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Rassismus und Kommunalpolitik in Berlin
an einem Beispiel:
 
Antirassismus als Element der Kritik
Investoren-orientierter Stadtentwicklungsplanung
 
Die geplante "Docklands"-Entwicklung des Spreeraums Süd-Ost wird die Immigranten-Bevölkerung in Berlin-Kreuzberg SO 36 auf das Niveau der Tellerwäscher-Dienstleistungsjobs drücken und
zum Teil verdrängen

Als wir auf dem "Stadtteilforum Wrangelkiez" am 1. Juli 1999 den Vorwurf erhoben, die Pläne zur Stadtentwicklung des Spreeraums Kreuzberg/Friedrichshain seien tendenziell rassistisch, entgegnete uns Kreuzbergs damaliger Bürgermeister Franz Schulz (Bündnis 90/Die Grünen), jetzt erneut Bürgermeister des Fusionsbezirks Kreuzberg-Friedrichshain, er verstehe den Vorwurf nicht, man habe doch gerade in Kreuzberg viel für die Immigrantinnen und Immigranten getan, und bat um eine genaue Erklärung. Die liefern wir nun nach: kein Manifest für SO 36, kein Plan, nur ein paar Denkanstöße.

Ein Drittel ohne Bürgerrecht

Die Wohnbevölkerung Kreuzbergs hat einen Ausländeranteil von 34 %, mit leicht steigender Tendenz, weil mehr Deutsche wegziehen als Ausländer. In absoluten Zahlen verkleinern sich beide Gruppen (Stand 31. 12. 1995: 103 436 Deutsche, 51 947 Ausländer; Stand 31. 12. 1998: 97 770 Deutsche, 50 365 Ausländer). Rechnet man die EU-Ausländer ab, die zumindest bei der Kommunalwahl abstimmen dürfen, bleibt dennoch fast ein Drittel der Kreuzberger Bevölkerung, dem das grundlegende Bürgerrecht vorenthalten wird, über die Entscheidungen mitzubestimmen, die ihr Leben und ihr Wohnumfeld unmittelbar betreffen. In einzelnen Gebieten Kreuzbergs, insbesondere im alten SO 36, wo sich die Immigranten verstärkt ansiedelten, ist der Anteil der Rechtlosen noch wesentlich größer. Der Zustand wird sich auch nicht wesentlich verändern, wenn das neue Staatsangehörigkeitsrecht tatsächlich Gesetz würde - was noch keineswegs klar ist -, weil der Anteil der Immigranten, die die deutsche Staatsangehörigkeit annehmen können und wollen, bisher noch gering ist - zu abschreckend ist der Gesetzentwurf. Dieses Ausmaß der Entrechtung ist einmalig in den zivilisierten westlichen Staaten: Deutschland und Kreuzberg halten unangefochten eine Spitzenposition, auf die niemand stolz sein kann.

Weshalb sollten sich Menschen, denen man ständig vorhält, sie seien ohnehin nur auf Zeit hier geduldet, für ihr Stadtumfeld engagieren? Als wir diese Frage stellten - gerichtet gegen die allzu blauäugige Euphorie, ein Quartiersmanagement, das vom Senat als sozialarbeiterisches Notpflaster eingesetzt wurde, werde eine neue "Aufbruchstimmung" (Schulz) zur Verbesserung des Arbeits- und Wohnumfeldes schaffen -, stimmte uns Schulz ausdrücklich zu: das Staatsangehörigkeitsrecht müsse geändert werden. Zugegeben, dieses Problem kann der Bezirk nicht allein lösen, auch wenn wir gemeinsam meinen, das multikulturelle Kreuzberg müsse in der deutschen Politik als Modell erkennbar werden. Doch daß auf dem Podium des "Stadtteilforums Wrangelkiez" nur Deutsche saßen und die Entwicklung des Quartiers diskutierten, daß sich in der Diskussion auch nur Deutsche zu Wort meldeten, daß schließlich die Moderatorin der Veranstaltung, die ehemalige "taz"-Chefredakteurin Georgia Tornow, ohne Widerspruch sagen konnte, im Quartier sei "die Nationalitätenfrage gekippt", zeigt auch ein bißchen, wie wichtig Antirassismus in der Kommunalpolitik ist.

Kürzungen bei Bildung

Die Proteste von Eltern, Lehrern und Schülern gegen die Streichung von 20 Lehrerstellen (für die ergänzende Schul- und Sozialarbeit nachmittags) an Schulen im Quartier durch die Schulsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) brachten Pfeffer in die Debatte und zeigten eines der grundlegenden Probleme auf: Die Bildungs-Förderung der Immigranten wird als nicht so wichtig angesehen, ist Manövriermasse für Haushaltssanierungen, denn in ihr wird nicht die Zukunft der Stadt gesehen, weil diese Zukunft trotz der Lippenbekenntnisse nicht multikulturell sein soll; und hier zu streichen, kostet keine Wählerstimmen. Könnten auch die Immigranten wählen, flössen die Geldströme in dieser Stadt wohl etwas anders. Die Eigenarten anderer Kulturen werden - gerne - als mangelnde Integrationswilligkeit angesehen ("die nehmen ja die vorhandenen Angebote gar nicht wahr"), statt die Betroffenen zu beteiligen, wenn die Angebote erarbeitet werden, damit sie auch Akzeptanz finden. Islamischer Religionsunterricht ist nur die Pille, um die Immigranten ruhig zu stellen, verschafft aber keine Bildung für hoch qualifizierte Arbeitsplätze. Was zu erwarten war, bestätigen die veröffentlichten Zahlen des Bezirksamtes (die neuesten Zahlen, die am 31. 8. 1999 im Internet abrufbar sind, stammen vom 1. 9. 1995, ohne Aufschlüsselung nach dem Geschlecht !): Während der Anteil ausländischer Schülerinnen und Schüler an den Grundschulen 47 % beträgt, zählt man an den Hauptschulen Kreuzbergs 63 %, an den Gesamtschulen nur noch 41 %, an den Gymnasien sogar nur 29 %. Ohne eine massive Bildungsoffensive für die Immigrantenbevölkerung, an der diese selbst mitwirken und mitgestalten kann, wird sich auch ihre soziale Situation nicht verbessern. Eine kostenlose öffentliche Toilette für die Ecke Cuvry-Wrangelstraße- wie vom Kiezmanagement als super Wohnumfeldverbesserung gefordert - löst keines der wirklichen Probleme des Quartiers, zeigt aber, auf welchem Niveau bisher gedacht wird.

"Waterfront-Projekt" für deutsche Mittelschicht

Mit dem "Standortvorteil" der "zentralen Lage im vereinigten Berlin" (Werbeschrift für das Quartiersmanagement Wrangelkiez) hat man offenbar etwas ganz anderes vor als ein multikulturelles Modell. Staatssekretär Dr. Hans Stimmann, sprachj beim "Stadtteilforum Wrangelkiez" vom "Waterfront-Projekt" der Entwicklung des Spreeraums zwischen Jannowitz- und Elsenbrücke; der Quartiersmanager Volker von Tiedemann hatte bereits vorher gesagt, man müsse das Quartiersmanagement Wrangelkiez und Kottbusser Tor im Zusammenhang dieser Planung verstehen. Stadtentwicklungs-Senator Peter Strieder (SPD) bezog auf einer anderen Veranstaltung am Tag zuvor den gesamten Südostraum bis zum Flughafen Schönefeld in die Überlegungen ein. Hier sollen vor allem "Existenzgründer und High-Tech-Firmen" (Strieder) angesiedelt werden. Erste kapitalintensive Projekte, die auch den Verwaltungsbereich einbeziehen, sind mit dem Allianz-Zentrum, den Treptowers, der Oberbaum-City und den Komplexen an der Jannowitzbrücke und am Ostbahnhof bereits realisiert; der Umbau der Speicherstadt an der Oberbaumbrücke, wo ebenfalls Hochtechnologie angesiedelt werden soll, läuft; auf der Kreuzberger Uferseite wurden kleinere Projekte realisiert oder in Angriff genommen; der Bau des Einkaufszentrums Cuvrystraße/Schlesische Straße beginnt wohl im nächsten Jahr. Pläne für eine Spree-übergreifende Bebauung und Entwicklung des früheren Grenzbereichs und der stillgelegten Betriebe auf Friedrichshainer Seite liegen vor, entsprechende Pläne für das Gebiet um die Köpenicker Straße sind abzusehen. Am Friedrichshainer Ufer soll nach Aussage der Friedrichshainer Baustadträtin Martina Albinus-Kloss (PDS) "im Unterschied zu Kreuzberg hochwertige Wohnqualität Ausdruck modernen Stadtlebens werden", wie sie auf einer Veranstaltung des "Stadtforums von unten" im Februar 1999 sagte.

Das Projekt erinnert an die "Docklands" von London, die schicke Entwicklung des ehemaligen Londoner Hafengebietes, aus dem die ärmere Bevölkerung inzwischen weitgehend verschwunden ist. In den nächsten zehn bis zwanzig Jahren werden in den Bereich zwischen Jannowitz- und Elsenbrücke weitere Milliarden an Investitionen fließen, hier wird der Focus der Politik liegen, nicht mehr im alten Kreuzberg 61. Und hier werden allenfalls Arbeitsplätze und Wohnungen für die gut ausgebildete, gut verdienende deutsche Mittelschicht geschaffen, für die "neue Mitte". Es ist abzusehen, daß die schlecht verdienende und für die Anforderungen der neuen Technologien nicht ausgebildete bisherige Bevölkerung von Kreuzberg und Friedrichshain aus dem Areal verdrängt werden wird - die Plattenbausiedlungen am Stadtrand stehen schon zum Teil leer, um sie dann aufzunehmen.

Was bleibt für den alten Stadtbezirk SO 36?

Was bleibt bei dieser Investoren-orientierten Stadtentwicklung für SO 36? Erst recht nach der kommenden Zusammenlegung von Kreuzberg und Friedrichshain, wenn die im Zusammenleben mit den Immigranten unerfahrene deutsche Bevölkerung Friedrichshains auf die rechtlose Immigrantenbevölkerung von SO 36 stößt! Es ist abzusehen, daß städtebaulich attraktive Ecken wie z. B. rund ums Schlesische Tor herausgeputzt werden mit Einkaufszentrum, Boutiquen, schicken Restaurants, Internet-Café, einem kleinen Park, Kunst, ein paar bunten, aber neu und adrett organisierten Obstständen. Die gut verdienende deutsche Mittelschicht aus den Büroetagen geht nach Feierabend hier essen, bummelt und kauft noch eine Kleinigkeit, steigt dann in die Linie 1 und fährt nach Hause, in bessere Quartiere. Ob es überhaupt bis zur Wrangelstraße reicht, ist eine andere Frage, denn auch in anderen Metropolen beginnt an der nächsten Straßenecke eine andere Welt, die Welt der Armen, die man besser nicht betritt. Der Zustand des Görlitzer Parks - der weniger auf Kosten weggeworfener Koladosen geht als vielmehr auf die fehlende Bereitschaft zu öffentlichen Investitionen, die in Berlins bessere Viertel fließen - läßt nichts Gutes ahnen.

Was bleibt hier für die zukünftige Generation der Immigranten, der Ingrid Stahmer gerade die Lehrer wegstreicht? Ungelernte Tätigkeiten in der Gastronomie, der Gebäude- und Flächenreinigung, "Dienstleistungsbereich" zwar, aber Arbeitsplätze auf unterem Niveau. Die schicken Restaurants betreten sie als Putze und Bediene, nicht als Gäste. Wer verdammt viel Glück und eine handwerkliche Ausbildung hat, kann vielleicht in einem der Bürotürme Hausmeister werden, kann einen Call-Shop als Filiale einer Kette leiten. Im gehobenen Dienstleistungsbereich sind akademische Ausbildungen gefragt. Vom Einzug der Immigrantenkinder in die oberen Etagen sind wir hundert Jahre entfernt. Das ist nicht nur einfach eine "Frage der Ausbildung", wie Stimmann sagte (eine Teilnehmerin des "Stadtteilforums Wrangelkiez" hielt ihm entgegen: "Das hat man uns Frauen auch immer gesagt!"), sondern vor allem eine Frage der jetzigen - im Effekt rassistischen - Struktur der Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten. Die Lösung "neue Technologien" geht bisher an der Immigrantenbevölkerung vorbei, in der Planung, in der Entscheidung und in der Zielrichtung; nach ihren Interessen werden sie nicht gefragt. Das Senats-Konzept des Quartiersmanagements dient lediglich der sozialen Befriedung im Interesse ungestörter Kapitalverwertung der Investoren, nicht der gleichberechtigten gesellschaftlichen Integration der Immigranten, für die keine Konzepte entwickelt werden, weil man ja Arbeitskräfte für die Dienstleistungsjobs der unteren Ebene brauchen wird.

Ein "Wunder" soll helfen?

Das Konzept des "Quartiersmanagements von unten" - ist es schon ein Konzept? - wird schon deshalb scheitern, weil es die Immigranten bisher nicht erreicht hat. Es wird auch scheitern, weil es das große Konzept der Südost-Entwicklung Berlin bisher nicht einbezogen hat. Ein Bericht des Fernsehsenders B1 (SFB) über das "Wunder der Oranienstraße", der als ein Hauptproblem des Oranienkiezes den "extrem hohen Ausländeranteil" nannte, ging in die Richtung der CDU-Forderung nach einem "deutscheren" Kreuzberg, zielte auf Verdrängung. Der Kommentar der Sprecherin des "Wunders der Oranienstraße", Silke Fischer vom Kreuzberger Kulturamt, in demselben Fernsehbericht, es müsse "das Multi-Kulti-Gequatsche endlich aufhören", statt dessen "Weltbürgerbewußtsein" einziehen, ist wenig hilfreich, wenn die "Weltbürger" ohne Bürgerrecht bleiben, ihre Interessen in den politischen Prozeß nicht einbringen können (und n. M. der CDU wohl auch nicht einbringen sollen). In der Tat hilft kein "Karneval der Kulturen", aber auch kein aufgesetztes "Weltbürger"-Gefühl der Reinigungskräfte der Oberbaum-City, die im Wrangel- oder Oranienkiez wohnen und die neue "Dienstleistungsgesellschaft" nur sauber machen dürfen. Ohne das Bewußtsein vom rassistischen Charakter dieser Art von Stadtentwicklung wird ihre Kritik nicht auskommen.
(September 1999 )
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