Peter Kratz: "Die Götter des New Age.
Im Schnittpunkt von 'Neuem Denken', Faschismus und Romantik"
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3. New Age und Faschismus

Zur Identität zweier Weltanschauungen
 

      Inhalt des Kapitels 3:

      Erster Teil:
      Gorbi et orbi: "Neues Denken" verbindet die europäische Rechte

      Rudolf Bahro im "Neuen Zeitalter"

       Zweiter Teil:
      Erste These: Gemeinsam gegen materielle Ansprüche -
                          Respiritualisierung statt Veränderung der Gesellschaft
      Zweite These: Gemeinsam aus denselben Quellen schöpfen
         - Quantenphysik als Weltanschauung
         - "Ganzheit", "Leben", "Äther", "Tat-twam-asi",  "Holismus"
      Dritte These: Gemeinsam für das organisch-kosmische Weltbild
         -  Der "Wille des Ganzen" als Politik
         -  Zerstörung der Ethik

       Dritter Teil:
      Vierte These: Gemeinsam für den selbstvergöttlichten
                         faustischen Menschen
         -  Selbst Schöpfer sein
         -  Totale Mobilmachung der Technik
      Fünfte These: Mit dem faustischen Übermenschen fürs Kapital
      Vom dritten Reich zum New Age
      Die Rückkehr der Indogermanen
 

Die Ideologie des New Age stellt den größten Angriff auf die Linke, auf ihre dialektisch-materialistische Weltanschauung und ihre praktische Politik für gleiche bürgerliche und soziale Rechte aller Menschen seit der Entstehung des historischen Faschismus dar. Dabei wird der Angriff des New Age im wesentlichen mit denselben geistigen Waffen geführt wie der Angriff des Faschismus. Auch versteht sich das New Age mit seinem Konzept der "Transformation" der Welt in einer "sanften Verschwörung" (Marilyn Ferguson) wie der frühe und der Neo-Faschismus als "Dritter Weg" zwischen Kapitalismus und Sozialismus, als der wahre Weg zum Glück. (168)

Ein wesentlicher Unterschied besteht - bisher - in der Praxis: Das New Age gibt vor, auf offenen Terror verzichten zu können, wenn es zur gesellschaftlichen Macht gelangt ist. Damit bietet es den entscheidenden Vorteil gegenüber dem "klassischen" Neofaschismus. Eine zukünftige antiegalitäre Gesellschaft, die mit dem historischen faschistischen und neofaschistischen Gesellschaftsentwurf vergleichbar wäre, wird besser auf der Basis der New Age-Ideologie zu errichten sein, die "sanft" daherkommt und die wahren ideologischen Wurzeln und politischen Ziele verschleiert, als im offenen Rückgriff auf faschistische Konzepte. Denn der Faschismus als Weltanschauung ist im öffentlichen Bewußtsein zu sehr mit den Verbrechen seiner historischen Praxis verknüpft, als daß ein offener Bezug auf ihn hegemonial und damit politisch wirksam werden könnte. Auch die Versuche einer "Entsorgung" des Faschismus zwecks Wiederverwendung haben es bisher nicht vermocht, die Nachwirkungen der Verbrechen tatsächlich verblassen zu lassen. Das New Age steht scheinbar ohne diese historische Belastung da. Es kann die Funktion des Faschismus als Weltanschauung heute besser erfüllen: die ideologische Absicherung einer Politik der sozialen Ungleichheiten und des Abbaus demokratischer Gesellschaftselemente.

Einer der führenden deutschsprachigen New Ager ist Hans-Peter Dürr, Direktor des Werner-Heisenberg-Instituts (Max-Planck-Institut für Physik und Astrophysik München), Träger des "Alternativen Nobelpreises" des ehemaligen Grünen-Europaabgeordneten Jakob von Uexküll. Dürr war maßgeblich an dem New Age-Kongreß "Geist und Natur" beteiligt. Das von Dürr herausgegebenen Buch "Physik und Transzendenz. Die großen Physiker unseres Jahrhunderts über ihre Begegnung mit dem Wunderbaren" ist heute eines der deutschsprachigen Grundlagenwerke des New Age. (169) In seinem Vorwort stellt Dürr die Aussöhnung von Religion und moderner Naturwissenschaft im - allerdings so nicht explizierten - faustischen Menschen als die adäquate Lösung der Weltprobleme dar, die mit demokratischen Grundpositionen jedoch unvereinbar ist. Er leugnet nach dem Schema des altbekannten Angriffs der Idealisten auf den Materialismus plump die Existenz einer dinglichen Wirklichkeit, die der menschlichen Erkenntnis und Praxis zugänglich ist, als hätte es den Sieg des Materialismus in dieser Debatte niemals gegeben. (170) Die politische Konsequenz, daß die Wirklichkeit in ihrer Ganzheit, also auch die gesellschaftlichen Zustände, demnach auch nicht der tätigen menschlichen Praxis unterliege und somit ihre Gestaltung dem Willen von Mehrheiten entzogen sei, bleibt noch unausgesprochen. Aber wenn Dürr eine göttliche Instanz als den eigentlichen Grund menschlichen Handelns annimmt und sodann die Physiker - oder richtig: eine kleine Gruppe philosophierender Quantenphysiker, die sich vor allem um Adolf Hitlers Atombomben-Bauer Werner Heisenberg gruppierte - als die einzig legitimierten Übersetzer eines angeblichen göttlichen Willens präsentiert, so ist diese politische Konsequenz mitgedacht. Eine Elite "wissender Priester", hier als philosophierende Physiker, weist den Weg, der für die Massen nicht zu sehen ist.

Dürrs Ansichten passen zu der elitären Staatstheorie des immer lächelnden Ernst Albrecht, der den New Age-Kongreß "Geist und Natur" ausrichtete. "Der Spiegel" kommentierte Albrechts Ansichten: "Vielleicht, daß Ernst Albrecht sich allzu eilig unter die Kategorie 'überdurchschnittliche Menschen' gereiht hat, die er in seinem Buch 'Der Staat - Idee und Wirklichkeit' als berufen bezeichnete, durch 'Alleinherrschaft und Wenigenherrschaft eine bessere Ordnung zu errichten als die Volksherrschaft'. ... Und daß es, wie Albrecht auch in der zweiten Auflage seines Buches stehenließ, 'sittlich geboten' sein könne, Informationen über ein geplantes 'namenloses Verbrechen' 'auch durch Folter zu erzwingen', ... hat auch die Skepsis vertieft, was hinter Lack und Lächeln stecken mag." (171)

Dürr ergänzt die religiöse Rechtfertigung für Albrechts politische Ordnung: "Der Mensch bedarf, um handeln zu können, einer über seine wissenschaftlichen Erkenntnisse hinausgehenden Einsicht - er bedarf der Führung durch das Transzendente". Diese göttliche Instanz erscheint bei Dürr als heroisch-realistische Fluchtmöglichkeit aus der Verantwortung menschlichen Handelns: "In der verwirrenden Vielfalt einer zunehmend komplexeren und komplizierteren technischen Welt wird der Ruf nach einer klareren Orientierung immer lauter. Es wächst bei den Menschen der modernen Gesellschaft das Verlangen, hinter dieser sich immer weiter aufsplitternden und zerbröselnden Gedankenwelt wieder das wesentliche 'Eine' oder, wie Werner Heisenberg es nennt, die 'zentrale Ordnung' zu erkennen", die unhinterfragbar hinzunehmen ist. Diese Verbindung von Naturwissenschaft und Religion - eine der Grundpositionen des New Age - führt geradewegs in die Diktatur des Gottesstaates. Dürr verbindet die angeblich nötige "Führung" durch das unhinterfragbare "Transzendente" mit der angeblich unvermeidbaren Reservierung von Wissen für wenige Spezialisten, die als Priester den Willen des Transzendenten gegenüber den Menschen vermitteln. So rechtfertigt er das klassische Herrschaftswissen, mit dem eine Elite als angebliches Sprachrohr des Göttlichen über die Massen herrscht. Dies ist eine moderne Analogie zur alten Esoterik: dem Geheimwissen von Schamanen ebenso wie von Klosteräbten, die im Dienste der Herrschenden die Mehrheit der Bevölkerung davon fernhielten, die Gesellschaft mitzugestalten, indem sie ihnen Bildung vorenthielten. "Die genauen Zusammenhänge und eigentlichen Inhalte sind so kompliziert und vielfältig, daß sie nur noch von wenigen Experten ... verstanden werden. Das ist bedauerlich, aber unvermeidlich", meint Dürr. (172)

Hier wird nicht mehr abgehoben auf das interindividuell prüfbare wissenschaftliche Begreifen des historischen Gewordenseins des Menschen und seiner Lebensumstände aus natürlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen, also auf die Bedingungen der menschlichen Praxis, die diese Verhältnisse wiederum verändert. Hier sind nicht die Bedürfnisse der Mehrheit der Bevölkerung der Maßstab menschlichen Handelns, es erübrigt sich, diese Bedürfnisse zu ermitteln. Vielmehr wird die wissenschaftlich nicht faßbare, ethisch nicht hinterfragbare, demokratisch nicht beeinflußbare "Führung durch das Transzendente" reklamiert, deren Richtung nur einige wenige "wissende", demokratisch weder legitimierte noch kontrollierte Gurus verkünden, die nach diesem Konzept auch nicht demokratisch, sondern nur göttlich legitimierbar sind.

Dürr verschweigt allerdings nicht, in wessen Interesse er einigen Quantenphysikern diese Rolle übertragen will, wenn er schreibt: "Die heute wichtigsten Zweige der Technik sind ohne die Quantenphysik nicht denkbar." Neben Atomtechnik, Raumfahrt und Elektronik müßte also nur noch die Gentechnik ergänzt werden, um alle heutigen und zukünftigen Zielgebiete des faustischen Kapitals beisammen zu haben. Man braucht nicht die Wissenschaftssoziologie mit ihren Erkenntnissen über die Parteilichkeit wissenschaftlicher Arbeit zu bemühen (173) oder in den höheren Konzernetagen nach den Finanziers der Max-Planck-Institute zu fragen, um zu erkennen, in wessen Interesse hier Ideologie geschaffen wird. Dieses "Neue Denken" gibt den faustischen Wissenschaftlern und Technikern die Lossprechung für ihr unethisches Tun im Dienste des Kapitals. Die Entwicklung der "neuen" Naturwissenschaften, auf die sich das New Age stützt, ist bisher direkt geknüpft an Wettrüsten, Umweltzerstörung und Effektivieren der Ausbeutung menschlicher Arbeit. Ihre praktischen Auswirkungen - nicht einmal nur unter der Herrschaft des Kapitals, siehe Tschernobyl - sind Armut und wachsende Verelendung jeder Art bei den Massen, jedenfalls im überwiegenden Teil der Erde, in den hochentwickelten Industriegesellschaften des Nordwestens bisher noch abgemildert.

Statt der Wirklichkeit zu trauen, die vermittels der Evolution den Menschen derart hervorbrachte, daß er in dieser Wirklichkeit überlebte und deshalb sie auch erkennen und verändern kann, wird hier die menschliche Vernunft idealistisch als Wirkung einer vom Menschen nicht zu hinterfragenden Göttlichkeit bzw. als dem Menschen eingehauchte Göttlichkeit phantasiert, die auch die Natur "göttlich-vernüftig", nach ihrem allwaltenden Willen, gestaltet habe. Dürr führt zum "Beweis" für diese implizite Entsubjektivierung der Menschen die erkenntnistheoretischen Fehler Eddingtons, des späten Einstein und Plancks an. Sie legten in die Naturgesetze, die sie selbst erkannt hatten, das menschliche Konzept der "Vernunft" hinein und waren dann von dieser "Vernünftigkeit" der Natur, die sie doch erst selbst postulierten, psychisch überfordert. Ihr Erstaunen und ihre Ergriffenheit konnten sie nur reduzieren, indem sie das Wirken einer Göttlichkeit annahmen.

Doch der Grund ihrer als religiös interpretierten Ergriffenheit ist das idealistische Verkennen der Funktionsweise menschlichen Welterkennens. Das von den Menschen geschaffene Konzept der "Vernunft" rührt in Wahrheit doch selbst erst aus den widergespiegelten Naturgesetzen her, weder Mensch noch Natur bedürfen - so gesehen - des Transzendenten. Der Materialist Ludwig Feuerbach kritisierte bereits im neunzehnten Jahrhundert diesen Fehler, der das Menschliche ins Religiöse hineinverlegt. Dieser Fehler ist eines der Hauptmerkmale, wo die Physik als Basis des New Age verwendet wird. Seine objektive Funktion ist es, die große Mehrheit der Menschen davon abzuhalten zu erkennen, daß die Menschen selbst es sind, die diese Welt schaffen und auch anders, besser, schaffen können, sie verändern können, weil sie sie erkennen können.

Das "Neue Denken" geht also geistesgeschichtlich noch vor Feuerbach zurück, der seinerseits von Marx und Engels bereits in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts überwunden war. So greift es - wie der Faschismus - nicht nur den Wissenschaftlichen Sozialismus als Basis der Politik der Linken an, sondern auch den Positivismus als wissenschaftliche Grundlage des Liberalismus und seiner nur - aber immerhin - bürgerlichen Politik der Gleichheitsrechte. Karl Popper hat dies auf dem Kongreß "Geist und Natur" deutlich gemacht und wurde deshalb ausgebuht.

Gorbi et orbi: "Neues Denken" verbindet die europäische Rechte

Mit der Geschichte "New Age auf dem Balkan" wartete das Bhagwan-Magazin "Connection" im Juni 1990 auf. "Zwischen Kommunismus und traditioneller Spiritualität" sollte Zagreb einen "New-Age-Bürgermeister" bekommen, "denn viele Jugoslawen sind bereit, sich für New Age zu erwärmen". In den Jahren 1989/90 tauchen - glaubt man den einschlägigen Magazinen - über der UdSSR vermehrt UFOs auf, vor allem in Georgien. Experten sei es gelungen, "detaillierte Informationen mit den E. T.'s auszutauschen. ... Über diese sensationellen Vorgänge wird eine vierköpfige sowjetische Delegation jetzt auf der zweiten internationalen UFO-Konferenz ... in der bayrischen Landeshauptstadt berichten. Die Delegation steht unter der Leitung von niemand geringerem als Marina Popovich, Kosmonautengattin, Pilotin und Vorsitzende der Initiative 'Wissenschaftlerfrauen für den Frieden'", so berichtet die New Age-Zeitschrift "Lichtnetz West" aus Köln im Juni 1990. Luxemburgische und japanische Filmteams wollten jetzt den Kaukasus besuchen. Allerdings haben ganz offensichtlich die "Kontakte" der Außerirdischen, die im New Age auch schon mal als Engel oder Götter ausgegeben werden, dem Kaukasus noch keinen Frieden gebracht. Doch etwas anderes geschah hier: "Die Nacht im Kaukasus, das war die Nacht der deutschen Einheit", so der Bundeskanzler rückblickend am 20. März 1992 in den ARD-Tagesthemen. Er sprach über die entscheidenden Stunden des Jahres 1990, in denen er mit Gorbatschow die deutsche Einheit verhandelte. Der neofaschistische "Hohenrain Verlag" aus Tübingen verlegt neben Größen der "Neuen Rechten" wie Alain de Benoist, Guillaume Faye und Pierre Krebs sowie faschistischen Klassikern wie Julius Evola (der auch breit im New Age rezipiert wird) auch UFO-Bücher: "Aus den Tiefen des Alls. International angesehene Wissenschaftler legen Beweise und Möglichkeiten der Außerirdischen auf unserer Erde vor". Oder: "Die geheime Botschaft von Fatima. In Fatima ist nicht Maria erschienen. Wir haben es nicht mit einer göttlichen, sondern mit der Manifestation außerirdischer Intelligenz zu tun", so heißt es im Verlagsprospekt.

"Nichts ist realistischer als starke Visionen" lautet der Werbeslogan des "Horizonte"-Verlags, der sein Buchprogramm im New Age-Stil vermarktet. (174) Wenn man der Verlagswerbung glaubt, werden hier "Pioniere für 'Global denken - lokal Handeln'" werden hier verlegt: zum Beispiel "Der Öko-Gandhi" ("Der Mann der Bäume: Last uns Überleben pflanzen"), oder "Eine Welt für alle Visionen von globalem Bewußtsein". Als "Durchbruch der ganzheitlichen Denkart" präsentiert der Verlag 1989 unter der Überschrift "Eine neue europäische Kultur: Einheit und Ganzheit" das Buch der Alt- und Neofaschistin Sigrid Hunke "Vom Untergang des Abendlandes zum Aufgang Europas. Bewußtseinswandel und Zukunftsperspektiven". In dem Buch legt die ehemalige Ehrenpräsidentin der "Deutschen Unitarier" und Mitarbeiterin des "Thule-Seminars" ihre Konzeption faschistischer Religiösität als Grundlage einer neuen Zeit dar. Zwar schreibt der Verlag im Klappentext, daß Hunke Trägerin des "Schiller-Preises" 1985 und "Kuratoriums-Vorsitzende der Sigrid-Hunke-Gesellschaft e. V." ist. Er verschweigt jedoch, daß dieser "Schiller-Preis" vom "Deutschen Kulturwerk Europäischen Geistes" verliehen wird, das im Verfassungsschutzbericht als rechtsextremistisch aufgeführt ist. Der New Age-Konsument erfährt auch nicht, daß die "Sigrid Hunke-Gesellschaft" von Härte-Nazis wie dem früheren NSDAP-Reichtstagsabgeordneten und späteren NPD-Kandidaten Otto Wetzel im wesentlichen als Ableger der "Deutschen Unitariers" gegründet wurde.

Rudolf Bahros Buch "Rückkehr. Inweltkrise als Ursprung der Weltzerstörung" erschien 1991 ebenfalls bei "Horizonte". Bahro bezieht sich hier positiv auf den Schüler des Nazi-Ganzheitstheoretikers Felix Krüger, Karlfried Graf Dürckheim, auf die nationalistisch-organizistische "Ganzheits"-Tradition Johann Gottlieb Fichtes, (175) auf Luise Rinser oder auf Hunkes extremes religiös-faschistisches Buch von 1983 zum nordisch-arischen Mythos "Europas eigene Religion. Der Glaube der Ketzer". In der Rubrik "Praktische Psychologie" werden von "Horizonte" Lebenshilfen für den Alltag geboten (z. B. Theo Schoenaker: "Ich weiß, ich bin okay. Mut zur eigenen Stärke" solche Bücher gibt es im Psycho-Boom des New Age zu Hunderten). Diese Literatur will zu angepaßten Höchstleistungen ermuntern statt zur Emanzipation. In der Abteilung "Mystik/Weisheit" präsentiert der Verlag das Buch "Einheit in der Vielfalt", das von dem "sanften" Antisemiten Franz Alt als "ein Meilenstein zum Religionsfrieden" gepriesen wird. "Horizonte" bringt auch "das internationale Vordenker-Magazin" namens "One World. Magazin für globales Denken" heraus, "mit Havel-Interview" und "Robert Jungks Werkstätten für bessere Zukünfte". Nicht mehr "von der Utopie zur Wissenschaft" will man hier gehen - wie in der Linken -, sondern "Visionen" verkünden. Der diesseitige Begriff der Utopie weicht dem religiösen der Vision.

Michail Gorbatschow: "Meine Vision. Die Perestroika in den 90er Jahren. So geht es weiter" erscheint als "das aktuellste Gorbatschow-Buch" 1991 bei "Horizonte". Boris Jelzin möchte da nicht fehlen: "Die Alternative. Unser Weg zur Demokratie", freilich bei gleichzeitigem Verbot jeglicher Opposition. Der Verlag nennt das "Starke Visionen werden reale Politik" und bringt "Die sanfte Politik. Nachdenken über Weltethos und Realpolitik" von Vaclav Havel heraus, unter dessen Präsidentschaft in der Tschechoslowakei - gar nicht sanft - "kommunistische Propaganda" mit einem Gummiparagraphen verboten und bestraft wird. Hier fehlt dann nicht einmal mehr die offene Repression im Namen des "Neuen Denkens". Wie weit bereits Gorbi, das Idol der westeuropäischen Linken der achtziger Jahre, zum Spiritualismus übergewechselt ist, zeigt seine Bewunderung für den polnischen Papst und dessen "spirituelle Qualität" (Gorbatschow) als Konterrevolutionierer Osteuropas. (176)

1988 hatte die nationalrevolutionäre Zeitschrift "Aufbruch" des späteren REP-Funktionärs Marcus Bauer neben einem Artikel "Leitlinien einer organischen Wirtschaftsauffassung" und einer Rezension über den Führer der nazistischen, germanisch-neuheidnischen "Deutschen Glaubensbewegung" Wilhelm Hauer (dem späteren "Papst" der "Deutschen Unitarier"), auch über die "Hoffnung Gorbatschow" geschrieben: "Unter solchen Voraussetzungen kann man dem Europäer Gorbatschow wirklich nur den größtmöglichen Erfolg wünschen. Deutschland und Europa zuliebe."

Die "FAZ" brachte am 1. August 1990 in der Rubrik "Geisteswissenschaften" den Artikel "Freier Flug der Phantasie. Glasnost für die Schamanen der Sowjetunion. Die Wiederkehr der alten Mythen". Hier wird das, was Hunke mit "Europas eigener Religion" meint, in der Form der russisch-nationalen Besonderheit vorgestellt. Es heißt dort: "Als sich mit Gorbatschows neuer Innenpolitik die Unterdrückung zu lockern begann, zeigte sich, daß nicht nur immer noch zahlreiche Geschichten über die Macht der Schamanen in der Bevölkerung kursieren, sondern daß es auch praktizierende Schamanen gibt. ... Es sind keine Außenseiter, ... sondern etablierte Wissenschaftler. ... Die Beeinflussung der Natur gehört zu den traditionellen Fähigkeiten des Schamanen", aber auch, "den erfolgreichen Widerstand der alten spirituellen Kräfte gegen die Zumutungen des Parteiapparates (zu) demonstrieren. ... Er (der jetzt wiederbelebte Schamane der russischen Volksseele, P. K.) war Sänger, Tänzer, Künstler, Heiler, Wahrsager, Opferpriester, Jagd- und Regenzauberer, Zeremonienmeister und Hüter kultureller Traditionen und religiöser Mythen. Er war Totenführer und konnte angeblich ins Jenseits reisen, in den Himmel fliegen und kosmische Regionen erreichen, mit übersinnlichen Mächten verhandeln und die Kräfte der Natur beeinflussen." Bringt man ihn auf das wissenschaftliche Niveau des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts, so entspricht er dem faustischen Menschen.

Die Welle der Wunderheiler, die nach US-amerikanischem Muster via Fernsehen ihren "Segen" verteilen, kam in der späten UdSSR im Gefolge Gorbatschows. (177) Auch der christlichen russisch-orthodoxen Kirche, die das feudale Zarentum weltanschaulich gestützt hatte, wurden wieder Freiräume gegeben. Heute ist der tanzende Derwisch des Islam, der die imperialistische Feudalherrschaft der Osmanen über Vorderasien und Nordafrika mit dem mystischen Sufismus ideologisch absicherte, an der Stelle von Hammer und Sichel auf der Fahne der Tschetscheken zu sehen. Die bundesdeutschen Nationalrevolutionäre um Henning Eichberg und Wolfgang Strauss, die vom "Völkergefängnis Sowjetunion" sprachen, wiesen bereits früh auf die Bedeutung der islamischen Mystik als politische Waffe der extremen Rechten hin. Eichberg z. B. verfaßte 1986 einen Artikel über Sufismus in der Zeitschrift "wir selbst". (178)

Die Respiritualisierung der Politik und der Gesellschaft in Osteuropa begann mit den christlichen Marien-Wundern Tschenstochaus und Medjugorjes. Sie wurde mit den naturreligiösen Schamanen-Wundern Sibiriens fortgesetzt. Unter dem Etikett "Neues Denken" war sie das Kampfmittel, um den Erdkreis vom Sozialismus zu entledigen, wie es der Faschismus - allerdings vergeblich - bereits einmal versucht hatte. Wie passend, daß die ehemalige Professorin des Marxismus-Leninismus Raissa Gorbatschowa am 6. März 1992 im deutschen Fernsehen den Münchnern, die ihrem Mann zujubelten, ein kräftiges "Grüß Gott" zurief. Die Nonnen des Dreifaltigkeitsklosters im russischen Kolomna hatten schon 1990 gebetet: "Gesegnet sei Gorbatschow, denn er hat der Kirche die Freiheit zurückgegeben." (179)

Der "ganzheitliche" Blick auf die "Gattungsprobleme", denen im "Neue Denken" Gorbatschows der Vorrang vor den Klassenproblemen eingeräumt wurde, hat den Kapitalismus weltweit siegen lassen, aber keines der Gattungsprobleme gelöst. Im Gegenteil, alte Probleme kehren zurück: Krieg, Armut und Hunger gehören nicht nur wieder zum Alltag der ehemaligen Sowjetbürger, Krieg bedroht inzwischen in einem Maße die ganze Menschheit, wie es nicht einmal zu Zeiten von Kaltem Krieg und Nachrüstung der Fall war. Das "Gattungsproblem" der faustischen Atomtechnik und des Atomkriegs hat sich sogar noch vergrößert, seitdem frühere sowjetische Wissenschaftler von halbstarken Drittwelt-Diktaturen abgeworben werden. Der breite Strom des New Age als modernste Ideologie des Kapitals, bisweilen auch der anachronistische Organizismus der Feudalperiode, treten in die Lücke, die der real existierende Sozialismus hinterlassen hat. Diese Art von "Dritter Weg" hat der Menschheit einen historischen Rückschlag gebracht, wie er noch vor zwanzig Jahren undenkbar war. Er führt sie weg von den Möglichkeiten, ihre Lebensbedingungen selbst zu gestalten, und wieder zurück zur Abhängigkeit vom "Transzendenten". Die Herrschenden und ihre nachgeordneten Eliten wissen dies zu nutzen.

Der ehemalige Gorbatschow-Berater Anatolij Frenkin - wie andere ähnlicher Herkunft auch inzwischen auf der extremen Rechten gelandet - schrieb 1991 in der Zeitschrift "MUT" des ehemaligen NPD-Bundestagskandidaten Bernhard Wintzek über "Religion und Politik - Aus der Sicht des 'Neuen Denkens' in der Sowjetunion". (180) Man findet ein Loblied auf die Respiritualisierung der menschlichen Verhältnisse als angeblicher Ausweg aus der nachsozialistischen Krise: "Auf die Frage, was die Sowjetunion in ihrer Krisensituation am dringendsten braucht, antworte ich: eine geistige Grundlage und Strategie. ... Das beste, was ich nach eifriger Suche gefunden habe, ist das Buch von Professor Dr. Günter Rohrmoser: 'Religion und Politik in der Krise der Moderne'", so schreibt Frenkin in "MUT". Im Sinne Ernst Albrechts fährt er fort: "Die intellektuelle und moralische Krise der modernen Gesellschaft besteht in ihrer konstitutionellen Unfähigkeit, einen Ausgleich zwischen Ordnung und Freiheit herzustellen. ... Das 'Neue Denken' wurde im Grunde genommen von M. S. Gorbatschow formuliert: Es geht um die Priorität der allgemeingültigen Interessen gegenüber den Klasseninteressen." Frenkin meint den Primat des fiktiven Ganzen, der niemals den Bedürfnissen der Mehrheit gerecht wurde und deshalb immer schon von den Herrschenden und ihren Ideologen gegen ihre Forderungen ins Feld geführt wurde. "Gerade der Patriotismus", so Frenkin, "war die stabilste integrative Kraft zur Unterordnung der privaten Interessen unter den Staat und dessen Willen, den tödlichen Feind zu bekämpfen, um das Heimatland zu retten. Die Anknüpfung an den Nationalsozialismus erfolgt ungeniert, wenn Frenkin sich auf den Nazi-Kronjuristen und Adoptivvater der "Neuen Rechten" bezieht: "Aus der Sicht des 'Neuen Denkens' müßten wir die Werke von Carl Schmitt noch einmal lesen. Das war eine Offenbarung für mich. ... Nicht der Staat bildet die Bürger zur Sittlichkeit, sondern die Religion. ... Es geht um die geistige Integration des Volkes als der Grundlage einer politischen Integration. ... Die Ideen der Integration - nicht nur der politischen, sondern auch der geistigen Integration des Heimatlandes - finden bei Liberalen keine klare Unterstützung. Sie sind von den Ideen des Pluralismus begeistert, von den Ideen der Freiheit und der Autonomie. ... In allen diesen Fällen gilt die nationale Identität als die neue Grundlage für die Verbindung und für die Vereinigung von Politik und Geist."

Rohrmoser hatte bereits in dem Mun-Sekten Blatt "Causa" im Gefolge von Johann Gottfried Herder und Johann Gottlieb Fichte, der völkischen Bewegung, der "deutschgläubigen" Sekten und des Faschismus die nationale Identität als religiös begründet vorgestellt: Jedem Volk seine Religion, die es stark macht gegen andere. (181) Hunkes Idee der "europäischen Religion", die im Kern nichts weiter als der bekannte nordisch-arische Mythus des Nationalsozialismus ist, bringt diesen Gedanken zeitgemäß auf die Ebene der Europäischen Union. Gleich im Anschluß an Rohrmoser hatte 1987 der Nationalrevolutionär Wolfgang Strauss in "Causa" über "Russische Dorfprosa - Christliche Kraft der Seele" geschrieben und den russischen Neofaschismus gemeint: "Unabhängig vom Gorbatschowismus vollzieht sich Rußland ein Wandel der Gesinnung, der Einstellung zu Religion, Natur, Volk, Gott, Kirche. Man sagt 'Russische Partei' und meint die konservativen Revolutionäre, die in der auflagenstarken politisch-literarischen Zeitschrift 'Nasch sowremennik' (Unser Zeitgenosse) eine Tribüne besitzen. ... Die Rettung der russischen Wesensart ist ihr Hauptanliegen, die Renaissance der russischen Nationalidentität".

Valentin Rasputin (die Namensgleichheit mit dem unseligen Mönch Rasputin, der die Politik des letzten Zaren auf eine mystisch-spirituelle Grundlage zu stellen versuchte, ist zufällig) sei "der berühmteste Dorfprosaiker, ein Sibirjake, dessen Aussage aus der Tiefe einer nationalreligiösen Gesinnung strömt. ... Rasputin ist ein Verkünder einer fundamentalen Wahrheit: die moralische Zersetzung der Russen seit 1917 ist die Folge der Lösung von Tradition, Religion und Scholle", so Strauss. Die Versuche von Sigrid Hunke und anderen, das New Age als "amerikanisch" und "uneuropäisch" zu verteufeln und gleichzeitig seine Inhalte als alternative "eigene Religion Europas" - als Weltanschauung des faschistischen Neuheidentums - anzubieten, entsprechen durchaus dem, was Rohrmoser in "Criticon" an New Age-Kritik auf christlich-organizistischer Basis und in "Causa" als neue Art des Deutschchristentums anbietet. Sie sind nahe am Pantheismus und seinen organizistischen, menschvergöttlichenden faustischen Konsequenzen, immer im Interesse eines ganzheitlichen "Europa" gegen den Rest der Welt. Sie sind wesensverwandt mit dem, was Strauss und Frenkin als russisch-völkische Nationalreligion in der "eigenen" Tradition - mal christlich, mal schamanisch - anbieten. Dies sind weniger "spirituelle Alternativen", die zur Lösung der materiellen Probleme verhelfen sollen, sondern spirituelle Alternativen, die zur Reetablierung von kapitalistischer Klassenherrschaft dienen. Die Unterschiede zwischen diesen Ansätzen erscheinen als Fraktionsstreitigkeiten.

Rudolf Bahro im "Neuen Zeitalter"

Rudolf Bahro ist ein prototypischer Fall für den Angriff des New Age auf die Linke. Als ehemaliger Marxist nach seinem eigenen Selbstverständnis, als "Eurokommunist", wurde er von der westlichen Linken gefeiert. (182) Nachdem er zum pantheistischen Organizismus konvertiert ist, lenkt Bahro heute in ähnlicher Weise zum Neofaschismus hin, wie sie Eugen Dühring oder Rudolf Eucken die Eliten zum historischen Faschismus hinlenkten. Mehr noch: Bahro bekennt sich offen zum Nationalsozialismus, was dessen "spirituelles Erbe" angeht. Mit der praktischen Konsequenz faschistischer Religiösität, für die die Begriffe Auschwitz und Stalingrad stehen, will er dagegen nichts zu tun haben.

Bahro wollte bereits in den siebziger Jahren mit seinem Buch "Die Alternative" den real existierenden Sozialismus nicht nur vom demokratischen Standpunkt aus kritisieren, sondern generell unterminieren. Die damalige Linke Europas hatte dies kaum begriffen, weil es das New Age und die "Neue Rechte" in der heutigen Form noch nicht gab. Schon in der "Alternative" argumentierte er bisweilen rassistisch, nationalistisch und nationalrevolutionär, auch mit deutlich spirituellen und ganzheitlichen Anklängen. (183)

Bahros Ziel heißt Entbehrung. In seinem Hauptwerk von 1987 "Logik der Rettung. Wer kann die Apokalypse aufhalten? Ein Versuch über die Grundlagen ökologischer Politik" schafft er eine Ideologie, die Massenarmut legitimiert und somit objektiv im Interesse der Herrschenden liegt. Er zieht dabei alle ideologischen Register des New Age und verbindet seine Vorstellungen explizit mit denen von Kurt Biedenkopf oder Günter Rohrmoser, die autoritäre Gesellschaftskonzepte einer "ORDO" - der letztlich naturalistisch fundierten organischen Ordnung der Welt - vertreten. Ausdrücklich verurteilt er uni sono mit Biedenkopf, und im Gleichklang mit allen ökologisch verbrämten Konzepten des Nordens, die den Süden arm und ausbeutbar halten wollen. Als antiökologisch beklagt wird die angebliche Erzeugung von "Massenbedarf" in der Dritten Welt durch den Norden und den "Bedürfnisdruck", die der "natürlichen Ordnung" widersprächen. Die Menschen des Südens werden nicht nach ihren Wünschen und Bedürfnissen gefragt, der New Ager des Nordens gibt sie ihnen vor. Ebenso ausdrücklich fordert Bahro soziale Opfer: Aus einem verqueren Verständnis von Ökologie heraus wird Armut künstlich errichtet und zementiert, angeblich um der göttlichen Natur Willen. Das freilich ist demokratisch nicht zu haben, und Bahro weiß es: "Eine ökologische Wende ist ganz unmöglich ohne das Moment einer konservativen Revolution". (184)

Bereits in der "Alternative" vertrat er einen Gemeinschaftsbegriff, der sich am biologischen Organismus orientierte und zur Bevormundung des Individuums und seiner Lebensweise bis hin zur Wohnform führte. In der "Logik der Rettung" bezieht er sich explizit und positiv auf Quellen der Konservativen Revolution bzw. der ihr nachfolgenden "Neuen Rechten": auf den Nationalrevolutionär Günter Bartsch, auf so scheinbar gegensätzliche, doch so nahe beieinander liegende Ideologen wie Sigrid Hunke (von der er weitgehend das faschistische Konzept der "europäisch eigenen Religion" übernimmt) und Romano Guardini, auch auf Hubertus Mynarek und Günter Rohrmoser, den er "insofern Rohrmoser wirklich fundamentalistisch ist (er hält es leider nicht durch!), ... mir geistig sogar noch näher als Biedenkopf" findet. Und wie Rohrmoser und Strauss in der Mun-Sekten-Zeitschrift "Causa" das nationalreligiöse Element betonten, so knüpft auch Bahro an die antidemokratisch-antifranzösische Romantik an: "Zugleich sind des Novalis Worte ein deutsches Vermächtnis. Rußland, die Sowjetunion, gibt jetzt einen Anstoß, eine Hilfe. Aber wir folgen unserem eigenen Traum, wenn wir uns auf diese Denkweise einlassen". Es ist die Denkweise, die bei Hunke "europäisch" heißt und bei Alfred Rosenberg "arisch", zwei weiteren Bewunderern der Politik und Ideologie des Novalis als einem "deutschen Vermächtnis". (185) Schon selbstverständlich ist da Bahros Bezug auf Carlos Castaneda, auf Fitjof Capra, auf den allgegenwärtigen New Age-Jesuiten Pierre Teilhard de Chardin.

Der organizistische Ausgangspunkt von Bahros "Logik" ist "die Übereinstimmung mit der impliziten Großen Ordnung, die in Natur und Gesellschaft dieselbe ist", die also der demokratischen Verfügbarkeit menschlicher Mehrheitsentscheidungen entzogen ist. Offen will er die Organisation der Ökonomie an Naturprinzipen binden, wobei die Realität von Natur- und Gesellschaftsgeschichte mal eben vergewaltigt wird: "Seit Mensch und Erde real zu einem System zusammengewachsen sind, ist das Ökologische da mit eingeschlossen. Von dorther müssen wir die eine Wirtschaftsordnung zu erkennen suchen, die von uns verlangt ist (!), damit wir bestehen können". Die Zeit der industriellen Hochkultur werden "nur Stämme überleben", meint er rassistisch-biologistisch, "d. h. soziale Organismen mit überschaubaren Rückkopplungen zueinander und zur Natur." "Wir sind in einer Zeit, wo nichts mehr lohnt - weil nichts anderes mehr rettend ist - als der Versuch, die 'Begriffe' bis auf den Grund zu 'berichtigen', die Gesellschaft von Grund auf nach dem Dau, nach dem ursprünglich-natürlichen Lauf der Dinge einzurichten." In dieser Gesellschaft wird es dann nicht nur keine Stereoanlagen mehr geben - Bahro will sie ebenso verbannen wie den Faustkeil, dessen Erfindung er 1984 gegenüber dem Verfasser als den wahren Sündenfall der Menschheit bezeichnete -, sondern weder wetterfeste Häuser noch Aspirin, auch keine Blinddarmoperation, denn dies sind Errungenschaften der Menschheitsentwicklung, die mit dem "ursprünglich-natürlichen Lauf der Dinge" nichts zu tun haben. Dagegen strebt Bahro die "archaische Richtigkeit der Verhältnisse" an, womit nur die vorzivilisatorische Zeit gemeint sein kann, als der von kräftigen Muskeln geschwungene Totschläger den Schwachen Mores lehrte. So real kann eine "geistig-moralische Wende" sein. (186)

Bahro identifiziert "Natur" mit "Gottheit" und rechtfertigt derart die Unhinterfragbarkeit der als natürlich und damit unabänderlich ausgegebenen Ordnung des Oben der Eliten und Unten der Massen religiös. Zustimmend zitiert er Biedenkopf zur Rolle der Frau ("Emanzipation heißt damit die Wiedergewinnung der natürlichen Rolle der Frau") und zum Zusammenhang zwischen New Age und Weiblichkeit: "Die Zeit des Zweifelns, Fragens und Messens, die Zeit der Konfrontation von Geist und Materie, die Zeit in der sich der Mensch die Natur unterwarf, war eher männlichen Eigenschaften gemäß. Die Zeit der Erneuerung der Zusammenhänge des Ganzen, die Wiederentdeckung der organischen Einheit der Natur, der Dezentralisation des Lebens in kleinen Lebenskreisen, die Zeit des dynamischen Gleichgewichts unter den Menschen und zwischen Mensch und Natur und die Zeit der Wiederentdeckung der Familie und der Hauswirtschaft als Ort der Identität des Menschen wird eher den Eigenschaften der Frau zugänglich sein." Bahro kritisiert dies im Kern nicht, im Gegenteil, er hebt Biedenkopfs Vorstellung von der Reetablierung der "natürlichen" Rolle der Frau von emanzipatorischen Ansätzen wie der Frauen-Quotierung in gesellschaftlichen Institutionen ab, die "in einer platten Werbegeste für Auf- und Einsteigerinnen in die männliche Struktur unserer Apparate" steckenbleibe. Offenbar soll also die Zeit des Kritikverbots, der Hinnahme des als göttlich und damit unbezweifelbar Ausgegebenen, nach dem Willen von Bahro und Biedenkopf anbrechen, und zwar zuerst auf dem Rücken der Frauen. Die Frau - angeblich so nah am Kreislauf der Natur mit Gebären und Sterben, mit den gesellschaftlich typischen Frauenberufen im Ernährungs-, Erziehungs- und Krankenpflegebereich - wird als Verkörperung und deshalb als beste Lehrmeisterin ganzheitlichen Denkens hingestellt. Allerdings wird damit auch die antiemanzipatorische Konsequenz dieses "Neuen Denkens" verraten. (187)

Bahros bindet die Gesellschaft an die Natur und kommt - wie überall im Organizismus - zu einer von den Massen nicht zu hinterfragenden sondern hinzunehmenden autoritär-hierarchischen Staatsstruktur, die er an Biedenkopfs ORDO-Konzept der "naturgemäßen Ordnungen" eines "starken Staates" anlehnt. Von Biedenkopf oder Rohrmoser unterscheidet den romantizistischen Zivilisationskritiker Bahro lediglich, daß er den faustischen Kapitalismus bekämpft. Das vereint ihn mit Ideologen der völkischen Bewegung, deren Zivilisationskritik dann allerdings vom Faschismus in der Praxis beiseite geschoben wurde, nachdem sie ihm zur Macht verholfen hatte. Auch bleibt Bahro im Gegensatz zu Biedenkopf Ideologe, wenn er nach dem Muster des Faschismus die germanischen Herzöge und das Wahlkönigtum des Mittelalters als Vorbild für eine zukünftige Staatsverfassung präsentiert. Er knüpft explizit an den "Kaisertraum" der völkischen Bewegung an, die den Mythos von der Rückkehr des im Berge schlummernden Kaisers Barbarossa als Führer Deutschlands propagierte, von dem schließlich Adolf Hitler profitierte. Das Konzept des "Volkskaisers" oder "Erlöser-Kaisers", der gleichzeitig geistliches Oberhaupt eine "Deutschkirche des 'arischen Heils'" sein soll, gehörte bereits zu den zentralen Ideologemen der völkischen Bewegung.

Bahros Bezug auf die germanischen "Herzöge" als spirituelle Führer der Deutschen findet eine weitere direkte Parallele in den rassistischen "ariosophischen" Sekten der Jahrhundertwende und zehner und zwanziger Jahre, z. B. beim Neutempler-Orden des Jörg Lanz von Liebenfels, der "Hitler die Ideen gab", wie es vielfach heißt. Die Neutempler-Zeitschrift "Ostara" z. B. 1922 mit dem Titel auf: "Deutsche, wer soll führen, wer soll Herzog sein?", auf dem ein gotischer Ritter mit dem Schwert zwischen dem "Blonden" und dem "semitisch-asiatischen Untermenschen" entscheidet. (188)

Bahro knüpft an den italienischen Faschisten Julius Evola an, einem Mystiker, Gewalt- und Elitetheoretiker des zwanzigsten Jahrhunderts, der von der Konservativen Revolution gleichermaßen wie vom New Age hochgeschätzt wird, "der erste und bedeutendste Vertreter des Nordischen Gedankens faschistisch-italienischer Prägung." (189) Bei Evola entlehnt er seinen "Fürsten der (ökologischen) Wende", der "für Deutschland und vielleicht überhaupt für die europäische Nord-Süd-Achse ... am ehesten in einem Kaisertraum" "visualisiert" sei. Bahro schränkt die Forderung nach einer Führer-Diktatur nur scheinbar ein, wenn er "diese kaiserliche Instanz zugleich an ihren Platz in uns selber, nicht über uns" rückt. In Wahrheit verschärft er diese Forderung: Es wird der Anspruch an die Massen erhoben, dem Führer von innen heraus, freiwillig, zu folgen. Als naturalistischen Frontalangriff auf den demokratischen Rechtsstaat und die aufgeklärten Menschenrechte ist Bahros Forderung zu werten, "die gesellschaftliche Rechtsordnung darf nicht länger vom Staat und von anderen, noch unbefugteren faktischen Mächten gesetzt sein", "die europäische Lösung, die mit der Magna Charta Libertatis beginnt, ... wird gewogen und zu leicht befunden." Sie müsse von einem "Regiment", aus der vergöttlichten Natur abgeleitet, über eine an Carl Schmitts Ausnahmezustand erinnernde "Rettungspolitik" bestimmt werden. "Jeder komplexe Organismus hat eine Führungsfunktion", das demokratische Prinzip müsse man "enttabuisieren", "zur Disposition stellen", "das Oberhaus einer Gesellschaft ... muß Gottes Stimme, muß die Stimme der Gottheit sein", "das Oberhaus mag soziale Interessenvertreter hören, aber nicht in seinen Reihen haben", "in diesem Oberhaus müssen also, vertreten durch Anwälte, die sich rituell damit identifizieren, Erde, Wasser, Luft und Feuer, müssen Steine, Pflanzen und Tiere Sitz und Stimme haben", "der Ökologische Rat, der das Oberhaus vorwegnimmt und übt, ist vor allem eine spirituell-politische Instanz", "die neue Lösung muß erst einmal von einer berufenen Gestalt regulär verfochten werden; nur personifiziert wird sie der Allgemeinheit kenntlich", so Bahro in der "Logik der Rettung". Hier ist der heimliche Kaiser als Führer dann eben doch der New Age- oder Öko-Diktator, mindestens aber der Öko-Adel einer herrschenden Elite. (190)

Und Bahro zitiert Novalis, dem er anschließend überschwenglich zustimmt: "'Wo ist jener alte, liebe, alleinseligmachende Glaube an die Regierung Gottes auf Erden?' ... Novalis verlangt eine neue alte 'Kirche' ... Ja, wir müssen uns diese rettende Instanz schaffen, weltweit, bei uns aber beginnend. Und die deutsch-russische Verbindung wird dabei höchst bedeutvoll sein." Das ist alles wenig originell. Schon der konservative Revolutionär Ernst Niekisch hatte die glückliche Zukunft in einem Zusammengehen von russischer Volksseele und germanischem Barbarentum gesehen. Die Idee einer spirituellen Aristokratie, die zwischen dem "Bund freier Stämme" und dem "Kaiser" unabhängig von gesellschaftlichen Zwängen göttliche Pläne erfüllen können soll, kupfert Bahro zum Teil fast wörtlich bei dem Vater der völkischen Bewegung, Paul de Lagarde, ab. Der hatte im letzten Viertel des neunzehnten Jahrhunderts geschrieben: "Wo die Germanen hingekommen sind, haben sie die Aristokratie mit sich gebracht. ... Der Adel soll die Gesamtheit aller innerlich und äußerlich unabhängigen Familien sein, zwischen dem König und den täglich für den Tag Erwerbenden stehend. ... Das wahre Deutschland ist ein Bund freier Stämme unter einem starken Kaiser." Lagarde schwebte ein neuer, spiritueller Adel vor, der nichts mit dem von ihm als dekadent verabscheuten realen deutschen Adel Deutschlands in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts zu tun haben sollte. (191)

Bahro schwebt - bei aller Selbstvergöttlichungs-Mystik, die das Hineinverlegen des "Kaisers" in jedes Individuum bedeutet - ein faschistischer Führer vor, bestenfalls eine faschistische Oligarchie. Daran gibt es keinen Zweifel, wenn man seine ergänzenden Ausführungen zum Nationalsozialismus mit einbezieht. Bereits im vierten Kapitel der "Logik der Rettung" erzählt er unter dem Titel "Europäische Kosmologie" im wesentlichen die Positionen Hunkes und früherer faschistischer Ideologen nach: Europa müsse sich vom Juden-Christentum abwenden, das die Krise der Natur verschuldet habe, indem es den Gott "dualistisch" außerhalb der Welt plaziert und die Welt-Natur entgöttlicht habe - hier Welt-Natur, da Gott. Dagegen müsse Europa zurückfinden zu der angeblich europäisch ureigenen, pantheistischen Weltsicht, die zuerst bei den Keltogermanen zu sehen sei. "Gemeint ist mit Kosmologie die jeweilige kollektive Tiefenpsychologie, die wenigstens ursprünglich unbewußte Grundeinstellung zur Welt, die sich in den kulturellen Verhaltensmustern verwirklicht", "ein ganz bestimmter völkischer Impuls", "ein besonderer Typus von psychischer Energetik und von entsprechendem geistigem Zugriff auf die Welt", so Bahro. Er fragt, "wieso denn ausgerechnet die Europäer diese äußerst expansionistische, kapitalistische Produktionsweise hervorgebracht haben", und findet den Ewigen Juden als Ursprung des Übels, wenn er antwortet: im Gleichklang mit der völkischen Bewegung, explizit mit Johann Galtung und Sigrid Hunke: "Unsere Kosmologie ist jüdisch-griechisch-römisch-christlich", "Assimilationen, Anverwandlungen zunächst fremder Überlieferungen, gerade auch im Christlichen des Abendlandes, das ja dann mit Paulus über die Griechenstädte und Rom zu uns kam. Aber von nördlich der Alpen her gesehen sind all das Überformungen einer autochtonen Grundlage, die die germanischen Stämme aus ihrer eigenen formativen Periode mitgebracht haben."

Die jüdische Überfremdung ist schuld, die Nordeuropa in christlicher Verkleidung heimsuchte. Der Angriff auf den Juden Paulus und die These, er habe das Christentum des arischen Christus judaisiert, gehört seit Houston Stewart Chamberlain über Alfred Rosenberg bis Sigrid Hunke zum Grundstock faschistischer Religiösität. Hunke versucht sogar, Paulus eine geistige Mitschuld an der heutigen Umweltzerstörung zuzuweisen. Kein Wunder, daß der "sanfte" Antisemit Franz Alt Bahros "Logik der Rettung" positiv rezensierte: Er vertritt selbst diese antisemitische Position, die dem Judentum die Schuld an allen Übeln zuweist. (192)

Die Alternative zur jüdisch-christlichen Überfremdung kommt nach Bahro - wie bei Chamberlain, Rosenberg, Hunke - aus der arischen Volksseele: "Da eine Rettungsbewegung eben retten, d. h. auch die gewachsene Substanz, eben die entfaltete europäische Individualität, Subjektivität bewahren soll, während sie alles verwandelt, kann sie nur aus der Tiefe des inneren historischen Raumes kommen. Dann wird eine Rettungspolitik die Seele des Volkes für sich haben. ... Die Werte, um die es geht, sind nur zu retten, wenn wir uns zur revolutionären Erneuerung des institutionellen Systems entschließen und dabei an die stärksten politisch-psychologischen Dispositionen unseres Volkes anknüpfen. ... Die Deutschen haben sich trotz aller schlechten Erfahrungen ein Gefühl dafür bewahrt, daß es eine Instanz des Gemeinwohls geben muß, allerdings eine würdige, eine von echter Autorität, wie sie ein Parlament ... einfach nicht aufbringen kann. ... Trotz aller schlechten Erfahrungen sind die Deutschen ansprechbarer als andere Völker für charismatische Führung geblieben. Sie werden wieder lernen, daß Charisma zunächst eine Kraft jenseits von Gut und Böse ist und uns herausfordert, auf Reinigung zu denken, individuell wie kollektiv, anstatt die Ansprache zu verwerfen, die die Herzen erhebt." Hier scheint die spezielle spirituelle Sendung der Deutschen wieder auf - die New Age-haft gefaßte Parole des Hohenzollern-Kaiserreichs: Am deutschen Wesen soll die Welt genesen. (193)

Das "Charisma", das wir bereits im zweiten Kapitel des vorliegenden Buches als pantheistische Form des Heiligen Geistes bei den "Charismatikern" kennenlernten, ist auch bei Bahro nichts weiter als das besondere Erfülltsein von Göttlichkeit, das angeblich die Elite über die Massen hebt. "Die Nazibewegung" war nach Bahro, der sie allerdings nicht in ihrer faustischen Dialektik von völkischer Naturmystik und kapitalistischer Modernisierung verstanden hat, "u. a. auch bereits eine erste Lesung der Ökologiebewegung." Der Komplex Auschwitz erscheint bei ihm als "u. a.", die Erinnerung hieran ist offenbar kein "Wert, um den es geht"! Abgeschrieben bei Niekisch, der von einem postulierten "germanischen Barbarismus" die Wende zum Besseren erhoffte, führt Bahro weiter aus: "Es kann aus derselben Energie, die damals auf die Katastrophe hin disponiert war, sogar aus der Neigung zum Furor teutonicus (d. i. "deutsches Ungestüm", eine angebliche zerstörerische Wesensart des Deutschen, P. K.), wenn sie bewußt gehalten und dadurch kontrolliert wird, heute etwas Besseres werden. Kein Gedanke verwerflicher als der an ein neues anderes 1933 ?! Gerade der aber kann uns retten. Die Ökopax-Bewegung ist die erste deutsche Volksbewegung seit der Nazibewegung. Sie muß Hitler miterlösen. ... Das Wirtschaftswunder hat die Bundesdeutschen quasi erneut in ein 'Volk ohne Raum' verwandelt ... Ich glaube, daß Erich Fried das richtige Zeichen gesetzt hat, indem er Kontakt mit dem eingesperrten Neonazi Michael Kühnen aufnahm." (194)

Kurz nach Erscheinen der "Logik der Rettung" verschärft Bahro die dortigen Aussagen in einem Interview mit der "taz", das am 13. Februar 1988 erscheint. Er bekennt sich noch einmal nachdrücklich zu Rohrmoser, spricht sogar von "kommandieren", wenn er die Tätigkeit seines diktatorischen Regimes meint. Sein gesellschaftspolitisches Ziel liegt in der vordemokratischen, ja vorzivilisatorischen Vergangenheit: "Ursprünglich gab es diesen einen heiligen König, einer von allen, der selbstlos das allgemeine Beste und den Kontakt mit der Gottheit wahrt", eine Vorstellung, wie sie auch bei Hans-Peter Dürr anklingt. "Es braucht Leute, der Meinung bin ich allerdings", sagt Bahro hier, "die es schaffen, öfter als üblich von dem höheren Selbst in sich auszugehen als von den Ich-Interessen. Leute, die schon mal genug gekriegt haben." So werden die heute Herrschenden vorsichtig umschrieben, die Reichen in der Gesellschaft, die eben "schon mal genug gekriegt haben." Diese Ansicht macht Bahro zum berufenen ideologischen Partner dieser Herrschenden. Nach dem Fall der Berliner Mauer wurde er dort auf eine Professur berufen, wo bisher mit der in Erz gegossenen elften Feuerbach-These von Karl Marx zum Sturz dieser Herrschenden aufgerufen worden war. In wessen Interesse "Leute, die schon mal genug gekriegt haben" herrschen - nämlich nur in ihrem eigenen - lehrt die Geschichte.

Auch Bahro meint in der "taz", daß sie keineswegs im Interesse der Schwachen herrschen sollten, im Gegenteil: "Könnten wir nicht das gesellschaftliche Ganze so organisieren, daß wir wieder dahin kommen, wo wir bei unserem Austrittspunkt aus der Natur gewesen sind: daß im Großen und Ganzen für das Fortbestehen der Gattung schon gesorgt war". Das Leben des Individuums gilt hier nichts mehr, Hauptsache, die Gattung besteht fort - wenn auch nur "im Großen und Ganzen". Bahro spricht in dankenswert offener Weise das sozialdarwinistische Gesetz des Stärkeren an, das die menschliche Entwicklung in vorzivilisatorischer Zeit bestimmte, bis sich der Mensch aus der natürlichen in die historisch-gesellschaftliche Stufe seines Daseins bewegte, auf der das Recht des Stärkeren gegen die Schwächeren, der Totschläger als einziges Mittel der Politik, von der Möglichkeit zur Solidarität untereinander zugunsten aller abgelöst wurde. Bahro schließt sofort den Bezug zum Heute an und legt die Stärkung der Herrschaft des Kapitals als den hinterstehenden Sinn offen. Die Stahlarbeiter an der Ruhr, die 1988 ums ökonomische Überleben gegen Stillegungen kämpften, sollten damit gefälligst aufhören: "... etwa an der Ruhr, geht es wirklich um Brot, geht es um was anzuziehen, wird jemand erfrieren im Revier demnächst? Offenbar nicht. Es geht um das Überleben unseres Egos." Leute, die sich als "Stahlkocher" definiert hätten, seien nicht bereit, ihr "Ego" aufzugeben. An der Ruhr zwar noch nicht, aber an der Wolga und an der Moskwa hungern heute schon Menschen, und sie erfrieren wieder. Für Bahro aber gilt nur das Überleben der "Gattung" Mensch "im Großen und Ganzen".

Bei diesem Verständnis des Vorranges der Gattungsfragen vor der Klassenfrage kommt Bahro in einer weiteren Publikation aus dem Jahre 1989 zu dem Schluß, die "charismatische" Wirkung Gorbatschows und der KPdSU als einer Ersatzkirche mit einem "Oberpriester Gorbatschow" - wie er sagt - sei geeignet, die Krise der Sowjetunion zu bewältigen. (195) In der Zeitschrift "2000 - Magazin für Neues Bewußtsein", die sich hauptsächlich mit UFOs beschäftigt und dessen "ständiger Mitarbeiter" Bahro ist, schrieb dieser bereits 1988, daß Gorbatschows Berufung an die Spitze der KPdSU kein Zufall, sondern Ergebnis spiritueller und biologischer Wirkung gewesen sei: "Die Partei hatte Antennen für diesen einen, der durch seine Anlage und durch mancherlei Umstände vorbestimmt war." (196)



Ein Höhepunkt der UFO-Gläubigkeit war die "Wendezeit":
BILD-Zeitung am 2. März 1989

Daß es inzwischen anders gekommen ist mit der Krise in Osteuropa und daß mit solchen Ansichten Probleme nicht gelöst, sondern verschärft wurden, läßt Bahro aber auch in seinem 1991er "Rückkehr"-Buch unbeeindruckt. Im Gegenteil, er treibt alles noch weiter auf die Spitze, indem er eine Nazi-Sekten-Größe wie Wolfgang Deppert einbezieht. Ganz wie Erika Hickel oder Wolfgang Jantzen verficht Bahro in der "taz" das Sterbenlassen als Mittel der Politik: "Eigentlich ist die ganze Katastrophe, daß wir jegliche Gefährdung, Krankheit, ... unbedingt vermeiden wollen und so auf der Flucht vor dem Tod umso sicherer bei ihm anzukommen scheinen." Demnach sollen also die Kranken und Schwachen - wen immer man auch je nach Bedarf zu solchen definieren will - dem Tod überlassen werden. Und in der Tat vertreten auch New Age-faschistische Bezugsgrößen wie Konrad Lorenz die Ansicht, z. B. AIDS könne die Natur und die überlebenden Menschen retten, denn das eigentliche ökologische Problem sei die Überbevölkerung. (197) Offenbar ist dies die Vision solcher furchtbarer Meisterdenker: Die göttlichen Eliten, die inzwischen ja auch an Hautkrebs und Pseudo-Krupp sterben und unter der ökologischen Krise leiden, bestimmen diktatorisch den "natürlichen" Massentod, um die ökologischen Probleme zu reduzieren. Das ist Politik für die Herrschenden, auf die Spitze getrieben. Es ist die fürs Kapital "kostengünstige" faschistische Sozialpolitik des Todes, die aus Bahros Konzept "naturwüchsig" folgt: Die Menschen werden reduziert, nicht die Krankheitsursachen.

1990 präsentiert Bahro in einem Interview noch einmal seine rassistische Grundposition, die deutlich macht, daß er mit allen faschistisch-religiösen Ideologen das rettende völkische Bewußtsein schließlich doch als biologisch verankert sieht: "Es ist nun einmal so, daß das Stammesbewußtsein tiefer als das Klassenbewußtsein in dieser historischen Tektonik liegt. ... Die nationale Frage (ist) eine objektivere Realität von tieferen Gründen als die Klassenfrage." Und die Konsequenz: "Eigentlich ruft es in der Volksseele nach einem grünen Adolf. Und die Linke hat davor nur Angst, anstatt zu begreifen, daß ein grüner Adolf ein völlig anderer Adolf wäre als der bekannte. Es ist überhaupt nicht die Frage, ob es ein Mann oder eine Frau ist, sondern es ist die Frage nach einer Struktur. Das ist das deutsche Moment in dieser grünen Bewegung." (198)

Offenbar verstehen Bahros Anhänger den "grünen Adolf" genauso wie den alten Adolf. Schweidlenka berichtet von einem Seminar im Jahre 1991, das in etwa zeitgleich mit dem Erscheinen des zitierten Interviews in Bahros rheinischem Seminarhaus "Lernwerkstatt" stattfand: "Es mag kein Zufall sein, daß einige Seminarteilnehmer den Wunsch nach dem Zusammenbruch der Demokratie äußerten. Die Alternative, wie sie mir von einer Teilnehmerin vorgestellt wurde: 'Deutschland hat ohne Führer keine Chance'." (199) Über den Beitrag des Münchner New Age-Gurus Rainer Langhans - der mit Bahro und Jochen Kirchhoff bereits seit längerem ein Trio Infernal des spirituellen New Age-Neofaschismus bildet (199a) auf demselben Seminar berichtet Schweidlenka: "Sein Beitrag: Die Nationalsozialisten und vor allem die SS hätten eine 'hohe Sterbekultur' entwickelt und seien uns in der Einsicht in die 'Notwendigkeit des Sterbens' weit überlegen gewesen." Das ist keineswegs als schlechter Witz gemeint, angesichts von sechzig Millionen Toten des Zweiten Weltkriegs, von sicher sieben Millionen durch die SS ermordeter Menschen, im Gegenteil. Man ist heute wieder so frei, SS-Kult und nazistische Spiritualität zu empfehlen und zu pflegen, trotz der Millionen Toten.

Mit diesem Bild illustrierte die "taz" am 12. 4. 1989 das Interview
mit Rainer Langhans, in dem er sein Glaubensbekenntnis ablegte:
"Spiritualität in Deutschland heißt Hitler".
(laut "taz" ein Plakat zur Benzinrationierung, 1942, aus: America -Traum und Depression 1920/40.)

Wir sind uns deshalb so sicher in unserer Interpretation von Bahro und Konsorten als Neofaschisten des New Age, (199b) weil ja auch dies paßt: Bahro bezieht sich in seinem letzten Buch "Rückkehr", das seine Professorentätigkeit an der Berliner Humboldt-Universität im Wintersemester 1990/91 zum Inhalt hat, nicht nur positiv auf den langjährigen theologischen Chef der nazistischen "Deutschen Unitarier", Wolfgang Deppert, sondern arbeitet im Winter 1991/92 in Vorlesungen direkt mit Deppert zusammen, obwohl Bahro inzwischen von dessen Sekten-Aktivitäten weiß. Bahro wirbt ausdrücklich für Depperts Veranstaltungen an der Humboldt-Universität, die er "im Kontext" seines eigenen Kurses sieht, und kündigt seine eigene Anwesenheit an. In der Kieler Gemeinde der "Deutschen Unitarier", der Deppert vorsteht, werden zur gleichen Zeit Sympathisanten des kriminellen "Auschwitz-Lügners" und ehemaligen Wachmannes des KZ Auschwitz, Thies Christophersen, hofiert, die selbst den "Deutschen Unitariern" angehören. Deppert selbst druckte in der von ihm verantwortlich herausgegebenen Zeitschrift "Blick" dieser Sektengemeinde noch Ende 1990 wissentlich einen Text der ehemaligen Chefredakteurin von Christophersens Zeitschrift "Die Bauernschaft", Marie-Adelheid Reuß-zur Lippe, ab; die Dame, von der zu distanzieren Deppert sich nachdrücklich weigert, war nicht nur eine Vorgängerin im Amte Depperts, sondern auch die engste Vertraute des Chefs des SS-Rasse- und Siedlungsamtes, Walter Darré. Die hohe "SS-Sterbekultur" kennt man da wohl aus erster Hand. Bahros "Rückkehr" erscheint so als eine Rückkehr zu den Vordenkern, Organisatoren, Tätern des Komplexes Auschwitz, die diese Form der "deutschen" Spiritualität als faustische Rechtfertigung ihres verbrecherischen Tuns benötigten.

Bahro bezieht sich nicht nur positiv auf die "Thule Seminar"-Mitarbeiterin Sigrid Hunke, den "Deutsche Unitarier"-Ideologen Hubertus Mynarek oder den "Neuen Rechten" Alfred Mechtersheimer, der unverblümt Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit schürt. Auch für den Alt-New Ager Jochen Uebel , dessen Zusammenfassung der "Logik der Rettung" von Bahro als "guter Überblick" empfohlen wird. In Uebels kleinem "Worpsweder Kreis", einem einflußreichen Zirkel von New Age-Verlagen, saß nach den Angaben von Gugenberger und Schweidlenka Mitte der achtziger Jahre zeitweise auch ein Mitglied der rassistischen Ariosophen-Szene, die sich in der Nachfolge des Jörg Lanz von Liebenfels sehen, des Mannes, "der Hitler die Ideen gab".

Wenn Bahro Hans-Peter Hempel in "Rückkehr" über "Heideggers Weg zum asiatischen Denken" schreiben läßt, als hätte es Victor Farías' Buch "Heidegger und der Nationalsozialismus" von 1989 nicht gegeben, so wird vollends deutlich, an welche Spiritualität Bahro anknüpfen will: die "arische". Es ist in mehr oder weniger verklausulierter Form immer wieder der "nordische Mythos" von der Göttlichkeit der Natur und den Ariern und ihrer gleichzeitigen Schicksalsgebundenheit gemeint, den auch Heidegger - intellektuell hochstehend - bearbeitete. Farías breitet detailliert aus, wie sehr Heideggers nationalrevolutionäre Philosophie der zwanziger Jahre den Faschismus geistig vorbereitete, ja eigentlich die Philosophie des (deutschen) Faschismus überhaupt war. Jürgen Habermas betont in seinem Vorwort zu Farías' Buch, daß Heidegger sich nach "Sein und Zeit" zum Neuheidentum und zur Konservativen Revolution hingewendet habe, als dessen Teil auch Armin Mohler ihn sieht. Heideggers faustisches Technik-Verständnis ("als einem Geschick, das zugleich Geheimnis, Gewähr und Gefahr sein soll", so Habermas bei Farías) ist das des Heroischen Realismus im Faschismus, in der "Neuen Rechten" und im New Age, die sich alle auf Heidegger beziehen. Habermas meint, Heidegger "bleibt vom welthistorischen Gewicht und der metaphysischen Bedeutung des Nationalsozialismus überzeugt bis zum bitteren Ende" - ja sogar über dieses Ende weit hinaus -, weil der deutsche Faschismus die spirituelle Antwort auf die technische Vernutzung der Welt gewesen sei. So ist es kein Wunder, daß Bahro sich auch noch in der Tradition Heideggers sieht. Farías betont die guten Verbindungen Heideggers zum "Amt Rosenberg" der NSDAP, aus dem später so viele Funktionäre der "Deutschen Unitarier" stammten. (200)

Bahro gehört zu denjenigen New Agern, die sich am weitesten hinaustrauen, die aus ihrer Sympathie für den Faschismus als wesensverwandtem Konzept kein Hehl mehr machen. Sie sind trotz allem selten. Führende New Age-Ideologen wie Fritjof Capra, Hans-Peter Dürr oder Carl Friedrich von Weizsäcker meiden den direkten Bezug auf den Faschismus und die "Neue Rechte", auch auf die bekannten faschistischen Theoretiker. Capra bezieht sich fast ausschließlich auf die US-amerikanische Diskussion und versteht sich als Linker. Das macht es eurofixierten Neofaschisten leicht, sich von diesem "New Age" als dem vermeintlich "amerikanischen" zu distanzieren. Dennoch läßt sich die enge Verwobenheit der New Age-Konzepte mit faschistischer Ideologie aufzeigen, leicht sogar. Dabei sind Hinweise aus der Linken auf die "Naturalisierung von Herrschaftsverhältnissen" durch Capra und andere, wie sie etwa Rolf Nemitz anbringt, weder erschöpfend noch treffen sie den Kern. (201) Tatsächlich ist die New Age-Ideologie für den Neofaschismus mehr als "eine willkommene Begleitmusik", wie der linke Kritiker des "Systemdenkens", Michael Weingarten, meint. (202) Liest man die Schriften von prominenten New Agern wie Capra, Mynarek, Bahro oder Dürr parallel mit denen der Ideologen des historischen Faschismus wie Lagarde, Chamberlain oder Rosenberg und der "Neuen Rechten" wie Hunke, Benoist, Krebs oder Eichberg, so erkennt man nicht nur die breite Identität ihrer Aussagen, sondern auch die objektive ideologische Funktion des New Age als Wegbereiter bzw. Ersatzideologie des Neofaschismus. Ein im deutschen Kaiserreich renommierter Erfolgsautor wie Houston Stewart Chamberlain gehörte zum damaligen "New Age", zum Versuch, die gesellschaftlichen Probleme mit Hilfe einer neuen Spiritualität auf der Basis "indoarischer" Naturreligiösität gegen die Interessen der Bevölkerung zu lösen. Er bereitete "in der Mitte der Gesellschaft", im gehobenen Kleinbürgertum, bei den Führungskräften der Mittel- und Oberschichten, bei den Führern des deutschen Kapitals, bei Adel und Militär das Terrain für den Nationalsozialismus.

Mit Bahro ist an die Berliner Humboldt-Universtität nicht nur "das geistige Leibregiment des Hauses Hohenzollern" zurückgekehrt. Derart rühmte 1870 der damalige Rektor Emil du Bois-Reymond die Hochschule, die noch den Namen des antinapoleonischen Preußenkönigs Friedrich Wilhelm trug. (203) Auch der legitime geistig-moralische Erbe der Hohenzollern-Zeit feiert fröhliche Urständ: der Faschismus als Weltanschauung. Bahro vergleicht sich im Mai 1993 in der Studentenzeitung der Humboldt-Universität, "Un-Aufgefordert", mit dem nationalistischen Berliner Universitäts-Rektor Johann Gottlieb Fichte, der hier im Geiste völkischer Romantik gegen die Ideen der Französischen Revolution anging. Alles klärend, gibt Bahro dann zum besten: "Unter meinen Selbstdefinitionen kommt 'Antifaschist' nicht vor." Als hätte es Auschwitz und Stalingrad nicht gegeben, fordert er im November 1993 in einem Interview mit der Zeitung "Contraste", man solle mit Gelassenheit auf die deutsche Geschichte sehen und den "Volkscharakter" aus der biologischen Sequenz "Horde, Stamm, Volk, Nation" herleiten. Gegen seine Kritiker gerichtet, meint er: "Wir definieren uns selbst als antinational, als Fremdkörper. Politisch gesehen verrückt, diese Abwehr, statt gelassen Deutsche zu sein, hinzusehen, was alles Deutschland ist." Im Frühjahr bereits hatte er in seiner "Lernwerkstatt. Ökologische Akademie für Eine Welt" gemeinsam mit Alfred Mechtersheimer das Seminar "Nationalität und Friedensfähigkeit" abgehalten. Solle man angesichts des "Einwanderungsdrucks" auf Deutschland die "Herzen und Grenzen bedingungslos öffnen?", fragte er im Programmheft, gleich daneben kündigt er das Seminar "Tai Chi Chuan und der Geist des Laotse" an. "Wie real sind Volkscharakter, Nationalcharakter, Nationalstaat, Nationalismus und religiöse Identifikation? ... Sind Vielvölkerstaaten und multikulturelle Gesellschaften friedensfähig?", hieß es da. Mechtersheimer - ein erklärter Gegner der multikulturellen Gesellschaft - gab wenig später in seinem Buch "Friedensmacht Deutschland" die Antworten: Stalingrad? Deutschland habe "die am wenigsten kriegerische Vergangenheit in Europa." Vernichtungslager? "In einem gewissen Sinne sind Workuta und Auschwitz Exzesse multikultureller Gewalt. Es ist ein Verbrechen an der Menschheit und am Frieden, wenn man Völker mit Gewalt zusammenzwingt." "Völker" - das sind die Deutschen hie und die ausgebürgerten jüdischen Deutschen da. Wären die vorderasiatischen Juden nicht frech nach Europa eingewandert - so versteht man Mechtersheimers Botschaft -, dann hätten sich die Deutschen den Komplex Auschwitz glatt schenken können. (204)

Niemand sollte sich irre machen lassen, wenn Bahro heute versucht, den Faschismus-Vorwurf gegen ihn zu kontern, indem er auf eine ebensolche Kritik von seiten der konservativen Rechten an ihm hinweist. Wenn Bahro aus dem "Bund Freiheit der Wissenschaft" oder vom "Deutschland-Magazin" angegriffen wird, (205) dann handelt es sich hier vor allem um Fraktionsstreitigkeiten, wie sie aus der historischen völkischen Bewegung und dem Faschismus als Auseinandersetzungen zwischen dem pragmatischen, kapitalfreundlichen Flügel und dem ideologischen "Blut und Boden"-Flügel bekannt sind. Als Gegner der Möglichkeit zum Faustischen ist Bahro eben auch ein Gegner nicht nur des Kapitals (darin allerdings wegen seiner prinzipiellen Gegnerschaft zur Moderne niemals ein Verbündeter der Linken), sondern auch der Kapital- und Modernisierer-Fraktion des Faschismus. Deshalb wird er von denjenigen Rechten, die seine gegenwärtige objektive Funktion in der Bekämpfung der Linken nicht begreifen, bekämpft.

... weiter im Text:   Zweiter Teil von Kapitel 3


Anmerkungen des ersten Teils von Kapitel 3:

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(168) Vgl. Schorsch 1988, S. 77.
(169) H. P. Dürr (Hrsg.): Physik und Transzendenz, München 1986. Zit. n. der Sonderausgabe von 1990. Mit Beiträgen von Max Planck, Carl Friedrich von Weizsäcker und den beiden Physikern, auf deren weltanschauliche Arbeiten sich fast das gesamte New Age stützt: Werner Heisenberg und David Bohm.
(170) Dürr 1990, S. 12 f. Vgl. die zweite These über Feuerbach von Karl Marx: "Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme, ist keine Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage. In der Praxis muß der Mensch die Wahrheit, das heißt die Wirklichkeit und Macht, die Diesseitigkeit seines Denkens beweisen. Der Streit über die Wirklichkeit oder Nichtwirklichkeit eines Denkens, das sich von er Praxis isoliert, ist eine rein scholastische Frage." (MEW, Bd. 3, S. 533)
Daß Dürr bisweilen als Verbündeter der Linken erscheint (so z. B. in der "Zeitschrift der kommunistischen und Arbeiterparteien" namens "Probleme des Friedens und des Sozialismus", 33. Jg., 1990, H. 4, S. 514 f), liegt wohl vor allem an der Bündnispolitik der achtziger Jahre. Dürr erklärt hier zu den neofaschistischen Tendenzen in den letzten Monaten der DDR: "... das beunruhigt mich sehr. Ich hoffe, daß diese Tendenzen nur in der Übergangszeit deutlich hervortreten. Ich kann mir nicht Vorstellen, daß der Faschismus wiederauflebt, denn alle Deutschen haben aus dem zweiten Weltkrieg, dieser von uns verschuldeten Katastrophe, viel gelernt. Ich rechne stark damit, daß es diesen Kräften nicht gelingt, ihre Positionen zu festigen. Wir müssen jedoch einander bei der Eindämmung der Neofaschisten und der Beseitigung der Ursachen für ihr Auftreten helfen." (S. 514) Ein Verständnis dafür, daß seine eigene Ideologie dem Faschismus zumindest wesensverwandt ist, zeigt Dürr nicht.
(171) "Der Spiegel", Nr. 46/1976, S. 45. Vgl. E. Albrecht: Der Staat - Idee und Wirklichkeit. Grundzüge einer Staatsphilosophie, Stuttgart 1976.
(172) Dürr 1990, S. 8 f.
(173) Vgl. z. B. P. Brückner und A. Krovoza: Was heißt Politisierung der Wissenschaft und was kann sie für die Sozialwissenschaften heißen?, Frankfurt a. M. 1972; Wissenschaftskritik und sozialistische Praxis. Konsequenzen aus der Studentenbewegung, Frankfurt a. M. 1973; R. Rilling: Theorie und Soziologie der Wissenschaft. Zur Entwicklung in BRD und DDR, Frankfurt a. M 1975; H. J. Sandkühler (Hrsg.): Marxistische Wissenschaftstheorie. Studien zur Einführung in ihren Forschungsbereich, Frnkft. a. M. 1975.
(174) Zitate aus den Katalogen des "Horizonte"-Verlags, Bad König, "Das Programm Herbst 1991" und "Nichts ist realistischer als starke Visionen. Das Programm 1990/91". Der Verlag brachte 1991 auch Nelson Mandelas "Color it free! Das neue Südafrika nach der Apartheid" heraus.
(175) Vgl. zu Fichte die exzellente Ausarbeitung von Mendlewitsch, VI. Kapitel, S. 156-224: "Die Deutschen als Ausdruck Gottes im Dasein - Johann Gottlieb Fichte", in dem die Autorin in aller Ausführlichkeit die "ganzheitliche" Konzeption Fichtes darstellt, allerdings ohne die heute wichtige Möglichkeit des Bezugs auf das New Age deutlich zu machen.
(176) Vgl. "Der Spiegel", Nr. 11/1992, S. 30.
(177) Vgl. z. B. P. Schille: "Gesellschaft der Wahnsinnigen", in: "Der Spiegel", Nr. 33/1990.
(178) Vgl. H. Eichberg: Die Revolution, die aus der Wüste kommt. Über das libysche Phänomen und den Weg des Sufi, in: "wir selbst", Nr. 11/1986. Die nationalrevolutionäre Zeitschrift "wir selbst", in der auch der eher christlich orientierte Wolfgang Strauss schrieb, erscheint im Verlag Siegfried Bublies, Koblenz. Bublies besitzt die deutschsprachigen Rechte am Vertrieb des "Grünen Buches" Gaddafis. Gaddafi finanzierte europaweit zahlreiche nationalrevolutionäre Gruppen. Vgl. P. Kratz: Die nationalrevolutionäre Connection. Gaddafi - Mechtersheimer - Schönhuber, Bonn 1990. Vgl. Idries Shah: Die Sufis - Botschaft der Derwische, Weisheit der Magier, München 1989.
(179) Zit. n. "Der Spiegel", Nr. 38/1990, S. 202.
(180) "MUT", Nr. 289, September 1991. Die kontinuierlich fortlaufende Numerierung von "MUT" seit dem ersten Heft in den sechziger Jahren symolisiert die Kontinuität dieser früher militant-nazistischen Zeitschrift, die auch schon einmal wegen antisemitisch-rassistischer Volksverhetzung verboten war.
(181) "Causa", Nr. 3/1987 und Nr. 1/1988: "Nation und Religion: die Geschichte der Deutschen".
(182) Vgl. R. Bahro: Die Alternative. Zur Kritik des real existierenden Sozialismus, Frankfurt a. M. 1977; zit. n. der ungekürzten Studienausgabe von 1979, vgl. S. 15 f.
(183) Vgl. z. B. den III. Teil der "Alternative": "Zur Strategie einer kommunistischen Alternative", S. 381; S. 401; S. 404; S. 448.
(184) R. Bahro: Logik der Rettung, Stuttgart 1987, S. 60-69.
Vgl. zu "neurechten" Konzepten einer Politik der Armut in der Dritten Welt, die dem Erhalt der dortigen "nationalen Identität" Vorrang vor den Forderungen der dortigen Menschen nach gleichberechtigter Teilhabe an den Errungenschaften der Menschheitsentwicklung einräumen, P. Kratz 1991a.
(185) Bahro 1977, S. 521; S. 531; ders. 1987, S. 338; S. 335.
(186) Ders. 1987, S. 20; S. 74; S. 345; S. 364; S. 368.
(187) Ebd. S. 491; Biedenkopf in Bahro 1987, S. 502; Bahro 1987 S. 59.
Renate Jäckle hatte in ihrem Buch "Gegen den Mythos Ganzheitliche Medizin" (Hamburg 1985, S. 140 ff) ähnliche Positionen, die lediglich den Flexibilisierungsstratregien des Kapitals auf dem Rücken der berufstätigen Mütter zugute kommen, bereits bei der Grünen-Politikerin Gisela Erler und deren Buch "Frauenzimmer. Für eine Politik des Unterschieds" als weitgehend identisch mit konservativ-modernistischer Familienpolitik analysiert.
(188) Bahro 1987, S. 59; S. 62; S. 345; S. 347. Zum "Kaisertraum" vgl. J. Hermand, S. 118 ff.
(189) Lutzhöft, S. 272.
(190) Bahro 1987, S. 352; S. 353; S. 363; S. 365; S. 466; S. 473; S. 476; S. 481; S. 491; S. 492; S. 493; S. 345.
Zum rituellen Identifizieren bzw. Einüben vgl. unsere Ausführungen zum Kult in Kap. 2.
Zu dem Unsinn eines "Eigenrechts" der Natur vgl. P. Kratz: Robben, Robben über alles... Mit "Eigenrechten der Natur" zum Faschismus?, in: "Waterkant. Mitteilungsblatt der Aktionskonferenz Nordsee e. V.", Nr. 4-5/1989, S. 15-20.
(191) Bahro 1987, S. 337. Zu Niekisch vgl. Kratz 1990, S. 58-60. Niekisch verwendete den Mythos "Rom" exakt wie Bahro, der hierfür auch den Begriff "Megamaschine" erfindet. Die "Megamaschine" ist identisch mit dem "Babylon" der heutigen Rasta-Ideologie und des mittelalterlichen Dritte-Reichs-Mystikers Joachim de Fiore, der im New Age wieder Bedeutung gewonnen hat.
P. de Lagarde: Deutsche Politik und Religion. Eine Auswahl aus den Schriften von Paul de Lagarde, Leipzig o. J. (nach 1920), S. 23.
(192) Bahro 1987, S. 149; S. 151. Allerdings kritisiert Bahro, der ja das Faustische ablehnt, auch eine von ihm - und positiv z. B. auch von Chamberlain - gesehene, angebliche Disposition "der Germanen" zum Kapitalismus. Hiermit steht er im Gegensatz zu sonstigen New Agern und (Neo-) Faschisten, die das Keltogermanentum unkritisch glorifizieren.
Franz Alt in: "Die Zeit" 22. 1. 1988, S. 18.
Wenn sich Bahro in "Logik der Rettung" zur Schuldzuweisung an das Judentum explizit auf Johann Galtung bezieht und ihn zu seinen Vorlesungen an die Berliner Humboldt-Universität als Gastdozenten einlädt, so paßt dies zu seinem eigenen Antisemitismus. Galtung wollte schon einmal das Raketenabwehrsystem SDI als jüdische Veranstaltung und Mittel eines Weltjudentums zur Ausrottung aller Nichtjuden hinstellen, was zu erheblicher Unruhe innerhalb der Friedensbewegung führte.
(193) Bahro 1987, S. 344 f.
(194) Ebd., S. 340; S. 346.
(195) R. Bahro, N. Leser, L. Neidhart und M. Voslensky: Die Zukunft der Demokratie. Entwicklungsperspektiven der Regierungssysteme in Ost und West, Wien 1989.
(196) Zit. n. Schweidlenka 1989, S. 174.
(197) K. Lorenz in einem Interview kurz vor seinem Tod mit dem Vorsitzenden des BUND, Hubert Weinzierl, in "Natur", Nr. 11/1988, S. 32: "Gegen Überbevölkerung hat die Menschheit nichts Vernünftiges unternommen. Man könnte daher eine gewisse Sympathie für AIDS bekommen. Eine Bedrohung, die die Menschheit immerhin dezimieren, immerhin von anderen bösen Unternehmungen abhalten könnte." Weinzierl protestierte nicht gegen diese Äußerung.
(198) Gespräch mit Prof. Dr. Rudolf Bahro: Die deutschen Linken und die nationale Frage oder Unsere Ölinteressen am Golf, in: "Streitschrift zur Erneuerung der Politik", Nr. 3, November 1990, S. 6.
(199) R. Schweidlenka: "Faschistische Selbsterfahrung": Ein neuer Hit des Esoterikbooms?, in: "Materialdienst der EZW", Nr. 4/1991, S. 118-120, hier S. 119.
(199a) Vgl. R. Niedenführ (1991) in R. Hethey u. P. Kratz.
(199b) Ein wissenschaftlich unsauber arbeitender Mode-Politologe der "geistig-moralischen Wende" wie der Totalitarismustheoretiker Eckhart Jesse, der vor allem durch die Bundeszentrale für politische Bildung bekannt wurde, nachdem der CSU-Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann sie weit nach rechts geschoben hatte, sieht in unseren Arbeiten dagegen ein "ungenießbar(es) Gebräu", das ihn an "Wahnvorstellungen" erinnere, in: E. Jesse: Rechtsextremismus: Aus der Sicht von links, in: U. Backes und E. Jesse (Hrsg.): Jahrbuch Extremismus und Demokratie, 3. Jg. 1991, S. 215. Allerdings kann Jesse, der selbst offen mit Nationalrevolutionären zusammenarbeitet und dessen Texte im "Jahrbuch" deutlich "neurechte" politische statt wissenschaftliche Beiträge sind, nicht einmal richtig zitieren (z. B. S. 204). Sein "Jahrbuch" erscheint im Bonner Bouvier-Verlag, dessen heutiger Besitzer, der größte Privatbuchhändler Deutschlands Thomas Grundmann, durch die "Arisierungs"-Maßnahmen der Nazis in den Besitz des Betriebes des Bonner Juden Friedrich Cohen kam. Grundmann kaufte nach dem Ende der realsozialistischen DDR in Ostberlin die bekannten großen sozialistischen Renommier-Buchhandlungen Unter den Linden, am Alexanderplatz und an der Karl-Marx-Allee auf und beschwerte sich anschließend über die hohen Mieten. Sein Vater bekam den Betrieb Cohens nach dem jahrelangen Nazi-Boykott gegen die "jüdische" Buchhandlung noch günstiger.
(200) Zu Mechtersheimer vgl. P. Kratz 1990. Zu Uebel vgl. R. Bahro: Rückkehr. Inweltkrise als Ursprung der Weltzerstörung, Bad König 1991, S. 354. Gugenberger u. Schweidlenka, S. 128.
(201) R. Nemitz: Der neue Spiritualismus. Über Capras "Wendezeit", in: "Das Argument", Nr. 155, 1986, S. 43-56, hier S. 55. Nemitz ist einer der wenigen Linken, die sich überhaupt hiermit befassen.
(202) M. Weingarten: Konservative Naturvorstellung in grünem Gewande? Entwicklungsdenken als ideologisches Kampffeld, in: J.-P. Regelmann und E. Schramm (Hrsg.): Wissenschaft der Wendezeit - Systemtheorie als Alternative?, Frankfurt a. M. 1986, S. 34.
(203) Vgl. "Frankfurter Allgemeine Zeitung - magazin" 26. 11. 1993: Vom Gest der Freiheit. Die Humboldt-Universität in Berlin.
(204) A. Mechtersheimer: Friedensmacht Deutschland. Plädoyer für einen neuen Patriotismus, Berlin 1993, S. 142.
(205) In "Freiheit der Wissenschaft", Nr. 3/1991; "Deutschland-Magazin", Nr. 2/1992, S. 14 ff.

... weiter im Text:   Zum zweiten Teil von Kapitel 3