" im alten Sinne gebe es nicht mehr.

Nach Tilman Fichters Geständnis, jahrzehntelang geholfen zu haben, seinen Bruder Albert vor den Strafverfolgungsbehörden zu verstecken, bekommt der Text eine neue Dimension. Tilman Fichter lernte sein nationalrevolutionäres Handwerk in den 60er Jahren in Privatschulungen Ernst Niekischs, an denen er in Berlin teilnahm. Sein Bruder Albert versuchte 1969, eine Gedenkveranstaltung der Jüdischen Gemeinde Berlins zum nazistischen Novemberpogrom 1938 durch einen mißglückten Bombenanschlag zu sprengen; danach verhalf Tilman Fichter seinem Bruder zur Flucht und deckte sein Versteck jahrzehntelang, bis 2005 das Buch Wolfgang Kraushaars ("Die Bombe im jüdischen Gemeindehaus") über das antisemitische Bombenattentat erschien und Albert Fichter - sie Tat ist verjährt - wieder auftauchte. Danach versuchte Tilman Fichter, seine Unterstützung der Flucht seines Bruders als familiäre Selbstverständlichkeit zu verharmlosen.
  

Tilman Fichters Abmarsch nach rechtsaußen:

Chef der SPD-Parteischule
stellt die Demokratie in Deutschland zur Diskussion
 
SPD-Friedens- und -Sozialpolitik als Angriffsziel --
Kommt die geistig-moralischen Wende in der Sozialdemokratie ?
"Es ist so schwer, den falschen Weg zu meiden" (Goethe, zitiert von Fichter)
Die deutsche Rechte dichtet eine neue Dolchstoßlegende: Mit ihrer Friedenspolitik sei die SPD den Menschen in Europa in den Rücken gefallen und habe den Stalinismus stabilisiert, eine Brandt-Bahr- Breschniew-Clique und ihre Enkel habe die Völker Europas neokolonialistisch an die Supermächte versklavt: "Wodka-Cola- Kolonialismus" heißt das griffige Schlagwort. Die hahnebüchenen Thesen zielen - wie die Dolchstoßlegende nach dem Ersten Weltkrieg - nicht nur gegen den Frieden als politischem Auftrag, sondern auch gegen den Sozialstaat und die demokratischen Strukturen der zweiten deutschen Republik.

Inhaltlich identisch vertritt dies auch Tilman Fichter, Referent für Schulung und Bildung beim Parteivorstand der SPD und als Chef der Parteischule für die Fortbildung der hauptamtlichen SPD-Funktionäre zuständig. Von der Parteibasis unkontrolliert - sein Job steht nicht in der Parteisatzung, dem Votum des Parteitags stellt er sich nicht, eine Wahl findet nicht statt - bastelt Fichter seit Jahren an einem brisanten politischen Bündnis mit dem Neofaschismus. Bandbreite: vom Dunstkreis der Mordhetzer der "Aktion Widerstand" aus den frühen 70er Jahren, die "Willy Brandt an die Wand!" schrien, über die faschistische Intellektuellen-Zeitung "Junge Freiheit" bis zum Pogrom- Rassismus der Leipziger Fascho-Jusos, die Verständnis für die Rostocker Krawalle haben und "Haltet Euer Deutschtum hoch!" grölen. Dabei weist Fichter immer wieder auf seinen Job beim Parteivorstand der SPD hin, als wollte er den Eindruck erwecken, als habe seine abwegige Politik höchste sozialdemokratische Weihen.

Uns Sozialdemokraten vom "BIFFF..." (Einschub 1999: Lang ist's her!) erscheint dies als eine gefährliche Konstellation, die sich ausgerechnet mitten in der sozialen und politischen Krise zusammenfindet, bei Massenarbeitslosigkeit und dem Abdriften der bürgerlichen Wähler-Mitte weg von den Parteien des Grundgesetzes. Dies könnte nach dem Weimarer Modell zum Sprengsatz für die zweite deutsche Demokratie werden kann. Das Problem der SPD hierbei: Ihr fehlt bisher ein Heiner Geißler, der von prominenter Position aus den Kampf gegen die Gegner der Republik in den eigenen Reihen aufnähme. Einen modernisierten Faschismus gibt es, eine modernisierte "Eiserne Front", wie sie in den frühen 30ern aus der Sozialdemokratie heraus gegen den Faschismus jedweder Fraktion zum Schutz der Republik antrat, gibt es heute nicht.

"Fichter verlangt eine schonungslose Diskussion, in der die SPD die Themen Demokratie, Nation und die Zukunft des Wohlfahrtsstaates neu durchdenkt", so sieht DER SPIEGEL (Nr. 31/1993) das Ziel von Fichters Politik, die er in den 80er Jahren in Artikeln und neuerdings in seinem Buch "Die SPD und die Nation" aufgeschrieben hat. Wie "schonungslos" diese Diskussion bereits geführt wird, zeigte Fichters Bericht über die Leipziger Fascho-Jusos des "Hofgeismarer Kreises" vom August 1993, die den besonderen Schutz des "Baracken"-Funktionärs genießen. Er stellte es als Selbstverständlichkeit dar, daß dieser Rechtsaußen-Zirkel innerhalb der SPD sein "Verhältnis zur Demokratie" erst noch diskutieren muß, ja sogar, daß er mehrheitlich den Rassismus als politische Grundlage vertritt. Zwar dürften nach Programm und Statut der SPD Personen mit solchen faschistischen Ansichten gar nicht Mitglieder der Partei sein, doch Fichter möchte das ändern: "Es muß Schluß sein mit den Ausgrenzungen", meinte er im Juli 1993 gegenüber dem Berliner "Tagesspiegel" und klärte seine Funktion als politischer Pate der "Hofgeismarer" Fascho-Jusos: "Ohne mich wären die Kinder draußen".

Auch die Präsentation seines "Nation"-Buches im Berliner Zeughaus im August 1993 zeigte, daß der SPD-Top-Funktionär mit seiner "schonungslosen Diskussion" die Demokratie des Grundgesetzes generell im Visier hat. Fichter will nach eigenem Bekenntnis an die Situation der Weimarer Republik anknüpfen, "wo linke Leute von rechts und nationale Leute von links kamen", so zitierte ihn anschließend die Presse aus seiner Rede.

Anknüpfung an die Zerstörung der Weimarer Republik

Der Begriff "Linke Leute von rechts" wurde im Sommer 1932 geprägt, unmittelbar nach dem Putsch gegen das sozialdemokratisch regierte Land Preußen und der Reichstagswahl, in der die NSDAP stärkste Partei Deutschlands geworden war. Er steht für die Ablehnung aufklärerischer, "westlicher" politischer Werte. "Linke Leute von rechts" war die Überschrift eines Artikels in der "Weltbühne" vom August 1932, der die Vertreter des Hitler-oppositionellen Faschismus analysierten wollte: Otto Strasser, Ernst Jünger, die Nationalkommunisten des rechten Flügels der KPD um Richard Scheringer. "Linke Leute von rechts" war der Titel des Buches von Ernst-Otto Schüddekopf, der 1960 die Splittergruppen unter den Feinden der ersten deutschen Demokratie untersuchte: von den putschistischen Freikorps über den "Hofgeismarkreis der Jungsozialisten" der 20er Jahre und ihren Kopf Ernst Niekisch, die den Revanchekrieg gegen Frankreich forderten, bis zu jenen, die Ende 1932 Nationalkommunisten und Nazi-Strasser-Flügel in der "Querfront" des Generals von Schleicher gegen die Republik zu vereinen suchten. "Links" nannte Schüddekopf die "Leute von rechts", die mit dem Wort "Sozialismus" auf Dummenfang gingen, obwohl sich ihr "Antikapitalismus" nur gegen jüdische Unternehmer richtete.

Das Buch "Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik" von Kurt Sontheimer brachte 1962 die politische Szene, der sich Fichter jetzt zugehörig fühlt, besser auf den Punkt. Sontheimers Schrift prägte die linken Intellektuellen, die in der SPD Willy Brandts die Vertretung des "besseren Deutschland" sahen, eines antifaschistischen und demokratischen Deutschland. Wo ist diese SPD geblieben, wenn sich ihr Referent für Schulung und Bildung heute offen zur rechtsextremen "Konservativen Revolution" der 20er/frühen 30er Jahre bekennen kann? Die Strasser-Brüder, Niekisch, die "linken Leute von rechts" benennt heute der Verfassungsschutzbericht als Urväter des Neonationalsozialismus. In diese Tradition stellt sich Tilman Fichter.

Demonstration gegen den Demokratischen Sozialismus

Fichters Buch "Die SPD und die Nation" hat Signalwirkung: mit seinem Inhalt, einer kaum versteckten nationalrevolutionären Kritik der SPD-Politik, und mit der Umgebung, in der es erscheint. Das Buch ist eine Demonstration gegen die westlich-liberalistische, internationalistische Ausrichtung des Demokratischen Sozialismus, den Fichter für gescheitert hält. Es ist der alten, guten Parole von der Traditionsfahne der SPD entgegengesetzt, die lautet "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit". Fichter vertritt dagegen einen europäischen Ethnopluralismus, in dem die bestehenden sozialen Unterschiede zwischen den Regionen als angebliche regionale Identität erscheinen. "Vielfalt der Traditionen" ist das Zauberwort, hinter dem sich die knallharte Benachteiligung der Schwachen verbirgt. Für eine derart verstandene "Europäisierung des Wohlfahrtsstaates" gebe der Maastricht-Vertrag "keine stimmigen Antworten", so Fichter noch vorsichtig. Er wirft der SPD vor, sich auf die europäische Einigung ausgerichtet zu haben statt auf die Wiederherstellung der deutschen Volksgemeinschaft. Implizit schwingt der Vorwurf mit, die SPD, von 1933 bis 1945 im ausländischen Exil, habe nach 1945 (wenigstens nach Kurt Schumacher) eine größere Nähe zu ihren Asylländern als zum eigenen Volk gehabt. Bei dieser Kritik verharrt er auf deutschlandpolitischen Vorstellungen der 50er Jahre, die sich allerdings zu Fichters Leidwesen bereits damals als falsch erwiesen und von der SPD aufgegeben wurden. Lediglich ein Randbereich der Neofaschismus rettete die Vorstellungen von einem neutralen, starken, wiedervereinigten Deutschland als sein eigener europäische Hegemonialblock in die 80er Jahre, wo sie am Rand der Friedensbewegung - und mit Fichters Unterstützung - eine kurzzeitige Wiedergeburt feierten.

Fichter wendet den stilistischen Kunstgriff an, diese rechte Politik anscheinend nur zu referieren. Wer nicht Fichters Politik der letzten zehn Jahre beobachtet hat und nicht seine alten Artikel kennt, aus denen er nun seitenweise abschreibt, dem fällt beim ersten Durchlesen kaum auf, daß er seine eigene Politik referiert. Doch sein Hintertürchen, die eigene Stellungnahme hinter Fremdzitaten zu verstecken, läßt das Buch gänzlich fade erscheinen.

Die Urteile der demokratischen Presse sind denn auch wenig schmeichelhaft: "Nicht sehr gehaltvoll", "journalistisch-plakativ", "ohne neue Erkenntnisse" (Das Parlament); "streckenweise wie ein Lehrbuch für einen Volkshochschulkurs"; "die eingangs gestellt Frage, wie heute ein moderner 'sozialdemokratischer Vaterlandsbegriff' aussehen kann, wird von Fichter allerdings auch nicht beantwortet" (Süddeutsche Zeitung).

Doch wer sich die Mühe macht und die Langeweile besiegt, wird mit der Wiederentdeckung der gescheiterten Politik der deutschen Rechten und extremen Rechten der 70er und 80er Jahre belohnt, die Fichter der SPD für die 90er empfiehlt. Er selbst macht kein Hehl daraus, daß er seine Zielgruppe bei den "Jungen Sozialdemokraten" der Leipziger Fascho-Jusos und ihren Sympathisanten sieht: Sie möchte er schulen, ihnen möchte er eine knallrechte SPD-Geschichte schreiben. Folgerichtig stellt er sich im Juli 1993 als Referent für ein Seminar der "Hofgeismarer" zur Verfügung und spricht im August kaum verhohlene Drohungen gegen die linke Juso-Mehrheit aus.

Über Fichters Buch urteilen vor allem rechtsextremistische Zeitschriften positiv, von der REP-nahen "Jungen Freiheit" bis zu "Nation und Europa", die der Verfassungsschutzbericht als rechtsextremistisch nennt und die im September 1993 über Fichters Buch schreibt: "nützliches Mitbringsel", "wichtiges Buch".

Fichters Verlags-Kollegen: Neofaschisten

Die im Buch - es scheint: absichtlich - offengelassene Frage nach dem "Vaterlandsbegriff" beantwortet sich anderweitig. Fichters Buch erschien bewußt im Springer-Konzern. Bei der Konzern-Tochter Ullstein GmbH kam Fichter unter, sie ist laut "Frankfurter Rundschau" vom Juli 1993 "ein geistiger Brückenkopf der deutschen Rechten" in der neuen "Querfront" gegen die zweite deutsche Republik. Verlagsgeschäftsführer ist der berüchtigte Nazi-Verleger Herbert Fleissner, der nicht nur Franz Schönhubers SS-Erinnerungen "Ich war dabei" veröffentlichte, sondern auch Bücher der Alt-Nazis Wilfried von Oven (Mitarbeiter von Goebbels) und Hans-Ulrich Rudel (von Hitler mit Orden übersät, "Kampfgeschwader Immelmann"); beide sind Identifikationsfiguren des Neofaschismus nach 1945, ein Buch von Rudel wurde sogar indiziert.

Cheflektor des Verlages ist Rainer Zitelmann, der Hitler zum "Konservativen Revolutionär" uminterpretierte und so ein Erbe rettete, auf das der Neofaschismus wohl nicht verzichten möchte. Unter Zitelmanns Lektorat erscheint nicht nur Fichters Buch, parallel kann hier auch Ernst Nolte der "Auschwitz-Lüge" und deren französischem Vertreter Robert Faurisson huldigen. Der rechtsextreme Bonner Politik-Professor Hans Helmuth Knütter publiziert hier (er wirft den Vertretern des "besseren Deutschland" wie Jürgen Habermas und Günter Grass "Deutschfeindlichkeit" vor), Karlheinz Weißmann von der Zeitschrift "MUT" ist ebenfalls Ullstein-Autor. "MUT"-Chef Bernhard C. Wintzek, Ex-NPD-Bundestagskandidat, war Mitbegründer der "Aktion Widerstand" der 70er Jahre, die den "Kühnen-Gruß" erfand (die ausgetreckte rechte Hand mit den drei Fingern, die das "W" für "Widerstand" bilden); "MUT" wurde 1979 wegen antisemitischer Hetze gegen den Film "Holocaust" von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert. Bei Ullstein bringt Wolfgang Venohr jetzt ein positives Buch über den General des Ersten Weltkriegs, Erfinder der "Dolchstoßlegende" und Hitler-Putschisten Erich Ludendorff heraus, Mitbegründer der antisemitischen "Ludendorffer"-Sekte, die seinen Namen trägt und zwischen 1961 und 1975 wegen ihres Rassismus von den Innenministern der Länder und des Bundes verboten war. "Junge Freiheit"-Autor Venohr sieht sich als Schüler Ernst Niekischs, protestierte öffentlich gegen die Fernsehausstrahlung des Films "Holocaust" und wurde erst im September 1993 vom SPD-Pressedienst als Mitglied der rechtsextremen "Unabhängigen Ökologen Deutschlands", als "Ökofaschist" und Anhänger der "Öko-Diktatur" vorgeführt. Wo sich die heutige "Querfront"-Szene trifft, darf auch Alfred Mechtersheimer (siehe auch den Text: Gaddafi - Mechtersheimer - Schönhuber) nicht fehlen, der in seinem Ullstein-Buch "Friedensmacht Deutschland" den "Schuldkomplex" der Deutschen wegen der Verbrechen an den europäischen Juden kritisiert, den "Deutschenhaß" anprangert und die "Herausbildung antideutscher Koalitionen" in Europa fürchtet. Ein "neues nationales Solidarbewußtsein" ist laut Mechtersheimer nötig, das sich aber nur bei Homogenität des Volkes entfalten könne - Rassismus pur. Wie nahe Mechtersheimer inzwischen dem Nazismus steht, zeigt die antisemitische Schrift "Die Israel-Lobby. Hinter den Kulissen der amerikanischen Politik", die er über den Buchdienst seiner Zeitschrift "Frieden 2000" verkauft: das Buch erschien in der "Verlagsgesellschaft Berg", die der Verfassungsschutzbericht als rechtsextremistisch aufführt und deren Chef Gerd Sudholt seit Juli 1993 als Herausgeber eines "Auschwitz-Lüge"-Buches von Robert Faurisson eine sechsmonatige Freiheitsstrafe in der JVA Landsberg absitzt.

Ullstein-Cheflektor Zitelmann selbst fordert eine "Vergangenheitsbewältigung" nicht des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen, sondern der westlichen politischen Kultur der alten Bundesrepublik. Bei der "Zeughaus"-Präsentation des Fichter-Buches hielt Zitelmann die Laudatio und gab den Vertretern des "besseren Deutschland" noch einen Tritt: "Was haben Jürgen Habermas, Günter Grass, Erich Kuby für ein Problem? Sie können ihr Volk nicht leiden!". Ziel dieser Tirade war nicht mehr und nicht weniger als der antifaschistische Konsens des Grundgesetzes.

Fichters Aktionseinheiten mit dem Neofaschismus

Aktionseinheiten mit dem Neofaschismus sind für Fichter nicht neu. Erst 1982 in die SPD eingetreten, machte er eine leise, schnelle Verwaltungs-Karriere in der Bonner Parteizentrale. 1977 schwärmte er, aus dem SDS kommend, von "handlungsfähigen Führungskadern gegen den Staatsapparat", Mitte der 80er Jahre hatte er sie rechtsaußen gefunden: in einem Kreis von Niekisch- und Strasser-Anhängern, mit dem Fichter seitdem zusammenarbeitet. Der Kreis verfaßte unter Fichters tatkräftiger Beteiligung 1984/85 eine "Denkschrift" zur Wiedervereinigung, die ein militärisch starkes Deutschland als europäische Hegemonialmacht forderte, den KSZE-Prozeß ablehnte und die vermeintliche "Entspannungseuphorie" kritisierte: ein Hasardeur-Programm, das gegen die Politik der SPD gerichtet war und in der Hochrüstungsphase totsicher den Dritten Weltkrieg herbeigeführt hätte. Die "Denkschrift" wurde von den Niekisch-Anhängern Herbert Ammon und Theodor Schweisfurth in Mechtersheimers "Friedensforschungs"-Institut herausgebracht. Zum Kreis der Autoren und Unterstützer, die diese "Denkschrift" namentlich aufführte, zählten neben Fichter * Wolfgang Venohr (s. o.); * der frühere SA-Mann Wolf Schenke, ehemals Mitglied der Reichleitung der Hilter-Jugend und Reporter der NSDAP-Zeitung "Völkischen Beobachter", nach 1945 Integrationsfigur des Neofaschismus, der die konkurrierenden Strasser- und Niekisch-Anhänger zu vereinen versuchte und mit immer neuen Gruppen die Westintegration der Bundesrepublik Deutschland bekämpfte; vor allem er stellt die Kontinuität zu den neofaschistischen NATO-Gegnern der 50er Jahre her; * Rolf Stolz, persönlicher Freund Ammons, Kopf der nationalrevolutionären Gruppe "Initiativkreis Linke Deutschland-Diskussion" (LDD), die ihr Postfach gemeinsam mit der Neonazi-Truppe "Politische Offensive" (PO) führte; nach einem Bericht des SPD-Pressedienstes vom November 1987 sang man bei der PO das Horst-Wessel-Lied, hier lag Material der inzwischen verbotenen, an Otto Strasser orientierten "Nationalistischen Front" (NF) aus; der Kopf der PO, Marcus Bauer, kam für die REPs in den Kölner Stadtrat, schloß sich dann dem Kreis der "Deutschen Liga für Volk und Heimat" (DL) an (vgl. Verfassungsschutzbericht), die in Köln eine Steckbrief-Hetzjagd gegen eine Ausländerin betrieb, ist Redakteur der Zeitschriften "wir selbst" (von Ex-NPD-lern um Henning Eichberg betrieben, Autoren: Eichberg, Ammon, Schweisfurth, Venohr, der REP-Parteiprogramm-Autor Helmut Diwald, Schönhuber im Interview) und "Europa vorn" (DL-nah; hier kommen auch H.-H. Knütter und der "Neue Rechte"-Führer Alain de Benoist zu Wort) und schreibt für die "Junge Freiheit"; * die LDD-Mitglieder und "wir selbst"-Gründer Jürgen Kraus (Ex-"Junge Nationaldemokraten") und Axel Emmrich; * der Sektenführer Hubertus Mynarek, ein Anhänger des "Konservativen Revolutionärs" und Nazi-Kirchenkampf-Ideologen Wilhelm Hauer und Aktivist der Nazi-Sekte "Deutsche Unitarier Religionsgemeinschaft", deren Top-Funktionäre fast alle vor 1945 zur SS- und NSDAP-Spitze zählten und nach 1945 für fast alle rechtsextremistischen Parteien kandidierten (siehe auch den Text: Zu Hubertus Mynarek); * sowie ein Dutzend weiterer Nationalrevolutionäre. Mechtersheimer schrieb das Vorwort: "Diese Denkschrift formt das nationale Aufbegehren".

Angetreten zur "Ehrenrettung" des Faschismus

Fichters Umgebung außerhalb der SPD liest sich wie ein "Who is Who?" des (Neo-) Faschismus. Von den Personen, Verlagen, Zeitschriften finden sich etliche in den Verfassungsschutzberichten der letzten 30 Jahre. Der Burschenschafler-"Alter Herr" Schweisfurth publizierte gemeinsam mit Marcus Bauer und dem "Europa vorn"-Redakteur und "Nation und Europa"-Autor Wolfgang Strauss sowie dem intellektuellen Kopf des europäischen Neofaschismus Alain de Benoist in dem Buch "Gedanken zu Großdeutschland", 1991 herausgegeben vom "Junge Freiheit"-Redakteur Stefan Ulbrich. Deutsche Karrieren: heute hat Schweisfurth eine Professur an der "Europa-Universität" in Frankfurt/Oder. Gemeinsam mit Venohr, Schenke, Strauss, dem "Deutschen Unitarier" Wolfram Bednarski (heute wie Venohr bei den "Unabhängigen Ökologen"), dem späteren "Junge Freiheit"-Autor Sven Thomas Frank und dem "MUT"-Chefideologen Gerd-Klaus Kaltenbrunner (er nahm nach Presseberichten 1990 neben Michael Kühnen am Auschwitz-Lügner-Kongreß "Wahrheit macht frei" teil, zu dem der Neonazi Ewald Bela Althans eingeladen hatte) unterstützte Schweisfurth schon 1984 eine "Wiedervereinigungs"-Initiative, die sich explizit auf Ernst Niekisch berief.

Herbert Ammon bekannte sich in den 80er Jahren mehrfach zu Niekisch, der im Verfassungsschutzbericht als Vordenker des Neonationalsozialismus genannt wird, und verfaßte einen Text zu dessen "Ehrenrettung", wie er es nannte. Rolf Stolz veröffentlichte dann in einem internen nationalrevolutionären Blättchen den Text. Der aus der NPD entstandene Verlag Siegfried Bublies in Koblenz, der "wir selbst" herausbringt (und darin Artikel von Ammon druckt) und in dem Eichberg seine Schriften publiziert, veröffentlicht auch eine Biographie Niekischs und eine über Alfred Rosenberg, Chefideologe der NSDAP und geistiges Vorbild der "Deutschen Unitarier"-Sekte. Die "Junge Freiheit" - Chefredakteur Dieter Stein war bei den Reps aktiv - wirbt im Oktober 1993 für die Niekisch- und die Rosenberg-Biographien, in derselben Ausgabe, in der sie für Noltes Auschwitz-Lügen-Buch bei Ullstein wirbt und ein ganzseitiges Nolte-Interview bringt, in der sie Venohrs Ludendorff-Buch bei Ullstein positiv rezensiert, in der sie zustimmend aus Fichters "Nation"-Buch bei Ullstein zitiert und über die Leipziger Fascho-Jusos jubelt: "Der Hofgeismarer Kreis, eine Gruppe von ca. 30 jungen SPD-Mitgliedern um den Leipziger Jusos-Vorsitzenden Sascha Jung, hat erste Ausschlußverfahren überstanden" - die bislang getrennten Fraktionen des Faschismus verschmelzen wieder.

Henning Eichberg entstammt der "Deutsch-Sozialen Union" (DSU), die Otto Strasser in den 50er Jahren als Sammelbecken für den Hitler-oppositionellen Nationalsozialismus gegründet hatte. Er war dann im NPD-Studentenbund NHB aktiv, vertiefte beim "Nation und Europa"-Gründer, dem vorherigen SS-Mann Arthur Erhard (vgl. Verfassungsschutzberichte) das politische Handwerk, führte in den 70er Jahren nationalrevolutionäre Zirkel an, in denen Strasser und Niekisch verehrt wurden, und erfand den Begriff "Wodka-Cola-Imperialismus" und das Konzept des "Ethnopluralismus", ein vornehmes Wort für Apartheid. Eichberg klagt über "ein afrikanisiertes Paris, ein ethnisch gesichtsloses Brüssel, und ein Berlin-Kreuzberg mit 20 % Türken". Dessen ungeachtet durfte Eichberg im Dezember 1991 einen Artikel in der sozialdemokratischen Theoriezeitschrift "Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte" veröffentlichen - "ständiger Mitarbeiter" der Zeitschrift laut Impressum: Tilman Fichter. In seinem "Nation"-Buch 1993 druckt Fichter Teile der deutschlandpolitischen Debatte nach, die 1977/78 zwischen Eichberg und Rudi Dutschke in dem linken Sexblättchen "Das da - Avanti" geführt worden war. Fichter vermeidet es jedoch peinlich, selbst den Namen Eichbergs zu nennen, der inzwischen in der SPD breit als Neofaschist bekannt ist. Fichters Mitstreiter Ammon hat diese Probleme nicht: Er preist Eichberg als angeblichen Linken an. Die indirekte Methode: Ammons Buch "Die Linke und die nationale Frage", in dem Eichberg- und Niekisch-Texte als vorbildlich für die Linke verkauft werden, lobt Fichter in seinem "Nation"-Buch ausdrücklich. Eine Distanzierung findet nicht statt.

Langjährige Nähe zum REP-Umfeld

Was als verwirrendes Knäuel von Personen und Organisationen wirkt, ist eine koordinierte Gruppe von immer denselben Nationalrevolutionären, die - zusammengenommen - zu den meisten rechtsextremistischen Organisationen Kontakte hat und seit Jahren vor allem im intellektuellen Umfeld der REPs und ihrer Absplitterungen anzutreffen ist, zu dem die Zeitschriften "wir selbst" und "Junge Freiheit" zählen. Mitten drin: Tilman Fichter, Referent für Schulung und Bildung beim Parteivorstand der SPD. Dieses Knäuel ist Fichter durch Veröffentlichungen des SPD-Pressedienstes seit langem bekannt. Dennoch führt er 1993 in seinem Buch "Die SPD und die Nation" die "Denkschrift"-Gruppe und ihr nationalistisches Pamphlet wieder als positiven Bezug an. Die rechten Hasardeure Ammon und Schweisfurth präsentiert Fichter wieder als vorbildliche und richtungweisende Politiker, als Alternativen zu Egon Bahr, Horst Ehmke, Helmut Schmidt oder Karsten Voigt. Sogar auf Rolf Stolz nimmt Fichter hier positiven Bezug, einen Mann, den niemand außerhalb der rechtsextremen Szene und ihrer antifaschistischen Beobachter kennt, Rolf Stolz, der heute ausländerfeindliche Texte im "MUT"-Verlag des Bernhard Wintzek publiziert. So wundert es nicht mehr, wenn Fichter in seinem "Nation"-Buch auch die deutschlandpolitische Initiative des damaligen CDU-MdB Bernhard Friedmann von 1987 positiv hervorhebt, die sowohl in der SPD als auch in der CDU/CSU abgelehnt worden war. Das nationalistische "Friedmann-Papier" ("Einheit statt Raketen"), das den Kampf gegen ausländische (!) Raketen auf deutschem Boden als "operative Deutschlandpolitik" propagierte, wurde jedoch zustimmend von "wir selbst" nachgedruckt. Schweisfurth lobte Friedmanns Ansatz. Friedmann selbst propagierte seine Idee auch beim rechtsextremen "Gesamtdeutschen Studentenverband", bei dem schon Schweisfurth 1987 gesprochen hatte, von dessen Jahreshauptversammlung 1984 Nazi-Schläger zu einem blutigen Überfall in die Bonner Innenstadt losgezogen waren (vgl. Verfassungsschutzbericht 1984) und dessen langjähriger Chef Peter Boßdorf aus Bonn - 1989 Kandidat der REPs - heute in der "Jungen Freiheit" schreibt, in derselben Zeitschrift, in der die heutigen "Hofgeismarer Jusos" ihre Kleinanzeigen schalten - ohne Fichter wären sie keine Jusos mehr. Es ist immer dasselbe Knäuel, in dem Fichter seine positiven Bezugspunkte findet.

Niekisch und Strasser contra Demokratischer Sozialimus

Das politische Feld, in dem sich Fichter trotz aller Warnungen aus der SPD seit Jahren bewegt, strebt in Anlehnung an Ideen der 20er Jahre einen "Deutschen" oder "Preußischen Sozialismus" an. Er steht im direkten Gegensatz zum Demokratischen Sozialismus der SPD und ihrer sozialistischen Schwesterparteien. Der "Deutsche Sozialismus" richtet sich gegen die Arbeiterbewegung und die aufgeklärte westliche politische Zivilisation, ist rassistisch-antisemitisch begründet und strebt ein militaristisches, elitär-antidemokratisch verfaßtes, bisweilen ständestaatlich organisiertes Deutschland als Weltmacht an. Der Begriff "Sozialismus" ist hier rein demagogisch gemeint und bezieht sich allenfalls auf den Kampf gegen multinationale Konzerne und gegen jüdische Unternehmer; der NSDAP-Parteiprogrammpunkt "Brechung der Zinsknechtschaft" - Zins als angeblich typisch jüdisches Geldgeschäft - entsprach diesem "Sozialismus"-Verständnis. Otto Strasser, zeitlebens ein Nationalsozialist in Opposition zu Hitler, bis 1930 ein Führer der SA, wollte alle Juden, die nach dem 1. 8. 1914 (Beginn des Ersten Weltkriegs) nach Deutschland eingewandert waren, des Landes verweisen und alle seit dem 18. 1. 1871 (Proklamation des Preußenkönigs Wilhelm zum Deutschen Kaiser in Versailles) in Deutschland geborenen Juden ausbürgern. Sein Konkurrent Ernst Niekisch vertrat das Konzept des "Widerstands" gegen den Friedensvertrag von Versailles und die Weimarer Demokratie, die er als eine Staatsform ansah, die den Deutschen nicht artgemäß sei und ihnen von Fremden nach 1918 aufgezwungen worden sei. In zahllosen Schriften und immer neuen Polit-Zirkeln, schließlich in seinem "Widerstands"-Kreis, hetzte Niekisch gegen alles Jüdische und "Welsche" (Westliche), das er blutig aus Deutschland ausmerzen wollte, "in einer Bartholomäusnacht und Sizilianischen Vesper", wie er in den 20er und 30er Jahren schrieb - Vorgeschmack auf Auschwitz. Er beschwor die "Aufwallungen jener germanischen Zornmütigkeit, die lieber tot als Sklave der Welschen sein möchte" und forderte: "Mit grausamer Härte muß es (das deutsche Volk) in sich selbst ausrotten, was in ihm dem Westen verbündet ist, dem Westen Zuträgerdienste anbietet, dem Westen Vorschub leistet", denn "Barbarismus trägt sein Recht in sich, wo er Kraft und insbesondere, wo er Kraft deutscher Selbstverteidigung ist. Dem deutschen Volke tut der Mut zu seinem Barbarentum not." "Nie kann der Jude, auch wenn er bestens Willens und edelster Absichten voll ist, Führer eines anders gearteten Volkes sein; er ist nicht Fleisch und Blut von dessen Fleisch und Blut ... Wo er führt, unterwirft er das andersgeartete Volk einer fremden Gesetzlichkeit; er vergewaltigt es. Es ist für ein jedes Volk ein Zeichen geschwächten Lebenswillens, wenn Juden nach seiner politischen Führung streben dürfen."

Weitere Niekisch-Kostproben: "Deutschlands Heil liegt nicht bei Girls; für Deutschland ist der Feminismus mit all seinen pazifistischen, humanitären, ethisierenden und ökonomisierenden Masken der politische Krebs. Deutschland hat es zu schwer, als daß es sein Schicksal Weibern anvertrauen dürfte", so Niekisch 1929. Er fordert "Gehorsam, Disziplin, Unterordnung, Treue, Hingabefähigkeit, Dienstwilligkeit", den preußischen Kasernenhof als Zuchtanstalt des deutschen Volkes. Alle Politik müsse unter dem Primat des "völkischen Lebenswillens" stehen, denn nach dem November 1918 sei "das deutsche Volk ein entwurzeltes Volk" geworden, "dem sein geistiges Gesetz (die Demokratie) von außen her aufgezwungen wurde"; das gelte es wieder abzuschütteln. "Niggerkultur" und "Amerikanismus" müßten konsequent bekämpft werden.

1987 meinen Rolf Stolz und Herbert Ammon zur "Ehrenrettung" Niekischs, wie es bei ihnen heißt, er gehöre zum "Vermächtnis des deutschen Widerstandes" gegen Hitler. Tatsächlich hatte Niekisch 1932 die Schrift "Hitler - Ein deutsches Verhängnis" herausgebracht, in dem er den Nazi-Führer beschuldigte, zu legalistisch gegen die Weimarer Republik vorzugehen, statt endlich - wie 1923 gemeinsam mit Erich Ludendorff - zu putschen. Im Österreicher Hitler fließe, so Niekisch, "romanisches Blut" statt germanischem, Hitlers Politik sei "jüdischen Ursprungs", Hitler habe mißachtet, "daß die räumliche Mittellage Deutschlands ein Höchstmaß an Zwang, an 'Kaserne', an 'Selbstzucht', an 'Unnatur' fordert". Niekischs Schlußforderung gegen Hitler als "Verhängnis": "Ein tiefgreifendes Mißtrauen gegen die abendländische Überfremdung war in Deutschland erwacht; der Nationalsozialismus schläferte das Mißtrauen wieder ein". Niekisch, der "linke Mann von rechts", stand also 1932 noch rechts von Hitler.

Dies also ist der Hintergrund derer, die sich heute auf Niekisch berufen und mit denen Fichter zusammenarbeitet.

Nach der Machtübertragung an die NSDAP am 30. Januar 1933 konnte Niekisch sich weiterhin frei bewegen, sogar bis zum Dezember 1934 seine Schriften publizieren. Er konnte bis 1937 im In- und Ausland frei reisen und seine "Widerstandsbewegung" gegen alles "Welsche" betreiben. SPD-Politiker auf allen Ebenen, von den Kommunen bis zum Reichstag, waren dagegen schon im Frühjahr 1933 verhaftet und z. T. schwer mißhandelt worden, Kurt Schumacher kam im Juli 1933 in Haft und wurde gefoltert, die SPD wurde am 22. Juni 1933 verboten, in der Nacht vorher begann die "Köpeniker Blutwoche", bei der die SA zahlreiche SPD-Politiker, darunter den ehemaligen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten des Landes Mecklenburg-Schwerin, ermordete. Niekisch war bis 1937 auf freiem Fuß, dann erst wurde er, ein Wegbereiter der Nazi-Herrschaft, als rechter Konkurrent Hitlers verhaftet. Willy Brandt lehnte es als Regierender Bürgermeister von Berlin in den 60er Jahren ab, sich für Niekisch und dessen unverschämten Versuch einzusetzen, Wiedergutmachungsgelder als angeblicher "Widerstandskämpfer" zu bekommen. Die Legenden vom "linken Sozialdemokraten Niekisch", der in der Münchner Räterepublik sozialistische Positionen vertreten habe, hat kürzlich der Jungsozialist Jörg Weltzer in seiner Arbeit "Nationalistischer Einfluß in der SPD von 1917 bis 1926: Ernst Niekisch, der 'Hofgeismarkreis der Jungsozialisten' und die 'Alte Sozialdemokratische Partei'" (Universität Bielefeld 1993) wiederlegt: Niekisch hatte nachweisbar immer nur ein instrumentelles Verhältnis zur Arbeiterbewegung, die er für eine nationalistische Großmachtpolitik benutzen wollte.

Die zeitgenössischen Urteile über Niekisch waren eindeutig: "Rein nationalsozialistisch" nannte der SPD-Vorsitzende Otto Wels auf dem Kieler Parteitag 1927 Niekischs Politik. Als "Faschistenversammlung" bezeichnete der "Vorwärts" am 1. 2. 1928 eine Zusammenkunft der Niekisch-Anhänger vom Vortag in Berlin, die von Antifaschisten "gesprengt" worden war. Niekisch verleite seine Leute "zu immer weiterem Abrücken nach der nationalsozialistischen Seite", hieß es in dem Artikel, er mache "sich offen zum Reiseapostel der national-sozialistischen Organisationen". Aus der SPD ausgeschlossen wurde Niekisch aber nie. Er ging freiwillig, doch viele seiner Anhänger blieben. Bis heute hat Niekisch in der SPD Freunde. Zu seinem 75. Geburtstag und zu seinem Tod brachte die SPD-Zeitung "Berliner Stimme" freundliche Artikel. Zwanzig Jahre später präsentierte Tilman Fichter in der "Berliner Stimme" die "Denkschrift" der Niekisch-Leute Ammon und Schweisfurth, Fichters "Nation"-Buch findet 1993 hier eine positive Resonanz. "Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte" behauptet im Oktober 1993 entgegen jeder historischen Wahrheit, Niekisch zähle "zu den frühen Opfern des NS-Terrors": ein Persilschein.

"Hofgeismar" - damals und heute

Ein enger Weggefährte Niekischs aus der Zeit der obigen Zitate schrieb in den 60ern für die "Berliner Stimme". Man kannte sich aus dem "Hofgeismarkreis der Jungsozialisten" der 20er Jahre, den vor allen anderen Ernst Niekisch ideologisch bestimmte. Im ökonomischen und politischen Krisenjahr 1923 traf sich im nordhessischen Hofgeismar ein jugendbewegter Kreis, in dem völkische Eiferer aus den Schützengräben des Ersten Weltkriegs den Ton angaben. Emotionsgeladen wurde Politik gemacht, ergriffen vaterländischer Kitsch rezitiert und von Deutschlands historischer Größe gesungen. In Zeitschriften vertrat der harte Kern der Hofgeismarer Blut-und-Boden-Phrasen und forderte den Revanchekrieg gegen Frankreich, wie weiland schon der Germanenfürst Arminius gegen "die Welschen" gezogen war. Dagegen wurden die "Erfüllungspolitiker" an der Parteispitze der SPD angegriffen, die nach dem verlorenen Weltkrieg realistisch auf internationalen friedlichen Ausgleich setzten und die Verpflichtungen des Friedensvertrags von Versailles erfüllen wollten.

Die wohligen Schauer deutschtümelnder Feierstunden verrannen schnell. Theorie mußte her zur Absicherung der revanchistischen Propaganda, denn die marxistische Juso-Konkurrenz konnte Ursachen und Folgen des Weltkriegs weitaus schlüssiger erklären als die späten Verehrer von Hermann, dem Cherusker. Den geistigen Überbau holten sich die Hofgeismarer auf Schulungsseminaren mit den Nationalrevolutionären Ernst Niekisch, Hermann Heller (er strebte mit seinem Buch "Sozialismus und Nation" von 1925 die "wahrhaft nationale Volksgemeinschaft" an, die erkämpft werden müsse auf der Basis von "Blut, Boden, irrationalen Gefühlswerten", gegen "die ungeheure kulturfremde Masse eines zum politisch-wirtschaftlichen Machtbewußtsein erstarkten Proletariats") und Hendrik de Man, der einen völkisch-religiösen "Sozialismus" vertrat, sich den Nazis anschloß, als Kollaborateur in die Nazi-freundliche Besatzungsregierung Belgiens eintrat und 1944 vom befreiten Belgien als Kriegsverbrecher verurteilt wurde.

Im Hofgeismarkreis der 20er Jahre wurde von verschiedenen antirepublikanischen, präfaschistischen Intellektuellen ein erster, letztlich gescheiterter Versuch inszeniert, um der "Konservative Revolution" - den Ideen der intellektuellen Elite des Faschismus - einen Brückenkopf in der SPD zu verschaffen. Der Kreis zerfiel nach drei Jahren wieder, nur ein Teil der Hofgeismarer schloß sich Niekischs neuer Organisation "Alte Sozialdemokratische Partei Sachsens" an, einer rechten Abspaltung der traditionell linken sächsischen SPD, und ging später zum "Widerstands-Kreis" Niekischs; einige Hofgeismar-Führer liefen zu den Nazis über, ein Teil fand zurück zur Mehrheits-SPD und machte nach 1945 Parteikarriere. Die SPD-Geschichtsschreibung sieht die Hofgeismarer aufgrund ihrer politischen Wirkung als Wegbereiter zum Nationalsozialismus an. Eine systematische Aufarbeitung dieser Mitverantwortung für den Siegeszug des Faschismus erfolgte jedoch bis heute nicht, die Archivalien bei der Friedrich-Ebert-Stiftung sind nicht einmal alle durchgesehen.

Die fehlende Aufarbeitung erleichtert 70 Jahre später die Apologie. Fichter geht in seinem "Nation"-Buch breit auf die historischen Hofgeismarer ein. Der heutige "Hofgeismarer Kreis", gegründet 1992 in Leipzig mit Ablegern in Dresden und Erlangen, steht unter Fichters Schutz. Der Kreis wirft der SPD vor, "ihre eigenen deutschen Wurzeln verraten" zu haben. In welchem braunen Boden die stecken sollen, zeigen die wiederkehrenden Kleinanzeigen von Hofgeismarern im rechtsextremen Intellektuellen-Blatt "Junge Freiheit" - dem Zentralblatt der heutigen KR - ebenso wie ihr "Liederbuch Junger Sozialdemokraten", das die Fascho-Jusos auf einem Seminar mit Tilman Fichter im Juli 1993 eingehend diskutieren wollten (so die Einladung zum Seminar) und vorher bereits über das SPD-Unterbezirksbüro in Leipzig verschickt hatten. Es enthält eine Sammlung völkischer Erbauungslyrik. "O alte Burschenherrlichkeit! Wohin bist du entschwunden?" ist noch eines der harmloseren Lieder. "Die lieben Waffen glänzen so hell im Morgenrot; man träumt von Siegeskränzen, man denkt auch an den Tod ... Dein ist, o Herr, der Krieg", geht es weiter. "Heldenblut" und "Männertugend" werden besungen, "himmelwärts im Siegertod" wollen die Fascho-Jusos, denn "stolz, keusch und heilig sei, gläubig und deutsch und frei Hermanns Geschlecht!" Gegen wen das zielt, hatte der "Hofgeismar"-Führer Sascha Jung im Fernsehen stolz ausgeplaudert, als er Verständnis für die Rostocker Pogrome gegen Ausländer aufbrachte. Das "Liederbuch" bringt auch ein altes antisemitisches Lied, "Haltet euer Deutschtum hoch", das heute neue Zielgruppen in Arbeitsemigranten und Flüchtlingen findet: "Deutsche Jugend, auf zum Streite, rüste dich mit Herz und Hand! Beug' dem Joch dich fremden Geistes nicht im eignen Vaterland!"

Fichter wirft in seinem "Nation"-Buch der multikulturellen Linken "antideutschen Rassismus" vor, für den Rassismus der Hofgeismarer, die Sympathien für den Rostocker Pogrom zeigten, hat er dagegen Verständnis.

Im März 1993 bringt das SPD-Parteiblatt "Vorwärts" einen Artikel zum 70-jährigen Jubiläum der historischen Hofgeismarer, in dem die Wiederauferstehung des historischen Hofgeismarkreises herbeigewünscht wird. Das 1923er Treffen erscheint hier als frühes Woodstock, der völkische Nationalismus wird heruntergespielt - obwohl doch gerade erst die Aussagen der neuen Hofgeismarer zu den Bildern des Pogroms in Rostock-Lichtenhagen durchs Fernsehen gingen. Vorsichtig noch wird die Bereitschaft der historischen Hofgeismarer zum Revanchekrieg gegen den Versailler Frieden als vermeintliches Realitätsdenken gewürdigt, das angeblich "Menschen- und Völkerrecht vor Frieden um jeden Preis" gesetzt habe - die Blauhelmdebatte wirft Schatten.

Fichters Politik: nationalistisch, antisozial, revolutionär

Erst vor dem Hintergrund seiner Aktionseinheiten mit dem Neofaschismus und seiner Bekenntnisse zu den Feinden der Weimarer Republik wird Fichters Politik verständlich. Er sendet Signale in Richtung des nationalrevolutionären Faschismus aus und braucht dabei noch nicht einmal dessen Führer beim Namen zu nennen, stattdessen führt er ja die Niekisch-Anhänger Ammon, Schweisfurth, Stolz usw. an. Auf den italienischen faschistischen Ideologen Vilfredo Pareto allerdings, der heute bei der "Neuen Rechten" um Alain de Benoist als Vordenker gilt, bezieht Fichter sich gerne positiv.

Die Politik des SPD-Bildungsreferenten ist recht einfach gewirkt: vor den sozialen Interessen des Individuums wie der breiten Bevölkerungsmehrheit kommt das Interesse der abstrakten "Nation", der "Gemeinschaft" des Volkes. Die Erweckung von Nationalgefühl tritt an die Stelle der Sozialpolitik. Seine "Nation" besteht nicht aus konkreten Menschen mit konkreten Bedürfnissen, sondern aus Schachfiguren, die einen nationalen Auftrag erfüllen sollen: die Einheit der Nation um jeden Preis herstellen. Fichter beurteilt die Ost- und Friedenspolitik der SPD nicht von den Interessen derer her, die von Passierscheinregelungen, Transit- und Verkehrsabkommen, Rentner-Reisemöglichkeiten, KSZE-Menschenrechtsverbesserungen, Handelserleichterungen einen täglichen Nutzen hatten, erst recht nicht von der Verpflichtung zu Frieden und Gewaltverzicht in der Hochrüstungszeit her. Sein Vorwurf aus zahlreichen Artikeln, jetzt in seinem "Nation"-Buch zusammengefaßt, unterscheidet sich nicht von dem der deutschen Rechten: Die SPD habe die Einheit der Nation geopfert für lumpige menschliche Erleichterungen, für bloßen Frieden, habe die alltäglichen Lebenswünsche der Menschen höher gestellt als das hehre Prinzip der Gemeinschaft der Deutschen. Er meint dies tatsächlich als Vorwurf, denn Mitgefühl für die Schwachen und Leidenden bestimmt nicht seine Politik. Zu diesem Vorwurf paßt, daß er implizit den Juden die Schuld an der deutschen Teilung zuschiebt: "Eine Zementierung der Zweistaatlichkeit als historische 'Wiedergutmachung' für die Massenvernichtung der europäischen Juden bedeutet ... letztlich eine Neuauflage des deutschen Sonderwegs in Europa", so steht es in einem Fichter-Artikel aus 1990. 1992 (!) wiederholt er dies: "Doch kann die Antwort auf den Holocaust nicht die künstliche Spaltung Deutschlands sein".

Fichters Buch beinhaltet denselben Vorwurf an die SPD, in Kameraderie mit der SED gestanden zu haben, den auch der Vertriebenen-Verbandsfunktionär Hartmut Koschyk (CDU-MdB) in der Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte vorbrachte: Helmut Schmidt habe im menschenleer geräumten Güstrow zum polnischen Militärputsch Jaruselskis geschwiegen, sogar den "Kotau" vor dem Stalinismus vollzogen, meint Fichter. Fichters Freund Herbert Ammon spricht bei einem Kongreß der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) über die SPD-Ostpolitik im September 1993 öffentlich von den "sogenannten Ostdeutschen", wenn er die Bevölkerung der neuen Länder meint - es soll also noch weiter ostwärts gehen. Fichter erregt mit Äußerungen über die neue größere Bundesrepublik als "Restdeutschland" das Interesse der Revanchisten unter den Vertriebenen. Die Anerkennung der polnischen Westgrenze findet er durch Helmut Kohl "mit Eiseskälte ... erzwungen", hier sei "die 'rechtliche Preisgabe eines Drittels' des Reichsgebietes" vollzogen worden (er zitiert die Formulierung zustimmend von jemand anderem, das "Reichsgebiet" jedoch ist echt Fichter). Das "Ostpreußenblatt" dankt dem Chef der SPD-Parteischule und berichtet breit über seine "Zeughaus"-Veranstaltung zum neuen "Nation"-Buch; es findet die Frage sehr interessant, "ob die SPD sich national zu erheben vermag. Die Diskussion jedenfalls ist eröffnet".

Erhaltung des Friedens und Gewaltverzicht - den Essentials der Politik Willy Brandts - sind für den Chef der SPD-Parteischule lediglich untergeordnete Mittel der Politik. Fichter wirft der SPD vor, den Frieden als höchstes Gut anzusehen: "Leben statt Freiheit" habe die Partei in den 70er/80er Jahren verfochten. Er kritisiert heute Egon Bahr, weil der 1982 zur Polen-Krise sagte: "Kein Ziel rechtfertigt den Krieg: Weder die deutsche Einheit, noch die Freiheit der Polen". Fichter meint 1993, die SPD habe 1989/90 "Angst vor der Revolution" gehabt - er meint die nationale, nicht etwa eine soziale Revolution. Deshalb habe die Partei anfänglich weiter versucht, die DDR zu stabilisieren. Revolution - das ruft man leicht in den Saal, als Sesselrevoluzzer mit SPD-Festgehalt im fernen Westen, im sicheren Bonn, in dem kein stalinistischer Panzer Menschen überrollt hätte.

Faszination des Front-Erlebnisses

Fichter scheint fasziniert zu sein von politischer Gewalt - aber immer aus der Distanz. Zuerst war es die scheinbar linksradikale Gewalt, die er im SDS gegen die verhaßte Bundesrepublik als Satelliten des USA-geführten Westens mobilisieren wollte. Zehn Jahre später ist es der "Schützengraben", den die intellektuellen Vordenker des Faschismus aus der "Konservativen Revolution" der 20er Jahre schon einmal als Quelle deutscher Politik ansahen. 1988/89 bringt Fichter eine Neuinterpretation der SDS-Geschichte: Die "Frontgeneration" habe den SDS gegründet, und zwar aus dem "Mythos einer klassenübergreifenden Kameradschaft im Schützengraben" des Zweiten Weltkriegs heraus. Die "lebensgeschichtlichen Erfahrungen" der SDS-Gründer seien "geformt (gewesen) durch das kollektive Fronterlebnis" bei gleichzeitiger "gefühlsmäßige(r) Distanz zu den tradierten Werten, Symbolen und Umgangsformen der alten Arbeiterbewegung". Erstaunlich arbeitsökonomisch ist Fichters Erklärung zum Hofgeismarkreis der Jungsozialisten der 20er Jahre, die er 1993 abgibt: "Nicht das traditionelle sozialdemokratische Vereinsmilieu, sondern das Fronterlebnis im Ersten Weltkrieg hatte das Denken dieser Gründungsgeneration der Jusos geprägt". Und dann die Wiedergründung der SPD nach 1945: kein Akt des Antifaschismus, kein Bündnis derer, die aus den KZ's kamen, mit denen, die aus dem Faschismus gelernt hatten, keine Organisation der Arbeiterbewegung, kein Hoffnungsträger der frierenden, hungernden, arbeitslosen Ausgebombten, sondern: Kurt Schumacher, der "ehemalige Frontoffizier aus dem Ersten Weltkrieg", "übte nach 1945 besonders auf ehemalige Soldaten und Offiziere eine große Faszination aus", so Fichter 1992. Seltsam: Wo Fichter aktiv wird, sucht und findet er den Geist der "Stahlgewitter", den Geist der Weltkriegs-Schützengräben aus jenem grundlegenden Buch der "Konservativen Revolution", das Ernst Jünger verfaßte, als sich in der Weimarer Republik "linke Leute von rechts" und "rechte Leute von links" trafen.

Borniert deutsch statt weltoffen multikulturell

Fichter ist ein fanatischer Befürworter des Bonn-Berlin-Umzugs als Vehikel der nationalen Wiedergeburt Deutschlands. Er spricht von der "Hauptstadt-Lüge" Bonns und der angeblichen Blockadepolitik bequemer Bonn-Beamter. Und auch hier scheut er den eindeutigen historischen Anklang nicht, wenn er die Umzugs-Debatte zum "Kulturkampf um Berlin" stilisiert. Die Bonner Republik sei von "Bequemlichkeit", "Abseits", von "Hinterbänklern", "Bürokraten" und "Mafia" bestimmt. Solche Staatsverdrossenheits-Argumente bildeten bereits in den 20er/30er Jahren eine Basis Agitation gegen die Weimarer Republik; damals stand Niekischs Tugenden-Katalog des Kasernenhofs als eine Alternative dagegen. Fichter fordert heute, Berlin müsse zur "gelebten Hauptstadt", zum Zentrum "der Diskurse zwischen Links und Rechts über die Nation" werden und endlich Abschied nehmen von seiner multikulturellen "Kiezromantik" (so die "Berliner Zeitung" über Fichters Rede auf der "Zeughaus"-Veranstaltung im August 1993). Der Umzug als symbolische Tat sei "ein notwendiges Zeichen nationaler Solidarität", lieber wären den Menschen wohl Arbeitsplätze und Wohnraumsanierung, Lohn- und Rentenangleichung.

Geld spielt keine Rolle, wenn es um diese Art von "Nation" geht, und der Wohlfahrtsstaat gehört nach Fichters Rede bei der "Zeughaus"-Veranstaltung ohnehin ethnopluralistisch dereguliert: die "liebgewordenen Vorstellungen der SPD der 80er Jahre vom ewigen Frieden, vom unerschütterlichen, bürokratisch verwalteten Wohlfahrtsstaat oder vom scheinbar gefahrlosen Einstieg in die kleine, feine und reiche Europäische Marktwirtschaft (sind) an ihr Ende gekommen", so zitiert die "Berliner Morgenpost" aus Fichters "Zeughaus"-Rede. Der Satz findet sich wörtlich auch im "Nation"-Buch. Hinter diesem Ende von Frieden und Wohlstand beginnt die "Nation", wie immer: für die breite Mehrheit mit trocken Brot und kalter Wohnung, aber heißem Herzen. Eine "Politik des kalten Herzens" habe die SPD der 70er und 80er Jahre gegenüber der Volksgemeinschaft gemacht, so Fichter nun in seinem Buch. Zusammengenommen beinhaltet Fichters Satz vom Ende des Friedens, des Wohlfahrtsstaates und der Europaidee und seine Alternative der Politik der "linken Leute von Rechts" nichts anderes als das politische Programm der intellektuellen Neofaschisten und pragmatischen Konservativen der "Neuen Rechten": Ein sozial dereguliertes, im Innern autoritär strukturiertes Deutschland ergreift die Weltmachtrolle gegen die europäischen und überseeischen Konkurrenten, notfalls kriegerisch; die Interessen der "Kleinen Leute" bleiben im sozial heterogenen ethnopluralistischen Europa auf der Strecke.

"Das Problem Deutschlands ist die Ich-Schwäche der Deutschen", meint Fichter mitten in der sozialen Krise. Leider dominiert Auschwitz immer noch das Bewußtsein, die Deutschen müssen aber nun endlich ein entspannteres Verhältnis zu ihrer Geschichte gewinnen, damit sie eine normale Nation werden können, so sagt Fichter es sinngemäß auf dem oben genannten FES-Kongreß 1993. "Normal" war die Nation dann wohl 1932, als die "linken Leute von Rechts" antraten - Auschwitz erst noch im Kopf. Steffen Heitmann, so SPD-Chef Scharping im November 1993, sei "das Symbol eines geistig bescheidenen und politisch abgelegten Rechtskonservativismus". Für was mag der Chef der SPD-Parteischule ein Symbol sein?

So wie die Friedens- und Gewaltverzichtspolitiker der SPD der 20er Jahre von den Verfechtern der alten Dolchstoßlegende als "Erfüllungspolitiker" beschimpft wurden, so findet Fichter für ihre Nachfolger der 70er und 80er Jahre das Schimpfwort "Koexistenzpolitiker". So wie damals die Feindschaft zum Versailler Friedensvertrag das Bindeglied war, so ist es heute die Feindschaft zum KSZE-Prozeß, der mit seiner Gewaltverzichtspolitik nur den "Status Quo" stabilisiert habe. Frieden und menschliche Erleichterungen? Peanuts!

Verfälschung Willy Brandts

Fichter verfälscht die Politik Willy Brandts, den er nach dessen Tod zu seinem Kronzeugen gegen Brandts Mitstreiter aufzubauen versucht: es soll so aussehen, als sei Fichter der wahre politische Erbe Brandts - eine ebenso absurde wie anmaßende Vorstellung. Fichter interpretiert das Brandt-Zitat vom 10. November 1989 ("Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört") borniert nationalistisch, obwohl Brandt in Wahrheit die europäische Einheit im Sinn hatte. Am Abend des 10. November 1989 erinnerte Brandt vor dem Schöneberger Rathaus (wo anschließend das Deutschlandlied ausgepfiffen wurde) gegen den allgemeinen nationalen Taumel an die Jahre der "menschlichen Erleichterungen", an die von Fichter verachtete Politik der "Kleinen Schritte", der Passierschein- und Verkehrsabkommen und erklärte: "Jetzt erleben wir, daß die Teile Europas zusammenwachsen. ... Es gilt jetzt, neu zusammenzurücken. Den Kopf klar zu behalten und so gut wie möglich das zu tun, was unseren deutschen Interessen ebenso entspricht wie unserer Pflicht gegenüber Europa. ... Uns leitet die gemeinsame Überzeugung, daß die Europäische Gemeinschaft weiterentwickelt und die Zerstückelung unseres Kontinents schrittweise, aber definitiv überwunden werden muß." Weiter äußerte sich Brandt hier, einen Tag nach der Öffnung der DDR-Grenzen, sogar explizit skeptisch zur Forderung nach staatlicher Wiedervereinigung von DDR und BRD. Von Fichters revolutionärem Nationalismus war in Brandts Rede keine Spur, erst recht kein Anflug von Rassismus oder Biologismus, kein deutsch-völkischer Ausbruch, sondern verantwortliche europäische Friedenspolitik, wie in den Jahrzehnten vorher, und der Appell, nun "Bitterkeit zu überwinden", also Gewaltverzicht auch geistig. Es war auch nichts von Fichters antijüdischer Spaltungs-Legende zu hören, als Brandt - der in Warschau vor dem Mahnmal für die Opfer des jüdischen Ghettos kniete - hier sagte: "Das deutsche Elend begann mit dem terroristischen Nazi-Regime und dem von ihm entfesselten Krieg. ... Aus dem Krieg und aus der Veruneinigung der Siegermächte erwuchs die Spaltung Europas, Deutschlands und Berlins". Die Rede Willy Brandts wurde vom damaligen Berliner Senat veröffentlich und ist nachzulesen. Sie gibt Fichter in allen Punkten seiner Politik Unrecht.

(November 1993)

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