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Wenn Braune rot
sehen:
Lafontaine rechts
aussen
Auszüge
aus dem Buch
"Rechte Genossen. Neokonservatismus in
der SPD"
von
Peter Kratz (Berlin 1995)
Oskar Lafontaine,
Vorsitzender
der Partei "Die Linke" und Vorsitzender der "Linksfraktion" im
Bundestag,
forderte die Linke in Deutschland nicht nur auf, sich "das Zinsverbot"
vom Islam abzuschneiden, wollte nicht nur den "Kapuzenmann" aus "Abu
Ghureib"
auf Parteitage nach Deutschland einladen (bis sich herausstellte, dass
auch "der Kapuzenmann" - wie vorher schon "das Zinsverbot" und
Lafontaines
"Lied vom Teilen" aus dem Bundestagswahlkampf 1990 - ein barer
Schwindel,
Betrug und Budenzauber war), war vor Jahren noch ein hervorragender
Vertreter
des Neokonservatismus, der gerne auch in der rechtsextremen Zeitschrift
"MUT" publizierte. Insofern wundert es, wieso Guido Westerwelle ihn
nicht
umarmt, sondern ihm vorwirft, was eigentlich ein Argument der Linken
ist
(nein, nicht "Der Linken", sondern der Linken): dass er ein barer Hugo
Chavez ist, wie schon Benito Mussolini ein wahrer Ernst Röhm war.
Eine Analyse von zwanzig
Jahren Oskar
Lafontaine brachte Peter Kratz schon 1995 in seinem Buch "Rechte
Genossen.
Neokonservatismus in der SPD". Damals war Lafolini noch auf dem Weg zum
Sozzen-König, unter dem Beifall von "Linken" und dem Ruf:
"Deutschland
braucht einen Oskar!". Heute klingt es aus nämlicher Kehle, der
vormalige
Pate sei "im tiefen Sinne antidemokratisch". Mausolini - frau
hätte
es wissen können - maust es den Armen und gibt es den Reichen,
redet
das Gegenteil und wird selbst reich dabei, nebst einigen
Wegbegleitern/innen.
Auszüge aus einem
guten alten
Buch, das es immer schon besser wusste:
Lohnverzicht
fürs Vaterland
"Auch in sich nach
außen reputierlich
gebenden konservativen Zeitschriften wie 'Mut' oder 'Criticon' haben
Unionspolitiker
die Grenze zwischen Konservativen und Rechtsextremen längst
eingerissen."
Das sagte die stellvertretende SPD-Vorsitzende Herta
Däubler-Gmelin
1989 in einem Interview. Der Parteivorstand der SPD druckte es in einem
Flugblatt "Thema: Rechtsextremismus" ab, als neofaschistische Parteien
mit ihrer gemeinschaftstümelnden Ideologie in der beginnenden
ökonomischen
Krise die ersten Wahlerfolge hatten. Schuldige wurden gesucht und bei
CDU
und CSU gefunden: Die Union habe nach rechts außen Kontakt
gesucht
und von dort Argumente übernommen, meinte Däubler-Gmelin. CDU
und CSU hätten dadurch das gesellschaftliche Spektrum so weit
verschoben,
daß Politikkonzepte wieder hoffähig geworden seien, die im
Nachkriegsdeutschland
bisher nur von den Rechtsextremen vertreten wurden. Im Text des
Flugblattes
hieß es weiter, zu den "humanen Grundsätzen zählt die
Unantastbarkeit
des politischen Asyls ebenso wie das kommunale Wahlrecht für
Ausländer.
Die vernünftigen Teile der CDU/CSU sind aufgefordert, sich zu
diesen
Prinzipien einer modernen und weltoffenen Gesellschaft zu bekennen und
sie in den eigenen Reihen durchzusetzen."
Sechs Jahre später
heißt
"modern" für die Sozialdemokratie etwas anderes als Emanzipation.
Im März 1995 schrieb der stellvertretende SPD-Vorsitzende Oskar
Lafontaine
selbst in "MUT". Er vertrat hier die neokonservative
Gemeinschaftsideologie,
die den arbeitenden Menschen Opfer abverlangt, damit die Profite der
Unternehmer
steigen. "Mehr Kooperation statt Konfrontation" hieß der Artikel.
Die beiden Zwischenüberschriften zeigten die Zielrichtung:
"Deutschland
braucht eine Modernisierungsstrategie" und "Die Investitionskraft der
Unternehmen
stärken". Es war auch deutlich zu lesen, auf wessen Kosten dies
geschehen
soll: "Mit moderaten Tarifabschlüssen haben auch die
Gewerkschaften
ihren Beitrag geleistet. Die Tarifautonomie hat sich 1994 in
schwieriger
Zeit bewährt. Ich bin sicher, daß die Tarifparteien auch in
diesem Jahr zu vernünftigen Abschlüssen kommen werden."
Lafontaine
breitete in dem Blatt, das im Übergangsfeld zwischen Konservativen
und Neofaschisten steht, ein SPD-Regierungsprogramm aus, das die
gesamte
Gesellschaft den Kapitalinteressen unterstellt: "Innovation,
technischer
Fortschritt und Qualifikation sind der Schlüssel zur Zukunft
unseres
Landes. Deshalb müssen Forschung, Entwicklung, Bildung und
Wissenschaft
wesentlich gestärkt werden. Und sie müssen sich stärker
als bisher an der ökonomischen Verwertbarkeit ihrer Arbeit
orientieren."
Der Profit der Unternehmer ist zum Kriterium sozialdemokratischer
Politik
geworden, für ihn will Lafontaine sogar ökologische und
ökonomische
Risiken eingehen: "Ich plädiere auch dafür, daß die
Diskussion
über Chancen und Risiken neuer Technologien versachlicht wird. Wir
brauchen ein neues gesellschaftliches Klima für Innovation und
technischen
Fortschritt. Wir brauchen in unserem Land eine neue Gründerwelle,
eine neue Aufbruchstimmung, einen neuen technologischen Sprung nach
vorn.
Deshalb hat der Bundesrat beispielsweise bei der Gentechnologie jetzt
dabei
geholfen, unnötige Hemmnisse abzubauen - ohne daß
berechtigte
Sicherheitsinteressen zu kurz kommen. Zu einer umfassenden
Modernisierungsstrategie
gehört, das auch das Innovationspotential des Mittelstandes
stärker
als bisher genutzt wird. Die Rahmenbedingungen für kleine und
mittlere
Unternehmen und für Existenzgründer müssen verbessert
werden.
Wir müssen zum Beispiel neue Wege gehen, um für innovative
Unternehmen
des Mittelstandes privates Risikokapital zu mobilisieren."
Lafontaine
veröffentlichte dies
nicht zufällig in einem Blatt der antidemokratischen und
antiegalitären
Rechten, denn Teile der Sozialdemokratie verfolgen heute eine Politik
der
technokratischen Gesellschaftsmodernisierung im Interesse des Kapitals,
die offen Anleihen bei dieser Rechten macht. Es ist erschreckend, zu
erkennen,
daß dabei oftmals die Ideen der Konservativen Revolution Pate
stehen,
jener Sammlung antirepublikanischer Intellektueller der 20er Jahre, die
den Faschismus als Weltanschauung systematisierten und in den
Köpfen
der Mittel- und Oberschicht, aber auch einiger Fraktionen der Bewegung
der Arbeiter und Arbeiterinnen ihrer Zeit, die Machtübergabe an
den
Faschismus mental vorbereiteten. Während die Spitze der SPD in den
80er Jahren noch vor der geistigen Nähe zu solchen Positionen
warnte,
geniert sie sich heute nicht mehr vor der Zusammenarbeit mit der "Neuen
Rechten", die die Nachfolge der "Weiße-Kragen-Faschisten" der
20er
Jahre angetreten hat. Der Heroismus, die Risikobereitschaft, die
Technikbegeisterung,
und der formierende Antiamerikanismus und Nationalismus der
Konservativen
Revolution - bisweilen auch ihre antirationale Naturmystik - dienen
maßgeblichen
Sozialdemokraten heute als ideologischer Überbau für eine
Wirtschafts-,
Gesellschafts- und Militärpolitik, die noch vor zehn Jahren die
Partei
gespalten hätte.
Die Wendepunkte der
SPD-Politik waren
die Abschaffung des Asylrechts und die Auslandseinsätze der
Bundeswehr
außerhalb des Verteidigungsauftrags des Grundgesetzes. Heute
zeigt
sich, daß dies keine isolierten politischen Projekte waren,
sondern
daß sie eine Politik jenseits des rechten Randes der
Nachkriegs-Sozialdemokratie
ermöglichten, die inzwischen auch die Bereiche der
Wohlfahrtsversorgung
und des "Sozialen Netzes" ergriffen hat. Lafontaine zeigte in seinem
"MUT"-Artikel,
daß er auch sein Finanzierungsmodell für diese Politik der
technokratischen
Modernisierung der Kapitalverwertungsmöglichkeiten bei der
extremen
Rechten der 20er und frühen 30er Jahre und ihren aktuellen
Nachfolgern
im Neokonservatismus entliehen hat: "Strengste Ausgabendisziplin auf
allen
Ebenen. Alle staatlichen Leistungen müssen überprüft
werden.
Der Staat muß sich auf seine eigentlichen Aufgaben konzentrieren.
Da, wo Dienstleistungen von Privaten preisgünstiger angeboten
werden,
führt an Privatisierung kein Weg vorbei. ... Es muß auch
sichergestellt
werden, daß die Sozialleistungen auf die wirklich
Bedürftigen
konzentriert werden." Die Politik der letzten Reichskanzler der
Weimarer
Republik, Heinrich Brüning, Franz von Papen und Kurt von
Schleicher,
basierte schon auf diesen Prinzipien, die Konservativen
Revolutionäre
unterstützten sie publizistisch. Es scheint heute so, als ob
etliche
sozialdemokratische Spitzenpolitiker sich an den Konservativen der
frühen
30er Jahren und ihren Vordenkern der 10er und 20er Jahre orientierten;
jedenfalls beziehen sie sich oftmals - und teilweise sogar ganz offen
und
selbstverständlich - auf diese Zeit und ihre Politikkonzepte: vom
Sozialabbau über die Hochtechnologie-Modernisierungen bis zur
Geostrategie.
Einen solchen Plan für den Sozialabbau, wie Lafontaine ihn 1995 in
"MUT" präsentierte, kannte man in der Bundesrepublik Deutschland
bisher
vom Neokonservatismus; derartiges war in den letzten Jahren in der Tat
schon öfter in "MUT" oder "Criticon" zu lesen gewesen, bisher
jedoch
nicht von einem Sozialdemokraten geschrieben.
Lafontaine mobilisierte
hier schließlich
auch den Gemeinschaftsgedanken, die Ideologie, nach der alle am selben
Strang ziehen: "Unser Land braucht mehr Kooperation statt
Konfrontation.
Bund und Länder, Arbeitsgeber und Gewerkschaften, Wirtschaft und
Politik,
wir alle sind aufgerufen, gemeinsam zu handeln, um die vor uns
liegenden
Herausforderungen zu bestehen. Wenn dieser gesellschaftliche Konsens
bewahrt
wird, dann kann unser Land mit Zuversicht in die Zukunft blicken." Man
kennt solche Thesen. Es ist die klassische Argumentation des
Konservatismus,
mit der die Privilegien weniger verteidigt werden gegen die
Ansprüche
der Vielen. Es sind Argumente zur Formierung der Gesellschaft auf die
Interessen
der Herrschenden. Die geschichtliche Erfahrung zeigt, daß der
Lohn
für die Massen in Wahrheit noch immer ausgeblieben ist. Solche
Reden
werden immer gewaltiger, ihr Heroismus wird immer mehr aufgeblasen, je
größer die Opfer sind, die der Mehrheit der Bevölkerung
abverlangt werden. Die "Herausforderungen" sind dann am
größten,
wenn eine aggressive Politik den eigenen Anteil am Weltmarkt
vergrößern
und internationale Konkurrenten verdrängen soll. Darum geht es
heute
in der Politik Deutschlands und des deutsch geführten Europa, auch
für die Sozialdemokratie: Im Innern zusammenzuhalten, um nach
außen
in der Triadenkonkurrenz Ostasien-Nordamerika-Europa stark zu sein.
...
In einer
gemeinsamen Erklärung
der SPD-Wirtschaftsexperten vom Juni 1994 zogen Rudolf Scharping, Oskar
Lafontaine, die Wirtschaftsminister der SPD-geführten
Bundesländer
und die wirtschaftspolitischen Sprecher der SPD-Fraktionen im Bundestag
und den Landesparlamenten die politische Konsequenz: "Die Anstrengungen
deutscher Unternehmen zur Erschließung neuer Märkte
müssen
durch eine aktive Außenwirtschaftspolitik unterstützt
werden.
Ein Land, in dem jeder vierte Arbeitsplatz vom Export abhängt,
kann
es sich nicht leisten, daß unsere Unternehmen auf den
Auslandsmärkten
nur deshalb das Nachsehen haben, weil sich die Regierungen unserer
Konkurrenten
wirksamer für ihre Unternehmen einsetzen. Die deutschen
Botschaften
im Ausland müssen sich stärker als bisher handelspolitisch
engagieren.
Die deutsche Entwicklungspolitik muß enger mit der
Außenwirtschaftspolitik
verzahnt werden. Bei den Finanzierungsbedingungen wichtiger
Exportprojekte
muß für mehr Chancengleichheit gesorgt werden."
...
Die Interessen
der Konzerne
werden seit Jahren - von den Jusos über die Mehrheits-SPD bis zu
den
Realo-Grünen - als die Zukunftschancen der Menschen in
Mitteleuropa
ausgegeben: Nur mit konkurrenzlosen Hochtechnologie-Produkten -
also mit Waren, deren Herstellungsweisen den Nichteuropäern
vorenthalten
werden - könne der eigene Wohlstand gegen die Schwellenländer
der "Dritten Welt" verteidigt werden. "Wir müssen das produzieren,
was die anderen noch nicht können", sagte Oskar Lafontaine im
September
1993 in seinem Vortrag "Zukunftsperspektiven für das Modell
Deutschland"
vor der Friedrich-Ebert-Stiftung. Auch er, der sich sonst so
antinationalistisch
gibt, betonte hier den deutschen Führungsanspruch in Europa und
der
Welt: "Wir müssen die modernste Forschungslandschaft der Welt
aufbauen,
wenn wir pro Kopf die größte Exportnation der Welt bleiben
wollen,
was wir immer noch sind. ... Wir sind Exportweltmeister geworden, weil
wir es in der Vergangenheit immer geschafft haben, Spitzenprodukte zu
entwickeln
und neue Technologien, die die anderen noch nicht hatten, und die wir
dann
auf den Weltmärkten plazieren konnten" - notfalls mit zwei
Weltkriegen.
Lafontaines "Wir" ist national gemeint und ausgrenzend.
...
Konkrete
realpolitische
Ausformungen der allgemeinen Hightech-Euphorie brachten die
wirtschaftspolitische
Erklärung vom Juni 1994 und die Rede Oskar Lafontaines auf dem
"Handesblatt
Wirtschaftsforum" am 20. April 1994. "Kostenentlastung der Wirtschaft"
durch vielfältiges staatliches Handeln hieß die Parole,
nachdem
die deutschen Unternehmen in der letzten Dekade Gewinne einfuhren wie
sonst
nur zu Kriegs-Boom-Zeiten. Staatlich geförderte "Transferzentren"
sollen "die Umsetzung der Forschungsergebnisse in neue Produkte"
beschleunigen,
also in Waren, die privat verkauft werden können. Wenngleich sich
die SPD-Wirtschaftspolitiker auch dem Mittelstand öffnen wollen,
blieb
dennoch das Interesse der Konzerne im Mittelpunkt deutlich. Die "jungen
Technologieunternehmen", die "wagemutigen Unternehmer", die "freien
Erfinder"
wurden zwar in der Erklärung vom Juni 1994 beschworen, ihnen
wurden
finanzielle Vorteile versprochen. Doch in der Wirklichkeit
kapitalistischer
Konkurrenz werden die findigsten Unternehmen schnell geschluckt,
Patente
verschwinden in Konzerntresoren, Erfinder werden mit
Erstnutzungsrechten
an Großfirmen gefesselt. Den findigen Mittelständlern bot
die
SPD nur eine vage Hoffnung: "Durch diese Technologie-Transferzentren kann
auch den kleinen und mittleren Unternehmen der Zugang zu moderner
Spitzentechnologie
eröffnet werden" - muß aber nicht! In der Wirklichkeit
ziehen
die kapitalkräftigen Konzerne durch Drittmittelforschung die
interessanten
und praktisch verwertbaren Erkenntnisse aus den staatlichen
Forschungseinrichtungen
ab, bevor sie öffentlich und den Kleinbetrieben zugänglich
werden.
...
Heroischer
Zugriff auf den Bauplan der Welt
Das "Dritte
Wirtschaftswunder" von
Glotz und Thomas, Lafontaine und Scharping bedarf der Ideologie der
"Neuen
Rechten", um den faustischen Zugriff auf den Bauplan der Welt dort als
heroische Tat der Menschheit zu verklären, wo er nichts als
Profitgier
der Konzerne des Nordens ist. Es bedarf der "Neuen Rechten" auch, um
gegenüber
der Mehrheit den Eindruck der Glaubwürdigkeit zu erlangen: Die
Opfer
der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger auf dem "Heimmarkt"
sollen
mit neuem Nationalgefühl gelindert werden: nationale statt soziale
Solidarität. Das Wohlstandsgefälle zwischen Metropolen und
Peripherie
- zwischen Großstadt und Vorstadt, zwischen München und
Niederbayern,
zwischen Nord und Süd - wird ethnopluralistisch gerechtfertigt:
Bewahrung
der kulturellen Identität. Die ökonomischen Eroberungen
werden
militärisch abgesichert: Bundeswehreinsätze weltweit, Aufbau
einer Europaarmee als Eingreiftruppe im Rahmen der
Westeuropäischen
Union WEU. Die Deutschen müssen heute in den Weltraum hinaus, so
wie
zu Kaisers Zeiten auf die Weltmeere: Aus den einfachen Gründen der
Kapitalverwertung - weil neue Produkte neue Gewinne bringen - ebenso
wie
aus strategisch-militärischen Gründen.
Nationalstolz auf das
"Made in Germany"
erleichtert es sehr, die Gewinnspannen zu vergrößern. Die
"Gefühlsgemeinschaft
der Deutschen", von der Hans-Jochen Vogel immer wieder spricht,
erleichtert
es sehr, den Sozialabbau als "nationale Solidarität" mit den
Ostdeutschen
zu verkleiden. Wer die Gewinner am Zusammenbruch des real existierenden
Sozialismus sind, wer daran verdiente, die Industrie in den neuen
Bundesländern
platt zu machen - das wäre eine sozialistische Frage, keine
sozialdemokratische.
Otto Schily, SPD-MdB mit großbürgerlicher Herkunft, warf
1991
im "Vorwärts" zur Debatte um die Verfassungsreform dem
Gewerkschaftsflügel
"sektiererisches Eifern" vor und kritisierte: "Leider besteht auch bei
Sozialdemokraten die Neigung, alles Erdenkliche aus dem eigenen
politischen
Programm für verfassungsgeeignet zu halten, beispielsweise das
Recht
auf Arbeit", das doch in Wahrheit nur "eine Fata Morgana" sei. Als
Vorsitzender
des Bundestags-Untersuchungsausschusses zur Treuhand-Anstalt sagte er
1994
gegenüber der "taz", wenn sich herausstellen sollte, daß
sich
private Unternehmen mit Hilfe der Treuhand-Anstalt zu Unrecht
bereichert
hätten, "wird das mit Sicherheit zu einer Rüge im
Abschlußbericht
führen". Was privaterseits wohl zu verkraften wäre.
Scharpings Berater
für Ostdeutschland
und Ökologie, Jens Reich, ging im April 1995 im "Spiegel" noch den
letzten Schritt weiter, als er unumwunden die Ökodiktatur
forderte.
Dabei wurde auch klar, wie er die tabuisierte Gentechnik gegen die
Proteste
der ökologisch sensibilisierten Bevölkerung durchsetzen will.
Man brauche "neue politische Instrumente", denn "mit der üblichen
Legislative wird man die Dinge nicht in den Griff bekommen", sagte er
dem
"Spiegel", der sofort zurückfrage: "Liebäugeln Sie mit der
Ökodiktatur?".
Darauf Reich: "Nur weil die Parteien sich nicht auf einen Konsens
einigen
können, weil irgendwelche Lobbys blockierende Stöcke in die
Räder
stecken, können wir nicht Jahrhunderte warten. Es muß
möglich
sein, der Legislative in den Hintern zu treten. Wirkliche
Veränderung
ist nicht möglich, wenn ständige Wahlkämpfe alles
blockieren."
Der "Spiegel": "Ihr Motto lautet offenbar 'Mehr Diktatur wagen'." Jens
Reich: "Ja."
Und dann plante der
Scharping-Berater
die Errichtung eines "Ökologischen Rates" mit "Verfassungsrang",
über
den er beim New Ager Rudolf Bahro gelesen hatte und der per "Ukas" und
"Ordre du Mufti" regieren soll, wie Reich sagte: "Ich bin vehement
dafür,
daß man ein Instrument schafft, daß so laut befehlen kann,
daß die Politik endlich aufwacht." Gewählt werden solle nur
noch alle 15 Jahre. Wem Reich befehlen lassen will, sagte er auch:
Sozialabbau
und Gemeinschaftsgefühl in der Familie sollen Kapital freisetzen
für
Veränderungen, die er immer noch als ökologische Reformen
bezeichnet;
das finde er so sympathisch an Biedenkopfs Formierungs-Ideen. Hans
Branscheidt
von der linken Hilfsorganisation "medico international" schrieb dazu
kritisch:
"Kein Staatsanwalt regt sich, kein Verfassungsschutz wird irgend
tätig,
wenn der Wunschkandidat vieler für das Amt des
Bundespräsidenten
die Aufhebung der Verfassung propagiert." Im Gegenteil: Der
stellvertrende
SPD-Parteivorsitzende Oskar Lafontaine schlug vor, für eine
große
Koalition in Mecklenburg-Vorpommern ein Kabinett von vermeintlich
unabhängigen
Fachleuten unter der Führung eines Parteilosen zu wählen,
"zum
Beispiel Jens Reich".
...
Lafontaines
"Zukunft der Arbeit":
Auf
Einkommen
verzichten, auf Wohlstand verzichten.
Die Debatte der 80er
Jahre wurde
unter dem Stichwort "Zukunft der Arbeit" geführt und hatte die
Arbeitszeitverkürzung
ohne Lohnausgleich zum Ziel. Lafontaine, der mit
Lohnverzichtsforderungen
die Diskussion ausgelöst hatte, erklärte im März 1988
auf
der Bundeskonferenz der SPD-Arbeitsgemeinschaft für
Arbeitnehmerfragen
(AFA): "Wir beklagen den sozialen Abbau, den die Wenderegierung zu
verantworten
hat, aber wir können ihn in absehbarer Zeit nicht
rückgängig
machen. ... Wenn nach einem Raubüberfall der größte
Teil
des Proviants weg ist, ist man gleichwohl verpflichtet, den
verbleibenden
Rest mit den Weggefährten zu teilen." Auf die Frage der
"Wirtschafts-Woche":
"Und wie schaffen Sie genügend Arbeitsplätze?" antwortete er
zur gleichen Zeit: "Wenn beispielsweise die Lehrer einverstanden
wären,
etwas weniger Stunden zu arbeiten und damit auch etwas weniger
Einkommen
zu haben, wäre es kein Problem, die Lehrerarbeitslosigkeit zu
beseitigen.
Das können Sie ebenso für ungezählte andere
Berufsgruppen
durchrechnen." Damals gab es noch breite Kritik aus allen
Parteiflügeln.
Es sei "keine tragfähige sozialdemokratische Handlungsanweisung,
lediglich
die Schafe zur Selbstbeschneidung und zur Verteilung des Mangels
untereinander
aufzurufen und die Neuverteilung des Überflusses der Wölfe
nicht
einmal mehr in einer langfristigen Perspektive anzudeuten", meinten z.
B. Hans-Joachim Schabedoth und Heinrich Tiemann vom eher rechten,
reformistischen
Flügel der Jungsozialisten.
Auf dieser
sozialdemokratischen Debatte
um die "Zukunft der Arbeit" konnte nach 1989 aufgebaut werden, um immer
neue Pläne des Sozialabbaus zu propagieren. Seitdem die
Massenarmut
in Ostdeutschland sichtbar ist, wird aus der Sozialdemokratie heraus
die
Gelegenheit genutzt, in immer neuen Aufrufen und Erklärungen
Konsumverzicht
im Westen zu fordern. Was Lafontaine 1990 mit seinem "Lied vom Teilen"
anrichtete, griffen 1992 Helmut Schmidt und Wolfgang Thierse mit
Unterstützung
des Daimler-Benz-Chefs Edzard Reuter in einem "Manifest für
Deutschland.
Weil das Land sich ändern muß!" auf: "Zurückstecken und
den Lebensstil ändern", lautete ihr Appell an die Mehrheit der
Bevölkerung.
Das sei zwar schmerzlich, so die Millionäre, doch sei es jetzt
nötig,
freiwillig Verzicht zu leisten, um den inneren Frieden zu bewahren. Im
Falle eines Krieges nähme die Bevölkerung dies ja auch auf
sich,
meinten die "Manifest"-Unterzeichner allen Ernstes.
Diese neue Offenheit in
der SPD ist
keineswegs außergewöhnlich. Die Partei sei schließlich
kein "Schutzbund der kleinen Leute und Betriebsrat der Gesellschaft"
mehr,
sagte Scharping im September 1993 auf der Organisationskonferenz "SPD
2000".
Hier wurden die Parteifunktionäre auf die neue Linie für die
nächsten Jahre eingeschworen: Unverzichtbar für die Politik
der
SPD sei jetzt das "Bündnis mit den Starken und
Leistungsfähigen"
in der Gesellschaft. "Alle staatlichen Leistungen - auch die
steuerlichen
und sozialen - (müssen) einer kontinuierlichen
Überprüfung
unterzogen werden", hieß es im Juni 1994 in dem bereits zitierten
Papier der SPD-Wirtschaftspolitiker. Scharping hatte im Mai gegen
"Mitnahmeeffekte"
bei den Sozialleistungsempfängern gewettert und die
Überprüfung
aller Leistungszahlungen an Hilfsbedürftige nach einem
SPD-Wahlsieg
angekündigt. Bereits im Dezember 1993 war diese Politik bei der
Haushaltsdebatte
des Bundesrates konkret geworden. Lafontaine erklärte: "Die
Sozialdemokraten
sagen nicht, daß Einschnitte in konsumtive Ausgaben nicht
vorgenommen
werden dürfen. Wir haben deshalb schon beim Sozialpakt einer
Begrenzung
etwa des Zuwachses der Sozialhilfe zugestimmt. Wir haben das jetzt im
Vermittlungsausschuß
für die nächsten Jahre wieder getan. ... Deshalb gehören
auch alle sozialen Leistungen auf den Prüfstand. Ich wiederhole
das
hier."
Eine "weitgehende
Überstimmung
zwischen Lafontaine und Necker", dem Präsidenten des
Bundesverbandes
der Deutschen Industrie, konstatierte der SPD-nahe Pressedienst "ppp"
nach
dem SPD-Wirtschaftsforum "Modernisierung des Standorts Deutschland" im
Januar 1994, und zwar "hinsichtlich der begrenzten
Verteilungsspielräume".
Um den Konzernen Spielraum für die Hightech-Modernisierungen zu
lassen,
müßten die Zuwächse der öffentlichen Haushalte
geringer
ausfallen als das Wirtschaftswachstum. Hiervon wären dann vor
allem
die Sozialbereiche betroffen, denn z. B. die Technologieförderung
aus staatlichen Subventionen soll ja weiter wachsen. Lafontaine legte
auf
dem Forum die Ziele klar: "Angesichts der Staatsverschuldung weiß
doch auch jeder, daß jetzt nicht die Zeit für eine
Nettoentlastung
ist. ... Bei dem enormen Finanzbedarf für die Modernisierung der
wirtschaftsnahen
Infrastruktur brächte jede Schwächung der Investitionskraft
des
Staates der Wirtschaft auch mehr Schaden als Nutzen."
Er fuhr fort: "In
diesem Zusammenhang
ein Wort zur Pflege: Nach meiner Auffassung darf durch die
Einführung
einer Pflegeversicherung keine zusätzliche Kostenbelastung der
Unternehmen
entstehen." Das SPD-regierte Schleswig-Holstein schaffte dann als
erstes
Bundesland und gegen den Protest der evangelischen Kirche im September
1994 den Buß- und Bettag als arbeitsfreien gesetzlichen Feiertag
ab, der bekennende Christ Johannes Rau kündigte dasselbe für
Nordrhein-Westfalen an. Lafontaine ging noch weiter und wies auf
mögliche
Leistungseinschränkungen und weitere Feiertags-Opfer der
Beschäftigten
hin: "Wir müssen dafür Sorge tragen, daß sich die
Pflegekosten
und Beitragssätze in Grenzen halten. Sollte sich später
herausstellen,
daß ein Feiertag nicht ausgereicht hat, um die Belastung der
Unternehmen
zu kompensieren, muß erneut entschieden werden." Lafontaine
forderte
hier auch "ein entschiedenes Vorgehen gegen den Mißbrauch
sozialer
Leistungen" und "eine vorurteilsfreie Debatte über Löhne".
Seiner
Meinung nach müsse "bei Arbeitnehmern, die besonders qualifiziert
und knapp sind, eine längere Arbeitszeit möglich sein" - was
einer Zwangsverpflichtung gleichkommt. Norbert Walter, der
Chefvolkswirt
der Deutschen Bank, forderte im Oktober 1994, "die Arbeitszeit für
Ingenieure und Techniker in Deutschland deutlich anzuheben", dies
verlange
der Zwang zur internationalen Konkurrenzfähigkeit. Übrigens
wird
dies auch im Programm der Partei "Die Republikaner" vertreten.
Daß
die Wahl Hans-Olaf Henkels zum Chef des "Bundesverbands der deutschen
Industrie"
in der SPD-Spitze begrüßt wurde, wundert da nicht mehr.
Henkel
schrieb der SPD im Januar 1995 ins Stammbuch: "Das Herumgeeiere
über
Umbau oder Abbau (des Sozialtaates, P. K.) führt nicht daran
vorbei:
Wir müssen wirklich abbauen." Und drei Monate später sagte
er:
"Wir müssen endlich einmal den Mut aufbringen, die ausgeuferten
Leistungsgesetze
auf den Prüfstand zu stellen." Das hatte die bayrische
SPD-Landesvorsitzende
Renate Schmidt schon im November 1994 nach einer Tagung des
rechtssozialdemokratischen
"Seeheimer Kreises" fast wortgleich gesagt.
"Wir müssen
unangenehme Entscheidungen
treffen und Wahrheiten offen aussprechen", sagte Scharping hierzu
bereits
im November 1993 auf dem Wiesbadener Parteitag. Er war auch bereit,
Arbeitszeitverkürzung
ohne vollen Lohnausgleich zu akzeptieren. Die "Teilzeit-Offensive" zur
Vermehrung von Halb- und Drittelarbeitsplätzen anstelle einer
Vollbeschäftigung
ummäntelt diese Politik noch etwas. Tatsächlich jedoch ist
die
vermehrte Einführung von Teilzeitarbeit nichts anderes als
Arbeitszeitverkürzung
ohne Lohnausgleich im gesellschaftlichen Maßstab, die eine
Verarmung
derer nach sich zieht, die jetzt schon kaum mit Vollzeitlöhnen
über
die Runden kommen. Mitten in den Tarifauseinandersetzungen der
Hightech-Schlüsselbranche
Metall- und Elektroindustrie 1994 brachte die Sprecherin des
SPD-Parteivorstands,
Dagmar Wiebusch, eine Pressemitteilung heraus, die unter der
Überschrift
"SPD und Gesamtmetall: Arbeitskampf muß vermieden werden" den
neuen
Sozialpakt gegen die arbeitende Bevölkerung offenbarte.
Auf allen Ebenen
sozialdemokratischer
Politik schlägt die Forderung nach Sozialabbau durch. Der
Pforzheimer
SPD-Oberbürgermeister Joachim Becker z. B. beklagte 1994 in seinem
Buch "Der erschöpfte Sozialstaat" die vermeintliche "Lawine
sozialer
Gefälligkeiten". Auf diesem Niveau hatte in den 70er Jahren Franz
Josef Strauß gegen "Gratifikationen" gehetzt und - damals gegen
den
Protest der SPD - die in Jahrzehnten erkämpften Sozialleistungen
als
Almosen diffamiert, die in Zukunft einbehalten werden sollten. "Unser
Sozialstaat
ist nicht mehr finanzierbar", meinte nun Becker ganz im Stil des
konservativen
Rollback. Er forderte auch die Privatisierung "öffentlicher
Aufgaben"
vom Straßenbau bis zu den Schulen, allerdings verschwieg er noch
die Konsequenzen: Straßenbenutzungsgebühren und Schulgeld.
Diese
Politik ist bereits Realität. In zahlreichen sozialdemokratisch
regierten
Großstädten wurden 1994/95 z. B. die Mittel im Jugendbereich
gekürzt, obwohl der Mangel an Ausbildungsplätzen, Drogen- und
Gewaltprobleme eher ein verstärktes Engagement erforderten. Becker
wurde folgerichtig vom rechtsextremen "Studienzentrum Weikersheim" des
berüchtigten Marinerichters Hans Filbinger zu dem Kongreß
"Aufbruch
und Erneuerung" aufs Hambacher Schloß eingeladen, der als
Gegenveranstaltung
zu den Befreiungsfeiern am 8. Mai 1995 gedacht war und bei dem sich die
neokonservative Szene von Steffen Heitmann bis zum Umfeld der "Jungen
Freiheit"
treffen sollte.
"Menschen mußten
immer verführt,
gedrängt und genötigt werden, sich zu mühen und zu
plagen.
Freiwillig taten sie das selten. Das ist heute nicht anders als
früher",
schrieb Prof. Dr. Meinhard Miegel, Vorstand des Instituts für
Wirtschaft
und Gesellschaft Bonn, im November 1994 in dreiseitigen
Zeitungsanzeigen
der "Deutschen Bank". Wie bekommt man Menschen dazu, für
Aktionärsgewinne
zu arbeiten, während ihnen die Sozialleistungen gekürzt
werden,
die Gebühren für Hallenbad- und Büchereibenutzung
erhöht,
die Kindergärten geschlossen werden? Der schwäbische
SPD-Oberbürgermeister
Becker hat auch bereits an einen Zwangsarbeitsdienst für
Sozialhilfeempfänger
gedacht. Wo die Leistungen, die die Arbeitnehmer erarbeitet und mit
ihren
Sozialbeiträgen und Steuern für den sozialen Notfall bereits
vorfinanziert haben, als "Gefälligkeiten" verspottet werden, liegt
Zwang in der Tat nahe.
Lafontaine forderte
dies ungeniert
im April 1994 in der Wochenzeitung "Freitag" unter dem Titel "Zukunft
der
Arbeit: Kulturgesellschaft als Prinzip". Seine Argumentation mag als
Klippschullatein
erscheinen, zeigt jedoch, welches Verständnis von
europäischer
Kultur sich innerhalb der Sozialdemokratie breit macht und in wessen
Interesse
dies steht. Die Stelle sei daher im Zusammenhang zitiert: "Mehr denn je
ist Solidarität gefragt. Die Verpflichtung junger Menschen
für
das Gemeinwohl stand - auch etymologisch gesehen - am Anfang der
republikanischen
Idee. In dem Begriff 'res publica' - übersetzt: Die
öffentliche
Sache - steckt etymologisch das Wort 'pubes'. Unter dem Gesichtspunkt
der
sprachlichen Herkunft also ist die 'öffentliche Sache' einmal die
Sache des 'Knaben' gewesen - kulturgeschichtliche eine Anspielung auf
die
Funktion der unverheirateten jungen Männer in den frühen
römischen
Gemeinschaften: Sie waren zu einer Art sozialem oder militärischem
Dienst verpflichtet. Noch im 20. Jahrhundert empfinden wir es ja als
selbstverständlich,
daß junge Männer zum Wehrdienst eingezogen werden. Dabei
nehmen
wir hin, daß die Zivildienstleistenden relativ benachteiligt
werden.
Denn über die Möglichkeit, junge Menschen ganz allgemein zu
einem
sozialen oder ökologischen Dienst zu verpflichten, wird nur sehr
zaghaft
gesprochen. Durch eine solche Institutionalisierung der
gesellschaftlichen
Solidarität aber könnte manches Problem verringert werden."
Wenn die Altlasten der
industriellen
Standorte von einem "ökologischen" Zwangsdienst beseitigt werden,
verringern sich nicht nur die Kosten für die Verursacher: die
Stahl-,
Elektro-, Chemie- und Energiekonzerne nämlich, die ansonsten
für
die gesundheitsbedrohenden Arbeiten horrende Lohnzahlungen aufbringen
müßten.
Zudem kommen auch noch die Arbeitslosen von der Straße, ihre
soziale
Unterstützung kann eingespart werden.
"Für eine
allgemeine Dienstpflicht"
sprach sich im August 1994 auch Florian Gerster aus, inzwischen
SPD-Minister
für Arbeit, Soziales und Gesundheit in Rheinland-Pfalz. Es bestehe
ein "Trend zur Entsolidarisierung der Gesellschaft" - nicht etwa durch
das Bündnis der SPD mit den "Starken", sondern durch die "Maxime
der
Selbstverwirklichung" des Individuums, die durch eine "Allgemeine
Dienstpflicht"
zurückgedrängt werden könne. Die müsse dann auch
Frauen
"offenstehen", wie Gerster es ausdrückte. "Der Wehrdienst
stünde
gleichberechtigt neben den Diensten im Sozialwesen, dem Umweltschutz
und
der Entwicklungshilfe." Bei weiter wachsenden gesellschaftlichen
Problemen
führt eine Politik, die die Gewinne der Besitzenden schont,
geradewegs
zu Zwangsverpflichtungen der Mehrheit der Bevölkerung.
...
Arbeiten
Tag und Nacht, wochentags und am Wochenende,
und
die
sozialen Sicherungssysteme zusammenstreichen
Zu den
sozialdemokratischen Deregulierungsvorhaben
gehörte bereits der Versuch Lafontaines in den 80er Jahren, die
Vollbeschäftigung
durch eine "Neudefinition der Arbeit" statt durch neue
Arbeitsplätze
zu erreichen. "Arbeit" sollte bis zum gänzlichen Lohnverzicht
dereguliert,
aber ideologisch aufgeladen werden. "Die Neudefinition der Arbeit hebt
den Begriff der Arbeitslosigkeit auf", meinte er schlau vor der
AfA-Bundeskonferenz
1988: "Es ist überflüssig zu erwähnen, daß die
langjährige
Fixierung des Arbeitsbegriffes auf die Erwerbsarbeit, also auf die
bezahlte
Arbeit, eine Ungerechtigkeit gegenüber den Menschen darstellte,
die
eine unbezahlte gesellschaftlich unverzichtbare Arbeit geleistet haben
und immer noch leisten. ... Auch die Forderung nach Gleichstellung der
Frau in Beruf und Gesellschaft verlangt, die starre Trennung von
bezahlter
Erwerbsarbeit und Familienarbeit aufzuheben. Der Begriff der Arbeit
sollte
daher in Zukunft seine Bestimmung und Bewertung nicht in erster Linie
aus
der damit verbundenen Bezahlung erhalten, sondern daraus, inwieweit die
Arbeit gesellschaftlich nützlich ist und inwieweit sie dem
einzelnen
Chancen zur Selbstverwirklichung, nach Emanzipation bietet."
Lafontaines Pläne
wurden 1988
sogleich von links kritisiert. Elisabeth Vogelheim vom Vorstand der IG
Metall warf Lafontaine die Übernahme der CDU-Frauen- und
Familienideologie
vor: "'Wir brauchen ein neues Verständnis von Arbeit. Arbeit ist
nicht
nur Arbeit, und Leistung ist nicht nur Leistung, wenn sie im Rahmen der
Erwerbsarbeit erbracht werden. Arbeit gibt es nicht nur im
Erwerbsleben,
sondern auch in der Familie, im sozialen Dienst und im
öffentlichen
Leben. Die Arbeit in diesen Bereichen ist derjenigen im Beruf
gleichwertig
und muß deshalb entsprechend ihrer gesellschaftlichen Bedeutung
anerkannt
werden. ...' Dieses Zitat ist nicht von Oskar Lafontaine", so
Vogelheim,
"auch wenn es sich so anhört, sondern es ist einer der
Leitsätze
der CDU für eine neue Partnerschaft zwischen Mann und Frau. Aber
bei
Oskar Lafontaine findet man ähnliche Sätze."
Im April 1989 konnte
der SPD-Ministerpräsident
beim "Zweiten Philips-Forum" der "Deutschen Philips Industrie GmbH"
unter
Leitung von Moderator Peter Glotz seine stark
mutterkreuzverdächtigen
Ansichten mit denen Kurt Biedenkopfs vergleichen, der bereits 1985 "die
neue Sicht der Dinge" in seinem gleichnamigen Buch niedergelegt hatte.
"Emanzipation heißt ... die Wiedergewinnung der natürlichen
Rolle der Frau", meinte Biedenkopf, "die Zeit der Wiederentdeckung der
Familie und der Hauswirtschaft als Ort der Identität des Menschen"
sei angebrochen. Die Ausgliederung der meisten Frauen aus dem
Gesellschaftsprozeß
wurde hier mannigfach ideologisiert. "Zwei Querdenker im Gleichklang",
berichtete "Die Welt" über das "Philips-Forum", "Kurt Biedenkopf
und
Oskar Lafontaine entwickelten ein in wesentlichen Teilen
deckungsgleiches
Bild der Zukunft der Bundesrepublik Deutschland. ... Bei manchem
Sozialdemokraten
mochten Sirenen schrill erklungen sein, als Lafontaine mit Blick auf
künftige
soziale Netze und Systeme in Europa eine 'intelligente
Industriepolitik'
forderte und anfügte: 'Die Kosten sozialer Sicherungssysteme sind
nicht sakrosankt.'"
Zahlreiche weitere Stellen
im Buch:
"Rechte Genossen. Neokonservatismus in der SPD
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