Peter Kratz: "Die Götter des New Age.
Im Schnittpunkt von 'Neuem Denken', Faschismus und Romantik"
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1. Germania trifft Aquarius

Mittsommernacht an den Externsteinen
 

21. Juni, kurz vor fünf Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit. Es ist kalt und neblig an den Externsteinen im Teutoburger Wald. Die schroffen Felsspitzen ragen in ein Tal hinein, das nach dem Krieg zu einem See aufgestaut wurde. Feuchtigkeit zieht hoch. In ein paar Minuten ist es soweit: Die Sonne wird aufgehen, die kürzeste Nacht des Jahres wird zu Ende sein. Irgend jemand hat vor langer Zeit in einen der Felsen eine Zelle und in deren Stirnwand ein kleines Loch gehauen, niemand weiß wann. Für Neuheiden und Esoteriker, Nazis und New Ager waren es die alten Germanen. Nur wenige von ihnen zweifeln daran, weil naturreligiöse Menschen sich niemals mit Hammer und Meißel an einem heiligen Stein zu schaffen machten. Der erste Sonnenstrahl des ersten Sommertages soll durch dieses Loch fallen. Die Externsteine sind für diese Gläubigen das größte Sonnenheiligtum des europäischen Festlandes, übertroffen nur noch vom britischen Stonehenge.

Auf der feuchten Wiese pellen sich ein paar befrorene Gestalten aus den Schlafsäcken. Sie haben die ganze Nacht zur Gitarre gesungen, Rotwein getrunken und hier und da ein Pfeifchen geraucht. Sonnenwende mit Camping-Romantik. Da kommen noch welche vom Großparkplatz, der hier für die vielen Sommerfrischler angelegt wurde. Sie haben wohl zwischen Kneipen-Ultimo und kosmischem Ereignis ein Nickerchen im warmen Auto gemacht.

Die Externsteine waren immer schon ein touristisches Ziel, seit der Zeit, als sich die lippischen Barock-Grafen auf den Felsspitzen Pavillons für Schäferstündchen bauten. Die baulichen Erinnerungen an diese sinnenfrohe Zeit (wenn auch nur für die Grafen, nicht für ihre Leibeigenen) wurden erst in der deutschen Romantik beseitigt. Man benötigte die Steinformation nun als monumentalen Gehilfen gegen Freiheit, Gleichheit und Solidarität.

Die Felsformation der Externsteine im Teutoburger Wald zur Sommersonnenwende. "Fels II" (zweiter von rechts) mit der obskuren Zelle der Begierde.

Die Legende kam auf, hier habe sich ein Naturheiligtum aus der heidnischen Vorgeschichte der alten Germanen befunden. Wie praktisch, denn Natur und Naturspiritualität kennen die Forderung der bürgerlichen Revolutionen nach der Emanzipation des Menschen nicht. In der Natur herrschen nicht die Werte der Französischen Revolution, sondern Gebundenheit an die vorgefundenen Verhältnisse, Ungleichheit der Individuen und das Recht des Stärkeren im Kampf ums Dasein. Eine nationale Gedenkstätte konnte man brauchen in der Zeit der Besetzung Deutschlands durch die Truppen Napoleons, die für die Revolution standen, erst recht eine vermeintlich naturreligiöse, geheiligte und die Gegnerschaft zur Revolution heiligende Stätte. Da paßten barocke Orgien nicht ins Bild, denn die Teilnahme an solcher Lebensqualität forderten die unterdrückten Menschen in den bürgerlichen Revolutionen und Revolten ja gerade ein. Also weg mit dem alten Gemäuer. Das heutige Aussehen der Externsteine ist ein Werk der Romantik, die Wiese davor ein Werk der Nazis, der Großparkplatz für die sommerlichen Touristenmassen eine Errungenschaft des Fünfziger-Jahre-Wirtschaftswunders - hier hinterläßt wohl jede Epoche deutschen Stolzes Spuren.

Der Ort war gut gewählt, um vor knapp zweihundert Jahren die Volksseele mit germanischer Naturreligion gegen "die Welschen" aufzuputschen. Denn schon einmal, vor knapp zweitausend Jahren, soll sich hier eine historische Befreiungstat der Germanen gegen fremde Besatzung vollzogen haben. In der Schlacht am Teutoburger Wald im Jahre 9 drängten die Germanen die Römer von der Elbe an den Rhein zurück, eine Grenze, die das antike Rom dann nie mehr überschreiten sollte. Allerdings deutet nichts daraufhin, daß der Gebirgszug, dessen Teil die Externsteine sind, überhaupt dieser "Teutoburger Wald" ist, den der antike Historiker Tacitus als Ort der Schlacht angab. Dreißigtausend römische Elitesoldaten sollen von den Germanen niedergemetzelt worden sein, aber bisher wurde kein einziger römischer Helm, kein einziges Schwert und keine Lanzenspitze ausgegraben. Und im Volksmund wurde der Gebirgszug ohnehin "Osning" genannt. Doch "Teut" hieß hier früher ein Berg, das reichte aus, um eine Legende in der Romantik zur Gewißheit werden zu lassen. Die Legende war brauchbar, bis heute hin, und - wer weiß! - vielleicht auch um die Zeit der kommenden Zweitausend-Jahre-Gedächtnis-Feier.

Viel weiter westlich, bei Osnabrück, fand man neuerdings römische Überreste. Nationalideologen wollen nun hier den Ort der Schlacht sehen, in der ein Germanenfürst die Römer besiegte. Wir kennen von ihm nur den lateinischen Namen Arminius, die deutsche Übersetzung "Hermann" ist falsch, eine Erfindung späterer Zeit. Arminius hatte für kurze Zeit die vielen germanischen Stämme geeint, die sich vorher und nachher gegenseitig bekämpften. Seine historische Leistung war diese einmalige germanische Einheit, durch die ein gewaltiges Heer geschaffen wurde, das die römische Macht zerschlug.

Epochen später erinnerte man sich daran, wie germanische Einheit siegreich war gegen die Eindringlinge aus dem Westen, aus dem römischen Gallien. Das zerstückelte Deutschland der napoleonischen Zeit mußte nach diesem Vorbild geeint werden, dann konnten die Truppen der französischen Bourgeoisie vertrieben werden. Die Einheit der Nation in der Vielheit ihrer Stämme bringt den Sieg, so lautete die Idee, die am Teutoburger Wald sinnlich wahrnehmbar gemacht und in der völkischen Bewegung weitergepflegt wurde.

Auf dem Berg Teut, der heute Grotenburg heißt, steht das Hermannsdenkmal, nur ein paar Kilometer entfernt von den Externsteinen. Es wurde zwischen 1841 und 1875 als Mahnmal für die deutsche Einheit gebaut und ab 1988 aus Anlaß des vierzigjährigen Bestehens der Bundesrepublik Deutschland für mehr als eine Million Mark als Mahnmal für die deutsche Einheit von Grund auf restauriert - eine Art Vorahnung wohl. Das kommende Jahrhundert wird, wenn es so weitergeht wie in den letzten Jahren, ein Jahrhundert des vereinigten Deutschland als Führungsmacht des vereinten Europa werden, im Jahre 2009 wird dann einiges los sein im Teutoburger Wald.

Der "Bund der Goden" rief zum "Hermannstag 1995" ans Denkmal, wo sich bis heute ebenfalls  immer wieder rechtsextreme Gruppen versammeln. Oben rechts im weißen Kreis das stilisierte Irminsul-Zeichen vom (christlichen) Felsrelief der Externsteine, wieder aufgerichtet, hier mit dem Nordstern ober drüber und dem Sternbild des Großen Bären. In dieser Form, um die Sterne ergänzt, verwendet auch Jürgen Riegers "Artgemeinschaft" das Irminsul-Zeichen.

Das drohend gegen Westen, gegen den "Erbfeind" Frankreich erhobene Schwert des Hermann auf dem Denkmal ist weithin übers Land sichtbar. Es symbolisiert eine Geisteshaltung von deutscher Romantik, völkischer Bewegung und NS-Ideologie, die sich auch bei heutigen Anhängern der Naturreligion wiederfindet: Germanische Naturmystik siegt über westliche Aufgeklärtheit, germanische Kraft und Gesundheit über westliche Zivilisationskrisen. Das Zurück zur Natur ist hier als ein Zurück zu deutscher Weltherrschaft in Kupfer geschmiedet. Auf dem Schwert steht, nach der Restaurierung jetzt wieder in goldenen Buchstaben: "Deutschlands Einigkeit meine Stärke, meine Stärke Deutschlands Macht". Das monumentale Denkmal wurde vom Kaiser damals persönlich eingeweiht. Es symbolisiert den Sieg des "Nordischen" über das "Welsche", die Wiedergeburt des vermeintlich Eigenen aus der eingebildeten Überfremdung und die Wiedergeburt des "Reiches". Die Bronzereliefs am Sockel, die aus dem Metall erbeuteter französischer Kanonen aus dem Krieg 1870/71 gegossen wurden, erzählen dies.

Hier ist der Mythos von "Germania gegen Lutetia" lebendig. Lutetia lautete der römische Name für Paris, "Germania gegen Lutetia" war der Schlachtruf der deutschen völkischen Bewegung gegen die Linke, gegen Bürgerliche und Sozialisten. Der unbeholfen lateinisch-deutsche Spruch bringt es auf den Punkt: Es geht um den Kampf derer, die zur Zeit des Hochkapitalismus in den vorzivilisatorischen Zuständen der kelto-germanischen Urwälder die Lösung der Krisen des neunzehnten Jahrhunderts suchten, gerichtet gegen die immer wieder aufständischen modernen Massen, eben vor allem die aus der Hauptstadt der bürgerlichen und sozialistischen Revolutionen von 1789, 1830, 1848 und 1871. Es ist derselbe Mythos, der auch auf dem Mosaik der Siegessäule in der wiedergewonnenen deutschen Hauptstadt Berlin dargestellt ist, die von vergoldeten Beutekanonen des 1870/71er-Krieges geschmückt wird.
 

Mosaik von der Siegessäule in Berlin: Germania gegen Lutetia.
Das Volk selbst (mit Pickelhaube, als ungenannter Soldat rechts unten, der den "Arbeitsmann" mit Lederschürze und Hammer in die Schlacht führt) richtet den Säbel gegen Napoleon (in roter Toga, links oben unter der französischen Fahne).
Schwarz-Weiß-Rot (Fahne rechts oben) gegen die Farben von Freiheit und Revolution, die Tricolore (links oben über Napoleon). Im Gefolge Napoleons ziehen allegorische Figuren: Der Hunger (links unten von N.), die Pest und der Tod (rechts oben unter der Tricolore fliegend).
Die Siegessäule war von Anfang an auch als völkisch-religiöses Symbol gedacht, 1873 noch anknüpfend an die im Volk verbreitete und bekannte Symbolik. So heißt es in der Gründungsurkunde in Anspielung auf die Bibel: "Gottes Ratschluß mit Uns ist die Deutsche Wiedergeburt."

Der Sieg von 1871 hatte die Einheit des reaktionären, völkisch-rassistischen, militaristischen deutschen Kaiserreiches zu Folge, das sich auf die militärtechnischen Errungenschaften des deutschen Kapitals und auf die antidemokratisch und antisozialistisch ausgerichtete Germanentümelei der völkischen Intellektuellen stützte. Hier wie dort wird der Sieg gefeiert, der sich angeblich aus heidnischer Naturmystik speiste und mit überlegener Technik - den Kanonen von Krupp - errungen wurde. 1914, zum neuen Krieg gegen Frankreich, erschien der rassistische Roman "Osning" von Ernst Wachler, der aus dem Bergwald des Lippelandes, dem Hermannsdenkmal und den Externsteinen die Forderung komponierte, Deutschland müsse erneut von "Rom" befreit werden, diesmal vom katholischen; sein Volk müsse zurückgeführt werden zur naturmystisch-pantheistischen "Germanischen Religion" der völkischen Bewegung.

Völkischer Mystizismus prägt diese Gegend, die nicht die tatsächliche Geschichte, sondern nationale Legenden geschichtsträchtig machen. Der inkarnationsgläubige Heinrich Himmler ließ von KZ-Opfern nicht weit von den Externsteinen das Kultzentrum der SS errichten, die Wewelsburg. In dieser "Reichsführerschule SS", die als Symbol der "Mitte der Welt" geplant war, sollte mit mystischen Zeremonien der alten Germanen gedacht und meditativ aus ihren naturspirituellen Mythen die Kraft zur Beherrschung Europas durch eine angebliche rassische Elite gezogen werden. Der Kampf ums Dasein aus der Natur sollte die Grundlage der Politik werden, der "nordische Mythos" der Göttlichkeit der Natur und der "Arier" als ihrem Teil sollte dies legitimieren. Das Bauprojekt blieb unvollendet, aber die NSDAP feierte im Land der Grafen zur Lippe schon vor 1933 Wahltriumphe.

Ein "Kraftplatz" soll hier sein, in dem heute Touristen die Stationen Wewelsburg - Externsteine - Hermannsdenkmal abklappern können, nachdem das "Zeit-magazin" im September 1990 breit über die lange vergessene Wewelsburg berichtete. Hier finden sie Erholung und heiße Würstchen mit Kartoffelsalat in einem Wald, der so deutsch ist wie sonst keiner. Hinein bringt sie die Bundesstraße Eins, Nachfolgerin der Reichshauptstraße Eins von Aachen über Berlin nach Königsberg, die früher angeblich durch die breite Lücke zwischen den Felsspitzen der Externsteine verlief. Schade, daß die Touristen ihre Ansichtskarten nicht mit der Externstein-Briefmarke frankieren können; da hat die Bundespost nicht aufgepaßt, die Marke aus der Dauerserie "Deutsche Sehenswürdigkeiten" kostet drei Mark fünfzig - überfrankiert. Viele Neofaschisten und Neuheiden glauben, daß sich hier, in der "Mitte der Welt", zwei "Kraftachsen" schneiden, Paris-Warschau und Kopenhagen-Mailand. Am 21. Juni soll dieser Ort etwas von ihrer Kraft freigeben.

Am frühen Morgen auf den Steinen sitzend und auf die Sonne erst noch wartend, merkt man davon nichts. Die feuchte Kälte überträgt sich auf den Steiß, und die Beine werden kraftlos. Offenbar ist das die falsche Haltung zu diesem angeblich archaischen Heiligtum. Zwei Männer laufen in dieser Nacht stundenlang murmelnd den Weg rund um die Felsen lang, schnellen Schrittes immer rund und rund. Sie tragen ihr Bekenntnis über der Jacke, ein dreiarmiges Sonnenrad an einer Kette, das durch die Körperbewegung hin und her schwingt. Leider kann man nicht verstehen, was sie sagen; da sie einzeln gehen, den Kopf gesenkt, werden es wohl heilige Verse sein. Ihr Brustzeichen erinnert an die Rune südafrikanischer Faschisten. Mit Lodenmänteln bekleidet gehen zwei Alte gemächlich spazieren, unterhalten sich leise und sehen ab und an gen Himmel, ob sich der Nebel wohl noch hebe und keine Wolken im Osten hingen. Eine weißhaarige Frau sagt mit niederländischem Akzent, sie komme jedes Jahr zu dieser Nacht hierher, um spirituell Kraft zu tanken. Das sei hier ein uralter Platz der Ahnen, "dem muß man doch die Treue halten", meint sie ruhig, gar nicht aufgeregt ob der hehren Stunde, sondern fest und überzeugt. Sie ist sich ihres Daseins als Teil der Natur sicher. An diesem Ort durchströme das All-Göttliche Mensch und Stein, hier sei man eins mit dem Naturgeschehen, kein Grund zur Aufregung also. Die Alte erscheint weise und würdig, sie pflegt diese Erscheinung während des kurzen Gesprächs. Hier ist man Gott, hier darf man's sein.

Goethe kommt einem nicht zufällig in den Sinn, ist er doch von Faschisten wie New Agern gleichermaßen als naturreligiöser Ahnherr beschlagnahmt. "Deutsche Frauen, deutsche Treue, deutscher Wein und deutscher Sang", so dichtete Hoffmann von Fallersleben etwas peinlich die zweite Strophe des Deutschlandliedes, an einem anderen angeblichen Kraftort sitzend, Helgoland: "Heiligland", für viele Faschisten und New Ager der Rest des mythischen versunkenen Atlantis, Urheimat der "Arier". "Treufest" steht auf dem Schild des kupfernen Hermann nebenan, "Unsere Ehre heißt Treue" war der Leitspruch der SS und "Treuhand" heißt die Institution, die Deutschlands Einheit in der Vielheit sozialer Abstufungen vollzieht: So treiben einen an diesem Ort angeblicher spiritueller Dynamik die Gedanken fort.

Ein paar kurz geschorene kräftige Jungs mit Springerstiefeln laufen umher, die Aufmerksamkeit für die eigene Sicherheit reißt einen jäh ins Hier und Jetzt. Doch sie sind offenbar von der Heiligkeit des Ortes beeindruckt und friedlich oder auch nur zu wenige. Vor einigen Jahren war hier mehr los, da prügelten sich Neonazis mit Antifa-Punks und Polizisten; die stillen New Age-Esoteriker hatten damals das Nachsehen, meditative Stimmung wollte unter solchen Umständen nicht recht aufkommen. Dieser Ort ist ein Schnittpunkt für Ideologien, vielleicht macht das seine Kraft und Faszination aus.

Die Nazis ergriffen gleich nach ihrer "Machtergreifung" von den Externsteinen alleinigen Besitz. Großangelegte Ausgrabungen zum Auffinden germanischer Spuren förderten vor laufenden Kameras Hakenkreuz-Mandalas zu Tage, die man allerdings erst am Vortag eigens zum Zwecke des Auffindens vergraben hatte. Das tat faschistischen Aufmärschen und Fackelzügen keinen Abbruch, zu ihrem Zweck wurde eigens die große Wiese angelegt. Kein Zweifel war gestattet: Hier war die zentrale Kultstätte der Germanen Mitteleuropas. Der "Reichsarbeitsdienst" wurde mobilisiert und pflügte den Boden rund um die Felsen um. Noch 1992 nahm der "Deutsche Unitarier" Dieter Vollmer in der Zeitschrift "Deutschland aus Geschichte und Gegenwart", die im rechtsextremistischen Grabert-Verlag erscheint, auf diese Ausgrabungen bezug.

Die seriöse Archäologie hat nur christliche Spuren gefunden, keine einzige Scherbe von hier scheint nach Historikermeinung aus der Zeit Karls des Großen oder älter zu sein. Ein Krakel in einer Grotte, das einzige derartige Zeichen an den Felsen und daher sogleich interessiert und begierig als Rune gedeutet, findet sich auf keinem echten Runenfund wieder. Ohne Zweifel waren diese Felsen eine heilige Stätte: für mittelalterliche Eremiten aus dem Bistum Paderborn, später für Benediktinermönche. Diese Christen haben hier am Fuße einer der Steinspitzen das bedeutendste Felsrelief Europas hinterlassen, eines der großartigsten Werke romanischer Kunst überhaupt, das in die erste Hälfte des 12. Jahrunderts datiert wird. Es stellt die Kreuzabnahme Christi dar. Der biblische Nikodemus stützt sich in tiefer Depression über den Kreuzestod des Heilands halb auf das Kreuz und steht - die Beine hat man ihm allerdings inzwischen weggeschlagen - auf der gebeugten Irminsul, dem heiligen germanischen Weltenbaum, die die völkische Bewegung und die faschistischen Sekten zu ihrem Zeichen gemacht haben. Über ihm hält Gottvater die Auferstehungsfahne. Der Sieg des Christentums über die germanische Naturreligion ist hier dargestellt, die Erlösung durch das Kreuz, dem sich die Irminsul beugen muß.
 

Das "Kreuzabnahmerelief" von "Fels I" (Fels auf dem Eingangsfoto dieser Seite rechts), geschaffen um 1115.

Abbildung aus einem Touristenheftchen "Externsteine. Lippische Sehenswürdigkeiten" eines "Dipl. sc. pol. F. Bartelt, Institut für Lippische Landeskunde Detmold" (4. Aufl. 1984, in den 90er Jahren weiterhin am Externsteine-Kiosk verkauft). Das Heftchen erwähnt die rechtsextreme Deutung der Felsen als christlich kolonisierte germanische Kultstätte nur kurz und stellt sie als eine Episode der Nazi-Zeit hin, verschweigt die Neonazi-Treffen nach 1945 und erwähnt den für ihre Ideologie zentralen Bezug der "Neuen Rechten" auf die Stätte sowie die New Age-Deutungen nicht. Die von der extremen Rechten als Abbildung der Irminsul gedeutete Figur (rechte Bildmitte unten) sehen andere nur als umgeknickten gewöhnlichen Baum, der allerdings als einfache Naturdarstellung völlig isoliert wäre in dem von christlicher Symbolik überbordenden Relief. Der Deutung der Figur als "Irminsul" folgt das Heft nicht.

Die aktuellen Aktivitäten von New Agern und Neonazis zur Sommersonnenwende werden von den Offizellen im Lipper Land mißtrauisch geduldet. Die offizielle Deutung der Felsen, die auch das zitierte Touristenheftchen verbreitet, ist die einer im Spätmittelalter  aufgegebenen christlichen Einsiedelei und Waldkapelle, was allerdings die Entstehung des kunsthistorisch überragenden Reliefs mitten im Wald nicht erklärt.

Das konnte die Völkisch-Religiösen nicht ruhen lassen, Germanentümler entwarfen immer neue Theorien über diesen Ort. Die bekannteste ist die von Wilhelm Teudt, der von Hitler deshalb eine Professur verliehen bekam. Bis heute wird sie von zahlreichen neofaschistischen Sekten vertreten. Demnach soll hier das bedeutendste Heiligtum der heidnischen Sachsen, die Irminsul, gestanden haben, bzw. die Felsen selbst sollen dieses Heiligtum gewesen sein, das der "welsche" Karl der Große im Jahre 772 zerstört und zum christlichen Heiligtum umfunktioniert habe, um die Sachsen zu unterwerfen. Zwar hätte eine solche Zerstörung mit den bescheidenen Mitteln der damaligen Zeit ein großes Heerlager gebraucht, mit der entsprechenden Hinterlassenschaft im Boden, aber selbst die Nazi-"Archäologen" konnten sie nicht finden. Wenigstens sind die Legenden stimmig: Da, wo sich die Sachsen unter Arminius vom römischen Joch befreiten, errichteten sie ihr Heiligtum, das vom römisch-christlichen Karl, später in Rom von den Nachfahren der alten jüdischen Priesterhierarchie zum Kaiser gekrönt, wieder zerstört wurde. Der unterjochte Sachse, der sich selbst befreite, wurde wieder unterjocht, diesmal auch geistig durch das jüdisch-römische Christentum als "vorderasiatische Fremdreligion", wie es bei den Faschisten bis heute heißt. Die erneute Befreiung, die Rückwendung zur "eigenen" Naturreligion, steht demnach wieder an; sie wurde von der völkischen Bewegung und dem deutschem Faschismus vergeblich versucht.
 

Stilisierte Irminsul auf der Zeitschrift der "Deutschen Unitarier" der 50er Jahre
als permanentes Titelbild.

Fast alle Nazi-Sekten verwenden die Irminsul in der einen
oder anderen stilisierten Form.

Die Gegnerschaft zum Judentum und zum Christentum als vermeintliche Anti-Natur-Religionen findet sich in derselben Weise in der faschistischen Ideologie wie im New Age, die inhaltlich gleiche Kritik an Judentum und Christentum als den vermeintlich Verantwortlichen für die Zerstörung der göttlichen Natur ist bei beiden die geistige Ausgangsbasis. Mit Yggdrasil, wie die Weltesche Irminsul auch genannt wird, macht die "Stiftung Wald in Not" im Juli 1993 gegen Treibhauseffekt und Waldsterben mobil, als gäbe es keine besseren Argumente für den Schutz der Natur als die alten Germanen. "Weisheit und Schicksal lagen unter ihren Wurzeln verborgen", heißt es in Anzeigen der Stiftung, die in großen Tageszeitungen erschienen: "Das Schicksal der Menschen war gebunden an ihr Leben. Und der Fall des Baumes bedeutete das Ende der Welt. Die Dichtung von damals ist die Wahrheit von heute. ... Stirbt der Wald, so kann der Mensch nicht leben."

Judentum, Christentum, Liberalismus und Sozialismus, das waren und sind die Haßbilder für völkisch-neuheidnische (Neo-) Faschisten, denn diese Weltanschauungen vereint die Ansicht von der Gleichheit der Menschen, mal vor Gott, mal vor dem Gesetz, mal in sozialer Hinsicht. In dem Nazi-Witzblatt "Die Brennessel" erschien 1938 eine Hetzkarikatur der "Göttin des Westens", wie die Überschrift hieß. "Sancta Democratia" ist hier als antike Kriegsgöttin dargestellt, die Aufschrift auf ihrem Schild lautet "Freiheit, Brüderlichkeit, Gleichheit" und auf dem Schwert "Pazifismus". Doch diese Göttin ist nur Maskerade von Helm, Brustpanzer und Tunika, die an einem Kreuz zu einer Art "potemkinschen" Puppe aufgehängt sind. Dahinter steht der typische Jude der Nazi-Hetze und leiht der Göttin seine Arme, zum Schwert auch noch den Speer "Menschlichkeit" schwingend. Dagegen steht "Natürlichkeit", die Göttlichkeit des Kosmos, die weder menschliche Freiheit noch Gleichheit kennt, weil es diese in der Natur und ihren Gesetzen nicht gibt. Ein vermeintliches Naturheiligtum nordischer Germanen wie die Externsteine verschafft der "eigenen" Religion der Ungleichheit - die deshalb nur mystisch erfahrbar ist, weil die Gleichheit der Menschen in Wahrheit das Natürlichste auf der Welt ist - eine auch sinnlich unbezweifelbare Basis.
 

 

Nazi-Hetzkarikatur von 1938.
Beschriftung: "Die Göttin des Westens" als Tarnung der Juden, ihre Waffen sind das Schwert des "Pazifismus", der Speer der "Menschlichkeit", der Schild von "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit", der Brustpanzer des "Schutz der Minderheiten" und der "Freiheit der Presse".

Die wenigsten, die heute in der Mittsommernacht hierher kommen, sind sich der Logik dieses Ortes inmitten antidemokratischer Ideologie und verbrecherischer Politik bewußt. Sie beachten weder das Kreuzabnahmerelief noch erkennen sie die Irminsul. Gedanken über die Gleichheit der Menschen macht sich hier niemand, der Komplex Auschwitz ist kein Thema dort, wo die Sonne aufgehen soll wie sonst nirgendwo. Wie sollte man die Selbstvergöttlichung des Ariers am Ort der angeblich vollkommenen Harmonie der Natur mit Auschwitz zusammenbringen! Organisierte Neonazi- Aufmärsche werden hier neuerdings verboten, deshalb kommen nur wenige von ihnen und bleiben unauffällig. Nachdem die Externsteine in den achtziger Jahren für New Ager als naturreligiöses Heiligtum entdeckt wurden, sind Esoteriker jetzt in der Überzahl. Sie sorgen sich um den Zustand der eigenen Psyche und der Natur. Oft wissen sie nicht einmal mehr um die herausragende Bedeutung dieser Gegend für den Faschismus und rutschen unversehens in nazistische neuheidnische Kreise. Naturreligiös beeinflußt, erscheint ihnen dann eine Politik der Ungleichheit der Menschen als richtige Folgerung aus der Göttlichkeit des Kosmos, der keine Gleichheit kennt.

Ihre Aufmerksamkeit richtet sich auf den Gipfel des mittleren Felsens, nicht auf das Relief. Hier oben findet jetzt gleich das Ereignis statt, das sie mit dem Kosmos verbindet, der ihnen die Gesetze des Lebens gibt. Urkraft tanken. Man sieht jetzt öfter auf die Quarzuhr, die genaue Minute des Sonnenaufgangs steht ja heutzutage in jedem besseren Taschenkalender. Geschiebe in der winzigen Steinzelle, alle können wohl nicht glücklich werden: Der Blick auf die aufgehende Sonne durch das Loch im Felsen soll wenigen Priestern vorbehalten sein, der erleuchteten Elite, so scheint es. Aber auf die Hauptgipfel führen heute Treppen hinauf, die der Lippische Landschaftsverband aus Gründen der Wirtschaftsförderung des ländlichen Bereichs anlegte. Am heiligen Ort stehen jetzt Touristen. Einige zählen den Countdown, und das auch noch auf englisch, andere zischeln ihr Mißfallen: Heilige Stille soll jetzt herrschen! Die im Lotussitz - Augen nach Osten, aber geschlossen - wurden auf die Nebenfelsen vertrieben. Das müssen Kletterkünstler sein, da führt keine Treppe hoch.
 

Die kosmische Orientierung ist im New Age all-gegenwärtig.
Hier zeigt ein Werbeprospekt eines "Institut für angewandte Intuition - Schule für Esoterik" aus Köln eine außergewöhnliche Verbildlichung dieser Orientierung.

Doch irgendwas scheint jetzt nicht mehr zu stimmen, die Menschen direkt vor dem Loch werden unruhig und murren, einer lacht sogar hämisch. Tatsächlich, die Sonne ist schon da, aber durch das Loch nicht so richtig zu sehen, man muß sich verrenken, nein, eigentlich sieht man sie im Moment des Aufganges gar nicht von hier aus. Knapp daneben ist auch vorbei. Und das soll ein vorzeitliches Sonnenheiligtum sein? Die Cleveren kommen jetzt mit der Verschiebung der Erdachse über die Jahrhunderte. Die Skeptischen wollen gelesen haben, daß die Steinmetztechnik damals noch gar nicht so ausgefeilt gewesen sei, um die kleine Zelle mit dem Loch aus dem Fels zu schlagen, und überhaupt würden alle mittelalterlichen Urkunden Zelle und Loch noch gar nicht erwähnen. Wie dem auch vor Jahrtausenden gewesen sein mag, als es noch keine Sommerzeit und keine Quarzuhren gab und die Sonne deshalb eine Stunde früher aufging: Ein Kultplatz wird zum Kultplatz durch die Menschen, die sich dort treffen. Die beiden Läufer mit dem Sonnenrad am Hals ficht das alles nicht an, sie laufen immer noch. Die Externsteine sind heute ein Kultplatz.

Und dieser Platz macht dem aufmerksamen Beobachter etwas ganz anderes als die vermeintliche Einheit von Mensch und Kosmos sinnlich wahrnehmbar, nämlich die Einheit von faschistischer Ideologie und New Age, deren gemeinsamer Kultplatz dieses verhinderte Sonnenheiligtum ist. Die sorgsam gepflegten Sektenstreitereien enden hier vor dem göttlichen Kosmos, die Differenzen zwischen verschiedenen faschistisch-religiösen Gruppen - als Schutz vor dem Verfassungsschutz gegenseitig hochgespielt - verschwinden vor der gemeinsamen Irminsul. Der "Externsteinbund. Verein für Volkskunde und Ahnenerbe" verschickt Broschüren aus dem "Verlag Hohe Warte" der faschistischen Sekte "Bund für Gotterkenntnis - Ludendorffer", die in den 60er und 70er Jahren wegen ihrer antisemitischen Ausfälle verboten war. "Unser Herz gehört dem eigenen Volk, für fremde Völker haben wir weder Zeit noch Geld", heißt es trotzig-kleinlich im Begleitbrief. Solche Positionen vertritt man hier seit Jahrzehnten, nicht erst seit Hoyerswerda und Rostock oder Quedlinburg, wo - 60 Jahre vor den Rassenkrawallen der Neonazis - Heinrich Himmler am Grabe des Sachsen-Herzogs Heinrich den Beweis der Inkarnation suchte. Aus den Broschüren "Die Externsteine - ein Volksheiligtum" und "Die Irminsul im Felsenrelief der Externsteine" fällt dem ahnungslosen Freund der Naturreligion dann ein maschinengeschriebener Prospekt für die Schrift "Honsik: Freispruch für Hitler. 36 KZ-Insassen und Juden sagen: keine Vergasungen" entgegen. In einem der Heftchen wird für die Schrift "Kampf um ein Heiligtum. Der Irminsulgedanke und die religionsgeschichtliche Bedeutung der Externsteine" aus dem Verlag Hohe Warte geworben, die Bernhard Kummer verfaßte.

Kummer war ehedem "Schriftleiter der Nordischen Stimmen. Zeitschrift für nordisches Wesen und Gewissen" und ein herausragender Ideologe nazistischer Naturreligion. Er schrieb fleißig in den "Nationalsozialistischen Monatsheften", Herausgeber: der Nazi-Chefideologe Alfred Rosenberg. Bis zu seinem Tode 1961 arbeitete Kummer herausragend in der völkisch-rassistischen Sekte "Deutschen Unitarier Religionsgemeinschaft e. V." (DUR) mit, einem Sammelbecken neuheidnischer Rosenberg-Anhänger, die heute auf dem New Age-Trip nach verstörten Seelen fischen. Mitgründer und 1983 geistiges Oberhaupt dieser Sekte war der ehemalige Chefredakteur ("Schriftleiter") der "NS-Monatshefte", Eberhard Achterberg.

Die rassistische "Arbeitsgemeinschaft naturreligiöser Stammesverbände Europas" (ANSE) ist bei den Externsteinen mit von der Partie. Allerdings nennt sie die Felsen "Eggesternsteine". Immer wieder ruft die ANSE zur Teilnahme an der Sonnenwendfeier auf, die allerdings nicht in der Mittsommernacht, sondern offenbar aus Sicherheitsgründen kurz vorher oder nachher stattfindet: Man möchte nicht von AntifaschistInnen gestört werden. Das primitiv gemachte ANSE-Blatt "Huginn und Muninn. Deutschsprachige Midgart-Zeitung für europäische Religion, Kultur und Mysterien" ist benannt nach den beiden Raben der germanischen Mythologie, die auf Odins Schultern saßen und ihm einflüsterten. Es preist die Göttlichkeit der Blonden und Blauäugigen, wirbt für "Baumheilmittel" und "beste Vollwertöle" und sucht für das "Haus eines international bekannten Parapsychologen" - auch ein "Ort der Kraft" - als Käufer "eine spirituelle und verantwortungsvolle Gemeinschaft oder auch Einzelbewerber im Sinne des Wassermannzeitalters". "Leben im Einklang mit Natur und Kosmos" heißt hier die Devise, Gegner dessen seien Exponenten des "fischezeitlichen" Denkens. Das Blatt müht sich um nordamerikanische Indianer als artverwandte Naturreligiöse ebenso wie um die "Deutschen Unitarier", die ihrerseits von "Schwarzfuß-Indianern" Aufklärung über spirituelle Gemeinsamkeiten erbitten. Mit den Argumenten der ehemaligen Ehrenpräsidentin der "Deutschen Unitarier", der Erfinderin einer "eigenen Religion Europas" und Mitarbeiterin des "Thule-Seminars" der "Neuen Rechten", Sigrid Hunke, kritisiert "Huginn und Muninn" das angebliche Zurückweichen der DUR-Sekte vor antifaschistischen Angriffen. Dabei hatten die ideologischen Nachfolger Rosenbergs 1991 ihren "Unitariertag" schon ins bayrische Wolfrathshausen gelegt, wo die "Schriftleiterin" von "Huginn und Muninn", Sigrun Schleipfer, als "Sigrun Freifrau von Schlichting" bei der Volksbank das ANSE-Konto verwaltet.

Die DUR-Zeitschrift "glaube und tat" bezog sich 1970 mit einem Artikel und diesem Bild auf die Nazi-"Archäologie" an den Externsteinen in den Jahren 1934/35.
Das Bild zeigt die Nazi-Grabungen. Bildmitte: "Fels II" mit der Kammer, noch von Bäumen zugewachsen, rechts "Fels I" mit dem Relief und der "Irminsul".
Erst die Nazis machten aus den Felsen mitten im Wald durch Rodungen und die Anlage von Aufmarschplätzen die noch heute bestehende "Kultstätte".

Wie sehr die Völkisch-Religiösen versippt sind, zeigt z. B. auch das "Stammestreffen" der ANSE im März 1991 im Pinneberger "Gartenhaus", dem freien Tagungshaus des Grundschullehrers und Seminarleiters Günter Pahl aus dem schleswig-holsteinischen Pinneberg. Dieser Rechtsextreme im Öffentlichen Dienst war in den achtziger Jahren "Schriftleiter" der rassistischen Zeitschrift "unitarische blätter" der DUR-Sekte, die sich offen auf die Kirchenkämpfer um Rosenberg bezieht und nazistische Sonnenanbeter schreiben läßt. In Pahls "Gartenhaus" treffen sich häufig Gruppen der "Deutschen Unitarier". Das ANSE-Blatt berichtete nach dem "Stammestreffen" in Pinneberg über die gelungene Organisation und "das raffiniert-delikate rein pflanzliche Mahl aus heimischen Gemüsen und Salaten".

Sigrun Schleipfer ist naturmystische Multifunktionärin. Als "Schriftleiterin" der "Burg-Nachrichten" arbeitet sie für die "Gemeinschaft zur Erhaltung der Burgen und Burgengemeinschaft e. V.". Das Blatt berichtet z. B. über die weltweit deutscheste der deutschen Burgen, Schloß Neuschwanstein, als "Ort der Kraft", wo sich "unheimlich starke Strahlungen und positive Energiefelder" an der Stelle messen lassen sollen, auf der der Thron des bayrischen Märchenkönigs Ludwig II. stand. Als "Großmeisterin" des Armanenordens wirbt Schleipfer für die "Godenweihe", die "magische Auflösung der christlichen Taufe", wobei "die Mitgliedschaft bei anderen Heidengruppen" für die Teilnahme "kein Hindernis" sei. Der Armanenorden sieht sich in der Tradition des extrem rassistischen "Ariosophen" Guido von List, der um die letzte Jahrhundertwende die "Arier" zu Göttern erklärte. Mit seiner Zeitschrift "Irminsul" kämpft der Orden "für die Wiedergeburt einer Lebensgestaltung auf der Grundlage der naturgesetzlichen Weltordnung" und bekämpft andere, die "die freie Erkenntnis des göttlichen Universums durch starre Dogmen verhindern oder ersetzen wollen". In der Ehe suchen die Armanen "polare Ergänzung" der beiden reinrassig "arischen" Partner und versprechen nach Art vieler New Age-Sekten nie gekannte sexuelle Ekstase im "Yin und Yang"-Zusammenfall der geschlechtlichen Gegensätze, wenn die "polare Spannung" richtig gewählt war. Ähnliche Ansichten über die Polarität der Geschlechter vertrat auch Alfred Rosenberg, der sich allerdings mit der Beschreibung der ekstatischen Vereinigung der Geschlechter zurückhielt. Wie die nazistische Menschenzuchtanstalt der SS, so heißt ein "Heidnisches Mitteilungsblatt für artgerechten Glauben und Weltanschauung sowie das Bekenntnis für Natur, Volk und Heimatland", das in "Huginn und Muninn" wirbt, "Lebensborn". Es trägt als Logo dasselbe zwölfarmige Sonnenrad, das heute noch als Fußbodenmosaik in den Resten von Heinrich Himmlers Wewelsburg zu besichtigen ist.

Das Sonnenrad des SS-Kultraums der Wewelsburg (hier zusätzlich mit Totenkopf) aus einer Werbeanzeige des rechtsextremistischen "Nation-Europa-Buchdienst" für seinen "Bestseller": das Buch "Die Schwarze Sonne von Tashi Lhunpo" des SS-Mannes Karl Steiner, der "im tibetischen Kloster Tashi Lhunpo" nach der buddhistisch-nazistischen Einheit suchte, wie der Buchdienst hierzu schreibt.

Nicht nur "Huginn und Muninn", sondern auch die weit verbreitete New Age-Zeitschrift "esotera" zeigt den Zusammenhang von New Age und Faschismus. Der New Ager Roman Schweidlenka versuchte hier im Dezember 1991, unter einem Bild der Externsteine, das naturreligiöse Neuheidentum vom Faschismusvorwurf reinzuwaschen und den Nazis "Mißbrauch" vorzuwerfen. Offenbar war ihm der Inhalt des Armanen-Blattes "Irminsul" entgangen, dessen Titel er im Faksimile zur Illustration abdruckte. Der Chef der rassistischen Berliner "Heidnischen Gemeinschaft e. V.", Géza von Neményi kommt recht gut als Freund der Germanen und Indianer weg. Der 1958 geborene "Gode" Neményi wurde Mitte der achtziger Jahre im Zusammenhang mit der Zwangsauflösung des angebräunten Berliner Landesverbandes der Partei Die Grünen bekannt; er war als dessen Mitglied ein Auslöser der Streitigkeiten. Schweidlenka erwähnt in "esotera" zwar das Sonderheft des "Materialdienstes der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen" zum Neuheidentum, das ein paar Monate vorher - sogar mit einem Beitrag Schweidlenkas - erschienen war, verschweigt jedoch die dort aufgeführte Mitgliedschaft Neményis im faschistischen Armanen-Orden und den ebenfalls dort genannten Bezug von Neményis "Heidnischer Gemeinschaft" auf Mathilde Ludendorff, Gründerin des rassistischen "Bund für Gotterkenntnis - Ludendorffer".

Fast alle diese rechtsextremen Sekten tragen die Irminsul als Zeichen, ob Armanen, die rassistische "Artgemeinschaft" Jürgen Riegers, die "Deutsche Unitarier Religionsgemeinschaft" zeitweise, oder die Goden, eine Konkurrenzgruppe, der Sigrun Schleipfer früher angehörte. Alle wollen sie "kosmisch" sein und die anti-egalitäre Ordnung der Natur auch in der menschlichen Gesellschaft verwirklichen. Die persönliche Einheit mit dem Kosmos suchen sie an den Externsteinen.
 
Im zwei Kilometer entfernten Örtchen Horn haben sich einige heidnische Gruppen niedergelassen, um das Geschehen am "Kraftort" besser im Blick zu haben. Zentrale Anlaufstelle ist die antiquarische Buchhandlung und der Verlag von Burkhart Weecke, Chefredakteur der "neurechten" Zeitschrift "Elemente" aus dem Kasseler "Thule Seminar". In diesem unregelmäßig erscheinenden Blatt mit dem Untertitel "Elemente der Metapolitik zur europäischen Wiedergeburt" trifft sich die Crème des europäischen Neofaschismus um dessen theoretischen Kopf Alain de Benoist, der auch im "wissenschaftlichen Beirat" von Jürgen Riegers rassistischer Zeitschrift "Neue Anthropologie" sitzt. "Elemente" druckte Texte der Chefideologin der "Deutschen Unitarier", Sigrid Hunke. In der "Elemente"-Ausgabe zur "Wintersonnenwende 1990" steht ein Text des großen Vorbildes zahlreicher Alter Nazis aus der DUR-Sekte, des obersten NS-Rassisten Hans F. K. Günther, über "indogermanische Frömmigkeit". Hier finden sich auch Zeilen von Günthers Biographen, dem langjährigen Chef der "Unitarier"-Zweigorganisation "Freie Akademie e. V." und ehemaligen SS-Mann Lothar Stengel-von Rutkowski.
 

Irmunsul und Externsteine bilden eine Einheit
im rechtsextremen religiösen Bewußtsein.

Hier der Titel eines Propagandaheftchen für religiösen Nationalismus aus dem Ludendorffer-nahen Verlag Franz  von Bebenburg (1962, Pähl, Erstauflage 1953), das die Ausformung der Irminsul vom (christlichen) Felsrelief der Externsteine - wieder aufgerichtet statt gebeugt - ziemlich genau übernimmt. Bemerkenswert ist die ideologische Ungenauigkeit: anti-christliche, neuheidnische Sekten verwenden die Gestalungsform der christlichen Bildhauer des Mittelalters, richten die Säule aber wieder auf als Demonstration gegen die angebliche christlich-jüdische Unterwerfung und für nationales Selbst-Bewußtsein.

In Weeckes Buchladen kann man neben einschlägigen Klassikern Fotos der Externsteine kaufen, die zu jeder nur möglichen Sonnenwende aufgenommen wurden. Wir konnten in dem Antiquariat zahlreiche alte Ausgaben der "Unitarier"-Zeitschrift "glaube und tat" erwerben. In Weeckes Verlag erscheint ein Nachdruck der 1824 erschienen Schrift "Zur Geschichte der Externsteine" von Karl Theodor Menke, angeblich die "erste Monographie zum Thema". Weecke verlegt an neuen Büchern den Chef des "Thule-Seminars", Pierre Krebs ("Strategie der kulturellen Revolution") und den Ideologen der französischen "Nouvelle Droite", Guillaume Faye ("Unser Kampf für das künftige Reich"). Der Text zwischen den beiden Büchern in einer Werbeanzeige verrät das Programm der "Neuen Rechten": "Im Kampf gegen die universale Mischkultur muß man die nationalen europäischen Identitäten vereinigen, sie als einander ergänzend betrachten und sie nicht gegenüberstellen. Es gilt, die nationale Identität von oben (Europa) zu ergänzen und von unten (die Region) zu verankern."

Dafür sind die Externsteine richtig. Hier herrscht bereits Einheit in der Vielheit. Was viele noch als Gegensätze ansehen, das trifft man hier als "Yin und Yang": Faschismus und New Age, vereint auf der Grundlage der Naturspiritualität.  

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