Faschismus wie eine Mode
  
Zur Jugendpolitik der Neofaschisten
  
Von Hartmut Meyer
  

Seit dem Aufstieg der NPD in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre setzte eine Erneuerung des Neofaschismus ein. Mit dem Niedergang der NPD wurde dieser Wandel in der faschistischen Ideologie und Politik ausdifferenziert. Es entstand eine "Aktion Neue Rechte", in der militant-aktivistische Kreise aus den "Jungen Nationaldemokraten" und sehr bewegliche Ideologen zusammenwirkten. Henning Eichberg schrieb ihr Programm. 

Diese "Neue Rechte" hat in Zirkeln und Zeitschriften, in Veranstaltungen und Kameradschaften, den Ideologiewandel vorangetrieben. Bis Anfang der achtziger Jahre in einem der wichtigsten neofaschistischen Verlage, bei Grabert in Tübingen, die Programmatik in einem Buch zusammengefaßt unter dem Titel erschien: "Das unvergängliche Erbe". Ein Kernpunkt der "Neuen Rechten" wurde als Untertitel hervorgehoben: "Alternativen zum Prinzip der Gleichheit" wollten sie entwickeln. Das Werk wurde herausgegeben von einem "Thule-Seminar". Und schon dieser Name ist Programm, denn es gab einmal eine "Thulegesellschaft", Tarnorganisation für den "Germanenorden". Eine Einrichtung, die "Freicorps" organisierte zur blutigen Zerschlagung der Münchner Räterepublik. Es war eine Keimzelle der NSDAP. Der Name "Thule" scheint heute "neu", wem die Geschichte in Vergessenheit geraten ist, so "neu", wie das Ziel, das auf einem Weg der "Alternativen zum Prinzip der Gleichheit" zu erreichen sei. 

Weil die Ablehnung der Gleichheit in der heutigen faschistischen Argumentation beständig wiederkehrt, könnte die Meinung vertreten werden, Faschismus sei an der gewaltsamen und grundsätzlichen Verneinung aller Elemente sozialer und politischer Gleichheit zu erkennen. Es ist dabei jedoch zu bedenken, daß auch die Gesellschaft, in der wir leben, vielfältige Formen der Ungleichheit kennt. Ungleichheit unter den Geschlechtern: Es gehört noch immer zur Regel, daß ein katholisches Mädchen aus bayrischen Landen schlechtere Bildungschancen hat, als ein evangelischer Junge aus Hamburg. Ungleichheit unter den Nationalitäten: Eine ganze Bevölkerungsgruppe, die in der Bundesrepublik seit Generationen arbeitet und lebt - ausländische Kolleginnen und Kollegen -, ist von der politischen Entscheidung selbst auf kommunaler Ebene ausgeschlossen. Ungleichheit unter den Ständen: Was sich für die einen nicht mehr profitiert, heißt für die anderen, daß es sie nicht mehr lohnt. Zu Massen sind Menschen arbeitslos geworden, Obdachlosigkeit und Armut folgen. Millionen Analphabeten leben in einem der reichsten Länder der Erde, ausgeschlossen selbst von der Kultur. 

Auch in unserer Gesellschaft ist eine durchgängige Gleichheit, unabhängig von Stand, Nation und Geschlecht, noch nicht gesichert. Schon deshalb kann das Merkmal "Ablehnung der Gleichheit" nicht genügen, um den Neofaschismus als solchen zu kennzeichnen. Gerade in einer Zeit des erneuten Aufstiegs des Neofaschismus, in der die Ideologie der "Neuen Rechten" massenpolitisch ausgestaltet wird, sind wir gezwungen, bereits begrifflich Trennlinien zu ziehen. Das schließt ein, die Selbstdarstellung als "Neue Rechte" aufzulösen, die dem Zwecke dient, schlicht als "rechts" zu erscheinen, um tief in konservative Wählerschichten einzudringen. 

Es darf Geißler, der den REP-Faschisten entgegenzuwirken sucht, schon in der Wahl der Begriffe nicht gleichgesetzt werden mit Schönhuber oder Kühnen, was aber die Tagespresse vollzieht, wenn sie alle einfach nur "Rechte" nennt. Es ist dagegen der qualitative Unterschied in den politischen Gesellschaftskonzeptionen von Konservativen einerseits und Faschisten andererseits hervorzuheben. Dem genügt nicht der Begriff "Rechtsextremismus", der einen nur graduellen Unterschied anzeigt. Die "Neue Rechte" ist weder neu, noch einfache Steigerung der Rechten schlechthin. Es handelt sich um eine alte Variante des Faschismus. 

Die Aufgabe besteht darin, an jeder Broschüre und jedem Flugblatt, an jedem Aufkleber und Plakat, wieder deutlich zu machen, was die NPD, die DVU, die FAP oder die REP bezwecken. Um das Wesentliche herauszuarbeiten, ist im historischen Vergleich bezug zu nehmen auf die Ideologie und Propaganda der Nazis. Damals stand der Antisemitismus im Mittelpunkt, mit besonderer Unmenschlichkeit verbreitet von der Zeitung "Der Stürmer", die an niedrigste antisemitische Vorurteile anknüpfte. Aber es ging nicht 'nur' um Vorurteile. Die Hetze gegen die Juden ist Teil einer politischen Strategie gewesen. Der Antisemitismus zielte nicht 'nur' auf eine Minderheit von damals 600.000 Juden im Deutschen Reich. Der Antisemitismus zielte auf die demokratische Mehrheit. Diese Ideologie war, wie selbst noch die Vernichtung der Juden, ein Mittel zum Zweck, war ein politisches Instrument, war ein Instrument der geistigen, der psychologischen Kriegführung. 

Die faschistische Ideologie unterliegt nicht dem Anspruch auf Wahrheit. Als Mittel wird sie gemessen am Zweck. Die Ideologie muß eingängig, muß plausibel und in der Lage sein, bei einer Strategie der Massenmobilisierung Hunderttausende, ja Millionen, ebenso mitzureißen, wie auf den Krieg nach innen und außen auszurichten. Es ist diese besondere Konzeption der Ideologie, die sie von anderen unterscheidet. Es wurde den Menschen ein hohes Ziel so vorgegaukelt, daß sie zugleich bereit waren, mit äußerster Militanz alle demokratischen Einrichtungen zu zerschlagen. Nicht an abgetrennten Zitaten daher ist der politische Charakter der faschistischen Ideologie nachzuweisen. Da für die Macht der faschistischen Organisationen insbesondere die Wählerbasis der staatstragenden Parteien angesprochen werden mußte, finden sich gleiche und ähnliche Aussagen auch in anderen politischen Strömungen. Nicht an einzelnen Zitaten, sondern am zweckbezogenen Aufbau ist die faschistische Ideologie zu erkennen. Unter der Fahne der "Gerechtigkeit für das deutsche Volk" wurde der Unrechtsstaat begründet, unter der Fahne der "Freiheit für das deutsche Volk" wurde die Terrordiktatur gerechtfertigt. "Deutschland den Deutschen", hieß es damals schon. Die "völkische Ordnung" zu schützen, das wurde als hohes Ziel ausgegeben, um die Menschen gegen alle Formen demokratischer und sozialer Rechte zu führen. 

Die Ideologie des Faschismus beinhaltet nicht nur eine scharfe, kompromißlose Ablehnung der bestehenden, sondern zugleich auch den Entwurf einer zukünftigen Gesellschaft. Das zeigt eine Broschüre der Nazis von 1944, in der es heißt: "Der Jude zerstört jede völkische Lebensordnung ... Der Jude verseucht und zerbricht die Lebensordnungen seiner Wirtsvölker ... Der Jude durchwühlt mit Hilfe des Freimaurertums, von Revolutionen, von Demokratien und Parlamentarismus die völkischen Ordnungen jeder Gemeinschaft, jedes Staates ... Die jüdische Verbrechernatur verdreht jede artgemäße Rechtsauffassung und verdrängt Recht und Gerechtigkeit ...". Als "jüdisch" ausgegrenzt wurden Parlamentarismus, Demokratie, Revolutionen und die Freimaurerei als geheime Verschwörung des "internationalen Judentums". Es wurde ein Gegensatz aufgebaut von "deutsch" und "jüdisch". "Deutsch" hieß das Ziel und "jüdisch" die Bedrohung. Schon nach der Rassenhierarchie der Nazis, die zur Weltherrschaft geborenen "blonden Bestien" an der Spitze, durfte das "Jüdische" vernichtet werden, da es als "Abschaum der Menschheit" galt. Und das "Jüdische" mußte auch vernichtet werden, da eine "Volkszerstörung" drohte. Die rücksichtslose Beseitigung des "Judentums" war somit eine Pflicht, die Gewaltherrschaft unumgänglich. "Zum Schutze des deutschen Volkes" war die Terrordiktatur als zukünftige Gesellschaft entworfen. 

Ausländerfeindlichkeit 
als Instrument der psychologischen Kriegführung 

Heute, auch wenn antisemitische Einstellungen in der Bevölkerung noch verbreitet sind, auch wenn Schönhuber sich antisemitisch äußert und antisemitische Quellen in der philosophischen Grundlegung der "Neuen Rechten" nachzuweisen sind, heute steht nicht die Hetze gegen Juden im Mittelpunkt der Propaganda des Faschismus. Heute ist die rassistische Ausländerfeindlichkeit das entscheidende Instrument der psychologischen Kriegführung. Damit kann aber nicht jedes ausländerfeindliche Voruteil schon als 'faschistisch' zurückgewiesen werden. Es muß eingebunden sein in eine ganz besondere Struktur der Argumentation, um als Mittel zum politischen Zweck des Faschismus zu fungieren. An dem Übergang zur Ausländerfeindlichkeit ist ablesbar, daß ein Wandel in der faschistischen Ideologie vollzogen wurde. An die Stelle des Antisemitismus sind andere Ausdrucksmittel getreten. 

Dieser Wandel wurde sehr systematisch, sehr bewußt vollzogen, einsetzend mit dem Aufstieg der NPD. Das drückt ein Lesebrief aus, der in einer deutschsprachigen argentischen Zeitung erschienen ist: im "La Plata Ruf". Dieses Blatt ist zu erwähnen, weil es einerseits auch im deutschsprachigen Raum Westeuropas verbreitet wurde und weil andererseits der Herausgeber Wilfried von Oven heißt, der ein Adjutant von Goebbels war. In diesem Leserbrief heißt es: "Wir müssen unsere Aussagen so gestalten, daß sie nicht mehr ins Klischee des 'Ewig-Gestrigen' passen. Eine Werbeagentur muß sich auch nach dem Geschmack des Publikums richten und nicht nach dem eigenen ... In der Fremdarbeiter-Frage etwa erntet man mit der Argumentation 'Die sollen doch heimgehen' nur verständnisloses Grinsen. Aber welcher Linke würde nicht zustimmen, wenn man fordert: 'Dem Großkaital muß verboten werden, nur um des Profites willen ganze Völkerscharen in Europa zu verschieben. Der Mensch soll nicht zur Arbeit, sondern die Arbeit zum Menschen gebracht werden.' Der Sinn bleibt der gleiche: Fremdarbeiter raus! Die Reaktion der Zuhörer aber wird grundverschieden sein." - Sinn und Zeck der Propaganda sind die gleichen geblieben. Nur die Verpackung wurde verändert. So stehen wir jetzt vor der Aufgabe, den alten Sinn und Zweck wieder weithin kenntlich zu machen. 

Nun treten aber heute auch - vor allem offen-militante - neofaschistische Gruppen auf, die immer wieder an die Stile und Ausdrucksformen der Nazis anschließen. Im letzten Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen hat die FAP einen Aufkleber verbreitet, in dem Ausländer so gezeichnet sind, wie damals die Juden im Stürmer. Ein Spruchband stellt sie zugleich als Tiere an das untere Ende einer Hierarchie. "Wir müssen draußen bleiben", heißt es auf dem Aufkleber. Weil das an die bekannten Formen faschistischer Propaganda erinnert, sagen viele: "Das sind die Neo-Nazis", die neuen Nazis, denn sie kopieren einfach nur die alten. Sie ahmen nach und schreiben ab, laufen mit dem Hitlergruß durch die Gegend, schmieren Hakenkreuze. Meines Erachtens aber wird mit der Charakterisierung dieser Gruppen als 'Neo-Nazis' nur die Oberfläche erfaßt. Ein solches Auftreten, ein solcher Anschluß an die Ausdrucksformen der Nazis, erfüllt eine taktische Funktion. Die Funktion nämlich, den etablierten REP-Faschisten, den 'ehrenwerten' Herren von den "Nationaldemokraten" oder der "Deutschen Volksunion" die Gelegenheit zu geben, sich mit weißer Weste darzustellen. Die können dann mit dem Finger auf diejenigen zeigen, die mit glattrasiertem Schädel, mit Bomberjacken und Springerstiefeln auf der Straße rumlaufen und den Terror verbreiten. Und sie können sagen: "Seht, das sind die Neo-Nazis, wir dagegen sind nationale Demokraten". Bieder und wählbar stellen sich damit die faschistischen Parteien dar. Und tatsächlich ist in der Öffentlichkeit ein Bild verbreitet, in dem Überfälle und Prügeleien, Hakenkreuze und Judenwitze als alleinige Erkennungsmerkmale des Neofaschismus gelten. So können die, die für die REP im Parlament sitzen, wohl keine Faschisten sein. 

Schaut man aber in die Broschüren dieser militanten neofaschistischen Gruppen hinein, liest die Programme der FAP, der "Wiking-Jugend" oder der "Nationalistischen Front", dann wird man feststellen, daß sie im Unterschied zu den Nazi-Stilmitteln ihre politischen Positionen nicht ableiten aus der Hetze gegen die Juden. Auch ihre Argumentation hat einen anderen Kern. Das zeigt ein weiterer Aufkleber der FAP, der beginnt: "Deutscher sei stolz, ein Deutscher zu sein - Türke sei stolz, ein Türke zu sein." Hier kommt kein Antisemitismus zum Vorschein und auch kein Chauvinismus, durch den die eigene Nation über andere gestellt wird, sondern gewissermaßen ein 'Nationalismus auf Gegenseitigkeit'. Dieser Aufkleber wird aber fortgesetzt mit den Worten: "Deshalb gemeinsam gegen Kommunismus und Rassenmischung". 'Kommunismus' steht an dieser Stelle für jeden Anspruch auf soziale Gleichheit und 'Rassenmischung' meint den "Schmelztiegel Amerika", meint den Liberalismus, meint jeden Anspruch auf demokratische Rechte und politische Gleichheit. Damit ist dieselbe Ablehnungsfront aufgebaut, wie bei den Nazis. Es sind dieselben Angriffe, die vorgetragen werden, nun aber nicht mehr begründet durch den Antisemitismus, sondern be-gründet durch diesen 'Nationalismus auf Gegenseitigkeit'. 

"Nationale Identität" als argumentativer Kern, 
Apartheid als praktische Konsequenz 

Mit großem Geschick wird das an die Menschen herangetragen. Das drückt ein Plakat aus vom NHB, vom "National-Demokratischen Hochschulbund", der studentischen Einrichtung der NPD. Ein Bild als Identifikationsangebot zeigt einen weißen Mann, der ein afrikanisches Kind schützend im Arm hält. Das Plakat trägt die Parole: "Nationalismus - aus Liebe zur Vielfalt von Völkern und Kulturen". Das vorgegaukelte hohe Ziel ist erkennbar. Die Völker sollen in ihrer "Besonderheit" geschützt werden. Wie in der Ökologiebewegung, in der Menschen sich dafür einsetzen, daß die Wale und Robben nicht aussterben, so wird hier vorgegeben, daß Nationalisten sich einsetzen für die 'Regenbogenfarbigkeit der Völker und Kulturen'. Wie die Ökologiebewegung sich einsetzt für den Artenschutz, so fordern die REP einen "Artenschutz für Völker". Was aber ist mit dem Plakat bezweckt? Gegen wen wendet sich die Aussage? Das ist zu beantworten, wenn danach gefragt wird, wer denn die "Vielfalt der Völker und Kulturen" bedroht. Diese "völkische Vielfalt" ist ihrer Auffassung nach bedroht durch jede Form politischer und sozialer Gleichheit. Von einer solchen Ideologie und Politik wird gesagt, sie sei "gleichmacherisch", "nivellierend", "einschmelzend" und damit "völ-kerzerstörend" und "lebensfeindlich". 

Argumentativer Kern ist heute nicht der Antisemitismus, sondern die "Nationale Identität". Nun ist 'Nationale Identität' jedoch ein Modewort geworden. Nicht jeder, der es aufgreift, verbindet damit die Bedeutung, die hier näher zu untersuchen ist. Zu den Ideologen in der Bundesrepublik, die dieses Konzept entwickelt haben, gehört Henning Eichberg, von dem Glotz sagt, er sei einer der geschicktesten Ideologen der "neurechten" Neofaschisten. Der Autor des Programms der "Aktion Neue Rechte" versteht unter "Nationaler Identität", daß ein Volk sich in Übereinstimmung befinden muß mit sich selbst. Die Kultur, als "quasibiologische Fortsetzung" verstanden, soll mit den sie hervorbringenden Grundlagen harmonieren. Danach muß ein Volk so leben können, wie es "eigentlich", von Natur aus ist - gemäß der Erbanlagen und dem angestammten Territorium entsprechend. Diese doppelte Grundlage bedinge für jedes Volk ein besonderes Wertsystem, eine besondere Sprache, eine besondere Kultur, ein besonderes Weltbild. So entsteht mit Notwendigkeit das Konstrukt unvergleichbarer "Völker und Kulturen", das Konstrukt einer relativistischen "Vielfalt nationaler Identitäten", eines "Pluralismus von Völkern und Kulturen". Sie sprechen von einem "völkischen Pluralismus", von einem "ethnischen Pluralismus", von einem "Ethnopluralismus". 

Der Rassismus, der diesem Konzept zugrunde liegt, ist nicht mehr der hierarchisierende Rassismus der Nazis. Es ist der Rassismus der Apartheidpolitik Südafrikas. Im Kern aber handelt es sich um denselben sozialen Darwinismus. Im Hintergrund steht nach wie vor die Überlegung, daß die am besten angepaßten Völker sich auch weltweit durchsetzen. Die Faschisten damals haben das offen vertreten. Sie forderten das "Recht des Stärkeren", weil sie sich an der Spitze einer Rassen- und Völkerhierarchie sahen. Die Faschisten heute sprechen von dem "Recht auf Anderssein". Die praktische Herrschaft wird damit verdeckt von einer Ideologie der "Besonderheit". Die Neofaschisten, die nach dem Konzept der "Natio-nalen Identität" arbeiten, sind der Auffassung, daß die Nationen in Europa eine industrielle Hochkultur hervorgebracht haben. Das sei Ausdruck ihrer "Beson-derheit". Und die in Afrika, Ausdruck jener "Besonderheit", die können eben besser tanzen. Auf diese Art und Weise werden die internationalen Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse gerechtfertigt. Die terroristische Herrschaft er-scheint als Garantie des "Rechts auf Anderssein". 

Die erste allgemeine Konsequenz, die aus dem Konzept der "Nationalen Identität" folgt, ist die, daß Menschheit, daß Menschenrechte, undenkbar sind. Denn Menschenrechte zu beschreiben setzt ja voraus, alle Menschen an denselben Maßstäben zu messen. Menschrechte zu erringen heißt ja, daß für alle Menschen die gleichen Rechte unabhängig von Rasse, Stand, Nation und Geschlecht zu gelten haben. Das ist im Konzept der Neofaschisten undenkbar. Philosophisch gesprochen handelt es sich bei ihrem Entwurf um einen "völkischen" Solipsismus. Jedes Volk ist danach wie gefangen in dem eigenen Weltbild, in dem nur die Maßstäbe des eigenen Volkes Gültigkeit haben und übergreifend-allgemeine Kriterien nicht zu entwickeln sind. 

Innenpolitisch wird dieses Konzept der "Nationalen Identität" an die Menschen herangetragen mit Hilfe der Ausländerfeindlichkeit. Und gerade an diesem ideologischen Instrument kann der faschistische Charakter besonders deutlich herausgearbeitet werden. Die Triade der Argumentation setzt ein mit Problemen, die Massen betreffen. Arbeitslosigkeit zum Beispiel. Da heißt es dann immer wieder: "Deutsche Arbeitsplätze für Deutsche". Und auf die Nachfrage, warum denn gerade 'deutsche Arbeitsplätze für Deutsche', folgt die Erläuterung: "Wir müssen zuerst an uns selbst denken, das ist unsere Pflicht" (hier zitiert nach einem Flugblatt der "Hamburger Liste Ausländerstopp" - einer NPD-Tarnorganisation, die im Europa-Wahlkampf die "Deutsche Volksunion - Liste D" unterstützte). "Wir müssen zuerst an uns selbst denken" - wer ist dieses "Wir"? Die Rückseite gibt Antwort. Da heißt es: "Wir müssen, wie die anderen Völker auch, zuerst an uns selbst denken." Das "Wir" ist die "Nation". Dieses nationalistische "Wir" als Prämisse, als Prinzip, zu verankern, ist Zweck des ersten Schrittes der Argumentation. 

Es ist die 'Pflicht eines guten Deutschen, zuerst als Deutscher zu denken', wie es die 'Pflicht ist eines guten Türken, zuerst als Türke zu denken'. Wer aber nicht zuerst 'als Deutscher' denkt, der ist in diesem Denken schon moralisch ausgegrenzt, der verletzt seine 'Pflicht'. In einem zweiten Schritt der Argumentation werden diejenigen, die diese 'Pflicht' verletzen, diejenigen also, die gleichermaßen an deutsche wie an ausländische Kolleginnen und Kollegen denken, ausgegrenzt als "Deutschfeinde". Das belegt ein Flugblatt der "Kieler Liste für Ausländerbegrenzung", die zu weiten Teilen übergetreten ist in die Partei "Die Republikaner". Es trägt den Titel: "Deutschfeindlichkeit im Deutschen Gewerkschaftsbund und anderswo". "Deutschfeindlichkeit" wird dem DGB und der Evangelischen Kirche vorgeworfen. Denn für den DGB steht nicht die Nationalität an der Spitze der Überlegungen, sondern Kollegialität. Denn für Menschen in der Evangelischen Kirche steht nicht die Nationalität an der Spitze ihrer Überlegungen, sondern Humanität. Sie setzen sich gleichermaßen ein für deutsche wie ausländische Kolleginnen und Kollegen. Die Bemühungen um soziale und politische Gleichheit, die Forderungen nach gleichen Rechten für alle Menschen, werden ausgegrenzt als "Deutschfeindlichkeit". Die REP-Faschisten sprechen von "Inlän-derfeindlichkeit". Das ist der zweite Schritt der Argumentation, nachdem das nationalistische "Wir" aufgebaut worden ist. Aus dem alten Gegensatz von "deutsch" und "jüdisch" ist heute der Gegensatz geworden von "deutsch" und "fremd", von "deutsch" und "undeutsch", von "deutsch" und "lebensfeindlich", "deutsch" und "völkerzerstörend". Es wird erkennbar, daß ebenso wie beim Antisemitismus damals die Ausländerfeindlichkeit heute politisch nicht auf eine Minderheit von immerhin vier Millionen Menschen in diesem Land zielt, sondern auf die demokratische Mehrheit. Dieser Schritt der ausländerfeindlichen Triade bezweckt nicht 'lediglich', die Ausländer zu Sündenböcken abzustempeln, sondern den inneren Feind zu markieren. Wir sind die Ausländer in diesem Land und Demokratie, im wahrsten Sinne, ist ein Fremdwort. Ob Deutscher oder Türke, ob Moslem, Jude oder Christ, "lebensfeindlich", "völkerzerstörend", "undeutsch", "Verräter am eigenen Volk" ist jeder, der demokratische Ansprüche erhebt, der nach gleichen Rechten für alle Menschen strebt. 

Nun könnte es aber einmal sein, daß unsere Auffassung von einer durch und durch sozialen und demokratischen Gesellschaft, herrschende Meinung wird in diesem Land. Das würde dann aber im ideologischen Zweckdenken des Neofaschismus bedeuten, daß über unser deutsches Volk eine "undeutsche", eine "lebensfeindliche" Auffassung regiert. Das deutsche Volk müßte dann nach der Pfeife der "Gleichheitsapostel" tanzen und könnte sich somit nicht nach seiner eigenen "Nationalen Identität" entwickeln. Ein Professor Robert Hepp aus Osnabrück geht sogar soweit zu behaupten, daß ein solcher "Wechsel in der 'herrschenden Weltanschauung' eine Umzüchtung der biologischen Substanz zur Folge haben" würde. Auf lange Sicht gesehen also, ginge unser "Volk" auch biologisch zugrunde. Das erscheint natürlich als eine ungeheure Herausforderung. Es droht die "Völkerzerstörung". Die Neofaschisten sehen sich prinzipiell in einer Märtyrerrolle, weil das "Volk", das sie zu schützen vorgeben, in seiner "Eigenart" Angriffen unterliegt, weil die "Nationale Identität", die sie aufrechtzuerhalten wähnen, bedroht ist von der "ewigen Gleichmacherei". Auch dieser Robert Hepp projeziert eine solche Herausforderung und antwortet mit einer sicherlich nicht rhetorisch gemeinten Frage auf den drohenden "Völkermord". Er schreibt am Ende eines anderen Artikels: "Sollten die Völker vielleicht am Liberalismus zugrunde gehen, während sie durch Unfreiheit gerettet werden könnten?" Was im Umkehrschluß nichts anderes bedeutet, als daß die Unfreiheit gerechtfertigt ist, daß die Unterdrückung des Liberalismus gefordert ist, daß die Ansprüche auf politische Gleichheit ins Visier genommen werden, weil sie als "völkerzerstörend" gelten. Das ist der dritte und letzte Schritt der Argumentations-Triade. Ganz offen wird er vom Kopf der französischen "neurechten" Neofaschisten, von Alain de Benoist, in einem Buch beim Grabert-Verlag benannt: "Untergang ist schlimmer als Diktatur", so schreibt er. "Die Diktatur kann uns morgen einzeln töten. Der Untergang vernichtet aber unsere Überlebenschancen als Volk." Auch das hat im Umkehrschluß keine andere Bedeutung, als die Diktatur zu rechtfertigen. Um 'das Volk vor dem Untergang zu schützen', in den es durch jeden Anspruch auf demokratische und soziale Rechte hineingetrieben wird, muß eine Terrorherrschaft die Demokratie ersetzen. Das ist der alte Sinn und Zweck faschistischer Propaganda, das ist der Sinn und Zweck dieser "neurechten" Ausländerfeindlichkeit. Auch wenn die Errichtung eines diktatorischen Regimes nicht auf der Tagesordnung steht, ein solches Vorgehen muß gerechtfertigt werden, um eine aggressive Bewegung zusammenzuschweißen, die mit äußerster Militanz gegen die demokratischen Kräfte vorgeht. 

Die neofaschistische Ansprache von Jugendlichen 

In diese Ideologie wachsen heute Jugendliche hinein. Wenn man mit denen spricht, die schon länger neofaschistischen Organisationen angehören, dann wird man nicht auf antisemitische Äußerungen treffen, sondern auf das Modell der "Nationalen Identität". Für diese Jugendlichen aber ist ein solches Denksystem nicht Mittel zum Zweck, es ist ihr Weltbild. Die außerideologischen Ziele sind ihnen nicht bewußt. Sie verfügen nicht über diese Ideologie, sie sitzen ihr auf. Sie vertreten daher ihre Meinung subjektiv ebenso selbstverständlich und ehrlich, wie wir die unsere. Und so wie unsere Meinung nicht nur Ergebnis eigenen Denkens ist, so sind auch Jugendliche unterschiedlichen Einflüssen unterworfen. Woran können da - und heute verstärkt - neofaschistische Organisationen anknüpfen? Wie werden da Jugendliche von neofaschistischen Organisationen angesprochen? 

Es gibt im engeren Sinne zwei Formen neofaschistischer Ansprache von Jugendlichen. Die erste Form der organisierten Ansprache könnte als "Lagerfeuerromantik" charakterisiert werden. Typisch dafür ist der "Bund Heimattreuer Jugend". Die "Leitstelle West" vormals und nun die "Bundesführung" befindet sich hier in Nordrhein-Westfalen, in Remscheid. Von dort aus werden Zeltlager organisiert, werden Lagerfeuer angeboten, Wanderfahrten durch die Wälder. Sie mampfen Erbsensuppe und singen 'nette' Lieder: "Unsere Stunde, die wird kommen und Deutschland entsteht wieder neu", heißt das Bundeslied der "Heimattreuen Jugend". Den Jugendlichen, Kindern sogar, werden nationalistische Phrasen in den Kopf gesetzt. Geworben wird im engeren Kreis der Bekannten und Familien. Es wird keine weitgreifende Werbearbeit geleistet. Sie geben sich bündisch, scheinen eine Pfadfinderorganisation neben anderen zu sein. Nicht durch die Arbeitsweise, sondern durch die Inhalte unterscheidet sich der "Bund Heimattreuer Jugend" von demokratischen Pfadfindergruppen. Das ist ablesbar an einem Buch, das Gernot Mörig herausgegeben hat, Führungsfigur des "Bundes". Junge Mitglieder schreiben dort vom "Deutschen". Ein Kapitel trägt die Überschrift: "Die biologische Zeitbombe", womit Ausländer gemeint sind. Die "Nationale Identität" bestimmt das Weltbild. Dieses Buch erreicht auch größere Kreise. Wir haben es gefunden in der Bonner Stadtbibliothek, neben dreißig oder vierzig Werken von eindeutig neofaschistischen Autoren oder aus eindeutig neofaschistischen Verlagen. Jugendliche, die nach der Romantik von Waldeinsamkeit und Zeltgemeinschaft suchten, fanden so in den Regalen der Stadtbücherei den Kontakt zum "Bund Heimattreuer Jugend". Wir haben lange dagegen protestieren müssen, bis nun viele dieser Bücher ins Magazin verlagert wurden, womit eine Schwelle des Interessennachweises errichtet werden konnte, um an diese Literatur zu gelangen. Dabei hätte, so meine ich, die Bonner Stadtbibliothek dieses Buch garnicht anschaffen dürfen. Schon ein schneller Blick in die Innenseiten hätte genügt. Dort findet sich ein Bild mit der Beschreibung: "Nationale Jugend errichtet ein gesamtdeutsches Mahnmal". Mitglieder vom "Bund Heimattreuer Jugend" stellen einen Wegweiser auf mit Schildern nach Königsberg, Berlin, Straßburg, Wien und Bozen. So groß ist das Deutschland, das dem Bundeslied der "Heimattreuen Jugend" zufolge wieder neu entstehen soll. Ein großdeutscher Nationalismus wird Jugendlichen und Kindern durch Lagerfeuerromantik nahegebracht. 

Eine zweite Form der organisierten Ansprache von Jugendlichen könnte charakterisiert werden als militanter Aktivismus. Typisch dafür sind die terroristischen Organisationen, wie die "Freiheitliche deutsche Arbeiterpartei" (FAP), die "Wiking-Jugend", die hier in Nordrhein-Westfalen praktisch die Jugendorganisation der FAP geworden ist, und die "Nationalistische Front" mit Schwerpunkten in Bielefeld und Ostwestfalen. Gerade die "Nationalistische Front" betreibt dabei eine nahezu professionelle Jugendarbeit. Sie haben sich zwei Häuser gekauft, eins in der Bielefelder Bleichstraße, ein anderes in Piewitsheide. Das eine ist fast ein neofaschistisches Jugendzentrum geworden, das andere wird als Schulungs-zentrum für Jugendliche aus dem gesamten neofaschistischen Lager angeboten. Im Hintergrund wirken ausgebildete Sozialarbeiter. Sie haben gelernt, wie junge Menschen einzubeziehen sind. 

Von den militant-aktivistischen Organisationen werden Jugendliche auf eine ganz gewöhnliche Art und Weise angesprochen. Es werden Freundschaften und Bekanntschaften, Cliquen und Kontakte ausgenutzt. In Aktionen dann aggressiver Selbstbehauptung wächst der Gruppengeist. Und mit dem Wir-Gefühl der Gemeinschaft wird das dort herrschende Wir-Prinzip des Nationalismus übertragen, bis die Jugendlichen teilen, was die "Nationalistische Front" in ihrem Zehn-Punkte-Programm verkündet: Es verlange "der Einsatz für die Bewahrung der Volksidentität, der Lebenswerte und der Wesensart der Deutschen Nation nachdrücklichen Kampf gegen das System der nationalen Selbstauflösung, gegen weitere fremdvölkische Einwanderung und für die Heimführung der Ausländer. Dieser Kampf ist gleichzeitig ein Einsatz für die Selbstverwirklichung des Deutschen Volkes im eigenen Volksraum wie ein Einsatz für die Selbstverwirklichung der in ihrer Identität bedrohten Ausländer." 

Nun ist aber das neofaschistische Angebot nur eine Seite der Rekrutierung. Den Aktivitätsformen und den politischen Inhalten nach können andererseits selbst diese Organisationen einer "neuen SA" bei vielen Jugendlichen schon an eine innere Bereitschaft anschließen. Eine Bereitschaft, die nicht von diesen Gruppen erzeugt wird, die andere Entstehungsbedingungen hat. Darauf verwies ein FAP-Mitglied in einem Interview: "Da, wo Leute von uns sind - die strahlen 'ne gewisse Atmosphäre aus. Jeder weiß, das sind die, nich. Das ist der und der. Der ist da und da organisiert. Und sobald die Leute Interesse haben oder eben sobald die Leute mit irgendwelchen Problemen konfrontiert werden, erinnern sie sich an diese Leute und denken: 'Ach Mensch, der ist doch da und da organisiert, den sprech' ich mal an', nich: 'Sag mal, du ...' und so, nich: 'Hast' nich mal ein paar Aufkleber für mich? ...' oder was. Es ist nich so, daß wir jetzt hingehen und unsere Aufkleber wie Sauerbier anbieten und sagen: 'Nun nimm doch mal ein paar ...' oder: 'Nun nimm doch mal ein paar ...' oder: 'Nun komm doch mal mit'. Weil, wie ich schon sagte, so Leute kann man nich gebrauchen. Entweder es kommt von alleine, die Aktivitäten und die Einsatzbereitschaft oder nich, nich. Man kann nicht sagen: 'Nun pack dich an die Nase und komm mal mit zur nächsten Veranstaltung, wir wollen dich da sehen', nich. Mit Zwang geht hier gar nichts. Das muß alles freiwillig sein." 

Jugend-Szenen als Rekrutierungsfelder des Neofaschismus 

Aus dem Blickwinkel des Neofaschismus sind wie in konzentrischen Kreisen um die militant-aktivistischen Organisationen herum verschiedenartige jugendliche Subkulturen, unterschiedliche "Szenen" auszumachen, in denen diese Ansprechbarkeit erzeugt wird. Den engsten Kreis bilden die Skinheads. Zum großen Teil sind die Skins politisch nicht organisiert. Einige von ihnen verstehen sich auch als Oi-Skins. 'Oi', das ist ihr Schlachtruf. Ihnen gefällt die Kultur, nicht aber die Politik. Wir haben vor einiger Zeit einen Jugendlichen gefragt, wie er das Verhältnis von Oi-Skins und den politischen Organisationen sieht. Dieser junge Mann war vorher Mitglied der FAP, ist dann ausgetreten, hat später wieder mit-gewirkt und jetzt das erste Gerichtsverfahren hinter sich. Er erzählte uns: "Die brauchen die Skins, ne, so als Saalschutz und sowas. Die Skins sind für die so 'ne Art Privatarmee, ne, die die Straße freischlagen und so. Die brauchen die Skins, ne. Wenn die Skins nich mehr mitmachen würden, dann wär' die FAP und die Kameradschaft und so, dann wären nur 'n paar Mann dabei, ne. Weil die meisten Leute Oi-Skins sind und so. Auch wenn so Veranstaltungen sind, immer Saalschutz, machen zum größten Teil Skins, ne. Wenn die nich da wären, wär die Veranstaltung innerhalb von paar Minuten - was weiß ich - von Linken gestürmt, ne. Gäb's Riesenstress. Ohne Skins läuft hier nichts, ne. Und auch so Fußballfans und andere, nehmen die gern so als Schlägertypen und so. Obwohl die zum größten Teil kein Interesse haben auch, ne, an der politischen Sache. Halt nur so rassistisch drauf und so, 'Ausländer raus' rufen und halt gern mal einen wegschlagen. Das können die halt gebrauchen, ne." 

Die "Szenen" werden gewissermaßen abgeschöpft. Und das ist kennzeichnend für die neofaschistischen Organisationen im allgemeinen, nicht nur für die, die Jugendpolitik betreiben. Ohne die Organisationseinheiten blieben "Szenen" immer nur Subkulturen, von denen eine solche politische Zielbestimmtheit und Durchschlagskraft nicht ausgehen würde. Das Potential faschisiert sich nicht selbst. Die Organisationen sind notwendig, um es zusammenzufassen, zu formieren, in (Wahl-)Bewegungen auszurichten und in ein politisches Aggressionspotential umzusetzen. Ohne die Organisationseinheiten würden diese Menschen früher oder später vielleicht sogar auf den Grund der eigenen Interesen gelangen. Es wäre auch leichter, Desorientierungen entgegenzuwirken. 

Die militant-aktivistischen Organisationen, FAP, "Wiking-Jugend" oder "Nationalistische Front", sie leben in der "Szene", die "Szene" aber lebt nicht durch sie. Die "Szene" wird getragen durch ganz andere Elemente. Bei den Skins durch ein entsprechendes Outfit - Bomberjacke, glattrasierter Schädel, Doc-Martens-Stiefel - viel Bier und Musik. Die Doc-Martens, weil sie lange Zeit getragen wurden nur von den Skins, sind zum Symbol faschistischen Terrors geworden. Die Skins stehen in den Doc's wie in einem Selbstkonzept, das sie mit diesen Stiefeln, englische Arbeitsschuhe, symbolisieren. Das findet auch einen Niederschlag in ihrer Musikkultur. Eine Kultgruppe der Skinheads, die Gruppe "Böhse Onkelz", besingt diese Stiefel im "Doc-Martens-Beat". Darin schreien sie vom "Klang einer Stahlkappe, die dich in die Fresse tritt". Das ist einerseits Ausdruck der "Szene" und wirkt andererseits kulturell stabilisierend auf die "Szene" zurück. Solche Elemente sind es, die das Ganze zusammenhalten. So dringend notwendig ein Verbot neofaschistischer Organisationen auch ist, allein damit wird daher der Rekrutierung von Jugendlichen nicht hinreichend zu begegnen sein. Formen einer demokratischen Einwirkung auf die unterschiedlichsten Jugendkulturen müssen entwickelt werden. Szenepolitik ist gefordert. Nicht nur stationäre Jugendarbeit, nicht nur aufsuchende Jugendarbeit, nicht nur Förderung der freien Jugendverbandsarbeit, sondern die Anleitung zur demokratischen Selbstorganisation jugendlicher Subkulturen muß in das Programm aufgenommen werden. 

Skin-Musik, ein tragendes Element der "Szene", wird in der Bundesrepublik zumeist verlegt von der Firma "Rock-O-Rama". Die betrieb in Köln, im Eigelstein-Viertel, einen Plattenladen. Hardrock in der Auslage und New Wave, die ganze Palette war im Angebot. Aber auch Nazi-Musik für die Skins. Wir haben gegen diese Firma demonstriert, über Jugendämter Indizierungsanträge angeregt und Strafanzeige wegen Volksverhetzung gestellt. Der Laden wurde geschlossen, vier Platten stehen nun auf dem Index, eine zog die Staatsanwaltschaft bundesweit ein. Vier Platten sind vom Markt verschwunden, aus einem Angebot allein bei dieser Firma von mehr als fünfzig. Das Versandgeschäft läuft weiter. Die meisten Platten sind noch im Handel. Darunter auch LP's der Gruppe "Skrewdriver". Das ist die englische Haus- und Hofband der "National Front". Sie besingen Ausländerhaß und Nationalismus. In einem Song brüllen sie: "Europa erwache, bekenne dich zur Sache des weißen Mannes, bevor es zu spät ist. Europe awake now." Auf anderen Platten heißt es "Nigger get out here". Ein offener Rassismus wird in die Köpfe der Jugendlichen gedröhnt. Mit solchen kulturellen Formen wird Faschismus modisch. War es damals, als die Nazis mobilisierten, die Kultur von Marschmusik und Massenaufmärschen, durch die Menschen tausendfach mitgerissen wurden, so sind es heute Rockmusik und Szenesymbole. Die Gruppe "Skrewdriver" hat die ersten T-Shirts für die Fans schon in den Shops, ein Cover ihrer LP als Aufdruck. Weil ihm das gefällt, kauft der Erste sich das T-Shirt, während der Zweite sich die Platte dazu holt. Der Dritte schert sich dann den Schädel, um zur "Szene" zu gehören, und der Vierte geht dann in die Bleichstraße zur "Nationalistischen Front". So kurz sind die Wege nicht, doch wird deutlich, daß die Übergänge fließend, daß die Schwellen gesenkt wurden und daß vielen Jugendlichen nicht bewußt ist, wohin sie gehen. 

Die Skin-Gruppe "Böhse Onkelz" versucht jetzt, Töne von Heavy Metal in den eigenen Musikstil einzuflechten, um einen neuen Markt, eine größere "Szene" anzusprechen. Das ist ein weiter gespannter Kreis der konzentrischen Kreise. Die Heavys in der Jugendmusikkultur des lauten, abgeschrammten Hardrocks, sind wohl durchweg in Ordnung. Nicht in Ordnung ist allerdings die Gewaltverherrlichung, die in in der "Szene" des Heavy Metal kulturell dominiert. Die Namen der Bands, die Titel ihrer Songs, die Cover der LP's stellen fast mythisch überhöht die Gewalt in den Vordergrund, verbunden mit Frauenfeindlichkeit und Machotum. Das prägt Haltungen, an die Neofaschisten leicht und bevorzugt anknüpfen können. In den Fan-Shops dieser "Szene" werden schon Aufnäher vertrieben mit dem Aufdruck "Deutschland mein Vaterland" (in den Grenzen von mindestens 1937), "Deutschland den Deutschen" und der Schwarz-Weiß-Rote "Stolz ein Deutscher zu sein". Weiter noch gezogen ist der Kreis des Comic-Marktes. Im Handel, obwohl indizierungsfähig, ist der Comic "Heilmann", die SS-Runen im Namen. Ein Idol wird aufgebaut in einem Bild-Mix aus Hardrock-Szene, Pornografie, tödlichem Sexismus, Männlichkeitswahn und Nazi-Symbolik. "Heilmann", das Identifikationsangebot, trägt am Ende ein Hitlerkonterfei auf dem T-Shirt. Auch das nimmt Schwellen, treibt Einstellungen hervor, die neofaschistische Jugendarbeit erleichtern. Ebenso auch in der "Szene" der Hacker & Cracker. Dort sind nicht die Nazi-Computerspiele wegbereitend, sondern die "Ballerspiele". Mit dem Joystik wird der Lehrplan des Tötens in allen Variationen mechanisch-bewußtlos abgearbeitet. Die Programme machen Mord zu einer technischen Frage. Ein solches Bewußtsein ist dem Neofaschismus dienlich. Die "Szene" der Fußballfans, die "Sze-ne" der Blut- und Sudel-Videos, die "Szene" X, die "Szene" Y. 

In einem weiten und ausdifferenzierten Fächer der Jugendkultur werden Haltungen vermittelt, Auffassungen gebildet und Einstellungen geprägt, die den Übergang zum Neofaschismus erleichtern, ohne daß die jugendlichen Subkulturen auch in einzelnen Elementen neofaschistisch sind. Doch werden in diesen "Szenen" unterschiedlichster Ausprägung und unterschiedlichster Nähe zu den organisierenden Kernen Versatzstücke "neurechter" Propaganda vorgefertigt, die Jugendliche sich angeeignet haben, noch bevor sie Kontakt zu den neofaschistischen Gruppen erhielten. Das drücken selbstgemalte Aufkleber aus, die wir in einem sozialen Brennpunkt in Bonn gefunden haben. Da hat sich ein Jugendlicher, der Statistik nach ein junger Mann, abends hingesetzt und mit Filz- und Bleistift eigene Aufkleber gemalt für seine "NSF" - seine "Nationale Skinhead-Front". "Kanaken raus", steht dort. Ein anderer Aufkleber, direkt daneben, trägt die Parole der Skins "Oi" und dann "Deutschland erwache, Ausländer raus". Damit befindet sich dieser Jugendliche im Einzugsbereich neofaschistischer Rekrutierung. Nur der Kontakt scheint noch zu fehlen, denn sonst wären an dem Laternenpfahl Aufkleber zu finden gewesen von der FAP, der "Wiking-Jugend" oder von der "Nationalistischen Front". 

Konsequenzen für antifaschistische (Jugend-) Arbeit 

Mit solchen Formen der Vorprägung müssen wir uns auseinandersetzen und dabei zugleich bedenken, daß die jugendlichen Subkulturen zumeist nur dem Stil nach Gegenkulturen sind, dem Inhalt nach aber die herrschende Kultur reproduzieren. Die subkulturellen Übergänge zum Neofaschismus sind daher nur Variationen der Übergänge in der Alltagskultur. Die subkulturelle Vorprägung ist eingebettet in eine Alltagskultur, in der die Schlußstrich-Mentalität, die Ausländerfeindlichkeit und der Nationalismus staatliche Würden erhalten haben. Und jenseits der Meinungsindustrien prägen unmittelbar die alltäglichen Erfahrungen von Arbeitslosigkeit und Konkurrenz, von politischer Übermacht und eigener Machtlosigkeit. 

Um der neofaschistischen Jugendpolitik entgegenzuwirken, genügt nicht ein "Projekt Aufklärung". Es muß eine interessenaktive und Interessen aktivierende Jugendarbeit unterstützt werden. Dem nationalistischen "Wir" ist ein anderes, sozial motiviertes, demokratisch motiviertes "Wir"-Bewußtsein entgegenzusetzen. Nur um es exemplarisch zu erläutern: Vom Forum gegen Neofaschismus und Ausländerfeindlichkeit beim DGB in Siegburg wurde in Zusammenarbeit mit dem Katholischen Jugendamt ein antifaschistisches Jugendzeltlager in unmittelbarer Nähe eines sozialen Brennpunktes durchgeführt, in dem die Neofaschisten Gruppen zu bilden versuchten. Dort trafen zu Pfingsten 1989 über zweihundertfünfzig Jugendliche aus unterschiedlichen "Szenen" zusammen, um Freizeit und Selbstorganisation, Informieren und Diskutieren zu verbinden. Jugendliche aus der neofaschistischen "Szene" standen diesmal noch neidisch am Rande, doch Gespräche konnten mit ihnen geführt werden. Wird das Zeltlager eine dauerhafte Einrichtung, werden sie zu gewinnen sein. Das aber kostet nicht nur Engagement, sondern auch Geld. Die Unterstützung der Kommunen ist unabdingbar. 

Antifaschismus, das ist nicht nur eine Sache der außerparlamentarischen Initiativen. Antifaschismus ist auch eine kommunale Aufgabe, ist Aufgabe des Landes, ist Aufgabe der Republik. Antifaschismus ist eine gemeinsame Aufgabe und heißt Demokratie unumkehrbar zu machen. 

...Inhalt "In bester Gesellschaft" 

...zurück zur Übersicht "Texte von Hartmut Meyer" 

...zurück zur Übersicht: Themen des BIFFF... 

...Eingangsseite