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Dieser Artikel von Peter Kratz erschien in der antifaschistischen Zeitschrift
"Der Rechte Rand", Ausgabe Januar 2006 (Nr. 98).

 
"Sozialpatriotismus"
der SPD
 

Die nationale Linie in der SPD, die immer schon weit nach rechtsaußen reichte, ist lang. Bei der Bewilligung der Kriegskredite 1914 ging es angeblich um die Verteidigung des "Vaterlandes", vorbereitet wurde die Zustimmung der sich bis 1913 nach außen so internationalistisch gebenden Partei zum Eroberungskrieg von anti-marxistischen Gemeinschaftsideologen, die schon lange in SPD-Zeitschriften wirkten: Joseph Bloch, Paul Lensch oder der berüchtigte Johannes Plenge, der die Reichstagsfraktion mit seinen Ideen von der "Volksgenossenschaft des nationalen Sozialismus" beeinflußte. "Kriegssozialismus" nannten die Ebert, Noske, Scheidemann ihr wirtschafts- und sozialpolitisches Formierungskonzept, bevor sie 1918, vom Kapital zu Hilfe vor der drohenden sozialistischen Revolution gerufen, sogar in die letzte Kriegsregierung eintraten. In den 20er Jahren wollte sich der Parteivorstand nicht vom nationalistischen "Hofgeismarer Kreis" um Ernst Niekisch trennen, der als willkommenes Gegengewicht zum marxistischen Flügel der Jungsozialisten galt. Die Gespräche zur Bildung einer rechten Volksfront mit Nationalrevolutionären um Kurt v. Schleicher und den SA-Gruppen um die in der NSDAP bereits entmachteten Strasser-Brüder, die die bis heute hoch verehrten preußische Sozialdemokraten Carl Severing und Otto Braun 1932/33 führten und über die der Parteivorstand noch 1933 unter dem Stichwort "Querfront" (einem Begriff v. Schleichers) beriet, werden heute als verzweifelter Versuch verharmlost, in den letzten Tagen der Weimarer Republik wenigstens die Machtübertragung an den Hitler-Göring-Flügel der Nazis zu verhindern. Tatsächlich sollte diese Querfront, in die Teile der Großindustrie eingebunden waren, der Bewältigung der Wirtschaftskrise durch weiteren massiven Abbau der von den Arbeitern erkämpften bescheidenen Absicherungen und durch Ausschaltung der KPD und der SPD-Linken dienen; Braun und v. Schleicher hatten einen "patriotischen" Formierungsplan zur einstweiligen Abschaffung der Weimarer Verfassung mit Anleihen beim italienischen Faschismus entwickelt. Der rechte SPD-Reichstagsabgeordnete Julius Leber - Kriegsfreiwilliger 1914, 1931/32 ein Förderer Herbert Frahms (des späteren Willy Brandt), Anfang 1933 Vertreter der "Querfront" bis hin zu antisemitisch unterlegten Ausfällen gegen opponierende jüdische Sozialdemokraten - ging 1943/44 mit dem konservativ-revolutionären Widerstand des 20. Juli 1944 zusammen, um ein antidemokratisch-autoritäres Nach-Hitler-Deutschland aufzubauen, wobei er (vergeblich) versuchte, Brandt im Exil einzubeziehen; heute ist er für die SPD das wichtigste identifikatorische Mordopfer der Nazis. Die SPD wählte sich 1946 mit Kurt Schumacher einen betont national und antimarxistisch ausgerichteten Vorsitzenden. Und als unter der Regie Willi Eichlers - der bis 1933 und dann im Exil Führer eine ursprünglich den Burschenschaften entstammenden, völkisch-sozialistischen, kriegshetzerischen und kaisertreuen, 1932 national-antinazistisch und antidemokratisch-führerstaatlich auftretenden Gruppe war und, 1946 von Schumacher in die SPD geholt, dann die Arbeit am Godesberger Programm koordinierte - den Marxismus endgültig verabschiedete, da war der Weg frei für die erste Große Koalition 1966. Sie kam in einer vergleichsweise harmlosen Wirtschaftskrise zustande und war auch Frucht der von der Rechten jahrelang propagierten korporatistischen und kommunitaristischen Ideen, die damals von Ludwig Erhard unter dem Begriff der "Formierten Gesellschaft" für eine "moderne" Industrienation hergerichtet und gegen die noch rudimentär klassenkämpferischen Forderungen der Gewerkschaften gestellt wurden. Das Konzept der Formierung und seine Praxis, die Große Koalition, scheiterten an der APO, deren Proteste gegen den Vietnamkrieg - trotz einiger national denkender APO-Führer und -Grüppchen - letztlich doch eine breite Bewegung schuf, die eher marxistisch bzw. neomarxistisch und nicht national politisiert wurde und deren Ausläufer in der Sozialdemokratie die Umverteilungs-Reformen der frühen 70er Jahre trug: größere ökonomische Freiheit durch den Ausbau der sozialen Sicherungssysteme und staatlich finanzierte Bildung für die Unter- und Mittelschicht - eine kurzzeitig mit den Kapitalinteressen vereinbare Politik des "sozialen Fortschritts" als Schnecke.

Niemand dachte an einen Rückgriff auf nationalrevolutionäre Konzepte, als Brandt "den Intellektuellen" Peter Glotz zum Vordenker der SPD machte. Rechte Gewerkschafter bekämpften Glotz anfänglich als APO-Freund, weil er Tilman Fichter zum bezahlten Funktionär des Parteivorstands machte, einen Mann mit SDS-Vergangenheit, der freilich in den 60er Jahren von Ernst Niekisch in Berliner Privatkursen geschult worden war. Und Niekisch hatte, wie der rechte Gewerkschaftsführer Theodor Leipart, 1932/33 zu den Querfront-Leuten gezählt.

Als sich der wirtschaftliche Zusammenbruch des osteuropäischen Sozialismus-Experimentes abzeichnete und sich eine Perspektive auf die Zerschlagung der beiden Blöcke auftat, waren es Glotz und Fichter, die ideologisch und praktisch an die alten konservativ-revolutionären Konzepte des deutsch geführten Mitteleuropa als eigenständiger Weltmacht anknüpften. Glotz modernisierte in zahllosen Schriften die "Mitteleuropa"-Idee als politische Waffe gegen eine angebliche US-amerikanisch dominierte Weltkultur, in der Europa untergehe, und verband sie innenpolitisch mit Sozialabbau-Forderungen zum schicken Konzept der "Winning Culture", der formierten Gesellschaft, in der der deutsche "Sozialpatriotismus" (Scharping) als "europäisches Sozialmodell" (Schröder) für eine erneute Umleitung des gesellschaftlich produzierten Reichtums weg von staatlich besorgter (relativer) ökonomischer Freiheit und breiter Bildung hin zu den Forschungs-, Produktions-/Subventions-, Markt- und auch Kriegsinteressen des deutsch-europäischen Kapitals sorgt. Glotz versteckte die genuin nationalrevolutionäre Idee eines Kulturkampfes gegen den Westen anfänglich noch geschickt hinter seiner Gramsci-Auslegung, griff dann aber immer offener auf rechtsextreme Vordenker wie Giselher Wirsing und Ernst Jünger zurück. Während Fichter (der nach dem Bombenattentat auf die Berliner Jüdische Gemeinde 1969 jahrzehntelang seinen antisemitischen Bruder, den Attentäter Albert Fichter, versteckt hielt, während er gleichzeitig für den SPD-Parteivorstand arbeitete) auf unterer Ebene die alte Hofgeismar-Ideologie rechtsextremer National-Jusos wiederbelebte (die fünfzehn Jahre später ihre Karrieren gemacht haben, siehe Christian Wipperfürth, heute bis in die "Jüdische Allgemeine Zeitung" geschätzter "Rußlandkenner", in den 80er Jahren noch Nationalrevolutionär bei der "Linken Deutschland-Diskussion" des Rassisten Rolf Stolz) und vom "Schützengraben-Erlebnis" als dem durchgehenden identitären Element der Sozialdemokratie faselte, sang SPD-Kanzlerkandidat Lafontaine 1990 das "Lied vom Teilen", um das Ausplündern des ostdeutschen Anschlußgebietes durch westdeutsches Kapital und der in Regreß tretenden westdeutschen Sozialversicherungen und Staatsetats patriotisch zu verschleiern. (Seine Gegnerschaft zur deutschen Einheit ist eine Legende.) Der Kommunitarist Scharping setzte im Frühjahr 1994 auf einer internen SPD-Tagung die Wende hin zu massivem Abbau der Sozialsysteme innerparteilich durch. Weil er die Wahl verlor, merkte die Parteilinke, im Dunst von "Winning Culture" und "Neue Mitte" taumelnd, eigentlich erst 2004, daß man das Vaterland nicht essen kann, und seine Fahne wärmt auch nur schlecht. Die zweite Große Koalition ist nicht, wie Lafontaine heute behauptet, ein Erfolg der Linken gegen den Neokonservatismus, sondern dessen Reaktion auf ihre Schwäche. Der neue Formierungsversuch unter dem Aufruf, gemeinsam gute Deutsche zu sein, tritt frech gegen die USA-Konkurrenz auf und hat die Chance zum Erfolg. Wegen der durch Massenbeitritte korrupter Kleinkapitalismen aus dem alten "Mitteleuropa" verwässerten EU, die zwar nicht zerschlagen wurde (so das eigentliche Ziel der "Kerneuropa"-Ideologen, zu denen auch Glotz zählte), ist von einer der wesentlichen Gründungsintentionen des Vereinten Europa, der Zügelung Deutschlands, nur noch ein Schattenbild übrig. Frankreich ist aufgekauft, und England steht auf der andere Seite. Freie Bahn dem neuen deutschen Patriotismus, das Geld der Sozialsysteme fließt in die Verteidigung des Vaterlands am Hindukusch.

Ausführlich wird das Thema behandelt in dem Buch:
Peter Kratz: Rechte Genossen. Neokonservatismus in der SPD, Berlin 1995
 

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