Peter Kratz: "Die Götter des New Age.
Im Schnittpunkt von 'Neuem Denken', Faschismus und Romantik"
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Vorbemerkung
 

"Die Philosophen zerstörten in ihrem Kampfe gegen die Religion die heidnische, aber eine neue, die christliche, stieg hervor. Auch diese ist bald abgefertigt, doch es kommt gewiß eine neue, und die Philosophen werden wieder neue Arbeit bekommen, jedoch wieder vergeblich: die Welt ist ein großer Viehstall, der nicht so leicht wie der des Augias gereinigt werden kann, weil, während gefegt wird, die Ochsen drin bleiben und immer neuen Mist anhäufen."

Heinrich Heine  *

 
Der Gott des "Neuen Zeitalters" soll naturverbunden sein, ein grüner Gott. Doch bei näherem Hinsehen zeigt er eine auffällige Identität mit der "Vorrrsehunggg", wie Adolf Hitler markig-lächerlich die pantheistische Gottesvorstellung des Nationalsozialismus nannte. Dieser Gott ist nie allein, denn zu ihm gesellen sich lauter angeblich gottförmige Menschen. Sie gründen eine "spirituelle Bewegung", die heute New Age heißt. Damals nannte sie sich "völkische Bewegung". Ihre zahlreichen "neuheidnischen" oder "deutschgläubigen" Sekten, wie sie sich selbst nannten, mündeten überwiegend im Faschismus und Neofaschismus. Diese Menschen glauben, das All-Göttliche wirke in ihnen und durch sie selbst. Sie alle sind "die braunen Götter".

Das materielle Ziel der angeblich neuen Spiritualität ist ein Angriff auf die große Mehrheit der Menschen. Bei näherem hinsehen erscheint die Naturreligiösität nur noch als Deckmantel dieses Angriffs. Im Visier erscheinen ethische Normen, soziale Errungenschaften, ja sogar das Lebensrecht des Individuums.

Das gab es alles schon einmal als politische und gesellschaftliche Praxis, im historischen Faschismus. Die Unbelehrbaren, die immer wieder scheinbar neuen Ideologien nachrennen, statt sich an den Interessen der Menschen zu orientieren, leisten einer solchen gesellschaftlichen Praxis Vorschub, auch wenn sie für sich etwas anderes, ja sogar das Gegenteil, im Sinn haben mögen.

Das New Age richtet sich an die Sanften, nicht an die Militanten. Deshalb wird meistens übersehen, daß in dieser breiten religiösen Strömung der Selbstvergöttlichung faschistische Ideologie wiederauflebt. Für Linke und Liberale fällt dies alles unter das Grundrecht der freien Religionsausübung. Die Grundrechte zu schützen ist ihr Interesse, darüber hinaus findet Religion bei ihnen wenig Beachtung. Faschisten haben schon gleich nach dem Zweiten Weltkrieg die im Grundgesetz garantierte Religionsfreiheit als Chance begriffen, ihre menschenverachtende Ideologie weiterzupflegen. Für ihre Weltanschauung des selbstgöttlichen Herrenmenschen, die gerade erst wegen der millionenfachen Nazi-Verbrechen geächtet worden war, entdeckten sie die Religionsfreiheit als willkommenen Unterschlupf. Sie wußten, daß der Faschismus eine religiöse Basis im "nordischen" Mythos der Göttlichkeit von Natur und Kosmos hatte. Sie wußten, daß dieser braune All-Gott den Menschen, der ihn sich nutzbar macht, selbst zum Gott über andere erhebt.

Die Linke war dagegen allzu einseitig fixiert auf die unbestritten zentrale Tatsache, daß der Faschismus eine Herrschaftsform des Kapitals ist. Vergessen wurden hierbei die Köpfe der Menschen. Die lange übersehene Funktion des Faschismus als Ideologie der gesellschaftlichen Modernisierung ließ die Frage außer Acht, wie völkische Naturreligiösität und die Arbeit an einer deutschen Atombombe zusammengehen könnten. Der deutsche Physiker Werner Heisenberg wurde wegen seiner physikalischen Arbeiten zum Idol des New Age. Wegen ebendieser physikalischen Arbeiten ruhte auf ihm die letzte Hoffnung des deutschen Kapitals, mit einer Superwaffe doch noch den Zweiten Weltkrieg zu gewinnen. Die Linke hat bisher kaum danach gefragt, ob ein Zusammenhang zwischen beidem besteht.

So erscheinen New Age und Faschismus fälschlich als Gegensätze. Die Rechte profitiert heute davon, nachdem das New Age zu einer Massenströmung geworden ist. Der geächtete nordische Mythos ist unbemerkt zurückgekehrt. Das Kapital bedient sich ein zweites Mal seiner, bisher weitgehend ungestört.

Das New Age ist ein Angriff auf die linke Weltanschauung und auf eine Politik, die die Interessen der Bevölkerungsmehrheit in den Vordergrund stellt. Der Angriff vollzieht sich nach demselben Muster wie der des historischen Faschismus, allerdings bisher ohne offenen Terror. Dieser Angriff und seine gesellschaftlichen Ziele sind das Thema des vorliegenden Buches. Es will einen Beitrag dazu leisten, die Aufmerksamkeit auf diese übersehenen, aber nachhaltig wirkungsvollen Zusammenhänge zu lenken. Der Beitrag will trotz mancher sachlich erzwungener Komplexität der Argumentation bescheiden bleiben. Das entspricht dem Zustand der Linken und insbesondere des Antifaschismus: In den Zeiten einer Offensive der extremen Rechten, die ideologisch und praktisch-politisch bereits in die Mitte der Gesellschaft hineinwirkt, glaubt sich die Linke in einer weltanschaulichen Krise und steht ohne finanzielle Mittel da.

An dem Thema "Faschismus als New Age" muß über dieses Buch hinaus weiter gearbeitet werden, um den Angriff auf die Linke wenigstens zu verstehen.

Ohne die vielfältigen Anregungen von Hartmut Meyer wäre dieses Buch nicht möglich gewesen. Er gehörte zu denen, die schon früh die Bedeutung der völkischen Religiösität für den Neofaschismus erkannt hatten und Beziehungen zum New Age sahen. Das Manuskript des Buches konnte er nicht mehr lesen. Er starb am 29. Juli 1992.

Anmerkung:
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Heinrich Heine, Gedanken und Einfälle,
in: Werke, Wiesbaden o. J., Bd. IV, S. 436.
 

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