Peter Kratz: "Die Götter des New Age.
Im Schnittpunkt von 'Neuem Denken', Faschismus und Romantik"
© 2002 Copyright by Peter Kratz.
Jede Verwendung des Textes  unterliegt dem Urheberrecht.
  
 
  2. Altes "Neues Denken"

Religiösität in Deutschland - Deutsche Religiösität:
Begriffe, Ideologen, Strömungen, Gemeinsamkeiten
 

      Inhalt des Kapitels 2:
 
      Warum dieses Buch?
      Die Grundthese des Buches
      Gemeinsame Bestimmungselemente von New Age und Faschismus
         - Organizismus
         - Dialektik von Versubjektivierung und
           Verobjektivierung des Individuums
         - Faustischer Mensch - Heroischer Realismus
         - Mystik
      Die christliche Seite
         - Evangelische Zentralstellefür Weltanschauungsfragen
         - Katholische Ordensbrüder
      Zu den sogenannten Jugendsekten
      Kapitulation der Linken
 

Die Bibel, "gebunden in Kunstleder mit Goldprägung und Goldschnitt", kann man neuerdings zur Weihnachtszeit bei der Einzelhandelskette "Aldi" kaufen, Discount-Preis: neunzehn Mark und achtundneunzig Pfennig. In einer Meinungsumfrage des "Spiegel" (1) vom Januar 1992 antworteten 52 Prozent der Westdeutschen und 27 Prozent der Ostdeutschen auf die Frage: "Welche Bedeutung hat die Religion in ihrem Alltagsleben" mit "Die Religion ist mir sehr wichtig" bzw. "ziemlich wichtig". Dagegen gaben nur 22 Prozent der Westdeutschen und sieben Prozent der Ostdeutschen an, "mindestens einmal im Monat" bzw. "jeden oder fast jeden Sonntag" in die Kirche zu gehen, während 62 Prozent der Ostdeutschen und neunzehn Prozent der Westdeutschen mit der Antwort, "nie zur Kirche zu gehen", ihre mangelnde Bindung an die christlichen Großkirchen bekannten. 62 Prozent der Deutschen sprachen sich für einen "Schlußstrich" unter die deutsche Vergangenheit bezüglich der Judenverfolgung durch die Nazis aus, nur zwanzig Prozent waren gegen einen solchen Schritt. Lediglich 25 Prozent der Deutschen zeigten keinerlei antijüdische Ressentiments bei der Beantwortung von sechzehn entsprechenden Fragen.

Bereits im Januar 1991 hatte die "Süddeutsche Zeitung" die Ergebnisse einer Umfrage unter den wiedervereinigten Deutschen veröffentlicht, bei der es die Möglichkeit gab, sich zu den "Werten der Nation" zu äußern: Wovon sollte es im neuen größeren Deutschland zukünftig mehr geben, wovon weniger? 32 Prozent der befragten Deutschen antworteten, es solle mehr "Religiösität" geben, nur neun Prozent wollten weniger davon. 29 Prozent fanden, es müsse mehr "Scham über die Verbrechen des Faschismus" gezeigt werden, achtzehn Prozent wollten hier weniger. Mehr "Scham über die Verbrechen des Sozialismus" wünschten sich 35 Prozent, weniger davon wäre zwölf Prozent lieber. 63 Prozent befanden, es müsse mehr "Toleranz gegenüber Andersdenkenden" geübt werden. (2)

Das vorliegende Buch liegt quer zu diesen Meinungen der Deutschen. Aber am meisten interessiert hier die Zahl derer, die mehr Religiösität im Alltagsleben wünschen. Sie zeugt von einem bemerkenswerten spirituellen Potential in der Bevölkerung, das offenbar in erheblichem Maße außerhalb der etablierten Religionen beheimatet ist. Die wachsenden Widersprüche in der nun fast global herrschenden bürgerlichen Gesellschaft führen offenbar nicht zu einer Politisierung. Aber auch die "Entzauberung" kultureller und gesellschaftlicher Phänomene, die Ulrich Beck 1986 in seinem Buch "Risikogesellschaft" beschrieben hat, findet sich in der Empirie nicht, eher ihr Gegenteil. Die Ohnmachtserfahrungen der Massen (3) führen im Reflex dazu, die gänzlich unharmonische Wirklichkeit spirituell zu harmonisieren, weil ihre Bedingungsfaktoren unverstandenen bleiben und sie deshalb letztlich als undurchschaubar und unbeeinflußbar fehl-begriffenen wird. Dies gilt auch und gerade für die stark verbreiterten gebildeten Mittelschichten, die in der Illusion leben, an gesellschaftlichen Entscheidungen mitzubestimmen und teilzuhaben. Ihre reale Ohnmacht gegenüber den materiellen Auswirkungen einer Politik, die sich mehr und mehr als Selbstbedienungsladen ihrer Akteure denn als Sachwalterin eines (immer schon vermeintlichen) Gemeinwohls darstellt, treibt vor allem Menschen aus den Mittelschichten zur "Wiederverzauberung" der Welt. Angesichts der seit Jahrzehnten leeren Kirchen in der alten Bundesrepublik und der nun wieder geleerten Kirchen in Ostdeutschland ginge eine Interpretation dieser Sucht nach dem Opium des Volkes fehl, die allein das abendländische Christentum berücksichtigte. Von "vagabundierender Religiösität" sprechen Experten der - noch - marktbeherrschenden Großkirchen, (4) die sich um die Wanderungsbewegungen derer sorgen, die doch eigentlich ihre Schäfchen sein sollten. An die gesellschaftlich überholte Weltanschauung des Feudalismus, das kirchlich organisierte Christentum, mögen sich ersichtlich weniger und weniger binden.

Im Sommer 1992 ergab eine weitere "Spiegel"-Umfrage, daß fast zwei Drittel der Ostdeutschen keiner Kirche angehören. Zehn Prozent aller Deutschen seien bereits nicht christlich getauft, nur noch 56 Prozent glaubten an den biblischen Gott, dagegen schon siebzehn Prozent an ein anderes "höheres Wesen". "Was nach der Aufklärung ein Problem für wenige war", so "Der Spiegel", "ist ein Problem für viele geworden: Glauben und Vernunft in Übereinstimmung zu bringen." Allein 1991 seien bundesweit 141 000 Menschen aus der evangelischen Kirche ausgetreten, eine halbe Million aus der katholischen Kirche. 1992 kehrten nach einem Bericht des Fernsehmagazins "report" vom September 1993 knapp 200 000 Katholiken ihrer Kirche den Rücken. Eine Allensbach-Studie vom Sommer 1993 ergab, daß jährlich eine halbe Million Christen austreten.

Dagegen zeigt die spirituelle Alternative Wachstum. Nach einer Umfrage des Bundesministeriums für Frauen und Jugend vom Sommer 1993 glauben 82 Prozent der westdeutschen Jugendlichen im Alter von vierzehn bis 27 Jahren, daß es einen Gott oder eine überirdische Macht gebe, ebenso 32 Prozent der ostdeutschen. Bereits zwölf Prozent des Umsatzes des deutschen Buchhandels entfallen auf Bücher aus dem Bereich des New Age. (5)  In jeder größeren Stadt gibt es inzwischen New Age-Buchhandlungen, jede größere Buchhandlung hat bereits ihre esoterische Abteilung, jeder Bahnhofskiosk bietet entsprechende Zeitschriften augenfällig an. Und sogar in der Bonner "Buchhandlung am Bundeshaus", in der sich Politiker und Journalisten mit Lektüre versorgen, finden Zeitschriften wie "Wassermann" oder "esotera" ihre Käufer.

Die angeblich besondere spirituelle Sendung der Deutschen wurde (christlich) schon in der "Heiligung" des Römischen Reiches deutscher Nation zur Schau getragen. Die ermöglichte eine Spiritualisierung des Staates, die außer beim Patrimonium Petri in Europa einzig dastand und von anderer Qualität war als die profane Landesherrlichkeit der Fürstbischöfe. Haben nicht auch einige Hopi-Indianer in ihrer bekannten mysteriösen "Prophezeiung" den Deutschen eine besondere spirituelle Tiefe und Begabung angedichtet? Von Paul de Lagarde, dem Vater der völkischen Bewegung in Deutschland am Ende des letzten Jahrhunderts, von dem hier noch viel die Rede sein wird, bis zu den Ökosophen heute (6) wird auch im Neofaschismus, nun antichristlich, auf diese "spirituelle Sendung der Deutschen" gesetzt. Seit neuestem wird hier und da über die wieder wachsende völkische Religiösität berichtet, (7) die den neuen Gottesglauben auf die lange verpönten deutschen, germanischen, heidnischen Füße des nordischen Mythos stellen will. Die vergrößerte Nation hat bereits darauf reagiert. Nach einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 26. Februar 1991 wurde der "geographische Mittelpunkt des vereinigten Deutschlands" neu vermessen. Dieser Punkt, der geopolitisch so wichtig ist für Landgewinner und Landvermesser, liegt nun nicht mehr im hessischen Ort Wahnfried, sondern im thüringischen Niederdorla. Deutsch bedeutungsschwanger wie der Name der bisherigen Stelle (8) ist auch der neue Platz: Am neuen gesamtdeutschen Mittelpunkt soll sich laut "FAZ" in der Zeit zwischen 600 vor und 800 nach Christus eine heidnische Opferstätte der Germanen befunden haben. Wenn das kein Omen ist!

Warum dieses Buch?

Die großen spirituellen Kongresse, "Bewußt Sein 88" bzw. als Ableger "Rat Tat Art" in Berlin und "Geist und Natur" in Hannover, fanden im Jahre 1988 statt. Die Gegenspieler hatten sich bereits ein Jahr zuvor in Frankfurt beim Kongreß "Zukunft der Aufklärung" getroffen. Die Veranstaltungen fanden ein breites Echo ebenso in der links beleumundeten Presse (z. B. "die tageszeitung", "Der Spiegel") wie in neofaschistischen Blättern (z. B. "MUT", "Criticon"). (9) Trotz der öffentlichen Aufregung, die sich in Ablehnung und anfänglichen Mißverständnissen ausdrückte, (10) waren die Kongresse "Bewußt Sein 88" und "Geist und Natur" nicht der Scheitelpunkt einer spirituellen Modewelle, sondern die öffentliche Dokumentation, daß eine bestimmte Weltanschauung sich in Deutschland (re-) etabliert hat. Diese Dokumentation war bedeutsam, denn in Deutschland hatte man sich bisher aufgrund der Erfahrungen mit dem Faschismus gegenüber der nicht-christlichen und ganzheitlichen Spiritualität eher abwartend verhalten. Die geistige Wende weg vom "westlich-rationalen" Denken war jedoch - das zeigten die Kongresse - bereits breit in den etablierten gesellschaftlichen Führungsgruppen vollzogen.

Letztlich sind die großen New Age-Kongresse im Zusammenhang mit dem "Historiker-Streit" als Teil der konservativen "geistig-moralischen Wende" einzuschätzen: Bei dem Versuch, die deutsche Geschichte vom Komplex Auschwitz zu entsorgen, hatte man angesichts zunehmender Gesellschaftskrisen die absehbare Notwendigkeit im Sinn, einen Teil der antiegalitären, rechtsextremen Herrschaftsstrategien vom Odium der Nazi-Verbrechen zu reinigen. Hierdurch sollte ermöglicht werden, sie wiederzuverwenden. Entsprechend soll die wieder hervorgekramte spirituelle Grundlage des Faschismus im modischen New Age-Gewand die weltanschaulich-ethische Verankerung einer unsozialen und unchristlichen, allein dem Kapitalinteresse verpflichteten neokonservativen Politik gewährleisten.

"Bewußt Sein 88" wurde vom damaligen Berliner CDU-Senat mit 100000 Mark finanziert, die Berliner Kongreßhalle kostenlos bereitgestellt. (11) "Geist und Natur" wurde vom damaligen niedersächsischen CDU-Ministerpräsidenten und Stellvertreter Helmut Kohls im CDU-Vorsitz, Ernst Albrecht, angeregt, durchgeführt und gesponsert. (12) Albrecht ist selbst Sohn eines Mystik-Experten und war Schirmherr dieses Kongresses für die Eliten aus "Politik, Wirtschaft und Kultur", der von der CDU-Stiftung Niedersachsen ausgerichtet wurde. (13) Die Eliten waren dankbar, daß Albrecht in seiner Festrede insbesondere das Zusammenwachsen des Planeten Erde durch Hochtechnologie zum Anlaß nahm, das ganzheitliche Denken zu beschwören, denn schließlich verdienen die High Tech-Konzerne an Telekommunikation, Flugzeugbau, Atomtechnologie und Satellitenstarts. "Die Erklärung des Atomkerns hängt immer vom gesellschaftlichen Zweck ab, dem sie dient", verriet ehrlich der japanische Physiker Watanabe das hintergründige Ziel einer Respiritualisierung der Gesellschaft auf der Basis der Quantenphysik, wie sie im New Age betrieben wird. (14) Die wissenschaftlich und "spirituell" hochkarätig besetzten Kongresse ließen nur noch Alibi-Nischen für Rationalisten: In Hannover wollte Karl Popper eine Lanze für die Vernunft brechen, wurde aber ausgebuht. Er verstand sich wohl in der Nachfolge des "Wiener Kreises", der bereits in den zwanziger Jahren als einzige namhafte Denkrichtung außerhalb der Linken gegen den gesellschaftlich hegemonial gewordenen Irrationalismus in Wissenschaft und Politik aufgetreten war - gegen eine damalige "New Age"-Bewegung, von der wir noch hören werden. In Berlin stellte sich Josef Huber gegen "Verdunkelungsstrategien", die "unangenehm ans Dritte Reich erinnern", erntete aber nur das Unverständnis der anwesenden Hopi-Indianer-Prominenz. (15)

Wenn das "Neue Denken" bereits in den achtziger Jahren mit solchen Verbündeten des Establishments auftreten konnte, sollte der gegenwärtige Sekten- und Psycho-Boom in den "neuen Bundesländern" weit weniger erstaunen. (16)  Die Aufgeregtheiten um die "Kornkreiszeichen", die selbst das Ungeheuer von Loch Ness beschämten, oder das breite Vordringen von New Age-Versatzstücken in Theorie und Politik auch der Linken zeugen ebenso von einer anhaltenden und gesellschaftlich hegemonial werdenden Bedeutung der neuen/alten Spiritualität wie die mittelalterlich-christlich fundierten Entwicklungen in Osteuropa oder der Wahlsieg der islamischen Heilsfront im ehemals sozialistischen Algerien. Die Linke täte gut daran, sich nicht nur auf den Angriff der Geister einzustellen und sich entsprechend zu bewaffnen, sondern den Kampf auch aufzunehmen.

Die Rechte hat längst begriffen, was die Respiritualisierung für ihre politischen und ökonomischen Ziele bedeutet. Der konservative Historiker Thomas Nipperdey wurde als Gegner des marxistischen Flügels der "68er"-Bewegung und als Gründungsmitglied des "Bund Freiheit der Wissenschaft" bekannt. Er hat vor kurzem in mehreren Veröffentlichungen die parallele Entwicklung um die letzte Jahrhundertwende untersucht und mit deutlicher Sympathie beschrieben, gerade so, als solle sie zu einem Beispiel für das heutige "Fin de Siècle" aufgebaut werden. (17) Das damalige Auftreten von romantizistischer Kulturkritik, völkischem Neuheidentum und völkischem Protestantismus, Reformkatholizismus, in der Gegenbewegung die weltlichen Herrschaftsansprüche des katholisch-"fundamentalen" Ultramontanismus, aber auch der Versuch christlicher Modernisierer, durch die Gründung von Arbeiter-, Frauen- und Jugendvereinigungen sowie Pressegründungen zugunsten der Religion organisatorische Antworten auf die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse zu geben - all dies sind für Nipperdey nicht etwa grundsätzlich antimodernistische Tendenzen, sondern eine letztlich im Interesse der ökonomischen und politischen Eliten des Kaiserreichs liegende "postmoderne Modernität". (18)  Nipperdey untersucht die damals teilweise ins Bodenlose sinkenden Besuchsfrequenzen von Gottesdienst und Abendmahl und bemerkt: "Dazu kam schließlich die wachsende Ablösung von der Kirche bei Leuten aus den Bildungsschichten, in einer Fülle von Selbstzeugnissen und Beschreibungen festgehalten" - eine Ablösung der Eliten eben. Er konstatiert eine "Entkirchlichung" und "Entchristlichung" im Kaiserreich: "Die Deutschen hören auf, in ihrer Mehrheit Christen zu sein, oder wenigstens: sich als Christen zu verstehen". (19)

Das "Yin und Yang"-Zeichen als Symbol der Einheit der Gegensätze
aus der asiatischen Philosophie
und das "Sonnenrad"
der Deutschen Glaubensbewegung der 30er Jahre

Die damalige, deutsch-völkisch verstandene Alternative hieß "Welt- und Allfrömmigkeit". Nipperdey sieht in der "Rückkehr zur Natur" und dem Bestreben nach "moralische(r) Vervollkommnung durch die Evolution" religiöse Elemente, "ebenso wie die gern gesuchte Beziehung zum Pantheisten Goethe". (20)  Solche Entwicklungen hatten nach Nipperdey damals "beträchtlichen Einfluß in der verunsicherten Bildungswelt" und seien "typisch für die Mentalitätslage vor 1914. Weltseele und Weltgeheimnis waren Faszinationsworte" (21) wie heute der im links-grün-alternativen Bereich und bei wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Eliten gleichermaßen verbreitete Geist von Gaia oder die kosmische Religiösität. Jürgen Habermas hatte schon 1987 beim Frankfurter Kongreß "Zukunft der Aufklärung" vor den Gemeinsamkeiten gewarnt, die für die Linke gefährlich werden: "Wie kommt es gerade hierzulande zu einer großen Koalition der Aufklärungskritiker, in der sich die braunen, schwarzen und grünen Ränder berühren?" (22)

Nicht die gemäßigte, sondern die extreme Rechte war zuerst da, als es in den siebziger und achtziger Jahren galt, das alte "Neue Denken" für die Zukunft wieder herzurichten, an die geänderten Verhältnisse zum Ende des zwanzigsten Jahrhunderts anzupassen und damit politisch und ökonomisch fruchtbar zu machen. Das Buch "Europas andere Religion" der Alt- und Neofaschistin Sigrid Hunke aus dem Jahre 1969, das uns im 3. Kapitel beschäftigen wird, war ein Startschuß. Es verhalf seiner Autorin zur Vize- und Ehrenpräsidentschaft über die völkisch-rassistische Sekte "Deutsche Unitarier Religionsgemeinschaft e. V.", die im 5. Kapitel näher untersucht werden wird. Hunke genießt hohes Ansehen von Rudolf Bahro bis zum konservativen (statt christlichen), eigentlich schon konservativ-revolutionären Flügel der CDU. Die rechtsextremistische Zeitschrift "Nation und Europa" würdigte Hunke im April 1993 zu ihrem achtzigsten Geburtstag. Der im französischen Konservativismus der Gegenwart bis in die Regierungen Chirac und Balladur einflußreiche Alain de Benoist, Kopf der französischen "Nouvelle Droite" und darüber hinaus des europäischen Neofaschismus, zog 1981 unter Bezug auf Hunke mit den Buch "Comment peut-on être paien?" nach, das vom "Thule-Seminar" im neofaschistischen Grabert-Verlag 1982 unter dem Titel "Heide sein - zu einem neuen Anfang" sogleich in der Sprache der angeblich spirituell besonders Berufenen herausgebracht wurde. Die anscheinend über enorme Finanzmittel verfügende neofaschistische Zeitschrift "MUT" befindet seit einigen Jahren auf dem Weg zu einer Vermittlerposition zwischen dem sich erneuernden "ultramontan" christlich orientierten und dem bereits modernisierten, eher in der Tradition des völkischen Protestantismus und des Neuheidentums stehenden Teil des Konservativismus/Neofaschismus. Heute gibt es kaum einmal eine Ausgabe von "MUT", in der nicht ein Artikel zur Respiritualisierung steht, mal aus christlicher, mal aus völkisch-pantheistischer, mal aus New Age-Sicht. Warum wohl?

Die Grundthese des Buches

Wir gehen davon aus, daß New Age und Faschismus in wesentlichen ideologischen Komponenten identisch sind und beide in ihren gleichartigen objektiven praktischen Folgen den Kapitalinteressen dienen. Der verbreiteten These vom "Mißbrauch" bestimmter Ideologeme durch den Nationalsozialismus, wie sie z. B. von Roman Schweidlenka behauptet wird, treten wir entgegen. Wir sehen statt dessen den folgerichtigen Gebrauch der gemeinsamen Komponenten im historischen Faschismus - theoretisch und praktisch -, im Neofaschismus und im New Age. Das wird im dritten Kapitel thesenhaft zu zeigen sein an den inhaltlichen Übereinstimmungen von New Age-Autoren und -Aposteln wie Pierre Teilhard de Chardin, Erich Fromm, Fritjof Capra, Rudolf Bahro, Hubertus Mynarek u. a. mit klassisch faschistischen Ideologen wie Paul de Lagarde, Houston Stewart Chamberlain, Ernst Krieck u. a. sowie neofaschistischen Ideologen der "Neuen Rechten" wie Alain de Benoist, Sigrid Hunke, Guillaume Faye u. a.

Die ideologischen Identitäten können die zahlreichen aktuellen und historischen Berührungspunkte zwischen (Neo-) Faschismus und New Age bzw. seinen Vorläufern erklären und führen zu der These, daß die so "sanft" erscheinende New Age-Ideologie in Zukunft weit besser die Funktion der faschistischen Ideologie übernehmen kann, eine neue autoritäre, antidemokratische und gegen die Gleichheitsforderungen der Menschen gerichtete Gesellschaft herbeizuführen, weil sie von den abstoßenden Verbrechen (noch) unbelastet ist. Wir schließen hiermit auch an die historische Tatsache an, daß die frühen "New Age"-Ideologen und die Scharen ihrer Mitläufer in der völkischen und Lebensreformbewegung schließlich im wesentlichen zum Faschismus und nicht zur Linken stießen. Der These steht nicht entgegen, daß sich prominente IdeologInnen des Neofaschismus wie z. B. Sigrid Hunke (23) plakativ gegen das New Age als angeblich "amerikanisch" statt arisch-europäisch aussprechen, denn sie argumentieren inhaltlich identisch. Auch der Rückgriff auf Autoren und Wissenschaftler wie Erich Fromm oder Albert Einstein, die als Juden vor den Nazis emigrieren mußten und deren inhaltliche Positionen von einigen Fraktionen des Nationalsozialismus kurzsichtig als "nicht arisch" bekämpft wurden, spricht nicht dagegen. Eine bestimmte Einstein-Interpretation zählt heute z. B. zu den Grundpfeilern "neurechten" Denkens

Die Definitionen der Begriffe New Age und Faschismus bereiten allgemein Schwierigkeiten. Zweifellos handelt es sich um (jeweils) einen weltanschaulich "breiten Strom" mit teilweise sich bekämpfenden Fraktionen, die unterschiedliche Schwerpunkte in Ideologie und Praxis setzen. So ergibt sich ein verschwommenes Bild, das wünschenswert klare Begriffe ausschließt.

Als gänzlich unzureichend erscheint uns die klassische Definition Georgi Dimitrows vom Faschismus als "offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals", (24)  die die faschistische Ideologie und Gesellschaftsform unangemessen auf eine historische Entwicklungsphase der Industriegesellschaft festschreibt, weil sie den Terror betont. Dies mag für das damalige Europa berechtigt gewesen sein, in dem eine hegemonial tätige Bewußtseinsindustrie noch nicht entwickelt war und infolge tiefgreifender materieller Krisen die Stabilität kapitalistischer Herrschaftsverhältnisse nur durch physischen Terror gewährleistet werden konnte. Die derzeitige gesellschaftliche Situation jedenfalls in Westeuropa entspricht dem nicht, obwohl hier ideologisch wie praktisch auf faschistische Versatzstücke zurückgegriffen und die Wiederverwendung faschistischer Politikelemente nach deren "Entsorgung" von den damaligen Verbrechen betrieben wird. (25)

Die Linke hat den Faschismus bisher zu einseitig bloß als Herrschaftsform des Kapitals gesehen und dabei seine Funktion als Weltanschauung, die auch individuelles Handeln "ethisch" (oder besser: unethisch) leitet, wenig zur Kenntnis genommen. Allenfalls wurde die faschistische Weltanschauung von einer linkselitären Position her mit Hilfe von Blütenlesen aus Hitlers "Mein Kampf" lächerlich gemacht, statt die Argumentationsmuster faschistischer Welterklärung herauszuarbeiten und zu kritisieren. Ein grundlegendes Werk zum Verständnis faschistischer Ideologie wie "Zerstörung der Vernunft" von Georg Lukács wurde von wortführenden Salonsozialisten und Linksliberalen der materiell befriedeten akademischen Mittelschichten als angeblich stalinistisch abgelehnt und nachfolgend erst gar nicht mehr zur Kenntnis genommen. Die Pflege der "stadtneurotischen" Leiden und des vemeintlichen "Kunstgenusses" waren wichtiger, auf einen Carl Gustav Jung oder einen Stefan George mochte man daher nicht verzichten. Diese Haltung zum Faschismus hat sich bereits durch den Aufstieg der "Neuen Rechten" in den siebziger und achtziger Jahren gerächt. Als einem Verursachungsfaktor ist ihm bereits der andauernde, durch die Hegemonie des "geistig-moralisch gewendeten" Zeitgeistes mitbedingte Machtverlust des systemtragenden Teils der Linken zuzurechnen.

Die "Neue Rechte" wurde von der Linken so lange nicht als neofaschistisch wahrgenommen wurde, bis es zu spät war und sie inzwischen Einfluß bis in die Linke hinein gewonnen hat. Wir werden den Faschismus-Begriff im folgenden sehr weit im Sinne des "Knäuels" von Armin Mohlers "Konservativer Revolution" benutzen und damit auch diejenigen Vorläufer und Zuarbeiter erfassen, die vom späten Nationalsozialismus mitunter sogar verfolgt wurden, von Mohler aber zum breiten Strom des Faschismus/der Konservativen Revolution gerechnet werden. Wir stehen damit auch im Einklang mit Hans-Jürgen Lutzhöft, der in seinem Buch "Der nordische Gedanke in Deutschland" schreibt: "'Konservative Revolution' oder 'Faschismus' - das ist kaum mehr als ein Streit um Worte". (26)

Wir betrachten darüber hinaus den Faschismus nicht als Alternative zu anderen, "weicheren" Herrschaftsstrategien der Rechten, sondern aufgrund der Erfahrungen mit der Breite und dem Einfluß des historischen Faschismus und der aktuellen "Neuen Rechten" als Teil eines Kontinuums rechter Herrschaftsstrategien. Als der maßgebliche Unterschied und deshalb als wirkliche Alternative zu einem Kontinuum linker Politik erscheint uns hierbei die Ablehnung des Konzeptes der Gleichheit der Menschen. Insofern werden christliche Konservative, die von dem Verständnis der Gleichheit der Menschen vor Gott aus Politik machen, diesseits der "Barrikade" gesehen.

Definitionsversuche von New Age können rundheraus als gescheitert angesehen werden. (27)  Es ist angesichts der vielhundertjährigen Geistesgeschichte dieser Weltanschauung gänzlich unzureichend, das New Age auf die Theosophie der Helena Blavatsky als "Mutter des modernen New Age" zu reduzieren. Auch eine historisierende Rückführung auf die spätantike Gnosis, die das New Age seines heutigen politischen Potentials entkleidet, greift zu kurz. (28)  Der neblige Begriff ist inzwischen zu allem gut. Die einschlägigen Zeitschriften der New Age-Szene bekommen vom "Neuen Denken" Gorbatschows bis zum Satanismus, von christlich-mittelalterlicher, indianischer oder auch asiatischer Mystik bis zur Astrologie und dem "arischem" Neuheidentum alles unter diesen Hut, was irgendwie spirituell in Opposition zu den etablierten christlichen Hauptströmungen steht. Aber selbst dies muß noch relativiert werden, wenn z. B. der "Mutter Erde e. V." von Papst Johannes Paul II. über Fritjof Capra bis Bhagwan/Osho alles zur "Selbstdarstellung" bemüht, was spirituell Führerschaft beansprucht. (29)  "New Age" wird von New Agern inzwischen auch gern als Schimpfwort benutzt, um sich von konkurrierenden Fraktionen abzugrenzen, (30)  und ist dennoch gleichzeitig im Alltags- wie im wissenschaftlichen Verständnis (31)  ein Sammelbegriff, der - passend - vor allem durch seine geheimnisvolle Anmutung Verstehen heischt. Einig ist man sich weitgehend im Anspruch des New Age auf politische Wirksamkeit, darauf, Teil der "neuen sozialen Bewegungen" zu sein, bis hin zur synonymen Verwendung des Begriffs "Alternativbewegung" bzw. des Ausspielens dieser Begriffe gegeneinander. (32)

Als ungeeignet muß das modisch gewordene Wort des Fundamentalismus verworfen werden, das insbesondere von liberaler Seite in totalitarismustheoretischem Sinne parteipolitisch instrumentalisiert wird. Dem Begriff, der eigentlich für eine streng bibelgläubige antimodernistische christliche Bewegung des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts geprägt wurde, fehlt jede analytische Schärfe, wenn er vom New Age bis zur Islamischen Heilsfront, von Rainer Trampert bis Rudolf Bahro alles subsummieren will, was sich nicht in den Konsens des deutschen Establishments einpassen läßt, (33) oder schließlich marxistische Positionen ebenso umfassen soll (bei dem Liberalen Ralf Welt) wie neofaschistische (bei dem Sozialdemokraten Arno Klönne). Ralf Welts Definition vom grundsätzlich vernunftfeindlichen, militanten, moralisch rigorosen und intoleranten Fundamentalismus funktioniert eben in der Praxis nicht, weder beim Marxismus (hier schon mal per se nicht) noch bei unserem Thema. Das soll selbstverständlich nicht heißen, daß Bestimmungsmomente aus der Theorie des Fundamentalismus nicht auch zentral für unsere Fragestellung wären, wie z. B. "die Rückkehr des Absoluten in die Politik" (Thomas Meyer), also die angestrebte Unhinterfragbarkeit politischer Entscheidungen durch ihre Vergöttlichung im Interesse der Herrschenden, oder die Tatsache der "'Kriegserklärung' an die politische Kultur einer demokratischen Gesellschaft" (Ralf Welt).

Der Aufsatz "Europäische Moderne und islamischer Fundamentalismus" von Bassam Tibi in der Dezembernummer 1991 der sozialdemokratischen Theoriezeitschrift "Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte" macht deutlich, wie sehr der Begriff "Fundamentalismus" vernebelt statt zu erklären. Statt die islamische Form des Faschismus als solchen zu benennen, führt Tibi das Konzept der "Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen" ein, das den Begriff des "Fundamentalismus" erläutern soll. Zwar spricht er vom "islamischen Erwachen" als dem anfänglichen Kampfbegriff der Muslime für diese Bewegung, führt ihren imperialen Anspruch einer völkisch-religiös fundierten "Neuordnung" der Welt bzw. eines Ausschnitts der Welt und das Herrenmenschen-Bewußtsein an. Er verweist auch implizit auf grundlegende existentialistische Konzepte im islamischen "Fundamentalismus", die sich ebenso schon bei dem deutsch-völkischen Neuheiden Martin Heidegger finden lassen. (Das Völkische kommt immer nur je spezifisch hin, um die überall gleiche wahre Absicht zu verschleiern, eine autoritäre Herrschaft errichten zu wollen.) Doch scheint ihm der religiöse Hintergrund des historischen wie aktuellen Faschismus Europas nicht bekannt zu sein, auch sieht er nicht die Parallele zum politisch und spirituell gemeinten "Deutschland erwache!", die sich doch aufdrängt.

Tibis Bemerkung, monotheistische Religionsgemeinschaften seien universalistisch, d. h. sie strebten weltweite Geltung an, zeigt sein Unverständnis religiös-politischer Zusammenhänge: Den "arischen" Pantheismus des nordischen Mythos z. B. verstehen seine Vertreter, etwa Sigrid Hunke oder Alain de Benoist, radikal monotheistisch und ebenso radikal anti-universalistisch, nur für "arische" Nordeuropäer angemessen. Der Universalismus ist in dem Islam, der Herrschaftsansprüche stellt, etwa so zu bewerten, wie der Universalismus in dem Christentum, das von der Bergpredigt abgekommen ist: kolonialistisch, imperialistisch. Man mag Tibi zugute halten, daß sein Blick durch die iranischen Erfahrungen getrübt ist. Der Kompromiß zwischen der pragmatischen Modernisierungsfraktion des Faschismus um die heimischen Kapitalien mit der völkisch-spirituellen Ideologiefraktion der Geistlichen im engeren Umfeld des Imam Khomeni vollzog sich im Iran erst nach dem Sieg der letzteren und unter dem Druck der ökonomischen Verhältnisse, während die Auseinandersetzungen zwischen diesen beiden Fraktionen z. B. in Deutschland bereits vor dem Machtantritt des Faschismus im wesentlichen zugunsten des Kapitalinteresses entschieden war. (Auch die Röhm-Affäre war hier mehr eine Demonstration, weniger das sich Erwehrenmüssen der pragmatischen Nazis gegen die ideologischen, denn die Herrschaft der ersteren war ja in Wahrheit gar nicht gefährdet.)

Unverzeihlich ist diese Blindheit Tibis gegenüber dem wahren Wesen seines "Fundamentalismus" als Faschismus jedoch spätestens dann, wenn er den Zweiten Golfkrieg zu einem religiösen Phänomen, gar zum islamischen Heiligen Krieg uminterpretiert. Er will nicht wahrhaben, daß es eine kriegerische Auseinandersetzung des westlichen Imperialismus mit den widerstreitenden imperialistischen Bestrebungen der inzwischen industrialisierten und zu Mittelmächten herangewachsenen Kapitalien der islamischen Welt war und ist, ein Konflikt also, der in einem anderen Maßstab durchaus seine Parallelen zu den beiden großen Kriegen des zwanzigsten Jahrhunderts in Europa hat. Diese Sicht gilt um so mehr, als sich für den "Westen" inklusive Japan bereits mögliche Zugriffe auf die Bestandteile der zerfallenden UdSSR abzeichneten, und in deren "frei" werdenden islamischen Gebieten ("frei" für die ökonomische Ausbeutung durch die starken, weil entwickelten Kapitalien) die ideologisch und geographisch näher liegende Konkurrenz industrialisierter Mittelmächte des Mittleren Ostens verhindert werden mußte. Diese Mittelmächte bilden eine Konkurrenz, die auch in der "Dritten Welt" mit gutem Image auftritt und sich nach innen mit völkisch-religiösen Terrordiktaturen absichern kann, während im liberalen "Westen" immer mit innenpolitischen Unsicherheiten und dadurch bedingten Konkurrenznachteilen zu rechnen ist. Die amerikanisch-europäisch-japanische Propaganda, Saddam Hussein mit Adolf Hitler zu parallelisieren, hat hier sicher ebenso einen wahren Kern, wie der Kriegseintritt der USA in den Ersten und in den Zweiten Weltkrieg eben auch - und zuerst - den imperialistischen Interessen des US-Kapitals diente.

Die Argumentation Tibis erweckt dagegen den Eindruck, als wäre der Zweite Golfkrieg eine Auseinandersetzung um Weltanschauungen gewesen, gerade so, als ob das US-amerikanische Kapital in den Zweiten Weltkrieg gegen Nazi-Deutschland eingetreten sei, um gegen die Ideologie des Faschismus zu kämpfen, die ihm doch andernorts - Spanien, Lateinamerika, Türkei - so nützlich war und ist. Die islamische völkisch-religiöse Antipathie gegen die Moderne als emanzipatorische Moderne des Westens ist daher nicht als der "fundamentalistisch-kulturelle" Motor des Zweiten Golfkriegs anzusehen, wie Tibi dies tut, sondern nur als die altbekannte, wenn auch neu gekleidete, ideologische Rechtfertigung für einen ökonomisch statt spirituell angetriebenen imperialistischen Krieg gegen ein anderes Imperium.

Schließlich muß auf die überall verbreitete Ableitung des New Age aus der Romantik eingegangen werden, (34)  die das Problem wiederum um eine politische Dimension verkürzt. Der Hinweis auf romantische "Zeitgeist"-Schübe - vorgreifend zu der die klassische Romantik bestimmenden Gotik und endend bei neoromantischen Erscheinungen der letzten Jahrhundertwende, der zwanziger Jahre (Lebensreform) und der jüngsten Zeit (Hippie-Bewegung) - als Quelle von New Age und (Neo-) Faschismus hat sicherlich Berechtigung und Erklärungswert. Die romantische Idee des harmonischen, idyllischen "Goldenen Zeitalters" findet sich durchaus in New Age-Vorstellungen, etwa bei Hubertus Mynarek, (35)  wieder. Der Rückgriff auf die Romantik macht jedoch weniger Sinn beim Vergleich angeblich ähnlicher "Kultur-" oder "Sinnkrisen", "antimodernistischer" bzw. "gegengesellschaftlicher" Bewegungen, bei denen Einkehr ins Innerliche, Hinwendung zum Magischen mit enttäuschter Abwendung von der widersprüchlichen gesellschaftlichen Wirklichkeit einhergehen, als vielmehr beim Betrachten ihrer objektiven gesellschaftlichen Wirkungen.

Tatsächlich stellen die antimodernistischen Bestrebungen nach unserer Ansicht weder bei den Vordenkern der Romantik noch in der völkischen und der New Age-Bewegung die wesentlichen Positionen dar. Vielmehr sind diese Gesellschaftsentwürfe - unterhalb der bloßen Erscheinungsebene ihrer angeblichen Weltabgewandtheit - ihrem Wesen nach als Gegenbewegungen nicht gegen die Moderne, sondern gegen die Linke zu erkennen. Sie sind ideologische Stützen von Restaurationsphasen der Eliten, die zwar von den politischen Forderungen der Massen in ihrer Herrschaft bedroht, nicht aber entmachtet sind, deren Existenzgrundlage der rationale Kapitalismus und die bürgerliche Gesellschaft (damals: der feudal-bürgerliche Kompromiß) sind. Diese Eliten wissen um diese rationalen Grundlagen ihrer Herrschaft. Bemerkenswerterweise tauchen die scheinbar antimodernistischen Bestrebungen begleitend zu oder als Vorboten von Modernisierungsschüben auf, in denen der Großteil des gesellschaftlichen Kapitals nicht für Soziales ausgegeben wird, sondern um diese diese Modernisierung zu finanzieren. Die Ansicht von der Religion als Opium des Volkes meint, die romantische Gegenmoderne wende sich von den realen Problemen des Modernisierungsschubes ab. Ergänzend wollen wir die Bedeutung solcher Ideologie für die Modernisierung betonen, und zwar als Opium für das Volk - als Versuch, diejenigen einzubinden, die unter den sozialen Auswirkungen leiden - und ebenso als Opium für die Eliten, die ihr Modernisierungshandeln ethisch-sinnstiftend unterfüttern wollen.

Es ist immer wieder dasselbe Programm seit dem ausgehenden achtzehnten Jahrhundert, in allen bürgerlichen Gesellschaften Europas und Nordamerikas: (36)  Die gerade befreiten Menschen soll wieder eingebunden, notfalls wieder an die alten Dämonen gekettet werden. Denn die freien Individuen werden dem herrschenden Bürgertum gefährlich, wenn sie im Bewußtsein ihres Frei-Seins als teilweise verelendete Massen und als mit diesen solidarische Fraktionen der Eliten nun politische und soziale Freiheiten praktisch einfordern. Vor allem die Ideologie des Organizismus dient dazu, sie wieder einzubinden. Über seine zentrale Rolle in der romantischen Weltsicht wird heute immer wieder hinweggesehen. Er erscheint uns als die wesentliche Übereinstimmung mit New Age und Faschismus. Mit dieser Ideologie wird nicht mehr das Austragen der gesellschaftlichen Konflikte, sondern ihre Harmonisierung betrieben - und zwar auf Erden und zu Lasten der Mehrheit der Bevölkerung. Die Erlösung der Welt aus der Zerrissenheit ihrer materiellen Gegensätze, von denen die Gesellschaft nach dem (Teil-) Sieg des Bürgertums gekennzeichnet ist, das Aufgehen des Einzelnen in der unendlichen Einheit der Gegensätze statt seines Kampfes um die Erfüllung seiner berechtigten materiellen Forderungen, die Bindung des Individuums an seinen Einklang mit einem angeblich natürlichen Gesamtzusammenhang, die Hinwendung zu einer ganzheitlich gesehenen Natur als vermeintliche Garantin der realgesellschaftlich entbehrten Harmonie, das Erstreben der Vereinigung des Individuums mit dem Universum als Möglichkeit zur Teilhabe am Glück, an Gott (37)  - all dies sind Vorstellungen, die für die Neuzeit zuerst in der nachrevolutionären Phase zu Beginn des letzten Jahrhunderts als organizistische Staats- und Gesellschaftsvorstellungen direkt politisch wurden, wenn auch teilweise noch - äußerlich - im christlich-katholischen Gewand der Metternich-Zeit. Es ging gegen die Forderungen nach Freiheit, Gleichheit und Solidarität aus der Amerikanischen und Französischen Revolution.

Der Wunsch, das Individuum in die als natürlich-unhinterfragbar verstandene organizistische Ganzheit einzubinden, trat bereits in der Romantik als Kritik der "Atomisierung" der bürgerlichen Gesellschaft in lauter gleiche Einzelne auf. Heute finden wir dies als zentrale Grundlage von (Neo-) Faschismus und New Age wieder. In der Staatsphilosophie und der Gesellschaftslehre der Romantik hat der Organismus-Begriff aber nicht nur eine zentrale Stellung, er gerät - z. B. bei Adam Müller - im Gegensatz zum mittelalterlichen Organizismus sogleich in völkisches Fahrwasser, wenn die vom "gewachsenen Volkstum" - und nicht, wie in der Französischen Revolution, vom freien Zusammenschluß der Individuen - her definierte "Nation" das Anwendungsfeld der Organismus-Metapher ist. Zur Rechtfertigung der organizistischen Metternich-Welt benutzten Romantiker wie Friedrich Schlegel die Elemente einer angeblichen "indogermanischen" Weltanschauung, die sie selbst seit dieser Zeit aus Vergleichen "germanischer" und indischer Texte herauskonstruierten - in Wirklichkeit sahen sie jedoch meist das politisch Gewollte und Benötigte in die indischen Texte hinein. (38)  Schon Heinrich Heine bemerkt 1835 in seiner Schrift "Die Romantischen Schule" zu Schlegels grundlegendem Buch "Weisheit und Sprache der Inder" kritisch: "Es ist im Interesse des Katholizismus geschrieben. Nicht bloß die Mysterien desselben, sondern auch die ganze katholische Hierarchie und ihre Kämpfe mit der weltlichen Macht hatten diese Leute in den indischen Gedichten wiedergefunden." Und vorher: "Diese Herren betrachteten nämlich Hindostan als die Wiege der katholischen Weltordnung, sie sahen dort das Musterbild ihrer Hierarchie." (39)  Wir kommen auf solche Konsequenzen aus "indischem" Denken am Ende des 3. Kapitels zurück.

Daß sich die naturreligiös-pantheistisch begonnene Romantik dann doch dem katholischen Metternich-System zuwandte, zeigt nicht nur den Opportunismus ihrer Vertreter, sondern auch die Kompatibilität bestimmter Denksysteme, die uns auch weiterhin in diesem Buch begegnen wird. Sie mag ein Grund dafür sein, daß vor allem die kirchliche New Age-Kritik den Aspekt des Organizismus und seiner antidemokratischen Folgen gerne außen vor läßt: Eine solche Kritik träfe diese Kritiker im gleichen Maße. In diesem Zusammenhang ist auch der Versuch Gerd-Klaus Kaltenbrunners für eine aktuelle Wiederverwertung Schlegels bemerkenswert, den er in der Zeitschrift "MUT" unternahm. (40)  Hier wird der Zusammenhang zur Restaurationsphase unserer Tage unmittelbar deutlich, zur "geistig-moralischen Wende" mit Kaltenbrunner als Ideengeber des Bundeskanzlers Helmut Kohl, dessen Partei an New Age-Kongressen beteiligt ist, wie wir oben sahen. Es paßt zu unserem Gedankengang, wie die "MUT"-Redaktion den Romantiker Schlegel mit der als Blutrausch verteufelten Französischen Revolution kontrastiert, deren zweihundertste Wiederkehr 1989 gegen den heftigen Protest der vereinigten europäischen "Neuen Rechten" gefeiert wurde: Mit Hilfe des Organizismus wendet "MUT" sich hier gegen die Auswirkungen der "68er"-Emanzipationsbewegung, die sich von der heftig umstrittenen Konfliktpädagogik bis zu Forderungen nach Produktionsverboten ökologisch unverträglicher Produkte erstrecken. "Der König von Thule, lieber Schlegel, war Dein Vorfahr", zitiert Kaltenbrunner Novalis, und weiter: "Wenn irgend jemand zum Apostel in unserer Zeit sich schickt und geboren ist, so bist Du es - einer der Erstlinge eines neuen Zeitalters: des religiösen. Mit dieser Religion fängt eine neue Weltgeschichte an."

Das Zeichen der "Thule-Gesellschaft" von 1919, der unmittelbaren Vorläuferin der NSDAP, mit dem "Sonnenrad", dem abgerundeten Hakenkreuz, das nach 1933 von der "Deutschen Glaubensbewegung" als ihr Zeichen übernommen wurde. Den Dolch übernahm die SS in die Wirklichkeit als "Ehrendolch" mit SS-Rune, der als eine Art Orden verliehen wurde.

(Abbildung aus: AK Neue Rechte: Thule-Seminar - Spinne im Netz der Neuen Rechten, Kassel 1990.)

Diese Weltgeschichte soll keine linke sein. Kaltenbrunner hatte in "MUT" bereits vorher versucht, den als mechanizistischen Psychophysiker bekannten Gustav Theodor Fechner zu reaktivieren, der in der Restaurationsphase nach der 1848er Revolution einen mystischen, auf den Kosmos bezogenen Organizismus mit den bekannten New Age-Vorstellungen von "Gaia" und "Erdgeist" schaffte. Damit, so Kaltenbrunner, beeinflußte Fechner konservative Revolutionäre wie Arthur Moeller van den Bruck, Ernst Jünger oder Jorge Luis Borges. (41)  Der mystisch-organizistische Fechner wird heute im New Age z. B. von Hubertus Mynarek rezipiert. Er diente auch bereits dem späteren NSDAP-Chefideologen Houston Stewart Chamberlain als Quelle. (42)

Wir werden beim New Age-Begriff verfahren wie Christoph Schorsch - und wie Armin Mohler beim Begriff der Konservativen Revolution -, nämlich die schriftlichen Zeugnisse herausragender Ideologen untersuchen, die in der Literatur dieser Ideologie weitgehend übereinstimmend zugeordnet werden bzw. die sich den Bewegungen selbst zuordnen. Daß unser Entschluß, die Begriffe New Age und Faschismus nach zuordenbaren Autoren zu bestimmen, nicht zu befriedigenden Definitionen, sondern nur zu Mohlerschen "Knäueln" führen kann, liegt in der Breite ihrer Bedeutungen und der Bewegungen.

Gemeinsame Bestimmungselemente von New Age und Faschismus

Die von uns als wesentlich angesehenen gemeinsamen Bestimmungselemente der untersuchten Ideologien sind der Organizismus, die Dialektik von Versubjektivierung und Verobjektivierung des Individuums, die ganzheitliche Auflösung dieser Dialektik im faustischen Menschen, im Heroischen Realismus, und die Mystik als adäquates Erkenntnismittel all dessen.

Der Organizismus (43)  verbindet ganzheitliches Denken und pantheistisch verstandene "übernatürliche" Wesenheit, eigentlich eine immanente Göttlichkeit, die jedoch letztlich weder materiell noch begrifflich faßbar und deshalb "übernatürlich" ist. Er dient dazu, den biologischen Organismus (44)  mit seinen von Verschiedenheit geprägten Gliedern und mit seinem die Einzelnen im übergeordneten Interesse der Gemeinschaft zusammenfassenden Prozeß als einzig gültiges Vorbild für alles Geschehen in der Welt zu postulieren. Die Biologie und Teile der Physik werden dabei als Leitwissenschaften für gesellschaftliches Handeln eingesetzt und ihre Prinzipien durch pantheistische Vergöttlichung unhinterfragbar gemacht. Am Kosmos als geordnetem Raum und am Organismus als gegliedertem Leben wird die hierarchische und der Menschenhand entzogene Ordnung als Vorbild für die menschliche Gesellschaft erschaut.

Das Verhältnis von Teil und Ganzem im Organizismus ist vom Primat des Ganzen über die Teile bestimmt. Der organizistische Prozeß des hierarchisch verstandenen Sichverhaltens der Teile untereinander ist nicht ein Kampf der Gegensätze im Sinne des dialektischen Materialismus - also nicht zu verstehen wie die auf Hegel zurückgehende dialektische "Negation", d. h. als Aufheben und Aufbewahren des Einen im Anderen auf einer für das Ganze aus Beiden höheren Stufe -, (45)  sondern ein erzwungenes Harmonisieren der verschiedenen, in ihrer jeweiligen Funktion existierenden Teile, im postulierten Interesse des Ganzen. Konflikte aus widerstreitenden Interessen in einer antagonistischen Gesellschaft kann es im ganzheitlichen Weltbild nicht geben, das Austragen solcher Konflikte muß unterbunden werden, da der gesellschaftliche Prozeß von einem fiktiven Ganzen her, nicht von den widerstreitenden Teilen her, bestimmt sein soll.

Der Harmonie-Begriff entspricht weitgehend dem des auf nur zwei Teile reduzierten Ganzen im I Ging, der "Einheit in der Vielheit" von "Yin und Yang", dem Zusammenfallen von Natur und Geist, Lebendig und Tot, Gut und Böse als zusammengezwungenen Ganzheiten, die nur "von innen" betrachtet durch ihr Wechselspiel Dynamik aufweisen. Die (angestrebte) Harmonie - und damit auch die jeweilige Position der verschiedenen Teile zueinander in der Hierarchie, mit dieser wiederum der Prozeß selbst mit den ihn bestimmenden Gesetzen bzw. sein "Telos" - (46)  ergibt sich aus den Vorgaben der übernatürlichen Wesenheit bzw. ist diese Wesenheit selbst bzw. ist als solche das Ziel des Prozesses. Das "Interesse des Ganzen" bleibt dabei - auch in seiner Bestimmung als Harmonie bzw. als die übernatürliche Wesenheit selbst bzw. als endliche Erreichung dieser - letztlich unbestimmt und damit der Willkür derer überlassen, die als Vertreter des Ganzen sich dieses Interesse gegen die Interessen der Teile nutzbar machen. Die organizistische Behauptung, das Interesse des Ganzen sei gleichzeitig auch das Interesse der Teile, läßt sich wegen der Unbestimmtheit des Interesses des Ganzen weder kritisch hinterfragen noch konkretisieren.

Diese Unbestimmtheit und die Organizismus-immanente Rechtfertigung der Ungleichheit der Teile untereinander als Grundlage des Ganzen und als Ausdruck und gleichzeitig Wirkweise des Göttlichen machen den Organizismus zur idealen Unterdrückungsideologie für weltliche Herrschaft von Eliten über Massen. Durch das Postulat, Gesellschaft sei letztlich naturwüchsig, sei von einer Gott-Natur bestimmt, werden alle gesellschaftlichen Entscheidungen vordergründig dem Zugriff der Menschen - hintergründig nur dem der Mehrheiten - entzogen. Betroffen sind die Mehrheiten, die sich gerade erst in den bürgerlichen Revolutionen von den spirituell begründeten Fesseln ihrer Herrschaften befreit und ihr Leben in die eigenen, untereinander abgestimmten Hände genommen hatten. Das organizistische Verständnis von Ganzheit, "Einheit in der Vielheit", ist danach als sich harmonisch einstellendes Gefüge oder Gewebe schicksalsmäßig vorgegebener Verschiedener zu denken, in dem jedes Einzelne an seinem Platz ist und bleibt und funktioniert, "Jedem das Seine". (47)  Das Ganze existiert in seiner nicht kritisierbaren Weise um seiner selbst Willen, die Teile haben dem zu dienen. Im Organizismus hat das Konzept des freiwilligen Zusammenschlusses von Gleichen, die über sich und ihre Positionen im Ganzen nach ihrer Vereinbarung untereinander bestimmen, keinen Platz. Damit ist auch das vereinbarte oder erkämpfte Wechseln der Positionen der Einzelnen oder von Gruppen mit der Folge der Veränderung des Ganzen unmöglich.

Das organizistische Konzept von "Einheit in der Vielheit" schließt so z. B. politische "Eine Welt"-Konzeptionen nach dem Modell der UNO aus, wenn hierin alle Teile wirklich gleichberechtigt sein sollen. Interessanterweise findet sich im New Age auch immer wieder Opposition gegen solche überstaatlichen Zusammenschlüsse. (48)

Durch die Hereinnahme der übernatürlichen Wesenheit, deren pantheistische Form durchaus als Erbschaft der frühen Romantik wie der Klassik anzusehen ist, bietet der Organizismus als Ideologie mit antidemokratischen Folgerungen einen erheblichen Vorteil gegenüber der mechanistischen Verwendung der Organismus-Metapher z. B. durch den Positivisten Auguste Comte im restaurativen Frankreich der nachnapoleonischen Zeit. Auch dort war es das Ziel der Verwendung der Organismus-Metapher, gesellschaftliche Ungleichheit zu rechtfertigen, diesmal über "die verschiedenen Rädchen im Getriebe". Doch fehlte - dem siegreichen Bürgertum geschuldet - die göttliche Rechtfertigung und damit die Unhinterfragbarkeit der Ungleichheit: Maschinen kann man auch anders zusammenbauen.

Die Begriffe organische, organismische, organologische, biologische, biologistische, kosmische, holistische Weltanschauung, Organologie, Universalismus, ganzheitliches Denken, Holismus, die Vorstellung des alles begründenden "All-Lebens" usw. sind im wesentlichen Synonyme, ohne damit im Detail liegende Unterschiede bestreiten zu wollen.

Die Dialektik von Versubjektivierung und Verobjektivierung des Individuums sowie ihre Auflösung sind eigentlich Teilbereiche des Organizismus. "Dialektik" muß hier im Sinne des "Zusammenfallens" der Gegensätze, nicht im Sinne der Hegelschen Dialektik, verstanden werden. Bedauerlicherweise wird für dieses rechte Verständnis ebenfalls der Begriff "Dialektik" verwendet, obwohl hier eigentlich die Statik des Zusammengehens gemeint ist und nicht eine Fortbewegung des Ganzen aus der Dynamik seiner Gegensätze heraus. Der New Ager Fritjof Capra versucht sogar, die "Dialektik der Natur" von Friedrich Engels für dieses gewollte Mißverständnis zu aktivieren, wohl um damit Linke einzufangen. Doch mögen sie - wie Capra - wohl keine Zeile des Engels-Textes gelesen haben, sonst wäre ihnen die Unvereinbarkeit der beiden Verständnisse von Dialektik aufgefallen.

Dagegen beinhalten die "Einheit in der Vielheit" des I Ging oder Sigrid Hunkes "dialektischer Unitarismus" (49)  das vom Organizismus Gemeinte. Die Versubjektivierung erwächst als Selbstvergöttlichung des Individuums aus dem Pantheismus. Wenn das Göttliche, die übernatürliche Wesenheit, in allem ist, sein Wesen in allem zeigt - in allem "west", wie es in der völkischen Literatur oft heißt - dann auch im menschlichen Individuum und in und durch dessen Taten. Die ethischen Postulate des Vermeidens von Bösem und des Tuns von Gutem ergeben keinen Sinn mehr, wenn jedes menschliche Handeln eine Verwirklichung des Göttlichen ist. Die Versubjektivierung entgrenzt menschliches Handeln von jeder (ethischen) Schranke.

Die Verobjektivierung als Ausliefern des Individuums an sein pantheistisch vorbestimmtes Schicksal ist die Kehrseite dessen. In der gesellschaftlichen Wirklichkeit bedeutet diese Dialektik des Organizismus jedoch nicht ein tatsächliches Zusammenfallen von beidem in jedem einzelnen Individuum, sondern platt die Selbstvergöttlichung der herrschenden Eliten, die die beherrschten Massen auf die Schicksalsergebenheit verweisen. Gesellschaftliches Subjekt sind nur noch die herrschenden Eliten, die Massen sind entmündigte Objekte unter deren Herrschaft.

Dem Organizismus als Herrschaftsmittel begegnen wir in seiner dualistisch-christlichen Form bereits in der ideologischen Begründung des mittelalterlichen Feudalismus. Er kann jedoch nur sehr indirekt eine weltliche Hierarchie aus der spirituellen ableiten, das zeigen z. B. mittelalterliche Bilder vom Jüngsten Gericht, in denen sogar Könige und Bischöfe wegen ihrer Sünden in die Hölle gehen: Vor Gott sind in der jüdisch-christlichen Vorstellung eben alle Menschen gleich und werden in gleichem Maße vor diesem Gericht an den Kategorien Gut und Böse gemessen. Die Hoffnung der gläubigen Unterdrückten auf jenseitige Gerechtigkeit durch die Gleichheit der Menschen vor Gott ist ihre Rache für erlittenes Unrecht durch irdische Hierarchie. Diese Hoffnung war nicht nur unerfüllbare Verheißung, sondern historisch auch immer der Keim irdisch bezogener Gleichheitsforderungen, die wieder und wieder aufkamen und in Revolutionen mündeten. Erst der ganzheitlich-pantheistisch-neuheidnische Organizismus vermag gesellschaftliche Ungleichheit direkt spirituell zu rechtfertigen, indem er die übernatürlichen Wesenheit einbezieht, statt sie aus dem organizistisch verfaßten Diesseits auszugliedern, wie es dem christlich-dualistischen Gott geschieht: Das All-Göttliche west auch in der irdischen Hierarchie, wirkt durch sie und rechtfertigt sie dadurch. Damit ist gleichzeitig den von der Ungleichheit Betroffenen, auf das Schicksal Verwiesenen jede Möglichkeit zur Hoffnung genommen. Die nun Gläubigen sind die optimalen Untertanen: Sie fügen sich freiwillig, Terror ist im "sanften" Faschismus des hegemonialen New Age ein Anachronismus.

Die Auflösung der Dialektik von Versubjektivierung und Verobjektivierung erfolgt durch die "Einheit in der Vielheit", durch das "Zusammenfallen" des "Yin und Yang". Das selbstvergöttlichte und deshalb schicksalsergebene Individuum, Herrscher und Beherrschter in einem, ist der faustische Mensch, der nicht anders kann, als sich die göttlichen Taten herauszunehmen und dies freudig tut. Er bringt - wie im jüdisch-christlichen Mythos der Genesis ausgedrückt - die Verheißung der Schlange, selbst wie Gott zu werden, praktisch zu Ende und ißt nun auch, ohne ethische Schranke, vom "Baum des Lebens". Der "Heroische Realismus" - ein Begriff der Konservativen Revolution - ist die aus dem pantheistischen Organizismus im Faschismus wie im New Age folgende Haltung zur Welt: Die Taten, die man meint (schaut, fühlt, glaubt, visionär sieht) tun zu müssen, soll und will man auch praktisch tun, ohne ethisches Abwägen, weil sie immer göttliche Taten sind, bis zum eigenen Untergang. Die Folge ist eine extrem affirmative Haltung zum eigenen Tun und zu den Weltzuständen, die diesem nützlich sind. Wenn die Eliten an diese Weltanschauung gebunden werden können, sind sie instrumentalisierbar für die Kapitalinteressen, wie es im historischen Faschismus zu sehen war: Sie können ihre möglicherweise verbrecherischen Taten religiös rechtfertigen, sie haben wieder einen Gottesglauben, der nicht so zweifelhaft ist, wie das Christentum nach den Ergebnissen der Wissenschaft inzwischen erscheint, und der vor allem nicht solche moralischen Ansprüche stellt.

Dem "heroischen Illusionismus" der Romantik fehlte noch der Schritt in die Praxis, zum "faustischen Menschen", der uns als Ziel von (Neo-) Faschismus und New Age im 3. Kapitel beschäftigen wird. Goethes Werk "Faust I" war 1808 erschienen, nicht verstanden worden, erst 1829 uraufgeführt, "Faust II" erst 1833 veröffentlicht worden, als der Hochkapitalismus in England und Frankreich bereits blühte und dort der selbstgöttliche Tatmensch gefragt war. Das am eigenen Interesse ausgerichtete, in der Selbstvergöttlichung wurzelnden Handeln ermöglichte die industrielle Mobilmachung. Im nachromantischen Deutschland mußten die Möglichkeiten des "Faustischen" erst noch geistig verdaut und für die - vor allem technische - Praxis umgesetzt werden. Der "magische Idealismus" (Novalis) oder "heroische Illusionismus" der Romantik blieb Plan, verlor sich im Geistigen, war lediglich die idealistische Vorstufe zur gesellschaftlichen und technischen Tat in der Welt, die sich der Kapitalist in der Folge zu seinem unbegrenzten Privatnutzen der Welt gegenüber als Praxis herausnahm. Wenn sich die Romantiker in die Kunst flüchteten, so wollten sie doch hierin Herrscher sein, Götter sein, eine Kunst-Welt schaffen, in der "der menschliche Geist sein Gesetz allem aufprägt, ... die Welt sein Kunstwerk ist" (Friedrich Schlegel). Ähnliches gilt für den im (Neo-) Faschismus gleichermaßen wie im New Age verehrten Novalis, der die pantheistische Göttlichkeit des Fichteschen (50)  überindividuellen, absoluten "Ich" als des "Ganzen" auf das einzelne Individuum übertrug, welches nun die Welt "poetisieren" könne: Das bedeutete, die Welt seiner rein geistig-künstlerischen, eben noch nicht praktischen, gesellschaftlich- und technisch-realen, Willkür zu unterwerfen. (51)  Romantiker wie Friedrich Schlegel und Novalis können also keineswegs als prinzipielle Kritiker des "Machet Euch die Erde untertan!" gelten, ebensowenig die New Age-"Vorläufer" in der deutschen Klassik.

In seinem Mißverständnis des schon als "indo-arisch" begriffenen Pantheismus der frühen Romantik erklärt Heinrich Heine in der widersprüchlichen Schrift "Religion und Philosophie in Deutschland" (52)  leichtfertig und naiv die einheitliche Gott-Welt und den vergöttlichten Menschen als das Gute, die Kategorie des Bösen dagegen als "Wahnbegriff" des Christentums. Er führt aus, von den späteren Äußerungen der faschistischen und New Age-Ideologen nicht unterscheidbar: "Im Menschen kommt die Gottheit zum Selbstbewußtsein", "Wir stiften eine Demokratie gleichherrlicher, gleichheiliger, gleichbeseligter Götter." Dann wird Heine technisch-praktisch: "Das Bewußtsein seiner Göttlichkeit wird den Menschen auch zur Kundgebung derselben begeistern, und jetzt erst werden die wahren Großtaten des wahren Heroentums die Erde verherrlichen." Als Quelle dieses Denkens identifiziert er "unsere ersten Romantiker", die "aus einem pantheistischen Instinkt, den sie selbst nicht begriffen", heraus handelten, und trotz ihrer späteren Hinwendung zum Katholizismus "eine bei ihnen plötzlich erwachte aber unbegriffene Zurückneigung nach dem Pantheismus der alten Germanen" betrieben. In dieser letztlich biologistischen Argumentation, die mit der beschworenen "Sendung der Deutschen" zur völkisch-rassistischen wird, nimmt Heine Positionen der völkischen Bewegung und der "Neuen Rechten" (Hunke, de Benoist) vorweg.

Erst am Ende der Schrift, inhaltlich unverbunden, warnt Heine vor dem - von ihm nicht so benannten - Faustischen der Einheit aus Selbstvergöttlichung und naturreligiös erfahrener selbstgöttlicher Schicksalsergebenheit. Hier wird vor den praktischen Konsequenzen aus Fichtes Naturphilosophie gewarnt. Heine formuliert eine Vision des hundert Jahre später praktisch herrschenden, theoretisch organizistisch begründeten Faschismus: "Doch noch schrecklicher als alles wären Naturphilosophen, die handelnd eingriffen in eine deutsche Revolution und sich mit dem Zerstörungswerk selbst identifizieren würden. ... So wird der Naturphilosoph dadurch furchtbar sein, daß er mit den ursprünglichen Gewalten der Natur in Verbindung tritt, daß er die dämonischen Kräfte des alten Pantheismus beschwören kann, und daß in ihm jene Kampflust erwacht, die wir bei den alten Deutschen finden." Dies wurde jedoch erst möglich nach der spätromantischen Dichtung des Bösen durch E. T. A. Hoffmann, nach der geistigen Aufnahme des Faustischen und der Verbindung mit Schopenhauers Pessimismus, der durch seine Ansicht von der Selbstsucht und Bosheit als Charakter des natürlichen Willens das Böse ethisch integrierte, während Goethe es noch offen ließ, ob man Faust nacheifern solle, und im "Wilhelm Meister" schließlich sogar der Praxis entsagte, um der Gefahr zu entgehen, tatsächlich faustisch zu werden.

Der faschistische Organizist Eduard Spranger, ein Lehrer Sigrid Hunkes, auf den sich auch Hubertus Mynarek gerne bezieht, führt im Jahre 1933 das "Yin und Yang" des Heroischen Realismus in seinem Artikel "Goethes Weltanschauung" (53)  als faschistische Interpretation des "Faust" und des "West-östlichen Diwan" aus. Der aus Goethes Naturmystik, Naturphilosophie und -religiösität und Naturwissenschaft sich schließlich herleitende "faustische Drang" treibe "die Helden der Tat." "Überall will der Mensch mehr als bloß gebundener Mensch sein. Mag es ihm gelingen oder nicht: der Stachel zum Unbegrenzten ist in seiner Brust. Alles Tragische und alles Sieghafte stammt aus dieser Unruhe, die sich nach ungemessenen Fernen sehnt." Spranger schreibt 1933 weiter, nun als New Ager des Faschismus kenntlich: "Wenn alles im Grunde identisch ist, alles durch mannigfache Übergänge sich in alles verwandeln kann, dann ist dem lebendigen Ganzen der Natur eine Denkform angemessen, die man neuerdings als das Kreisdenken bezeichnet hat (Leisegang). Die Gegensätze, die sich aus dem identischen Lebensgrunde entfalten, bleiben nicht als Letztes gegeneinander stehen. Die Polarität weist zurück auf eine Einheit in der Vielheit, in der die Gegensätze zusammenfallen." "Will der Übermensch den Sinn des Universums und des Menschentums ganz ausschöpfen, so bleibt an Stelle der Magie (beim frühen Goethe, P. K.) nur ein heroischer Realismus: der Weg durch das voll gelebte Leben und seine Gehalte. Im Lebenskampf entfaltet sich langsam des Lebens Deutung."

Diese Auflösung der Dialektik von Versubjektivierung und Verobjektivierung als "Einheit in der Vielheit" und - ethisch - "Zusammenfallen" von Gut und Böse gestattet den herrschenden Eliten, ihre Taten gegenüber den auf das Schicksal verwiesenen Massen gänzlich und für alle Zeit vom Gemessenwerden an ethischen Kategorien zu befreien. Vorausgesetzt, es gelingt ihnen, das individuelle Erlangen dieser "Einheit in der Vielheit" für sich zu reservieren, den Massen vorzuenthalten. Diese ethische Schrankenlosigkeit ist der eigentliche "Fortschritt", den der pantheistische Organizismus den Eliten bringt: Er ist affirmativ statt kritisch. Der katholische Organizismus ist der, der vor der Aufklärung steht, der zwar den Menschen unfrei läßt, sich aber auch weiterhin scheut, Menschen zu vergöttlichen. Der biblisch fundierte Organizismus warnt davor, nun auch noch "Früchte vom Baum des Lebens" zu essen. Der ganzheitlich-pantheistische, eigentlich "arisch-germanische" oder "indo-arische" Organizismus, mit dem wir es seit der frühen Romantik vor allem zu tun haben, hat aufgeklärtes, von klerikalen Fesseln befreites, "Rom-freies" Denken aufgenommen. Er hat zwar die Menschheit nicht befreit, wie es die Aufklärung wollte, nimmt sich aber für wenige Menschen, die Herrschenden und nur sie, die Vergöttlichung heraus.

Die historische klerikal-faschistische Koalition erscheint demnach im ideologischen Kern ebenso als ein Mißverständnis der Beteiligten wie die sich abzeichnende Klerus-New Age-Koalition, die wir beide weiter unten ansprechen werden. Doch waren die Herrschenden noch nie um die Folgerichtigkeit der Ideologien besorgt, die ihre Herrschaft absichern, solange sie oberflächlich einigermaßen plausibel sind und funktionieren. Es gehört zur Unterdrückung, daß die Unterdrückten nicht in der Lage sind, unter diese Oberfläche zu sehen. Ein entsprechendes Bildungssystems mag dieses Unvermögen bewirken. Für die Linke jedoch heißt dies: Die "Feuer und Wasser"-Koalitionen sind nicht nach "Yin und Yang" zu verklären, sondern als Zweckbündnisse auf Zeit im Interesse der Herrschenden gegen die Emanzipationforderungen der Beherrschten nach bürgerlicher und sozialer Gleichheit zu verstehen und zu bekämpfen. Denn alle drei: die althergebrachten Pfaffen, die Faschisten und die New Ager, diffamieren das Bestreben nach materieller Bedürfnisbefriedigung als "utilitaristisch".

Die Mystik ist der Weg, über den der Organizismus als Weltanschauung seine Gültigkeit behaupten soll. Sie ist die Methodik des Organizismus. Gleichzeitig können die Selbstvergöttlichungs-Konsequenzen so den Eliten vorbehalten werden. Die organische Ganzheit soll mystisch erfahrbar und hierbei als einzig gültiges Weltprinzip erkennbar sein. In dem Buch "Zurück zur Natur-Religion. Wege zur Ehrfurcht vor allem Leben" aus dem größten deutschen New Age-Verlag Hermann Bauer, in dem auch etliche als Theoretiker bekannte Neofaschisten wie Holger Schleipp, Peter Bahn oder Henning Eichberg schreiben und das nach Schleips Aussage bezeichnenderweise zuerst "Zurück zur Deutschen Naturreligion" hatte heißen sollen, schreibt der New Age-Theoretiker Christoph Schorsch: "Die mystische Erfahrung stellt einen radikalen empirischen Weg zur ontischen Wirklichkeit dar. ... In der 'Gipfelerfahrung' des Durchbruchs in die ontische Realität erscheint die Wirklichkeit in einem gleichsam kristallinen Zustand, wo innerer Frieden und völlige geistige Klarheit erfahren werden. ... Die Mystik gehört eben nicht einer 'Glaubensgewißheit' an, sondern radikaler Empirie." (54)  Der Zugang zu dieser Erfahrung ist für Erleuchtete reserviert, die der - richtigen - Mystik fähig sein müssen. Die Richtigkeit bestimmt sich dabei nach der Brauchbarkeit des mystisch Erkannten in der realen Welt, technisch und gesellschaftlich, auch wenn die Mystiker dies weit von sich weisen mögen. Denn wer etwa mystisch eine atomisisch-mechanizistische Welt erkannt haben will und deshalb gar die Forderung nach Gleichheit der Menschen aufstellt, könnte nicht für sich in Anspruch nehmen, erleuchtet zu sein. Er wäre vielmehr weiterhin am Erhalt dessen interessiert, das der Organizismus bekämpft. Weil das Gewinnen der "Einheit in der Vielheit" für den Einzelnen, die individuelle Auflösung der Dialektik von Versubjektivierung und Verobjektivierung im von der Ethik befreiten faustischen Menschen, nur mystisch für die zu dieser "Erfahrung" Fähigen möglich ist, bleibt das vermeintlich so erstrebenswerte Ziel der Göttlichkeit des Menschen nur einer Elite vorbehalten.

Die auf die Schicksalsergebenheit allein verwiesenen subjektlosen Massen sind dieser "Erfahrung" nicht fähig und können deshalb auch nicht den gleichen Anspruch der eigenen Göttlichkeit erheben wie die Eliten. Das Konzept der Einheit in der Vielfalt als organizistische Harmonie ist in der von Widersprüchen und sich bekämpfenden Gegensätzen bestimmten Klassengesellschaft deshalb reaktionär, weil es den Herrschenden den entscheidenden Vorteil von vornherein beläßt: die Herrschaft.

Im Organizismus ist der Rückzug auf die Mystik allein schon deshalb nötig, weil tatsächliche Empirie, menschenmögliche Wirklichkeitserfahrung im täglichen Gesellschaftsprozeß, niemals zu den Inhalten dieser Weltanschauung führen könnte. Die Rechtfertigung von Ungleichheit in der Gesellschaft als dem Prinzip, das den Interessen aller Menschen am besten gerecht werde, widerspricht jeder menschlichen Erfahrung. Ihm entgegenstehend ist täglich zu sehen, daß die Gesellschaften der realen Ungleichheiten die menschlichen Bedürfnisse eben nicht befriedigen können, weshalb es ja immer wieder zu Emanzipationsbewegungen und Revolutionen kommt. Erst mit Hilfe der Mystik als der zur täglichen menschlichen Erfahrung entgegengesetzten, aber von interessierter Seite als angeblich einzig adäquat ausgegebenen Erkenntnismethode kann über den Weg der Organismus-Metapher, der Versubjektivierung der faustischen Eliten und der Verobjektivierung der Massen die Wirklichkeit als Täuschung, die Emanzipation als der falsche Weg, das mystisch Phantasierte dagegen als das Anzustrebende und als der richtige Weg zum menschlichen Glück behauptet werden. Dieses Glück wird als immaterielles "Heil" ausgegeben.

Doch das mystische Erkennen des Organizismus erbringt den herrschenden Eliten nicht nur die Fortsetzung der Herrschaft, unter der nun sogar störende ethische Schranken des Handelns aufgehoben sind. Die Eliten, die ja selbst ebenso Opfer der Zerrissenheit ihrer Gesellschaft sind, finden in der Harmonie-Sehnsucht ihr "Opium" ebenso wie das "Volk", vielmehr: die nicht veränderungswilligen Teile der Gesellschaft. Die "68er"-Bewegung zeigte, daß auch die Eliten anfällig sind für die Wirklichkeit der Welt und die aus ihr sich ergebenden Emanzipationsforderungen. Die Französische Revolution, die von fortschrittlichen Adeligen im Bündnis mit dem Bürgertum und dem Pariser Proletariat herbeigeführt wurde, zeigte dies schon früher. Der pantheistische Organizismus kann die gefährdeten Teile der Eliten, die die Folgen der Zerrissenheiten an sich selbst spüren, vor solchem Herausfallen aus dem Konsens der Herrschenden und vor einem Bündnis mit den veränderungswilligen Teilen der Beherrschten bewahren, sie wieder einbinden in einer Weise, wie es die hergebrachten religiösen Vorstellungen des Christentums offenbar nicht mehr können.

Dies ist um so mehr nötig in einer Mittelstandsgesellschaft, in der sich immer breitere Schichten einerseits aus der Illusion der Teilhabe an der Macht heraus zu den Eliten rechnen, Teilfunktionen der Herrschaft nachgeordnet ausüben, andererseits von den Widersprüchen selbst betroffen sind, die die tatsächlich Herrschenden durch ihre Entscheidungen täglich neu produzieren. Diese Mittelschichten aber zweifeln aufgrund entsprechender Bildung breit an den Dogmen des Christentums, das kaum noch in der Lage ist, sie gesellschaftlich zu integrieren.

Wenn diese Einbindung nun auch noch über die früheren Möglichkeiten, mit denen das Christentum Loyalität schuf, weit hinausgeht und das jetzt mögliche faustische Handeln in der Technik "ethisch" rechtfertigen kann, so ist dies ein wesentlicher, durch die Entwicklung der Wissenschaften nötig gewordener Fortschritt für die re-ligio, die spirituelle Rückbindung der Tat an eine die Täter ent-verantwortende Geistigkeit. Das Subjekt und sein Handeln werden hier wieder - wie in der Zeit vor der Aufklärung - der Vernunft entzogen und an eine irrationale Macht gebunden, die allerdings im Gegensatz zur Zeit vor der Aufklärung durch das ganzheitliche Zusammenfallen von Gut und Böse, durch das Auflösen der Möglichkeit von Ethik, nicht mehr als Beurteilungsinstanz für das Handeln des Subjekts zur Verfügung steht. Die spirituelle Rechtfertigung des eigenen Handelns bekommt hierdurch eine gänzlich neue Qualität. Fatalismus als passive Erscheinung einerseits, andererseits die konservativ-revolutionäre Vorstellung von der "Tragik" des menschlichen Handelns als Tat-Seite dieser Medaille: beide sind die Folgen einer solchen "ganzheitlichen Ethik".

Wer im Heroischen Realismus des New Age oder des Faschismus seine Welterklärung findet, kann ohne Selbstzweifel und Skrupel, ohne das "schlechte Gewissen" der Christen und ohne die Verpflichtung zur Einhaltung des liberalistisch-sozialistischen Gesellschaftsvertrages, das von den Herrschenden Verlangte "tragisch" tun, er hat ja keine Wahl als sein eigener Gott, als Subjekt und Objekt in einem, Schöpfer und Opfer des Schicksals, "Yin und Yang".

Schorsch erkennt in seinem grundlegenden Werk "Die New Age-Bewegung" das Problem, begreift jedoch nicht seine Bedeutung und Auflösung, sondern läßt es als Eigentümlichkeit stehen, deren gesellschaftliche Konsequenzen unaufgeklärt bleiben: "Die New Age-Bewegung ist in einer eigentümlichen Ambivalenz befangen: Einerseits wird der einzelne grenzenlos überhöht, wodurch die autistische kosmische Monade als gottebenbürtig deklariert ist, andererseits verschwindet der einzelne hinter Systemgesetzlichkeiten, numinosen Auseinandersetzungen und astrologisch-kosmischen Zwangsläufigkeiten." (55)

Die Auflösung der Dialektik von Versubjektivierung und Verobjektivierung im Heroischen Realismus führt die Gegensätze im gesellschaftlichen Maßstab nur scheinbar zusammen, tatsächlich aber verschärft sie sie extrem: Nur die wenigen "Erleuchteten" sind in der Wirklichkeit jetzt noch Subjekte. Die "Ganzheit" der Gesellschaft zerfällt erst recht: Während das produktive Handeln für die auf die Schicksalsergebenheit Verwiesenen allenfalls noch geistiger Natur und damit "unmöglich" ist, sie in ihren Meditationsbemühungen real einflußlos bleiben, ist es für die sich der Versubjektivierung Bemächtigenden die unumschränkte Allmacht des Gottmenschen über Mitmensch und Natur/Kosmos.

Von der Romantik über den Faschismus bis zum New Age funktioniert dieser gemeinsame und wesentliche Kern der hier betrachteten Ideologien, der gegen die Subjektivität der Massen gerichtet ist. Es ist erstaunlich, wieso sich trotzdem in der Linken die Ansicht mehr und mehr verbreitet, Mystik und Spiritualität sowie ihr schon in der Methode angelegtes Ergebnis des "ganzheitlichen Denkens" könnten Wurzeln emanzipatorischer Politik sein. Wann je wirkte denn geheimes Wissen, mit einem Fremdwort: Esoterik, ob in den Köpfen von Medizinmännern und Schamanen oder in den Regalen geheimer Klosterbibliotheken, emanzipatorisch für die, vor denen es geheim gehalten wurde! (56)  Wie könnte die aus der Natur abgelesene Ungleichheit der Individuen Vorbild für eine gleiche Befriedigung der Grundbedürfnisse der Menschen sein! Eine Menschen-Vergöttlichung, die bei ungebrochener Herrschaft des Kapitals und seiner Eliten stattfindet, kann niemals links und emanzipatorisch sein. Die moderne Emanzipationsbewegung begann in der Aufklärung doch gerade mit der Entgöttlichung von Herrschaft, mit dem Sturz von Menschen, die ihren Absolutismus aus spirituellen Hierarchien ableiteten. Die linke Sicht des Subjekt-Objekt-Verhältnisses ist nicht die eines mystischen "Yin und Yang", einer konservativ-revolutionären "Tragik" des Tun-Müssens und damit zusammenfallenden freudigen Tun-Wollens, der Affirmation des mystisch erfahrenen vorgegebenen Ich/Selbst/Kosmos, sondern die der bewußten, aktiven, tat-sächlichen Aneignung der Welt. Das dialektisch-materialistische Konzept der "Aneignung durch Tätigkeit", des Menschwerdens durch Arbeit an der Welt, des Sichselbstveränderns durch das Verändern der Welt, der "Negation" der Welt durch das Eingreifen des menschlichen Subjekts, ist die Alternative der Linken zum Heroischen Realismus der Rechten. (57)

Sie ist die einzige Alternative für die Unterdrückten zur Entmündigung. Der "Weg zur eigenen Persönlichkeit" (wie es in den Anzeigen der Firma "Astro-Intelligence. Die intelligenten Computer-Horoskop-Analysen" heißt), zur Selbstverwirklichung, zum "erweiterten Bewußtsein", ist nicht der des mystischen Erkennens der eigenen "tragischen" Position im Kosmos, die dann im New Age als "Selbstverwirklichung des Universums" ausgegeben wird. Es ist nicht das Seinen-Lauf-Nehmen des All-Gottes. Vielmehr führt zur "eigenen Persönlichkeit" nur der Weg des tätigen Schaffens, das reflexiv zu einem höheren Bewußtsein von der Welt führt. Dabei geschieht das Schaffen selbstverständlich verantwortlich in der Welt. Das heißt, der umweltkranke, krebszerfressene Mensch entspricht ebensowenig der linken Vorstellung von dem allseitig entwickelten Subjekt wie das Mitglied der faustischen Elite. Das Zerstören der Aneignungsmöglichkeiten für die Menschen ist in beiden Fällen abzulehnen.

Einzig die Linke wird auf Dauer beide Arten der Zerstörung von Selbstverwirklichung verhindern können. Denn auch die Umweltproblematik wird sich nicht über das Zurückwerfen der Mehrheit der Bevölkerung hinter das Erreichte - wieder in die gänzliche Unmündigkeit hinein - lösen. Im Gegenteil: Nur die Massen sind in der Lage, zu verhindern, daß sich die Eliten selbstvergöttlichen und damit zu versubjektivierten, faustischen, zerstörerischen Eliten werden. Der Ausweg aus der Krise ist es also, die Aneignungsmöglichkeiten für alle Menschen zu vergrößern, die in vielen Farben auftretenden, sehr materiell-menschlichen "braunen Götter" zu entmachten.

Durch die gemeinsamen Bestimmungselemente von New Age und Faschismus sollten nun erste "konzeptionelle Bezugspunkte" vorliegen, deren Fehlen für die Untersuchung "der völkischen Religiösität zusammen mit verwandten Objektbereichen" in der vergleichenden Religionswissenschaft noch 1991 beklagt wurde. (58)  Pastor Ekkehart Hieronimus behauptet: "Völkische Religiösität ist heute ein historisches Problem, aber gerade darum, als Beispiel für die im Religiösen liegenden Möglichkeiten, von Bedeutung." (59)  Die Behauptung ist im Kern falsch, sowohl, weil das New Age die "konzeptionellen Bezugspunkte" der völkischen Religiösität aufgenommen hat, als auch, weil es solche spirituellen Tendenzen auch im katholischen wie protestantischen Bereich seit dem Ende der achtziger Jahre vermehrt gibt. Das mag wohl seinen Grund auch darin finden, daß die gemeinsamen Inhalte dieser Ideologien seit der antinapoleonischen Zeit zum geistigen Besitzstand des Bildungsbürgertums gehören und hierüber eben auch die Anfälligkeit der Eliten der zwanziger Jahre für den Nationalsozialismus verständlich wird. (60)  Die Meinung einer der Hauptvertreterinnen des New Age, Merilyn Ferguson, die New Age-Bewegung sei "eine Verschwörung ohne politische Doktrin. Ohne Manifest"  (61), ist in der Hinsicht falsch, als die genannten Bestimmungselemente, Organizismus und Heroischer Realismus sowie Mystik als Methodik, ohne weiteres als New Age-Doktrin angesehen werden können.

Die christliche Seite

Wir wissen aus der Geschichte, daß sich die christlichen Großkirchen gut mit dem Faschismus in ganz Europa standen, ohne daß die Relativierung ethischer Normen durch den pantheistischen Organizismus und damit der Gegensatz zur biblisch begründeten Ethik zum grundlegenden Problem zwischen beiden geworden wäre. (62)  Bekannt sind die aus der völkischen Bewegung kommenden protestantischen "Deutschen Christen", die sich ab 1932 vehement der kirchlichen Selbstverwaltungsgremien, der Altäre und vor allem der Kanzeln in Norddeutschland bemächtigten. (63)  Die Reichstagsfraktion des katholischen Zentrums stimmte 1933 dem Ermächtigungsgesetz zu und ermöglichte damit erst die Nazi-Diktatur. Der Katholizismus wurde durch Mussolini und Franco im faschistischen Italien und Spanien zur Staatskirche erhoben. Der Vatikan unterstützte das faschistische Ustascha-Regime in Kroatien, wo schließlich sogar Franziskaner-Mönche Vernichtungslager leiteten. Das slowakische Marionettenregime an der Seite Nazi-Deutschlands wurde von dem katholischen Priester Josef Tiso als Regierungschef geleitet. Der als Kriegsverbrecher zum Tode verurteilte Tiso - er ließ 1942 mehr als 60000 Juden in deutsche KZ deportieren und kassierte pro Juden ein Kopfgeld von fünfzig Reichsmark - soll von der heutigen rechristianisierten Slowakei rehabilitiert werden. Größte Schuld luden sich die christlichen Kirchen auf, als sie den Nazis zum Zwecke der Judenidentifikation ihre Taufregister öffneten. Die gemeinsame Feindschaft gegen den "jüdischen Bolschewismus", aber auch gegen den Liberalismus, veranlaßte die Amtskirchen, den zur Macht gekommenen Faschismus zu unterstützen. Schließlich wurde der Überfall Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion von katholischen Bischöfe öffentlich als "Kreuzzug" und "heiligen Krieg für Christus" bezeichnet und gesegnet. Der Münchner Kardinal Faulhaber sprach den meisten Bischöfen aus dem herzen, als er das Christentum zum "stärksten Bundesgenossen" der Nazis "in diesem Abwehrkampf" gegen den Sozialismus erhob.

Dennoch bekundete der deutsche Katholizismus - zwar antisozialistisch, organizistisch und nationalistisch und deshalb für den autoritären Staat und den Krieg - seine inhaltliche Distanz zur NS-Ideologie öffentlich, erst recht, nachdem die Anbiederungspolitik der Jahre 1933/34 weniger den katholischen Einfluß in Deutschland gesichert als vielmehr die Nazis national und international gestärkt hatte. Diese bedankten sich 1934 bis 1937 mit dem Kirchenkampf der neuheidnischen Sekten gegen die Katholiken, der erst vermindert wurde, als die Kirchen für den kommenden Krieg zum Trostspenden eingeplant wurden. Weniger bekannt ist die offen nationalsozialistische Fraktion im deutschen Katholizismus um den Freiburger Erzbischof Conrad Gröber, der nicht nur die katholischen Jugendverbände an die Hitlerjugend ausliefern wollte, weil sie im Widerstand gegen die Nazis standen, sondern auch selbst Fördermitglied der SS wurde. Sein Mitstreiter Wilhelm Berning, Bischof von Osnabrück - ein Bistum, das seit dem Frühmittelalter wehrhaft gegen "die Heiden" stand - widmete sein Buch "Das neue Reich. Katholische Kirche und deutsches Volkstum" 1934 Adolf Hitler.

Mit dem "Bund katholischer Deutscher 'Kreuz und Adler'" - gegründet von Hitlers Vizekanzler Franz von Papen - und dessen Nachfolgeorganisation "Arbeitsgemeinschaft katholischer Deutscher" saßen diese Katholiken sogar an Hitlers Kabinettstisch, der NS-Kronjurist Carl Schmitt, der Hitlers Führungsanspruch "juristisch" begründete und auf den sich die "Neue Rechte" heute beruft, gehörte zu ihnen. (64)

Organizistisches Denken ist der römischen Kirche seit Paulus und Augustinus eigen, (65)  ihre weltliche Macht und die Macht der mit ihr verbündeten Feudalherren bis zu den bürgerlichen Revolutionen beruhten darauf. Nachdem sich die Romantiker wieder dem Katholizismus zugewandt hatten, brachten sie mit der von ihnen wiederentdeckten, lange Zeit verschollenen mittelalterlichen Mystik nun auch pantheistische, naturreligiöse Ansätze in die katholische Ideologie ein, mit denen sich dann sogar das Erste Vatikanische Konzil 1869/70 (ablehnend) beschäftigen mußte. Kulturpessimistische Ansätze des neunzehnten Jahrhunderts beeinflußten gleichzeitig viele Nachfolger Luthers und bereiteten hier - mehr noch als im Katholizismus - den Boden für deutsch-völkische Erweckungsbewegungen jeder Art. An der Spitze des neuen Deutschen Reichs standen "von Gottes Gnaden", aber im Auftrage der Krupp, Borsig und Siemens, die Hohenzollern-Kaiser, deren Berliner Dom im neu wiedervereinigten Deutschland gerade erst frisch vergoldet worden ist. Die Feindschaft gegen Liberalismus und Sozialismus als den anti-organizistischen Weltanschauungen zum Ende des letzten Jahrhunderts und ein spiritueller Nationalismus (Luthers Reformation als "deutscher Protest gegen Rom") schufen damals schon bald eine geistige Nähe von Teilen des organisierten Christentums zur völkischen Bewegung. Aus christlichen Reihen kamen dann auch überwiegend die völkischen Chefdenker, vor allem aus dem Protestantismus, aber auch aus "deutschkatholischen" Sekten. Sie führten ihre gläubigen Anhänger mehr oder weniger direkt in den NS-Staat. (66)

Zu den zentralen Antworten des (deutschen) Christentums auf die gesellschaftlichen Krisen des Hochkapitalismus im letzten Drittel des neunzehnten und im ersten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts gehörten die Remystifizierung des Glaubens (Herz-Jesu- und Marien-Mystik) und die Rückwendung der Kirche auf Rom im papistisch-hierarchischen Ultramontanismus der katholischen Kirche. Beim Protestantismus fand eine Hinwendung zum Völkischen statt, zu einem "nordisch-arischen" Christus-Verständnis, dessen Folge - sicher unbeabsichtigt - ein verstärktes Abbröckeln hin zum pantheistischen Neuheidentum war. Der Organizismus und seine Methodik, die Mystik, entsprachen nicht nur dem Denken breiter bürgerlicher intellektueller Schichten, die sich in der Tendenz bereits pantheistisch orientierten, auch wenn sie teilweise noch in den Kirchen verblieben. Organizismus und Mystik kamen auch dem Geschmack der Unterdrückten nach, das zeigte sich in der Begeisterung für den deutschen Adel und - nachdem dieser entmachtet war - in den neuen säkularen Domen, den Kinos: Fritz Langs Film "Metropolis" von 1927 ist ein herausragendes Beispiel für die noch christlich-mystisch verbrämte Botschaft, die eine organizistische Gesellschaft propagiert; ihre Verkünderin im Film hieß auch noch passend Maria. Da Langs Film trotz aller christlichen Symbolik letztlich dann doch auf den kommenden Faschismus verwies, brachte er ihm das (ausgeschlagene) Angebot der Nazi-Machthaber ein, ihr Hofregisseur zu werden. (67)

So wenig jedoch die damaligen materiellen Ursachen der Krisen, die große Teile der Eliten wie der Massen von den Großkirchen sich abwenden ließen, wegmystifiziert, wegarisiert, weggebetet werden konnten, so sehr sind zahlreiche christliche Gruppen heute bemüht, den damaligen Fehler unbeirrt zu wiederholen. Die aktuellen Versuche einer Remissionierung Europas wollen den wiederbelebten Ultramontanismus zum Erben des zusammengebrochenen Sozialismus machen und damit an die Politik der Päpste um die letzte Jahrhundertwende anknüpfen, die eine "Erneuerung der Welt durch die Kirche" (Papst Leo XIII.) als Programm ausgaben. Dies geschieht heute unter einem Papst, der von einem exzessiven Marien-Kult und einem antimodernistischen Katholizismus geprägt ist, der in mittelalterlicher Heiligen-Mystik und einfältiger Volksfrömmigkeit verharrt. Gleichzeitig beansprucht er in einer totalitären Weise weltliche Herrschaft, wie es der polnische Katholizismus traditionell - und für "westliche" Bergpredigt-Katholiken in kaum vorstellbarem Ausmaß - tut.

Die am 28. November 1991 im Petersdom eröffnete Europa-Synode war nur die eine Seite des römischen Weges, den Kontinent zu reevangelisieren - d. h. christlich zu respiritualisieren -, um eine antiegalitär organizistische Verfassung zu erreichen. Die andere Seite bildet eine Wiedergeburt der Mysterienverehrung, die nicht nur den ökonomisch einträglichen Wallfahrts-Tourismus belebt, sondern eben vor allem der Demonstration politischer Herrschaftsansprüche dient: Sei es im portugiesischen Fatima, wo der Papst die Menschen mit "Wundern" abspeisen und so reintegrieren wollte, nachdem sie um die Früchte der 1974er Revolution gebracht worden waren. Sei es im polnischen Festungskloster Tschenstochau, wo verarmte Kleinbauern ihre letzten Feldfrüchte im Glauben an die Schwarze Madonna opfern - in Wahrheit aber den Mönchen des Klosters darbringen, die dann wohlgenährt und fast schon drohend den westeuropäischen Besuchern ein eigenes Waffenmuseum (!) präsentieren. Sei es im kroatischen Medjugorje, wo eine angeblich erschienene Jungfrau Maria rechtzeitig zum Anheizen des Nationalismus und des Bürgerkriegs "Geheimnisse" preisgab, für die man nach ihrer angeblichen "Botschaft" sogar zu sterben bereit sein soll. Der Vatikan hat hier allerdings erst spät die politisch nützliche, weil den letzten sozialistischen Staat Europas sprengende Wirkung dieses "Wunders" begriffen. Die New Age-Zeitschrift "PSI-Journal" z. B. war im Mai 1990 weitsichtiger als der Papst: "Medugorje kann als Fanal gelten für andere diktatorisch regierte Länder. Was ist in den meisten Ländern des Ostblocks inzwischen nicht alles in Gang gekommen. Haben die laufenden Marienerscheinungen und der dadurch entfesselte 'Gebetssturm' vieler Menschen nicht doch eine wahrhaft sensationelle Umkehr bewirkt, die noch vor kurzem niemand für möglich gehalten hätte?". (68)

Heute herrscht über die Jungfrau von Medjugorje ein Regime, das vom euro-hegemonialen neuen Deutschland in Eile anerkannt wurde, während andere Länder vermehrt auf die kroatischen Traditionen zur faschistischen Ustascha verweisen. Nach Mitteilung des Verfassungsschutzes vom März 1992 ließ Kroatien auf seinem Territorium neben Neonazis aus zahlreichen europäischen Ländern auch neonazistische deutsche "Freischärler" gegen die jugoslawische Bundesarmee kämpfen. Wahrhaft eine "Umkehr"! Wahrhaft ein "Sturm", allerdings nicht des Gebets, sondern der - gesegneten - Waffen. Politische Führer des europäischen Rechtsextremismus wie Jean-Marie Le Pen vom französischen Front National oder Franz Schönhuber von den "Republikanern" waren bereits Gäste des kroatischen Präsidenten Tudjman. Auch die Führer des neofaschistischen Vlaams Block aus dem katholischen Belgien reisten ins katholische Kroatien, wo jetzt wieder Straßen und Schulen nach dem Massenmörder Mile Budak benannt werden, der wegen der Deportation und Ermordung von 31000 Juden hingerichtet worden war. (69)

Hatte die römische Kirche in Medjugorje noch gezögert, so genießen kirchenoffizielle okkultistische Strömungen wie die Geheimorganisation "Opus Dei" die Sympathie des Papstes Karol Woytila: Der "Opus Dei"-Gründer Escriva de Balaguer wurde 1992 vom Papst heilig gesprochen. Gegen Escriva werden heute Vorwürfe erhoben, er sei ein Anhänger Hitlers gewesen und habe die Massenmorde an Juden in den KZ geleugnet. (70)

Bei den christlichen "freikirchlichen" Sekten, deren religiöses Querulantentum ihre fanatisierten Mitglieder in keiner größeren Kirche lange verweilen läßt, sind vor allem die Charismatiker (71)  auf mystische Erlebnisse versessen, wie sie wohl in der Einfalt des Mittelalters in jeder düsteren Höhle und hinter jedem größeren Dornbusch zu haben waren. Die "Erfahrung des Überwältigtwerdens durch Gott" bis hin zur Selbstvergöttlichung durch die "Erfüllung mit dem Heiligen Geist" (72)  leisten sich immer mehr freichristliche Quasi-Götter in Führungspositionen, die keineswegs nur randständige Sektenspinner sind. Die Nachfolgerin des progressiven früheren Nürnberger Kulturdezernenten, des als kulturgeschichtlicher Autor bekannt gewordenen Sozialdemokraten Hermann Glaser, ist die von SPD und Grünen eingesetzte bekennende Charismatikerin Karla Fohrbeck. Sie schwärmt von spirituellen Grenzerfahrungen und magischen Kulten und benutzt ihre neue Prominenz so nebenbei zur vielfältigen Unterstützung fanatischer Sekten. Auch hier ist neofaschistische Politik nicht weit entfernt: Ein "Arbeitskreis christlicher Publizisten", dem auch der rechtsextreme Ex-General Günter Kießling angehört, tagte in Nürnberg in Anwesenheit der erleuchteten Kultur-Chefin ("Gott hat mit mir was vor in dieser Stadt"), die in der Lokalpresse als "heimlicher Star, dem eigentlich diese Veranstaltung galt", gehandelt wurde. Kießling ist eifriger Autor in rechtsextremen Zeitschriften wie dem konservativ-revolutionären "Criticon", in "MUT" oder dem nationalrevolutionären Blatt "wir selbst" um den "neurechten" Chefdenker Henning Eichberg. In dessen Umfeld trat Kießling schon Mitte der achtziger Jahre für die deutsche Wiedervereinigung ein - "Deutschland als Ganzes", ganzheitliches Denken eben. Karla Fohrbeck will sich da nicht lumpen lassen: "Ich wußte früher als andere, daß die Mauer bricht, am Karfreitag davor wurde mir das sozusagen vermittelt." (73)  Die besondere spirituelle Begabung der Deutschen, ob christlich oder heidnisch, scheint immer dann heftig zutage zu treten, wenn es um die rein völkischen Belange geht.

Die als "linkskatholisch" begonnene (74)  Zeitschrift Publik-Forum hat sich inzwischen zum New Age-nahen christlichen Freikirchlertum hin entwickelt. Die wiederentdeckte Mystik wird hier breit propagiert. In einem Sonderheft zur Marien-Mystik wird die Rolle der Madonna von Tschenstochau beim Kampf gegen den Sozialismus gewürdigt. Die guten Beziehungen der "Publik-Forum"-Redaktion zu nationalrevolutionären Kreisen sorgen dafür, daß die Interessen der politischen Rechten hier nicht zu kurz kommen. Alfred Mechtersheimer z. B., der in den achtziger Jahren mit (Neo-) Nazis und dem ursprünglich der NPD entstammenden "wir selbst"-Kreis für die deutsche Einheit focht, ist eines ihrer langjährigen Objekte der Fürsorge. Er konnte z. B. 1991 in "Publik-Forum" seinen deutsch-nationalistischen Text "Antiamerikanisch - weshalb eigentlich nicht?" gekürzt veröffentlichen. In voller Länge, nur ergänzt um eine einzige antisemitische Bemerkung, erschien der Artikel in der militant-neonazistischen Zeitschrift "Sieg" des bekannten österreichischen "Auschwitz-Lügners" Walter Ochensberger (75) - ausgerechnet hier gefolgt von einem Zitat des Jesuitenpaters, New Age- und "Neue Rechte"-Vorbilds Pierre Teilhard de Chardin. "Sieg" ist ein neuheidnisch orientiertes Blatt, das sich immer wieder dem "Ahnenerbe" der alten Germanen widmet. Ochensberger sitzt im Knast, weil er die Massenmorde an den europäischen Juden leugnete.

Wenn es gegen die Sieger des Zweiten Weltkriegs geht, sind ehemalige "Linkskatholiken" wohl nicht so wählerisch: Eine Titelgeschichte zum Golfkrieg schmückte "Publik-Forum" mit Zeichnungen des Nationalrevolutionärs A. Paul Weber, der politisch zum Kreis des Konservativen Revolutionärs Ernst Niekisch gehörte, privat Niekischs bester Freund war und vor 1933 antisemitische Hetzkarrikaturen in rassistischen Büchern verfaßte. (76)  Niekisch, der mit seinen Schriften in den zwanziger Jahren den Faschismus vorbereitete und eigene antichristliche, völkisch-mystische Vorstellungen von Religion hatte, gehört seit den siebziger Jahren zur Hauptliteratur der bundesdeutschen Nationalrevolutionäre, selbstverständlich auch des "wir selbst"-Kreises. Auch gegen eine nazistische Sekte wie die "Deutsche Unitarier Religionsgemeinschaft e. V." (DUR) ist "Publik-Forum" tolerant: Der "Justitiar" der DUR, der Schleswiger Notar und Rechtsanwalt Ralf Abel, ist für das Blatt ein Zeuge gegen die "Scientology-Church", einer der Chefideologen der "Deutschen Unitarier", der auch als New Ager bekannte Hubertus Mynarek, wird in "Publik-Forum" gegen Angriffe von Antifaschisten verteidigt. (77)  Mynarek gehört wie Mechtersheimer ebenfalls zu den nationalrevolutionären Deutschland-Vereinigern der achtziger Jahre um die Zeitschrift "wir selbst".

Im "neurechten" polit-religiösen Bereich haben sich inzwischen Netze herausgebildet, die über weltanschauliche Fraktionsstreitigkeiten hinweg knallhart rechte Politik machen. Den meisten Lesern von "Publik-Forum", von denen viele zu den progressiven Angestellten kirchlicher Sozialeinrichtungen gehören, werden diese Hintergründe sicher nicht bekannt sein. Doch zeigen die Personen, mit deren Foto "Publik-Forum" 1992 zu seinem zwanzigjährigen Bestehen für sich wirbt, auch ein bemerkenswert eindeutiges Bild: der "sanfte" Antisemit Franz Alt, der vom Hitler-Fan Carl Gustav Jung zum New Age kommt; (78)  Luise Rinser, die seinerzeit Hymnen auf Hitler verfaßte; Rita Süssmuth, die der rechtsextremen "Deutschen Liga für das Kind" die Treue hält; (79)  Hans Küng, der 1990 bei einem Sekten-Kongreß als Festredner auftrat, der von der DUR mitveranstaltet worden war. "Besser es gibt Skandal, als daß die Wahrheit zu kurz kommt", dieser Satz aus der "Publik-Forum"-Werbung erhält so seinen besonderen Sinn.

Ist die "Charismatische Bewegung" mit ihrer neu-alten Frömmigkeit bis hin zur Selbstvergöttlichung über das Konzept des Heiligen Geistes - und damit sehr nah am pantheistischen Organizismus - vor allem im Bereich des Katholizismus stark, so entspricht ihr im der Protestantismus die Evangelikale Bewegung. Ein Blick nach Mittelamerika erhellt die Hintergründe der Propagandafeldzüge evangelikaler Sekten, die inzwischen mit Hilfe privater Fernsehsender wie "Sky Channel" oder "Super Channel" auch von Madrid bis Moskau die elektronische Respiritualisierung des sozialismusfreien Europa betreiben. "Adventisten des Siebten Tages", "Zentralamerikanische Mission", "Kirche des Wortes", "Gesellschaft Gottes" oder die "Comunidades del Pentecostés" (Pfingstgemeinden) führen auf den Plantagen von Panama bis Mexiko zugunsten der Großgrundbesitzer seit den zwanziger Jahren vor, was es heißt, christlich-organizistisch gegen die Subjektivität der Massen zu kämpfen und dies als Missionswerk zu tarnen. Der Sieg der Contra in Nikaragua, die mit Christus-Plakaten mordend durch den Urwald zog, hätte mehr linke Aktivisten in Europa auf die Bedeutung der Respiritualisierung als Waffe gegen den Sozialismus aufmerksam machen dürfen. Ob in Guatemala oder El Salvador, die evangelikalen Sekten standen und stehen hier mit den Konzernen Mobil-Oil, Coca-Cola oder Holiday-Inn und den lokalen herrschenden Oligarchien eng zusammen gegen die sozialistischen Befreiungsbewegungen. Da fließt so mancher Petro-Cola-Dollar in die christliche Kasse.

In Deutschland sind viele Evangelikale Mitglied der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) geblieben. Sie arbeiten gleichzeitig in der "Evangelischen Notgemeinschaft in Deutschland" (ENiD) teilweise eng mit der neofaschistischen "Neuen Rechten" zusammen, etwa in Zeitschriften wie "Criticon" (regelmäßig Klaus Motschmann, stellvertretender Vorsitzender der ENiD) oder "MUT". Der Gründungspräsident und langjährige Vorsitzende der ENiD, Pfarrer Alexander Evertz, predigt in seinem Buch "Kirche und Volk. Ein Ja zum Vaterland" die Ungleichheit der Menschen und Völker und die Notwendigkeit der Apartheid, streng aus der Bibel begründet. (80)  Verbindungen von ENiD-Mitgliedern zu Propagandaeinrichtungen für die rassistische Politik Südafrikas sind immer wieder nachgewiesen worden. Die Vorstellung von der völkischen Gemeinschaft als Ausdruck des Gotteswillens und der göttlichen Gnade, die aus der Vorromantik (Herder) stammt, war bereits in den zwanziger Jahren wesentlicher Bestandteil des Protestantismus in Deutschland. (81)  Der im Neofaschismus breit verankerte evangelikale Pfarrer Wolfgang Borowski, ein extremer Antisemit und Mitglied des rassistischen, ausländerfeindlichen "Schutzbund für das deutsche Volk" ("Heidelberger Manifest"), arbeitete 1991 eng mit teilweise völkisch-neuheidnischen nationalrevolutionären Gruppen um die Publikationen "wir selbst" und "Junge Freiheit" zusammen, über die sich wiederum Rückbindungen zu völkisch-rassistischen Sekten wie den "Deutschen Unitariern", dem Nazi-Kirchenkampf und der historischen völkischen Bewegung sowie zu New Agern wie Hubertus Mynarek ergeben, die sich selbst in diese faschistische Tradition stellen. (82)

In Sorge um die Schäfchen, um diejenigen Menschen, die überhaupt noch spirituell sind, aber heute wieder - wie zur Jahrhundertwende - in Richtung New Age und Neuheidentum abwandern, passen sich die christlichen Großkirchen bereits der neuen Lage an. Bei Katholiken wie Protestanten wird von amtlicher Seite in gleicher Weise der angebliche Mangel an Mystik, die angebliche Verweltlichung einer mehr und mehr auf irdisches Wohlergehen ausgerichteten Theologie beklagt. Im Visier haben sie die Befreiungstheologie, die aus dem Postulat der Gleichheit der Menschen vor Gott praktische Sozialpolitik ableitet.

Die Devotionaliendruckerei "Fotokunst Groh" aus dem bayrischen Wörthsee druckt 1993 schöngeistige Lesezeichen mit einem Sinnspruch des Vordenkers der völkischen Bewegung, Paul de Lagarde: "Jeder Mensch ist ein besonderer Gedanke Gottes", heißt es da. An den Karten- und Broschürenständern in katholischen Kirchen, wo diese Firma fast ein Monopol hat, können die Gläubigen solche Kärtchen kaufen. Sie erfahren allerdings nicht, daß Paul de Lagarde wegen seines glühenden Antisemitismus von den Nazis als Stammvater adoptiert wurde. Sie erfahren auch nicht, daß sein Spruch als Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung von Menschen gedacht war, als Vorstufe zum Ethnopluralismus des Evangelikalen Evertz, der die Ungleichbehandlung der Völker scheinbar christlich rechtfertigt. Lagarde war ein Gegner der Idee der Gleichheit der Menschen vor Gott, in einer christlichen Kirche hätte er eigentlich nichts zu suchen.

Die "Neue Rechte" erfand den Begriff des Ethnopluralismus, den sie vor allem in der Tradition Lagardes definiert. Sie greift solche Tendenzen bereitwillig auf. Günter Rohrmoser kann in "Criticon" "aus der Sicht eines christlichen Publizisten" über die "Kapitulation der Theologen" schreiben: "Sie fingen bei sich selbst an und säkularisierten alles, was an Substanz der christlichen Dogmatik fast zwei Jahrtausende lang fast unstrittig war. Wir haben an dieser Stelle nicht die Zeit zu interpretieren, was das theologisch bedeutet: Humanisierung, Sozialisierung aller christlichen Inhalte bis zur völligen Unkenntlichkeit und zum Verschwinden der Christlichkeit in der Hoffnung, mit diesem Zug der Zeit mithalten und vielleicht wieder die Spitze übernehmen zu können." (83)

Der "Zug der Zeit" des New Age liegt freilich im Unterschied zu einer humanistischen, "sozialistischen" Theologie nahe bei den politischen Zielen des Organizismus. So ist es keineswegs ein Zeichen von Progressivität, von Offenheit einer neuen Spiritualität gegenüber, wenn sich Christen an New Age-Positionen anpassen. Vielmehr ist es der schlecht getarnte Versuch, den im "linken" Christentum ausrangierten Organizismus wieder aufzuwerten, emanzipatorische Ansätze des Christentums, die auf der Bergpredigt basieren, zurückzudrängen. So wie Evangelikale und Papst in Südamerika gemeinsam gegen die Befreiungstheologie antreten, so setzen rechte Christen in Deutschland ihre (politische) Hoffnung offenbar darin, mit Hilfe von New Age- und neuheidnischen Tendenzen die Linke in den eigenen Reihen in die Schranken zu verweisen.

Die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) in Stuttgart ist die offizielle Institution der EKD zur "Feindbeobachtung". Sie soll die Auseinandersetzung mit solchen Weltanschauungen betreiben, die angeblich dem Protestantismus gefährlich werden bzw. ihn in seinem weltanschaulichen Gehalt und Reinerhalt beeinträchtigen könnten. In der Praxis allerdings ist die EZW offen für ideologische Gegenspieler, wenn sie von rechts bzw. aus dem New Age kommen. Sie hat sich als eine der ersten christlichen Einrichtungen mit dem New Age befaßt und in ihren Publikationen Sprach- und vor allem Denkregelungen gesetzt, die sogar die Auseinandersetzung des Katholizismus mit dem New Age breit bestimmen.

Die EZW sieht sich selbst in der Tradition des Mitbegründers der evangelikalen ENiD, Walter Künneth  (84), den die Konservativen Revolutionäre von "Criticon" als einen der Ihren ansehen  (85). Der rechtsextreme Publizist Karlheinz Weißmann, häufiger Autor in "MUT" wie in "Criticon", scheint hervorragende Verbindungen zur EZW zu haben. So konnte er den Hauptartikel über die neuheidnische Szene im Schwerpunktheft des "Materialdienstes der EZW" schreiben. (86)  Wie sehr hier der Bock zum Gärtner gemacht wurde, zeigt Weißmanns Versuch, die völkischen Neuheiden vom Faschismus zu reinigen, indem er die wesentlichen Bezüge dieser Gruppen zum Faschismus verschleiert, dagegen aber völlig absurde Vorstellungen groß herausstellt, die mit der wieder wachsenden Bedeutung faschistischer Spiritualität kaum etwas zu tun haben. So präsentiert er z. B. ein Buch als besonders wichtig, das einen wundersam verjüngten Hitler in einem UFO auf die Erde zurückkehren läßt, das von gefallenen Wehrmachtssoldaten gesteuert wird - derartiges ist selbst Neofaschisten zuviel. Es scheint so, als wolle Weißmann mit dem Übersteigern ins Absurde die evangelischen Pfarrer, die mit New Age und Neuheidentum konfrontiert sind, von der wirklichen Gefahr ablenken, denn es ist wohl kaum vorstellbar, daß ein derartiger Unsinn massen- oder elitenwirksam würde. Im Anschluß an Weißmanns Artikel darf sich im "Materialdienst der EZW" - offiziell als "Dokumentation" bezeichnet - die rassistische "Heidnische Gemeinschaft e. V." aus Berlin auf sechs Seiten selbst vorstellen, inklusive einer zwei Seiten langen Adressenliste teilweise offen faschistischer Kleinsekten.


Diesen Brief  will die EZW heute nicht mehr  wahrhaben:
Küenzlen bekennt sich 1989 als "Sprecher der EZW" zu Walter Künneth.
Lupe

Walter Künneth, dessen Arbeit für die EZW Vorbildcharakter hat, stand bereits vor der Kanzlerschaft Hitlers dem Nationalsozialismus nahe und versuchte, den Protestantismus mit der NSDAP zu versöhnen: "Evangelische Kirche und National- sozialismus stehen in dem Verhältnis einer notwendigen Begegnung. ... Der Natio- nalsozialismus ... bedarf der Kirche als gewissenschärfenden Korrektivs." "Der Nationalsozialismus ist die aus deutscher Not geborene Bewegung der Nation, in der sich am elementarsten der Wille des Volkes zur Freiheit und Neugestaltung heraussetzt." "Jeder Anschein, als ob die nationalsozialistische Bewegung durch christlich-kirchliche Argumente gehemmt werden sollte, muß nicht nur die nationalsozialistischen Kreise selbstverständlicherweise erbittern, sondern ist auch der kirchlichen Grundhaltung unwürdig." (87)  Künneths Versöhnungsversuche waren keineswegs bloß taktischer Natur (erst recht nicht vor 1933!), etwa, um dem Protestantismus einen Freiraum auch unter der Kapital-Nazi-Herrschaft zu erhalten. Er veröffentlichte mitten im Kirchenkampf der dreißiger Jahre seine Schrift "Antwort auf den Mythus", die als Gegenschrift zu dem Buch Alfred Rosenbergs, "Der Mythus des zwanzigsten Jahrhunderts" - dem nach Hitlers "Mein Kampf" meistgelesenen Nazi-Ideologie-Buch - gedacht war. (88)  Künneths "Antwort" an Rosenberg wird heute fälschlicherweise als die große ideologische Auseinandersetzung des Protestantismus mit dem völkischen Neuheidentum dargestellt. Tatsächlich ist die Schrift profaschistisch, nicht etwa antifaschistisch. Künneth bezieht sich hier keineswegs ausschließlich ablehnend auf Rosenberg. Dies ist heute besonders interessant, weil sich die EZW von Künneth herleitet und gleichzeitig die "Deutschen Unitarier Religionsgemeinschaft e. V." mit einem eigenen Buch verteidigt, eine Sekte, die sich offen auf ihre Herkunft aus dem direkten Umfeld Rosenbergs beruft. Die herausragende Bedeutung dieser offiziellen Einrichtung der EKD für die Auseinandersetzungen der evangelischen, aber teilweise auch katholischen Kirche mit der "neuen" Spiritualität des New Age macht es erforderlich, näher auf Künneth einzugehen.

Künneth, der mehrfach beteuerte, der Nationalsozialismus sei nicht identisch mit den Ideen Rosenbergs, versteht in seiner "Antwort auf den Mythus" die Selbstvergöttlichung des Ariers als Kern faschistischer Weltanschauung und kritisiert diese auch als "Diesseitsgläubigkeit" und als Hinwendung zum "faustischen Menschen". Seine Aussagen lassen in dieser Hinsicht nichts zu wünschen übrig: "So steigert sich die Blutreligion des Mythus zur Hybris der Gottgleichheit, zu dem stolzen Hochmut des Titanen, der schrankenlos schöpferisch, allmächtig und ewig zu sein vorgibt. Die Verblendung dieser gottfeindlichen Kreaturvergötzung wird erst von der Offenbarung aus in ihrer ganzen Furchtbarkeit durchschaut. ... Die Religion des Mythus wiederholt den Turmbau zu Babel, dessen Titanismus den Keim der Zersetzung in sich trägt." (89)  Mit dem Gleichnis vom Turmbau zu Babel trifft der Künneth des Jahres 1935 genau den Modernismus des Nationalsozialismus, den Heroischen Realismus von Faschismus/Konservativer Revolution und New Age und die Gemütslage der romantizistisch-kulturkritischen Völkischen und New Ager. Künneth bricht jedoch weder grundsätzlich mit dem Antisemitismus, den er von der Bibel her als gerechte Strafe für die jüdischen Christus-Mörder begründen will, noch mit der Judenverfolgung der Nazis, die er teilweise rechtfertigend unterstützt  (90), noch mit der Vorstellung Chamberlains und Rosenbergs vom "Völker- und Rassenchaos" der niedergehenden Antike, aus der erst die Germanen als herausragende Blutsgemeinschaft die Menschheit wieder zur Rassenhygiene geführt hätten.

Er stimmt in zahlreichen Punkten dem Antisemitismus Rosenbergs ausdrücklich zu und versucht auch, Brücken zu bauen vom Christentum zu einem New Age-faschistischen Verständnis der "Einheit in der Vielheit". An ein Paulus-Zitat, das die Gleichheit der Menschen vor Gott beinhaltet, schließt Künneth sein Bekenntnis zur faschistischen Rassehygiene an: "Wir müssen gestehen (!), daß im Laufe der Kirchengeschichte diese Aussagen auch auf dem Missionsgebiete im Sinne rassischer Gleichgültigkeit mißverstanden wurden. Wir bestreiten Rosenberg nicht das Recht, darauf den Finger zu legen." (91)  Mit seiner Neuinterpretation des paulinischen Christus-Verständnisses als organizistische "Einheit in der Vielheit", mit seinem Bibel-Verständnis von der gottgewollten Verschiedenheit der Völker, die der Mensch nicht mischen dürfe, will Künneth Rosenberg missionieren: Die echten Christen dächten gar nicht daran, "die Reinheit ihrer (jeweiligen, P. K.) Rasse preiszugeben." Dieser Angriff auf das Prinzip der Gleichheit der Menschen versucht, den vom (Neo-) Faschismus wie vom New Age als Prediger eines angeblich jüdischen Gott-Welt-Dualismus abgelehnten Paulus durch dessen organizistisch-ganzheitliche Interpretation zu integrieren, für ein "deutsches" Christentum zu retten. Künneths Verständnis einer "Einheit in Christus" zeigt durchaus Übergänge zur New Age-faschistischen "All-Einheit" und dem verwandten Konzept des "kosmischen Christus" bei Pierre Teilhard de Chardin, auch wenn er sich verbal immer wieder dagegen wendet, Schöpfung und Gottheit gleich zu setzen.

Andererseits kann Künneth auf die direkte Selbstvergöttlichung des Menschen leicht verzichten. Er ist nach wie vor ein naiv Genesis-gläubiger Mensch, an dem die Erkenntnisse über eine evolutionäre Entwicklung der Welt spurlos vorbeigegangen sind. Daher kann er den alten Weg der Affirmation des Seienden als von Anfang an bestehende Gottesschöpfung einschlagen. Er kommt damit zu demselben Ergebnis wie die faschistischen Gottmenschen:

"Die bluthafte Größe der Rasse, die naturhaft-geschichtliche Gemeinschaft des Volkes, das rechtliche, machterfüllte Wesen des Staates sind nicht Erscheinungen, denen der Christ mit Gleichgültigkeit gegenübersteht, denn es sind ja Wirklichkeiten, die von Gott als tragende Pfeiler in seine kreatürliche Welt eingebaut sind. Ihr Charakter und ihr Sinn werden von der Gottesoffenbarung aus neu erhellt, sie empfangen von ihr das Wissen um ihren Ursprung, um ihre gottgesetzte Würde, um ihr tiefstes Daseinsrecht und ihre Grenze. Rasse, Volk und Staat werden als Gesetz Gottes, als seine Ordnungen anerkannt, die im Kampfe gegen die zerstörenden Mächte der Unordnung die Welt und die Menschheit vor dem Sturz in chaotischen Untergang erhalten sollen. Die neue Erkenntnis erbbiologischer Gesetze und Notwendigkeiten, Reinerhaltung des Blutes, Pflege und Schutz einer gesunden Rasse, die Freude an nordischer Kraft und Leistungsfähigkeit sind demnach für die christliche Schau nicht Fremdelemente, sondern vielmehr eine Bestätigung ihrer Erkenntnis der Gottesordnung, zu deren Erhaltung und Dienst der Christ sich besonders verpflichtet weiß. ... Heißt die Rasse ehren den Schöpfer ehren, dann bricht der Vorwurf christlicher Rassefeindschaft in sich zusammen. Das Blut ist anvertraute Schöpfungsgabe, die nicht verachtet werden kann, die vielmehr eine im Angesichte des Schöpfers einzulösende Aufgabe in sich begreift. ... Die Liebe zum Volke, der Stolz auf seine Geschichte, die Treue zu seinem Wesen, der Einsatz für seine Ehre, die Hingabe für die Freiheit der Heimat und des Landes der Väter sind darum wieder für den christlichen Glauben nicht Randerscheinungen und Grenzmöglichkeiten seines Lebens, sondern viel mehr Äußerungen seiner unbedingten Bindung an Gott, den Schöpfer, dessen Wille mir auch in meinem Volke begegnet. ... Die staatliche Macht ist als 'Gottes Dienerin' der Herrschaft Gottes unterstellt und im Vollzug dieser von Gott zum Lehen empfangenen Macht Gott dem Herrn verantwortlich. Die staatliche Autorität ist ja letztlich nicht eigenständige, sondern von Gott abgeleitete Autorität. Das Amt der Obrigkeit ist gleichsam der stellvertretende Dienst, den sie im Namen Gottes ausübt. Auch der Staat ist eine Maske Gottes, durch die er sein Werk treibt. Weil alle staatliche Macht und auctoritas auf Gott hinweisen, ist es der Obrigkeit möglich, den Eid zu fordern und zwar den Eid bei 'Gott dem Allmächtigen und Allwissenden' und zum Kriegsdienst bis hin zum Lebensopfer aufzurufen." (92)

Grundpositionen von Faschismus und New Age, wie die Erkenntnis angeblicher Notwendigkeiten durch (mystische) Schau, die Bindung des Religiösen an die Wirklichkeit, das schier unumschränkte Handeln des von Künneth nur verbal kritisierten, durch seine angebliche "Gottgefälligkeit" de facto eben dennoch vergöttlichten "faustischen Menschen" aus "nordischer Kraft und Leistungsfähigkeit" werden hier auf angeblich christlichem Boden errichtet. Künneth betont zwar immer - im Gegensatz zu Faschisten und New Agern - die "Sündhaftigkeit" auch des "nordischen" Menschen, erklärt jedoch den totalitären, faschistischen und eben letztlich "faustischen" Staat zum Sachwalter Gottes, der der pantheistischen Selbstvergöttlichung des Tatmenschen nicht bedürfe, solange dieser Tatmensch im Willen des christlichen Gottes, "gottgefällig", handele. Schließlich versteigt er sich sogar dazu, seinen Christus und die Christen indirekt als die besseren Faschisten auszugeben und eine "christliche" Interpretation des Heroischen Realismus vorzutragen, in dem der "nordisch-deutsche Mensch" trotz - oder vielmehr, in der Folge Lutherscher Gnaden-Automatik: ungeachtet - seines Schuldigwerdens der göttlichen Gnade teilhaftig werde. (93)

Ein auf das "Heldenhafte" der Leidensübernahme und des Kreuzestodes Christi ausgerichteter christlicher Heroischer Realismus findet sich im übrigen fast überall im Protestantismus der zwanziger Jahre und der NS-Zeit. Auch Künneth bekennt sich ausdrücklich und vehement dazu: "Kann und darf das Leben Jesu unter dem Begriff des Heldischen gefaßt werden? Rosenberg ist darin zuzustimmen, daß die Evangelien Jesus als eine starke männliche Persönlichkeit zeigen. Eine in bestimmten Perioden der Kirchengeschichte sich findende weichliche, feminine oder aber gar süßliche Zeichnung und Darstellung des Jesusbildes bedeutet eine Abweichung von der geschichtlichen Wirklichkeit Jesu, die nicht ernst genug abgewehrt werden kann ... Jesus war ein heroischer Mensch ohnegleichen. ... Wie ein König steht er vor den Verrätern, die erschrocken vor ihm zurückweichen, ... schicksalsüberlegen, todesmutig, ein heldischer Geist. ... Jesus der Held ist immer zugleich mehr als ein irdischer Held, er ist der Sündlose, der Schuldlose, er ist der göttliche Herr." (94)

Das Zitat beinhaltet die Beschreibung des heroischen Realisten, wie sie dann als Konsequenz des pantheistischen Organizismus in Faschismus und New Age auf den Menschen, eigentlich den Nordeuropäer, angewandt wird: ebenso schicksalsergeben wie schicksalsüberlegen, Objekt und Subjekt in einem. Wenn Künneth den Heroischen Realismus für Jesus als Gott reserviert sehen will, dem die menschlichen Geschöpfe allenfalls nacheifern können - und dies im Interesse irdischer "Obrigkeit" von Gottes Gnaden auch tun sollen, jeder an seinem organizistisch als vorgegeben gedachten Platz -, so will er lediglich die Kirche als Vermittlungsinstanz zwischen "nordischem Menschen" und Gott um des Erhalts ihrer irdischen Macht Willen bewahrt sehen. Die pantheistischen Organizisten dagegen wollen die anachronistische, schmarotzende Feudalmacht der Kirche im Interesse der Herrschenden der bürgerlichen Gesellschaft hinweggefegt sehen.

Die Versubjektivierung der "Obrigkeit", der herrschenden Eliten, bei gleichzeitiger Verobjektivierung der Massen tritt bei Künneth und seinen evangelikalen Nachfolgern lediglich in einem alten, vorbürgerlichen Gewand auf. Sein extremer Antisemitismus, den Künneth in zahlreichen Ausfällen bekannte (95)  und der ihn zu einem Wegbereiter der Novemberpogrome von 1938 werden ließ, ist gespeist aus schlechtester christlicher Tradition, die im neuheidnischen Faschismus ebenso wie im New Age allerorten anzutreffen ist, selbstverständlich auch im heutigen, noch hegemonialen Christentum: In der "Spiegel"-Umfrage vom Januar 1992 vertraten 48 Prozent der evangelischen Kirchgänger und sogar 60 Prozent der katholischen die Ansicht von der jüdischen Schuld am Tode Jesu. (96)

Das gänzliche Scheitern von Künneths "christlichem" wie des pantheistisch-neuheidnischen Heroischen Realismus im Komplex Auschwitz zeigt den ethischen Bankrott dieser Ansätze, der von Beginn an angelegt war. Und selbst die Täter glaubten am Ende ihrer Selbstvergöttlichung nicht, wie das schuldbewußte Sprengen der Gaskammern und Krematorien in den Konzentrationslagern kurz vor dem Eintreffen der Roten Armee zeigte. Der Antisemitismus, bisweilen "sanft" als Antijudaismus auftretend, gehört zu den Grundpfeilern bürgerlichen "ganzheitlichen" Denkens, sei es in der Ablehnung des biblischen Sündenglaubens als "unarisch" bzw. inhuman - mit der Alternative der Selbstvergöttlichung; sei es in der pantheistischen Verneinung des jüdischen Gott-Welt-Dualismus, die beinhaltet, die Schuld an allen Übel dem Dualismus zuzuweisen.

Der heutige Leiter der EZW, Reinhart Hummel, promovierte 1963 über das am meisten antisemitische Evangelium, das Mattäusevangelium. (97)  In der Dissertation kommt - gelinde gesagt - das Judentum jedenfalls nicht gut weg. Wer eine kritische Würdigung des neutestamentlichen Antisemitismus als eine Ursache des nazistischen Mordens sucht - dies wäre nach Auschwitz wohl zu erwarten gewesen - sieht sich enttäuscht. Hummel bezieht sich auch in neueren Schriften auf die faschistische "Religionswissenschaftlerin" Sigrid Hunke, ohne ihre Nazi-Bezüge auch nur zu erwähnen. Er beklagt sogar im Gleichklang mit ihr die angebliche "Amerikanisierung der religiösen Kultur", obwohl doch Europa seine eigenen ganzheitlichen Wurzeln habe. (98)

Da mag es nicht mehr erstaunen, wenn die EZW offensiv eine nazistische Selbstvergöttlicher-Sekte wie die "Deutsche Unitarier Religionsgemeinschaft e. V." abschützt, indem sie ein Buch über diese ideologischen und teilweise personellen Nachfolger Alfred Rosenbergs veröffentlicht, ohne diese geistigen und personellen Quellen deutlich herauszustellen. (99)  Dieses EZW-Buch versucht vielmehr ausdrücklich, die "Deutschen Unitarier" vom Vorwurf des Nazismus reinzuwaschen, indem es die nazistische Herkunft, die antisemitische Militanz und die neofaschistischen, teilweise offen neonazistischen Aktivitäten dort genannter "Unitarier" sowie die einschlägigen Bezüge in der Ideologie dieser Sekte fast gänzlich ignoriert. Trotz der objektiven Funktion dieses Buches als Persilschein für eine nazistische Sekte (das Buch wird bezeichnenderweise vor allem von den "Deutschen Unitariern" selbst verkauft) besteht Reinhart Hummel darauf, es weiterhin über die EZW zu verbreiten. (100) Für einen Funktionär der evangelischen Kirche, der aus eigener Forschung um die christlichen Wurzeln des Antisemitismus weiß, auch wenn er sie als solche in seiner Dissertation nicht sonderlich zur Kenntnis nahm, ist dies zweifellos eine bemerkenswerte Haltung. Offenbar gibt es jedoch immer wieder derartige Kontakte der EZW zu zwielichtigen Organisationen. So war schon im August 1978 der EZW-Mitarbeiter Helmut Aichelin als Referent bei einer Tagung der rechtsextremen "Freien Akademie", einer Zweigorganisation der "Deutschen Unitarier", gemeinsam mit Hubertus Mynarek und der Antisemitin Margarete Dierks angekündigt. Mynarek und Dierks sind Anhänger des Nazi-Kirchenkampf-Ideologen Wilhelm Hauer, der seine "Theologie" explizit auf Rosenbergs "Mythus des zwanzigsten Jahrhunderts" aufbaute. Die EZW erscheint in diesem Zusammenhang selbst als ein Teil des konservativ-revolutionären Netzwerks bzw. Mohlerschen "Knäuels". So wurde neuerdings berichtet, das ehemalige Mitglied des EZW-Arbeitskreises "Psi und christlicher Glaube", Rudolf Passian, habe 1984 bei der Europawahl als Spitzenkandidat der rechtsextremen New Age-Partei "Neues Bewußtsein" fungiert. (101)

Auf kirchenoffizieller katholischer Seite sieht es kaum besser aus, im Gegenteil. Es ist wieder modern geworden, an die "Deutsche Mystik" der Dominikaner anzuknüpfen. Hiermit soll das Katholische gegen die Einvernahme der mittelalterlichen Mystiker durch Faschismus und Pantheismus/New Age verteidigt werden, de facto jedoch ergibt sich eine offene Flanke zu diesen Ideologien. So ist die Benediktinerin Hildegard von Bingen, eine der Gründerinnen der "Deutschen Mystik", eine zentrale Figur für die Medizinkritik und Alternativmedizin des New Age. (102) Die "coincidentia oppositorum" des Fürstbischofs und Kardinals Nikolaus von Kues, genannt Cusanus, eines großen Förderers der "Deutschen Mystik" und der Benediktiner am Ausgang des Mittelalters, gehört heute ebenso zur Grundlage antichristlicher "arischer", "europäischer" Religion bei Sigrid Hunke wie - in asiatischer Übersetzung - zum New Age, als katholische Form des "Yin und Yang". Die Schriften der Hildegard und "des Kusaners", wie Nikolaus von Kues bei Hunke gleichermaßen wie bei Katholiken liebevoll genannt wird, gehören heute zum Grundstock der aktuellen Remystifizierungsbewegung im Katholizismus wie im New Age und im Neofaschismus. (103) Der heutige deutsche Dominikaner-Pater David Steindl-Rast, eine Art New Age-Beauftragter seines Ordens und - inoffiziell - weiter Teile der Remystifizierungsfraktion in der römischen Kirche, versucht bereits seit längerem, die pantheistische mittelalterliche Mystik des Dominikaners Meister Eckhart im Katholizismus wiederzubeleben. Solche Versuche des Trittbrettfahrens gab es bereits früher in der Romantik, die Eckhart wiederentdeckte, und als Versuch einer christlichen Antwort auf die Eckhart-Rezeption durch Alfred Rosenberg, die jedoch eher den Charakter des Nachäffens der Nazis hatte. Gerade der Seelsorge-Orden der Dominikaner prägte nicht nur maßgeblich die "Deutsche Mystik" des Mittelalters, sondern hat sich von seiner Gründung an auch immer besonders um konkurrierende spirituelle Richtungen gekümmert. Sein Ziel war es dabei, sie für das offizielle Kirchen-Christentum einzufangen. Gleichzeitig sind "persönliches Heiligkeitsstreben" und "feierliche Liturgie", also mystisch gestützte Bestrebungen in Richtung auf eine Selbstüberhebung des Menschen, Mittel zum dominikanischen Ordens-Ziel. (104)
 
 

 

Christlich-pantheistischer Mythos "Heiliger Geist":
Über Hildegard von Bingen (Bildmitte) wird der Heilige Geist ausgegossen.

Abbildung aus einer mittelalterlichen Abschrift ihres "Liber divinorum operum", um 1230, Lucca, Biblioteca Governativa (entnommen aus: Gerhard Wehr: Meister Eckhart, Reinbek 1989, der auch kurz Beziehungen zwischen Eckhartscher und asiatischer Philosophie darstellt, ohne den Begriff des New Age zu verwenden, und den Rekurs der "Neuen Rechten" auf Eckhart und bisweilen Hildegard von Bingen gänzlich wegläßt).

Im Juli 2002 wurde der anhaltende Streit um den "christlichen" Pantheismus wieder deutlich, als der Benediktiner-Pater Willigis Jäger alias Zen-Meister Ko-un Roshi ihn offenbar all zu weit trieb: Seine Ansicht, die Begegnung mit Gott sei das "Ende der Gegensätze", der christliche wie jeder andere Gott sei in allem erfahrbar, in Pflanze und Stein, Mensch und Tier, sprengte die christlichen Mauern der Abtei Münsterschwarzach und rief die römische Glaubenskongregation auf den Plan.

Im Heimatland des New Age, Kalifornien, wandelt der Dominikaner Matthew Fox bereits seit längerem auf den Spuren Eckharts. Er verbreitet seine "Vision vom kosmischen Christus". New Age-Zeitschriften wie "esotera" (105) widmen ihm seitenlange Artikel, in denen er pantheistisch die Affirmation alles Seienden predigt, den Unterschied zwischen Gut und Böse, Tod und Leben verwischt und die Sündenfixiertheit der christlichen Theologie - und damit implizit die christliche Hoffnung auf Besserung - verurteilt, ohne - wie es z. B. der Sozialismus tut - eine menschliche Alternative anzubieten. Seine "Freundschaft mit der Dunkelheit", mit "Schatten" und "Schmerz", kann jedenfalls für diejenigen, die tatsächlich im Elend leben, kaum eine Hoffnung sein, niemals eine Lösung. Dieser Fatalismus ist nicht christlich, kann niemals links sein, führt vielmehr geradewegs zur faschistischen, "tragischen" Weltauffassung.

Ein Höhepunkt der Bemühungen des Dominikaner-New Agers Steindl-Rast, der Fox in nichts nachsteht, ist sein 1991 als Buch veröffentlichtes Gespräch mit Fritjof Capra, in dem er als die "Wendezeit" des Katholizismus den "Wechsel von Gott als Offenbarer der Wahrheit zur Wirklichkeit als Gottes Selbstoffenbarung" bezeichnet. (106) Der angestrebte Wechsel von Gott zur Wirklichkeit - undifferenziert, um welche Wirklichkeit es sich handelt: gut oder böse - beseitigt den Unterschied, der bisher zwischen dem Christentum und den Ansätzen neuheidnisch-faschistischer "Wirklichkeitsreligion" der zwanziger und dreißiger Jahre bestand. Diese "Wirklichkeitsreligion" organisatorisch verschiedener Einzelsekten war wesentlich an den Selbstvergöttlichungs-Versuchen des "Ariers" mit ihrer Konsequenz des Komplexes Auschwitz beteiligt. Auch der bisherige Unterschied zum Pantheismus des New Age ist bei Steindl-Rast aufgehoben. Wenn Steindl-Rast dann als weiteres Merkmal der christlichen "Wendezeit" die "Verlagerung des Schwerpunkts von theologischen Feststellungen zu göttlichen Mysterien" benennt, dann bewegt er sich auf altem mönchischem Boden. Auf ihm wächst seit langem der Organizismus mit seiner Methodik der Mystik als Erkenntnis- und Rechtfertigungsmittel. Steindl-Rast war bereits 1988 auf Ernst Albrechts CDU-nahem New Age-Kongress "Geist und Natur" aufgetreten. Er hatte dort mit zahlreichen Zitaten aus den Werken Rainer Maria Rilkes, auf dessen Gedichte auch Sigrid Hunke bereits 1969 ihre "eigene" Religion Europas aufzubauen versuchte, das selbstvergöttlichende Gotterleben in der Einsamkeit der "Dunkelstunden" gepriesen: "Daß Gott eine Wirklichkeit ist, die in und um uns reift, ist zutiefst christlich." In Wahrheit aber bringt nach biblischer Überlieferung nicht etwa die Einsamkeit der Dunkelstunden Christliches hervor, sondern die tätige Barmherzigkeit den Nächsten gegenüber. Steindl-Rast hatte hier auch heroisch-realistisch den "Gehorsam" gegenüber den angeblichen Gesetzen des Ganzen verlangt: "Das Ideal ist aber, daß wir die Tugend des Gehorsams so schnell wie möglich und so gründlich wie möglich lernen und dann niemanden mehr brauchen, der uns sagt, was wir tun sollen, weil wir es selber aus jedem Augenblick heraushören." (107)

Die zur Zeit stattfindende mystizistische Revision katholischer Theologie, für die z. B. die Zeitschrift "Lebendige Seelsorge" immer wieder Beispiele bringt, erhofft sich von einer Wiedergeburt der spätantiken Pneumatologie, der Lehre vom überall wirkenden Heiligen Geist, eine "christliche" Alternative zum New Age-Pantheismus. Man stützt sich dabei außer auf die spätantike Gnosis und die mittelalterlichen Mystiker vor allem immer wieder auf Pierre Teilhard de Chardin, der die Idee vom "Kosmischen Christus" entwickelte. (108) Papst Johannes Paul II. segnete diese Entwicklung sogar mit seiner Enzyklika "Über den Heiligen Geist" ab. Damit wollte er wohl vor allem den Charismatikern in den eigenen Reihen entgegenkommen, die den Heiligen Geist in einem karma- oder schicksalsartigen "Charisma" wirken sehen, das der Einzelne an sich entdecken und gottgefällig verwirklichen muß - eine "christliche" Form der Selbstvergöttlichung. (109)

Mit der neuen Pneumatologie lebt das neuinterpretierte Konzept der Engel als den Vermittlern zwischen dem Heiligen Geist (bzw. als der Heilige Geist selbst) und der materiellen Welt wieder auf, dessen spirituell-politische Potenz in New Age-Zeitschriften wie "esotera" schon vor Jahren entdeckt wurde und jetzt auch in neofaschistischen Blättern wie "MUT" auftaucht. (110) Man stellt sich hier taktisch an die Seite des New Age und des (Neo-) Faschismus, wo z. B. der Schüler des Nazi-Psychologen und Ganzheits-Mystikers Felix Krueger, der frühere SA-Mann und heutige New Ager Karlfried Graf von Dürckheim, das "Zeitalter des Heiligen Geistes" bereits ausgerufen hat. (111) Die Konsequenz - mindestens aber Möglichkeit - der Pneumatologie ist eine Art christlicher Allgott, der entgegen bisheriger christlicher Tradition und biblischer Überlieferung in allem, auch im Bösen, wirken und restlos alles bestimmen soll. Es ist letztlich ebenfalls wieder ein Heroischer Realismus, der jetzt den selbstvergöttlichten christlichen Eliten des sich selbst vergöttlichenden Christen für die Eliten bei gleichzeitigem Verweis der gläubigen Massen auf das göttgefällige sich Fügen ins unabänderliche Schicksal. Dabei beruft man sich auch noch auf dieselben geistigen Quellen wie Faschismus oder New Age, vor allem eben auf Eckhart, Teilhard und die "coincidentia oppositorum", das katholische "Yin und Yang" des Nikolaus von Kues (112).

Heute werden in Zeitschriften wie "Lebendige Seelsorge", die für das katholische Gemeindeleben eine zentrale Stellung haben, Meditationstechniken angepriesen, z. B. das spätantike "Herzensgebet" oder "Jesusgebet", das heute vor allem eine mystische Institution der Ostkirche ist: Mit körperlichen Übungen und dem Mantra-artigen ständigen Aussprechen des Namens Jesu will man zu einem eingebildeten "Christus in mir", zum Erlebnis der "unio mysica" der mittelalterlichen Mystiker, gelangen. Der Gläubige soll bewußtseinsmäßig mit Gott selbst verschmelzen. Solche Techniken werden zwar breit angeboten, gleichzeitig aber selbsternannten Christen Erster Klasse vorbehalten, die den "höchsten Reifegrad" erlangt haben und daher einzig zu diesen mystischen Erlebnissen fähig sein sollen - wie die erleuchteten Gurus des New Age.

Nicht mehr in der tätigen Barmherzigkeit des Samariters dem Nächsten gegenüber wird hier Christus verehrt, Christus erlebt, indem die Christen ihm nacheifern. Entgegen der biblischen Botschaft und der überlieferten Forderungen des biblischen Jesus sollen ich die Gläubigen vielmehr einer meditativen Technik hingeben, die objektiv niemandem etwas bringt und damit den Herrschen niemals gefährlich wird, allenfalls ihnen dienlich ist. Das christliche Bekenntnis wird nicht mehr auf die Mitmenschen gerichtet, sondern auf das angeblich mögliche individuelle Erleben der eigenen Gottförmigkeit. Die Ganzheits-Mystik des mittelalterlichen Mönchs Johannes vom Kreuz ist heute bei Katholiken aktuell, und offen werden die organizistischen Konsequenzen ausgesprochen: "In der Tat ist im Blick auf Innenwelt- und Umweltzerstörung neu darauf aufmerksam zu machen, wieviel Selbstheilungspotential vorliegt, wenn der Mensch nur in den vorgegebenen kosmischen und naturalen Ordnungszusammenhängen sich fügte." (113) Die Rezeption Meister Eckharts hat die Geister inzwischen soweit verwirrt, daß die Zeitschrift "Lebendige Seelsorge" eine Position vertritt, die bisher nur aus faschistischer Religiösität bekannt war, nämlich den Gläubigen als über Gott stehend anzusehen: "Entsprechend ist der höchste 'Reifegrad' christlichen Glaubens erst dort erreicht, wo die Gottesfrage des Menschen sich umkehrt in Gottes Bitten und Fragen nach dem Menschen: 'Adam, Eva, wo bist du, und wie tragt ihr dazu bei, daß meine Welt gerettet wird?'." (114)

Die Benediktiner, deren Ordensgrundsätze Schweigen, Gehorsam und Demut lauten, haben sich die Pflege und Entwicklung des christlichen Kults zur Aufgabe gemacht. Dies meint die Liturgie, das Zelebrieren der Meß-Mysterien. Ihre materiell-körperliche Seite, die kultischen Handlungen der Gläubigen, sind nichts weiter als Einübung in die Verhaltensweisen der Beherrschten, die eine organizistisch-antidemokratisch verfaßte irdische Gesellschaft ebenso verlangt wie produziert: Ehrfurcht, Nachbeten, Staunen, nach oben Schauen, kritikloses Hinnehmen der Eucharistie-Mysterien; glauben, daß Kerzenanzünden und Weihräuchern die Welt zum Bessern wenden, nicht etwa menschliches, gar revolutionäres Handeln; Schaf in der Herde sein, nicht etwa Hirte, die unteren, hinteren Plätze in der Kirche einnehmen, Knien, Verbeugen, Niederfallen vor dem angeblich wundertätigen Heiligenbildchen. Eingeübt werden vielfältige Demutshaltungen vor spiritueller, theologischer und weltlicher "Obrigkeit", deren Taten und Begründungen der Taten dem eigenen Einfluß entzogen sind. Dies alles heißt, das Akzeptieren der Entsubjektivierung bis hin zum Körperlichen einzuüben.

Henning Eichberg nennt das "sakrale Motorik" und findet es gut so. (115) Der Kult "heiligt" auf praktische Weise eine Wirklichkeit, die den Interessen der Mehrheit entgegengesetzt ist, als etwas nicht aus dieser Wirklichkeit Begründbares. Der Kult verschafft das mystische Erlebnis, das die gegebenen gesellschaftlichen Zustände als unhinterfragbare verewigt. Hierin unterscheiden sich Wesen und Ziel des christlichen Kults in nichts vom "kultischen Milieu" des New Age bis hin zum Ok-kult-ismus, auch nicht von den quasi-religiösen Kulten der völkischen Bewegung und der NSDAP. Der Organizist Eduard Spranger lobte Goethes quasi-kultisches Verhältnis zur Natur: "An der organischen Natur übt sich der Dichter, um Gestalten der beweglicheren seelischen Welt nach ebenfalls organischer Natur bilden zu können". (116) Tendenzen, sich zum Kultischen zurückzuwenden, finden sich heute bei New Age-nahen christlichen Autoren wie Erwin Haberer wieder, der die New Ager mit dem Beschwören christlicher Frömmigkeit, der "Heiligen Liturgie", der "Spiritualität der Klöster", dem Hinweis auf Meister Eckhart als christliche, statt New Age-Tradition usw. remissionieren will. "Warum nimmt aber kaum jemand zur Kenntnis, daß auch christliche Spiritualität mit lernbaren Übungen verbunden ist?", fragt Haberer in seiner oben angeführten Schrift. "Langsam erst spricht sich herum, daß etwa das Herzensgebet eine Meditationsform ist, die in ihrer Tiefe und in ihrer Wirkung sich durchaus messen kann mit den Yoga-Wegen oder mit der Zen-Meditation. Haben wir als Kirchen wirklich zu sehr nach außen gelebt? Haben wir uns wirklich zu sehr abgegeben mit politischen und sozialen Stellungnahmen?" Haberer meint: ja.

Die unbescheidene Auffassung zweier führender katholischer Theologen läßt keine Zweifel mehr: "Da alle Wirkungen des Kultes der Aufrechterhaltung der göttlich gesetzten Ordnung dienen, besteht ein enger Zusammenhang zwischen Kult und Moral. Im Kult wird das Gesetz bekräftigt und erneuert; die Kultorte sind daher zugleich Stätten des Rechts." (117) Das Konzept der von Gott abgeleiteten, geheiligten Ordnung der irdischen Verhältnisse soll sich von "innen" her begründen, aus Meditation und Kult. Der innengeleitete Untertan ist das Ziel dieser christlichen wie der New Age- und faschistisch-religiösen Ansätze. Er macht terroristische Repression überflüssig.

Der historisch bekannte Benediktinerabt Alban Schachleiter, der von seinem Orden gemaßregelt wurde, weil er die Nazis allzu weitgehend glorifizierte, ist die Ausnahme, weil er gemaßregelt wurde. (118) Die "Liturgische Bewegung", die zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts ihre Hohe Zeit hatte, war eine besonders von Benediktinern getragene, der Romantik sich verpflichtet fühlende Remystifizierungsbewegung im Katholizismus. Sie betonte die mystischen kultischen Handlungen als Grundlage einer organizistischen Gemeinschaft der Gläubigen und stand damit der heutigen, allerdings inzwischen schismatischen, Bewegung um den verstorbenen Erzbischof Marcel Lefebvre in nichts nach. Als Antwort auf die gesellschaftlichen Krisen des Hochkapitalismus, die im Einklang mit den bereits oben genannten päpstlichen Versuchen einer "Erneuerung der Welt durch die Kirche" stand, wandte sie sich zu mittelalterlicher Spiritualität und Gesellschaftsform hin. Das rheinische Kloster Maria Laach war unter seinem Faschismus-freundlichen Abt Ildefons Herwegen in den zwanziger und dreißiger Jahren ein Zentrum der "Liturgischen Bewegung". Über einen ihrer bekanntesten Führer, Romano Guardini, hatte sie zur völkisch-kulturkritischen Lebensreform- und Jugendbewegung enge Kontakte. Derart bestanden nicht nur persönliche Zugänge zur Konservativen Revolution, man kann die "Liturgische Bewegung" geradezu als ihren katholischen Teil angesehen.

Richard Faber bezeichnet die Liturgiker aufgrund ihrer "archaischen Traditionspflege" als "präfaschistisch" und kann den Laacher Abt Herwegen mit dem Satz zitieren: "Was auf religiösen Gebiet die Liturgische Bewegung ist, ist auf politischem Gebiet der Faschismus." (119) Die "Mysterien-Theologie" der "Liturgischen Bewegung" ließ sich so mit der "Reichstheologie" - die den organizistischen Staat aus katholischer Theologie zugunsten eines faschistischen Großdeutschland ableitete - verbinden, daß das Benediktiner-Kloster Maria Laach zu einem Zentrum der Katholiken in der Konservativen Revolution wurde. Hier trafen sich die Anhänger von Hitlers Vizekanzler von Papen. Katholisch geprägte geheimbündlerisch-elitäre, kult- und volksgemeinschaftliche Ideen aus dem Umfeld der faschistisch-neuheidnischen "Action Francaise" (einer Art "Konservativer Revolution" in Frankreich), aus dem esoterisch-völkischen Kreis um Stefan George - ein von den Nazis hofierter Lyriker, der im New Age, z. B. bei Hubertus Mynarek, und bei der "Neuen Rechten" heute wieder hoch im Kurs steht - und aus den Büchern des Organizisten Othmar Spann wurde unter dem Schutz der Benediktiner zu einem klerikalfaschistischen Gebräu eigener Art verarbeitet, das einigen Nazi-Ideologen schließlich doch verdächtig vorkam. So war der in Maria Laach hoch angesehene Österreicher Othmar Spann - ein Bewunderer Meister Eckharts -, zuerst ein glühender Anhänger des Nationalsozialismus und wurde schließlich doch von den Nazis verfolgt, wie andere Vorkämpfer des Faschismus in Deutschland auch. Heute gilt Spann den konservativ-revolutionären Katholiken als der "wahre" Capra, als der Vertreter des "ureuropäischen" gegen das "amerikanisch-westliche" New Age. Die Verbindungen des Laacher Zirkels gingen in die höchsten Kreise: Konrad Adenauer versteckte sich angeblich vor der Gestapo bei seinem Freund Herwegen in Maria Laach. (120) Der spätere Vorsitzende der Katholischen deutschen Bischofskonferenz, Kardinal und Erzbischof von Köln, Josef Höffner, gehörte zu den Förderern des katholischen Klerikalfaschisten Peter Wust, eines Exponenten dieses Laacher Kreises.

Ildefons Herwegen selbst vertrat einen "liturgischen Organizismus" (Richard Faber) und pries den nationalsozialistischen Staat als Erfüllung katholischen Wollens. Schon im Frühjahr 1918 hatte er in größter Offenheit über das Ziel geschrieben, das der Organizismus jeder Spielart und seine Methodik, die Mystik, anpeilen. In seiner Einführung in das Buch "Vom Geiste der Liturgie", das der lebensreform- und jugendbewegte katholische Ideologe Romano Guardini (Quickborn) (121) herausgebracht hatte, hieß es: "Der Sozialismus kennt zwar Gemeinschaften, aber nur solche, die eine Anhäufung von Atomen, von Individuen bilden. Unser Verlangen aber geht nach dem Organischen, nach der lebensvollen Gemeinschaft. Eine solche organische Gemeinschaft im höchsten Sinne ist die Kirche. Sie schließt die Menschen so innig zusammen wie keine andere Gesellschaft, gibt ihnen einen Geist, ja in gewissem Sinne einen Leib - corpus Christi mysicum. (122) In diesem Leib steht alles zum Haupt und zueinander in engster, lebensspendender Verbindung ... Eine organische Gemeinschaft, die auf Gott gerichtet ist, muß einen öffentlichen gemeinsamen Kult haben. Die Liturgie der Kirche ist ... öffentlich." (123) Den religiösen Kult sieht Herwegen als Instanz zur Einübung des gesellschaftlichen Verhaltens, das die Eliten den Massen abnötigen. Andernorts schreibt er: "Die Liturgie (muß) als der formelle Ausdruck christlichen Geistes auch heute wieder unser Lebensstil werden." (124) 1924 meint Herwegen dann: "Zwei unvergleichliche Werte haben wir Katholiken unseren Volksgenossen zu bieten: Objektivität gegenüber dem auflösenden Subjektivismus, (125) und Gemeinschaft gegenüber dem atomisierenden Sozialismus. Eine unübertreffliche Schule, in der wir diese Lebensgüter ausbilden, ist die Liturgie." Im Juli 1933 gibt Herwegen in Anwesenheit des Konservativen Revolutionärs Peter Wust und des Hitler-Vizekanzlers von Papen in Maria Laach ein ganz besonderes Credo ab: "Sagen wir ein rückhaltloses Ja zu dem neuen soziologischen Gebilde des totalen Staates, das durchaus analog gedacht ist zu dem Aufbau der Kirche." (126)
 

Naturspiritualität in christlichen Mauern:
Die Benediktiner-Abtei Maria Laach am Laacher See wurde in Folge der Französischen Revolution 1802 aufgehoben und 1892 wiederbegründet -
Idylle eines scheinbar nicht-nazistischen Klerikalfaschismus in den 20er und 30er Jahren, heute Idylle des ökologischen Land- und Gartenbaus auf den dem See abgewonnenen Grünflächen.

Der katholische Abt Herwegen kommt vom christlichen Organizismus ebenso zum Faschismus wie der protestantische "bekennende" Pastor Künneth, ebenso wie ihn die völkisch Religiösen vom pantheistischen Organizismus her erreichen. Aus unserem Blickwinkel, der Selbstvergöttlichung und Heroischen Realismus untersuchen will, erscheint somit die Frage nach dem Ort des göttlichen Wesens, in dieser Welt oder außerhalb, fast schon als zu vernachlässigende Fraktionsstreitigkeit zwischen christlichem und pantheistischem Organizismus. Man ist jenseits der "Barrikade" offenbar keineswegs so weit auseinander, damals nicht und heute nicht. Wer heute das touristische Kleinod Maria Laach besucht, findet in der klostereigenen Buch- und Kunsthandlung mit dem schönen Namen "ars liturgica" nicht nur die Werke Herwegens, Guardinis, etliche Editionen zum "Johannes-vom-Kreuz-Jubiläumsjahr", das die Katholiken New Age-wirksam propagieren, oder das ganze Arsenal von der mittelalterlichen bis zur neuheidnischen Mystik, inklusive Karin Johnes praktisches Buch "Einübung in christliche Mystik. Ein Kursus mit Meister Eckhart", der freilich bereits im dreizehnten Jahrhundert verstarb. Neben Matthew Foxs "Vision vom Kosmischen Christus" liegt hier auch gleich die politische Praxis aus: In dem Sammelband "Liturgie zwischen Mystik und Politik" sind die Referate der Österreichischen Pastoraltagung vom Dezember 1990 gesammelt, Inhalt z. B.: "Erfahrungsberichte: Friedensgebete in Leipzig. Wallfahrten in der Ukraine" und ein Aufsatz der CDU-Politikerin Hanna Renate Laurien "Liturgie als Lebensdeutung und Lebenskritik". Auf den Buchrücken steht unmißverständlich: "Der politisch engagierte Mystiker" sei der "Christ der Zukunft". Wer den Pressereferenten von Maria Laach, Bruder Petrus, nach einer katholischen oder gar benediktinischen Handreichung zum Thema New Age fragt - wie wir es taten -, der bekommt die Zeitschrift "Lebendige Seelsorge" empfohlen.

Zum neunhundertjährigen Bestehen der Abtei Maria Laach im August 1993 brachte die Deutsche Bundespost eine Sonderbriefmarke heraus. Bundeskanzler Helmut Kohl erklärte beim Festakt, das Kloster sei "Mittelpunkt geistlichen Lebens" in Deutschland, "wichtiger Teil des kulturellen Erbes Europas", ein "Ort der Einkehr ..., an dem der Mensch zu sich selbst findet". Nach Meinung des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Rudolf Scharping herrsche hier "Toleranz und Solidarität". Von Herwegens faschistischen Ausfällen wurde geschwiegen.

Längst sind Christentum und New Age/Faschismus - oder besser: das antiquierte und das moderne "alte Neue Denken" - ideologisch wieder soweit angenähert, wie es im historischen Faschismus bereits der Fall war. Die Nähe ist größer als manch fanatischer heidnischer Kirchenfeind glauben mag. Die Tage der Befreiungstheologie scheinen gezählt zu sein, weil die am Machterhalt der Eliten und an der Entsubjektivierung der Massen interessierten Amtskirchen theologisch den Kampf aufgenommen haben und im Mantel eines breit populären christlichen "New Age" mit ihrem politischen Ziel des Organizismus auf dem Siegeszug sind. Der Nachfolger Höffners als Erzbischof von Köln und damit Oberhirte auch des Einzugsbereichs von Maria Laach, Joachim Kardinal Meisner, hatte bereits in seinem Fastenhirtenbrief 1990 vor dem New Age kapituliert. Die Schrift lag noch 1992 als einziges geistliches Wort des Erzbischofs im Kölner Dom aus. Der pantheistische Titel "Gott in allen Dingen finden" knüpft an Meister Eckhart an. Kardinal Meisner legt hier - kein guter Hirte - den Gläubigen das katholische "Yin und Yang" mit seinen un-ethischen Konsequenzen der Einheit von Licht und Dunkel, Gut und Böse, ans Herz. Der naturmystische Pantheismus tritt im katholischen Gewand auf, ja sogar den von New Age und "Neuer Rechter" hofierten modernen pantheistischen Mystiker Antoine de Saint-Exupéry empfiehlt der Erzbischof. Das Ziel des Papst-Lieblings Meisner: Organizismus, Naturverhältnisse als Metapher und Vorbild für Gesellschaftsverhältnisse, Affirmation des Seienden. Es gebe "nicht nur Naturgesetze im Sinne physikalischer Funktionen, sondern das letztlich entscheidende Naturgesetz ist ein moralischer Anspruch. Die Schöpfung selbst lehrt uns, wie wir auf rechte Weise Mensch sein können und die Welt bewahren sollen. Der christliche Glaube, der uns hilft, dieses Sollen im Sein zu begreifen, ist darum nicht eine Lähmung der Vernunft und nicht Opium für das Denken des Menschen. Er gibt vielmehr dem Menschen die innere Wahrnehmung, im Sinn das Sollen für den Menschen zu erkennen. ... Wo wir Gott ganz Gott in seiner Schöpfung sein lassen, indem wir sein Wollen darin respektieren, entsteht der Lebensraum, in dem der Mensch ganz und gar Mensch sein kann", meint Meister. Im Herbst 1993 hat der faschistische Organizist Hubertus Mynarek eine kritische Biographie des gar nicht mehr so christlichen Organizisten Joachim Meister verfaßt - Fraktionsstreitigkeiten. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Mainzer Bischof Karl Lehmann, wirbt im Februar 1993 für die "Initiative Pro Gentechnik" der chemischen Industrie und stützt sich dabei auf den Existentialisten Hans Jonas, dessen Ethik im New Age rezipiert wird - faustische Übermenschen unter sich.

Ein "Arbeitskreis christlicher Publizisten" versucht neuerdings, die verschiedenen Strömungen des Organizismus zu vereinen. In seiner Zeitschrift "ACP-Informationen" wird der nazistisch belastete evangelische Landesbischof Hermann Dietzfelbinger ebenso gelobt wie der Nazi-Marine-Richter Hans Filbinger oder der katholische Militärbischof Johannes Dyba. Die "Charismatiker" kommen zu Wort, die rechte Psycho-Sekte "Verein zur Förderung der Psychologischen Menschenkenntnis" (VPM) hat regelmäßig eine ganze Seite im zwanzigseitigen "ACP"-Heft. Breit wird berichtet, der Nazi-Okkultist Rudolf Heß sei kurz vor seinem Tode noch Christ geworden und der ehemalige BASF-Chef Siegfried Buchholz sei "Gottes guter Kapitalist": "Dr. S. Buchholz übergab in seiner Eigenschaft als 2. ACP-Vorsitzender dem damaligen Ministerpräsidenten Dr. Ernst Albrecht eine 'Respektzuweisung', einen Dank für sein klares christliches Bekenntnis", hieß es in dem "ACP"-Blatt vom November 1993. Auszüge aus dem Buch "Versäumter Widerspruch" des rechtsextremen Ex-Generals Günter Kießling - der in Henning Eichbergs Zeitschrift "wir selbst" publizierte - wurden 1993/94 vom "ACP" gedruckt, Überschrift: "An der Front erfuhr ich die Begegnung mit Jesus." Und der Bergsteiger Peter Habeler äußerte sich zum übermenschlichen Bergsteigen ohne Sauerstoffgerät "auf dem höchsten Berg der Welt": "Gehirnzellen sterben ab, Traum und Wirklichkeit haben fließende Grenzen. In diesen Grenzbereichen zwischen Leben und Sterben hat ER mir Kraft gegeben, habe ich Gott in meiner Nähe real gespürt."

Dagegen muß freilich betont werden, daß selbstverständlich zahllose Christen deshalb in tätiger Opposition zum Übermenschentum, zum Faschismus und zum Organizismus standen und stehen, weil sie aus der Botschaft ihres Heilands das Gegenteil von "tragischer" Weltauffassung, von Heroischem Realismus und sich selbstvergöttlichendem "faustischem Menschentum" herauslasen und -lesen. Dennoch darf die Linke die Kritik des New Age nicht den Christen, erst recht nicht den Kirchen überlassen, wie deutlich wurde. Auch ist besorgt zu fragen, wohin christliche (Jugend) Organisationen unterwegs sind, die den Weg praktischer Gesellschaftsveränderung aus den siebziger und achtziger Jahren verlassen und nun - angepaßt an modische New Age-Strömungen - ideologisch und "liturgisch"-kultisch den Weg der Mystik und der Naturreligiösität eingeschlagen haben. Daß hieraus kein besseres Leben der Menschen auf Erden entstehen kann, sondern ein korporativistischer Staat der Unethik, wie ihn der Benediktiner Herwegen 1933 begrüßte, ist ersichtlich. Hier werden offenbar die falschen Verwandtschaften gepflegt: Den Sinn der "Kultgemeinschaft" als Lehrinstanz des Organizismus finden wir ebenso bei der SS wie in der faschistischen und "neurechten" Ideologie - z. B. bei Henning Eichberg - oder im New Age. Der vernünftige Gesellschaftsaufbau zum gleichen Nutzen aller kommt ohne "Kultgemeinschaft" aus, da ist auch manch merkwürdiger, im Sinne der "68er"-Bewegung "unaufgeklärter" Kult des Antifaschismus kein Gegenargument.

Zu den sogenannten Jugendsekten

So wie der militante Neonazismus heute als jugendliches Rowdytum halbstarker Fußballfan verharmlost wird, wurde in den siebziger Jahren von "Jugendsekten" gesprochen, wenn hierarchisch strukturierte, rechtsextreme Organisationen mit antidemokratischen Zielen gemeint waren. Scheinbar ging das alles nur die großen Kirchen an, die Konkurrenz fürchteten. Heute wissen wir, daß Hare Krishna, die zahlreichen Organisationen der Mun-Sekte, Transzendentale Meditation, die Bhagwan-Anhänger oder die heute bekannteste dieser Gruppen, die Scientology Church, alles andere als "Jugendsekten" sind. Die antidemokratisch strukturierten Organisationen werden von spirituellen Führern dominiert, die sich göttlich fühlen. Sie haben sich und ihre rechtsextremen Ideologien inzwischen auch in Mitteleuropa ideologisch, politisch und ökonomisch fest verankert. Obwohl sie im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehen, wenn von antidemokratischer Spiritualität die Rede ist, sind doch die bekannten ChefideologInnen des New Age nicht etwa demokratischer, wenn es um die Ernte der Früchte des Heroischen Realismus für die Eliten geht.

Die Zeitschrift "esotera" zitiert 1985 als "taoistisches Führungsprinzip", was der Traum jedes Diktators ist und was wir oben schon auf christlicher Seite kennenlernten: "Lao-tse beschreibt den seiner Ansicht nach besten Führer mit den Worten: 'Doch von ihnen, wenn ihr Werk vollbracht ist, bemerken alle Leute: 'Wir haben es selbst getan.'" Marilyn Ferguson, die mit ihrem Buch "Die sanfte Verschwörung" zur Päpstin des New Age neben Fritjof Capra wurde, sagte bei den Züricher New Age-Tagen: "Der beste Führer ist der, der das Verhalten der Menschen verändert, ohne daß sie es merken". (127) Sir George Trevelyan, der Dritte im Bunde der New Age-Meisterdenker und Träger des "Alternativen Nobelpreises" 1982 des ehemaligen Europa-Abgeordneten der Grünen, Jakob von Uexküll, schreibt in seinem Buch "Eine Vision des Wassermannzeitalters": "Viele sind zweifellos fortgeschrittene und reife Seelen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die neue Gesellschaft in die dem Spirituellen gemäße Gesellschaftsform zu überführen. ... Wenn dann der spirituelle Wandel eintritt, ... werden diese jungen Leute - bereits befreit von allen bindenden Fesseln der Konvention - der Aufforderung 'Folgt mir!' nachkommen können". (128) David Spangler von der New Age-Kommune Findhorn äußerte sich in seinem Buch "New Age - Die Geburt eines Neuen Zeitalters" so: "Ich bin der Herold und die Wahrheit des Neuen Zeitalters. Ich bin die neue Offenbarung". (129)

Der Satanismus ist eher eine spektakuläre Randerscheinung des New Age. Er zieht spezielle Konsequenzen aus dem Verwischen des Unterschiedes von Gut und Böse in der "Yin/Yang"-Einheit und treibt das spirituelle "Führer befiehl, wir folgen" auf die Spitze. Mit psychologischen Techniken ("Ekeltraining"), bei denen Führer von "Geheimorden" die Psyche ihrer Anhänger zu brechen versuchen, sollen vorher freie Menschen dazu gebracht werden, das Gegenteil von dem zu tun, was als Frucht Jahrtausende dauernder zivilisatorischer Kämpfe allgemein als ethische Errungenschaften der Menschheit gilt. (130) Diejenigen - auch heutige "christliche" Mystiker -, die das Recht der "Dunkelheit" einfordern und dem Bösen als angeblichem Teil Gottes einen gleichberechtigten Platz zuweisen, tragen eine ideologische Mitverantwortung bis hin zu den Ritualmorden von zerbrochenen Persönlichkeiten, die sich "einer dunklen Macht verfallen" fühlen. (131)

"Reverent" San Myung Mun braucht nicht den perversen Genuß der Macht des Satanisten über eine kleine Schar Verstörter. "Christdemokrat Hans Stercken, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, und sein Parteifreund, der Verteidigungsfachmann Karl Fell, die Ex-Botschafter Günther van Well und Per Fischer sowie hohe Offiziere außer Dienst parlieren mit dem ehemaligen Nato-Generalsekretär Joseph Luns über die Ostpolitik des Westens", 1989 auf Einladung einer der vielen Zweigorganisationen der Mun-Sekte. "Im Mun-Seminar weilte der frühere FDP-Sicherheitsexperte im Bundestag, Wolfram Dorn, in Sektenschriften publiziert der CSU-Europarlamentarier Otto von Habsburg. Dessen Parteifreund Hans Graf Huyn (beide übrigens eifrige Autoren in "Criticon", P. K.) war ebenso auf Mun-Trip wie der General a. D. Günter Kießling (der ja auch schon mal bei den "Charismatikern", in "Criticon" und in dem neuheidnisch-nationalrevolutionären Blatt "wir selbst" schreibt, P. K.). Heinz Maier-Leibnitz und Eduard Pestel (vom Club of Rome, P. K.) kamen billig nach Seoul, der allgegenwärtige Horst-Eberhard Richter nach Miami, und Karl Friedrich von Weizsäcker, der Bruder des Bundespräsidenten, durfte sich gratis in Washington fortbilden" (die beiden letzteren sind ja auch Führungsfiguren des New Age) - so berichtete "Der Spiegel" über die Aktivitäten des fünf Milliarden Dollar schweren Mun. (132) Seiner "Vereinigungskirche" darf man nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt von 1982 nachsagen, sie propagiere ein "faschistisches System" und betreibe "Psychoterror".

Muns Glaubensbekenntnis ist die Selbstvergöttlichung über das Konzept des koreanischen "Sung Sang": "Und schließlich sind im ursprünglichen Gemüt des Menschen alle Funktionen des Ursprünglichen 'Sung Sang' Gottes manifestiert" - das erinnert sehr an Meister Eckharts Selbstvergöttlichung, obwohl der von der Existenz Koreas noch keine Ahnung hatte. "Die Vereinigungsphilosophie behauptet ..., daß die Struktur des menschlichen Gemüts in der Struktur des 'Sung Sang' Gottes ihren Ursprung hat, da der Mensch nach dem Bilde Gottes geschaffen ist." (133) "Das 'Sung Sang' Gottes (das Ursprüngliche 'Sung Sang') ist das Gemüt Gottes oder diejenige Eigenschaft Gottes, die die grundlegende Ursache der unsichtbaren funktionellen Aspekte aller existierenden Wesen (d. h. ihr Gemüt, Instinkt, Leben usw.) ausmacht" - das erinnert an Capras göttliche Selbstorganisationskräfte.

Mun bemüht sich auch darum, daß der Nationalbolschewismus, eine Fraktion der Konservativen Revolution, bekannt wird und Nationalrevolutionäre wie Wolfgang Strauss als Autoren der Mun-Zeitschrift CAUSA Breitenwirkung bekommen. Strauss schrieb hier über "Russische Dorfprosa - Christliche Kraft der Seele". (134) In Frankreich kandidieren hohe Mun-Funktionäre auf den vorderen Listenplätzen von Jean-Marie Le Pens "Front National" und werden vom Bürgermeister von Paris, Jacques Chirac, empfangen. Chiracs neogaullistische Partei RPR hat beste Verbindungen zur "Nouvelle Droite" um Alain de Benoist. (135) Das Mun-Imperium soll nach Angaben des "stern" gemeinsam mit dem ehemaligen Gestapo-Chef von Lyon, Klaus Barbie, und anderen den bolivianischen Staatsstreich vom 17. Juli 1980 arrangiert haben. Am 11. April 1990 wurde Mun von Michail Gorbatschow empfangen, als er noch Staatschef der UdSSR war. Der antikommunistische "Reverent" aus Korea hatte die Sowjetunion, deren Herrschaftsbereich nach dem Ende des Sozialismus nun zum Zielfeld aller spirituellen Richtungen gehört, schon immer im Visier: "Mein Ziel ist Moskau und die Befreiung der kommunistischen Welt." (136)

Günter Rohrmoser, ein Stichwortgeber der Konservativen Revolution bis weit in die CDU/CSU hinein, sprach 1987 bei dem Mun-Ableger CAUSA über "Nation und Religion: die Geschichte der Deutschen". (137) Er vertrat hier die völkische Position der "Befreiung" Deutschlands von "Rom" durch die Reformation, die auch bei Rohrmoser in der schon bekannten psychopathologischen Allmachtsphantasie des "Ariers" endet. Diese Freiheit mache die Deutschen gottförmig, ja mehr noch, über Gott stehend: Luther "hat mit einer Kühnheit, die ja unseren spießbürgerlichen, sentimentalen Redensarten, die uns heute von den Kirchen ereilt (sic!), geradezu widerspricht, gesprochen, daß der Glaube kraft dieses Anteils an der Dynamis des Gottes selber Macht gewinnt über Gott. ... Kraft der Vollmacht des Gebetes kann der Christ auf Gott selbst einwirken." Rohrmoser befürchtet, "morgen (werden) Neger und Tartaren das Schicksal des christlichen Europa entscheiden". Die Deutschen sollten sich besinnen, wie es die Polen vorgemacht hätten: "Der Besuch des Papstes hat uns noch einmal daran erinnert, wessen eine Nation fähig ist, wenn sie sich ihres eigenen, religiösen Herkunftsgrundes gewiß bleibt."

Die "Transzendentale Meditation" (TM) des Maharishi Mahesh Yogi konnte wie Mun und die Scientology Church in die Mitte der Gesellschaft, zu den herrschenden Eliten, vordringen. Maharishi meint, organizistisch: "Es gibt keinen Platz und wird nie einen geben für den Schwachen. Der Starke wird führen, und wenn der Schwache nicht folgen will, gibt es keinen Platz für ihn." (138) TM wurde nicht nur vom philippinischen Diktators Marcos und dem US-Multis General Motors unterstützt, (139) sondern konnte nach dem Fall der Mauer in Berlin "einen ganzen Fachbereich der Humboldt-Universität für ihre umstrittenen Entspannungspraktiken gewinnen", für ein Forschungsprojekt mit lernbehinderten Kindern.

Wer glaubt, bei den freundlich lächelnden Bhagwan-Jüngern, wo sich sogar Politiker der Grünen finden, sähe es besser aus, irrt. Die spirituelle Szene ist zu sehr verwoben, als daß allzu große Unterschiede auftreten könnten. Man stellt sich sogar bewußt in alte Traditionen. Der Osho-Verlag - wie sich eines der Unternehmen der geschäftstüchtigen Spiritualisten nach dem letzten Namen ihres schillernden Führers nennt - preis J. Hogues Buch "Nostradamus - Jahrtausendwende" mit dem Slogan an: "Der Buddha des 21. Jahrhunderts ist, laut Nostradamus, Osho." Weder die "neurechte" Sigrid Hunke noch die New Ager kommen heute ohne den "ganzheitlichen" mittelalterlichen "Seher" Nostradamus aus, den bereits die völkische Bewegung und in ihrem Gefolge die Nazis für sich bemühten.

Die Osho-Zeitschrift "Connection" wendet sich New Age-strömungsübergreifend an die akademischen Mittelschichtseliten, preist mal Rudolf Bahro, mal Maharishi Mahesh Yogi an, druckt Werbung für Pyramiden- und Kristallmystik, für den "Weg zur eigenen Persönlichkeit" mit Hilfe der "Astro-Intelligence" und lockt mit dem Versprechen nie erlebter sexueller Ekstase, die allerdings sehr an die Exzesse von "Dunkelheits"-Fanatikern jeder spirituellen Provinienz erinnern, von Opus Dei bis Satanismus. Die Psychotechnik des Tantra wird als zu wenig dunkel kritisiert: "Tantra in Deutschland: Die Vermeidung des Dunklen." "Tantra, wie es bei und in den meisten Gruppen vermarktet wird, verspricht dir schnelle Wege zur Ekstase und Transformation deiner Sexualenergie, redet von Schönheit und Freude, lockt dich mit der Aussicht auf Heilung von Körper und Geist. Dabei wird die positive, helle Seite überbetont, alles Dunkle, das harte, wirkliche Leben aber, so gut es geht, ausgeklammert. Advaita Maria Bach, seit vielen Jahren Tantratherapeutin, will dieser Heuchelei und Vermeidungsstrategie des Garaus machen. Bei ihrer Arbeit beginnt sie daher ganz unten, in der Kanalisation, bei den verdrängten, dunklen Anteilen der Persönlichkeit und Sexualität. Denn lebendiges Tantra schreckt nicht vor Schmerz und Schmutz zurück", so heißt es im Dezember-Heft 1991 von "Connection". Diese Wendung in Richtung der faschistischen AA-Kommune des inhaftierten Fäkalien-Fetischisten Otto Muehl, deren innere Strukturen wiederum an die chilenische Colonia Dignidad erinnern, bereitet den so sanftmütig erscheinenden Osho-Jüngern anscheinend keine Schwierigkeiten. Kritik an solchen persönlichkeitszerstörenden Psychotechniken findet sich jedenfalls in dem angeführten "Connection"-Heft nicht.

Stark mutterkreuzverdächtig ist der "Connection"-Schwerpunkt "Kinder: Quälgeister und Meister", der mit der Schlagzeile "Mein Körper gehört nicht mehr mir" anhebt. Die Distanz zur emanzipatorischen Frauenbewegung wird betont, sie begann einmal unter dem Slogan "Mein Bauch gehört mir". "Ich habe mir immer eine normale Familie gewünscht, in der die Mutter das Frühstück macht, der Vater arbeiten geht und ich in die Schule gebracht werde, und wenn ich mittags heimkomme, gibt es Mittagessen", so propagiert "Connection" das wahre gesellschaftliche Ziel der Ideologie Oshos. Seine Anhänger stehen inzwischen zu Unrecht im Ruf, sexuelle Freizügigkeit zu propagieren: "Es war mir oft unangenehm, Freunde mitzubringen, weil meine Mutter mit ihrem Freund bis mittags im Bett lag - es war mir einfach peinlich!", so lesen wir in "Connection". In der "Osho Times", deutschsprachige Ausgabe, nimmt der verstorbene Meister kein Blatt mehr vor den Mund: "Homosexualität ist eine Perversion. Sie ist gegen die Natur. Homosexualität ist fruchtlos, sie bringt nichts in dir hervor. Weder kann sie Kinder zeugen, noch kann sie dir eine orgasmische Erfahrung geben. ... Und Homosexualität hat AIDS gebracht." (140) Ähnlich steht es auch immer wieder in der neofaschistischen Zeitschrift "Nation und Europa". Ora et labora für Sannyasins, psychopathologische Fäkal-Orgien im Hinterstübchen als Ventil, so wie Angehörige der herrschenden Eliten immer schon mal gerne zur Domina gingen: Dies ist das übernommene alte Muster, mit dem autoritäre Herrschaft aufrechterhalten wird.

In der Rubrik "Spiritualität und Politik: Kämpfende Buddhas" präsentiert ein "Connection"-Redakteur sein Verständnis des "Yin und Yang", Karl Marx pervers: "Der reiche Müßiggänger, der gierige Fabrikbesitzer oder Börsenspekulant, der blutrünstige General oder der bestechliche Politiker sind nicht meine Feinde. Sie sind ein Teil von mir, und ich fühle ihren Schmerz ebenso wie den des Armen, des Arbeitslosen, des Rekruten und des Gefangenen. ... Wirkliche, gelebte Spiritualität wird auch sie von den Ketten, in die sie sich selber gelegt haben, befreien". Verkaufen die Sannyasins jetzt ihre Buchläden, Arztpraxen, Diskotheken und Restaurants? Wohl kaum. Und auch die gleich anschließend präsentierte "Politik" des ersten Bürgermeisters Deutschlands aus der Partei Die Grünen, Osho-Jünger Franz Petschel aus dem niederbayrischen Hausen, vermag kaum zu überzeugen: In einem vierseitigen Interview stellt er sich als rabiater Kleinbürger nach dem Vorbild der rechtsextremen Politiker Glistrup (Dänemark) oder Poujade (Frankreich) dar, der nur einen einzigen politischen Satz (zu einer Klärschlammdeponie in seiner Gegend) sagt.

Dafür treffen wir aber einen "kämpfenden Buddha" in der zerfallenden Sowjetunion des Sommers 1991 wieder: "Die Georgier sind richtige Osho-Freaks, mit selbstentwickelten Malas aus Papier, Plastik und Nylonschnüren, ein Oshofoto drauf und fertig. Malas aus Poona sind eine Rarität und sehr begehrt." "Eine innere Stimme sagt: 'Statt einer Mala kriegt er den Stein aus Oshos Badezimmer'. Ich habe ihn in einer Holzschatulle mitgenommen, zu Heilzwecken. ... Und Boris Jelzin? 'Der ist gut, wir brauchen mehr Demokratie im Land'." Es ist Osho, der beim Putsch in Moskau 1991 gewinnt: "Militärs unterstützen Jelzin. Ich atme auf, das hatte ich so schnell nicht erwartet. ... Osho und Gorbi: Satchidanand, ein Kaufmann, der das Zentrum in Odessa leitet, erzählt: 'Ich war auf den Barrikaden bei Jelzin.' ... Ich umarme ihn, bin gerührt und weine. 'Osho everywhere.' Er nickt und versteht. ... 'Gorbi ist zurück im Kreml!' Mit dieser Botschaft weckt mich Shantam. Im Fernsehen schaut Gorbi gut aus. Auf mich wirkt er locker und gelöst, seine Stimme hat Poesie. Wir frühstücken und fahren in die Schule". So schildert uns "Connection" den aufregenden Moskauer Sommer 1991. Heute ist es nicht mehr so leicht, in der ehemaligen UdSSR an ein Frühstück zu kommen. (141) Gorbatschow aber, der Liquidator des real existierenden Sozialismus, wird von westlichen Deutsche-Mark-Spiritualisten als Quasi-Heiliger verehrt.

Kapitulation der Linken

Statt sich geistig zu munitionieren, scheint die Linke bisher auf dem Rückzug zu sein, ideologisch und bei den praktisch-politischen Folgen. Zwei Beispiele dafür sollen angeführt werden, wie das Scheitern der marxistischen "68er"-Bewegung und der Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus die Linke geistig verwirrt haben. Die Auseinandersetzung mit der realen Entfremdung im Kapitalismus, der nun unumschränkt herrscht, findet immer weniger in dem Versuch statt, die gesellschaftlichen Widersprüche zu bewältigen. Flucht in religiöse Konzepte, in pantheistische Harmonievorstellungen treten an die Stelle linker Politik. So wird 1989 in den "Blättern für deutsche und internationale Politik" von Erika Hickel "ein auch mythisches Naturverhältnis" als "Bestandteil menschlicher Integrität" gegen die Linke eingefordert, die dies "in menschenverachtender zynischer Weise wegdiskutiert" habe. In der Konsequenz einer nur noch mythischen, nicht mehr real materiellen "Integrität" des Menschen fordert sie dann - "Hier herrscht doch wohl Übereinstimmung bei den Lesern dieser Zeitschrift!" - das sozialpolitische Laissez-faire: Man müsse nicht bei jedem Erdbeben "um jeden Preis helfen", denn "Katastrophen" wie "Giftpflanzen, Erdbeben, Alter (!) und Tod" seien schließlich "Grundlage menschlicher Existenz", Natur eben. (142) Linke Politik hat aufgehört, wo man der Not mit mythologisch begründeter Schicksalsergebenheit begegnet. Sie wird seit hundert Jahren als gesellschaftspolitischer Naturalismus gegen soziale Forderungen ins Feld geführt. Wo z. B. Altern nicht mehr als gesellschaftlich bedingt begriffen wird, sondern als "mythisches Naturverhältnis", da ergibt sich schnell die Konsequenz, daß die von der jeweiligen Klassenzugehörigkeit bestimmte Verschiedenheit des Alterns der Fließbandarbeiterin und der Professorin nicht mehr gesehen und Forderungen nach Humanisierung der konkreten Arbeitswelt in den Betrieben nicht mehr erhoben werden. (143)

Ein Beispiel dafür, wie innerhalb der Linken marxistische Kategorien von New Age-Phrasen abgelöst werden, ist der dem Umfeld von Wolfgang Fritz Haug und früher der "Kritischen Psychologie" der Schule Klaus Holzkamps angehörende Bremer Behindertenpädagoge Wolfgang Jantzen. Die Unerträglichkeit des hegemonialen Kapitalismus und die vermeintliche Undurchschaubarkeit der gesellschaftlichen Widersprüche treiben einen ehemaligen Marxisten zur bedingungslosen Kapitulation vor der gauklerischen Welt-Harmonie des New Age. Die eigene bisherige Weltsicht scheint ihm durch das praktische Scheitern des real existierenden Sozialismus entwertet und wird nur allzu gerne verworfen bzw. relativiert. 1978 ging Jantzen im Gefolge Leontjews (144) noch vom historisch-materialistischen Konzept der "Aneignung der Welt" durch "Tätigkeit" aus, d. h. von der je gesellschaftlich bestimmten Arbeit des Individuums der Welt gegenüber. Behinderung war danach "die Isolation vom gesellschaftlichen Erbe" durch eingeschränkte Möglichkeiten seiner Aneignung und damit der Entwicklung der eigenen Person, der entsprechend dem Aneignungskonzept durch möglichst weitgehende Kompensationsprogramme begegnet werden müsse. Jantzen verstand sie als Teil der allgemeinen Isolation von Teilen des gesellschaftlichen Erbes, die im Kapitalismus besonders die Arbeiterklasse treffe. Der Bezug auf eine linke Sozialpolitik, in der die Gesellschaft genügend Geld für technische und therapeutische Kompensationsmöglichkeiten von Behinderung bereitstellt, folgte als realpolitische Forderung ebenso unmittelbar wie der Kampf um die grundsätzliche gesellschaftliche Veränderung.

Während Jantzen in den siebziger Jahren so etwas wie "Ganzheitlichkeit" im Sinne der Marxschen sechsten Feuerbachthese als das "Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse" verstand, (145) hat er sich inzwischen New Age-modisch zum Pantheismus bekehren lassen und vertritt die Position Feuerbachs, nicht mehr die Kritik von Marx und Engels an diesem. (146) Ausgehend von der heute so wohlfeilen Kritik des cartesianischen, mechanistischen und Gott und Welt als Zweiheit dualistisch trennenden "alten" Denkens - die aber nicht mehr als linke Kritik vom dialektisch-materialistischen Standpunkt aus erfolgt sondern metaphysisch - preist Jantzen nun Spinozas Pantheismus an (oder vielmehr das, was er dafür hält): "Gott ist für ihn (Spinoza, P. K.) der Weltprozeß als Ganzes, der sich in der Natur realisiert. ... Gott ... ist nichts neben dem Natur- und Gesellschaftsprozeß Stehendes, er ist dieser Prozeß". Das ist New Age. (147) Er knüpft an das Konzept der "Selbstorganisation des Lebens" an, das im "Neuen Denken" pantheistisch verstanden wird, und verkennt dabei, daß sein vergöttlichtes "Ganzes" nun zur Rechtfertigung der Nicht-Therapie von Behinderung, des Nicht-Helfens im Sinne von Erika Hickel, taugt, nachdem es von der gesellschaftlichen Tätigkeit des Menschen getrennt wurde: Das göttliche Ganze organisiert sich halt so, "Vielheit in der Einheit". Die Vielheit der Behinderung/Nichtbehinderung entspricht allerdings sogleich der Vielheit der Lebenschancen. Da sieht es für Behinderte in der real existierenden Gesellschaft schlecht aus.

Wenn Jantzen dann auch noch vom Begriff der "Eigenzeit" zu Statements kommt wie: "Blindheit führt uns in der Regel heute nicht mehr dazu, jemand als generell minderwertig auszugrenzen", dann ist das "neurechte" Mißverständnis selbst verschuldet, vielleicht sogar ersehnt aufgrund bisheriger Erfolglosigkeit mit linker Politik. Behindertenpolitik wird zum Lob der Ungleichheit, naturmythisch verklärt, frustrationsfrei - denn das neue Deutschland braucht seine Wirtschaftskraft für andere Ziele, als den Behinderten das Leben zu erleichtern. Der Schritt zum Sterbenlassen ist - wohl entgegen den naiven Intentionen Jantzens - nur noch klein, wenn über den Pantheismus Natur- und Weltall-Mystik ins Spiel kommen. Hier ist der Weg eingeschlagen weg vom Bereitstellen der Möglichkeiten zur weitgehend gleichen Teilhabe am gesellschaftlichen Erbe, hin zur Akzeptanz der Ungleichheit, die sich darauf beschränkt, lediglich das Vorurteil der Minderwertigkeit zu beseitigen, nicht aber, so weit möglich, die Benachteiligung. (148)

In einem Artikel, den er ausgerechnet in der "Zeitschrift für Heilpädagogik" des "Verbandes Deutscher Sonderschulen" veröffentlichte, bekennt sich Jantzen noch extremer zu einem Pantheismus, der die menschlichen Beziehungen zu "Gottesbeziehungen" erklärt und die Behinderten ihrer Behinderung naturbejahend überläßt. Jantzens Positionen erscheinen hier als der Konservativen Revolution zugehörig, und es ist wohl kein Zufall, daß die sich marxistisch nennende Zeitschrift "Hintergrund" den Artikel in demselben Heft nachdruckt, in dem der bekannte rechtsextreme Nationalrevolutionär Rolf Stolz einmal mehr über die Zukunft der Grünen Partei räsonniert. Der heutige "MUT"-Autor Stolz, früher einmal Mitglied des ersten Bundesvorstands der Grünen, hat selbst Verbindungen zu "neurechten", konservativ-revolutionären New Agern wie dem Ideologen der "Deutschen Unitarier", Hubertus Mynarek, oder der Szene um den Neuheiden Henning Eichberg. (149) Jantzen verbindet in diesem Aufsatz die in der "Neuen Rechten" so beliebten biologistischen Übertragungen von Ergebnissen der Tierforschung des Konrad Lorenz und seines Nachfolgers Norbert Bischof, kosmische Harmonie-Konzepte, Spinozismus und pantheistische Naturreligion mit der christlichen Vorstellung der Nächstenliebe und dem Gottesverständnis Feuerbachs. Es ist bemerkenswert, daß die Osnabrücker Zeitschrift "Hintergrund", die den Untertitel "Marxistische Zeitschrift für Gesellschaftstheorie und Politik" trägt, im Editorial diesen Artikel als Beispiel für die "Rekonstruktion und Neubegründung des revolutionär-humanistischen Gehalts des Marxismus als geistig-moralischer Orientierungsgrundlage des Menschheitsfortschritts ... im Horizont eines sich revitalisierenden Marxismus" ausgibt. Ist doch der Artikel mehr ein Beispiel für die geistig-moralische Wende weg vom Marxismus, von linkem Denken überhaupt, hin zu einer spirituell-ganzheitlichen Ideologie, deren Konsequenz eben nicht mehr die Veränderung der elenden Zustände auf Erden ist, sondern ihre Affirmation, ihr heroisches Ertragen im Bewußtsein des angeblichen Mitschöpferseins.

Jantzen begeht in seinem gänzlich unkritischen Rückgriff auf Feuerbach nicht nur den von Marx bereits an Feuerbach kritisierten Fehler, die Rolle der tätigen Praxis des Subjekts in einer bestimmten historischen Gesellschaft auszuklammern. Er setzt auch, als hätte es die Schrift "Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie" von Friedrich Engels nie gegeben, die "Liebe" an die Stelle der Sozialpolitik für Behinderte. "Liebe" versteht er im Sinne einer auf reines Mitleiden verkürzten, von ihrem aktiven Tätigsein als Barmherzigkeit dagegen entkleideten und somit verfälschten christlichen Nächstenliebe. Mit seiner Empfehlung der "humane(n) Annahme des Leidens" als "Voraussetzung der Überwindung des Unglücks" - statt der wirklichen, tätigen Überwindung des Unglücks - kommt Jantzen nicht nur in die Nähe der emanzipationsfeindlichen Konzepte der "Neuen Rechten" wie des "Rechts auf Ungleichheit", diesmal im Mantel eines Rechts auf Leiden und Mitleiden; auch die sozialpolitischen Konsequenzen sind dieselben wie oben bei Hickel, jedenfalls sind sie angelegt: Man muß ja nicht bei jedem Erdbeben immer gleich helfen. Friedrich Engels nannte dies bereits 1888 "allgemeiner Versöhnungsdusel" jenseits der gesellschaftlichen Wirklichkeit: "Aber die Liebe! - Ja die Liebe ist überall und immer der Zaubergott, der bei Feuerbach über alle Schwierigkeiten des praktischen Lebens hinweghelfen soll - und das in einer Gesellschaft, die in Klassen mit diametral entgegengesetzten Interessen gespalten ist." (150) Engels kommt angewidert zu dem Schluß: "Seine 'schönsten Stellen', zur Feier dieser neuen Liebesreligion, sind heute gar nicht mehr lesbar". Hundert Jahre später sind sie es wieder, der New Age-Konvertit Wolfgang Jantzen basiert darauf. Welch ein Bankrott linken Denkens, das ideologisch hinter Marx und Engels auf Feuerbach und Spinoza zurückgeht, das in der Folge nun praktisch der Deregulierungspolitik des Kapitals zu Diensten ist.
 


 

"Die Menge benutzt nicht nur Maschinen zur Produktion, sondern wird auch selbst zunehmend zu einer Art Maschine, da die Produktionsmittel immer stärker in die Köpfe und Körper der Menge integriert sind."
Der aktuelle Hype seit 2001 um das Buch von Michael Hardt und Antonio Negri: "Empire. Die neue Weltordnung", aus dem das Zitat stammt, zeigt erneut und aktuell den Sieg des New Age über die Linke, jedenfalls über diejenigen Linken, die an Hardts und Negris Zeilen hängen. Die beiden bekennenden Anhänger des mittelalterlichen Öko-Eso-New-Age-Mystikers Franz von Assisi haben ein weiteres Werk des New Age-Pantheismus vorgelegt, eine 'globalistische' Revision der deutsch-nationalistischen 'Lebensphilosophie' der 10er und 20er Jahre. "Die Belange des Lebens selbst" würden durch ihren "Kommunismus" des "Empire" verwirklicht, versprechen sie, "die Macht von Generation, Begehren und Liebe" komme zur Geltung. Und trotz - besser: entgegen - ihres revolutionären Pathos bleiben sie doch nur religiöse Phantasten, für die "Revolution" ein "säkulares Pfingstfest" ist, wie sie schreiben - das Ausgießen des Heiligen Geistes eben, blanker Pantheismus, der den Leichtgläubigen als "Kommunismus" vorgestellt wird. Wie das gesamte New Age, so  ist auch Hardts und Negris "Empire" nur schlichte Konterrevolution. "High sein, frei sein" betitelt Georg Fülbert in seiner "Empire"-Rezension in KONKRET Nr. 6/2002 diesen "Kitsch".
(Abbildung vom Titel der Buchausgabe der hier gelesenen Schrift, die schon 1994 - vorweggenommen - auch das New Age Hardts und Negris bildlich und inhaltlich kritisierte.)

Analog zur Vielheit der Behinderung in der Einheit des pantheistischen Liebes-Zusammenhanges liegt der politische Ethnopluralismus der "Neuen Rechten" als völkische "Vielheit in der Einheit". Linke Politik ist hier am Beispiel Behinderter ebenso zu Ende wie bei der neurechten Akzeptanz von ökonomischer gesellschaftlicher Ungleichheit über entsprechende Regionalismus-Konzepte, die z. B. der auch naturmystisch und völkisch-heidnisch engagierte Henning Eichberg vertritt: Unter dem Deckmantel des Antiimperialismus werden die Entwicklungsgrade bestimmter Regionen der Erde in einer vorher definierten "Eigenzeit" bestimmt und deshalb z. B. Entwicklungshilfe als Zerstörung dieser "Eigenzeit" betrachtet, als Ausdruck der "europäisch-kolonialistischen" Sicht auf die Gesellschaften des Südens, die erst noch zu entwickeln seien. Was sich so liest, als wäre es dem Süden gegenüber freundlich gemeint, ist doch in Wahrheit der Versuch, die Menschen dieser Regionen in den vorzivilisatorischen Armutsverhältnissen zu belassen bzw. sie dorthin zurückzustoßen. (151) Dieses "Neue Zeitalter" der völkischen, ökonomischen und Lebenschancen-"Vielheit" ist allerdings - fragt man die Betroffenen - dort gar nicht attraktiv.

Auch die Methode, die Mystik, ist bei Jantzen zugegen. Das gefährlich sich zum Idealismus hinneigende Konzept der "vorauseilenden Widerspiegelung" aus dem Spätwerk des dialektisch-materialistischen sowjetischen Physiologen Pjotr Anochin erscheint als eine Art mediale Fähigkeit. Im Zusammenhang mit dem Fluchtpunkt des Spinozismus wirkt es mehr wie ein Abklatsch der Spekulationen des New Agers Rupert Sheldrake denn als Begriff des dialektischen Materialismus. (152) Die Natur hat in Sheldrakes Werken "Das schöpferische Universum" und "Das Gedächtnis der Natur" ein eigenes Merksystem, das Kristallen, Pflanzen, Tieren, Menschen, Gesellschaft und Kultur ihre charakteristische Form geben soll und als "Erfahrung" in mystisch existierenden "morphischen Feldern" abgespeichert sei, mit denen jedes Individuum in Verbindung stehe. Auf dem Wege der spirituellen "morphischen Resonanz" - also ohne sich die Welt vorher durch Tätigkeit angeeignet zu haben - könne diese "Erfahrung" abgerufen werden. Jantzen stellt die "vorauseilende Widerspiegelung" als Fähigkeit des Individuums dar, "über eigene raum- und zeitschöpfende Strukturen" Ereignisse zu erkennen, "die in der Außenwelt erst später auftreten." (153) Zur Erläuterung wählt der Erleuchtete ein Beispiel, das nicht nur der Plattheit mancher Äußerungen auf den New Age-Kongressen entspricht, sondern auch als Abgrenzung vom Materialismus zu lesen ist: "Ich habe Durst, bevor ich verdurstet bin".

Derartige Mißverständnisse und Anbiederungen sind nicht neu in der Linken. Heinrich Heine schrieb 1834 in "Religion und Philosophie in Deutschland" ein flammendes Bekenntnis zum Pantheismus, von dem er sich erst auf dem Totenbett, in der Vorrede zur zweiten Auflage 1852, distanzierte. Inzwischen befand sich der Pantheismus im nachrevolutionären Deutschland bereits im Übergang zur rechtsextremen, antidemokratischen und antisemitischen Politik der beginnenden völkischen Bewegung. Diese Konsequenz noch nicht erkennend, gehörte 1834 auch die besondere spirituelle Sendung der Deutschen zu den Verirrungen Heines. Wie aus der Feder der hundertdreißig Jahre später schreibenden Sigrid Hunke heißt es bei ihm: "Der Pantheismus ist die verborgene Religion Deutschlands." Und wie aus der Feder Alain de Benoists beschwört er die "Göttlichkeit des Menschen" und erklärt: "Wir kämpfen nicht für die Menschenrechte des Volks sondern für die Gottesrechte des Menschen." Weder New Ager noch (Neo-) Faschisten erwarten sich wohl solche Rückendeckung aus dieser Ecke. (154)

Die verbreitete, aber - wie wir sehen werden - falsche Ansicht, beim New Age handele es sich um "gegengesellschaftlichen Protest", verleitet dazu, das "Neue Denken" als ungezogenes Kind der Linken zu betrachten, das man lediglich hier und da vor dem Spiel mit den völkisch-neuheidnischen Schmuddelkindern warnen müsse. (155) Die grundsätzliche geistige Auseinandersetzung mit Gruppen wie der "AG Neue Wege in Spiritualität und Politik" der Grünen wird gescheut, ihre teilweise im Neofaschismus aktiven Führer werden vom Rest der Aufrechten lieber belächelt statt bekämpft. Solche Tendenzen lassen sich auch in der Sozialdemokratie aufzeigen. Auseinandersetzungen wie die um die Grünen-Mitgliedschaft von Rassisten aus der Berliner "Heidnischen Gemeinschaft e. V." Mitte der 80er Jahre sind nicht nur die Ausnahme, sondern werden innerhalb der "neuen sozialen Bewegungen" eher mißtrauisch beäugt statt unterstützt. Zu sehr schon haben sich die objektiven gesellschaftlichen Wirren und Widersprüche dieser Tage als Harmoniebedürfnis im verwirrten Bewußtsein niedergeschlagen, das die Welt gesundbeten oder irgendwie pantheistisch-naturmythisch gesundschauen möchte. Das vorläufige Ergebnis solchen Umgehens mit New Age und Neuheidentum durch die Linke ist z. B. in Berlin zu sehen. Die sich rassistisch auf die "Naturreligion unserer Vorfahren" des "wendisch-semninischen Stammesgebietes" zurückführende "Heidnische Gemeinschaft" bekommt inzwischen für ihre Propaganda-Veranstaltungen vom Land Berlin kostenlos Säle bereitgestellt, tagt regelmäßig "in einem Berliner Rathaus" und kann "auf Staatskosten mit eigenen Lehrern" - als "heidnischer Religionsunterricht" getarnt - Jugendliche mit arteigenem "Neuen Denken" indoktrinieren. (156) Einen größeren Mißerfolg hätte die Verharmlosungs-Strategie des Totschweigens nicht haben können.

Nur wenige Schriften sind in letzter Zeit erschienen, die sich mit der Beziehung von pantheistischer Spiritualität und Faschismus befassen. Die Interessen des Kapitals an beiden tauchen darin wegen des Fehlurteils der "gegengesellschaftlichen Motive", die historisch auch auf die völkische Bewegung bezogen werden, fast gar nicht auf. Die meisten Publikationen sind historisch ausgerichtet und haben ihre Schwerpunkte oftmals nicht direkt auf dem Schnittpunkt der genannten Komplexe. (157) Andere, ältere, aber nach wie vor lesenswerte Werke, für die derselbe Vorbehalt gilt, werden heute außerhalb der Wissenschaften kaum rezipiert. (158)

Ein antifaschistischer Autor wie der verstorbene Reinhard Opitz erwähnt für Vergangenheit und Gegenwart zwar Verknüpfungen zwischen spirituell ausgerichteten Gruppen und entstehenden faschistischen und neofaschistischen Organisationen. So weist er auf die Rolle der okkultistischen und gleichzeitig politischen Geheimorden (Thule-Gesellschaft, Germanen-Orden, der Ludendorffer-Kreis) (159) hin, die in der Entstehungsphase des europäischen Faschismus nach dem Ersten Weltkrieg mit dem Kapital und den politischen Republikfeinden verwobenen waren. Er geht auf ihre imperialen Pläne für ein pangermanisches Mitteleuropa ein. Auch führt er an, daß die neofaschistische "Nouvelle Droite" unter Alain de Benoist in den siebziger Jahren durch den "einstigen Astrologie- oder Parapsychologie-Spekulanten Louis Pauwels den de facto unbeschränkten Einfluß auf das neugeschaffene 'Figaro Magazine' und dessen Ausgestaltung zu einem Flugblatt der 'Neuen Rechten'" und damit den publizistischen Durchbruch erhielt. Schließlich erscheinen Opitz auch die "Ganzheit"- und "Gestalt"-Begriffe und das "'spirituelle Denken' …á la Fritjof Capra" einschlägig verdächtig und brauchbar zur Begründung des faschistischen "Bio-Humanismus". (160)  Jedoch behandelt er dies immer nur in Nebensätzen und betrachtet es rein von der politisch-ökonomischen Seite, niemals von den ideologischen Identitäten und der religiös-ethischen Seite her. Letzteres aber entfaltet seine antidemokratische Dynamik heute im weit verbreiteten New Age.

Aktuell gibt es außer den Schriften von E. Gugenberger und R. Schweidlenka (161) kaum Literatur zum Problem. Die Publikationen der beiden genannten Österreicher sind jedoch mit dem Mangel behaftet, daß die Autoren selbst New Ager sind und zu keiner grundsätzlichen Kritik des breiten Stroms des New Age und seiner Verbindungen und Identitäten zum und mit dem Faschismus bereit sind. So beschränkt sich ihr umfangreiches Buch von 1987 auf die Sammlung von Einzelbeispielen der Kontakte zwischen New Age und (Neo-) Faschismus, ohne daß verständlich würde, weshalb sie zustande kommen. Dabei übernehmen sie teilweise sogar gänzlich kritiklos die interessierten Darstellungen angeblicher europäischer Urreligiösität, die neofaschistische Nationalrevolutionäre wie Henning Eichberg verfaßten, (162) oder schwimmen - scheinbar indianisch-naturreligiös motiviert - offen im politischen Fahrwasser der "Neuen Rechten", wie z. B. Schweidlenka, der das amerikanische New Age kritisiert: "Nach Hamburgers, Pommes Frites (sic!), Pershingraketen und unserer außenpolitischen Entmündigung bekommen wir von den sendungsbewußten weißen US-Amerikanern auch noch die Erleuchtung". (163)

Gänzlich unzureichend ist ihr Versuch, im Gefolge des New Age-Theoretikers Morris Berman die Verantwortung zu verlagern und "marxistischen Dogmatiker", die das Spirituelle mißachtet hätten, vorzuhalten, daß bereits die spirituelle Szene der Jahrhundertwende schließlich weitgehend im Nationalsozialismus aufging. (164) Schweidlenka, der auch als "ständiger Mitarbeiter" der abstrusen "UFO-logischen" Zeitschrift "2000 Magazin für ganzheitliches Denken" firmiert, scheut sich nicht, in einer zweifelhaften Publikation wie "esotera" zu veröffentlichen. Das ist um so erstaunlicher, als Gugenberger/Schweidlenka 1987 sehr breit auf die antisemitischen rassistischen Wurzeln mancher New Ager-Strömung in der Theosophie der Helena Blavatsky eingehen und vor ihr warnen. 1991 dann warnt Schweidlenka in derselben "esotera"-Nummer vor "Wodans neuen Erben", in der ein paar Seiten weiter die Blavatsky unkritisch als Urmutter esoterischen Denkens angepriesen wird.

"esotera" - Untertitel: "Neues Denken und Handeln" - ist eine der ältesten deutschsprachigen nichtchristlichen spirituellen Zeitschriften und erscheint im größten deutschen New Age-Spezialverlag, dem Freiburger Hermann Bauer Verlag. Hier konnte auch so mancher Rechtsextremist über "Runenorakel" oder "Deutsche Naturreligion" veröffentlichen. An diesem Beispiel zeigt sich nicht nur mangelnde Konsequenz der New Age-eigenen Kritik an angeblich nur "braunen Rändern", sondern auch ein generelles Unverständnis den ideologischen Konzepten und praktischen politisch-ökonomischen Folgen des New Age gegenüber. (165) Es reicht eben nicht aus, mal davor zu warnen, daß z. B. Mahatma Gandhi Sympathien für den europäischen Faschismus hegte (166) Es reicht auch nicht, mal besorgt den Zeigefinger zu heben, wenn ein Frauenbildungshaus neben Astrologie, Bauchtanz, Tarot und Chakren auch "Ostara-Rituale" anbietet, weil solches Anbeten der Sonnengöttin Ostara um die Jahrhundertwende auch schon bei dem spirituell-"ariosophischen" (die "Arier" vergöttlichenden) Antisemiten und Rassisten Lanz von Liebenfels zentral war, der angeblich als erster eine Hakenkreuz-Fahne hißte und "Hitler die Ideen" gegeben haben soll. (167) Die Gründe für die von Gugenberger und Schweidlenka so fleißig zusammengetragenen Aktionseinheiten von (Neo-) Faschisten und Esoterikern müssen vielmehr in gemeinsamen Ideologemen gesucht werden.
 

...weiter im Text

...Inhalt "Die Götter des New Age"

...Eingangsseite
 

Anmerkungen:
(Zurück zur Stelle der Anmerkung im Text über den "Zurück"-Button Ihres Browsers.)

(1) Wenn "Der Spiegel" öfter als Quelle zitiert wird, so soll dies nicht darüber hinwegtäuschen, daß diese Zeitschrift in den letzten Jahren aus der Position der Kritikerin der "Neuen Rechten" und des New Age in eine gegenteilige, konservativ-revolutionäre Position umgeschwenkt ist. Für uns ist "Der Spiegel" heute keine linke oder liberale Zeitschrift.
(2) "Der Spiegel", Nr. 3/1992, S. 52-66; Nr. 4/1992, S. 41-50. "Süddeutsche Zeitung Magazin", 4. 1. 1991, S. 12.
(3) Der Begriff "Massen" wird hier unpathetisch als Gegensatz zu "Eliten" benutzt, um den antiegalitären Charakter des Organizismus zu betonen. Der Begriff lehnt sich an das Konzept der "Massengesellschaft" an, ohne jedoch damit deren Klassencharakter verwischen zu wollen, wie dies in der früheren bürgerlichen Soziologie mit seiner Hilfe geschah. Der marxistische "Klassen"-Begriff als soziologische Deskription ist nach vielfacher Exhaustion inzwischen mindestens so unscharf wie der von "Elite" und "Masse". Seinen Vorteil gegenüber diesen, die Eigentumsverhältnisse zu umfassen, sehen wir durchaus. Die individualisierende Betrachtung der Gesellschaft, wie sich sich im New Age ebenso wie in der neuen bürgerlichen Soziologie findet, wird ausdrücklich abgelehnt.
Verf. war niemals "Maoist" und hat daher auch keine Probleme, nach dem Niedergang des europäischen und nordamerikanischen "Maoismus" den Begriff der "Massen" zu benutzen.
(4) Z. B. G. Küenzlen: Das New-Age-Syndrom. Zur Kultursoziologie vagabundierender Religiösität, in: Ztschft. f. Politik, Jg. 35, 1988, 3, S. 237-248.
"Der Spiegel", Nr. 25/1992, Titelgeschichte "Abschied von Gott"; Nr. 10/1993, S. 78 f. "Weltbild" vom 2. 4. 1993, Nr. 8/1993; S. 10.
(5) Zur Umfrage "Jugend und Religion": "Inter/esse. Wirtschaft und Politik in Daten und Zusammenhängen", hrsgg. vom Bundesverband Deutscher Banken, Nr. 8/1993, S. 1.
Zum Buchhandelsumsatz: R. Schweidlenka: Altes blüht aus den Ruinen. New Age und Neues Bewußtsein, Wien 1989, S. 82. R. Niedenführ gibt den Anteil mit 10 Prozent an, in: ders.: Irrationale Geistesströmungen in der Neuen Rechten - New Age: Religiöse Grundlage für neue Rechtstendenzen, Diplomarbeit Universität Oldenburg, unv. Mskpt., Oldenburg 1990, S. 164. H. Knoblauch nennt für 1986 unter Berufung auf Angaben des "Handelsblatt" 8 Prozent, in: ders.: Das unsichtbare neue Zeitalter. "New Age", privatisierte Religion und kultisches Milieu, in: Kölner Ztschft. f. Soziologie u. Sozialpsychologie, 41 (1989), 3, S. 506.
(6) Vgl. Niedenführ 1990, S. 130 ff; "Criticon" Nr. 98, November 1986, S. 259.
(7) Vgl. z. B. die religionswissenschftl. Ztschft. "Spirita", Nr. 2/1991, S. 28-35; "Materialdienst der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen", 54 (1991), Themenschwerpunkt Heft 4; "Der Rechte Rand. Informationen für AntifaschistInnen", Nr. 14, Oktober/November 1991: Themenschwerpunkt; die größte deutsche New Age-Zeitschrift "esotera", Nr. 12/1991: Titelgeschichte.
(8) Richard Wagner - fanatischer Antisemit, Germanentümler und Vorbild Hitlers - nannte sein Haus in Bayreuth "Wahnfried". Im Keller des heute hier untergebrachten Richard-Wagner-Museums kann man in lehrreichen kleinen Bühnenbild-Modellen die Entwicklung des Walkürefelsens aus dem "Ring des Nibelungen" von der deutsch-völkischen Interpretation des letzten Jahrhunderts (dunkler germanischer Wald) bis zur "New Age"-Interpretation unserer Tage (die im freien Kosmos schwebende "Weltenscheibe" des politisch weit rechts stehenden Wagner-Enkels und Regisseurs Wolfgang Wagner) besichtigen.
(9) Z. B.: K. Hartung: "Aufklärer in der Postmoderne ratlos", in: "taz" 17. 12. 1987, S. 9; G. Zehm: Mythenversessene Aufklärer, in: "MUT" Nr. 246, Feb. 1988, S. 8; "Vom Bewußt Sein durchdrungen", in: "taz" 30. 4. 1988, S. 3; "Dem Gedächtnis der Natur auf der Spur", in: "taz" 31. 5. 1988; P. Gäng: Geist und Natur, in: "taz" 8. 6. 1988, S. 13; "Auch das Universum hat ein Bewußtsein", in: "Der Spiegel", Nr. 22/1988, S. 216; G. Rohrmoser: Zur Lage der Christenheit in der "Postmoderne", in: "Criticon", Nr. 122, November 1990, S. 277.
(10) Rohrmoser spricht vom "berühmt-berüchtigten Kongreß über 'Natur und Geist' in Hannover" (1990, S. 277) und mißversteht rundum das Anliegen "ganzheitlichen Denkens" als "Anarchisierung der Kultur"(S. 278).
(11) Schweidlenka 1989, S. 145.
(12) Ebd., S. 148. Die Referate des Kongresses sind publiziert in: H.-P. Dürr und W. Ch. Zimmerli (Hrsg.): Geist und Natur. Über den Widerspruch zwischen naturwissenschaftlicher Erkenntnis und philosophischer Welterfahrung, Bern München Wien 1989. Zit. n. der Sonderausgabe von 1991.
(13) Vgl. "taz" 30. 4. 1988, S. 3.
(14) Zit. n. "Der Spiegel" Nr. 22/1988, S. 219.
(15) "taz" 31. 5. 1988, S. 3.
(16) Das penetrante Auftreten von plötzlich bekannt werdenden Hallenser und Leipziger Psychotherapeuten, die die Befindlichkeit der ehemaligen DDR-Bürger angesichts des wirtschaftlichen Niederganges psychologisieren, ist auffällig. Das geschieht auch schon mal auf Veranlassung des Deutschen Industrie- und Handelstages zur Warnung vor einem "zweiten 1968", also einer Renaissance marxistischen Denkens, das sich in den "neuen Ländern" entwickeln könnte, vgl. "Bonner Rundschau", 24. 12. 1991.
(17) Th. Nipperdey (1988a): Religion im Umbruch. Deutschland 1870 - 1918, München 1988; ders. (1988b): Religion und Gesellschaft. Deutschland um 1900, in: Historische Zeitschrift, 1988, S. 591-615.
(18) Ders., 1988b, S. 596; vgl. auch 1988a: S. 152.
(19) Ders., 1988a, S.119-124.
(20) Ebd., S. 127.
(21) Ebd., S. 146.
(22) In "taz" 17. 12. 1987, S. 9.
(23) Vgl. S. Hunke: Vom Untergang des Abendlandes zum Aufgang Europas. Bewußtseinswandel und Zukunftsperspektiven, Rosenheim 1989. Auch Schweidlenka (1989, S. 60, S. 79 ff, S. 109) knüpft in seiner Ablehnung des New Age-Begriffs mehrfach an den völkisch motivierten Antiamerikanismus an.
(24) Zit. n. W. Pieck, G. Dimitroff und P. Togliatti: Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale im Kampf für die Einheit der Arbeiterklasse gegen den Faschismus, Berlin 1960, S. 87.
(25) So erfolgreich geschehen im "Historikerstreit", vgl. P. Kratz: Die Grundlagen der gesitig-moralischen Wende: Sozialabbau, Geschichtsrevision und Museumsstifterei, in: politisch-parlamentarischer pressedienst ppp, Bonn, Hintergrunddienst vom 9., 11., 18. und 20. 2. 1987.
(26) Vgl. A. Mohler: Die Konservative Revolution in Deutschland 1918 - 1932. Grundriß ihrer Weltanschauungen, Stuttgart 1950, S. 17. Vgl. P. Kratz (1991b): Siemens zum Beispiel... Kapitalinteressen an der "Neuen Rechten", in: R. Hethey und P. Kratz (Hrsg.): In bester Gesellschaft. Antifa-Recherche zwischen Konservativismus und Neo-Faschismus, Göttingen 1991, S. 33-82. H.-J. Lutzhöft: Der Nordische Gedanke in Deutschland 1920-1940, Stuttgart 1971, S. 18.
(27) Vgl. z. B. Schweidlenka 1989, S. 13 f. Vgl. H.-J. Ruppert: New Age. Endzeit oder Wendezeit?, Wiesbaden 1985; G. Geisler (Hrsg.): New Age - Zeugnisse der Zeitenwende, Freiburg 1984; H. Hemminger: Was hat es mit dem New Age auf sich?, in: ders. (Hrsg.): Die Rückkehr der Zauberer. New Age - eine Kritik, Reinbeck 1987; Knoblauch, S. 505 f.
(28) Die Rückführung des New Age auf die Gnosis, eine frühchristliche mystische Heilig-Geist-Bewegung am Rande zum Pantheismus mit hellenistischen, jüdischen und spätägyptischen Einflüssen, ist vor allem in der christlichen und amtskirchlichen Literatur zum New Age verbreitet. So aus protestantischer Sicht z. B. Ruppert 1985, S. 21; aus katholischer Sicht z. B. der Jesuit M. Kehl: New Age oder Neuer Bund? Christen im Gespräch mit Wendezeit, Esoterik und Okkultismus, Mainz 1988, besonders S. 86-105. Vgl. G. M. Martin: Werdet Vorübergehende. Das Thomas-Evangelium zwischen Alter Kirche und New Age, Stuttgart 1988. Das nicht kirchenoffizielle "Thomas-Evangelium" gilt als eine Urschrift gnostischer Theologie.
(29) Mutter Erde e. V.: Zentrum der Einheit, Veranstaltungsplan 2. Halbjahr 1991.
(30) Vgl. Schweidlenka 1989, passim; F. Capra in "esotera", Nr. 4/1988, S. 20-25.
(31) Vgl. Chr. Schorsch: Die New Age-Bewegung. Utopie und Mythos der Neuen Zeit. Eine kritische Auseinandersetzung, Gütersloh 1988; "Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament", Nr. B 40/89 vom 29. 9. 1989, New Age-Schwerpunktheft; Nr. B 41-42/93 vom 8. 10. 1993, New Age-Schwerpunktheft.
(32) Ruppert 1985, S. 22; Schweidlenka 1989, S. 109-122; vgl. Schorsch 1988, S. 156 ff.
(33) So z. B. R. Welt: Fundamentalismus - Fluchtbewegung aus der Moderne?, in: "liberal", 33 (1991), 3, S. 22-34. Vgl. D. Mendlewitsch: Volk und Heil. Vordenker des Nationalsozialismus im neunzehnten Jahrhundert, Rheda-Wiedenbrück 1988, z. B. S. 59, S. 111 und Kap. VII. Die Arbeit von Mendlewitsch, die mit Mitteln der Friedrich-Naumann-Stiftung gefördert wurde, bezieht den Begriff des Fundamentalismus auf die völkische Bewegung im neunzehnten Jahrhundert. Vgl. zur antifreiheitlichen Rolle Friedrich Naumanns am Beginn des Nationalsozialismus z. B. J. Hermand: Der alte Traum vom neuen Reich, Frankfurt a. M. 1988, S. 86; S. 351: "Daß Himmler Friedrich Naumanns National-Sozialen Verein als den Beginn der nationalsozialistischen Bewegung empfand, geht aus seinen Randbemerkungen zu Haushofers 'Planetenfeuer' hervor" (eine Art frühem New Age-Roman, vgl. ebd., S. 57 f).
Aus sozialdemokratischer Sicht: Th. Meyer: Fundamentalismus in der modernen Welt, Frankfurt 1989; A. Klönne: Aufstand der Modernisierungsopfer, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr. 5/1989, S. 545-548, wo Klönne den Neofaschismus als "rechten Fundamentalismus" verharmlost und schließlich in größter Verwirrung sogar von "Rechtsfundamentalismus" spricht, als ginge es um die Fundamente von Recht und Rechtsstaatlichkeit; B. Tibi: Europäische Moderne und islamischer Fundamentalismus, in: "Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte", Nr. 12/1991, S. 1073-1078.
Aus protestantischer Sicht z. B.: H. Hemminger (Hrsg.): Fundamentalismus in der verweltlichten Kultur, Stuttgart 1991 (hier schreibt die ganze Riege der EZW). Aus katholischer Sicht z. B.: St. Pfürtner: Fundamentalismus. Die Flucht ins Radikale, Freiburg 1991; W. Beinert (Hrsg.): "Katholischer" Fundamentalismus. Häretische Gruppen in der Kirche?, Regensburg 1991; H. Kochanek (Hrsg.): Die verdrängte Freiheit. Fundamentalismus in den Kirchen, Freiburg 1991.
Vgl. "Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament", Nr. B 33/92 vom 7. 8. 1992, Schwerpunktheft Fundamentalismus.
(34) Vgl. z. B. J. Weiß: Wiederverzauberung der Welt? Bemerkungen zur Wiederkehr der Romantik in der gegenwärtigen Kulturkritik, in: Kölner Ztschft. f. Soziologie u. Sozialpsychologie, Sonderheft 27, 1986, S. 286-301; E. Gugenberger und R. Schweidlenka: Mutter Erde, Magie und Politik. Zwischen Faschismus und neuer Gesellschaft, Wien 1987, S. 22 f, 42 ff, 64 f; H. Sebald: New-Age-Spiritualität, in: "Kursbuch", Nr. 93: "Glauben", Berlin 1988, S. 105-122, bes. S. 108-113; R. Bäurle: Das goldene Zeitalter, in: "Connection", Nr. 6/1990, S. 13-15; Chr. Schorsch: Die Krise der Moderne. Entstehungsbedingungen der New Age-Bewegung, in: "Aus Politik und Zeitgeschichte", B 40/89, 29. 8. 1989, S. 8; protestantisch: G. Küenzlen: Das Unbehagen an der Moderne: Der kulturelle und gesellschaftliche Hintergrund der New Age-Bewegung, in: Hemminger 1987, S. 196; katholisch: H. Bürkle (Hrsg.): New Age. Kritische Anfragen an eine verlockende Bewegung, Düsseldorf 1988.
(35) H. Mynarek: Ökologische Religion, München 1986. Der in der religionswissenschaftlichen Literatur nicht mehr ernst genommene ehemalige Dekan der Katholischen Fakultät der Universität Wien Mynarek, der 1972 aus der Kirche austrat, erfreut sich in den Medien und auf Vortragsreisen der Popularität. "Der Spiegel", Nr. 33/1991, S. 161, führte ihn sogar mit abwegigen Theorien als einen angeblichen Experten für archäologische Funde aus einem Jungsteinzeit-Tempel der Türkei vor, obwohl Mynarek hierzu jedes Fachwissen fehlt.
(36) Auch in Nordamerika gab es eine Romantik, vgl. z. B. die romantische US-amerikanische Malerei der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts.
(37) Vgl. G. Klaus und M. Buhr: Philosophisches Wörterbuch, Leipzig 1969, S. 957-964 f.
(38) Der Indologe und vergleichende Religionswissenschaftler H. v. Stietencron veröffentlichte am 13. 3. 1991 in der "Frankfurter Rundschau", S. 14, einen Artikel "Versuche der Orientierung und Selbstbestimmung", in dem er darlegte, daß sogar die inner-indische Interpretation der Texte indischer Philosophie und Religion sich seit der europäischen Romantik nach der europäischen Lesart richtete. "Daß dabei Gedankengut der europäischen Aufklärung und der Romantik, europäische Geschichtsbilder und Denkstrukturen, eben das ganze aus europäischen Traditionen erwachsene Vorverständnis samt Wunschbildern und Vorurteilen westlicher Gelehrter des 18., 19. und 20. Jahrhunderts in die Rekonstruktion indischer Geschichte, Religion und Literatur eingingen, steht heute außer Zweifel."
In ähnlicher Weise argumentiert Martin Bernal: Schwarze Athene. Die afroasiatischen Wurzeln der griechischen Antike. Wie das klassische Griechenland erfunden wurde, München 1992.
(39) Werke, IV. Bd., S. 67, S. 60. Heines Schrift "Die Romantische Schule", die als Information seiner französischen Leser über die geistige Situation in Deutschland gedacht war, geriet zu einer schonungslosen Abrechnung mit der Romantik und gilt als (vorläufiger) Schluß dieser Geistesrichtung.
(40) G.-K. Kaltenbrunner: Friedrich Schlegel und die Kunst des vollkommenen Verstehens: "Einer der Erstlinge des neuen Zeitalters", in: "MUT", Nr. 264, August 1989, S. 41-50.
Kaltenbrunner versucht immer wieder, in "MUT" an mystische Traditionen anzuknüpfen und sie für die Gegenwart rechtsextremer Politik nutzbar zu machen, von den mittelalterlichen Mönchsklöstern (in Nr. 278, Juli 1991) bis zu pantheistischen Ansätzen, z. B. G. T. Fechners Naturmystik (in Nr. 216, August 1985).
(41) G.-K. Kaltenbrunner in "MUT", Nr. 216, August 1985, Titelgeschichte: "Gustav T. Fechners Lehre von der All-Beseelung: Der grüne Weg zu Gott". Vgl. Michael Heidelberger: "Die innere Seite der Natur". Gustav Theodor Fechners wissenschaftlich-philosophische Weltauffassung, Frankfurt am. M. 1993; die "FAZ" widmete dem Buch am 7. 10. 1993 eine Rezension.
(42) Mynarek 1986, S. 206; H. St. Chamberlain: Immanuel Kant, 4. Aufl. München 1921, S. 297.
(43) Vgl. J. Ritter und K. Gründer: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 6, Darmstadt 1984, S. 1330-1363; K. von See: Die Ideen von 1789 und die Ideen von 1914. Völkisches Denken in Deutschland zwischen Französischer revolution und Erstem Weltkrieg, Frankfurt 1975; E. Scheerer: Organische Weltanschauung und Ganzheitspsychologie, in: C. F. Graumann (Hrsg.): Psychologie im Nationalsozialismus, Berlin Heidelberg 1985, S. 15-53; U. Geuter: Das Ganze und die Gemeinschaft - Wissenschaftliches und politisches Denken in der Ganzheitspsychologie Felix Kruegers, in: ebd., S. 55-87; W. Prinz: Ganzheits- und Gestaltpsychologie und Nationalsozialismus, in: ebd., S. 89-111. Zum gegenwärtigen Bedürfnis nach "organischer" Weltanschauung: E. v. Kardorff: Zum Biologismus und Organizismus in den Sozialwissenschaften, in: Gen-Ideologie, Biologie und Biologismus in der Sozialwissenschaften, Hamburg Berlin 1991, S. 53-79.
(44) Die Begriffe "Organisation" und seine Ableitungen zeigen, wie sehr ein letztlich biologistisch herrührender Sprachgebrauch sich etablierte, ohne daß jedesmal ein organizistischer Inhalt gemeint ist: Auch lauter Gleiche organisieren sich, ohne ihre Gleichheit aufzugeben.
(45) Vgl. Klaus u. Buhr, Stichworte Einheit und "Kampf" der Gegensätze, Ganzes, Ganzheit, Negation, Teil, Teil und Ganzes.
Der organizistische Prozeß ist nicht ein Fließen des Wassers im Sinne der antiken Dialektik, sondern allenfalls ein Sieden im Topf, wenn nicht ein Modern im Sumpf.
(46) Telos = immanentes Ziel. Hier ist die Einheit von Weg und Ziel, von Prozeß zur Harmonie und Prozeß als Harmonie, angesprochen, die keine Kriterien für die Richtung des Weges kennen kann. Zum marxistischen Ziel-Begriff vgl. Klaus u. Buhr, S. 1176-1178.
(47) "Jedem das Seine" lautet der aus schmiedeeisernen Buchstaben gefertigte Spruch im Eingangstor zum KZ Buchenwald.
(48) Vgl. dagegen Schweidlenkas an die Thesen der Mathilde Ludendorff erinnernde Meinung, die UNO sei ein Hort des - von ihm als "plastic" und "amerikanisch" abgelehnten - New Age: Schweidlenka 1989, S. 163-170. Der Dissens zwischen uns und Schweidlenka kommt zustande, weil Schweidlenka das New Age als Negativbild gegen die von ihm favorisierten Naturreligionen setzen will und dabei nur einen sehr kleinen Ausschnitt dieser Weltanschauung, der sich seiner Meinung nach als Schreckbild eignet, mit dem New Age-Begriff belegt, den wir breiter fassen.
(49) Vgl. S. Hunke: Das nach-kommunistische Manifest. Der dialektische Unitarismus als Alternative, Stuttgart 1974.
(50) Zu J. G. Fichtes Beitrag zum "arisch"-pantheistischen, ganzheitlichen Denken und der besonderen spirituellen Sendung der Deutschen vgl. die Analyse des Fichteschen Denkens durch Mendlewitsch, S. 156-224, bes. S. 169, 182-198. Fichte erscheint hier als direkter Vorläufer einer "neuen Rechten" wie Sigrid Hunke oder eines rechtsextremen New Agers wie Hubertus Mynarek, ohne daß Mendlewitsch die beiden nennt. Vgl. Ritter u. Gründer, S. 1339, die die Zentralität des Organismus-Begriffs für die anti-aufklärerische Staats- und Gesellschaftsphilosophie Fichtes hervorheben und diesen zitieren: "In dem organischen Körper erhält jeder Teil immerfort das Ganze, und wird indem er es erhält, dadurch selbst erhalten: ebenso verhält sich der Bürger zum Staat".
(51) Zit. n. Klaus u. Buhr, S. 960 ff.
(52) Werke, IV. Band, S. 183-349. Folgende Zit. S. 260 ff, S. 322, S. 346.
(53) E. Spranger: Goethes Weltanschauung. Vortrag, gehalten am 28. Juni des Goethe-Festjahres (hundertster Todestag am 22. März 1932) in der Neuen Aula der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, in: ders.: Goethes Weltanschauung, Leipzig 1933, hier zit. n. d. Wiederabdruck in: ders.: Goethe. Seine geistige Welt, Tübingen 1967, S. 275-317. Vgl. K. Himmelstein: "Wäre ich jung, wäre ich Nationalsozialist ..." Anmerkungen zu Erduard Sprangers Verhältnis zum deutschen Faschismus, in: W. Keim (Hrsg.): Erziehungswissenschaft und Nationalsozialismus, Marburg 1990.
(54) Chr. Schorsch: Die Ökologie des Seins. Zur Wahrnehmung von "Natur" in der mystischen Erfahrung, in: H. Schleip (Hrsg.): Zurück zur Natur-Religion? Wege zur Ehrfurcht vor allem Leben, Freiburg 1986.
Die von New Agern und Neofaschisten so gern angeführten Beispiele des angeblichen "Erscheinens" der noch unentdeckten Struktur des Benzolringes im Traum bzw. der "mystischen" Annäherung Einsteins an die Relativitätstheorie sind allein schon deshalb keine Beweise für die Richtigkeit der Behauptungen Schorschs über die Mystik als Erkenntnismittel, weil sich beide naturwissenschaftlichen Modelle ja in der materiellen Wirklichkeit praktisch bewähren mußten. Das Kriterium der Erkenntnis war nicht die Mystik, sondern die Praxis.
(55) Schorsch 1988, S. 231.
(56) Die Praxis, die Möglichkeit zur "Erleuchtung" einzuschränken auf eine solch ausgedehnte Meditationserfahrung, daß die Menschen, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, hierfür keine Zeit haben, oder auf teure New Age-Kurse zur Einübung "erleuchtender" Mystik-Techniken, für die ebensolche Menschen kein Geld haben, ist die heute gängige Methode, "geheimes Wissen" vor den Massen geheim zu halten, auch wenn New Ager den Anspruch haben mögen, daß Meditation zur Massenbewegung wird. Daher ist Knoblauch, S. 509 f, nicht zu folgen, der meint, die "magische Qualifikation" habe sich im New Age "demokratisiert".
(57) "Das Subjekt ist der Mensch als Ensemble gesellschaftlicher Verhältnisse bzw. die vergesellschaftete Menschheit auf der jeweiligen historischen Entwicklungsstufe, mit ihren produktiven, intellektuellen und sonstigen Kräften und Fähigkeiten. Dieses Subjekt entwickelt sich in der praktischen gesellschaftlichen Tätigkeit, indem es immer neue Bereiche der Welt zum Objekt seiner Tätigkeit und seiner Erkenntnis macht, indem es seine Kräfte und Fähigkeiten vergegenständlicht, objektiviert und auf diese Weise eine sich geschichtlich entwickelnde objektive gesellschaftliche Welt schafft." Klaus u. Buhr, S. 1050.
(58) F. Ursarski : Religion in verdrängter Geschichte und politisch anrüchigem Kontext, in: "Spirita", Nr. 2/1991, S. 34.
(59) E. Hieronimus: Zur Religiösität der völkischen Bewegung, in: Cancik (Hrsg.): Religions- und Geistesgeschichte der Weimarer Republik, Düsseldorf 1982, S. 175.
(60) Vgl. Mendlewitsch, S. 9 f; Geuter 1985, S. 56.
(61) M. Ferguson: Die sanfte Verschwörung, Basel 1982, S. 25.
(62) Vgl. z. B. aus protestantischer Sicht: K. Scholder: Die Kirchen und das Dritte Reich, Bd. 1: Vorgeschichte und Zeit der Illusionen 1918 - 1934, Frankfurt a. M. 1977, Bd. 2: Das Jahr der Ernüchterung 1934 Barmen und Rom, Berlin 1985; E. Röhm und J. Thierfelder: Evangelische Kirche zwischen Kreuz und Hakenkreuz, Stuttgart 1981; H. Prolingheuer: Wir sind in die Irre gegangen. Die Schuld der Kirche unterm Hakenkreuz, Köln 1987; E. Röhm und. J. Thierfelder: Juden - Christen - Deutsche 1933-1945, Stuttgart 1990; als bedeutsame Quelle von Zeugnissen der innerkirchlichen Auseinandersetzung bereits vor Hitlers Kanzlerschaft: L. Klotz (Hrsg.): Die Kirche und das dritte Reich. Fragen und Forderungen deutscher Theologen, Gotha 1932. Aus katholischer Sicht: C. Amery und H. Lutz: Katholizismus und Faschismus. Analyse einer Nachbarschaft, Düsseldorf 1970; beschönigend: Kirche im Nationalsozialismus, hrsgg. vom Geschichtsverein der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Sigmaringen 1984. Nicht kirchlich gebunden: Cancik, a. a. O.; A. Läpple: Kirche und Nationalsozialismus in Deutschland und Österreich, Aschaffenburg 1980; J. S. Conway: The Nazi Persecution of the Churches 1933-1945, London 1968 (deutsch: Die nationalsozialistische Kirchenpolitik 1933-1945. Ihre Ziele, Widersprüche und Fehlschläge, München 1969); G. Lewy: Mit festem Schritt ins Neue Reich, "Spiegel"-Serie Nr. 8 - Nr. 15/1965. Die "Spiegel"-Serie Lewys löste in der katholischen Presse 1965 eine antisemitische Kampagne gegen den Autor aus.
Die Ausrichtung am Heroischen Realismus ist im Nationalsozialismus als "deutscher" Fraktion des Faschismus sicher am stärksten, aber auch im italienischen oder französischen Faschismus keineswegs nur randständig.
(63) Über die Besetzung wichtiger Selbstverwaltungsgremien konnten die Deutschen Christen zugunsten des Faschismus in die Kirchenpolitik eingreifen. Die Gefahr, daß sich eine solche kircheninterne "Machtübernahme" - von wem auch immer - heute wiederholt, besteht u. a. wegen der verschwindend geringen Wahlbeteiligung der Gläubigen an den Wahlen zu den kirchlichen Selbstverwaltungsgremien, wie sich in jüngster Zeit immer wieder gezeigt hat.
(64) Vgl. zur Kritik des "Neurechten" Heinrich Meier am Katholizismus Schmitts: P. Kratz (1991b): Siemens zum Beispiel..., in: Hethey u. Kratz, S. 61 f. Meier hält Schmitt implizit das Festhalten am Dualismus von Gut und Böse in dessen Freund-Feind-Schema vor, kritisiert also eigentlich das Fehlen des Durchbruchs zum pantheistischen Organizismus bei Schmitt, der erst die eigentlich rechte Haltung im zwanzigsten Jahrhundert ausmacht.
(65) Vgl. Ritter u. Gründer, S. 1339. Daß (neo-) faschistische Ideologen Paulus als "Juden" und Augustinus als "Afrikaner" und damit die römische Kirche als "nicht-arisch" angreifen (so z. B. bei Chamberlain und Hunke), gehört zu den interfraktionellen Streitigkeiten der Organizisten, die die Linke zur Kenntnis nimmt, ohne sich daraus zu falschen Schlüssen verleiten zu lassen.
(66) Vgl. Nipperdey 1988a, z. B. S. 55 f; S. 81, 92 ff; Scholder 1977, 7. Kapitel.
(67) Vgl. S. Kracauer: Von Caligari zu Hitler. Eine psychologische Geschichte des deutschen Films, Frankfurt a. M. 1979, S. 158 f, 172 f; zur Rolle des spirituellen Films vgl. Kracauers Kapitel 9.
(68) "PSI-Journal. Die aktuelle Zeitschrift für übersinnliches (sic!) und Grenzwissenschaften", Nr. 3, Mai/Juni 1990, S. 16.
(69) Der kroatische Präsident Tudjman, von dem Helmut Kohl sagt, er sei sein Freund, schreibt in der neofaschistischen Zeitschrift "MUT".
(70) Vgl. die britische antifaschistische Zeitschrift "Searchlight. The International Anti-Fascist Monthly", Nr. 200, Februar 1992, S. 20.
(71) Charismatische Gruppen sind meist Abspaltungen von katholischer Seite. Doch gib es sie als heftig anwachsende Randerscheinung auch innerhalb des römischen Katholizismus, vgl. z. B. F. Kunter, J. Stimpfle, O. Wüst: Erneuerung aus dem Geist Gottes. Ermutigung und Weisung, Mainz 1987. Dagegen will Birnstein die Charismatiker vor allem im Protestantismus sehen, vgl. U. Birnstein: Neuer Geist in alter Kirche? Die charismatische Bewegung in der Offensive, Stuttgart 1987.
(72) H.-D. Reimer: Neue Frömmigkeit in den Kirchen und ihr Verhältnis zur New Age-Bewegung, in: Hemminger 1987, S. 240.
(73) Zit. n. "Der Spiegel", Nr. 45/1991, S. 329 f.
(74) Als die deutschen Bischöfe die unbequem und angeblich zu "links" gewordene Wochenzeitung "Publik" 1971 einstellten, gründete eine "Publik-Leserinitiative" das Nachfolgeblatt in eigener Regie, das ab 1972, heute meist vierzehntägig und in einer Auflage von ca. 30000 bis 40000 Exemplaren, als Heft erscheint.
(75) A. Mechtersheimer: Ami, Ami über alles? Wider die "amerikanische Krankheit", in: "Publik-Forum", Nr. 12/13 1991, S. 5 f; ders. ohne Autorennennung: Antiamerikanisch - weshalb eigentlich nicht?. Von der Pflicht, dem weltweiten verheerenden Einfluß der USA zu widerstehen, in: "Sieg", Nr. 10/11 1991, S. 4-10.
(76) Vgl. Kölnische Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit: 100 Jahre deutscher Rassismus. Katalog und Arbeitsbuch zur Ausstellung "100 Jahre deutscher Rassismus", Köln 1988, S. 197-200. Vgl. "Publik-Forum", Nr. 3/1991.
(77) Zu Abel: "Publik-Forum", Nr. 11/1991, S. 14. Zu Mynarek: Nr. 23/1988 und Nr. 3/1989.
(78) Vgl. M. Brumlik: Der Anti-Alt. Wider die furchtbare Friedfertigkeit, Frankfurt a. M. 1991. Offener Brief von F. Alt an M. Brumlik, in: "Allgemeine jüdische Wochenzeitung" 1. 12. 1989, in dem sich Alt nach etlichen Ausfällen gegen das Judentum einer pantheistischen Christus-Vorstellung anschließt. Vgl. H. Gess: Alter Wein in neuen Schläuchen - über die Wiederkehr des Antisemitismus bei Franz Alt, in: "Utopie kreativ", Ausg. Mai/Juni 1993, S. 112-121.
(79) Vgl. U. Döhmann: "Liga für das deutsche Kind". Ein Beispiel für feministische Antifa-Arbeit, in: Hethey u. Kratz, S. 253-274.
(80) A. Evertz: Kirche und Volk. Ein Ja zum Vaterland, Asendorf 1985 ("MUT"-Verlag).
Während die "Neue Rechte" um Benoist und Hunke die Gleichheit der Menschen als "uneuropäisch", weil dem Alten Testament und der jüdisch-christlichen Tradition der Gleichheit der Menschen vor Gott entsprungen ablehnt, führen Evangelikale, die dennoch in Zeitschriften wie "Criticon" gemeinsam mit Vertretern der "Neuen Rechten" publizieren, ihre Ablehnung der Gleichheit der Menschen auf einige Bibelstellen zurück. Auch hier ist die politische Gemeinsamkeit stärker als der ideologische Unterschied.
(81) Vgl. Scholder 1977, S. 127 ff.
(82) Vgl. W. Borowski: Christus und die Welt des Antichristen, Aglasterhausen 1986. Borowski war Vorstandsmitglied der "Evangelischen Sammlung in Württemberg" und Mitglied der "Bürgerinitiative zur Rettung des Deutschen Volkes" und der "Hilfsgemeinschaft Freiheit für Rudolf Heß". Er organisierte den schließlich ausgefallenen nationalrevolutionären "Deutschen Nationalkongreß" der Zeitschriften "wir selbst", "Junge Freiheit" und "Europa" mit, der 1991 hätte stattfinden sollen. Antifaschistischer Protest konnte ihn verhindern. Die "Junge Freiheit" arbeitet eng mit dem Arun-Verlag zusammen, der auch neuheidnisch-esoterische Literatur herausbringt. "wir selbst" gilt als Hausblatt Henning Eichbergs; vgl. Gugenberger u. Schweidlenka, S. 168 ff; H. Eichberg: Kommen die alten Götter wieder? Germanisches Heidentum im 18./19. Jahrhundert - Zur Genese alternativer Mythen, in: H. P. Duerr (Hrsg.): Unter dem Pflaster liegt der Strand, Berlin 1984.
Zu den Beziehungen zwischen dem New Ager und Anhänger der "Deutschen Unitarier" Hubertus Mynarek und nationalrevolutionären Gruppen, besonders um Rolf Stolz, Henning Eichberg und Alfred Mechtersheimer, vgl. Kratz 1990.
(83) Für den protestantischen Bereich vgl. z. B. das an den Info-Ständen in Kirchen ausliegende Heft von E. Haberer: Herausforderung New Age. Zur christlichen Auseinandersetzung mit neuem Denken, München 1989; R. Hummel (1989): New Age: Das "neue Zeitalter" als Herausforderung für die alten Kirchen, in: "Aus Politik und Zeitgeschichte", S. 30; H.-J. Ruppert (1987): Neues Denken auf alten Wegen: New Age und Esoterik, in: Hemminger 1987, S. 98-100; H.-D. Reimer. Für den katholischen Bereich z. B. der Jesuit J. Sudbrack: New Age und Neue Religiösität, der den Rückgriff auf das "organische Denken" als legitimes Anliegen sieht, in: "Aus Politik und Zeitgeschichte", S. 23; die Äußerungen des Benediktiner-Paters Steindl-Rast, auf die wir später eingehen. Zur "Neuen Rechten" vgl. Rohrmoser 1990, S. 278.
(84) Schriftliche Mitteilung von G. Küenzlen an Verf. vom 7. 12. 1989.
(85) Vgl. Karlheinz Weißmann zum 90. Geburtstag Künneths in "Criticon", Nr. 125, Mai/Juni 1991, S. 114.
(86) K. Weißmann: Erwachen im Untergrund. Neuheiden unter uns, in: Materialdienst der EZW, S. 99-112. Weißmanns Buch aus dem "MUT"-Verlag "Die Zeichen des Reiches. Symbole der Deutschen" (Asendorf 1989) wird inzwischen überall im Neofaschismus als Standardwerk angepriesen: "Dieses Buch bringt die nationalen Symbole der Deutschen zum Sprechen", schreibt der "MUT-Buchdienst" in einem Prospekt.
(87) Künneth in Klotz, S. 68-72. Vgl. a. Scholder 1977, S. 177, S. 683, der andere, inhaltlich gleiche Stellen bei Künneth zitiert.
(88) W. Künneth: Antwort auf den Mythus. Die Entscheidung zwischen dem nordischen Mythus und dem biblischen Christus, Berlin 1935. A. Rosenberg: Der Mythus des 20. Jahrhunderts. Eine Wertung der seelisch-geistigen Gestaltenkämpfe unserer Zeit, München 1930, zit. n. der 27. Auflage von 1934.
EZW-Vorbild Künneth wurde in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen vom Verteidiger Alfred Rosenbergs als Entlastungszeuge für Rosenberg benannt, vgl. H. Prolingheuer 1987, S. 274. Die Entlassung Künneths gleich nach Inkrafttreten des NS-Kirchengesetzes sollte nicht als Zeichen für eine grundsätzliche Oppositionshaltung des Betroffenen gegen den Nationalsozialismus mißverstanden werden, vgl. Scholder 1985, S. 276.
(89) Künneth 1935, S. 184.
(90) Vgl. Scholder 1977, S. 348, der zu Künneths Rechtfertigung der NS-Ausnahmegesetze gegen Juden ausführt: "Das wichtigste Argument in diesem Zusammenhang war das vielzitierte 'prozentuale Mißverhältnis zwischen der Besetzung öffentlicher Ämter durch Juden und ihrem Anteil an der Bevölkerungszahl'. Dieses Mißverhältnis stelle, so erklärte Künneth, 'eine Ungerechtigkeit für die deutschen Beamten, Ärzte usw. dar', so daß die Neuregelung (der nazi-gesetzlichen Entfernung von Juden aus Staatsdienst und Ärzteschaft usw., P. K.) prinzipiell den Charakter einer Schutzmaßnahme zur Sicherung des deutschen Volkes' trage."
(91) Paulus in Gal. 3, 28: "Hier ist kein Jude noch Grieche, hier ist kein Knecht noch Freier, hier ist kein Mann noch Weib; denn ihr seid allzumal einer in Christo Jesu"; vgl. Künneth 1935, S. 100-101.
(92) Künneth 1935, S. 188 ff. Ähnliche Passagen in moderner Sprache finden sich heute bei Evertz.
(93) Künneth 1935, S. 68 f; S. 198-200.
(94) Ebd., S. 110 f.
(95) Hierüber berichtet H. Prolingheuer: Kleine politische Kirchengeschichte. Fünfzig Jahre Evangelischer Kirchenkampf von 1919 bis 1969, Köln 1984, mit Zitaten aus Künneth.
(96) Vgl. hierzu z. B. H. Kremers (Hrsg.): Die Juden und Martin Luther - Martin Luther und die Juden, Neukirchen-Vluyn 1985; H. A. Strauss und N. Kampe (Hrsg.): Antisemitismus. Von der Judenfeindschaft zum Holocaust, Frankfurt a. M., New York 1985.
(97) R. Hummel: Die Auseinandersetzung zwischen Kirche und Judentum im Matthäusevangelium, München 1963.
(98) Ders.: Indische Mission und neue Frömmigkeit im Westen, Stuttgart 1980, S. 231, 285. Hummel verschweigt den Bezug auf Hunke im Namensregister des Buches, obwohl er sie im Text namentlich nennt. Auch: ders. (1987): Zwischen den Zeiten und Kulturen: Die New Age-Bewegung, in: Hemminger 1987, S. 51, S. 54.
(99) W. Seibert: Deutsche Unitarier Religionsgemeinschaft. Entwicklung, Praxis und Organisation. Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Hans-Jürgen Greschat. Eine Publikation der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Stuttgart 1989.
Nach einem Beschluß des Landgerichts Gießen (AZ.: 3 O 663/89) darf gesagt werden, bei dem Buch handele es sich "um eine unkritische und wissenschaftlich nicht abgesicherte Darstellung", sein Autor erwähne "an keiner einzigen Stelle die faschistischen Bezüge der Sekte" und habe "weder die Quellen noch die einschlägige Sekundärliteratur zu diesem Problem ausreichend studiert."
(100) Hummel in einem Brief an Verf. vom 13. 7. 1990: "Gegenwärtig sehe ich nicht, daß Seiberts Buch als Rechtfertigung einer völkisch-rassistischen Haltung benutzt wird. Ich vermag auch nicht zu erkennen, daß es sich dafür eignet. Darum besteht für mich zur Zeit kein Anlaß in dieser Sache Schritte zu unternehmen."
(101) R. Niedenführ: Das Neue Bewußtsein - Modell für einen mittelständischen Faschismus, in: "Der Rechte Rand", Nr. 14, S. 11.
(102) Ausdruck des "Neuen Zeitalters": Die rheinland-pfälzische Landesvertretung in Bonn hat die Säle ihres Neubaus nach berühmten Rheinland-Pfälzern benannt. Einen Karl-Marx-Saal sucht man vergeblich, ein Hildegard-von Bingen-Saal ist dagegen vorhanden.
(103) Vgl. z. B. den häufigen katholischen Bezug auf beide in den Sonderheften "New Age und Christentum" der katholischen Zeitschrift "Lebendige Seelsorge", Nr. 5 u. 6, 1988, in denen man auf die Arbeiten der EZW zum New Age ebenfalls nicht verzichten zu können glaubt.
(104) Vgl. J. Höfer und K. Rahner (Hrsg.): Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Bd., Freiburg 1959, S. 483-491.
(105) I. Dalichow: Freundschaft mit der Schöpfung. Interview mit Matthew Fox, in: "esotera", Nr. 12/1991, S. 24-28.
(106) F. Capra und D. Steindl-Rast: Wendezeit im Christentum. Perspektiven für eine aufgeklärte Theologie, Bern Wien München 1991, S. 13 ff.
(107) D. Steindl-Rast: Arbeit und Schweigen - Handeln und Kontemplation, in: Dürr u. Zimmerli, S. 300, S. 298.
(108) Vgl. z. B. G. Fuchs: Holistisch oder katholisch?, in: Lebendige Seelsorge 1988, S. 264-271, hier S. 266 ff; auch J. Sudbrack: Die vergessene Mystik und die Herausforderung des Christentums durch New Age, Würzburg 1988.
(109) Vgl. z. B. Kunter, Stimpfle u. Wüst, wo katholisch-amtskirchlich und aus charismatischer Sicht die Pneumatologie wiederbelebt wird. Der katholische Mystizist G. Fuchs schreibt in einer Rezension verräterisch über den politischen Sinn dieser neuen Pneumatologie: "Jene, die einäugig nur auf die geistlichen Bewegungen im Umkreis der Theologie und Praxis der Befreiung schauen (die in diesem Band nicht wahrgenommen scheinen), sollten diese spirituellen Initiativen mit ihren hier vorgelegten Konzept studieren und einüben", in: "Lebendige Seelsorge" 1988, S. 391.
(110) "MUT", Nr. 292, Dezember 1991, bringt den Artikel "Die Engel fliegen wieder" des Studiendirektors Uwe Wolff, der unter Bezug auf den "Liturgiker" Romano Guardini und die Selbstvergöttlichungstendenzen der UFOlogie (Engel/Götter in UFOs kehren zur Erde zurück) über die Neuauflage des Heiligen Geistes schreibt. Aus katholischer Sicht: H. Vorgrimler: Wiederkehr der Engel? Ein altes Thema neu durchdacht, Kevelaer 1991.
(111) Der heute im New Age hoch angesehene Graf Dürckheim veröffentlichte bereits 1935 politisch-organizistische Ganzheits-Positionen zur Unterstützung des Nationalsozialismus, vgl. z. B. K. Graf v. Dürckheim-Montmartin: Gemeinschaft, in: Neue psychologische Studien (Ztschft.) 1935, 12, S. 195-214. 1933 war Dürchkeim in die SA eingetreten und arbeitete später als "deutscher Kulturdiplomat" für das Nazi-Außenministrium des Kriegsverbrechers Ribbentrop. Dürckheim wird auch von der rechtsextremen Humboldt-Gesellschaft verehrt, vgl. "Mitteilungen der Humboldt-Gesellschaft", Nr. 24 vom Dezember 1988, S. 727 f; Nr. 25 vom Februar 1989, S. 802 f; vgl. J. Lloyd, K. Heiler, I. Pinn: Akademischer Faschismus. Mitteilungen über die Humboldt-Gesellschaft, in: Hethey und Kratz
Vgl. U. Geuter 1985, S. 63 f. Vgl. Schiwys Ansicht vom Wassermann-Zeitalter als Äon des Heiligen Geistes, in: G. Schiwy: Der Geist des neuen Zeitalters. New Age-Spiritualität und Christentum, München 1987.
(112) Vgl. z. B. G. Fuchs: "Die Arbeit der Nacht" und der Mystik-Boom, in: "Lebendige Seelsorge", 1988, S. 341-349, hier S. 341 f.
(113) Ebd., S. 268.
(114) Ebd., S. 267.
Zum Neofaschismus vgl. z. B. G.-K. Kaltenbrunner: Europa. Seine geistigen Quellen in Porträts aus zwei Jahrtausenden, Bd. II, Stein o. J. (1982), zu Meister Eckhart S. 91-94: "Der vollkommene Mensch müsse noch über Christus, ja auch über Gott hinaus sich schwingen" (S. 92). Vgl. Hunke (1989): "So wird der mit göttlichen Kräften wirkende Mensch zum hochverantwortlichen Mitschöpfer Gottes. Der verantwortlich ist 'für Gott'." (S. 311) Mehr dazu im Kapitel 3.
(115) H. Eichberg: Produktivistische Mythen. Etwas über die Religion in der Industriekultur, in: Schleip, S. 259.
(116) Vgl. Knoblauch, S. 512, 519. Vgl. a. R. Otto: Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen, München 1963 (1. Aufl. 1917); ders.: Das Gefühl des Überweltlichen, München 1932. Für A. Holl (Das Heilige. Nachruf auf eine Kopfgeburt, in: Kursbuch Glauben) beschrieb Otto "den Führerkult im nationalsozialistischen Deutschland ausgezeichnet" (S. 18), obwohl es nicht Ottos Anliegen war. Spranger, S. 285.
(117) Höfer u. Rahner, 6. Bd., 1961, S. 659, S. 666.
(118) Die Regel der Amtskirche war das Schreiben der katholischen Fuldaer Bischofskonferenz an den Papst vom 31. Mai 1933, in dem es heißt: "Der gegenwärtigen deutschen Regierung sind wir 'guten Gewissens und in ungeheuchelter Treue' ergeben, eingedenk der Mahnung des hl. Apostels Paulus: 'Jedermann ist den obrigkeitlichen Gewalten untertan.' Daher ist es unser Vorsatz, das, was von der Regierung gegen die gottlosen bolschewistischen Machenschaften und die weit um sich greifende Unsittlichkeit lobenswerterweise unternommen wird, mit aller Kraft und Anstrengung zu unterstützen und zu fördern". (Zit. n. Läpple, S. 78.) Was hier so katholisch belobigt wird, war in der Praxis die Ermordung von Juden, Kommunisten und Sozialdemokraten durch SA-Horden und die Errichtung der ersten KZ. Das katholische Zentrum stimmte dem Nazi-Ermächtigungsgesetz zu und gab damit den Weg frei zur staatlichen Legitimierung des Terrors. Den Gläubigen wurde dann in einem Hirtenbrief aller deutschen Bischöfe vom 3. Juni 1933 der feudalistische Organizismus von der Kanzel herunter erklärt: "Es fällt uns Katholiken auch keineswegs schwer, die neue starke Betonung der Autorität im deutschen Staatswesen zu würdigen und uns mit jener Bereitschaft ihr zu unterwerfen, die sich nicht nur als eine natürliche Tugend, sondern wiederum als eine übernatürliche kennzeichnet, weil wir in jeder menschlichen Obrigkeit einen Abglanz der göttlichen Herrschaft und eine Teilnahme an der ewigen Autorität Gottes erblicken." (Zit. n. ebd., S. 61.) Die Haltung der katholischen Amtskirche änderte sich auch keineswegs, nachdem im Nazi-Kirchenkampf etliche Gläubige der Basis von der Gestapo verfolgt worden waren und Geistliche bereits im KZ saßen. Am 18. März 1938 erklärten die österreichischen Bischöfe zum Einmarsch der Nazi-Wehrmacht in Österreich: "Wir erkennen freudig an, daß die nationalsozialistische Bewegung auf dem Gebiet des völkischen und wirtschaftlichen Aufbaues sowie der Sozialpolitik für das Deutsche Reich und Volk und namentlich für die ärmsten Schichten des Volkes Hervorragendes geleistet hat und leistet. Wir sind auch der Überzeugung, daß durch das Wirken der nationalsozialistischen Bewegung die Gefahr des alles zerstörenden gottlosen Bolschewismus abgewehrt wurde." (zit. n. ebd., S. 183) Zur Zeit der Abgabe dieser "Feierlichen Erklärung" war die Nazi-Sozial- und Wirtschaftspolitik des Todes gegen Juden bereits in vollem Gange, gegen Behinderte in Vorbereitung, mit Hilfe katholischer Theologen.
(119) R. Faber: Politischer Katholizismus. Die Bewegung von Maria Laach, in: Cancik, S. 136-158.
(120) Sigrid Hunke, die unter ihrem Mädchennamen publiziert, brachte in den sechziger Jahren zwei Bücher mit "Lieblingsgedichten" Adenauers heraus; damals war ihr Ehemann Peter Schulze ein hoher Ministerialbeamter im Bonner Kanzleramt. So verlaufen die einschlägigen Verbindungen quer zu allen Vermutungen.
(121) Vgl. W. Mogge: Religiöse Vorstellungen in der deutschen Jugendbewegung, in: Cancik, S. 90-103. Mogge hebt als zentralen Übergang zwischen den verschiedenen Fraktionen naturreligiöse, zum Pantheismus hin durchaus offene, vor allem mystische Komponenten hervor, bei Guardini wie bei George. Er zitiert eine Quelle der damaligen Jugendbewegung, die mit Ideen des katholischen Bundes Quickborn - der unter Guardinis geistiger Führung gewissermaßen der Jugendbund der "Liturgischen Bewegung" war - ebenso vereinbar ist wie mit dem völkischen Pantheismus, und die ebensogut aus einem heutigen New Age-Text stammen könnte: "Glaube ist das Wirklichkeitserlebnis des Unendlichen. Im Wandervogel wurde uns dieser Glaube geboren. Der große schwingende Klang des hellen Tages und der hohen Nacht, die schweren, lebenstragenden Kräfte des Meeres und der Erde haben unser Wissen um eigene Unendlichkeit geweckt, dunkel, ahnend, stumm, froh. Sie gaben uns in dem Gefühl des Unendlichen einen stolzen und doch demütigen Willen zur Freiheit, die jenes unendliche Wesen in uns besitzesfroh und staunend in die Sonne hielt" (S. 96).
(122) Das entspricht der paulinischen Einheit in der Vielheit beim Protestanten Künneth.
(123) I. Herwegen bei R. Guardini: Vom Geist der Liturgie, zit. n. Faber, S. 153 f.
(124) Zit. n. Faber, S. 154.
(125) Liest man diesen ersten "Wert" in unserem Verständnis der Begriffe, so ergibt sich ein ganz besonderes Bonmot des Organizismus!
(126) Beide Zit. n. Faber, S. 140.
(127) Zit. n. Schweidlenka 1989, S. 117.
(128) München 1984, S. 101 f.
(129) Frankfurt a. M. 1978, S 98.
(130) Vgl. R. Stoert: Tu, was du willst, sei das ganze Gesetz! Ein Gespräch mit dem Abt des Ordens "Thelema" Michael Eschner, in: Taz 26. 10. 1988, S. 11-13.
(131) Vgl. z. B. H.-J. Noack: "Luzifer, Herr der Finsternis, höre uns!", in: "Der Spiegel", Nr. 31/1988, S. 50-55.
(132) "Der Spiegel", Nr. 42/1989, S. 63, 65.
(133) Sung Hun Lee: Die Theorie des Urbildes, in: Uni-Impulse. Magazin für Universität und Gesellschaft, herausgegeben von der Mun-Zweigorganisation CARP, Nr. 5/1988, S. 21 f; S. 20.
(134) In "CAUSA. Magazin für gesellschaftspolitische Bildung", Nr. 2/1987 und Nr. 3/1987.
(135) Vgl. "Die Wahrheit" 27. 5. 1988.
(136) "stern", Nr. 24/1984, S. 94. Mun-Zit. n. F.-W. Haack: Europas neue Religion. Sekten, Gurus, Satanskult, Zürich Wiesbaden 1991,S. 129.
(137) Der Vortrag wurde abgedruckt in "CAUSA. Magazin für gesellschaftspolitische Bildung", Nr. 3/1987 und Nr. 1/1988.
(138) Zit. n. Haack 1991, S. 120.
(139) Vgl. Schweidlenka 1989, S. 98. "Der Spiegel", Nr. 45/1991,S. 143f.
(140) Zit. n. "Raus in Köln", Nr. 11/1991, S. 1 (Zeitung des schwul-lesbischen Kölner Emanzipation e. V.)
(141) Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt erklärte im Herbst 1991 in der Zeitung "Die Zeit": "Inzwischen hat Michail Gorbatschow durch seine fabelhafte Perestrojka alles zerstört, was noch funktioniert hat".
(142) E. Hickel: Autoritäre Ökologie und mythisches Naturverhältnis, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr. 5/1989, S. 592-596.
(143) Vgl. P. Kratz: Gerontologie und Kapitalinteresse, in: Psychologie und Gesellschaftskritik, 7 (1983), Heft 1, S. 37-64.
(144) Vgl. A. N. Leontjew: Probleme der Entwicklung des Psychischen, Frankfurt 1973.
(145) Vgl. W. Jantzen: Behindertenpädagogik, Persönlichkeitstheorie, Therapie. Vorbereitende Arbeiten zu einer materialistischen Behindertenpädagogik, Köln 1978: ders.: Grundriß einer allgemeinen Psychopathologie und Psychotherapie, Köln 1979.
Die sechste der "Thesen über Feuerbach" von Karl Marx lautet: "Feuerbach löst das religiöse Wesen in das menschliche Wesen auf. Aber das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum innewohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse. Feuerbach, der auf die Kritik dieses wirklichen Wesens nicht eingeht, ist daher gezwungen: 1. von dem geschichtlichen Verlauf zu abstrahieren und das religiöse Gemüt für sich zu fixieren und ein abstrakt - isoliert - menschliches Individuum vorauszusetzen; 2. kann bei ihm daher das menschliche Wesen nur als 'Gattung', als innere, stumme, die vielen Individuen bloß natürlich verbindende Allgemeinheit gefaßt werden." (Zit. n. MEW, Bd. 3, Berlin 1959, S. 534.) - Feuerbach gehört wegen seiner Kritik des Dualismus von Gott und Welt im Christentum und seiner zur Affirmation gesellschaftlicher Zustände und zur Selbstvergöttlichung des Menschen führenden Naturverherrlichung, trotz seines materialistischen Ansatzes, heute zu den positiven Bezugspunkten des New Age und zählte früher und heute in gleicher Weise zu denen völkischer Religiösität. Es ist nicht erstaunlich, sondern zu erwarten, daß Jantzen bei seiner Abkehr vom Marxismus wieder bei Feuerbach landet.
Vgl. a. die Bemerkungen von Friedrich Engels über Feuerbach in: ebd., S. 541-543, und: K. Marx und F. Engels: Die deutsche Ideologie, MEW Bd. 3.
(146) Vgl. W. Jantzen (1991a): Behinderung, psychische Krankheit und Biologismus - Eine Ideologiekritik auf neurowissenschaftlicher Basis, in: Gen-Ideologie, Biologie und Biologismus in den Sozialwissenschaften, Argument-Sonderband 175, Hamburg 1991, S. 81-111.
Ders. (1991b): Glück - Leiden - Humanität. Eine Kritik der "Praktischen Ethik" Peter Singers, in: Ztschft. f. Heilpädagogik, 42 (1991) 4, S. 230-244, hier zit. n. d. Wiederabdruck in: "Hintergrund. Marxistische Zeitschrift für Gesellschaftstheorie und Politik", Nr. II/1991, S. 45-59.
(147) Bei Marx war der gesellschaftliche Prozeß nicht göttlich, sondern menschlich bestimmt, "als menschlich sinnliche Tätigkeit, Praxis" (erste Feuerbach-These). "Das gesellschaftliche Leben ist wesentlich praktisch. Alle Mysterien, welche die Theorie zum Mystizismus verleiten, finden ihre rationelle Lösung in der menschlichen Praxis und im Begreifen dieser Praxis" (achte Feuerbach-These), mit der die Welt - real - verändert werden sollte, in: MEW Bd. 3, S. 533 u. 535.
(148) In Jantzens Praxis der Behindertentherapie allerdings ist von diesen ideologischen Verrenkungen so wenig zu spüren, wie früher in der Praxis der "Kritischen Psychologen" vom marxistischen Hintergrund ihrer Theorie, vgl. etwa: 1991a, S. 103-108. Das vermag im vorliegenden Fall nur wenig zu beruhigen, weil Jantzen objektiv an der Verwirrung des linken Bewußtseins mitarbeitet.
(149) Vgl. P. Kratz: Die nationalrevolutionäre Connection: Gaddafi - Mechtersheimer - Schönhuber, Bonn 1990.
Bei der Frankfurter Buchmesse 1991 wurde Rolf Stolz am "MUT"-Stand im Gespräch mit seinem Verleger, dem "MUT"-Chef Bernhard Wintzek, von Antifaschisten fotografiert. Wintzek ist ein ehemaliger NPD-Bundestagskandidat.
Die Adresse von Rolf Stolz befindet sich in dem kürzlich veröffentlichten privaten Adressbuch Michael Kühnens, neben etlichen Adressen völkischer Sekten.
(150) F. Engels: Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, Berlin 1972, S. 46. Vgl. hierzu a. Marx über Feuerbachs "idealisierte Liebe" in "Die Deutsche Ideologie", in: MEW Bd. 3, S. 43-45.
(151) Vgl. z. B. die Arbeiten von H. Eichberg, besonders: Die Industrie des Verschweigens. Über den industriellen Rassismus, in: ders.: Abkopplung, Koblenz 1987, S. 75-91; ders.: Sozialverhalten und Regionalentwicklung. Modernisierung in der indonesischen Relationsgesellschaft, Berlin. Vgl. a. P. Kratz (1991a): Die "Neue Rechte" in der SPD, in: "ak", Nr. 329 vom 8. 4. 1991.
(152) Vgl. R. Sheldrake: Das schöpferische Universum, München 1990; ders.: Das Gedächtnis der Natur, München 1990. Sheldrakes Einfall ist wenig originell, der Psychologe Ewald Hering hatte ihn bereits 1905 in ähnlicher Weise geäußert, vgl. E. Hering: Über das Gedächtnis als eine allgemeine Funktion der organisierten Materie.
(153) Jantzen, 1991a, S. 93.
(154) Heine in: Werke, Bd. 4, Wiesbaden o. J., S. 262 f.
Vgl. A. de Benoists Beitrag: Die Religion der Menschenrechte, in: P. Krebs (Hrsg.): Mut zur Identität. Alternativen zum Prinzip der Gleichheit, Struckum 1988, S. 41-73.
(155) Vgl. z. B. Sebald, S. 106 f; Usarski, S. 29, 31 f; H. Wilhelm-Rotenburg: Deutsche Wiedergeburt und abendländische Sendung, in: "Der Rechte Rand", Nr. 14, S. 6.
(156) Vgl. die Dokumentation der Selbstdarstellung der "Heidnischen Gemeinschaft e. V." in: "Materialdienst der EZW", S. 113-118.
(157) Vgl. z. B.: H. Cancik; J. Hermand; D. Mendlewitsch, die das Thema New Age sogar explizit ausspart, S. 238.
(158) Vgl. z. B. den sehr lesenswerten Reader von: International Council für Philosophy and Humanistic Studies and UNESCO (Eds.): The Third Reich, London 1955; G. Lukács: Zerstörung der Vernunft, Berlin 1955; F. Stern: Kulturpessimismus als politische Gefahr, Bern 1963; F. Zipfel: Kirchenkampf in Deutschland 1933 - 1945. Religionsverfolgung und Selbstbehauptung der Kirchen in der nationalsozialistischen Zeit, Berlin 1965; K. Sontheimer: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik, 2. erweiterte Aufl. München 1968; R. Alleau: Hitler et les sociétés sectrètes, Paris 1969; W. Gerson: Le Nazismue, société secrète, Paris 1969; R. Baumgärtner: Weltanschauungskampf im Dritten Reich. Die Auseinandersetzung der Kirchen mit Alfred Rosenberg, Mainz 1977; G. L. Mosse: Ein Volk - Ein Reich - Ein Führer. Die völkischen Ursprünge des Nationalsozialismus, Königstein/Ts. 1979.
(159) R. Opitz: Faschismus und Neofaschismus, 2 Bde., Köln 1988, hier: Bd. 1, S. 45-76.
Die antisemitisch, okkultistisch und gegen die junge Weimarer Demokratie ausgerichtete Thule-Gesellschaft war eine der personellen und ideologischen Quellen der NSDAP. Der Germanen-Orden war ihr innersten geheimer Kreis. Das heutige "Thule-Seminar" in Kassel, deutscher Ableger des europäischen Neofaschismus der "Neuen Rechten", lehnt sich mit seinem Namen hieran an. Der Weltkriegs-General Erich von Ludendorff, beim Hitler-Putsch in München 1923 dabei, heiratete die spätere Gründerin der faschistischen Sekte "Bundes für Gotterkenntnis - Ludendorffer", Mathilde v. Kemnitz, die in der Münchner okkultistischen Szene bekannt war, vgl. Kapitel 4 des vorl. Buches.
(160) Vgl. Opitz, hier: Bd. 2, S. 86; S. 96 f, S. 124.
(161) Gugenberger u. Schweidlenka; Schweidlenka 1989; ders. 1991a: "Faschistische Selbsterfahrung": Ein neuer Hit des Esoterikbooms?, in: "Materialdienst der EZW", S. 118-120; ders. 1991b: Wodans neue Erben, in: "esotera", Nr. 12/1991, S. 18-23, 88.
(162) Z. B. Eichberg 1987, S. 44 f, 60 ff.
(163) Schweidlenka 1989, S. 60.
(164) Vgl. M. Berman: Wiederverzauberung der Welt, München 1983. Bei Gugenberger u. Schweidlenka, S. 84 f.
(165) Ähnliches ließe sich auch über einen weiteren prominenten "neuen" Esoteriker, Jörg Wichmann und sein Buch "Die Renaissance der Esoterik. Eine kritische Orientierung" sagen (Stuttgart 1990), der ebenfalls die Verwandtschaft von New Age und Faschismus nicht begrifflich durchdrungen hat.
(166) Vgl. Gianni Sfri: "Gandhi in Italien", in "taz" 19. 11. 1988, S. 17.
(167) Frauenbildungs- und Ferienhaus Zülpich: Programmheft Januar bis April 1992, S. 22.
Vgl. zu Lanz z. B. W. Daim: Der Mann, der Hitler die Ideen gab. Die sektiererischen Grundlagen des Nationalsozialismus, Berlin 1991. "Ostara" war der Name der Zeitschrift, in der Lanz von Liebenfels seine rassistischen Ideen von der Höherzüchtung der "arischen" blond-blauäugigen Herrenmenschen und der Ausrottung anderer "Rassen" verbreitete. Hitler soll einige davon gelesen haben.

Lupe:

zurück im Text Kapitel 2, EZW
 

...weiter im Text 

...Inhalt "Die Götter des New Age" 

...Eingangsseite