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Der folgende Artikel von Peter Kratz erschien im Mai 1991 in der antifaschistischen Zeitschrift "DER RECHTE RAND" (Nr. 12):
 
Antisemitismus
als Basis treudeutscher
Palästina-Solidarität
 
Eine Antwort auf Ingolf Ahlers
(und ein aktueller Informationsbeitrag zur historischen Kontinuität
nazistisch-arabischer Zusammenarbeit)

»Die jüdische Bevölkerung des Staates Israel versteht sich wesentlich als zivilisatorischer Vorposten des Westens in einem Meer arabischer Barbarei«, schreibt der Politikwissenschaftler Ahlers im "Rechten Rand" Nr. 11. Wer so schreibt, stellt nicht nur eine neue 'Judenfrage', er will auch eine neue 'Endlösung' für alle Juden, diesmal waren nur die in Israel greifbar, danke, Saddam. Daß die Bevölkerung jüdischen Glaubens des Staates Israel vielleicht ebenso heterogen in ihren Ansichten, Lebensweisen, in ihrem politischen Handeln und Wollen sein mag wie die deutschen Christen, mag für einen Wissenschaftler einer deutschen Universität (Hannover) eine zu schwierige Denkfigur sein, aber auch für den "Rechten Rand"?.

Im Artikel von Ahlers finden sich die zentralen Stereotype, mit denen die faschistischen Ideologen einen Antisemitismus konstruierten, der geradewegs nach Auschwitz führte. Da ist der 'hinterlistige Geld-Jude', der sogar einmal taktisch »überhöhte Preise« für arabisches Land zahlt (und zahlen kann), um auf verlogene Art zu seinem Ziel zukommen. Da ist das angebliche jüdische Gewaltmenschentum, von dem die historische faschistische Literatur überquillt: »Gewaltförmigkeit ist daher Konstituens israelischer Staatsbildung« (Ahlers). Der 'Kampf Germaniens gegen den Angriff Judas' (vgl. z.B. Houston Stewart Chamberlain und Gefolge) mit Auschwitz als 'Notwehr' sollte eigentlich noch gut in Erinnerung sein. Den Inhalt von Ahlers' Satz, der »alttestamentarische Wert des auserwählten Volkes« werde »zum Überheblichkeitswahn umfunktioniert«, findet man auch in der historischen faschistischen Literatur. Nationalismus darf es offenbar immer nur auf einer Seite geben, der anti-jüdischen: »Wie viele nationale Befreiungsbewegungen verleugnete schließlich der Zionismus als >Idee der jüdischen Staatlichkeit< (Diner) die Rechte der Bevölkerung einer anderen Nation«; der palästinensische Nationalismus mit seiner Forderung, alle Juden des Nahen Ostens im Mittelmeer zu ersäufen, ist davon in Ahlers Augen sicher meilenweit entfernt. Und schließlich soll auch noch die sozialistische »Gesinnung« (verräterisch, wenn Ahlers hier ein Wort aus der Nazi-Sprache verwendet) der Kibbuz-Bewegung abgesprochen werden, da offenbar Sozialismus immer auch seine National-Komponente haben muß, wie bei den Palästinensern oder den Deutschen und Österreichern. Den Juden aber steht angebich keine Nation zu, wie uns die faschistischen Klassiker sagen: Juden leben immer nur blutsaugend im 'Wirtsvolk', wie es früher hieß; heute heißt es, und zwar bei Ahlers: »Bis heute erfolgt die Einbeziehung arabischer Arbeitskraft ausschließlich aus ökonomischen und marktpolitischen Gründen« - ja, aus welchen sollte sie denn sonst erfolgen, im Kapitalismus?

Ahlers kreidet den Juden als fiktiver Gesamtheit das an, was zum Wesen des Kapitalismus gehört: Ausbeutung der Arbeitskraft, Unterdrückung und Expansion. Das ist eine klassisch faschistische Argumentation, die der linken entgegengesetzt ist. »Die jüdische Bevölkerung« mit ihrem »Überheblichkeitswahn« und ihrer angeblichen »kollektiven Mentalität« wird von Ahlers unterschiedslos und in Gesamthaftung als Gefahr Kleinasiens ausgegeben, so wie das 'internationale Judentum' bzw. 'Weltjudentum' vor 60 Jahren als die Gefahr für Europa ausgegeben worden war. Der jüdische Kommunist, Kollege vom Fließband, mußte damals (heute - beim Golfkrieg 1991 - konnte es gerade noch verhindert werden) gleichermaßen mit dem jüdischen Bankier ins Gas, denn das Jüdische schlechthin war/ist in dieser Argumentation die Gefahr. Den Zionismus als »Legitimation kolonialer Landnahme« (Ahlers in der Überschrift) zu bezeichnen, setzt den Bezug auf den faschistischen Begriff des 'Weltjudentums' geradezu voraus: Kolonien haben Mutterländer. Zu dieser Denkweise paßt, daß Juden angeblich durch »Siedlungsachsen, Siedlungskeile und Siedlungsringe« (Ahlers) auch heute wieder einkreisen wollen, um anschließend aussaugen zu können, so wie damals die faschistische Welt die 'Einkreisungspolitik' des 'jüdischen Weltbolschewismus' inklusive des 'verjudeten' England behauptete und mit dem Zweiten Weltkrieg aus 'Notwehr' beantwortete. Auch die faschistischen Schreckgespenste der »Orientalisierung« und des »Orthodoxisierungsschubs« mit ihren angeblich alle Welt gefährdenden Folgen fehlen im Ahlers-Text nicht, so wie schon damals die orthodoxen Juden Osteuropas diejenigen waren, die nicht nur den größten Nazi-Haß auf sich zogen und zuerst erschossen und vergast wurden, sondern mit denen sogar ihre westlichen Leidensgenoss/innen oft nichts zu tun haben wollten. Daß Ahlers die israelisch-arabischen Geschehnisse in der Überschrift mit christlichen Begriffen bezeichnet (»Reconquista«: das war die Rückeroberung Spaniens von den islamischen Mauren durch den christlichen Feudalismus; »heiliges Land«: das ist die rein christliche Bezeichnung für Palästina), macht deutlich, wie sehr er implizit von der nazistischen und neofaschistischen Vorstellung eines einheitlichen Blocks des 'Judaochristentums' ausgeht.

"Palästina den Nazis!" ?   Die arabisch-nazistische Koalition

Gottesstaaten und Nationen jeder Art sind uns internationalistischen Linken ein Greuel. Daß Teile des Zionismus auch eine Unterform der europaweiten, wenn auch je spezifischen, völkischen Bewegung waren (siehe Martin Buber, der sich bestens mit Deutschvölkischen verstand und nach 1945 dem Naziideologen Wilhelm Hauer einen Persilschein ausstellte, obwohl Hauer im Bunde mit Houston Stewart Chamberlain und Alfred Rosenberg der Dritte war) und darin alles andere als links, wußten wir auch schon, bevor ein paar Pseudolinke der 80er Jahre den Antisemitismus (wiederver-) wendeten. Allerdings fällt die Bewertung des Zionismus nach Auschwitz anders aus als vorher: die aufgrund jüdischer Volkstumsbewegung ausgewanderten jüdischen Europäer/innen haben überlebt. Nur ein Nazi kann das bedauern.

Daß die zionistische Bewegung ebenso wie der arabische Nationalismus Spielbälle in der Politik des britischen Kapitals gegen das deutsche und umgekehrt waren, muß man uns Linken nicht erst erklären: unsere Vorfahren haben es analysiert. Bemerkenswert ist, daß die antijüdisch-antisemitischen Palästina-Solidarisierer von heute nie ein Wort über die deutsch-'arische' Kolonisation Palästinas am Beginn dieses Jahrhunderts durch die deutschen Templer verlieren; solche Brückenköpfe des deutschen Kapitals gab es selbstverständlich auch in Palästina. Die meisten der 'arisch'-deutschen Templer-SiedlerInnen waren dann in den 30er/40er Jahren die besten ortsansässigen Verbündeten der Nazis.

Es wäre so verfehlt, wie es die Pauschalisierungen von Ahlers sind, wollte man den Palästinenser/innen bzw. Araber/innen schlechthin unterstellen, Nazis gewesen zu sein. Der Palästina-Konflikt ist eben etwas komplizierter. Dennoch und gerade deshalb - auch weil die Linke so wenig darüber weiß - ist es nötig, auf die arabisch-nazistische Koalition einzugehen. Denn auch diese ist ein Erklärungsgrund für politische Strömungen, die man heute in Israel antrifft.

In der Tradition der kaiserlichen und deutsch-kapitalistishen Bagdad-Bahn und der deutschen Waffenlieferungen in den Mittleren Osten wurde bereits 1931 von arabischen Nationalisten, die gegen den britischen Neokolonialismus kämpften, eine am Nationalsozialismus orientierte Partei in Bagdad gegründet, der 1933 in Ägypten eine ähnliche Partei folgte. Deren ägyptische Führer nahmen 1936 am NSDAP-Reichsparteitag in Nürnberg teil und hatten Einfluß auf den späteren ägyptischen Präsidenten Nasser, vor Saddam Hussein und Muhammad al Gaddafi erster Held der "arabischen Revolution". Die direkte Kollaboration der ägyptischen Nationalisten mit den Nazis, auch derer um die Gruppe der "Freien Offiziere" Nassers und Sadats, wird überall in der wissenschaftlichen historischen und militärhistorischen Literatur bestätigt.

Später dann, in den 50er und 60er Jahren, baute Ägypten seine gegen Israel gerichtete Militärmacht mit Hilfe von deutschen Wehrmachts- und SS-Offizieren und den Technikern der faschistischen Flugzeugfabriken, vor allem Messerschmitt, auf. Anfang der 60er Jahre verfügte Ägypten mit nazi-deutscher Hilfe bereits über Raketen und Giftgasgranaten, die nicht nur im Jemen eingesetzt wurden, sondern auch öffentlich als gegen Israel gerichtet präsentiert wurden. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielten dabei die zahlreichen Übriggebliebenen der NSDAP-Auslandsorganisation, die in Kairo vor 1945 die zweitstärkste Parteigruppe - nach Buenos Aires - unterhielt (vgl. z.B. Donald M. McKale: "The Swastika Outside Germany", Kent 1977).

SS-Mullahs in Dresden

Auch von der Aufstellung islamischer SS-Verbände und von einer Anweisung des SS-Chefs Himmler zur religiös-weltanschaulichen Pflege der islamischen Verbündeten, die im November 1944 zur Einrichtung einer SS-eigenen Mullah-Schule in Dresden (!) führte, wird in der Literatur übereinstimmend berichtet. Die politische, militärische und finanzielle Unterstützung des putschistischen irakischen Militärregimes nach 1941 durch Nazi-Deutschland, übrigens auch mit Messerschmitt-Flugzeugen, ist ein Fall, an den die Neonazis - im Gegensatz zu der Mullah-Schule auf deutschem Boden - gerne während des Golfkriegs 1991 erinnert haben. Bereits in den antibritischen Unruhen in Palästina 1936 bis 1939 nahmen die Nazis eindeutig für die Araber, gegen die Briten und gegen die jüdischen Siedler Partei. Der in Oxford lehrende polnische Historiker Lukasz Hirszowicz berichtet in seinem Buch "The Third Reich and the Arab East" (London 1966) von arabischen Nazi-Gruppen, die damals in Syrien entstanden und sich auch über Palästina verbreiteten. Der deutsche Militärhistoriker Bernd P. Schröder druckt in "Deutschland und der Mittlere Osten im Zweiten Weltkrieg" (Göttingen 1975) Fotos palästinensischer Freischärler in Autos des nazi-deutschen Konsulates mit Hakenkreuz-Fahnen in der Hand. Nazi-Deutschland stellte sogar arabische Kampfeinheiten auf und trainierte Gueril1a- und andere Truppen der arabischen Nationalisten, die gegen die Briten kämpfen sollten. Der Aufbau der "Deutsch-Arabischen Lehrabteilung" durch Nazis und Wehrmacht in den 40er Jahren war die Vorstufe zur Militärhilfe durch ehemalige Wehrmacht- und SS-Offiziere nach 1950. Ein Dokument des damaligen nazi-deutsehen Botschafters in Ägypten für den Aufbau eines deutschen "Islam-Programms" druckt Schröder im Faksimile. Es gibt Aufschluß darüber, wie sehr die Nazis an der Erforschung der islamischen Religion und Kultur interessiert waren und diesbezügliche Anstrengungen unternahmen, die schließlich den Ölinteressen des deutschen Kapitals hätten zugute kommen sollen.

Die Nazis unterstützten erwiesenermaßen auf allen Ebenen, militärisch, publizistisch und finanziell, die arabischen nationalistischen Gruppen, wobei neben Moslem-Gruppen im afrikanischen Arabien Palästina eine Zeitlang im Mittelpunkt stand. Eine besondere Rolle im damaligen Kampf der PalästinenserInnen um ihr Land (oder das Land ihrer Feudalherren) spielte der Mufti von Jerusalem, Al Husseini, der - von den Briten ins Amt gehoben - als der oberste Führer der PalästinenserInnen auftrat und - als die Briten den Juden einen eigenen Staat versprachen - zusammen mit Hitler gegen den Judenstaat arbeiten wollte (gemeinsame Konferenzen 1941 anläßlich eines internationalen faschistischen Treffens in Berlin). Al Husseini organisierte durch unermüdliche Reisen wesentliche Teile der nazideutsch-arabischen Kollaboration seit den 30er Jahren und - so kam es beim Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß ans Licht - engagierte sich später auch innerhalb der SS direkt bei der Ermordung südosteuropäischer Juden und deren Abtransport in die Vernichtungslager.

Nach zahlreichen übereinstimmenden Quellen waren es vor allem Alfred Rosenberg und dessen 'Außenpolitisches Amt der NSDAP', die sich damals für den arabischen Nationalismus einsetzten. Rosenberg hat immer wieder eine größere Unterstützung arabischer Nationalisten auch durch Parteigliederungen der NSDAP gefordert und sogar auf eigene Faust deutsche Waffenlieferungen in den Nahen Osten organisiert. Schon Hitler selbst hatte sich positiv über den Islam ausgelassen, der nazi-deutsche Botschafter in Kairo hatte eine enge Beziehung zwischen Islam und Faschismus konstatiert: 'Nationalsozialistische Auffassungen begegnen sich in vielen islamischen Grundsätzen' (zit. n. Schröder S. 217; Antifaschistlnnen sehen das freilich anders). Heute setzt die neurechte Ideologin Sigrid Hunke, lange Jahre Vize- und Ehrenpräsidenten der aus dem Rosenberg-Umkreis entstandenen Sekte Deutsche Unitarier Religionsgemeinschaft e.V. (DUR) und Mitglied eines obskuren, in Kairo ansässigen "Islam-Rates", diese Anbiederungsversuche zum Nachteil der Juden mit ihren neuen Büchern über den Islam fort.

Die von Rosenberg herausgegebene Zeitschrift 'Nationalsozialistische Monatshefte', Organ des Nazi-Kirchenkampfes und vom späteren DUR-Chefideologen Eberhard Achterberg redigiert, brachte immer wieder Artikel zum Islam, zur Nahost-Problematik, zur britischen Kolonial- und Suez-Kanal-Politik, zum Kulturkreis Arabiens usw., ebenso primitivste Hetzartikel über eine angeblich jüdische Beeinflussung der britischen Politik allgemein und im Bezug auf den Nahen und Mittleren Osten. Unter Bezug auf den Mufti von Jerusalem wird hier 'Englands europäische Aufgabe in Palästina' (Heft März 1939) in der Verhinderung des jüdischen Staates gesehen und (S.24f) Rosenbergs grundsätzliche Stellungnahme hierzu veröffentlicht: daß nämlich die Juden Europas in den Sümpfen Madagaskars in einem SS-kontrollierten Ghetto elendiglich ums Leben kommen sollten, statt sich in Palästina anzusiedeln. Übrigens ist der bis Ende 1990 amtierende langjährige Präsident der DUR, Horst Prem, ein leitender Ingenieur der Messerschmitt-Nachfolge-Firma MBB/DASA, die jetzt wieder durch deren Waffenlieferungen an den Irak Saddams in die Schlagzeilen geraten ist. So können sich Kreise schließen.

Man muß wohl nicht mehr ausdrücklich die Beziehungen zwischen der PLO und der Wehrsportgruppe Hoffmann aus den 70er Jahren in Erinnerung rufen; auch dies sollten Linke trotz späterer PLO-Distanzierug nicht vergessen.

Vor einem solchen historischen und aktuellen Hintergrund wird mir manche israelische Politik verständlicher, ohne daß ich sie gut heißen würde. Vor diesem Hintergrund habe ich manche neue Kritik an palästinensischer Politik, auch wenn mir nach der 70-jährigen Chaos-Politik des Kapitals im Nahen Osten ein Palästinenser/innenstaat zur Lösung des Problems unabdingbar erscheint. Ein undifferenzierter und uninformierter Artikel wie der von Ingolf Ahlers bringt der Linken nichts an größerer Klarheit und Basis zur Meinungsbildung, er dürfte nach meiner Ansicht in einer antifaschistischen Zeitschrift so nicht erscheinen.

(Dieser Artikel von Peter Kratz erschien im Mai 1991
in der antifaschistischen Zeitschrift DER RECHTE RAND, Nr. 12.)

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