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Ein Rassenhygieniker als Ahnherr der Schwulenbewegung:
 
Magnus Hirschfeld -
das falsche Idol für sexuelle Emanzipation
 
Saubere Fortpflanzung war Hischfelds Leitlinie,
nicht etwa Spaß am Sex

In kritischen Artikeln über den Eugeniker Hirschfeld, die in den letzten Jahren in den "Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft" erschienen sind (1), bleibt es am Ende "rätselhaft" oder "befremdlich", daß sich das Idol der schwulen Emanzipationsbewegung mit Rassenhygienikern einließ, an grausamen Menschenexperimenten (Genitalverstümmelungen, Kastrationen zur Umpolung der sexuellen Orientierung Schwuler) beteiligt war, sogar zur eugenischen Politik der Nazis gegen "Minderwertige" eine vermittelnde statt klar ablehnende Haltung einnahm. Doch das vermeintliche Rätsel löst sich schnell, wenn man Hirschfelds Begriff von Sexualität betrachtet, der seinem gesamten Werk zugrunde liegt. Er hatte keinen emanzipatorischen Blick auf Sex, sondern einen finalen. Sex hatte für ihn - der seine eigene Sexualität so lange unterdrückt hatte - kein Recht in sich, sondern war auf Fortpflanzung gerichtet. Er nahm keinen hedonistischen Standpunkt ein, sondern einen bevölkerungspolitischen. Nicht Lust und Spaß waren das A und O seiner Beschäftigung mit Sexualität, sondern die angebliche Minderwertigkeit und Höherwertigkeit des Erbgutes für die angestrebte biologische "Aufartung" der Menschheit durch richtige Zuchtwahl, wer immer "richtig" definierte. Auch noch den letzten, unter den Schutz der Bettdecke geretteten Teil menschlicher Tätigkeit, der immer noch bloßem Genuß und freiem Vergnügen folgen konnte und damit die Sehnsucht nach dem Reich der Freiheit wachhielt, wollte er in Dienst nehmen für einen höheren Zweck, für den Zwang der natürlichen Evolution nach bestangepaßten Nachkommen, an was auch immer sie anzupassen waren. Nicht die Subjektivität des sexuell handelnden Menschen stand im Mittelpunkt seiner Betrachtungen, sondern der Mensch als Objekt biologischer Züchtung, als Menschenmaterial. Wegen seines an die Fortpflanzung gebundenen Sexualitätsbegriffs hat Hirschfeld den Schwulen und Lesben nichts zu sagen, und er hat allen nichts zu sagen, für die Sex etwas anderes ist als Kindermachen, gar im Namen der Idee vom Übermenschen. Warum er in den letzten 15 Jahren zum Idol von Schwulen und Lesben avancierte, mögen diejenigen erklären, die ihn dazu befördert haben.

Zucht und Übermensch

Hirschfeld war zeitlebens ein Anhänger der Eugenik, jener Ideologie von der biologischen Höherzüchtung des Menschen, die in der imperialistischen Phase des Kapitalismus in England und Deutschland entwickelt worden war, den beiden Hauptkonkurrenten des Imperialismus in Europa. Die Eugenik ist der Kern des Sozialdarwinismus, der die Existenz von Schwachen und Starken in der Gesellschaft nicht auf ein ökonomisches Verhältnis zurückführt, sondern auf biologische Ursachen im Erbgut der Schwachen und Starken, und der das Schwache verachtet und vernichten möchte und eine zukünftige Gesellschaft nur aus Starken bestehend anstrebt, weshalb sich nur die Starken fortpflanzen sollen/dürfen, die Schwachen dagegen an der Fortpflanzung gehindert werden. Eugeniker, die sich z. T. auch Rassenhygieniker, Fortpflanzungshygieniker oder Sozialhygieniker nannten, erklärten das soziale Elend des Hochkapitalismus der imperialistischen Phase (insbesondere Kriminalität, Alkoholismus und Drogensucht, Prostitution, "Asozialität", aber auch allgemein "Armut") mit schlechtem Erbgut der jeweiligen Individuen, den gesellschaftlichen Erfolg (des Unternehmers, Wissenschaftlers, auch des Arbeiterführers) entsprechend mit gutem Erbgut. Die in Armutssituationen besonders leidvollen Auswirkungen tatsächlicher biologischer (ererbter) Krankheiten, aber auch bloßer Abweichungen von meist kulturell vermittelten und meist bloß impliziten Normen des Menschseins erleichterten es, den Kampf gegen die Schwachen als sozial und human engagiert erscheinen zu lassen: als Kampf gegen soziales Elend. Die Eugeniker führten diese biologische Gesellschaftsanalyse mit der Beobachtung zusammen, daß der im Elend lebende (schwächere) Teil der Bevölkerung mehr Kinder produziert als der reiche (stärkere), und daß die Kinder der Schwächeren aufgrund des allgemeinen zivilisatorischen Fortschritts sogar auf Armutsniveau überleben können statt daß sie absterben, daß also die "natürliche" Selektion der Schwachen in der Menschheitsentwicklung durch das Wirken der Zivilisation, die die Schwachen schützt, nicht nur ausgeschaltet, sondern sogar umgekehrt sei, somit das "schlechte" Erbgut sich mehr verbreite als das "gute", weshalb das soziale Elend im Generationenverlauf immer weiter zunehme und schließlich die menschliche Gesellschaft insgesamt in den Abgrund reiße; dem drohenden Untergang könne nur durch entsprechende Fortpflanzungsförderungen für die "Höherwertigen" bzw. Fortpflanzungsbeschränkungen für die "Minderwertigen" begegnet werden, die als gesellschaftliche Regeln an die Stelle der "natürlichen" Selektion treten müßten.

Hirschfeld teilte sowohl die biologische Gesellschaftsanalyse als auch die Vision der drohenden Dekadenz und die Einteilung der Menschen in biologisch "höherwertig" und "minderwertig", wenngleich er auch (immer vorsichtig formuliert) soziale Ursachen des Elends anerkannte. Sein Kriterium für die Wertigkeit der Menschen blieb implizit, doch läßt sich leicht erkennen, daß er naiv und unkritisch den Erfolg des Individuums in der Gesellschaft, in der er selbst lebte (der wilhelminischen und der Weimar-republikanischen), zum Maßstab nahm. Erbkrankheiten waren dabei nur ein Faktor zur Begründung des gesellschaftlichen Mißerfolgs, und der Begriff der Krankheit wurde keineswegs medizinsoziologisch (oder gar historisch-materialistisch) reflektiert. Sein mitleidsmotivierter Kampf gegen das soziale Elend wurde mehr und mehr zu einem eugenisch motivierten Kampf gegen jeden Alkohol- und Drogenkonsum, der das Erbgut schädige, sowie gegen Prostitution und ihre Folge, die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten über Hure und Freier hinaus auf deren Nachkommen, also zum Schaden des gesellschaftlichen Genpools, als auch gegen die Fortpflanzung von Schwulen und Lesben, die seiner Meinung nach aufgrund eines die Homosexualität mitbegründenden Gendefekts nur "geistesschwache" Nachkommen produzierten. (2) Entsprechend war die eugenische Eheberatung, die in seinem Institut für Sexualwissenschaft (IfSw) breiten Raum einnahm, sich an die unteren Gesellschaftsschichten richtete und dem Ziel der biologischen "Hinaufpflanzung" (statt einfacher Fortpflanzung) der Menschheit folgte, ein Begriff, den Hirschfeld von seinem Idol Friedrich Nietzsche übernommen hatte, dem Ideologen des Übermenschen, den Hirschfeld in seinen Schriften immer wieder zitierte. Bei alldem war Hirschfelds Denken nicht primär von der Biologie geprägt, wie manche Kritiker heute meinen, sondern von den Ideen der Höher- und Minderwertigkeit und der Selektion; hierin lag seine faktische Gegnerschaft zu Menschenrechten und Menschenwürde. Erst sekundär band er die Selektion an "Natur".

Sozialismus der Starken

Die offen imperialistische Variante der Eugenik zielte auf die Züchtung eines starken Volkes, das die Führung über andere Völker übernehmen sollte; sie war direkt den (jeweils entgegengesetzten) imperialistischen Interessen Englands und Deutschlands dienlich und mündete in Deutschland sehr schnell in offenen, überwiegend antisemitischen Rassismus und die Verherrlichung des "Ariers", schließlich im Nationalsozialismus. Die sozialdemagogische Variante propagierte einen Sozialismus der Starken, der sowohl durch Fortpflanzungshindernisse für "Minderwertige" als auch durch eine soziale Revolution erreicht werden sollte. Die Revolution sollte die Grundlage dafür erbringen, daß die biologische "Hinaufpflanzung" der Menschheit durch die "Höherwertigen" nicht etwa "ungerechten" Kriterien folge (wie Reichtum) sondern für gerecht gehaltenen (wie Erfolg oder Gesundheit, die es in allen Gesellschaftsschichten gebe; als ob diese Kriterien tatsächlich gesellschaftlich unabhängig - "natürlich" - zu definieren sind). Grundlage der sozialdemagogischen Variante bildete die Ideologie von der Chancengleichheit aller (wohl aller biologisch gleich Neugeborenen); dabei wurde weder die Frage nach den Chancen in der Wirklichkeit noch nach der Möglichkeit, Chancen zu "verspielen", gestellt, oder anders herum betrachtet: die Frage nach dem Schutz der Schwachen.

Beiden Varianten fallen die Schwachen zum Opfer, und so unterscheiden sich beide auch nur in der Rhetorik, die einmal nationalistisch und rassistisch, das andere Mal (z. B. bei Hirschfeld) kosmopolitisch ist, aber zum selben Ergebnis führt: der Herrschaft des Rechts des Stärkeren in der Gesellschaft, wie es aus der "Natur" abgeschaut ist, und damit einer Rückwärtsentwicklung der menschlichen Zivilisation: statt Emanzipation erneute, schon überwunden geglaubte Versklavung an die "Natur" (ein Abstraktum, das nicht wirklich mit Natur und Evolution identisch ist, sondern zur Rechtfertigung der Ungleichheit in der menschlichen Gesellschaft aus diesen gewonnen wurde).

Die besondere Infamie der sozialdemagogischen Variante, die auch am IfSw vertreten wurde (neben Hirschfeld z. B. auch von Max Hodann und Arthur Kronfeld), zeigt sich daran, daß die Schwachen zuerst die revolutionäre Dynamik verursachen sollen, nach der Revolution aber nicht etwa ein leichteres Los erhalten, sondern physisch abgeschafft werden sollen. "Ohne Bedenken" stimmte Hodann 1928 dem Rassenhygieniker Heinrich Poll zu, der geschrieben hatte: "Wie der Organismus schonungslos entartete Zellen opfert ..., um das Ganze zu retten: so sollen auch die höheren organischen Einheiten, der Sippschaftsverband, der Staatsverband, sich nicht in übergroßer Ängstlichkeit vor dem Eingriff in die persönliche Freiheit scheuen, die Träger krankhaften Erbgutes daran zu verhindern, schädigende Keime durch Generationen weiterzuschleppen". (3) "Wer bemüht sich (heute) ernsthaft um die Ausschaltung von Keimschädigungen?", so Hodann selbst; "es wird Sache der sozialistischen Gesellschaft nicht zuletzt sein, in eugenischer Hinsicht Maßnahmen zu ergreifen, um die Gesellschaft von der Belastung durch minderwertige Nachkommen zu schützen", statt die Schwachen vor den Starken zu schützen. (4) Andererseits müßte die Fortpflanzung der "wertvollsten Familien" künstlich gefördert werden, weil sonst "Verlust an wertvollem Erbgut" drohe, der "auch im Interesse des Proletariats bedenklich" sei. (5) Auch Hodanns "Proletariat" ist hier nur noch ein Abtraktum, wie "Natur", das mit den wirklichen Menschen, ihren Lebensverhältnissen, Wünschen und Sehnsüchten weniger zu tun hat als mit einer Arbeiteraristokratie von Übermenschen, die nun - positiv gewendet - Proletarier sei sollen: nur Nachkommen Erzeugende.

Hirschfeld schloß sich in seiner letzten Arbeit, dem posthum und in englischer Übersetzung erschienenen Buch "Racism", noch einmal ausdrücklich der sozialdemagogischen Variante der Eugenik an und betonte, "that worth-while eugenics will only become practicable after the social revolution". (6) In dem Buch kritisierte er die eugenische Bevölkerungspolitik der Nazis durch Sterilisationen "Unerwünschter" nicht prinzipiell (statt dessen befand er sie als "an interesting experiment ... but it will be a long while before the results can be judged on their merits" (7)), sondern nur deshalb, weil sie nicht auf für Hirschfeld offensichtlich "minderwertige" "Unerwünschte" (wie geistig und körperlich Behinderte: "undesirables ... affected with hereditarily transmissible bodily or mental diseases or defects" (8)) beschränkt war und auch "Rassenmischung" ausschloß. Und gegen diese Rassenreinheitspolitik der Nazis führte er hier ausgerechnet Mussolini als ein positives Beispiel an, dessen Lob der mediterranen Herrscherrasse, die aus Rassenmischung rund ums Mittelmeer erst entstanden sei, er breit zitierte. (9) Dann gab er den Nazis noch einen Ratschlag aus seiner reichen Erfahrung eugenischer Eheberatung am IfSw: "If a serious endeavour is to be made to breed a race of Nietzschean supemen and superwomen, the Race Offices should be promptly transformed into Marriage Advisory Boards, guided by hygienic and eugenist principles widely different from those upon which the present crude attempts at racist selection are based." (10)

Veredelung der Rasse

Hirschfelds (späte) Kritik am Rassismus richtete sich gegen die Einengung des Genpools auf eine Rasse, die er (ausgerechnet mit Mussolini) als kontraproduktiv für die Höherzüchtung der Menschheit ansah, weil so die Erbanlagen der Genies anderer Rassen verloren gingen; das Konzept der Rasse im menschlichen Bereich stellte er niemals in Frage. Auch in seiner Artikelserie "Phantom Rasse", die 1934/35 in der Zeitschrift "Die Wahrheit" in Prag erschien, betonte er, daß es "zwischen den Völkern nicht den geringsten Wertunterschied" gebe, "sondern solche nur zwischen einzelnen Menschen" anzuerkennen seien. (11) Daß dies ethisch auf dasselbe hinausläuft, reflektierte er nie, und er blieb letztlich auch unsicher in seinem Urteil über den Rassismus, wenn er zu einer Zeit, als der Rassismus bereits wütete (in Deutschland wie - in anderer Form - in den USA und Südafrika, von den Kolonien zu schweigen), forderte, erst noch "objektiv die Hypohesen des Rassismus zu überprüfen und zu entscheiden, ob sie eine sachliche Unterlage haben oder ein Phantasiegebilde, ein Trugschluß sind". (12) Er fand nicht zu einer prinzipiellen Kritik und blieb unsicher, weil er nicht die Idee der Selektion in Frage stellte, sondern ihre Anwendung. Deshalb konnte er in "Phantom Rasse" sein IfSw und die dortige eugenische Ehe- und Sexualberatung ohne Scham, ja sogar mit Stolz als Vorläufer der Nazi-Eugenik präsentieren, die von den Nazis jetzt lediglich aus "Übereifer, Fanatismus und Vorurteilen" übertrieben werde. Ob das NS-"Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" von 1933 (mit Eheverboten und Zwangssterilisationen) letztlich "zum Wohl der Bevölkerung Deutschlands" sei, "kann erst die Zukunft lehren", meinte Hirschfeld noch 1935. Und er zweifelte am Wohl, weil das NS-Gesetz zu kurz greife: "Wenn man wirklich eine energische Ausjätung betreiben will, hätte man die Rauschsüchtigen und unter ihnen die Alkoholiker vor allem ins Auge fassen müssen". (13)

Solche menschenverachtenden und die Menschenwürde verletzenden, in keiner Weise als links, emanzipatorisch oder fortschrittlich zu nennenden Ansichten durchzogen das gesamte Werk Hirschfelds, nicht als Ausrutscher, sondern als Konsequenz seines Ansatzes, Sexualität nur im Hinblick auf die "Höherzüchung" der Menschheit zu sehen. In seinem programmatischen Artikel "Über Sexualwissenschaft" von 1908 bezog er den "Geschlechtstrieb" auf die "Vervollkommnung des Menschengeschlechts" und schrieb: "Man scheut sich, ein verkrüppeltes Männchen oder Weibchen zu ehelichen oder jemanden, dessen Vater sich im Zucht- oder Irrenhaus befindet. Und nicht ohne Grund; denn nur, wenn wir die Gesündesten, Wohlgestaltetsten, Intelligentesten und Gesittetsten zu Ehehälften nehmen, tragen wir zur Veredelung der Rasse bei." (14) Deutlich wird die unreflektierte kulturelle Verankerung seiner eugenischen Kriterien, wenn er die "Gesittetsten" als biologisch wertvoll erachtet, die Nachkommen von Zuchthäuslern aber als biologisch minderwertig.

Hirschfeld schloß nicht einmal Zwangsmaßnahmen aus, wie er 1930 im 3. Band seiner "Geschlechtskunde" schrieb: "Die Zwangssterilisierung sollte nur in ganz besonders schweren Fällen erlaubt sein, namentlich, wenn die Betreffenden selbst geistig so verblödet sind, daß sie außerstande sind, über sich zu verfügen." (15) In der "Geschlechtskunde" hatte er auch gute Worte - wiederum ohne letztliche Klarheit - zu den Aufsehen erregenden Plänen des sächsischen Amtsarztes G. Boeters, der blind oder taubstumm Geborene ebenso zwangssterilisieren wollte wie Sittlichkeitsverbrecher oder die Väter unehelicher Kinder, und der das Skalpell auch an solche Kinder anlegen wollte, die voraussichtlich keinen Volksschulabschluß erlangen würden. Wenn Hirschfeld diesen Plänen auch nicht direkt zustimmte (sie aber auch nicht direkt ablehnte, weil er sie so genau gar nicht benannte), so hielt er Boeters zugute, daß dieser die Sterilisierung als eugenische Methode in Deutschland wieder in die Debatte gebracht habe und stimmte zu, daß Sterilisierung "nur eine Anwendung desselben Grundsatzes, nach der jeder Gärtner Unkraut jätet, auf den Menschen" sei. (16) Und das Prinzip des "Jätens" unter den Menschen hieß Hirschfeld ja noch in "Racism" gut. Hirschfelds Freund und Lehrer August Forel, der Boeters 1925 bei der Forderung an den Deutschen Reichstag, Sterilisation als eugenische Maßnahme zu legalisieren, nachdrücklich unterstützte, hatte schon 1906 die "Rasse" als den wichtigsten Bezugspunkt seiner "sexuellen Ethik" genannt, gefolgt von der "Gesellschaft", der "Familie" und dann erst dem Subjekt als dem sexuell Erlebenden und Handelnden. (17)

Eliminatorische Sexualreform

Hirschfeld wandte sich allerdings gegen massenhafte Zwangssterilisierungen und setzte auf Beratung, Erziehung zur Freiwilligkeit des Fortpflanzungs-Verzichts, psychischen Druck auf Normabweichende, den er "positive eugenics" nannte. (18) Seine Sexualwissenschaft wie auch Überlegungen zur Sexualethik und Initiativen in der Sexualpolitik dienten nur diesem Zweck; er verfolgte keine emanzipative, sondern eine letztlich eliminatorische Sexualreform, die eine Auslöschung der Schwachen zum Ziel hatte. "Sexualreform auf Grundlage der Sexualwissenschaft!", forderte er 1912; in einem Beitrag an der Tung-Chi Universität in Schanghai 1932 nannte er die Eugenik als "Kernstück der ganzen Sexualwissenschaft" und machte wieder Abstriche von der Freiwilligkeit, wenn er seine eugenische Eheberatung am IfSw unter die Überschrift faßte: "Wer darf heiraten? Wer darf nicht heiraten?" (19) Dazu hatte Hirschfeld klare Vorstellungen, die neben den "Unerwünschten" auch die Homosexuellen betrafen: Das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee (WhK) habe "die Ehen der zur Fortpflanzung ungeeigneten sexuellen Zwischenstufen bekämpft", so beschrieb er 1930 seine wahren Sexualreform-Bestrebungen in der Organisation, die bis heute als die erste Menschenrechtsorganisation der Homosexuellen gilt. (20) Das Motiv war eugenisch: "Jedenfalls verdammt ein Homosexueller, der heiratet, eine gesunde Frau zur Sterilität oder zur Geburt geistesschwacher Kinder. Die gleichen Einwände können gegen Heiraten homosexueller Frauen gemacht werden, und es liegt im Interesse der Rassenpflege, solche Ehen zu verhindern", so Hirschfeld in einem posthum publizierten Text. (21) Andreas Seeck referierte 1998 in den "Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft" eine Reihe von Textstellen Hirschfelds, in denen dieser über die Jahre hin immer wieder Homosexualität mit "einer krankhaften Anlage des Nervensystems" in Verbindung brachte und "die in den Ehen Homosexueller erzeugten Kinder" als "selten vollwertig" und "degeneriert" bezeichnete. (22) Homosexualität und sexuelle Zwischenstufen waren für Hirschfeld (1930 in der "Geschlechtskunde") daher "Vorbeugemittel der Degeneration", eugenische Strategien, die den angeblich drohenden biologischen Absturz der Menschheit verhindern helfen sollten. (23)

Der Eine oder die Andere mag sich noch an die Debatten der 70er Jahre um die Einführung von Sexualerziehung an den Schulen erinnern, in denen linke Pädagogen die Vermittlung von Genußfähigkeit und der Fähigkeit, genießen zu lassen, einforderten. Bei Hirschfeld (der seine eigene Homosexualität noch in "Racism" verleugnete: die Nazis könnten ihn zwar verleumden, doch im Bezug auf seine Person habe es niemals Homosexualitäts-Skandale gegeben wie in der Umgebung Hitlers - Röhm - oder des Kaisers - Eulenburg - (24)) oder Hodann wird Sexualerziehung dagegen als Zuchtanleitung in Dienst genommen: Sie sei die "Fortsetzung der Eugenik mit anderen Mitteln", so Hirschfeld 1930; (25) Hodann sah sie als "Willensfestigung, um Trieben und Verlockungen zu widerstehen". (26) Daß dies alles mit Emanzipation nichts zu tun hat, läßt sich wohl kaum bestreiten. Doch die heutigen Hirschfeld-Apologeten bleiben davon seltsam unbeeindruckt.

Haeckelianer durch und durch

Hirschfeld entschied sich letztlich nicht für eine der beiden Varianten der Eugenik, der imperialistischen oder der sozialdemagogischen, sondern spielte bei beiden mit. Das verdecken auch nicht die mühsamen Verrenkungen in der Hirschfeld-Exegese seiner heutigen Anhänger. Er war ein großer Bewunderer Ernst Haeckels, des wichtigsten Erfinders von Eugenik und Sozialdarwinismus auf deutscher Seite, und nannte nach Haeckels Tod 1919 sogar den großen Vortragsraum im neuen IfSw-Gebäude "Ernst-Haeckel-Saal". Zuvor, 1914, hatte Haeckel in einem Aufruf den Ersten Weltkrieg gerechtfertigt: "Protest gegen die Lügen und Verleumdungen, mit denen unsere Feinde Deutschlands reine Sache in dem ihm aufgezwungenen schweren Daseinskampfe zu beschmutzen trachten." (27) Hirschfeld hatte zwar nicht unterschrieben, kannte aber den Aufruf, wußte auch, daß Haeckel Mitglied des nationalistischen Alldeutschen Verbandes war, der die beabsichtigten Weltkriegs-Eroberungen in Ost- und Südosteuropa ideologisch vorbereitete. Den "Ernst-Haeckel-Saal" hielt er für den geeigneten Ort, seine eugenische Eheberatung abzuhalten. Daß die Nazis in ihrem Intellektuellenblatt "Nationalsozialistische Monatshefte" 1935 Haeckel als den "Wegbereiter biologischen Staatsdenkens" feierten, hat er nicht mehr mitbekommen.

Er war aktives Mitglied in Haeckels Deutschem Monistenbund (wie auch Forel und die WhK-Aktivistin Helene Stöcker), der weltanschaulichen Propagandaorganisation der deutschen Sozialdarwinisten, und verehrte dessen Vorsitzenden Wilhelm Ostwald, ein glückloser Chemiker (27a), der die menschliche Gesellschaft mit dem Energie-Begriff erklären wollte und 1914 den Weltkriegs-Aufruf mitunterzeichnet hatte. Ostwald sprach er sich 1912 für die Kastration von Mördern als probatem forensischem Mittel aus, "da es nicht seine Arbeitskraft vernichtet, wohl aber die Vererbung des Mordinstinktes wenigstens für die Zukunft ausschließt ... Ein gleiches Verfahren ist jedem anderen stark antisozialen Verhalten gegenüber angezeigt", und formulierte daraus ein "allgemeines Prinzip der Reaktion gegen Rechtsverletzungen": "Sie soll stets so beschaffen sein, daß ein möglichst geringer sozialer Energieverlust daraus entsteht". (28) - "Auch für die Menschenproduktion gilt das Ostwaldsche Prinzip: Vergeude keine Energie, verwerte und veredle sie", so dichtete Hirschfeld 1914 beim Monistenbund publikumswirksam seine "Grundzüge der Sexualwissenschaft". (29)

Nationalbiologische Gesundheits- und Bevölkerungspolitik

1918/19 unterstützte Hirschfeld die Noske-Fraktion der SPD, die den Weltkrieg mit angezettelt hatte und 1919 die Rückgabe der deutschen Kolonien in Afrika verlangte, weil diese zum Überleben der deutschen Arbeiterklasse notwendig seien und weil die Arbeiter an der "Kulturarbeit der weißen Rasse in Afrika" beteiligt werden müßten. (30) Zur Noske-Fraktion gehörten auch SPD-Politiker wie Wolfgang Heine oder Alfred Grotjahn, die im SPD-regierten Preußen erste eugenische Maßnahmen durchsetzten (und Heine vertuschte als Justiz- und Innenminister nebenbei den Mord an Luxemburg und Liebknecht tatkräftig (31)). Grotjahn, der sich massiv für Zwangssterilisierungen "Minderwertiger" stark machte, war ein treuer Weggefährte Hirschfelds, sowohl in der Gesellschaft für Rassenhygiene (Ehrenpräsident: Ernst Haeckel) des ebenfalls Alldeutschen Alfred Ploetz (auch als diese schon erkennbar antisemitisch war, suchte Hirschfeld hier noch Verbündete) als auch in Hirschfelds Ärztlicher Gesellschaft für Sexualwissenschaft und Eugenik/Konstitutionsforschung (Vorstandsmitglieder u.a.: Hirschfeld, Grotjahn, Poll und der erste Monistenbund-Vorsitzende Heinrich Koerber; Ehremitglieder u. a.: Haeckel, der Schwulen-Kastrierer Eugen Steinach und Forel, der mit der "Sexualreform" den "sozialen Krebsschaden" der "Kuppelei" bekämpfen wollte (32); die Konstitutionsforschung wollte Persönlichkeitseigenschaften aus dem Körperbau ableiten und aus Körpervermessungen ein psychologisch-diagnostisches Instrument machen; nach 1933 erlebte sie, politisch gefördert, in Deutschland ihre Hohe Zeit; noch in "Racism" hing Hirschfeld ihrem Hauptvertreter, Ernst Kretschmer, an). Beide Gesellschaften forderten noch im Kaiserreich die Einführung von eugenischen Ehezeugnissen, in denen die Wertigkeit des Erbgutes bescheinigt werde sollte. Ihre Vertreter arbeiteten nach der Revolution im Ausschuß für Rassenhygiene und Bevölkerungswesen mit, der der preußischen Medizinalverwaltung beratend zur Seite stand (die ihrerseits in den 20er Jahren die nun offen antisemitische Gesellschaft für Rassenhygiene mitfinanzierte) und bereiteten hier bis 1932 durch landesgesetzliche Regelungen die schließlich reichsweite gesetzliche Einführung der Eugenik durch die Nazis 1933 vor, die dann die alten Forderungen nach obligatorischen Ehezeugnissen, Sterilisierungen usw. reichsweit erfüllten; die preußische SPD-Gesundheitspolitik war eine Grundlage hierzu. (33) Zu Vorträgen vor der Ärztlichen Gesellschaft wurden Anfang der 30er Jahre die rassistischen Anthropologen Eugen Fischer und Othmar von Verschuer geladen, die zu führenden Nazi-Rassisten wurden. (Professor v. Verschuer erhielt von seinem Assistenten Dr. Josef Mengele aus Auschwitz Präparate von KZ-Häftlingen zu "Forschungs"-Zwecken und machte nach 1945 weiter Karriere.)

Wie nahe Hirschfeld späteren nationalsozialistischen Vorstellung kam, zeigt auch sein Plan zur "Verstaatlichung des Gesundheitswesens" von 1919. Es müßten endlich die "künstlich zwischen den Klassen aufgerichtete(n) Schranken fallen" und statt des "freie(n) Spiel(s) der Kräfte ... nunmehr die Volksgemeinschaft als einheitlicher Volkskörper" die Gesellschaft bestimmen.(34) Ein "Ministerium für Volksgesundheit" solle als "zentrale Behörde" über Ehezeugnisse und die "Befolgung der Vererbungsgesetze" bei der Eheschließung wachen, eine Forderung, die schließlich die Nazis verwirklichten. (35) Im Ziel seines Plans drückte er unbewußt aus, was er in Wahrheit von der Emanzipation des Individuums hielt: "Die Naturwissenschaft tritt an die Stelle der Theologie, die moderne Hygiene an die Stelle veralteter Moral". (36) Und er machte in der Stunde der deutschen Kriegsniederlage klar, wem der Plan dienen sollte: "Deutschland ..., das sich aus dem schweren Unglück dieser Tage zu neuem Glück und neuer Stärke emporringen wird". (37)

Ein größerer Nationalist und Rassist war Ferdinand Freiherr von Reitzenstein, dem Hirschfeld 1923 die Leitung der berühmten sexual-ethnologischen Sammlung im IfSw übertrug und der auch in Stöckers "Bund für Mutterschutz" maßgeblich mitarbeitete. Reitzenstein kam von der Märchen- und Sagenforschung her, ein bis heute bei den Ethnopluralisten der "Neuen Rechten" beliebtes Feld. Er übertrug Haeckels Degenerations-These in die Kultur- und Sittengeschichte und fand als "roten Faden für jede Kulturgeschichte" den "ethnischen Entartungsprozeß". (38) Den sah er, streng nach Haeckel, innerhalb der Völker am Werk; ansonsten verfocht er, streng ethnopluralistisch, die weltweite Apartheid. Obwohl er (wie Hirschfeld) diejenigen angriff, die sich gegen die "Rassenmischung" aussprachen, kam er über absurde Betrachtungen angeblich veränderter Hormonausschüttungen bei solchen Weißen, die sich in subtropischen und tropischen Regionen der Erde ansiedelten, zur Apartheid: die Weißen würden sich vermischen oder jedes Interesse am Sex verlieren und somit als Rasse verschwinden, was man z. B. an den Goten nach der Völkerwanderung gesehen habe. Auch diese Thesen teilte Hirschfeld im wesentlichen, noch 1933 in seinem Buch "Weltreise eines Sexualforschers". (39)

1911 hatte Reitzenstein ein Offizierslehrbuch "Die Völker der Erde" publiziert, das 1914 erneut aufgelegt wurde und direkt der (überseeischen) deutschen Kriegführung diente, für die Reitzenstein als ein leitender Propagandaoffizier tätig war; 1935 (!) kam wieder eine Neuauflage heraus, als der nächste Krieg anstand; 1925 war er an dem Kriegsbilderbuch "Deutschlands Feinde und seine Verbündeten" beteiligt, das vor allem von der extremen Rechten rezipiert wurde. Seine IfSw-Arbeit über die Sexualität der Völker wurde (neben Hirschfeld) auch von dem IfSw-Psychologen und Haeckelianer Arthur Kronfeld unterstützt, der buddhistische Meditation mit Autismus und moderne Kunst mit Geisteskrankenheiten in Verbindung brachte. (Tatsächlich waren auf einer Wand des IfSw, das als Ausstellungsgebäude für die ethnologische Sammlung diente, "Zeichnungen sexuell anormaler Künstler" - so Hirschfelds Titel - in einer Weise präsentiert, die an die Nazi-Ausstellung "Entartete Kunst" erinnert.)

Reitzensteins Hauptaugenmerk galt der Rolle der Frau, dem "Weib im Leben der Völker"; er vertrat die nationalsozialistische Frauenideologie, sowohl nach dem Schönheitsideal als auch nach dem Rollenbild. Heftig bekämpfte er die Frauenemanzipationsbewegung und ließ nur die Frauenrolle der Mutter in Ehe und Haushalt gelten: "Gebärerin der Kinder sowie Verwalterin und Verbesserin des Besitzstandes, das sind so recht die eigentlich weiblichen Seiten der kulturellen Tätigkeit. Wo es (das Weib) von dieser Bahn abweicht, wo es den Mann nachäfft, besonders als politischer Clown, da sinkt es von seiner Würde und seiner Bedeutung herab und erfüllt seine Mission nicht mehr." (40) Die sexual-ethnologische Sammlung des IfSw füllte er mit Fotografien aus den früheren kaiserlichen Kolonialinstitutionen, die die deutsche rassenanthropologische Forschung förderten und ihre Ergebnisse in Afrika, Asien und Polynesien praktisch-imperialistisch anwandten; Fotos von nackten Menschen - auch mit körperlichen Normabweichungen - wurden im IfSw würdeverletzend als Menschenmaterial zum Beweis von Hirschfelds Theorie der "sexuellen Zwischenstufen" ausgestellt, Reitzenstein garnierte Frauenbilder aus verschiedenen Kontinenten mit seinen Bemerkungen: "furchtbar häßlich", die Brüste "unschön" oder "noch schlechter als in Afrika", "noch abstoßender als die Südamerikanerinnen" usw. (41)

Revival im Neoimperialismus

Es ist nicht nur sachlich falsch, sondern vor allem ethisch inakzeptabel, Hirschfelds (und seiner Umgebung) Positionen etwa als "zeittypisch" historisieren zu wollen, um damit seine Verantwortung an den Verbrechen des 20. Jahrhunderts klein zu reden. Es gab zu Hirschfelds Lebzeiten Alternativen zur Menschenverachtung, nicht nur auf christlicher Seite. Der Übergang von seiner "Sexualreform" zum Verbrechen war fließend, und dies hätte jeder sehen können, der sich prinzipiell für Eheverbote und Zwangssterilisierungen aussprach, denn die widersprachen auch schon in den 10er und 20er Jahren den Menschenrechten. Auch läßt sich, wie dargestellt, Hirschfeld nicht aufspalten in einen "fortschrittlichen" Sexualreformer und einen "problematischen" Eugeniker.

Daß er und so viele seiner Mitstreiter Opfer des Antisemitismus waren, ließ sie dennoch nicht grundsätzlich an ihrer eigenen Selektionsperspektive zweifeln, obwohl sie als Verfolgte die Auswirkungen von "Minderwertigkeit" und Selektion persönlich spürten. Viele von ihnen fühlten sich als Teil des deutschen Bildungsbürgertums, dessen irrationales Denken Lucács so trefflich als Vorfeld des Nationalsozialismus analysiert hat. Viele waren auch zu Atheisten geworden, so daß sie ihre Zuordnung zum Judentum durch die extreme Rechte zurückwiesen. Die Aktivisten der Ärztlichen Gesellschaft für Sexualforschung und Eugenik waren oftmals dieselben wie die der berüchtigten Berliner Anthropologischen Gesellschaft, einige von ihnen machten unter den Nazis Karriere, viele andere mußten emigrieren. Die Reihen der Ärztlichen Gesellschaft wurden gelichtet durch tragische Schicksale, von denen das des Eugenikers Arthur Czellitzer, der sich offen zum Judentum bekannte, vielleicht das extremste, bei weitem aber nicht das einzige Beispiel ist: er forderte die Einführung von "Sanitätspässen" (Gesundheits- und Ahnenpässen, wie den Ehetauglichkeitsbescheinigungen) und starb nach gescheiterter Emigration im KZ Sobibor - als Opfer seiner eigenen Theorie, die die Nazis gegen ihn wendeten. (42)

Man fragt sich, warum in der jetzigen neoimperialistischen Phase, in der Europa erneut durch deutschen Kriegseinsatz aufgeteilt wird (im Südosten, wo schon die Alldeutschen begehrlich waren), in der zur Rechtfertigung der Kriegseinsätze das Gedenken an die Opfer des Faschismus instrumentalisiert wird und in der eine seit den 30er Jahren nicht mehr gesehene gigantische Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums weg von den Projekten zum Schutz der Schwachen (z. B. in der Gesundheits-, Behinderten-, Altersrentenpolitik) hin zu den Modernisierungsvorhaben der Kapitalverwerter stattfindet, einhellig die Forderung erhoben wird, eine Stiftung zur "Wiedergutmachung" der Nazi-Verbrechen an den Homosexuellen (und nicht etwa auch z. B. an den Behinderten) ausgerechnet nach Magnus Hirschfeld zu benennen, einhellig von der Frauen- und Lesbenpolitikerin der PDS Christina Schenk (43) bis zu Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (44) Die Historisierung des Faschismus dient der Wiederverwertung einzelner Politikelemente. Der brave Hans-Georg Stümke hat es wohl anders gemeint, als er im Juli 1999 schrieb: "Der Aufklärer Hirschfeld war kein Vordenker der Nazis. Er war Sozialdemokrat." (45)

Anmerkungen:
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(1) Die wichtigsten: Herrn, R.: "Phantom Rasse. Ein Hirngespinst als Weltgefahr". Anmerkungen zu einem Aufsatz Magnus Hirschfelds, in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft (M-MHG) Nr. 18, 1993; Seeck, A.: Aufklärung oder Rückfall? - Das Projekt der Etablierung einer "Sexualwissenschaft" und deren Konzeption als Teil der Biologie, in: M-MHG, Nr. 26/27, 1998; kritische Beiträge zur Eugenik auch in M-MHG Nr. 11, 1988
(2) Vgl. Fußnoten 21 und 22
(3) So der Rassenhygieniker und Sterilisierungsbefürworter Heinrich Poll nach Hodann, Max: Was müssen unsere Genossen von der Eugenik wissen?, in: Sozialistische Erziehung (1928), zit. n. Wolff, W.: Max Hodann (1894-1946). Sozialist und Sexualreformer, Hamburg 1993, S. 219
(4) Ebd.
(5) Ebd., S. 221
(6) Hirschfeld, M.: Racism. Translated and Edited by Eden and Cedar Paul, London 1938, S. 173
(7) Ebd., S. 308
(8) Ebd., 305
(9) Ebd., S. 48, 129, 269-272
(10) Ebd., S. 303
(11) Hirschfeld, M.: Phantom Rasse, zit. n. Herzer, M.: Hirschfelds Utopie, in M-MHG Nr. 28, 1998, S. 52
(12) Phantom Rasse, zit. n. Herrn, a.a.O., S. 57
(13) Ebd., S. 58-60
(14) Hirschfeld, M.: Über Sexualität, in: Zeitschrift für Sexualwissenschaft, Nr. 1, 1908, S. 9
(15) Hirschfeld, M.: Geschlechtskunde, Bd. III, Stuttgart 1930, S. 48
(16) Ebd., S. 43; zu Boeters vgl. Müller, J.: Sterilisation und Gesetzgebung bis 1933, Husum 1985, S. 60f
(17) Zit. n. Seeck 1998, a.a.O., S. 19
(18) Racism, a.a.O., S. 308
(19) Zit. n. Seeck 1998, a.a.O., S. 10
(20) Geschlechtskunde Bd. III, a.a.O., S. 66
(21) Zit. n. Dannecker, M.: Vorwort, in: Schmidt, W. J. (Hrsg.): Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen. Auswahl aus den Jahrgängen 1899-1923, Frankfurt a. M. 1983, S. 10
(22) Seeck 1998, a.a.O., S. 25. Allerdings zieht Seeck seltsamerweise den Schluß, dies sei Teil von Hirschfelds "emanzipativem Diskurs" gewesen.
(23) Zit. n. Seeck 1998, a.a.O., S. 25
(24) Racism, a.a.O. S. 152f
(25) Zit. n. Wolff, a.a.O., S. 213
(26) Zit. n. Wolff, a.a.O., S. 220
(27) Zit. n. Seeck, A.: Wilhelm Ostwald, Monistenbund, Energie und Sexualwissenschaft, in M-MHG Nr. 22/23, 1995/96, S. 85
(27a) Ostwald erhielt als Schöpfer der Physikalischen Chemie zuerst den Nobelpreis, dreht dann aber durch: Er schuf die "energetische Weltauffassung", eine Religion, die er aus seiner Wissenschaft ableitete und die er mit Hilfe von Haeckels "Monistenbund", dessen Vorsitzender er ab 1912 war, als Heilslehre verbreitete. Ostwald glaubte nun, seine Prinzipien aus der Physikalischen Chemie, die ihm Ruhm in der Wissenschaftswelt eingebracht hatten, sämtliche "Welträtsel" (Haeckel) erklären zu können. Er kehrte zur seit hundert Jahren obsoleten "Naturphilosophie" zurück und wurde fortan nur noch verlacht.
(28) Ebd., S. 73
(29) Ebd., S. 91
(30) SPD-Forderung auf der Berner Sozialistenkonferenz 1919,
vgl. Kratz, P.: Rechte Genossen. Neokonservatismus in der SPD,
Berlin 1995
(31) Vgl. Kratz 1995
(32) Zit. n. Seeck 1995/96, S. 87
(33) vgl. Herrn, a.a.O., S. 58; auch Pretzel, A.: Materialien und Notizen zur Vereinsgeschichte der "Ärztlichen Gesellschaft für Sexualwissenschaft", in M-MHG Nr. 24/25, 1997, S. 66; zur Wirkung der (nationalrevolutionären) Noske-Fraktion in der preußischen SPD bis 1932/33 vgl. a. Kratz 1995
(34) Hirschfeld, M.: Verstaatlichung des Gesundheitswesens, Flugschrift des Bundes Neues Vaterland Nr. 10, Berlin 1919, S. 17; 11
(35) Ebd., S. 16
(36) Ebd., S. 17
(37) Ebd., S. 18
(38) Zit. n. Pretzel, A.: Ferdinand Freiherr von Reitzenstein - Lebensgeschichte, Werk und Wirkung eines Kulturanthropologen, in: M-MHG Nr. 22/23, 1995/96, S. 34
(39) Vgl. Pretzel 1995/96, S. 34; 50
(40) Zit. n. Pretzel 1995/96, a.a.O., S. 40
(41) Zu sehen in der Wanderausstellung der MHG "Das erste Institut für Sexualwissenschaft 1919-1933"
(42) Vgl. Pretzel 1997, a.a.O., S. 94; Pretzel gibt einen detaillierten Überblick über die Aktivisten der Ärztlichen Gesellschaft und ihre Schicksale
(43) Vgl. Bundestagsdrucksache 14/2619: Antrag der Abgeordneten Christina Schenk usw. auf Errichtung einer Magnus-Hirschfeld-Stiftung durch die Bundesrepublik Deutschland.
(44) Grußwort Thierses an die MHG, verlesen bei der Veranstaltung der MHG in Berlin am 14. März 2000
(45) Stümke, H.-G.: Anders als die Mehrheit, in: Queer, Ausgabe Juli 1999, S. 10 

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