Peter Kratz: "Die Götter des New Age.
Im Schnittpunkt von 'Neuem Denken', Faschismus und Romantik"
© 2002 Copyright by Peter Kratz.
Jede Verwendung des Textes  unterliegt dem Urheberrecht.
  
 

3. New Age und Faschismus

Zur Identität zweier Weltanschauungen
 

      Zweiter Teil von Kapitel 3:

      ...zum ersten Teil von Kapitel 3


        Inhalt des zweiten Teils:

      Erste These:  Gemeinsam gegen materielle Ansprüche -
                         Respiritualisierung statt Veränderung der Gesellschaft
      Zweite These: Gemeinsam aus denselben Quellen schöpfen
         - Quantenphysik als Weltanschauung
         - "Ganzheit", "Leben", "Äther", "Tat-twam-asi",  "Holismus"
      Dritte These: Gemeinsam für das organisch-kosmische Weltbild
         -  Der "Wille des Ganzen" als Politik
         -  Zerstörung der Ethik


Erste These:
Gemeinsam gegen materielle Ansprüche -
Respiritualisierung statt Veränderung der Gesellschaft

Das Beklagen einer Zivilisationskrise, das Diagnostizieren eines angeblichen Niederganges der bestehenden Welt, ist nicht nur bei Hellsehern die Geschäftsgrundlage, sondern der Ausgangspunkt für den Ruf nach einem "Neuen Zeitalter". Der angebliche "Verfall geistiger Werte" ist heute ebenso in aller Munde wie "Sittenverfall" oder "Naturvernutzung", Verfall von Gesundheit, Psyche, Bildung, all den angeblichen Folgen angeblich "geistiger Entfremdung" durch die materialistisch orientierte Kultur der Moderne und durch ihre Grundlage, die industrielle Gesellschaft. Der Physiker-Philosoph David Bohm, der Capra erst mal die Physik als Grundlage des New Age erklären mußte (so Capras Danksagung im Nachwort der "Wendezeit"), steht nicht an, "ein derart breites Spektrum von Krisen" - nämlich "soziale, politische, ökonomische, ökologische, psychologische usw., und dies sowohl im einzelnen wie in der Gesellschaft im ganzen" - dem "fragmentierenden" mechanistischen Weltbild anzukreiden. Umweltzerstörung und psychische Krankheiten dienen als Argumente, um ein generelles "Unbehagen an der Moderne" zu wecken, das zu antidemokratischen, organizistischen und gegen die Interessen der Mehrheit gerichteten Schlüssen verleitet. Weder Ferguson noch Capra scheuen sich, offen an die ideologische Weltsicht des Aufstiegs und Niedergangs von Kulturen anzuknüpfen, die der erzkonservative Brite Arnold Toynbee in seinem Buch "Der Gang der Weltgeschichte" ausbreitete. Dies ist nichts weiter als ein erneuter Aufguß der Idee des kommenden Unterganges, dem nur eine "Wiedergeburt", ein "Aufgang Europas" auf der Basis des nordischen Mythos der Göttlichkeit des Nordeuropäers und seiner Welt entgegentreten könne. Sie wurde von faschistischen/konservativ-revolutionären/"neurechten" Ideologen wie Chamberlain, Henschel, Spengler oder Hunke entwickelt. (206)

Dem Christentum wie dem Sozialismus wird vorgeworfen, die Menschen nicht befreit zu haben, sondern sie fortwährend zu unterdrücken: ersteres durch Sexualmoral und den Glauben an die Sündhaftigkeit des Menschen, letzterer, indem er die Freiheit des Individuums beschränke. Aber auch der individualistische Liberalismus habe die Menschen versklavt, diesmal an die verdinglichte Produktwelt. Hierfür treffe ebenso das Christentum die Schuld, das im europäischen Kulturkreis die Gottheit wirklichkeits- und menschenfern angesiedelt habe und deshalb die Menschen dazu treibe, die Produkte zu vergötzen - mit den bekannten ökologischen und psychischen Folgen.

Das Christentum, die bisher vorherrschende Spiritualität, wird von New Agern darüber hinaus als abgehalftert dargestellt: Es könne weder geistige Bindung noch Sinn jenseits der Produktwelt vermitteln, schließlich seien die Kirchen ja auch schon seit Jahren leer. Der Kampf gegen die christlichen Großkirchen erfolgt durch das New Age ganz einfach, indem es einen Teil des Potentials an religiösen Menschen abschöpft, aber auch, in dem es sich in Form eines neuerlichen "Kirchen-" oder "Kulturkampfes" offensiv mit dem Christentum und dem Judentum ideologisch auseinandersetzt. Jüdisch-christliche Tradition wird für die ökologische Krise oder das Patriarchat verantwortlich gemacht, z. B. in Capras "Wendezeit": "Die Anschauung, daß der Mann die Natur und die Frau beherrschen solle, und der Glaube an die überlegene Rolle der Vernunft wurden gestützt und ermutigt von der jüdisch-christlichen Tradition, die dem Bilde eines männlichen Gottes, der Personifizierung der höchsten Vernunft und Quelle allerhöchster Macht, huldigt, eines Gottes, der die Welt von oben regiert, indem er ihr sein göttliches Gesetz auferlegt."

Antisemitismus, der dem Judentum die Schuld für alle Unbill dieser Welt zuweist, findet sich durchgängig in der New Age-Literatur. Der "Sündenbock" - eine Institution der Religiösität aus biblischen Zeiten - wird umgedreht: Die Sünden werden dem Bock "Judentum" aufgeladen, dieses sodann in die Wüste gejagt. Allgemein wird der Ursprung für die Trennung von jenseitig-geistigem Gott und diesseitig-materieller Natur/Erde - der "Dualismus", wie es bei Hunke, Eichberg, Mynarek oder Capra im Sinne eines Schimpfwortes heißt - dem Judentum angekreidet und für den Verfall von Natur/Erde verantwortlich gemacht: Gott sei aus der Wirklichkeit entfernt worden, die Entgöttlichung der Natur sei die ethische Voraussetzung zur Vernutzung der Natur. Das biblische "Macht Euch die Erde untertan" wird als jüdisch-christliche Aufforderung zur Umweltzerstörung, als deren eigentliche Ursache, kritisiert. Der "technisch-utilitaristische Mensch", der die Natur/Erde und schließlich sich selbst "vernutzt" und geistig angeblich in dem biblischen Gebot des Judentums wurzelt, gehört zu den Lieblings-Haßobjekten des New Agers Hubertus Mynarek. Auch Erich Fromm, ebenfalls ein Verkünder des New Age, kommt ohne die obligatorische Prophezeiung des Untergangs, der durch alle möglichen Zivilisationsschäden ausgemalt wird, nicht aus. Rudolf Bahros Popularisierung des Begriffs "Exterminismus" - Auslöschen des als Ganzheit verstandenen "Lebens" - steht dem nicht nach. (207)

Die Argumentationsfigur des New Age ist identisch mit der der völkischen Bewegung in der Krisenzeit des letzten Viertels des neunzehnten Jahrhunderts. Einer der Urväter der deutschen völkischen Bewegung, der von den Nazis posthum als Vordenker adoptiert wurde, sei hier beispielhaft angeführt: Paul de Lagarde. Er tat in der Blütezeit der Industrialisierung nichts anderes als die heutigen New Ager: den vom Hochkapitalismus verursachten vermeintlichen "Niedergang der Kultur" zu beklagen und die - damals allerdings so benannte - "arische" Respiritualisierung als Lösung anzubieten. Ohne Zweifel gab es im wilhelminischen Kapitalismus und während der ersten großen Wirtschaftskrise in Deutschland, dem "Gründerkrach", Mißstände jeder Art, die auch die Linke bekämpfte. Allerdings war diese Linke in den Augen der offen völkischen "New Age"-Bewegung des deutschen Kaiserreiches selbst ein Mißstand. Die Unbill der damaligen Zeit waren Massenelend mit "Sittenverfall" (Diebstahl, Prostitution, Alkoholismus) in der größten Klasse der Gesellschaft, Abbröckeln der inneren Bindungen an die Autoritäten von christlichen Kirchen und Staat, Hinwendung von relevanten Gesellschaftsteilen zum Sozialismus, bereits feststellbare Umweltauswirkungen ungezügelter Industriealisierung, "Sittenverfall" auch bei den Herrschenden (als "ausschweifendes Leben" im Fin de Siècle) und dergleichen. Für all dies machten Lagarde und andere die "Fremdheit" der bis dato vorherrschenden Spiritualität verantwortlich: Das Christentum der Großkirchen hatte seine Quelle eben in Kleinasien, nicht in Europa. Es war nicht nur jüdischen Ursprungs, sondern auch noch mit Gewalt den Nord- und MitteleuropäerInnen aufgezwungen worden, als der - so sehen es die Alt- und Neofaschisten - durch römisch-jüdische Priesterherrschaft gekrönte Franke Karl mit der germanischen Irminsul das naturnahe pantheistische Heidentum fällen ließ. Das konnte nach Meinung der frühen völkischen Ideologen nicht gutgehen, von solch "fremdem" Geistigen mußten die Deutschen zwangsläufig ab- und in den Abgrund fallen, haltlos im Innern, weil geistig-spirituell wurzellos. (208)

Die Phänomene der modernen Gesellschaft, die hier meist negativ gewertet werden, sind dieser Ansicht nach die Folge der "Entfremdung vom Eigenen", der "Entwurzelung" aus dem eigenen geistigen Boden der "Keltogermanen" (Chamberlain), und einer Hinwendung zum "fremden" Jüdischen auf allen Gebieten: der Spiritualität, der Ökonomie, der Staatsverfassung, der Ökologie (die damals noch nicht so hieß). Lagarde beklagt die Entgöttlichung der Natur durch das Judentum in demselben Stil, wie es heute im New Age getan wird: "die folge ist eine gottlose natur und ein unnatürlicher geist: die folge ist ein vollständiger mangel an harmonie in der Weltanschauung: die folge ist, daß wenn der übernatürliche gott einmal nicht mehr geglaubt wird, in der welt nichts übrig bleibt als materie: der materialismus ist das notwendige korrelat" des offiziellen Großkirchen-Christentums. Der Aufstieg der Arbeiterbewegung in Deutschland und der noch weitgehend ungeregelte Frühkapitalismus, in dem sich die Mittel- und Oberschichten für die neuen Möglichkeiten ihrer Bedürfnisbefriedigung durch die Industrie begeisterten, waren der Hintergrund, als Lagarde dies um 1859 aufschrieb. Aber auch die sich anbahnende ökologische Krise, die sich schon im neunzehnten Jahrhundert im Waldsterben zeigte, gehörte zur Wirklichkeit der völkisch-religiösen Ideologen. (209)

Die angebliche geistige Überfremdung Europas durch das "Judaochristentum" mit seiner behaupteten dualistischen Entgöttlichung der Welt und seinem Postulat der Gleichheit der Menschen - wenn auch nur vor Gott - ist das ewige Thema des Faschismus und seiner Vorläufer. Die Weltanschauungen des Liberalismus und des Sozialismus werden als säkulare Erben dieser "judaochristlichen" Gleichheitsidee angesehenen und daher antijudaistisch-antisemitisch angegriffen. Der Antisemitismus kommt hier - besonders bei Lagarde - zuerst ohne biologistisch-rassistische Grundlage als geistige Feindschaft gegen das Judentum und die als ihm nachfolgend gesehenen römischen Kirche einher. Dies ist nicht nur parallel, sondern wesensgleich mit dem Antisemitismus des New Age. (Im übrigen braucht wohl nicht weiter ausgeführt zu werden, daß diese Schuldzuweisungen nichts weiter als rechte Ideologie sind. Sie haben mit den tatsächlichen Ursachen von materieller, ökologischer und psychischer Verelendung, die selbst materieller Natur sind, nur soviel zu tun, als sie hiervon ablenken sollen.)

Bei Houston Stewart Chamberlain, dem mit einer Tochter des germanisch-religiösen Fanatikers Richard Wagner verheirateten späteren Chefideologen der NSDAP, gehört die "jüdische Überfremdung" Europas mit der Konsequenz des Dualismus von Materie und Geist zur Basis seines Denkens: "Jahve wurde der Gott der Indoeuropäer", "das Tun der Hände und das Trachten des Herzens fällt auseinander" beim Juden. (210) Allerdings hat er den Dualismus-Begriff noch keineswegs so durchdrungen wie z. B. Hunke oder Capra; auch macht er die Ablehnung des Dualismus noch nicht in der Weise für den Aufbau einer pantheistischen Weltanschauung nutzbar wie diese. Für Chamberlain ist "Rom" gleichbedeutend mit kulturellem Niedergang aufgrund von Rassenmischung. Ein "Völkerchaos" sei die ausgehende Antike insbesondere, seit sich die Juden, aus Palästina vertrieben, überall in Europa festgesetzt hätten und mit der Idee der Gleichheit der Menschen vor Gott vermittels der römischen Kirche Europa kolonisierten und die "Weltherrschaft" anstrebten. Die angeblich am Sitten- und Kulturverfall sterbende erste große Zivilisationsperiode Europas wird bei ihm von der Epoche der angeblich sittlich und rassisch festen Germanen abgelöst, die allerdings bald, durch das antike "Weltjudentum" begünstigt, unter die Herrschaft der römischen Kirche und damit ins psychisch-physische Unglück geraten seien.

Geistige "Entkolonialisierung Europas" mit Hilfe einer "europäisch eigenen Religion", der die politisch-ökonomische und militärische Entkolonialisierung folgen soll, ist auch das Stichwort des nationalrevolutionären Flügels der "Neuen Rechten", z. B. bei dem heutigen Kelten-Mystiker Henning Eichberg, der den politischen Kampf gegen das "Jalta-System" - die inzwischen abgeschaffte Spaltung Europas durch die Sieger des Zweiten Weltkriegs - mit dem kulturellen Kampf gegen eine die Europäer "entfremdende Wodka-Cola-Kultur" verbindet. Die Diffusion dieser neofaschistischen Nationalrevolutionäre um Eichberg in die zivilisationskritische Ökologiebewegung war bereits in deren Anfängen zu erkennen, bei der Anti-AKW-Bewegung in Wyhl z. B. Eichberg selbst stellt sie am Beispiel neospitiruell beeinflußter Protestaktionen im Rahmen der Startbahn-West-Kampagne dar: die "sanfte Gegenkultur" sei die eine Erbin des "Kampfes zweier Kulturen: Rom gegen den Norden", der "westlich-christliche Show down" des "Atomstaates" der andere Erbe. Wie Hunke oder Benoist, historisch Lagarde oder Chamberlain, so findet auch Eichberg die Gründe für negative Folgen der industriellen Zivilisation letztlich in der jüdisch-christlichen Weltanschauung: "Offenbarungsreligion, Priesterhierarchie und Heiliges Buch". (211)

In den verschiedenen Phasen faschistischer Ideologiebildung, bei Chamberlain 1899, bei Hunke 1969 oder bei Benoist 1988, wird die Geschichte der römischen Kirche wiederkehrend als Versuch eines getarnten Judentums dargestellt, auf neuem Wege die Weltherrschaft über die anderen Völker zu erlangen. (212) Mit Hilfe der Christen-Mission, des Liberalismus und des Sozialismus bemächtige es sich nicht nur der Köpfe der "fremden" Völker und verwirre sie, sondern sei - man sehe es ja von den Erster-Mai-Demonstrationen damals bis zum Ozonloch heute - auch für die negativen Folgen der Industriegesellschaft letztlich verantwortlich. "Das utilitaristische Nichts, das leere Leben mit Fabriken drin", so Chamberlain in seinem wenig bekannten "Kant"-Buch, sei "die uns bedrohende Zukunft". (213)

Ein besonders deutliches Beispiel ist Hunkes Buch "Das Ende des Zwiespalts", in dem schon in den Kapitelüberschriften die "Verzweiflung der Jugend", "Flucht in Drogenrausch und Gewalt", "kranke Gesellschaft, krankes Bewußtsein", "totale Sinnkrise", "Ungehorsam", "Besessenheit am Sex" usw. beklagt werden. Als "der Krisenherd" wird schließlich der "griechisch-christliche Dualismus" ausgemacht, also die angebliche Entgegensetzung von Geist und Natur: "Ursache aller Übel, an denen wir heute leiden, ist das uns fremde dualistische Ideensystem." "Vom freien Sachsen zum weinenden Knecht", so faßt Hunke im Jahre 1988 die psychisch angeblich desolate Verfassung der Mittel- und Nordeuropäer zusammen, seitdem sie christlich missioniert sind. Der Weltkriegs-General und Sektengründer Erich Ludendorff hatte dies - auf Goethes "Faust"-Drama anspielend - bereits in den zwanziger Jahren in einem Buchtitel ausgedrückt: "Durch Paulus von Gudrun zum Gretchen". (214)

Apokalyptiker hat es zu allen Zeiten der Menschheitsgeschichte gegeben. Für ihre Zeitgenossen, die sich ihnen aufgrund der Horrorszenarien anschlossen, war die Schwarzmalerei immer glaubwürdig, weil sie immer dem Erkenntnisstand der jeweiligen Gesellschaftsstufe entsprach. Solche Reden hatten nicht zum Ziel, die Menschen aufzufordern, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und durch verantwortliche Tätigkeit zum Besseren zu wenden, die irdische Gesellschaft zu verändern, sondern: sich innerlich zu bekehren, dann werde schon alles gut - nein: dann werde alles so, wie es sein solle. Während die Linke zu allen Zeiten die auch von ihr kritisierten Zustände praktisch verändern wollte, zementieren die spirituellen Kritiken des Bestehenden - so lehrt es die Geschichte - diese Zustände, ob die Kritiker das subjektiv wollen oder nicht. Denn ihre falsche Konsequenz ist die Respiritualisierung der Natur und in der Folge der menschlichen Gesellschaft und ihrer Regeln, die als Teil der Natur gesehen werden. Eine Gesellschaftsveränderung im Interesse der Mehrheit wird dadurch ausgeschlossen bzw. allenfalls in die Richtung der Rückbindung der Gesellschaft an das unhinterfragbare Transzendente eingefordert, nicht in Richtung Emanzipation.

Überall wird dabei diejenige Spiritualität als der Rettungsring präsentiert, die bereits in der völkischen Bewegung und bei den historischen faschistischen Theoretikern als die "indoarische" - die sowohl im Denken der (Nord-) Inder wie der (Nord-) Europäer vorherrschende pantheistisch-kosmische - Religiösität die Rettung bringen sollte. Der Annahme, die Europäer seien religiös überfremdet und dadurch äußerlich und innerlich kolonialisiert, folgt die Forderung nach ökonomischer, politischer und militärischer "Entkolonialisierung", der eine Respiritualisierung im "arisch"-nordeuropäischen Mythos vorweg gehen müsse. In den achtziger Jahren wird dieser "Antiimperialismus von rechts" zu einem bedeutsamen Mittel, mit dem die Neofaschisten auf die "neuen sozialen Bewegungen" Einfluß nehmen. Diese Bewegungen sind sich dessen nicht einmal annähernd bewußt geworden, weil sie die faschistischen Klassiker bis heute nicht kennen und ihnen die Identität der Denkformen nicht auffallen konnte. Daher sind sie z. B. über die Thesen Bahros erstaunt und verwirrt, statt sie zu begreifen und fundiert zu kritisieren.

"Alles muß im neuen Zeitalter - dem Wassermannzeitalter - spirituell durchdrungen werden, und zwar ohne Ausnahme, d. h. auch die Politik", heißt es in dem Informationsblatt "bewußter denken" der Partei "Neues Bewußtsein" vom Januar 1989, denn "durch die spirituelle Entwicklung werden die Probleme gelöst." "Wir wollen ein spirituell erweitertes Politikverständnis anregen und durch spirituelle Wege und Methoden neue Lösungsmöglichkeiten entwickeln", schreibt die "Arbeitsgruppe Spirituelle Wege in Wissenschaft und Politik" der Grünen, "so daß Mensch, Erde und Natur wieder in einem spirituellen Verständnis gesehen werden und dieses sozial umsetzbar wird". Die Forderung nach einer naturalistischen Sozialpolitik, die die Naturverhältnisse zum Vorbild der menschlichen Verhältnisse nimmt, wird ohne Umschweife erhoben. "Ich wurde zu einer spirituellen Politikerin", bekennt die ehemalige Grünen-Bundestagsabgeordnete Karin Zeitler in der Zeitschrift "esotera", "Entwurzelung" führe zu "Lebensangst und Lebensunlust". Dagegen ist für Zeitler "eine spirituelle Lebenseinstellung die Voraussetzung dafür, daß unsere moderne, materielle, kranke Welt wieder zu einem gesunden, ausgeglichenen Zustand findet." (215)

Merilyn Fergusons idealistisches Konzept der "Transformation" der Gesellschaft durch den Aufbau einer neuen spirituellen inneren Macht in den Eliten - statt der Revolution der Gesellschaft durch die und im Interesse der unterdrückten Mehrheit - entspricht der Propaganda der Sekte "Transzendentalen Meditation" vom automatisch eintretenden "Goldenen Zeitalter", wenn nur eine Mindestzahl von Menschen meditiere. Fritjof Capra bindet die Ziele der "neuen sozialen Bewegungen" in den USA und Nordmitteleuropa an asiatische Meditationsformen, an das mystische Sich-Eins-Fühlen mit dem als geistig-spirituelles statt materielles Phänomen aufgefaßten Universum. Damit schafft er nur eine weitere Variante der Respiritualisierung von Welt und Gesellschaft. Auch wenn sich Capra als jemand präsentiert, der mit beiden Beinen in der Wirklichkeit steht, fußt seine gesamte Ideologie auf einem "kosmischen Geist", einem spirituellen Phänomen: "Das Gedankengebäude des neuen Systemansatzes wird in keiner Weise eingeengt, wenn man diesen kosmischen Geist mit der traditionellen Vorstellung von Gott assoziiert. Jantsch sagt: 'Gott ist nicht der Schöpfer, sondern der Geist des Universums.' Aus dieser Sicht ist die Gottheit natürlich weder männlich noch weiblich, noch in irgendeiner persönlichen Form manifestiert, sondern stellt nichts weniger als die Selbstorganisations-Dynamik des gesamten Kosmos dar." "Sieht man Gott als universale Dynamik der Selbstorganisation, dann könnte Teilhards Gottesvorstellung, wenn man sie von ihren patriarchalischen Begriffsinhalten befreit, unter den vielen Bildern, mit denen Mystiker das Göttliche beschrieben haben, den Vorstellungen der modernen Naturwissenschaft am nächsten kommen." (Der in New Age und Neofaschismus allgegenwärtige Jesuit Pierre Teilhard de Chardin ist gemeint.)

Dieses spirituelle Verständnis bezieht Capra explizit auch auf menschliche Gesellschaften: "Da das Systembild des Geistes nicht auf individuelle Organismen begrenzt ist, sondern auf gesellschaftliche und ökologische Systeme ausgedehnt werden kann, können wir sagen, daß Gruppen von Menschen, Gesellschaften und Kulturen einen kollektiven Geist besitzen und dementsprechend auch über ein kollektives Bewußtsein verfügen." Wird hier schon deutlich auf Konzepte wie "Volksbewußtsein", "Volkscharakter" und "nationale Identität" angespielt, die der so progressiv erscheinende Capra offenbar - wie Bahro - vermittels der Respiritualisierung wiederzubeleben gedenkt, so wird nachfolgend die rassistische Konsequenz dieser Konzepte deutlich: "Weitet man dieses Denken auf das Universum als Ganzes aus, dann ist die Annahme nicht zu weit hergeholt, daß alle seine Strukturen - von den subatomaren Teilchen bis zu den Galaxien und von den Bakterien bis zu den Menschen - Manifestationen der Selbstorganisationsdynamik des Universums sind, die wir vorhin mit dem kosmischen Gott identifiziert haben. Das ist jedoch fast schon eine mystische Anschauung. ... Um die menschliche Natur zu verstehen, untersuchen wir nicht nur ihre physischen und psychischen Dimensionen, sondern auch ihre gesellschaftlichen und kulturellen Manifestationen", wobei sich "biologische und kulturelle Eigenarten der menschlichen Natur nicht voneinander trennen" ließen. An den Hitler-Fan Carl Gustav Jung und seine Vorstellungen von dem beim Neugeborenen bereits vorhandenen, völkisch gebundenen "kollektiven Unbewußten" anknüpfend, baut Capra den historischen nazistischen Gegensatz zwischen dem - von ihm nicht so benannten - "Arier" Jung, der der ganzheitlichen Weltsicht anhinge, und dem Juden Sigmund Freud, der dem dualistisch-mechanistischen Weltbild anhinge, auf. Jung habe hier angeblich "überraschende Ähnlichkeiten" mit der Quantenphysik. Hubertus Mynarek folgt Capra im Ausspielen Jungs gegen den Juden Freud nach; Chamberlain hatte bereits vor Jung, am Ende des letzten Jahrhunderts, gegen Freud in derselben Weise argumentiert. (216)

Hans-Peter Dürr versucht in dem Buch "Physik und Transzendenz" mit Hilfe einiger Physiker, die auf philosophischen Abwegen wandeln, die Respiritualisierung als seriöses Unternehmen auszugeben. Dabei verrät er allerdings, daß die Physiker, die sich gerade von der Fiktion des "Äthers" als dem Medium der Ganzheit verabschiedet hatten, nun zu einem pantheistischen Gott greifen sollen, der an die Stelle des "Äther"-Konzepts treten soll. Dürr beklagt, daß seine Idole des Neuen Denkens erst zum Glück gezwungen werden müßten: "Einige der ersten und bedeutendsten unter ihnen, wie Max Planck, Albert Einstein und Erwin Schrödinger, die alle mit dem Physik-Nobelpreis für ihre bahnbrechenden Arbeiten zur Quantentheorie ausgezeichnet wurden, haben die Wende zum neuen Paradigma nie ganz vollzogen." Die bereits oben erwähnte Verkehrung der Wirklichkeit durch philosophisch dilettierende Physiker, die aufgrund ihrer falschen Blickrichtung nicht verstehen, weshalb Menschen - und in anderem Maße auch andere Lebewesen - die Welt erkennen können, treibt dazu an, ein göttlichen Wesen und die Spiritualität als Lückenbüßer für die nur eingebildete Lücke zu postulieren. Carl Friedrich von Weizsäcker spricht sogar von einem "Wunder, daß wir Wirkliches überhaupt denken können." Um ihr Unverständnis gegenüber der Wirklichkeit zu vertuschen, tun diese Physiker nichts anderes, als ihre Vorgänger jahrhundertelang getan haben: Sie erfinden etwas Göttliches, daß ihnen über ihr Unverständnis hinweghilft. Die "Entzauberung der Welt durch die Naturwissenschaften", wie der Physiker Pascual Jordan Max Webers Beschreibung der Säkularisierungstendenzen in der hochindustriellen Gesellschaft variiert, habe nur "auf zeitgebundenem Irrtum beruht." Die "Wiederverzauberung der Welt" durch das New Age steht an. (217)

Der bisher nicht vorhersagbare Zerfall des Radiumatoms, das schlichte Nichtwissen der Physik über ein Detail, wird von Jordan zum mystischen Geheimnis umgedeutet und benutzt, um die grundlegende Errungenschaft der Aufklärung und der bürgerlichen Revolutionen zu kippen, die Entgöttlichung der Umstände des menschlichen Daseins: "Jedes einzelne Radiumatom ist für uns ein Geheimnisträger, es hält, bis es einmal zerfällt, das Geheimnis fest, wann es zerfallen wird. ... Für den Physiker ist dies nur ein Nebenergebnis, aber es ist ein Ergebnis, das für die heutigen Probleme der Menschheit wichtig ist." Hier wird der ideologische Charakter der Verwendung der Quantenphysik zur Respiritualisierung der Welt wird deutlich. Max Planck, politisch im deutschen Kaiserreich weit rechts stehend, benötigte die Quantenphysik noch nicht, um Religion als Disziplinierungsinstrument gegen die Bevölkerung zu rechtfertigen. Er spricht zur Hohen Zeit der Arbeiterbewegung davon, daß die "Gottlosenbewegung" mit Hilfe der Ergebnisse der Naturwissenschaft "in immer schnellerem Tempo ihre zersetzende Wirkung auf die Völker der Erde in allen ihren Schichten vorantreibt. Daß mit ihrem Siege (der "Gottlosenbewegung", P. K.) nicht nur die wertvollsten Schätze unserer Kultur, sondern, was schlimmer ist, auch die Aussichten auf eine bessere Zukunft der Vernichtung anheimfallen würden, brauche ich hier nicht näher zu erörtern." (218)

Der ehemalige katholische Theologe Hubertus Mynarek - bis 1972 Pro-Dekan der Katholischen Fakultät der Universität Wien, Gründungsmitglied der "AG Spirituelle Wege in Wissenschaft und Politik" der Grünen - ist heute einer der führenden deutschsprachigen New Ager und nach Sigrid Hunke neuer Chefideologe der "Deutschen Unitarier", denen er 1979 für ihre Jugendarbeit das Buch "Orientierung im Dasein" schrieb. Er hat Ende der achtziger Jahre in der New Age-Reihe des Goldmann-Verlages (219) die Bücher "Ökologische Religion" und "Die Vernunft des Universums" veröffentlicht, in denen er den Plan für einen naturreligiösen Gottesstaat als gesellschaftliche Konsequenz der Respiritualisierung entwickelt. Mynarek kommt vom katholischen Organizismus und von der Lebensphilosophie Max Schelers her, über den er promovierte. Die Nazis wollten ihn auf eine Eliteschule ("Napola") schicken, was sein Vater verbot, der im polnischen Katholizismus verwurzelt war. Nach Mynareks öffentlichkeitswirksamen Kirchenaustritt 1972 kam er sehr bald dahin, wo ihn schon die Nazis gern gesehen hätten, beim "arischen" Neuheidentum. Auf Vortragsreisen durch Volkshochschulen verbreitet er - unterstützt von örtlichen Gemeinden der "Deutschen Unitarier" - seine antidemokratischen Ideen. Bei seinen Vorträgen an der Bonner VHS bekam er deshalb mehrfach Schwierigkeiten mit der "Bonner Initiative Gemeinsam gegen Neofaschismus". Wegen der vielfachen öffentlichen Proteste gegen ihn meidet er heute Auftritte im Bonner Raum.

Mynarek hält "das Numinose", das Heilige, in dem "selbst ja der Begriff des Heilen und Heilens mitschwingt", für die zentrale Kategorie. Ihr Fehlen in der modernen Welt sei das Grundübel: "heile" Welt statt "kranke" Welt. "Ökologische Religion heißt, das Absolute in der Natur (und ihren wunderbaren Lebensgesetzen) zu verehren; das Göttliche als greifbar kosmisches Phänomen sichtbar zu machen." Mynarek will religiöse "Erlösung", nicht "Lösung" der Probleme der Welt. In blumiger Theologensprache, die mehr an das religiöse Gefühl des Barock erinnert als an die handfesten Probleme der Gegenwart, drückt er dasselbe aus, was Dürr gerne bei bestimmten Physikern als Bekenntnis zum Göttlichen sieht: Die Natur und die in ihr waltenden Gesetze seien ein göttliches "Sinnprinzip", das Göttliche schlechthin bzw. das Göttliche in eins mit seiner Verwirklichung. Allerdings spricht Mynarek als platte Konsequenz die frag- und kritiklose Affirmation der pantheistisch respiritualisierten Welt deutlicher aus: "Ökologische Religion verehrt und bewundert ... Natur in der ganzen atemberaubenden Weite und Mannigfaltigkeit ihrer Gestalten, verehrt und bewundert aber noch mehr die Natur in der Tiefe ihres einen und grundlegenden Seins- und Schaffensprinzips." Religiösität ist für ihn "eine biologische Tatsache, etwas, daß in den genetisch-biologischen Anlagen des Menschen verankert ist", ein "angeborene(r) Drang des Menschen zur Religion" - areligiöse Menschen sind demnach wohl erbkrank; ein neues, interessantes Feld für die Eugenik tut sich auf. (220)

Das politische Potential der Respiritualisierung nimmt Mynarek ausschließlich für sich und seine Anhänger in Anspruch, die neue Elite der "ökoreligiösen Menschen", die selbstvergöttlicht einen angeblichen Naturwillen durchsetzen: "In dieser Sicht ist die Natur auch politisch. ... Das kann man im heutigen öko-politischen Kontext so verstehen, daß die Natur die 'Absicht' hat oder dahin tendiert, mit dem Menschen ein ethisch-soziales, ein sittlich-gesellschaftlich verfaßtes Wesen hervorzubringen, das durch die geeignetste politische Staatsform der Natur in ihrer Gesamtheit zu ihrem effektivsten Rechtsstatus verhilft." Diese Staatsform ist göttlich vorgeplant und daher vom Menschen nicht zu hinterfragen. Wie die oben angeführten Physiker interpretiert er in den Kosmos eine mit seinem menschlichen Gehirn erfundene abgebliche Vernünftigkeit und Planung hinein - der Denkfehler, den Feuerbach bereits aufzeigte -, die dann allerdings den menschlichen Möglichkeiten nicht verfügbar ist, sondern eines Gottes bedarf. Dieser Gott wirkt nur durch die, die in erkennen können, die mystisch befähigten Eliten, hier: die "ökoreligiösen" Menschen. Sie sollen als einzige Zugang zur göttlichen Planung haben.

Der Fortschritt im Denken der Menschen, das göttliche Wesen in das menschliche aufgelöst zu haben - wie es Marx im Bezug auf Feuerbachs Leistung ausdrückt -, soll unter Hinweis auf die angeblich größere Nähe "sogenannter Primitiver" (Mynarek) zum Kosmos rückgängig gemacht werden. Offenbar ist hier wieder - wie im Faschismus - der Keltogermane als Bezugspunkt gemeint, denn Mynarek beklagt mit Carl Gustav Jung, die "germanischen Völker" seien mit dem "artfremde(n) Christentum" "dem Zauber der frischen Fremdartigkeit östlicher Symbole" erlegen. Die erstrebte Respiritualisierung soll auf der Basis des nordischen Mythos erfolgen, denn, so Mynarek, das Judentum habe "keinen eigentlichen Naturbegriff." Er zitiert offen und zustimmend einen Vertreter der völkischen Bewegung, daß dagegen "bei den Ariern die 'Verehrung Gottes in der Natur, eine Erkenntnis des Göttlichen, wie es hinter dem prächtigen Schleier der Natur waltet'", üblich sei. (221)

Rudolf Bahro schrieb seine "Logik der Rettung" in der "Absicht, Spiritualität und Politik zu verbinden." Seinen "Ökologischen Rat", der als passende Machtinstitution für Mynareks "ökoreligiöse Menschen" erscheint, versteht Bahro "vor allem (als) eine spirituell-politische Instanz", die erst in Aktion treten kann, wenn "innerlich" alles bereitet ist: "Die neue soziale Macht wird zuerst als innerer Entwurf und dann als Geisterbund existieren, ehe die neue deutsche Reformation auch den Staat ergreift, was sie indessen von vorneherein auch ins Auge faßt." Insofern knüpft das New Age hier direkt an den "heroischen Illusionismus" der Romantik an, der die Veränderungen "im Innern" stattfinden ließ, geht aber hierüber hinaus, weil die "innere Instanz" nur auf die Veränderungen in der Wirklichkeit vorbereiten soll, die nach der Machtergreifung real geschehen sollen. Bahro knüpft hier direkt an Novalis an und meint später als Antwort auf die Fragen "Religiöser Totalitarismus? Es wird ja wohl einen Aufschrei geben: Am Ende der Moderne und nach dem gescheiterten braunen Millenarismus in Deutschland die grüne Utopie einer neuen Reformation, neuer Klostergründungen, einer Unsichtbaren Kirche? Und die Perspektive des Gottesstaates, des Heiligen Reiches wieder aufnehmen? Ich kann nicht anders, ich sehe die ökologische Krise in diesem Licht." (222)

Während Bahro in der Partei Die Grünen nicht mehr den Faktor sieht, der das Neue Zeitalter durchsetzen könnte, ist Mynarek eine treibende Kraft der Grünen-AG "Spirituelle Wege in Wissenschaft und Politik". In der Zeitung "Die Grünen" konnte sich Mynarek über eine ganze Seite zur biologisch verankerten "natürlichen Religion" auslassen. Auch andere Medien stehen ihm offen. Die Zeitschrift "Das Neue Zeitalter - Das erste Magazin für ganzheitliches Denken", die an den meisten Bahnhofskiosken zu haben ist, führte Mynarek im April 1990 als ständigen Mitarbeiter. Die Zeitschrift "esotera" brachte im Oktober 1988 eine Titelgeschichte "Ein neuer Geist für Bonn. Politik der Zukunft ist spirituell", in der Mynarek meint: "Spiritualität ist die Seele der Politik." Die ehemalige Bundestagsabgeordnete der Grünen Karin Zeitler - Führerin der Spiritualisten-AG - schrieb in demselben Heft ganz ungeniert: "Sich nicht verleugnen: Der Gemeinschaftsgedanke der zwanziger und dreißiger Jahre, auch der Kommunegedanke der sechziger und siebziger Jahre, haben mit ihren Vorhaben, den Menschen als Ganzes zu sehen, Politisches mit Privatem zu verbinden und politische Ideen zuallererst bei sich selbst umzusetzen, die richtige Richtung schon gezeigt." Sie meint tatsächlich den "Gemeinschaftsgedanken" der völkischen und Lebensreform-Bewegung, die wegen dieses Gedankens meist problemlos im Nationalsozialismus aufgingen. Das erinnert sehr an Bahro und Langhans, und das soll es wohl auch.

Doch bei Assoziationen bleibt es nicht. Damit niemand mißversteht, in welche Richtung es mit der Respiritualisierung wieder gehen soll, spricht Rainer Langhans Klartext. Als der Hippie-Kultpoet Leonard Cohen seinen Gedichtband "Blumen für Hitler" herausbrachte, war Flower-Power-Zeit und im Musical "Hair" wurde das "Wassermann-Zeitalter" weltweit bekannt gemacht. Niemand dachte daran, daß Cohens Zeitgenosse Rainer Langhans, damals "APO-Politclown" im Generationskonflikt mit den Nazi-Eltern der Studierenden, alles allzu wörtlich nehmen würde. Gut eineinhalb Jahrzehnte später und inzwischen zeitgemäß zu einem deutschen Guru des New Age gewandelt, erklärt Langhans am 12. April 1989 in der Zeitung der Erben der 68er-Bewegung, der "taz": "Spiritualität in Deutschland heißt Hitler. Und erst wenn Du da ein Stück weiter bist, kannst Du jenseits davon kommen, bis dahin aber mußt Du das Erbe übernehmen. Wir haben keine Chance: Wir müssen dieses Erbe von unseren Eltern übernehmen, nicht im Sinne dieses braven, ausgrenzenden Antifaschismus, sondern im Sinne einer Weiterentwicklung dessen, was da von Hitler versucht wurde. ... Wir müssen sozusagen die besseren Faschisten werden - die man dann als solche nicht mehr bezeichnen kann - statt diesen ängstlichen, ewig-gestrigen Faschismus als einzigen Sachwalter dieser Utopiebedürfnisse den Neonazis zu überlassen."

Die Respiritualisierung der Welt führt letztlich zu dem altbekannten Leugnen der Existenz von Materie und damit zum Leugnen von Wirklichkeit mit den ebenfalls bekannten handfesten politischen Folgerungen, denn auch Gesellschaft ist materielle Wirklichkeit. Dies sieht man im New Age-Gefolge Heisenbergs sehr deutlich, auch bei Mynarek. Den Historischen Materialismus und seine konkret gesellschaftlichen Forderungen zurückzuweisen, ist die Konsequenz. Den Aufbau eines neuen "inneren Reiches" zu empfehlen und gleichzeitig die materielle Askese zuzumuten, ist die konkret individuelle Folge. Götter mag man stürzen, solange die Herrschenden nicht gestürzt werden.

Das Prinzip der Respiritualisierung als Waffe gegen die Linke hatte schon Lagarde angewandt. Sein Ziel war es, mit einer neuen "Germanischen Religion" den geistigen Unterbau eines deutschen Kaiserreiches zu schaffen, den das jüdische Christentum seiner Meinung nach nicht mehr bieten konnte. Was "verborgen in der germanischen Seele" lag (Carl Gustav Jung), wollte der ehemalige protestantische Theologe Lagarde heben. Er sah dabei die vorzivilisatorischen Naturreligionen Nordeuropas ebenso als Bezugspunkt wie die indische Religiösität, mit der er sich intensiv befaßte. (223) Während die Arbeiterbewegung die materiellen Verhältnisse durch Revolution verändern wollte, um ein besseres Leben zu erreichen, hatten die konservativen Ideologen anderes im Sinn: Nur nichts am Diesseits ändern! Das kam den Herrschenden gelegen. "Beseelung" hieß Lagardes romantizistisches Programm gegen die Krisen des Hochkapitalismus, die er allgemein von der Vorherrschaft des "jüdischen Materialismus" verursacht sah. Es machte keinen Unterschied, ob der Materialismus "liberalistisch" als die Ideologie der herrschenden Klasse der verschiedenen "Rothschilds" daherkam, oder "sozialistisch" als der Versuch, ein besseres Leben für alle auf Erden mit Hilfe der Schriften des Juden Karl Marx zu erreichen. (224)

Lagardes Begriff vom "inneren Reich" wird heute von Rudolf Bahro bis Pierre Krebs, vom New Age bis zur "Neuen Rechten", genutzt. Es bezeichnet einen Pantheismus, der urgermanisch verwurzelt sein soll. Lagarde wollte zuerst das "innere Reich" schaffen, als die notwendige Voraussetzung für ein neues, zweites "Deutsches Kaiserreich", das im Gegensatz zum wilhelminischen weder rote Fahnen noch die Rauchfahnen der Fabrikschlote kennen sollte. Lagarde stand wie Chamberlain noch am Beginn faschistischer Religiösität, was zu einiger Konfusion in seinen pantheistischen Vorstellungen führte: Mal sieht er sich selbst als Pantheisten, mal wendet er sich gegen die Naturreligionen, dann wirkt für ihn das Allgöttliche vor allem in der Geschichte, dann "in Buchen und Eichen", dann soll der göttliche Gesamtplan im religiösen Erlebnis erkannt werden usw. (225) Immer jedoch ist der Bezug zu heutigen naturreligiösen New Age-Vorstellungen noch erkennbar, insbesondere auch, wenn er immer wieder betont, Gott sei in dem auf das eigene Selbst bezogenen mystischen religiösen Erlebnis erfahrbar.

Selbstverständlich stand Lagarde mit seiner rüden Industriefeindlichkeit ebenso im Gegensatz zur realen politischen Ökonomie seiner Zeit wie die spätere Blut-und-Boden-Ideologie des Nazismus zu der realen Modernisierungspolitik des deutschen Kapitals in den dreißiger und vierziger Jahren. Eingebunden zu werden heißt ja nicht, selbst Macht zu haben. Ideologie für die Herrschenden zu produzieren heißt ja nicht, fixe Ideen praktisch umsetzen zu können. Zudem bietet diese Ideologie durch den Heroischen Realismus Modernisierungsmöglichkeiten, die sich seine romantizistischen Denker nicht haben träumen lassen. Lagardes pantheistisches "inneres Reich" diente der Selbstvergöttlichung der Eliten, der Entsubjektivierung der Massen, der geistigen Etablierung des Heroischen Realismus, auch wenn Lagarde ein Gegner von faustischer Industrie und Technik gewesen sein mag. Es diente - ob es seinem Schöpfer gefallen hätte oder nicht - schließlich dem Kapital nicht dazu, eine völkische romantische Idylle zu errichten, in dem es als herrschende Klasse nicht überlebt hätte, sondern zur ideologischen Absicherung der faustischen Modernisierung, sowohl bei den ethisch entlasteten Eliten als den Tätern als auch bei den schicksals-eingebundenen Massen als den Opfern. Zuerst sollte dieses "Beseelungsprogramm" noch erreicht werden, indem das Christentum von allem Jüdischen gereinigt wurde, durch einen "arischen Christus", der bereits über die pantheistischen New Age-Qualitäten des "Kosmischen Christus" von Pierre Teilhard de Chardin und Günter Schiwy verfügte. Später erst wurde es rein germanentümlich und neuheidnisch.

Noch deutlicher wird dies in Chamberlains Hauptwerk "Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts", in dem er seinen Pantheismus auf die heute wieder aktuelle Vorstellung vom "Kosmischen Christus" aufbaut. Christus sei "der Sohn des kosmischen Gottes, jenes allen Ariern unter verschiedenen Namen geläufigen 'heiligen Geistes'." Auch Chamberlains fortwährender Bezug auf "die indische Religion" und ihre Naturmystik als "eine unverfälscht indogermanische", auf das - so noch nicht benannte - Konzept des Zusammenfalls der Gegensätze im Yin und Yang des Innen und Außen, des göttlichen Selbst und der göttlichen Natur macht ihn zu einem Vorläufer der New Age-Spiritualität. Er unterscheidet die pantheistischen "Heidenchristen" von den "Judenchristen" und will, Lagarde folgend, mit ersteren als der neuen Elite eine "wahre Revolution", "von innen heraus", "nicht bloß äußerlich politisch" - "Die Religion ist der Mittelpunkt; hier müßte die Umwandlung wurzeln", schreibt er in seinem "Kant"-Buch. Fergusons Konzept der Transformation der Gesellschaft entspricht der Rede vom "inneren Reich" bei Lagarde und von der "wahren Revolution" bei Chamberlain. "Nie sind bei Indoeuropäern die Götter 'Weltschöpfer'", findet Chamberlain in den "Grundlagen", vielmehr zeige sich das Göttliche in den Naturgesetzlichkeiten, "die gesamte Natur verbürgt uns die innere, transzendente Wahrheit", das sei der Inhalt der "kosmische(n) Mythologie" der Arier. Man müsse die Religion aus der Natur ablesen, wie es die mittelalterlichen deutschen Mystiker getan hätten: "Häufig identifizieren sie die Natur mit Gott. ... Fast nie verfallen sie in jenen Erbfehler der christlichen Kirche: Geringschätzung und Haß gegen sie zu lehren." Er spricht 1899 bereits - wie Mynarek 1986 - von einer "religiösen Verehrung" für die Natur und lobt eine "Metaphysik, wie sie aus treuer Beobachtung der Natur erschlossen worden war." Schließlich fordert Chamberlain "die restlose Einbeziehung des inneren Ich" in die Natur, als das er das Metaphysische ansieht. (226)

In dieser Respiritualisierung des gesamten Seienden wird der selbstvergöttlichte Arier, der das Metaphysische als "inneres Ich" in sich trägt, mit Handeln und Erleben an die Natur gebunden. Chamberlain meint, es sei die indoarische "antitheologische Auffassung" - "antitheologisch" durchaus im Sinne des New Age -, "den Menschen mitten hinein in die Natur zu stellen, als einen organischen Bestandteil von ihr, als eines ihrer noch im vollen Werden begriffenen Geschöpfe", das dennoch aber als Träger des Metaphysischen den Gipfel der Natur darstellt, wie es z. B. Mynarek in seiner "Ökologischen Religion" ebenfalls sieht. Durch die vorgehende pantheistische Vergöttlichung der Natur kommt Chamberlain - ohne den von Ernst Jünger geprägten Begriff schon zu kennen - geradewegs zum Heroischen Realismus, der nun das menschliche Tätigsein und Erleiden als ein spirituelles Phänomen unhinterfragbar macht. Daß Chamberlain als Kind seiner Zeit zum Begriff des Pantheismus ein zwiespältiges Verhältnis hat, obwohl er seinen Inhalt vertritt, sollte nicht täuschen. Das pantheistische Natur-, Welt- und Gesellschaftsverständnis ist der eine Kern von Chamberlains "Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts", der ihn zu einem "New Ager" macht. Sein Antisemitismus, der wie bei der "Neuen Rechten" vorwiegend kulturell gebunden ist, ergänzt dies noch. (227)

"Es ist das Eine Göttliche, daß sich im Kosmos in tausenderlei Gestalten offenbart - nicht der Gott, der politische Voraussagen Propheten ins Ohr flüstert; es ist das Göttliche, dessen Gerechtigkeit in der Ewigkeit seiner Naturgesetze eingeschlossen liegt - nicht der historisch tätige Gott, der dem einen Volk schenkt, was das andere erarbeitet hat. ... Der semitische Ül, der Jahve der Juden, ist der Gott von phantasiearmen Naturblinden, wir dagegen sind naturtrunkene Schöpfer, und um uns von der Alleinheit des Göttlichen zu überzeugen, müssen unsere Augen und unser Sinn es auf allen Wegen, die sich vor uns auftun, suchen, es in allen Gestalten erfassen und es denkend und bildend verherrlichen. Der semitische Monotheismus ist die Lehre von der Einzelhaftigkeit Gottes; der indogermanische Monotheismus ist die Lehre von der erst aus der Mannigfaltigkeit sich ergebenden Einheit, von dem Eingeschlossensein des Alls und aller Zeitenfolgen in dem raum- und zeitlosen actus purus der Gottheit (wie Duns Scotus sich ausdrückte), die Lehre von der unitas ineffabilis." Trieften diese New Age-Sätze nicht derart von einem antiquiert zur Schau getragenen Judenhaß, sie könnten bei Sigrid Hunke oder bei Fritjof Capra oder bei Hubertus Mynarek stehen; tatsächlich stehen sie in Chamberlains Verteidigungsschrift "Dilettantismus, Rasse, Monotheismus, Rom" von 1903. (228)

Die in der völkischen Bewegung entstandenen "deutschgläubigen" Sekten können als eine erste "New Age"-Bewegung angesehen werden. Chamberlain gehörte hier dem "Bund für Deutsche Kirche" an. Bis in die dreißiger Jahre hinein wollten diese Sekten aus Ideen, die sie für germanische Mythologie hielten, eine zeitgemäß reformierte völkische Religion als Grundlage eines völkischen Staates schaffen. Oftmals nahtlos gingen sie dann in den Nationalsozialismus auf. Der Franziskaner-Pater Erhard Schlund verfaßte hierüber bereits 1923 die Broschüre "Neugermanisches Heidentum im heutigen Deutschland", in der er auch Dokumente abdruckte, die die Nähe zu den Allbeseelungs-Vorstellungen und den daraus resultierenden Respiritualisierungsbemühungen des heutigen New Age beweisen. So zitierte er z. B. das Glaubensbekenntnis der "Germanischen Glaubensgemeinschaft", in dem die Punkte standen: "1. Wir bekennen uns zu der Kraft des Geistes und des Lebens, die das All durchdringt und uns. 2. Und erkennen im All eine formbildende Kraft des Lebens, welche die Mannigfaltigkeit aller Erscheinungen und ihre besondere Art bedingt, und anerkennen daher auch alle Sondererscheinungen in ihrer Naturnotwendigkeit als Offenbarungen der Kraft des Lebens. ... 6. Religion ist uns das reine, weltbejahende, tat- und erkenntnisfrohe Verhältnis der Seele zum Geist des Alls und zu seinen Erscheinungs- und Offenbarungsformen." (229)

1933 gründete der führende nazistische Religionswissenschaftler Wilhelm Jakob Hauer eine Sammelorganisation der "deutschgläubigen" Sekten namens "Deutsche Glaubensbewegung" (DG), die als spiritueller Unterbau des "Dritten Reiches" gedacht war. Der militante Antisemit und Germanentümler Hauer, an den sich Mynarek heute explizit anlehnt, wurde in den achtziger Jahren im "Esoterik Almanach" als "Indologe" vorgestellt, weil er in den zwanziger Jahren auf mehreren Studienreisen nach Indien "indogermanische" religiöse Gemeinsamkeiten "entdeckte", bei denen oft der Wunsch der Vater der Entdeckung war. Den "Esoterik Almanach" verfaßte Jens Dittmar vom Rossipaul-Verlag, der breit im New Age-Buchgeschäft verankert ist. Hauer, der sich vor allem auf die Schrift "Der Mythus des zwanzigsten Jahrhunderts" von Alfred Rosenberg stützte, ist einer der "Päpste" der "Deutschen Unitarier", deren direkter Vorläufer die DG war. Auf einem Flugblatt der DG "Deutscher Glaube, sieben Fragen und Antworten" von 1935 heißt es: "Was ist deutscher Glaube? Glaube an das All-Wirkende. ... Gott schauen wir in allen Erscheinungen der Welt, im ganzen Werden und Vergehen der Natur." (230)

Die Partei "Die Republikaner" nannte in ihrem alten Parteiprogramm Paul de Lagarde als Vorbild der Jugend. In ihrem Parteiprogramm von 1990 stand der meist überlesene Abschnitt "Kirche und Religion", in dem "die innere Erneuerung unseres Volkes" gefordert wurde, weil "die moralischen Abwehrkräfte unserer europäischen Kultur nahezu erschöpft sind." Die hundertzwanzig Jahre seit Lagardes Schrift "Über das Verhältnis des deutschen Staates zu Theologie, Kirche und Religion" sind offenbar sehr kurz. Henning Eichberg steht im direkten Übergang von den "Republikanern" zur New Age-Bewegung. Er will mit den "alten Göttern" die neuen Probleme lösen und setzt auf "Religion als soziale Sinnlichkeit": "Altdeutsches Heidentum und Gesellschaftskritik griffen ineinander", die "neualten Mythen" seien "subversiv und gegenkulturell." (231)

Sigrid Hunke sah bereits 1969, ein gutes Jahrzehnt vor dem Siegeszug des "New Age"-Begriffs, in einem "Bewußtseinswandel" die Lösung, in der "Heilung vom Materialismus" und der Hinwendung zur "Religion der Zukunft". Noch nannte sie es "Europas andere Religion", um von der Identität mit der alten faschistischen Religiösität abzulenken. Zwanzig Jahre später fordert sie die "Denkwende zum Ganzheits-Denken" durch "Europas eigene Religion", die des "amerikanischen Supermarktes New Age" gar nicht bedürfe, da sie originärer sei; statt des weiteren "Untergangs des Abendlandes" werde dann der "Aufgang eines europäischen Europas" als Lösung "aller Übel" kommen. (232)
 
Pierre Krebs, Leiter des Kasseler "Thule-Seminars", knüpft in der ersten Ausgabe der Zeitschrift "elemente" 1986 direkt an Lagardes Beseelungs-Forderungen an: "Unser inneres Reich" nennt er plagiierend seinen Beitrag und triumphiert: "Deutschland ist, ohne es eigentlich zu wissen, ... zu den alten Göttern zurückgekehrt." Die von Heidegger diagnostizierte "Verfinsterung" - "die Flucht der Götter, die Zerstörung der Erde, die Vermassung des Menschen, der Vorrang des Mittelmäßigen" - beginne sich als "inneres Reich" bereits aufzuhellen, als "die Identität des neuen Deutschland. Diese Identität ist imperial." Deutschland werde nicht untergehen, sondern über die Respiritualisierung zum "Epizentrum unseres Kontinents" werden. (233)

Alain de Benoist fordert - Hunke abschreibend - "zu einem neuen Anfang" Europas die Rückkehr zum Heidnischen. Der französische Neofaschist Guillaume Faye schreibt recht offen über den wahren Hintersinn der Spiritualität im Kampf gegen "die Zivilisation des jüdisch-christianisierten Westens": "Warum ein Mythos? Weil zu einer Zeit, wo alles Gedachte von jüdisch-christlichen und egalitären Werten geprägt ist, die surhumanistische Botschaft der neuen europäischen Identität - will sie die Geister nicht erschrecken - in einer irrationalen und verschlüsselten Form dargelegt werden muß, die mehr die Sensibilität als den Intellekt anspricht. ... Das surhumanistische Projekt wendet sich an all diejenigen, die die heidnische Weltanschauung - häufig ohne es zu wissen - in sich tragen und die zahlreicher als angenommen sind, da der Schatten der Götter immer noch vorhanden ist, die alten Pantheons immer noch fruchtbar und imstande sind, junge Götter ins Leben zu rufen. Wie Meister Eckhart es formulierte, ist ein solcher Diskurs für diejenigen gemacht, die ihn bereits in ihrem Herzen als ihre eigene Wahrheit tragen. ... Erst wenn Europa den Sinn für das Heilige und die Schicksalsgemeinschaft wiederentdeckt, wird es sich regenerieren", dazu diene die "mythische Spiritualität". (234)

Die Respiritualisierung ist also mehr als eine bloße Naturalisierung bestehender bzw. wieder zu errichtender vergangener gesellschaftlicher Verhältnisse. Vielmehr bekommt die Naturalisierung einen Heiligenschein. Die mit ihr angestrebten antidemokratischen Verhältnissen werden nicht nur als natürlich - und deshalb als unhinterfragbar und unabänderlich - ausgegeben. Es wird zusätzlich der Eindruck erweckt, als seien diese Verhältnisse die einzigen, die Glück und Heil bringen. Damit wird jegliche Hoffnungsmöglichkeit auf andere, bessere Verhältnisse genommen, und seien sie erst im Jenseits zu erwarten. Diese Hoffnung aber war - als Überbau des materiellen Elends - durch die Jahrtausende eine ideologische Triebfeder zur Gesellschaftsveränderung auf Erden, auch wenn sie aufs Jenseits gerichtet gemeint war. Die Perfidie der New Age-faschistischen Respiritualisierung besteht gerade in dem Versuch, der Mehrheit der Menschen nicht nur die reale Emanzipation vorzuenthalten, sondern sie auch noch um diese Hoffnung zu bringen. Die Alternative des "Neuen Zeitalters" ist die freudige Unterwerfung als das erstrebte Heil selbst. Es liegt am Konstruktionsfehler dieses Denkens, daß diese Befriedungsstrategie auf Dauer kaum funktionieren kann, denn idealistisches Denken mißachtet die materiellen Bedürfnisse der Menschen, die immer der wesentliche Antrieb für Gesellschaftsveränderungen waren. Das hat sich bis heute nicht geändert, die Vorgänge in Osteuropa lehrten es erst kürzlich wieder. Allerdings mag die Neuauflage der faschistischen Respiritualisierung im New Age wieder für eine Epoche ausreichen, wie damals: Eine Epoche, die für viele Elend und Tod bringen kann.
 
 
Zweite These:
Gemeinsam aus denselben Quellen schöpfen

Im New Age und in der historischen wie "neurechten" faschistischen Ideologie begegnen uns ständig dieselben Denker als Quellenbezug. Die "Neue Rechte" aktualisiert nur die alten Arbeiten Lagardes oder Chamberlains auf die Situation am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts hin. Ihre geistige Traditionslinie ist identisch mit der der völkischen und faschistischen Bewegung: Zum einen wird aus der asiatischen, vor allem der indischen, Philosophie und Religiösität geschöpft, die uns ebenso in Capras "Tao der Physik" oder "Wendezeit", in Erich Fromms "Haben oder Sein" oder bei Externstein-Meditierern begegnet und die bereits in der Romantik (Schlegel) und bei Lagarde, Chamberlain, Hauer sowie zahlreichen völkischen Ideologen bis in die dreißiger Jahre auftaucht. Auch an die bekannte "Tibet-Connection" in Himmlers SS sei erinnert. Zum andern wird bei diesen Ideologen vor allem auf die Geschichte der europäischen "Ketzer" als die Geschichte der eigenen ureuropäischen Weltanschauung zurückgegriffen, die gegen die angeblich fremde "vorderasiatisch-semitische" des Juden-Christentums gestellt wird. Auch dies ist in den Hauptwerken faschistischer Ideologie wie Chamberlains "Grundlagen" oder Rosenbergs "Mythus" genauso wie in Hunkes Buch "Europas andere Religion" und ihren nachfolgenden Variationen, in Benoists "Heide sein - zu einem neuen Anfang", in Capras "Wendezeit", in Fromms "Haben oder Sein" usw.

Herausragend werden immer und überall als Ahnen eines "Germanischen Glaubens", einer "Deutschkirche" oder einer "europäisch eigenen Religion" des nordischen Mythos reklamiert: vor allen anderen der gotische Mystiker Meister Eckhart, der auch einen Hauptbezug in Alfred Rosenbergs "Mythus des zwanzigsten Jahrhunderts" abgibt, Nikolaus von Kues (auch Cusanus, der kirchengeschichtlich nicht als Ketzer gilt), Giordano Bruno, Jakob Böhme, Baruch Spinoza (der trotz seiner jüdischen Abstammung bereits bei Chamberlain auch positiv gewürdigt wird), schließlich niemandem anderen aus der Neuzeit gleich: Johann Wolfgang Goethe, dann Friedrich Hölderlin, Martin Heidegger, Pierre Teilhard de Chardin und vermehrt Antoine de Saint-Exupéry. Die Personen, die außer Bruno und Spinoza als die Hauptvertreter der "Deutschen Mystik" bzw. als deren Nachfolger gelten und von Armin Mohler teilweise "die 'Kirchenväter'" der Konservativen Revolution genannt wurden, bilden auch die Ahnengalerie des New Age. Der "deutsche Medizinmann" Paracelsus, Johannes Kepler und Nikolaus Kopernikus, sogar Martin Luther (als Befreier der Deutschen von "Rom" und von der Sündhaftigkeit des Menschen) werden in gleicher Weise und mit denselben Textstellen von den entsprechenden Autoren genannt, einmal als Vorläufer der faschistischen "Deutschkirche" oder "europäisch eigenen Religion", ein andermal als Vordenker des New Age. Weil die pantheistischen Mystiker durch die römische Kirche verfolgt wurden, beansprucht die völkische Bewegung die "Gegenwehr" des "wahren Europa", schließlich bis zum Komplex Auschwitz. (235)

Die brennenden Scheiterhaufen des Mittelalters sind die Leuchtfeuer auch für die New Ager, die im Nebel ihrer Spiritualitäten umhertasten. Als neue, alte Art der Gegenwehr bringt Mynarek den Sozialdarwinismus: Nach dem "ökoreligiös" göttlichen Naturprinzip sollen die jüdisch-atomistisch-utilitaristischen Menschen als "Irrläufer der Evolution" dem "Kampf ums Dasein" anheim fallen. "Irrläufer der Evolution" ist sein böses, nach Vernichtung schreiendes Wort gegen alle, die ihm nicht ins New Age des "ökoreligiösen" Gottesstaates folgen wollen. (236)

Zur erweiterten Neuausgabe seiner "Wendezeit" schreibt Capra 1988 im Vorwort, an der Erstausgabe sei häufig kritisiert worden, daß er "insbesondere die Tradition des ganzheitlich-ökologischen Denkens in der deutschen Geistesgeschichte nicht berücksichtigt" hätte. Um diesen Mangel zu beheben, schrieb die als "Philosophin der Grünen" bekanntgewordene Autorin Manon Maren-Griesebach für Capra ein "Hintergrundpapier" über "ganzheitlich-ökologisches Denken in der deutschen (!) Geistesgeschichte", auf dessen Basis Capra nun der "Wendezeit" ein neues Kapitel zufügte: der Italiener Bruno, der indische Hinduismus, Paracelsus, Jakob Böhme, der jüdische Portugiese Spinoza und Herder werden nun berücksichtigt. Auf Herders Religionsvorstellungen beriefen sich von Chamberlain bis zum REP-Parteiprogramm alle Faschisten gern, er betonte immerfort die "Fremdheit" der Juden in Europa. Schließlich schreibt Capra nun: "Goethe nun ist die zentrale Gestalt in der Entwicklung des ökologischen Ganzheitsdenkens in der deutschen Geistesgeschichte. ... Wie das der Naturmystiker wird auch Goethes Denken von einer tief ökologischen Spiritualität getragen." (237)

Wir erfahren bei Capra nichts davon, ob er oder seine Vorarbeiterin Manon-Griesebach - die wegen ihrer Blauäugigkeit gegenüber "arischer" Geistestradition schon lange umstritten ist - sich überhaupt die Frage gestellt haben, warum in dieser Tradition "deutscher Geistesgeschichte" auch der Faschismus steht. Bahro hat sich diese Frage gestellt und sie profaschistisch beantwortet. Es ist das "Volk der Dichter und Denker", das uns in gleicher Weise als geistige Basis sowohl des Faschismus als auch des New Age präsentiert wird. Und es ist leider eben nicht nur ein Kalauer, sondern blutige Wahrheit millionenfachen Mordens und erneuter Politik des Todes, daß sich mit den Gedanken dieser "Dichter und Denker" die deutschen "Richter und Henker" jeder Provinienz zu rechtfertigen versuchten und versuchen.

Mit Goethe liegt man in Deutschland immer gut, nicht erst seit Chamberlains monumentalem Werk "Goethe" von 1912. Der "Dichterfürst", dessen Antisemitismus, dessen pantheistische Naturlehren und dessen Selbstvergöttlichungs-Botschaften aus dem Munde des eigentlichen Deutschkirchlers Faust ihn zu einem adoptierten Vordenker des Faschismus machten, ist nicht nur abstrakt die Referenz für New Age und (Neo-) Faschismus. Chamberlain und Hunke oder Fromm und Capra kommen keineswegs zu verschiedenen Interpretationen derselben Textstellen Goethes, denn man ist sich in der Ausdeutung des Dichters als eines Ahnherrn des gemeinsamen Organizismus einig. Und auch wenn Bahro oder Capra die Konsequenz des Faustischen, des Heroischen Realismus, nicht explizit aussprechen mögen, so können sie doch auch keine mögliche alternative Schlußfolgerung benennen. Der spätere NSDAP-Ideologe Chamberlain stellt uns Goethe mit Zitaten als Antisemiten vor (nicht etwa "nur" als Antijudaisten), eine neue lehrreiche Erfahrung für humanistisch gebildete Oberschüler nach 1945. Der Kopf der deutschen Klassik gewann seine naturreligiös-pantheistischen Anschauungen in Auseinandersetzung mit dem Juden- und Christentum, worin ihm die ideologischen Väter des Faschismus knapp hundert Jahre später folgten.

Diese Vorgehensweise ist heute immer noch sehr modern, bei der "Neuen Rechten" ebenso wie im New Age. Das Judentum als nicht-natürliche, ja naturfeindliche Religion, so liest man in den "Grundlagen" Chamberlains, werde von Goethe als eine die Mitteleuropäer überfremdende Weltanschauung abgelehnt. "'Mögen die Juden an ihrer eigenen Kultur arbeiten - das wäre ersprießlich; an unserer Kultur ... dürfen wir ihnen keinen Anteil vergönnen'", so zitiert Chamberlain Goethe in seinem ausschließlich ihm zugedachten Buch. Dieses Bekenntnis zur völkischen Religiösität gab schon Herder kurz vor Goethe ab: "Jedes Volk bete auf seine Weise". Goethe ist laut Chamberlain ein Seher der Natur des Kosmos, mit ihm komme es zu einer "Erweiterung der Vorstellung 'Natur'" im Sinne des pantheistischen Naturverständnisses von "Natur als Alles" - der Mann ist eben ganz Arier. Der Bezug auf Goethe (und die andern Genannten) dient im New Age wie im Faschismus demselben Zweck: der pantheistisch fundierten Selbstvergöttlichung des Menschen mit Hilfe von allgemein anerkannten, auch von der Linken nicht ohne weiteres kritisierbaren Kultur-Autoritäten. Es ist wohl kaum ein Zufall, daß ausgerechnet Paul de Lagarde es war, der die "Opere italiane" von Giordano Bruno auf deutsch herausbrachte und so einem breiten Lesepublikum in der Entstehungszeit der völkischen Bewegung zugänglich machte. Chamberlain, der dem mystisch-"sehenden" Pantheisten Bruno ein Kapitel in seinem Buch "Immanuel Kant" widmet und ihn als Schaffer von Mythen - im Sinne von Guillaume Faye - lobt, nennt Lagardes Bruno-Ausgabe "die einzig authentische Ausgabe der italienischen Schriften Brunos." Die Weisheiten Eckharts findet Chamberlain - wie heute Capra - "vollkommen indisch." (238)

Diese "neue Sicht der Wirklichkeit" findet Capra auch bei Pierre Teilhard de Chardin, den er "unter den abendländischen Mystikern" als denjenigen ansieht, "dessen Gedanken denen einer neuen Systembiologie am nächsten kommen." (239) Ohne Teilhard - den von seiner Kirche kaltgestellten, vom Zweiten Vatikanischen Konzil stillschweigend rehabilitierten, dann katholischerseits totgeschwiegenen pantheistischen Jesuiten - geht nichts mehr, weder bei Hunke oder Krebs vom "Thule Seminar" noch bei den New Agern Capra, Mynarek oder Bahro. Der des historischen Faschismus scheinbar so Unverdächtige, der Mystiker und Naturwissenschaftler, der rehabilitierte Ketzer: Teilhard ist für seine Anhänger ein Galilei des zwanzigsten Jahrhunderts. Doch Teilhard ist in Wahrheit der personifizierte New Age-Faschist inmitten des Establishments. Der (Neu-) Schöpfer des "Kosmischen Christus", der den Christen Wege zur pantheistischen Teilhabe an Gott eröffnete wie damals Deutschkatholiken oder Deutsche Christen - einige mögen ihn sogar noch gekannt, ihm die Hand geschüttelt haben. - hatte vor allem ein Ziel: den "Übermenschen" zu schaffen, die Evolution auf die selbstgöttliche Spitze zu treiben. In den dreißiger Jahren, als Teilhard aktiv war, gab es dafür nur die Mendel'schen Gesetze und die biologische Zucht von Menschen. Heute greifen die "europäischen" Gottmenschen zur Gentechnik.

Teilhard und seine Familie standen den Gegnern des französischen Hauptmannes Dreyfus nahe, des ersten jüdischen Mitglieds im französischen Generalstab, den Antisemiten 1894 wegen angeblicher Spionage verhaften ließen. Die "Dreyfus-Affäre" schwelte jahrelang; wegen der antisemitischen Intrigen der damaligen französischen Justiz und des nicht rechtsstaatlichen Verfahrens gegen Dreyfus veröffentlichte Zola sein berühmtes "J'accuse!". Teilhard stand zeitweise unter dem Einfluß der später verbotenen rechtsextremen "Action Francaise" des Charles Maurras, der 1901 in seinem Buch "L'Autinéa" zurück zum heidnischen "Erbe" wollte, dessen Gruppe aber auch katholisch-faschistischen Einflüssen unterlag. Günter Schiwy, der christliche New Age-Biograph Teilhards, sieht sein Vorbild "im Banne der Lebensphilosophie", die von der Linken als mitverantwortlich am Faschismus, als "Zerstörerin der Vernunft", analysiert wurde. Kein Wunder, daß Teilhard zu einem Bezugspunkt auch der "Neuen Rechten" geworden ist, die in vermehrt zitiert. (240)

Auch in der neofaschistischen Zeitschrift "MUT" findet man die gemeinsame Ahnengalerie, im März 1989 wird das Thema New Age ausführlich behandelt: Der Psychologie-Professor Ernst Plaum stellt das "neue Weltbild" dar und Teilhard als dessen "bedeutsamen Gewährsmann". Er fordert allerdings die Auseinandersetzung mit der bunten Zeiterscheinung des New Age: "Allzuvieles wirkt phantastisch und absurd." Er will in der Nachfolge Hunkes oder Benoists die Rückbesinnung auf die europäischen Wurzeln des "neuen Weltbildes": Nikolaus von Kues, Spinoza, die romantische Naturphilosophie, Othmar Spann oder die nazistische "Leipziger Schule" der "Ganzheitspsychologie". Ergänzend schreibt hier Gerd Klaus Kaltenbrunner über "Meister Eckhart in neuer Sicht": Er sei "eine geistesgeschichtliche Großmacht" gewesen, die Schlegel, Schopenhauer, Othmar Spann und Sigrid Hunke in gleicher Weise fasziniert habe. Der "neurechte" Elitetheoretiker Kaltenbrunner reserviert die Eckhart-Lehre für "Einzelne und Wenige" und zitiert Schopenhauer: "Buddha, Eckhart und ich lehren im wesentlichen dasselbe."

Mit der Ahnenreihe der Naturmystiker wird nur der eine Teil des gemeinsamen Weltbildes von Faschismus und New Age abgestützt. Es ist der Teil, der mit dem mechanistischen Weltbild auch die rationalen Forschungsmethoden kritisiert und sie durch Intuition, Meditation, durch die Mystik als Methode des Organizismus ersetzt, mindestens aber ergänzt sehen will. Wenn Chamberlain davon ausgeht, daß die Natur ein nicht zu erforschendes unendliches Welträtsel sei, liegt er auf der Linie Carl Friedrich von Weizsäckers und seines "Wunders" der Denkbarkeit des Wirklichen und all der anderen, die die Unhinterfragbarkeit von Handeln und Leiden durch Mystifizierung noch vergrößern wollen. Für die der Mystik nicht fähigen Menschen bleibt nur affirmatives Staunen. Chamberlains Ansicht, in der Mystik sei Religion "nicht mehr ein Fürwahrhalten, eine Hoffnung, eine Überzeugung, sondern eine Erfahrung des Lebens, ein tatsächlicher Vorgang, ein unmittelbarer Zustand des Gemüts", ist nur eine andere Formulierung für das Lob der Mystik als Erkenntnismittel bei Weizsäcker, der meint: "Die Anerkennung einer meditativen oder mystischen Erfahrung der Einheit ist nicht ein Ausweichen vor der Rationalität, sondern, wenn wir richtig argumentiert haben, eine Konsequenz des Verständnisses des Wesens der Rationalität." (241)

Quantenphysik als Weltanschauung

In einer Zeit, in der die rationalistische Naturwissenschaft die christliche Religion bereits besiegt hat, macht man sich jedoch unglaubwürdig, wollte man die Regeln wissenschaftlichen Vorgehens in Bausch und Bogen verwerfen. Die Hauptzielgruppe von Faschismus und New Age sind die gesellschaftlich notwendigen Führungskräfte der akademischen Mittelschichten. Zu sehr sind sie wissenschaftlich gebildet, als daß man ihnen mit platter Wissenschaftsfeindlichkeit kommen könnte. Die Ideologen versuchen daher, sich einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben, für den sich die offenen Fragen der neueren Physik, insbesondere der Quantenphysik, hervorragend eignen, wenn man sie kurzerhand als Antworten präsentiert. Doch auch etliche Physiker, allen voran Heisenberg, Weizsäcker und Dürr, selbstverständlich auch Capra, beteiligen sich selbst an dieser Produktion von Ideologie. New Age- Religionsstifter wie Hubertus Mynarek, der sich vielfach auf Heisenberg bezieht, danken es ihnen.

Das freilich muß bei näherer Prüfung peinlich daneben gehen. Bereits Chamberlain sah sich von weltanschaulichen Gegnern dem Vorwurf des Dilettantismus ausgesetzt, weil er versucht hatte, faschistische Weltanschauung aus dem gesellschaftlich-politischen Meinungs- und vor allem Interessenkampf herauszuheben, indem er sie mit (natur-) wissenschaftlichen Erkenntnissen untermauern wollte, obwohl er nur eine grobe Ahnung hatte. Den pseudowissenschaftlichen Rückgriff vor allem auf die unverstandene Quantenphysik erleben wir heute bei Sigrid Hunkes "europäisch eigener Religion". Hunke verdankt ihren Doktortitel der Philosophischen Fakultät der Berliner Universität (heute Humboldt-Universität) von 1941, als sie eine linientreue Dissertation bei dem SS-Rassepsychologen Ludwig Ferdinand Clauß verfaßte, auf den man sich bei den "Deutschen Unitariern" noch in den achtziger Jahren gerne positiv bezog. Physikalischen Dilettantismus erleben wir auch bei dem studierten katholischen Theologen Hubertus Mynarek, der in den Büchern "Ökologische Religion" und "Die Vernunft des Universums" jede Wissenschaft, die ihm begegnet, als Beweismittel für seine Ideen nutzt. Dasselbe erleben wir bei Fritjof Capra, dem der Ruf als Physiker vorausgeht, obwohl er nicht als Physiker Karriere machen konnte, sondern nur als freischwebender Ideologe, der aber wenigstens am Ende seines Buches "Wendezeit" zugibt, seine gesamten Grundlagen - die Quantenphysik, die asiatische Philosophie, die "Humanistische Psychologie", die "Deutsche Mystik" - fast ausschließlich nur vom Hörensagen zu kennen.

All dies tut dem Siegeszug dieser Ideologen keinen Abbruch. Es zeigt uns aber, daß die "Kritik des Irrationalismus" - wie sie z. B. von Georg Lukács in der "Zerstörung der Vernunft" so glänzend geleistet wird, oder wie wir sie von Fritz Stern und Kurt Sontheimer her kennen - nicht ausreicht und nie ausreichte. Es geht um mehr als nur um Irrationalismus. Doch genügt es auch keineswegs, z. B. Capra als "klassischen Sonntagsphilosophen" lächerlich zu machen, wie dies J.-P. Regelmann mit dem berechtigten Hinweis auf die gänzlich fehlenden wissenschaftlichen Grundlagen bei Capras Produktion eines "Synthetik-Hits" wie der "Wendezeit" tut. Die notwendige Berücksichtigung und Kritik des New Age-faschistischen Einbezugs naturwissenschaftlicher Erkenntnis als Basis des "Neuen Weltbildes" reicht z. B. bei Lukács kaum über das hinaus, was Lenin in seinem Werk "Materialismus und Empiriokritizismus" von 1909 bereits schrieb. In dieser Arbeit versuchte Lenin erste - und größtenteils immer noch gültige - Ansätze einer dialektisch-materialistischen Kritik des "Neuen Denkens", das sich auf der Basis der gerade beginnenden nicht-mechanistischen Physik anbahnte. Die ideologiebildenden Umwälzungen in der Physik zeigten sich dagegen erst nach Lenins Tod in voller Breite. (242)

Die faschistische und die New Age-Ideologie haben beide einen durchgehenden wissenschaftlichen Anspruch, den sie als selbsternannte Alternative zum wissenschaftlichen Sozialismus vor sich hertragen. Sie geben sich keineswegs nur anti-rationalistisch, nur die Grenzen der Erkenntnis betonend, sehen vielmehr vor allem die Naturwissenschaft als eigene unverzichtbare Basis an. Dies nur als "irrationalistisch" zu kritisieren, statt diesen Umgang mit Naturwissenschaft ernst zu nehmen, greift zu kurz. Beides: das Ansprechen der Wissenschaftsgläubigkeit und die Kritik an der Wissenschaft verschafft diesem "Neuen Weltbild" breite Zustimmungsfähigkeit. Es ist ein internes "Yin und Yang". Küenzlen weist darauf hin, daß "der Anspruch, den eigenen religiös-spirituellen Weg als sicheres Wissen begründen zu können, ja geradezu die New-Age-Orientierung als unausweichliches Ergebnis moderner Wissenschaft ausweisen zu können", zu "den wesentlichen Orientierungen der modernen Lebenskultur" gehöre. (243)

Gleichzeitig werden jedoch angebliche Grenzen der Naturwissenschaft aufgezeigt und Alternativen, auch Erkenntnis-Alternativen, im irrationalen, nicht-wissenschaftlichen Vorgehen präsentiert. Bei Chamberlain wie bei Capra wird die Intuition zu einem wesentlichen Erkenntnismittel. Die "Deutsche Mystik", so wird uns erzählt, "erkannte" die "Weltprinzipien" auf dem Weg der "Intuition" und des "Mythos", sie sei eine meditative, ganzheitliche, "deutsche" Erkenntnismethode im Gegensatz zum zergliedernden, "welschen" induktiven Verfahren.

Es ist zwar richtig, wenn Lukács unter dem unmittelbaren Eindruck des Nationalsozialismus, seiner Ideologie und seiner Praxis schreibt: "Hitler und Rosenberg tragen alles, was über irrationellen Pessimismus von Nietzsche und Dilthey bis Heidegger und Jaspers auf den Lehrstühlen, in den intellektuellen Salons und Cafés gesprochen wurde, auf die Straße." Und es ist durchaus berechtigt, eine solche Entwicklung aus den New Age-Bildungszentren heraus für die Zukunft zu befürchten, wo z. B. Heidegger und Jaspers heute dieselbe Rolle spielen wie in den neurechten Denkfabriken der "anderen Religion Europas". Bahro und Langhans sind hierfür Beispiele. Dennoch ist es nur die Hälfte, denn es geht nicht mehr nur um "Weltauslegung", die Lukács durch den Einfluß des Irrationalismus an die Stelle der Welterkenntnis treten sah, sondern um die direkte weltanschauliche Verwendung ebensolcher neuerer, überwiegend physikalischer Erkenntnisse selbst. (244)

Diese Verwendung läßt sich nicht (mehr) ohne weiteres bloß denunziatorisch als "irrationalistische Uminterpretation" bekämpfen, als angeblichen "Mißbrauch". Allerdings scheint die Linke erhebliche Schwierigkeiten mit dem ideologischen Umgang der Rechten mit der neueren Physik zu haben. Die Linke scheint sich bisher in eine Vogel-Strauß-Politik zu flüchten, obwohl von den Ansätzen her, die Lenin in "Materialismus und Empiriokritizismus" ebenso bietet wie Friedrich Engels im "Anti-Dühring", durchaus die heutige Situation bedacht werden könnte. Nachdem jedoch die "blauen Bände" den "Vollwert-Kochbüchern" auf den Regalen der Wohngemeinschaftsküchen Platz machen mußten, werden die Argumente der altlinken Prominenz nicht einmal mehr zur Kenntnis genommen.

Die "Neuen Rechten" wie die New Ager dagegen verfügen inzwischen über den geistigen Beistand naturwissenschaftlicher Prominenz, die sich allerdings überwiegend um Hitlers erfolglosen Atombombenbauer Heisenberg gruppiert. Ergebnisse der Atomphysik, die jedoch oft sogar innerhalb der Diskussion der Physiker umstritten sind, werden von Laien "philosophisch" interpretiert und als "Beweise" verwendet, um letztlich gesellschaftspolitische Forderungen zugunsten des Organizismus zu begründen. Der Zusammenhang zwischen ihrem Verständnis der neueren Physik und ihren "Neuen Weltbildern" ist immer ein politisch interessierter. Das gilt auch für Heisenberg, Weizsäcker oder Dürr, denen jedenfalls in ihrem Fach kein Dilettantismus vorgeworfen werden kann, die aber Details der Atomphysik in unzulässiger Weise zu Generalaussagen über die menschliche Gesellschaft aufzublasen versuchen. Dabei werden die Ansichten ihrer Säulenheiligen wie Planck, Einstein, Schrödinger usw. bisweilen auch einfach verfälscht oder verschiedene, gänzlich unvereinbare erkenntnistheoretische Phasen dieser Wissenschaftler gegeneinander ausgespielt. Tote können sich nicht wehren, und der einzige Überlebende, Carl Friedrich von Weizsäcker, steht auf seiten des New Age.

Der amerikanische Wissenschaftshistoriker Paul Forman legte 1971 eine eindrucksvolle Studie über den Zusammenhang "ganzheitlich"-antidemokratischen Denkens in der Weimarer Republik und der Entstehung der Quantenphysik vor, die er auch als Warnung vor den beginnenden Tendenzen des New Age in der US-amerikanischen (Natur-) Wissenschaft der sechziger Jahre verstanden wissen wollte. Damals wurden in den USA verstärkt lebensphilosophische Konzepte rezipiert, aus denen dann z. B. Capra mit seinem New Age-Konzept hervorging. Forman zeigt nicht nur auf, daß sich heutige New Age-Heilige wie Planck oder Einstein - die auch die Ideologie der "Neuen Rechten" begründen sollen, ungeachtet Einsteins jüdischer Herkunft, z. B. bei Hunke - zu ihren Lebzeiten vehement gegen die Ideologisierung der neueren physikalischen Forschungsergebnisse wandten. Er findet vor allem ein politisch-spirituelles Klima in der Zeit unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg, das antirationale und intuitivistische Haltungen auch in der Naturwissenschaft förderte. So wurde der Boden geebnet, auf dem sich die damalige Physik diesen Weg bahnte - nicht den dialektisch-materialistischen. Die frühen zwanziger Jahre sind auch die Zeit der Organisationsphase des ideologisch bereits entwickelten Faschismus und des Kampfes gegen die sozialistischen Revolutionen in Europa. In dieser Zeit kommt der erkenntnistheoretische Relativismus und Idealismus als Waffe gegen aufgeklärtes Denken gerade recht. Formans These lautet: Nur in dem Klima der damals alles beherrschenden Lebensphilosophie und der hegemonialen Wirkung der antirationalen und antidemokratischen Arbeiten Oswald Spenglers - die von den damaligen Physikern breit rezipiert wurden und gegen die sich allenfalls Planck und Einstein stellten - konnte die Physik ohne jede Alternative den Weg der Quantentheorie einschlagen. So paßte sie sich den damals geistig hegemonialen Tendenzen an, die der Naturwissenschaft und ihren Methoden grundsätzlich feindlich gegenüberstanden. Wollten die Wissenschaftler - auch finanziell mit ihren Instituten und Forschungseinrichtungen - "überleben", so mußten sie sich mit ihrer Wissenschaft diesem Klima anpassen, das dem exakten und rationalen Vorgehen "Entseelung" vorwarf. (245)

Eine ähnliche Argumentation verfolgt Ulfried Geuter im Bezug auf die Psychologie, die in den zwanziger Jahren den rationalen, naturwissenschaftlichen Weg verließ und sich der lebensphilosophischen Methodik (Introspektion, Intuition, Mystik) zuwandte. Gerade für die Psychologie war die Physik immer das große naturwissenschaftliche Vorbild. Geuter untersucht vor allem die Lehrstuhlberufungen und die Proteste der wenigen verbliebenen Experimentalpsychologen gegen den Vormarsch der Lebensphilosophen. Das New Age und die "Neue Rechte" greifen heute in gleicher Weise nicht nur auf lebensphilosophische Physiker zurück, sondern auch auf Vertreter dieser lebensphilosophischen antirationalen Psychologie, z. B. den Krueger-Schüler Karlfried Graf Dürckheim oder Erich Rothacker. Allerdings haben sich die nicht emigrierten Psychologen dieser Richtung weitaus mehr für den Nationalsozialismus stark gemacht als ihre Physiker-Kollegen, so daß auf sie insgesamt weniger zurückgegriffen wird. Statt dessen steht hier die Gestaltpsychologie als vermeintlich faschistisch "unbelastete" Richtung bereit, da ihre Protagonisten bis auf Wolfgang Metzger emigrierten und ihre Vorstellungen - nun auch über das New Age - aus den USA reimportiert werden. (246)

Das in den zwanziger Jahren allgemein verbreitete Gefühl einer Krise der Wissenschaft und der Gesellschaft, das mit dem Lebensgefühl der achtziger Jahre durchaus vergleichbar ist, hatte das Aufkommen bestimmter wissenschaftlicher Grundrichtungen ebenso zur Folge wie die Moden des Okkultismus und der Hellseherei sowie eine Welle von Sektengründungen. Sie alle sollten den "Hunger nach Ganzheit" in der von ökonomischen und politischen Krisen zerrissenen Weimarer Republik stillen, wie Forman den Historiker Peter Gay zitiert. (247) Die Ganzheit, die in der erforschten Natur nicht mehr zu finden war, wurde auch von den Naturwissenschaftlern nunmehr ins Transzendente verlagert, als Kitt, der die Trümmer des erkenntnistheoretischen Relativismus irgendwie wieder zusammenfügen sollte. Neben Spengler sieht Forman vor allem Rudolf Steiner hierbei als einflußreich. Steiners Anthroposophie, auf die sich heute auch Capra explizit bezieht, war aus der rassistischen Theosophie hervorgegangen und orientierte sich an Goethes Pantheismus. Sie eroberte damals weite Teile der Mittelschichten. Forman führt deutsche Physiker an, die sich offen auf einen Pantheismus stützten, den sie aus den Werken Goethes und Schillers herausgelesenen haben wollten. Dies geschah damals - entgegen den Behauptungen von Hunke, Capra oder Dürr - gegen den Protest von Max Planck und Albert Einstein. Forman zitiert Planck mit der Forderung, es müsse mehr getan werden gegen den Vormarsch von "Okkultismus, Spiritualismus, Theosophie und die zahlreichen Schattierungen, wie immer sie genannt werden mögen. Er zitiert Einstein, es wäre geradezu lachhaft, wenn viele glaubten, in der Relativitätstheorie könnte man "Unterstützung für die antirationalistische Tendenz unserer Tage finden." (248)

Forman zeigt, daß sich entgegen solcher Mahnungen in der Physik eine zuerst ideologisch - statt experimentell - fundierte, "quasi-religiöse Zurückweisung" des bisher gültigen Determinismus und des Kausalgesetzes und damit des materialistischen Wirklichkeitsbegriffes als Grundlage der Naturerkenntnis durchsetzte, und daß gleichzeitig im politischen Bereich, sogar von der Spitze der sozialdemokratischen Kultusverwaltung des Landes Preußen aus, der spirituell-irrationalistische Wissenschaftsansatz als Waffe gegen "Mechanismus und Materialismus" ins Feld geführt wurde. Forman behauptet nicht, die Quantenphysik wäre politisch rechts oder gar als falsch anzusehen. Er will vielmehr die Atmosphäre aufklären, in der die Physik bereitwillig und fast ohne Opposition in den eigenen Reihen gerade diesen Weg einschlug und nicht einen anderen - z. b. den dialektisch-materialistischen, den Forman allerdings nicht nennt. Dabei verweist er darauf, daß außer Einstein, der - eher unreflektiert - mit der Linken sympathisierte, die herausragenden deutschen Physiker der zwanziger Jahre in ihrer politischen Haltung nationalistisch und extrem konservativ waren, weshalb ihre innere Sympathie für das "Neue Denken" der Konservativen Revolution nicht erstaunlich ist.

Bemerkenswert ist Formans Hinweis, daß der Führer der Ideologisierung der Quantenphysik, Werner Heisenberg, aus der lebensphilosophisch, irrationalistisch und naturmystisch bestimmten deutschen Jugendbewegung stammte, die das große Vorbild der "neuen sozialen Bewegungen" der achtziger Jahre darstellt. In der Jugendbewegung zu Anfang unseres Jahrhunderts entwickelte sich unter dem Einfluß prominenter Vertreter der Konservativen Revolution die erste spirituelle "New Age"-Bewegung, auch mit ihrem völkischen Flügel. Auch zeigt sich - nach Forman - Heisenbergs ideologisches Interesse an der Quantenphysik darin, daß er vor der eigentlich wissenschaftlichen Publikation seiner Ergebnisse zur Ungültigkeit des Kausalgesetzes und des Determinismus in der Natur diese der überwiegend konservativ-revolutionär eingestellten gebildeten Öffentlichkeit als eine Art Vollzugsmeldung in einem populärwissenschaftlichen Artikel mitgeteilt habe. Zwar könne man keine direkt politischen oder jugendbewegten Aussagen in seinen Memoiren finden, doch ließen sich zwischen den Zeilen bei Heisenberg die lebensphilosophischen Ideen der einflußreichsten Ideologen der Jugendbewegung, Ludwig Klages, Herman Keyserling (letzterer übrigens - es paßt immer zusammen - ein enger Freund Chamberlains) und Rudolf Steiner, wiederfinden. Es sind Ideologen, die auch im New Age wieder eine Rolle spielen. Vor diesem Hintergrund erscheint Heisenbergs spätere Arbeit für das Deutschland des Nationalsozialismus - bis hin zum Versuch, den Nazis die Atombombe zu verschaffen nur folgerichtig. Denn der Weg von der Jugendbewegung zum Nationalsozialismus war aus der Rückschau nicht nur der logische, sondern auch der meist begangene Weg.

Der Nachteil an Formans Arbeit ist sein Verharren im Bereich des Ideologischen. Der Frage, ob es materialistische Erfordernisse im Entwicklungsstadium der Produktivkräfte und damit reale ökonomische Zwänge - in der dem kapitalistischen Konkurrenzprinzip unterliegenden Wirtschaft selbst und vermittelt in den von den Kapitalien finanzierten Forschungseinrichtungen - gab, die zu den Entdeckungen der Quantenphysik zwangen, die wiederum Hoffnungen auf Profite weckten, geht er nicht nach. Weiterhin ist Forman nicht darin zuzustimmen, daß die Ideologisierung der Physik eine rein deutsche Angelegenheit gewesen sei, bedingt durch die geistige Krise in der Weimarer Republik. So diente z. B. Georges Sorels Buch von 1907 "Les préoccupations métaphysiques des physiciens modern", auf das sich bereits Lenin kritisch bezog, in der damaligen Phase des "New Age" bereits einer reaktionären Politik. Sorel, der vom Anarchosyndikalismus über die "Action Francaise" zur Ideologie des Herrenmenschen kam, ist der "Neuen Rechten" heute eine Quelle für die Erschaffung des faustischen Menschen, was bereits in Lenins Kritik als Möglichkeit anklingt. (249)

Es ist nicht zu übersehen, daß vieles im New Age wie im Neofaschismus auf Werner Heisenberg zuläuft, der selbst daran mitwirkte, die offenen Fragen der neueren Physik zu weltanschaulichen Antworten umzubiegen. Die New Ager Dürr und Weizsäcker sind in der Physik tatsächlich Heisenberg-Schüler und wollen auch seine ideologische Tradition fortsetzen. Capra verkauft sich als Heisenberg-Schüler und er verwendet - wie Weizsäcker - dessen "Unschärferelation", um die Existenz der materiellen Wirklichkeit zu leugnen und - "Yin und Yang" - den Gegensatzes von Subjekt und Objekt aufzulösen. So wird der organizistische Primat des Ganzen über die Teile postuliert. Capra zitiert Heisenberg als Zeugen des Relativismus, der der Ansicht gewesen sei, "daß nämlich jedes Wort oder jeder Begriff, so klar er uns auch erscheinen mag, doch nur einen begrenzten Anwendungsbereich hat." Dieser Relativismus, der erst im spirituellen "Ganzen" aufgelöst wird und den weltanschaulichen Vorstellungen der Konservativen Revolution entspricht, wird von Hunke als Ausdruck der bei Einstein und Planck und bei Weizsäcker angeblich wirksamen "europäisch eigenen Religion" angeführt.

Heisenberg ist für den Neofaschisten und Kernphysiker im DESY-Teilchen- Beschleuniger-Projekt in Hamburg Rudolf Künast in dem "Thule-Seminar"-Buch "Das unvergängliche Erbe. Alternativen zum Prinzip der Gleichheit" - aus dem neofaschistischen Grabert-Verlag - der Kronzeuge für Irrationalismus, "intuitive Schau" und ganzheitliches Denken. Heisenberg ist für den Rassisten Jörg Rieck alias Jürgen Rieger in demselben Buch Kronzeuge für die These, ein biologistisches Zeitalter werde kommen. Pierre Krebs nennt Heisenberg in dem "Thule-Seminar"-Buch "Mut zur Identität" - aus dem Ludendorffer-"Verlag für ganzheitliche Forschung und Kultur" - in einem Atemzug mit dem Lebensphilosophen Max Scheler, mit den Konservativen Revolutionären Carl Schmitt, Ernst Jünger und Arthur Moeller van den Bruck, mit Konrad Lorenz und dem völkischen Mystiker, Antisemiten und Antidemokraten Hans Jürgen Syberberg als Vordenker des neuen "inneren Reiches Deutschland", welches der "neue Vorbote des europäischen Schicksals" sei. (250)

"Ganzheit", "Leben", "Äther", "Tat-twam-asi", "Holismus"

Die wissenschaftlichen Gallionsfiguren des New Age haben sich in früheren Jahrzehnten nicht gescheut, für die faschistische Seite Partei zu ergreifen. Carl Friedrich von Weizsäcker, der nach seinen eigenen Angaben vom zeitweiligen SS-Liebling Werner Heisenberg persönlich an die Physik herangebracht wurde und während des Faschismus eng mit ihm zusammenarbeitete, war Mitarbeiter in der "ganzheitlichen" Nazi-Zeitschrift "Volk im Werden" von Ernst Krieck. Krieck gehörte der neuheidnisch-rechtsextremen Sekte Armanen-Orden an, seine Zeitschrift erschienen im Leipziger Armanen-Verlag. Zu seinem sechzigsten Geburtstag 1942 würdigte der NSDAP-Gauleiter und Reichsstatthalter Robert Wagner Krieck als "Wegbereiter Großdeutschlands", einen "der ersten Gelehrten der neuen Zeit", der "als deutscher Nationalsozialist" "die Möglichkeit der Wiederaufrichtung verkündet" und "mitgeholfen (hat), dem neuen Reich seine Geltung in der Welt zu verschaffen." Der Reichsstudentenführer der NSDAP, Gauleiter und Reichsstatthalter G. A. Scheel befand zur selben Gelegenheit über Krieck: "Er ist einer von den bedeutenden Einsamen, die lange vor dem 30. Januar 1933, der Zeitenwende einer neuen Welt, nichts anderes gekannt haben als den unbedingten Willen zum Reich; in den Jahren, die dieser Revolution folgten, war er einer der vordersten Streiter im Kampf um die Erneuerung des deutschen Charakters; er ist es geblieben bis zur Stunde, da Europa unter der Führung des wiedererstandenen Reiches um seine innere und äußere Freiheit kämpft (1942 !, P. K.). An seinem Lebenswerk gewinnt unsere Weltanschauung und unser geschichtlicher Wille die Richtung in eine große Zukunft." (251) Der ganzheitliche Organizist und "New Ager" Krieck hatte in der NSDAP zahlreiche Gegner, weil er der Konservativen Revolution entstammte und daher als Konkurrenz Alfred Rosenbergs und seiner Clique angesehen wurde, obwohl sich die Konzepte beider sehr nahe waren.

Krieck hatte bereits 1922 an dem Sammelwerk der Konservativen Revolution "Die Neue Front" mitgearbeitet, das vergleichbar ist mit den beiden genannten Büchern des "Thule-Seminars" aus den achtziger Jahren. Hier waren schon Artikel über die angebliche Notwendigkeit ganzheitlicher Weltauffassung nach dem New Age-Modell erschienen: "Es gilt, diese Welt ... zu neuer Einheit zu zwingen, die widerstreitenden Elemente zu überwinden, sie in unser Inneres aufzunehmen, sie zu Organen wesentlich deutschen Lebens werden zu lassen. Das aber ist eine Frage schöpferischer Kraft, ist eine Frage religiöser Erneuerung" gegen den "auflösenden Verstand", die "immer mehr mechanisierte Gesellschaft und Wirtschaft" und "das furchtbare Chaos einer entseelten Masse." Hier war auch - Forman bestätigend, der "Die Neue Front" nicht kennt - unter Hinweis auf Spengler, Steiner und Einstein über die "Wissenschaftskrisis" und "Kulturkrisis" dieser Zeit geschrieben worden. Die Möglichkeit einer Beantwortung der "Frage nach Vielheit und Einheit" in der Welterkenntnis wurde aufgeworfen, eine Antwort in Einsteins Arbeiten als wahrscheinlicher angesehen als z. B. in Steiners, eine endgültige Beantwortung jedoch der zukünftigen Bewährung der Einsteinschen Weltsicht im Rahmen lebensphilosophischer Erwägungen überlassen. (252)

Der Jahrgang 1942 der Krieck-Zeitschrift "Volk im Werden" ist ein einziger "New Age"-Jahrgang, in dem das "Neue Denken" des Organizismus und seiner faustischen Konsequenz als "deutsche Naturanschauung" ausgegeben wird, in dem die Ahnenreihe von Nicolaus Cusanus, Paracelsus, Böhme, Goethe usw. zu Chamberlain und Krieck gezogen wird, in dem der Pantheismus als das von Krieck so genannte "Prinzip All-Leben" erscheint: "Allem Seienden wohnt ein bildendes Prinzip ein, alles Existierende folgt in individuell-rassisch-artlich abgewandelter Weise dem Einheitsgesetz All-Leben. Im Vielen das Eine und im Einen das Viele schauen." "Eindeutig steht Krieck mit dieser Feststellung in der Tradition des deutschen Naturanschauens, in Kampfstellung also gegen die westliche Mechanistik (Cartesianismus, Newtonismus), deren Tendenz dahin zielt, alles lebendige Geschehen in kausal-mechanische Ablaufsreihen oder das Weltgeschehen in einen planlosen Atomwirbel aufzulösen." Diese Weltsicht, die heutige New Ager - ohne rassistische Ausfälle - auch nicht wesentlich anders beschreiben, sei "eigentümlich deutsch". Es ist offenbar der Kern dessen, was uns Bahro oder Langhans heute als das anpreisen, was Hitler angeblich "wirklich" gewollt habe, weshalb Hitler nun "erlöst" werden müsse. (253)

Als Teil dieser "eigentümlich deutschen" Weltanschauung schreibt Carl Friedrich von Weizsäcker in "Volk im Werden" 1942 seinen Artikel "Die Atomlehre der modernen Physik", in der explizit gegen den Materialismus gerichtet und mal wieder unter Bezug auf Goethe die apriori-Existenz der materiellen Außenwelt und ihre Erkennbarkeit geleugnet wird. Die Wirklichkeit wird voluntaristisch nur als experimentelles Konstrukt quasi-göttlicher, schöpferischer (faustischer) Naturwissenschaftler hingestellt und sodann mystifiziert. Weizsäcker schreibt: "Das Ganze aber entzieht sich dem Zugriff des messenden Menschen", "wir müssen uns eingestehen, daß wir diese anschaulichen Erscheinungsformen des Wirklichen durch unser Experiment selbst erst geschaffen haben", weshalb die Erkenntnisse daraus nicht generalisierbar seien. Dies sind Positionen, die z. B. Hunke auch Einstein verfälschend unterschiebt, um ihn zur Stütze eines kulturell-religiösen Relativismus zu machen. Lenin hatte sie bereits in "Materialismus und Empiriokritizismus" an Vorgängern Weizsäckers als "Physikalischer Idealismus" kritisiert. Die Verbindung voluntaristischer mit naturmystischen Anschauungen macht Weizsäckers Quantenphilosophie brauchbar für "faustische" Absichten, auch wenn er diese heute wohl weit von sich weisen würde. Tatsächlich aber hat er seine Quantenphilosophie nie wesentlich verändert, der Artikel aus "Volk im Werden" gibt den Kern von Weizsäckers Denken bereits vollständig wieder.

Daß sich Weizsäcker 1942 ausgerechnet Kriecks Nazi-Blatt zur Publikation seines Atom-Artikels aussuchte, zeigt, wie sehr er sich in dieser Fraktion des Nationalsozialismus heimisch fühlte. Es war die Fraktion der organizistischen und neuheidnisch-naturmystischen Konservativen Revolution, deren Nachfolger heute die "Neue Rechte" um Sigrid Hunke und Alain de Benoist bilden. Diese Fraktion war 1942 keineswegs randständig, in einem Jahr, als Hunke gerade mit häufigem Bezug auf die berüchtigte SS-Zeitschrift "Das schwarze Korps" promoviert hatte und Weizsäcker seine Professur im besetzten Straßburg bekam, dessen Universität - wie die des besetzten Posen - zur Hochburg der NS-Ideologie ausgebaut werden sollte. Zu dieser Zeit war Weizsäcker einer der auch politisch engagiertesten Vorkämpfer für eine Nazi-Atombombe, das damals am meisten "faustische" wissenschaftliche Projekt überhaupt. Die nazistische Referenz "Volk im Werden" ist ihm nicht einmal nach dem 8. Mai 1945 peinlich: In einem Wiederabdruck des genannten Artikels 1958 in der siebten Auflage seines Hauptwerkes "Zum Weltbild der Physik", das erstmals 1943 erschien, bringt er sie an und beweist damit seine Kontinuität im Denken. Es kommt wohl auch nicht von ungefähr, daß Richard Wisser 1967 in seinem Buch "Verantwortung im Wandel der Zeit" ausgerechnet Karl Jaspers, den völkischen Zionisten Martin Buber, Romano Guardini und Martin Heidegger zusammen mit Weizsäcker als verschiedene Repräsentanten einer einheitlichen Geistesströmung präsentiert - Einheit des Denkens in der Vielheit der Denker.

Im Juli 1992 gibt Weizsäcker der rechtsextremen Zeitschrift "MUT" ein Interview. Obwohl sein eigener Anteil an der neueren Physik im Vergleich zu seinen weltanschaulichen Schriften eher klein ist, sagt er hier: "Die Meinung, daß Religion durch die Wissenschaft zu ersetzen sei, stammt von Propagandisten, die keine großen Forscher sind." Mit Bezug auf Capra meint er, die Quantentheorie sei "mit den mystischen Traditionen leichter zu vereinbaren als die alte Physik." "MUT" fragt ihn, ob er dem "Neuen Denken" des New Age zustimme, wonach "der Mensch vor dem Evolutionssprung seiner 'Gottwerdung'" stehe, und Weizsäcker antwortet im Stile eines Religionsstifters: "Also, so große Dinge sind mir nicht geoffenbart. Aber sie könnten stimmen. ... Diese Weltsicht stammt wahrscheinlich aus Indien, und ich habe die größte Ehrfurcht vor der tiefen Weisheit der altindischen Kultur." Sodann bekennt er sich zu einer "wahren Wissenschaft", die monistisch-pantheistisch fundiert sei, und zum "Mythos" der "Einheit", den er als Teilhards "kosmischen Christus" versteht.

Thomas Görnitz - Weizsäckers "persönlicher Mitarbeiter" - versucht 1992 in einer Biographie, seinen Chef in die Nähe des Widerstands gegen Hitler zu rücken. Tatsächlich war die Familie Weizsäcker jedoch am Nationalsozialismus beteiligt: Carl Friedrich wurde vom Kriegsdienst freigestellt, um seine Professur in Straßburg zu übernehmen und an Hitlers Atombombe zu bauen, sein Vater wurde in den Nürnberger Prozessen als Kriegsverbrecher verurteilt, weil er an Juden-Deportationen beteiligt gewesen sei.

Görnitz faßt Weizsäckers Ideologie zusammen: "Bei Carl Friedrich v. Weizsäcker hat sich gleichermaßen aus seinen religiösen Erfahrungen und aus seinen wissenschaftlichen Forschungen heraus eine Schau auf das Ganze der Wirklichkeit entwickelt, die das dualistische Weltbild zu überwinden gestattet, welches bis heute noch das Paradigma des Abendlandes bildet. Bei ihm kommt es zu einer Gesamtschau, die die Möglichkeit eröffnet, das Diesseitige und das Transzendente zusammen zu denken. ... Neues Bewußtsein meint bei Weizsäcker nicht, zumindest für ihn selbst, das Verbleiben im Zustand der Entrückung. (Er wollte) nicht den Weg des Bettelmönches gehen, sondern zurückgehen nach Europa und die Dinge tun, die er zu tun hatte. Dazu gehörte das Verstehen der Physik und das Handeln in der Öffentlichkeit und Politik nach den von ihm als wahr erkannten Grundsätzen." Dies ist eine Umschreibung des faustischen Menschen, der im "Heroischen Realismus" die Selbstgöttlichkeit mit der Tat verbindet. Allerdings hat Weizsäcker in der "Göttinger Erklärung" 1957 vor der Atombombe gewarnt und sich in den achtziger Jahren gegen den NATO-Doppelbeschluß ausgesprochen. Diese Haltung hat er jedoch 1988 in seinem Buch "Bewußtseinswandel" dann wieder als falsch revidiert. (254)

Weizsäcker ist für seine Distanz zu den Massen und zur Massendemokratie und für seine Sympathie für elitäre Konzepte bekannt. Eines paßt mal wieder zum anderen. Kein Wunder, daß er Stargast auf Ernst Albrechts New Age-Kongreß "Geist und Natur" war. Lenin hatte 1909 auf die Parteilichkeit der philosophierenden Physiker hingewiesen, die gegen die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung gerichtet war, und hatte ihren Psychologismus kritisiert, der den Elitemenschen vergöttlichte - den "Experten" im Sinne des heutigen New Age-Physikers Hans Peter Dürr. Weizsäcker belebte den Psychologismus in neuer Sprache und nun aus der Quantenphysik heraus wieder: "Der Mensch sucht in die sachliche Wahrheit der Natur einzudringen, aber in ihrem letzten, unfaßbaren Hintergrund sieht er wie in einem Spiegel unvermutet sich selbst." Er meint damit die ideologische Verallgemeinerung der Unbestimmtheitsrelation Heisenbergs, wonach es der Experimentator sei, der die erforschte Wirklichkeit erst selbst erschaffe; sie ist eine Grundlage des gesamten heutigen pantheistischen Organizismus. Dieses "Selbst" ist letztlich wieder das im faustischen Menschen wirkende pantheistische "All-Leben" Kriecks oder der völkisch-religiösen Sekten.

Der DDR-Wissenschaftler Helmut Korch hatte 1959 Weizsäckers Philosophie einer eingehenden Kritik von marxistischem Standpunkt aus unterzogen, die jedoch inzwischen der Vergessenheit anheim fiel. (255)

Es ist Weizsäckers Vorteil, daß er während des historischen Faschismus nicht zum Kreis Philipp Lenards und seiner "Deutschen Physik" zählte und deshalb als ideologisch unbelastet erscheint. Die Quantenphysik des Heisenberg-Kreises wird kaum mit den organizistischen Vorstellungen Kriecks und anderer Nazis in Verbindung gebracht. Sie profitieren zu Unrecht davon, daß einige Nazis um Lenard den Heisenberg-Kreis bekämpften und dieser sich eine Verfolgten-Legende zulegen konnte. Der deutsche Nobelpreisträger Lenard dagegen ist bekannt als fanatischer Nationalist schon der Kaiserzeit, als Antisemit und Nationalsozialist und zudem - wie praktisch für die Ideologen um Heisenberg, die nach 1945 Persilscheine brauchten - als jemand, der sich aus ideologischen Gründen gegen den wissenschaftlichen Fortschritt stemmte, weil dieser mit dem Namen des Juden Albert Einstein verbunden war. Lenard galt als der einzige rechtsextreme Ideologe unter den Physikern und wurde nach 1945 zum Sündenbock gemacht. Denn er und seine wenigen Nazi-Freunde hatte bis in die vierziger Jahre an dem wissenschaftlich bereits überholten Konzept des Äthers festgehalten, das diejenigen Naturphänomene erklären sollte, deren Unerklärbarkeit die "Krise der Physik" um die Jahrhundertwende ausgelöst hatte. Statt der Mehrheit der Physiker zur Quantenphysik und zur Relativitätstheorie als den besten neuen Erklärungen zu folgen, feindete Lenard die Relativitätstheorie als "jüdisch" an, weil sie von Einstein aufgestellt worden war, und setzte ihr eine Weiterentwicklung des alten Äther-Konzeptes entgegen, das als rein "arisch" ausgegeben wurde.

Das alte Äther-Konzept wurde von Descartes vertreten, der hiermit einen ganzheitlichen Aspekt in den Mechanizismus einbrachte. (Die Bedeutung dieser Tatsache hat Capra in seinem ideologischen, blinden Kampf gegen Descartes und den "Cartesianismus" gar nicht verstanden.) Der als materiell betrachtete Äther sollte auf mechanische Weise - wie das Meerwasser die Küsten - alles mit allem im Weltall verbinden. Er war als das Medium gedacht, das die Wirkung des einen auf das andere vermittele. Das materialistische Äther-Konzept wurde am Ende des neunzehnten Jahrhunderts unter dem Eindruck der Arbeiten von Michael Faraday und Clark Maxwell, die die alte Äther-Hypothese zunehmend widerlegten, immer weiter idealistisch aufgelöst. Maxwell, den Lenard in den Himmel zu heben versucht, hatte hieran wesentlichen Anteil. Für Capra dient Maxwell ebenfalls als der zentrale und einzige Bezugspunkt innerhalb der Physik des neunzehnten Jahrhunderts, da er der erste gewesen sei, der "über die Newtonsche Mechanik hinausging. Das war der großartige Triumph der Physik des 19. Jahrhunderts." (256)

Chamberlain sah in Descartes einen "arischen" Organizisten, nachdem er den "Äther" bereits deutlich in eine pantheistische Richtung interpretiert und damit entmaterialisiert hatte. Lenard ging hierin noch wesentlich weiter. Am Ende seines vierbändigen Werks "Deutsche Physik", das unter dem besonderen Schutz einer Fraktion der Nazis mehrere Auflagen erlebte, vertrat Lenard als spezifisch "arische" Art, Physik zu betreiben, und gegen den breiten Strom der neueren, an Planck und Einstein anknüpfenden Theoriebildung ein umgeformtes Äther-Konzept, das sich jedoch kaum noch von den pantheistischen Ansätzen z. B. bei Capra unterscheidet. (257)

Ernst Krieck hat in seinem Buch "Leben als Prinzip der Weltanschauung und Problem der Wissenschaft" diesen Übergang zum pantheistischen Organizismus bei Lenard erkannt. Ein aus der materiellen Welt gänzlich herausgeholter "geistiger" Äther soll hier die Vermittlungs- und Lenkungsinstanz zwischen den materiellen Weltphänomenen sein, die anderswo die Namen "All-Leben" oder "göttliches Prinzip" trägt und im wesentlichen mit dem pantheistisch verstandenen Transzendenten des New Age und des Neofaschismus übereinstimmt. Die Vorstellung des "Äthers", so Chamberlain in den "Grundlagen", sei "altes indisches Erbgut". (258)

Der Chef des "Thule-Seminars" Pierre Krebs greift - ohne Chamberlain zu nennen - auf die alten Ansätze direkt zurück, wenn er 1988 in dem Buch "Mut zur Identität" den Autor der neurechten französischen Zeitschrift "Nouvelle Ecole" Patrick Trousson zitiert: Trousson hatte im Winter-Heft 1985/86 der von Benoist herausgebrachten "Nouvelle Ecole" die Weltvorstellungen der Physik untersucht. Dabei hatte er die französische "Nouvelle Droite" auf Capra und den heutigen Anhänger der Äther-Hypothese Lucien Romani aufmerksam gemacht. Die "bootstrap"-Theorie Geoffrey Chews aus den sechziger Jahren, die wir in Capras "Wendezeit" als "neuphysikalische" Grundlage des "Neuen Weltbildes" finden, hatte Trousson in einem Atemzug mit dem "Äther"-Konzept genannt. Trousson sah diesen "Äther" - wie Chamberlain und wie Capra beim "bootstrap" - als Möglichkeit, ein idealistisches Weltbild zu fundieren. Dabei löste er nicht nur die Materie in Nichts auf, sondern er leitete - wie praktisch - zugleich auch die antidemokratische "organische Gemeinschaft" ab.

Der Streit zwischen der hegemonial gewordenen neueren Physik und wissenschaftlichen Fossilien wie Philipp Lenard in den zwanziger und dreißiger Jahren war in dieser Hinsicht einer um Worte. Der nachdrängende naturwissenschaftliche Nachwuchs verstand Lenard nicht oder wollte ihn - sicher auch aus Gründen wissenschaftlicher Konkurrenz - in die Ecke veralteter Theorien stellen, was dieser durch sein ungeschicktes Vorgehen selbst verschuldete. Die pantheistischen Vorstellungen aber, die heute von Physiker-Ideologen auf der Basis der Aussagen dieses damaligen Nachwuchses propagiert werden, sind nur ein Neuaufguß des Nothelfers "Gott", nach dem die Physiker auch in der Vergangenheit griffen, um das noch Unerklärbare zu erklären. Während des neunzehnten Jahrhunderts - der Zeit der unumschränkten Vorherrschaft des bürgerlichen Materialismus in den Naturwissenschaften - wurde dieser Nothelfer lediglich in dem materialistischen Konzept des "Äthers" ausdrückt, dessen materielle Nichtexistenz noch nicht beweisbar war. Seine materielle Existenz als eine Art Ersatzgott konnte daher so lange ungestraft postuliert werden, bis sein Hinüberziehen in den ideellen Bereich aufgrund seiner materiellen Nichtnachweisbarkeit nötig wurde.

Auch der schon idealistisch-spirituell gemeinte Äther-Begriff wurde schließlich aufgegeben, aber der erneute Griff nach dem Transzendenten durch einige Physiker-Ideologen geschieht prinzipiell - wenn auch in neuer Form - nach dem Äther-Konzept, wie es sich am Ende seiner Karriere beim "deutschen Physiker" Lenard abzeichnete. Während dieser sich niemals damit abfinden konnte, daß auf den Ergebnissen des Juden Einstein "arische" Weltanschauung entstehen sollte, ist der Neofaschismus - aufgrund der Entwicklung der Physik gezwungenermaßen - hiervon abgegangen. Einstein wurde als angeblich unverzichtbarer Steinbruch des Organizismus von Hunke "rehabilitiert" und für eine Weltanschauung reklamiert, die damals "arisch" hieß und heute von ihr "europäisch" genannt wird. Es ist der nordische Mythos. Wollten sich Capra oder Hunke heute offen auf Lenards oder Chamberlains Äther-Konzept stützen, sie würden nur verlacht werden, weil es - meist mißverstanden - als mechanistisch gilt, obwohl es bereits pantheistisch-ganzheitlich zu verstehen war. Die Respiritualisierung auch der akademischen Physik erspart ihnen diese Peinlichkeit, denn auf der Basis einer ideologischen Verfälschung von Lenards Gegenspieler Einstein oder auf der Basis der ideologischen Schriften Heisenbergs ist der offene Rückgriff auf den Äther-Begriff verzichtbar geworden. (259)

Deutlicher noch als bei Weizsäcker zeigt sich die Ideologisierung von Naturwissenschaft bei Jakob von Uexküll. Der heute so viel gerühmte Erfinder des Umweltgedankens, auf den sich New Ager wie Hubertus Mynarek ebenso gern berufen wie die "Neue Rechte", war ein eifriger Antisemit und Hetzer gegen alles Demokratische. 1920 brachte er seine "Staatsbiologie" heraus, in der er organizistisch den Aufbau des Staates nach dem Bild der biologischen Organismen propagierte und gegen jeden emanzipatorischen Fortschritt zu Felde zog. Insbesondere die streikbereite Arbeiterschaft der zwanziger Jahre war ihm verhaßt. 1928 veröffentliche Uexküll in dem Buch "Natur und Leben" posthum einige Schriften seines "verehrten Freundes" Houston Stewart Chamberlain, die dieser zum Gestaltbegriff geschrieben hatte. Chamberlain stand in engem brieflichen Kontakt mit Emma von Ehrenfels, der Ehefrau des Schöpfers des Gestalt-Begriffs, Christian von Ehrenfels. Es wird in der Gestalttheorie gerne verschwiegen, daß Ehrenfels ein glühender österreichischer Antisemit und Rechtsextremist war, der dessen ungeachtet bis heute einen hervorragenden Ruf genießt. Uexküll schrieb im Vorwort zu diesem Chamberlain-Buch: "Ich bin aber überzeugt, daß auch die modernen Gestaltstheoretiker, obgleich sie mehr psychologisch als biologisch eingestellt sind, mit Freude die ihnen hier gebotene Neubegründung ihrer Wissenschaft begrüßen werden, um auf den von Chamberlain errichteten Fundamenten weiter zu bauen." (260)

Wie bei den Physikern wird auch in Chamberlains "Natur und Leben" die "Planmäßigkeit der Natur" vergöttlicht. Aus ihr werden die Gestaltgesetze abgeleitet, die auch die menschliche Gesellschaft bestimmen sollen. Wie bei Mynareks und Capras göttlichem Naturplan heute ist eine affirmative Bewunderung dieser "Planmäßigkeit" das Gebot: "Gestalt ist angeschaute Planmäßigkeit." Hierin sieht sich Chamberlain mit "einem der genialsten unserer Biologen der Gegenwart" eins: Er meint Jakob v. Uexküll. Das Buch ist eine Sammlung früher "New Age"-Texte Chamberlains, in dem alle zentralen Positionen des "Neuen Denkens" behandelt werden, von der Kritik am "Kausalitätswahn" der Naturwissenschaften über ein Oberflächenphänomen des New Age wie Kristallmystik (Kristalle als Ausdruck von "Gestalt") bis zu Capras pantheistischem Konzept der "Selbstorganisations-Dynamik des gesamten Kosmos" als neue Form von "Gott", das bei Chamberlain als "innewohnender aktiv eingreifender Faktor" und "allen Wesen gemeinsame, ewig beharrliche Gestaltungskraft" benannt wird; sie begründe nach der indischen Philosophie "die Verwandtschaft alles Lebenden miteinander (Tat-twam-asi)." Als wär's ein Text aus den 80er Jahren, kann Uexküll 1928 eine Schlußfolgerung Chamberlains aus dem Jahres 1896 drucken: "Die Politik (und Soziologie) reagiert endlich gegen den Fortschrittswahn, sowie auch gegen die Schreckvorstellung des Verfalls und lernt einsehen, daß, bei aller nötigen Elastizität, die Beharrlichkeit das große, von der ganzen Natur uns gelehrte Prinzip ist." (261)

Chamberlain entwickelt hier sein pantheistisches Verständnis von Descartes' Äther-Konzept als dem Mittler zur kosmischen Ganzheit, das - idealistisch gewendet - letztlich die kosmische Energie überhaupt, die Lebensenergie oder Gestaltungskraft darstellen soll, die im New Age den Inhalt des Gotteskonzepts bildet. "Äther" wird zur "Grundmythe aller Wissenschaft der Kräfte". Wenn Chamberlain dann den "Elektromagnetismus" als "Seele des Äthers" anführt, kann man New Age-Phänomene wie Okkultismus oder Parapsychologie leicht anbinden, die zur Jahrhundertwende bis in die zwanziger Jahre Modeerscheinungen in den Mittelschichten waren. Uexküll gräbt Schriften Chamberlains aus, in denen dieser ein "kosmisches Weltbild", in dem nicht nur alles mit allem zusammenhängt und dieser Zusammenhang ein pantheistischer ist, sondern in dem der Kosmos politisch instrumentalisiert wird. Unter der Überschrift "Die Wissenschaft des Weltalls" läßt sich Chamberlain über Astronomie aus und fordert: "Ja, hineinwachsen soll der Mensch in das ihn umgebende Weltall, er soll den bestirnten Himmel über ihm als seine Heimat erkennen, voll Vertrauen, daß er ihre Geheimnisse wird enträtseln können, gehört er doch organisch zu ihr und ist ihren gigantischen Verhältnissen gewachsen. Der große Gedanke der Solidarität zwischen dem moralischen Gesetz in uns und dem uns umgebenden Weltall, indem jeder von beiden gleichsam die Bürgschaft für die Realität, d. h. die Wirklichkeit des anderen übernimmt, ist wohl wert, in erster Reihe hervorgehoben zu werden." (262)

Die "Enträtselung" der kosmischen "Geheimnisse" geschieht vor allem mystisch. Der faustische Mensch, der "voll Vertrauen" heroisch-realistisch seinen moralisch vom Kosmos bestimmten Weg geht, ist hier das deutliche Ziel. Im Sinne von Bahro und Langhans, die heute "Hitler erlösen" möchten, um zu dem zu gelangen, was dieser angeblich wirklich wollte, schrieb Chamberlain 1923 - kurz vor dem mißglückten Feldherrnhallen-Putsch der NSDAP - an Hitler: "Sie haben Gewaltiges zu leisten vor sich, aber trotz ihrer Willenskraft halte ich Sie nicht für einen Gewaltmenschen. Sie kennen Goethes Unterschied von Gewalt und Gewalt! Es gibt eine Gewalt, die aus dem Chaos stammt und zu Chaos führt, und es gibt eine Gewalt, deren Wesen es ist, Kosmos zu gestalten, und von dieser sagte er: 'Sie bildet regelnd jegliche Gestalt - und selbst im Großen ist sie nicht Gewalt.' In solchem kosmosbildenden Sinne meine ich es, wenn ich Sie zu den aufbauenden, nicht zu den gewaltsamen Menschen gezählt wissen will." (263)

Von der Kraft, die aus dem pantheistischen Äther des Kosmos kommt (bzw. mit diesem identisch ist), die Welt zur "Gestalt" formt und das moralische Gesetz - also die gesellschaftlichen Lebensumstände der Menschen - nach dieser "Gestalt" bestimmen soll, sieht Chamberlain Hitler durchdrungen. Nun, heute sind wir klüger: Offenbar hatte Hitler dann doch wohl die "falsche" Gewalt gewählt! Bahro und Langhans möchten nichtsdestotrotz einen neuen Versuch von demselben Startpunkt aus wagen. Gerd-Klaus Kaltenbrunner, der moderne konservative Revolutionär mit der Spürnase für antidemokratisch nutzbare spirituelle Entwicklungs- und Traditionslinien, hat über die Jahrzehnte mehrfach auf die Bedeutung Chamberlains hingewiesen und aufgefordert, ihn in dem Sinne zu lesen, wie er im New Age - ohne daß man ihn dort kennt - nachgeäfft wird.

Jakob von Uexkülls Enkel Jakob von Uexküll, in den achtziger Jahren Europaabgeordneter der Grünen, stiftete aus einer Erbschaft des baltischen Uexküll-Adelsgeschlechts den "Alternativen Nobelpreis", den so illustre heimliche Organizisten wie Hans-Peter Dürr oder Robert Jungk verliehen bekamen. Der Enkel, im Öko-Bereich bestens angesehen, blieb der Familientradition treu. So publizierte er in der nationalrevolutionären Zeitschrift "Neue Politik" des früheren hohen Hitler-Jugend-Funktionärs und Mitarbeiters des Nazi-Blattes "Völkischer Beobachter", Wolf Schenke. Bei Schenke liefen dem bis zu seinem Tode Mitte der achtziger Jahre die Fäden des nationalrevolutionären Flügels des Neofaschismus um die Nachfolger Ernst Niekischs und Otto Strassers zusammen. In der "Neuen Politik" schrieben neben Uexküll Junior in den letzten zwanzig Jahren zahlreiche neuheidnische Nationalrevolutionäre, die das Comeback der völkisch-spirituellen Ansätze in den "neuen sozialen Bewegungen" betrieben. (264)

Im Jahre 1992 hatte der Uexküll-Enkel über uns unbekannte Wege von der Arbeit an dem vorliegenden Buch erfahren und schrieb mit Briefkopf der "Right Livelehood Award"-Stiftung des "Alternativen Nobelpreises" an den Verfasser folgenden Brief: "Sehr geehrter Herr Kratz! Zu meinem Erstaunen erfahre ich, daß Sie meinen Großvater, den Biologen Jakob v. Uexküll, in verschiedenen Schriften mit faschistischem Gedankengut in Verbindung bringen. Eine solche Schlußfolgerung kann nur auf Fehlinformationen oder Mißverständnissen beruhen. Es waren Darwin und seine Nachfolger, die mit ihrer falschen Naturlehre des Kampfes aller gegen alle und des "survival of the fittest" die Rechtfertigung lieferten für Kapitalismus (Konkurrenz um jeden Preis) und 'Herrenrassen'. ... Mein Großvater hat die darwinistische Irrlehre immer abgelehnt und wurde deswegen oft schikaniert. ... Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Ihre Veröffentlichungen in Zukunft entsprechend korrigieren - besonders da ich öfters mit meinem Großvater verwechselt werde. Mit freundlichen Grüßen Jakob v. Uexküll."

Der Brief ist alleine schon deshalb bemerkenswert, weil auch der Uexküll-Enkel - trotz seiner früheren Arbeit für die Partei "Die Grünen" - selbst Verbindungen zum Neofaschismus hat: Im März 1991 luden die "Deutschen Unitarier" zu einem Seminar ein, bei dem Henning Eichberg und "Jakob von Uexküll (Stifter des alternativen Nobelpreises)" als Referenten angekündigt waren. (265)

Eine weitere geistige Traditionslinie des "ganzheitlichen" Organizismus und des Relativismus führt mitten in die südafrikanische Apartheid, zum Schöpfer des von Capra geliebten New Age-Begriffs "Holismus": Jan Christiaan Smuts, ein Verfechter der Rassentrennung, den Marilyn Ferguson explizit als New Ager nennt. Als Buren-General ein "Arier", zweifacher Regierungschef Südafrikas, nahm Smuts im Ersten Weltkrieg dem Deutschen Kaiserreich im Auftrag des britischen Imperialismus die namibische Kolonie "Deutsch-Südwest-Afrika" ab. Sein Buch "Holism and Evolution" von 1926 muß als der Vorläufer von Capras "Wendezeit" schlechthin angesehen werden: mit denselben physikalischen, psychosomatischen, humanistisch-psychologischen Bezügen wie bei Capra, teilweise nur mit anderen Begriffen. Das Buch, in dem die ganzheitliche Weltsicht bereits unter expliziter Ideologisierung der Arbeiten Einsteins und der Quantenphysik Heisenbergs als Alternative zu den christlichen Religionen entwickelt wird, war einer Fraktion der Nazis ideologisch so wertvoll, daß es trotz der offensichtlichen Nachteile seines Autors als Freund der Briten 1938 auf deutsch in Berlin erscheinen konnte. Möglicherweise war es der Krieck-Kreis, der die Drucklegung durchsetzte, denn er predigte 1942 in "Volk im Werden" durch Wolfgang Metzger auch die Gestaltpsychologie als die wahre deutsche und faschistische Psychologie und Weltanschauung, auf die sich Smuts bereits positiv bezog. Das Geleitwort zur deutschen Ausgabe "Die holistische Welt", das der bekannte Ökologe Adolf Meyer-Abich im "Deutsch-Dominikanischen Tropenforschungsinstitut" der Dominikanischen Republik unter dem faschistischen Diktator und Hitler-Unterstützer Trujillo schrieb, ist angefüllt mit peinlich-platten Anwürfen gegen den Liberalismus der Aufklärung und der Französischen Revolution und den Marxismus als "die offiziell allein geduldete Philosophie des bolschewistischen und atheistischen Rußland". Mayer-Abich bezieht sich hier auch auf Jakob von Uexküll und Houston Stewart Chamberlain. (266)

Bereits der Smuts-Biograph Crafford hebt 1945 die Verbindungen zwischen den "Ganzheits"-Vorstellungen des Smutsschen Holismus und seinen politischen Zielen eines "gestalthaften" britischen Empire hervor, in dem die ehemaligen britischen Kolonien Teile des Ganzen sein sollen: Der Gedanke der Ganzheit habe Smuts nicht nur in der Biologie fasziniert, sondern wäre die große Antriebskraft seiner politischen Bestrebungen zugunsten des britischen Imperialismus und der Unterdrückung der schwarzen Mehrheit Südafrikas durch Rassentrennung und offene Sklaverei (serfdom) gewesen, während er den Sozialismus immer verflucht (anathematized) habe. Darüber hinaus wollte er ganz Afrika für das britische Kapital "zivilisieren". Stevens betont in seiner Untersuchung "Weizman and Smuts. A Study in Zionist-South African Cooperation", daß Smuts es als "unehrenhaft" ansah, "weißes und schwarzes Blut zu vermischen." Er habe den Wert der weißen Zivilisation als ausreichenden Grund für die Abwehr einer Schwarzen-Befreiung ausgegeben. Smuts war ein Anhänger der Homeland-Rassentrennung, die er mit den berüchtigten Paßgesetzen und auch mit offener Gewalt der Militärpolizei durchsetzte. Wo "Ganzheit" als Gefüge von Ungleichen verstanden wird, da ist Apartheid die logische Folge. (267)

Lenin irrte sich leider, als er 1909 in "Materialismus und Empiriokritizismus" den "Physikalischen Idealismus" als ein letztes Aufbäumen reaktionärer Ideologie gegen die Macht der Massen beschrieb, als ein Strohfeuer, dem der dialektische Materialismus als einziger legitimer Erbe des mangelhaften bürgerlichen Materialismus der Naturwissenschaften ein Ende setzen würde. "Das Wesen der Krise der modernen Physik besteht in der Umwälzung der alten Gesetze und Grundprinzipien, in der Preisgabe der objektiven Realität außerhalb des Bewußtseins, d. h. in der Ersetzung des Materialismus durch Idealismus und Agnostizismus", so Lenin in einer sehr aktuell klingenden Zustandsbeschreibung. Doch der von ihm gesehene Ausgang der Krise trat nicht ein: "Die moderne Physik liegt in Geburtswehen. Sie ist dabei, den dialektischen Materialismus zu gebären. Die Entbindung verläuft schmerzhaft. Außer dem lebendigen und lebensfähigen Wesen kommen unvermeidlich noch gewisse tote Produkte, einige Abfälle zum Vorschein, die in die Kehrichtgrube gehören. Zu diesen Abfällen gehört auch der ganze physikalische Idealismus."

Die biologistische Metapher Lenins war auch inhaltlich falsch: Die Krise gebar das "Neue Denken" als neue Waffe der Herrschenden, die "Abfälle" gewannen ideologisch die Oberhand. Weder konnte Lenin den Sieg des völkisch-religiösen, pantheistischen Organizismus als brauchbarste Ideologie für die faustischen Modernisierer-Faschisten vorhersehen, noch dessen logisches Einmünden in den Komplex Auschwitz, noch die für solche Folgen blinden aktuellen Wiederbelebungsversuche. Allerdings hätten Nachfolgende hier schlauer sein können, erst recht die "68er", die doch Lukács gelesen hatten.

Die Attraktivität des Mystizismus und vor allem ihre Gründe sind der rationalen Linken nach wie vor ein Buch mit (zahlenmystisch) sieben Siegeln. Der zu Lenins Zeiten auf der "Rechten" diskutierte Ausweg kommt uns aktuell vor. Lenin zitiert den "Psychologisten" Abel Rey, der heute als New Ager durchginge: "Man muß der subjektiven Intuition, dem mystischen Gefühl der Realität, mit einem Wort, dem Geheimnisvollen, alles zurückgeben, was man ihm durch die Wissenschaft entrissen zu haben glaubte." "Die antiintellektualistische Strömung der letzten Jahre" in Frankreich - dem Frankreich der Dreyfus-Affäre und der "Action francaise" - sei bestrebt gewesen, sich auf den "allgemeinen Geist der modernen Physik zu stützen." Hier ist von der Zeit der Jahrhundertwende die Rede. (268)

Weite Teile der Linken scheinen den Anschluß an ihre eigene Tradition verloren zu haben. Sie wenden sich bereitwillig dem Mystizismus eines Meister Eckhart oder eines Weizsäcker zu, ohne zu erkennen, daß solche Ideologen immer schon im Dienste des fortschrittlichen Teils der Herrschenden gestanden haben. Der fortschrittliche Teil der Herrschenden war aber durch die Jahrhunderte hindurch immer zugleich auch der für einen Sieg der Massen in den gesellschaftlichen Kämpfen gefährlichste Teil. Er bedurfte deshalb immer der besonderen Aufmerksamkeit. Doch die muß erst wiedergefunden werden. Die Linke seit "1968" war stark genug, den Neopositivismus zu bekämpfen, aber zu schwach, um an seine Stelle - als Negation in Hegels Sinn - den dialektischen Materialismus zu setzen. Im Ergebnis wurde eine erneute "Zerstörung der Vernunft" erreicht - in einer seltsamen Koalition von Adorno bis Bahro - statt die Vernunft über die positivistischen Beschränkungen hinaus weiterzuentwickeln. Der Schritt wurde nicht nach vorne gemacht sondern nach hinten, zurück Richtung Mittelalter. Viele Linke sehen daran vorbei und verstehen deshalb nicht, weshalb das New Age ihr Todfeind ist, aber niemals ein Verbündeter gegen die "Verdinglichung" der Welt, oder besser: gegen ihre Verdinglicher. Die peinliche Frage lautet: War der Anti-Neopositivismus der "68er" eine Stärke der Linken oder nur ein Ausfluß noch der Ideologie der Nazi-Eltern, gegen die die Studentenbewegung zu rebellieren vorgab, aber deren Kind sie dennoch war? Oder beides, tatsächlich die Koalition Adorno/Bahro? Beruht auf diesem "Beides" möglicherweise der Erfolg der nationalrevolutionären Strategie in der Linken der achtziger Jahre, nachdem sich große Teile der "68er" mit ihren oftmals bereits verstorbenen Eltern innerlich ausgesöhnt haben?

Dritte These:
Gemeinsam für das organisch-kosmische Weltbild

Das kosmische Weltbild des modernen Organizismus ist auf die Tat gerichtet. Es dient nicht einem Hinausfliehen aus der Welt, einem Passivbleiben gegenüber der Welt, sondern im Gegenteil einer menschlichen Herrschaft über die Welt, wie es sie bisher nicht gegeben hat. Für Faschismus und New Age trifft dies in derselben Weise zu, auch wenn beide Weltanschauungen ursprünglich aus romantizistisch- zivilisationskritischen Zeitströmungen entstanden sein mögen. Das Zusammenbringen des organizistischen Konzeptes natürlich-kosmischer Ganzheit/Gestalt mit der pantheistischen Vergöttlichung der Welt, des Weltgeschehens, bis hin zur Selbstvergöttlichung derer, die meditativ das Göttliche in sich zu entdecken in der Lage sein wollen, mündet im faustischen Menschen, im "Heroischen Realismus" der Konservativen Revolution. er ist auf die Tat gegenüber der Welt gerichtet, auf das ethisch uneingeschränkte Sichuntertanmachen der Erde. Die Konsequenz des kosmischen Weltbildes ist das Gegenteil von dem, was sich naive New Ager in ihrer kindlichen Indianerromantik und Liebe zur Natur vorstellen mögen. Auch die Konsequenz des historischen Faschismus - die umfassende, ethisch unbeschränkte Modernisierung der Gesellschaft nach dem Maßstab des herrschenden Kapitals - war das Gegenteil von dem, was sich naive Anhänger der völkischen Bewegung und Ideologen von "Blut und Boden" dachten. (269)

Doch zur Absicherung der Tat braucht es die Einbindung sowohl der Tätigen als auch derer, mit, über und gegen die gehandelt werden soll. Ein inneres "Yin und Yang" von New Age und Faschismus sind der Heroische Realismus des faustischen Elite-Menschen, des Herrenmenschen, und seine Entsprechung: die organizistische Einbindung der Massen als den Beherrschten. Diese Einheit in der Vielheit ist der Sinn des Organizismus.

Die Begriffe "Ganzheit" und "Gestalt", die fast immer denselben Inhalt haben, und ihre Verbindung mit einer übernatürlichen Wesenheit, einem "Göttlichen", bilden die Grundlage des modernen Organizismus. Die übernatürliche Wesenheit stellt die Einheit des Universums her bzw. ist selbst schon diese Einheit, die Einheit in der Vielheit des Kosmos ist Ausdruck des derart verstandenen Transzendenten. Maria Wölflingseder behandelt diesen Aspekt 1991 in ihrer Dissertation über Capra als idealistischen Gegenspieler Paulo Freires, ohne jedoch die Relevanz dessen als Grundlage einer Ideologie der Tat zu begreifen: "Als wichtigstes Merkmal der östlichen Weltanschauung, als ihre Essenz, bezeichnet Capra das Gewahrsein der Einheit und die gegenseitige Beziehung aller Dinge und Ereignisse, die Erfahrung aller Phänomene in der Welt als Manifestation der gleichen letzten Wirklichkeit", "die innere Vernetzung und gegenseitige Abhängigkeit aller Phänomene des Universums - das wiederum bedeutet Ganzheitlichkeit." (270)

Das mechanistische Weltbild wird auch von der Linken als unzureichend angesehen und wurde im dialektischen Materialismus kritisiert, durch Negation aufgehoben. Der Kampf gegen das mechanistische Weltbild durch den Organizismus ist dagegen jedoch reaktionär, weil eine spirituelle, transzendente Ganzheit postuliert wird, die zu einer Entsubjektivierung der Massen und zu einer Rechtfertigung von angeblich natürlicher Ungleichheit innerhalb der "Gestalt" führt. Die Kritik des mechanistischen Weltbildes mit dem Ziel, dem Organizismus voran zu helfen, ist ein altes Thema faschistischer Ideologie, das von Anfang an hinter naturmystischem Gerede eine politische Zielrichtung gegen die Demokratie hatte. Hinter dem Kampf gegen den "Atomismus" verbarg sich seit dem letzten Viertel des neunzehnten Jahrhunderts ein Kampf für das "Recht auf Ungleichheit", wie es bei der heutigen "Neuen Rechten" heißt, für einen Elite- und Führerstaat. Der Atomismus zerlege die Wirklichkeit in lauter kleine gleiche Teile, die dann mechanistisch aufsummiert werden sollten - so der Vorwurf -, während ganzheitlich-organisches Denken die Wirklichkeit als gewachsene Gestalt, als Gefüge von ungleichen Elementen, ansehe. "Gleichheit ist Tod, Gliederung ist Leben", schrieb schon Julius Langbehn in seinem berühmten Buch "Rembrandt als Erzieher". Langbehn war neben Lagarde einer der Führer der deutsch-völkischen Religiösität. (271)

Paul de Lagarde fand für die bürgerliche Demokratie das Wort "Unstaat", bezeichnete ihn mit Novalis als "Maschine", dem die Innerlichkeit fehle und der ein bloßes "Stimmviehgetriebe" sei. Schon 1853 schrieb Lagarde vom "‚tat machine, nation machine", von "einem ungeheuren Räderwerke, das grausam ist, weil jede Maschine grausam ist." Lagardes Schriften wurden von dem Verleger Eugen Diederichs herausgebracht, der selbst zur völkisch-religiösen Bewegung zählte und auch Schriften von Hermann Wirth und dem obersten Nazi-Rassisten Hans F. K. Günther herausbrachte (vgl. Lutzhöft 1971, S. 219). Heute veröffentlicht der Diederichs-Verlag zahlreiche New Age-Schriften und -Buchreihen. Mendlewitsch hebt in ihrer Analyse der Ideologie Lagardes deren "holistischen" Charakter hervor und resümiert: "Die Vorstellung des Ganzen mit seinen inneren Beziehungen als organische Struktur weist diesem einen natürlichen und damit ... 'wahren' Status zu, der nicht angreifbar ist." (272)

Lagarde schrieb 1878 in seinem Buch "Die religion der zukunft" über die Selbstvergöttlichung der Deutschen und das daraus entstehende organische Deutsche Reich: "je mehr einzelne Deutsche ... sich zu bilden, das heißt, das in ihnen durch geburt und anlage materiale schlummernde gottesbild herauszuarbeiten bemüht sind, desto klarer wird uns unser wesen werden." Mendlewitsch sieht Lagardes Selbstvergöttlichung des Deutschen "als Verknüpfung seiner biologistisch-organizistischen Volksvorstellung mit der religiös-geschichtsspekulativen Überhöhung der deutschen Bestimmung." Dies entspricht z. B. dem pantheistischen Gottesstaat Mynareks, in dem "öko-religiöse" Menschen als die selbst berufenen - weil selbst göttlichen - Verwirklicher des göttlichen Evolutionsplanes agieren. Nach Lagarde soll dem spirituellen "inneren Reich" das äußere Reich folgen, die Bildung einer deutschen Nation als Gestalt, die für ihn Ausdruck göttlichen Willens war, der in den Deutschen und durch ihre Tat der Reichsgründung sich verwirkliche. Parallel dazu entwickelt Mynarek seine Gottesstaats-Vorstellungen. Mendlewitsch charakterisiert Lagarde so, als sei der heute gängige Organizismus des New Age gemeint: "Die Selbstüberhebung läuft auf eine Selbstvergöttlichung hinaus, die nur über die Nation als Ganzes erzielt wird; d. h. eine Verweigerung gegenüber der Nation oder Selbstvergöttlichung ist schon ein Angriff auf Gott selbst. Die göttliche Existenz legitimiert alles, sie gibt genau vor, was zu tun ist und verspricht in der totalen Symbiose aller miteinander und mit Gott die immerwährende Überlegenheit über alle anderen, das ewige Leben und die gänzliche Auflösung aller Dissonanzen." Wenn im New Age die Einheit mit dem harmonischen Kosmos angestrebt wird durch meditatives Erlebnis des Göttlichen im Selbst, so ist dies parallel zu Lagardes Vergöttlichung des Deutschen über das Sich-Eingliedern in die Nation. Lagarde fordert mit mörderischer Schärfe die Vernichtung derer, die sich nicht einfügen in das Ganze der Nation. Der New Ager Mynarek spricht von "Irrläufern der Evolution", die dann wohl zumindest im pantheistischen Naturgesetz des Kampfes ums Dasein der Vernichtung anheim fallen sollen. (273)

Anti-atomistisches und ganzheitliches Denken waren in den zwanziger Jahren - der Zeit der konservativen Feindschaft gegen die revolutionäre Bevölkerung, die sich nicht organisch eingliedern wollte - die Grundlage rechtsextremer Ideologie, ob bei Spengler, bei Ortega y Gasset oder Le Bon. Die Eliten fühlten sich von den Massen bedroht und wollten ihren Ansprüche auf Herrschaft und Teilhabe am materiellen Wohlstand eine Ideologie entgegensetzen, die half, Ungleichheit zu rechtfertigen und hierdurch die Massen von den Privilegien fernzuhalten. Moeller van den Brucks antimechanistische Kritik zitiert Fritz Stern aus Moellers Buch "Der preußische Stil": "Was fangen wir mit unseren Massen an? Wie retten wir die Natur vor der Maschine?". Ernst Krieck hetzte gegen "westliche Mechanistik" und setzt seine Hoffnung auf die "'Krise der Physik'", die ihr eigenes "Ende auf den Newtonschen Grundlagen herbeiführt." (274)

"Daher löst der Atomismus ... jede Gestalt auf, wogegen der Organizismus ... von der Tatsache der Gestalt ausgeht", schrieb Chamberlain in seinem "Kant"-Buch. Der Primat des Ganzen vor den Teilen zeigt sich bei ihm in Aussagen wie den folgenden: "Eine organische Auffassung der Lebensformen (würde) die Gestalt als das primäre hinstellen." "Das gesamte Leben der Erde (wäre) für sie ein organisches Ganzes, in welchem jeder Teil zu jedem Teile in Beziehung steht." "Es ist das Ganze, das das Verhalten der Teile bestimmt" - nein, dieses Zitat ist jetzt wieder von Capra, aus dem Nachwort zur revidierten Auflage seines "Tao der Physik" von 1991. Chamberlains "Natur und Leben" von 1928 ist eine einzige Kritik des mechanistischen Denkens, wie er sie auch in seinen anderen Werken als Kampf gegen den "atomistisch-mechanischen Standpunkt" betrieb. Sein idealistisches "Äther"-Konzept, das bei Chamberlain nur als ein anderes Wort für die übernatürliche Wesenheit erscheint, die das Ganze und die Gestalt ausmachen soll, ist Teil dieses Kampfes. Die Einheit des Lebens im Universum ist für Chamberlain "Gestalt". Das Gesetz des Lebens, das die Lebewesen - auch die Menschen in der Gesellschaft - bestimme, sei kosmischen Ursprungs, Rassen und Nationen seien "Gestalten" nach dem Willen dieses Gesetzes. (275)

"Nur dort kann von Gestalt die Rede sein" meint Uexküll in "Natur und Leben", "wo das Ganze aus verschiedenartigen Teilen zusammengesetzt ist", wo die Teile auf den Erhalt des Ganzen - nicht etwa den Erhalt ihrer selbst - bezogen seien. Die Ungleichheit wird hier biologistisch-kosmisch-pantheistisch begründet. Die Gestalt hat göttliche Qualität, wie die Ungleichheit ihrer Teile und der die Mehrheit der Gesellschaftsmitglieder benachteiligende Prozeß ihres Gefüges. "In sämtlichen Gestalten des Lebens" sieht Chamberlain - fast wortgleich mit Capra - "ein einheitliches Bildungsgesetz" am Werke, eine "allen Wesen gemeinsame, ewig beharrliche Gestaltungskraft." Sie begegnet und bei Capra als "Selbstorganisationskräfte", bei Mynarek als "Vernunft des Universums", das er als Gestalt verstanden haben möchte und dessen "Vernunft" der vergöttlichte Evolutionsplan sei. Die "Gleichsetzung von Natur und Vernunft", so Chamberlain (1921, S. 294), die "seit den ältesten Zeiten, von denen wir Nachricht besitzen, bis zum heutigen Tage herab eine so große Bedeutung für die Weltanschauung der Indoeuropäer besitzt", sei "der Urmythos aller Mythen." (276)

"Die Natur ist als uns entgegentretendes Phänomen die sinnliche Erscheinungsweise des Geistes, des Göttlichen", meint Mynarek für das New Age heute analog. Die Weltphänomene (natürliche und gesellschaftliche) sind ihm "Offenbarungen des biokosmischen Heiligen als Ganzem." Daß der New Ager Mynarek letztlich nichts anderes im Sinn hat als der NSDAP-Chefideologe Chamberlain - auch keinen anderen Rassismus -, zeigt seine gleichartige Bewunderung für die Religionen archaischer Naturvölker, die "Natürlichkeit ihres ganzheitlichen Weltbildes", ihr "Bewußtsein und Überzeugtsein von der organischen Ganzheit Mensch-Natur" und ihre "mystische Partizipation" hieran, die keine zivilisierte Forderung nach Gleichheit aufkommen läßt. Denn, so zitiert er zustimmend einen Ethnologen: "Das, was wir das 'Ganze' und den 'Teil' nennen, sind für den Primitiven zwei Seiten ein und derselben Realität. Er unterscheidet z. B. nicht zwischen dem Volk oder Stamm und dem Einzelnen. Im Einzelnen erscheint gerade das Ganze, in den Nachkommen lebt der Stammvater." Allerdings ist Mynarek kein Ethnologe, der Epochen betrachtet, die die Menschheit überwunden hat. Ihm geht es vielmehr um den Versuch, das Überwundene zurückzuholen. Schon Chamberlain hatte bei Giordano Bruno das entdeckt, "was bei metaphysisch beanlagten, doch primitiven Völkern völlig naiv vorausgesetzt wird, weil selbst der Gedanke an die Möglichkeit einer Unterscheidung zwischen Welt und Mensch, zwischen Angeschautem und Gedachtem nicht aufkommt, und gar nicht verstanden werden könnte." Diese naturreligiös-mystische Verneinung des Unterschieds "zwischen Angeschautem und Gedachtem", also Natur und (menschlich-selbstvergöttlichtem) Geist entspricht der Auflösung des Unterschieds von Subjekt und Objekt des naturwissenschaftlichen Erkenntnisprozesses bei Carl Friedrich von Weizsäcker. (277)

Auch Jakob von Uexkülls Therapie gegen die Zivilisationskrankheiten der Moderne ist die Rückkehr zu den vorzivilisatorischen Mythen der Naturvölker, die damals der Rechtfertigung ihrer nicht-demokratischen Gesellschaften diente: "Die Überzeugung einer umfassenden Planmäßigkeit ist in jedem Wilden lebendig, der dauernd mit der lebendigen Natur verkehrt. Die Mythen der primitiven Völker", so v. Uexküll in seiner offen antidemokratischen "Staatsbiologie", "sind nichts anderes als der Versuch, diese überwältigende Macht dem Verständnis näherzubringen. Man kann daher die Göttermythen als die Wissenschaft von damals bezeichnen, während unsere Wissenschaft nichts anderes ist als der Mythus von heute." Und auch bei Capra lesen wir: "Vor 1500 Jahren betrachtete man in Europa und in den meisten anderen Zivilisationen die Welt organisch. Die Menschen lebten in kleinen, zusammenhängenden Gemeinschaften und erlebten die Natur als organische Beziehung, charakterisiert durch die wechselseitige Abhängigkeit der spirituellen und materiellen Phänomene und die Unterordnung der Bedürfnisse unter die der Gemeinschaft." Es war der angebliche "heile" Zustand vor der kritisierten und für alle Unbill verantwortlich gemachten "Newtonschen Weltmaschine". "Dieser Zustand änderte sich im 16. und 17. Jahrhundert radikal. Die Vorstellung von einem organischen, lebenden und spirituellen Universum wurde durch das Bild von der Welt als Maschine ersetzt." (278)

Dieser romantisierte, zum Paradies verklärte Zustand war nach Capras eigener Rechnung also tatsächlich die Zeit des fünften Jahrhunderts in Mitteleuropa: Die Zeit des Unterganges der Antike, die nach Chamberlain am rassischen "Völkerchaos" des Molochs "Rom" krankte; die Zeit der Völkerwanderung germanischer Stämme, die nach Chamberlain die erst einmal rettende Herrschaft antraten; und die Zeit des sich herausbildenden Feudalismus, der totalen Barbarei und des Rechts des Stärkeren auf den Schlachtfeldern Europas, hierin tatsächlich dem biotisch-"kosmischen" Regelungsprinzip entsprechend. Capra und die Faschisten beschreiben das angeblich vorbildhafte, noch nicht römisch-jüdisch-christianisierte, erst recht von jeder Demokratie unberührte, weitgehend heidnische Mittel- und Nordeuropa an der Wiege des Feudalismus identisch. Die Zeit, die hier beginnt, findet in der faschistischen Literatur ihren Höhepunkt in der Gotik, mit ihrer "Deutschen Mystik" und der deutschen Herrschaft über fast die gesamte die bekannte Welt. (279)

Der Begriff "Leben" spielt die zentrale Rolle in diesen Ganzheits- und Gestalt-Konzepten. Er ist ein weiteres Synonym für die übernatürliche Wesenheit. Aber nicht das Leben des einzelnen Individuums ist hier gemeint, sondern ein abstraktes Leben, Leben überhaupt als der Prozeß des Kosmos und seiner nachgeordneten Ganzheiten, von diesen vor allem Volk, Nation und Rasse, der fortbestehen muß, auch um den Preis des Lebens einzelner Individuen. Es ist bemerkenswert, mit welcher Gleichförmigkeit sich Chamberlain und Capra hier äußern. Für den faschistischen Ideologen erscheint "alles Leben" als "eine Gestalt": "Alles Gestaltete, Lebende (bildet) zusammen ein Ganzes." Chamberlain erfindet den "Satz von der Erhaltung der Gesamtgestalt des Lebens", wie Uexküll ihn nennt, der die "gegenseitige Interdependenz der Lebewesen" im Sinne des "Rechts auf Ungleichheit", der auf- und absteigenden Völker und Kulturen Spenglers, Moeller van den Brucks oder Toynbees ausdrücken soll: "Da - nach der Hypothese, - nur eine gewisse Summe 'Gestaltung' vorhanden ist, wenn sich an einem Orte ein Organismus zu größerer Komplikation entwickelt, so muß an einigen anderen Organismen eine Rückbildung stattfinden." Uexküll schreibt hier im Vorwort: "Alles, was lebt, hat Gestalt - Das Leben ist Gestalt." Capra ist in seinem zusammenfassenden Buch "Das neue Denken" der Ansicht, "daß nämlich Geist und Selbstorganisation nur verschiedene Aspekte ein und desselben Phänomens sind, des Phänomens Leben." In der "Wendezeit" hatte er die Selbstorganisation von Natur/Kosmos mit dem Begriff Gott gleichgesetzt und den bootstrap-Ansatz als "das Systembild des Lebens" bezeichnet. Die "Gaia-Hypothese", die auch von Capra oder Mynarek vertreten wird, ist nichts anderes als dieses Verständnis von "Leben": Der Planet Erde ist ein einziger Organismus, der überleben muß, auch wenn Individuen deshalb sterben. "Der Planet wimmelt nicht nur von Leben, sondern scheint selbst ein lebendes Wesen aus eigener Kraft zu sein." Dies ist zwar Unsinn, wenn man nur an die Sonnenkraft denkt, aber eine solche Meßlatte darf man an die Aussagen des Doktors der Philosophie Fritjof Capra wohl nicht anlegen. Chamberlain meint in seinem "Kant"-Buch, für den Organizismus wäre "das gesamte Leben der Erde .. ein organisiertes Ganzes, in welchem jeder Teil zu jedem Teile in Beziehung steht." (280)

Dieser abstrakte Lebens-Begriff entspricht dem der Lebensphilosophie, die für Capra, Mynarek oder Fromm explizit eine Wurzel des New Age ist. Er liegt auch der "Ökologischen Religion" Mynareks zugrunde, er ist der des Holismus von Smuts und letztlich das Verständnis des "Sein" in Erich Fromms "Haben oder Sein". Er ist inhaltlich identisch mit dem pantheistischen "All-Leben" der völkischen Sekten und Ernst Kriecks, das bei diesem als "deutsches Weltanschauungsprinzip", als "das ursprüngliche, tiefste und umfassendste Prinzip germanischen Weltanschauens" bezeichnet wird. Es gibt keinen Unterschied zu Capra, wenn Krieck unter der Überschrift "All-Leben und biogenetisches Grundgesetz" zustimmend den deutschen Organizisten Treviranus zitiert: "Alles, das Universum selber, besitzt Leben: denn wie ist es sonst erklärbar, daß in der Tätigkeit des Weltalls ... dennoch Gesetzmäßigkeit herrscht?" Er kommt zu dem Schluß: "'Lebenskraft' ist hier keineswegs wie bei den Vitalisten eine Kraft unter Kräften, eine zu den physikalischen und chemischen Kräften zusätzlich hinzutretende Sonderkraft. Vielmehr ist für Treviranus Lebenskraft gleich All-Kraft, gleich universale Kraft, also gleich dem All-Leben selbst, sofern dieses als Kraft wirkt und sich in den Lebenserscheinungen äußert." Diese Art von All-Kraft ist nichts anderes als die kosmische Kraft des New Age, zu der man angeblich mystisch-meditativ Verbindung aufbaut, mit der man meditierend eins wird. Krieck vertritt die Gaia-Hypothese, ohne diesen Ausdruck zu benutzen, wenn er schreibt: "Das Prinzip des Lebendigen in den Organismen stammt genau von dort, wo die Materie der Organismen beheimatet ist: aus der Erde, die das Leben selbst in sich trägt und die damit wiederum Glied des All, des Kosmos ist". (281)

Sigrid Hunke faßt 1969 in ihrem Buch "Europas andere Religion" dieses All-Göttliche zusammen, indem sie im Stile Chamberlains eine Galerie von Europäern für ihren Neofaschismus dienstbar zu machen versucht, die man allenthalben auch im New Age findet: "Ob sie mit Eckhart von Gottes Grund oder mit Teilhard vom Göttlichen Bereich, mit Böhme vom Ungrund oder der großen Tiefe überall, mit Shaftesbury vom göttlichen Weltgrund oder mit Anaximander vom Weltschoß und Urgrund, dem Unbegrenzten spricht, ob sie es mit Schleiermacher das Unendliche nennt oder mit Bruno die unendliche Allgegenwart, mit Heinrich von Berg das Allerwirklichste, mit Herder die Ur- und Allkraft, das tiefste Sein alles Seins, ob es bei Kant als alle Naturen durchwaltende Bestrebung auftritt, im Angelsächsischen als gewif, als das große Gewebe des Schicksalsteppichs, oder als Weltordnung oder Weltgesetz bei Heraklit und der Stoa, bei Goethe als das Eine, das sich vielfach offenbart, und bei den Unitariern als All-Einheit, ob er es als das Unerforschliche verehrt oder Szczesney (heute bei der Scientology-Church aktiv, P. K.) es als die unbegreifliche, aber von uns immer mitzudenkende und immer mit im Spiel befindliche Dimension bezeichnet, Henry More als die vierte Dimension, Rilke als Weltinnenraum, als Sein oder das Ganze, Nikolaus von Kues als aller Dinge Wesensgrund, Mittelpunkt und unendlicher Umfang und Friedrich Schöll (ein Vordenker der "Deutschen Unitarier", P. K.) als Wirkgrund aller Wirklichkeit, die beide eine ganzheitliche Wirkeinheit darstellen, die nur als Vollzug geschieht: sie alle, Stimmen aus tausend Generationen unseres Kontinents - wenn sie auch in dem Versuch, es hindeutend zu umschreiben, den Ton je verschieden setzen -, sie alle meinen dasselbe: Es gibt nur ein Sein. Nur eine Wirklichkeit. Und wir, in denen diese göttliche Wirklichkeit sich selber wirkt, erfassen gleichwohl mit unserem Verstand und unseren Sinnen niemals das Ganze." Capras Selbstorganisationskraft des Universums war 1969 noch nicht geschrieben, Lenards entmaterialisierter Äther nicht mehr zitierbar. Es ist im übrigen dieselbe "Ketzergeschichte", die auch schon Chamberlain 1899 mit denselben Namen als Grundlage der "germanischen Religion" beschwor. (282)

"Der mächtigste, alle anderen beeinflussende Vertreter des Prinzips All-Leben", schreibt Krieck, "ist Goethe mit seiner Lehre von der lebenden All-Natur", doch habe er leider "die bei ihm ursprünglich ebenso angelegte Anwendung von All-Leben auf die politisch-geschichtliche Wirklichkeit abgebrochen und in sich unterbunden." Das zu beheben, schickt sich in demselben Jahrgang 1942 von "Volk im Werden" auch Wolfgang Metzger an, der führende Nachkriegs-Vertreter der Gestalt-Psychologie in Deutschland. Metzger war in den dreißiger Jahren der Vertreter des emigrierten Max Wertheimer an der Universität Frankfurt und hierin, wie sich zeigt, ein Gewinnler der Judenverfolgung. Er beweist in seinem Artikel "Der Auftrag der Psychologie in der Auseinandersetzung mit dem Geist des Westens", daß es nicht den vielfach behaupteten Unterschied zwischen der angeblich "sauberen" Gestalt-Psychologie der emigrierten "Berliner Schule" - auf die man sich heute im New Age breit stützt (283) - und der offen nazi-kontaminierten "Ganzheitspsychologie" Felix Kruegers gibt. Metzger parallelisiert deutsche Politik dieser Zeit mit der akademischen Psychologie und stellt fest, daß sich beide zu den Gestalt-Prinzipien hin entwickelten. Er lehnt die parlamentarische Staatsform wegen ihres "atomistischen Prinzips" ab und will ihr "den Ganzheitsgedanken gegenüber(stellen)." Das Ganze sei "etwas anderes als die Summe seiner Teile, und keine seiner Eigenschaften kann einfach durch Zusammenrechnen der gleichartigen Eigenschaften sämtlicher Teile gefunden werden. Dies trifft insbesondere auch für den 'Willen des Ganzen' zu, für den der Wille ganz bestimmter Einzelner, die in dem Ganzen eine ausgezeichnete Funktion besitzen, vorwiegend oder allein ausschlaggebend werden kann."

Das "Ich will" ist die Zauberformel der heutigen Gestalttherapie nach Fritz Perls, die vor allem in den USA zur geistigen Modedroge des New Age und zahlreicher Konzern-Manager wurde. Lernziel in der Gestalttherapie ist es, die Fähigkeit zu entwickeln, sich einerseits führen zu lassen und andererseits egozentrisch zu sein, seine Interessen und Gefühle durchzusetzen. Das entspricht der "Un-Ethik" des faustischen Menschen. "Wir fragen in der Gestalttherapie niemals warum, wir fragen immer: wie?", schreibt Perls in seinem "Vermächtnis der Gestalttherapie". (284)

Der "Wille des Ganzen" als Politik

Der "Wille des Ganzen" entspricht offenbar gänzlich Capras Selbstorganisationsdynamik oder Mynareks naturgöttlichem Evolutionsplan, den der "ganz bestimmte Einzelne" nur mystisch erfahren kann. Auch an Dürrs "Experten"-Gurus der Quantenphysik und -philosophie läßt sich unschwer denken. Wenn der "Wille des Ganzen" unter Umständen sogar gegen den Willen der meisten Teile des Ganzen von dem einzigen Sehenden durchgesetzt werden muß, dann allerdings muß dieser Wille spiritualisiert und mystifiziert werden. Denn das, wogegen alle sinnlich wahrnehmbare Wirklichkeit und ihre praxisbewährten menschlich-vernünftigen Ableitungen so sehr stehen, daß sich eine Mehrheit dagegen findet, kann nur noch ihr zum Trotz als angeblich Mystisches behauptet werden. Capra meint: "Immer wenn das Wesen der Dinge vom Intellekt analysiert wird, erscheint es absurd und paradox. Die Mystiker haben das von jeher erkannt; für die Naturwissenschaften ist das jedoch erst seit kurzem ein Problem." Gemeint ist aber vor allem - wie beim Gestaltpsychologen Metzger - die Organisation der Gesellschaft. Und auch wenn Metzger das Wort Mystik nicht verwendet, so ist seine Empfehlung, wie man zum "Willen des Ganzen" kommt, doch nur als Hinweis auf die Mystik als Methode des Organizismus zu verstehen: "das Hinhorchen auf die tatsächlichen Bedürfnisse des Ganzen" wird empfohlen, "durch Hinhorchen auf das Wesen und auf die natürlichen Erfordernisse des hier und jetzt gegebenen Ganzen" sei der Weg zur "Ordnung" zu finden. Sie soll "Ordnung aus Freiheit" sein, freiwillige, selbstorganisierte Unterordnung der Teile unter den "Willen des Ganzen" nach mystisch-meditativer Einsicht in die vermeintlich kosmisch-natürlichen Notwendigkeiten.

Dieses "Hinhorchen" ist wieder einmal nichts anderes als das affirmative Verehren und Bewundern der Natur bei Mynarek, sein "offener, unverklemmter Blick auf die Natur", denn: "Die Natur, sowohl die leblose als auch die belebte, ist objektive Weisheit." Nur Erleuchtete sind nach Metzger befähigt, beim "Hinhorchen" das angeblich Richtige zu vernehmen: "Nicht jeder ist in gleichem Maße imstande, das Wesen und die Bedürfnisse des Ganzen zu vernehmen. Der Wille des Ganzen wird darum sinngemäß verkörpert durch diejenigen einzelnen (vielleicht u. U. durch denjenigen einzigen) Menschen, in welchem das Bild des Ganzen in seiner Weite und Fülle am lebendigsten und klarsten lebt, und der darum am besten sehen kann, was ihm Not tut. (285) Indem er diese Fähigkeit besitzt, ist er auch der Führer, ja in ganz besonderem Maß, 'Diener' des Ganzen." Das ist offenbar der "Volkskaiser", "Herzog" und "Fürst der ökologischen Wende" bei Bahro.

Metzger meint, den "Grundsatz der Gleichheit alles dessen, was Menschenantlitz trägt" bedenkend: "Wo das Gemeinwesen als wirkliches und echtes Ganzes und nicht mehr bloß als die Summe seiner Teile verstanden wird, da ist kein Platz mehr für die Annahme von der Beliebigkeit der Angehörigen." Er kritisiert den "fragwürdige(n) Versuch einer 'naturwissenschaftlichen' Weltdeutung durch Descartes, von dem im Weltbild der heutigen Physik so gut wie nichts übrig geblieben ist" und ruft als Alternative schon 1942 - ein paar Seiten nach dem Artikel Weizsäckers - "nicht weniger als ein neues Weltalter" aus: "Unsere Gegenüberstellung (von Gestalt-Psychologie und Nazi-Politik, P. K.) sollte darauf hinweisen, daß der politische Umsturz mit allen seinen Folgen gewissermaßen den Augenblick darstellt, wo die allgemeine geistige Umwälzung, die zum Anbruch des nächsten Weltalters führt, unter dem scheinbar ruhenden Boden so weit fortgeschritten ist, daß mit einem Mal in einem gewaltigen Beben Gebirge stürzen und sich neu auftürmen, Ströme ihr Bett verlassen, das Weltmeer über blühende Fluren hereinstürzt und neue Festländer, die Träger künftiger Frühlinge, aus seiner Tiefe emporsteigen." (286)

Überall im New Age finden sich Apokalypsen - vom Atomkrieg bis zur AIDS-Katastrophe - aus denen das neue Zeitalter durch diejenigen geschaffen werden soll, die bereits vor den Katastrophen das "Neue Zeitalter" untergründig "sehend" verfochten. Der "Neurechte" Pierre Krebs schreibt, sich auf einen Ober-New Ager berufend: "In 'Über Amerika' äußerte Hermann von Keyserling die Überzeugung, daß alles junge Leben in der Finsternis, im Chaos und in der Häßlichkeit reife. ... Das Zeitalter der Finsternis entspreche sozusagen der Schwangerschaftsphase." Und Mynarek meint: "Ökologische Religion heißt, das Absolute in der Natur (und ihren wunderbaren Lebensgesetzen) zu verehren; das Göttliche als greifbar kosmisches Phänomen sichtbar zu machen." Dabei faßt auch er, wie wir schon oben sahen, dieses "Absolute" politisch: "Ist doch Ökologische Religiösität jene grundlegende und umfassende Haltung, in der die sinnliche Außenwelt, die seelische Innenwelt und die (ideel) vollkommenste Struktur der menschlichen Gesellschaft immer schon keimhaft zur Harmonie gekommen sind."

Die Untersuchung Metzgers über Gestalt-Psychologie und NS-Politik, so resümiert der Bielefelder Psychologie-Professor W. Prinz, (287) "führt zu dem Ergebnis, daß beide Bewegungen nicht nur den gleichen Feind bekämpfen, sondern auch auf das gleiche Ziel hin orientiert sind." Die Zielperspektive läßt sich auch konkretisieren. Chamberlain nennt als Ganzheiten Gattung, Familie, Reich, später dann auch die Rasse; Capra nennt Familie, Stamm, Gesellschaft, Nation. Diese Ganzheiten sind bei beiden als Erscheinungen des Göttlichen gemeint, unterliegen also keinesfalls der Verfügung menschlicher Mehrheit. Mynarek findet "das Göttliche des eigenen Daseins oder der Sippe, des Stammes, des Volkes." Capra will "das Systembild des Lebens" ausdrücklich ebenfalls "auf die Beschreibung der gesellschaftlichen und kulturellen Evolution" ausgedehnt wissen und wendet biologische Ordnungsprinzipien auf soziale Phänomene an - mit den bekannten antidemokratischen Folgen, auch wenn er sich subjektiv als Teil der neuen Emanzipationsbewegungen verstehen mag. "Diese Anschauung ermöglicht es, die biologische, gesellschaftliche, kulturelle und kosmische Evolution aus demselben Modell der System-Dynamik zu begreifen", ein zentraler Gedanke auch bei Teilhard de Chardin. (287a)

Capra: "Das neue Weltbild betont die Verknüpftheit und gegenseitige Abhängigkeit aller Phänomene, und ist nicht auf ihre Teile beschränkt. Dieselben Ganzheitsaspekte zeigen sich in sozialen Systemen - zum Beispiel einer Familie oder einer Gemeinschaft - und ebenso in Ökosystemen, die aus einer Vielzahl von Organismen in ständiger Wechselwirkung mit lebloser Materie bestehen. Alle diese natürlichen Systeme sind Ganzheiten. ... Der menschliche Körper, zum Beispiel, enthält Organsysteme, die aus verschiedenen Organen bestehen, von denen jedes aus Geweben und jedes Gewebe aus Zellen besteht. Alle diese sind lebende Organismen, oder lebende Systeme, die aus kleineren Teilen bestehen, und zugleich die Teile von größeren Ganzheiten bilden. Der gesamte Organismus schließlich ist in größere soziale und soziologische Systeme eingebettet", die "gesund" oder eben krank sein könnten (288). Man braucht schon gar nicht mehr auf die beliebten biologistischen Vergleiche der menschlichen Gesellschaft mit Bienen- und Ameisenstaaten zu verweisen, die Capra und Mynarek verwenden, um zu sehen, wie sehr hierbei der Mensch zum Tier degradiert werden soll. Pierre Krebs hatte schon in der ersten Veröffentlichung des "Thule-Seminars" 1981 einen langen Artikel plaziert, in dem er die Gemeinsamkeiten des modernen Mystikers Antoine de Saint-Exupéry - der im New Age wie auch z. B. bei Sigrid Hunke ein gefragter Bezugspunkt ist -, des Faschisten Julius Evola - der heute auch in esoterischen Buchläden verkauft wird -, und Friedrich Nietzsches - auf dessen "Zarathustra" sich auch der New Ager Mynarek beruft - als der Vordenker des "organischen Staats" untersuchte. Dieser Staat sollte die "atomisierten Menschen des Individualismus" in die organische "Gemeinschaft der Menschen" als Alternative zum demokratischen Rechtsstaat überführen.

Die Organismus-Methapher, nach der die Welt wie ein biologischer Organismus mit steuerndem Zentralnervensystem und den ausführenden Organen Arme und Beine geschaffen sei, kann nur antidemokratische Folgen haben, denn wann je hätten sich ein Arm und ein Bein ein neues Zentralnervensystem gewählt! Capra ahnt diese Form von "Wendezeit", wenn er schreibt: "In der Vergangenheit ist die geschichtete Ordnung der Natur oft fehlinterpretiert worden, um autoritäre gesellschaftliche und politische Strukturen zu rechtfertigen." Hier begegnet uns wieder das allzu billige Argument des Mißbrauchs von "an sich" richtigen Konzepten, als gäbe es einen an sich richtigen, demokratischen "Gebrauch" natürlicher Hierarchien! Capra sucht einen Ausweg: "Aus diesem Grunde habe ich die (hierarchische, P. K.) Pyramide umgedreht und in einen (ökologischen, P. K.) Baum verwandelt." Offenbar weiß er nicht, daß bereits Jakob von Uexküll in seiner 1920 erschienenen "Staatsbiologie" den "Organbaum" als ständestaatliches Ordnungsprinzip gegen die "unbiologische" und "unorganische" Demokratie gesetzt hatte.

Die Baum-Metapher ist ein Liebling der Ökologie- und der New Age-Bewegung. Sie wird schon von alters her bei Fichte und dem Romantiker Eichendorff für Gesellschaftsverhältnisse angewendet Auch Mynarek widmet ihr ein ganzes Kapitel: "Der Baum als herausragendes Beispiel des Mensch-Natur-Zusammenhanges". Die Naturvölker sähen im Baum ein mythisches "Abbild des Ganzen, der Wiederholung der kosmischen Landschaft", der Baum sei "Teil-Offenbarung des biokosmischen Heiligen als Ganzem." Sofort fällt einem der Begriff Ab-Stamm-ung ein.

Im August 1989 schreibt die Industrieberaterin Gertrud Höhler, die schon mehrmals fast zur CDU-Bundesministerin berufen worden wäre, in der Zeitschrift "MUT" über "Bäume - Sinnbilder des Lebens, I. Teil: Indianerbäume." Der Indianerhäuptling Seattle hat es ihr angetan. Aus seiner Rede, die als ein Manifest des New Age gilt, zitiert sie einen Lösungsweg aus der vermeintlichen Zivilisationskrise, den Metzger ähnlich formulierte: "Zurückhören nach gestern und vorgestern." Höhlers Buch von 1985 "Die Bäume des Lebens - Baumsymbole in den Kulturen der Menschheit" zählt für "MUT" "zweifellos zu ihren beeindruckendsten Publikationen." Uexküll hatte in seiner "Staatsbiologie" als "die Krankheiten des Staates" die Menschenrechte und das Streikrecht der Arbeiter analysiert, die die ständischen "Organbäume" zerfräßen. Er bezeichnete "fremde Rassen" als "Parasiten", die vor allem ein Interesse am "kranken Staatskörper" hätten, weil hier das Immunsystem die Parasiten nicht abwehren könne. Der Bezug zur Rede von der "jüdischen Demokratie" und dem "bolschewistischen Weltjudentum" bei den Nazis ist deutlich und logisch. Der rechtsextreme Naturmystiker Eichberg schreibt 1986: "Menschen pflanzen Bäume, weil sie darin eine Gegenmacht erkennen. Erinnerungen tauchen auf an Yggdrasil: die Welt als Baum." Yggdrasil ist Irminsul, das altgermanische heilige Zeichen, das die Kulteiche der alten Germanen gewesen sein soll und deshalb zum Logo der völkischen Bewegung wurde. (289)

Das organisch-kosmische Weltbild ist wahrlich keine Erfindung des New Age. Kurt Sontheimer schreibt zusammenfassend über die intellektuell-ideologische Demokratiezerstörung in der Weimarer Republik: "Wesentlich für das Verständnis der antidemokratischen Bewegung bleibt indes, daß solche Elementarbegriffe wie Volk, Gemeinschaft und Organismus den Kern ihrer weltanschaulichen Orientierung bilden." Auch Walter Becher schließt sich in seinem 1985 erschienenen Buch "Der Blick aufs Ganze. Das Weltbild Othmar Spanns" der Kritik des "mechanistischen Weltbildes" an, in dem die Menschen nur noch lauter kleine Sandkörner seien und die Gesellschaft zum "Sandhaufen" (Spann) verkomme. Becher ist selbst ein Schüler des "Konservativen Revolutionärs" der klerikal-faschistischen Richtung Othmar Spann, der den sudetendeutschen Henlein-Faschismus und ab 1928 die faschistische österreichische Heimwehr beeinflußte und dabei von dem Stahlindustriellen Fritz Thyssen finanziell unterstützt wurde. Becher war vor 1945 Redakteur in der Nazi-Presse, nach 1945 Vorsitzender des "Witikobundes" - der von ehemaligen Henlein-Faschisten gegründet wurde -, später Führer der revanchistischen Sudetendeutschen Landsmannschaft und CSU-Bundestagsabgeordneter.

Bechers Buch ist als eine rechte Antwort auf Capra gemeint: Spanns Lehre sei "nicht nur eine 'Summa philosophiae', sondern auch eine 'Summa oecologiae'". Zu recht kritisiert Becher den Demokratismus, den Capra dem Organizismus aufgesetzt hat. In der Tat läßt sich aus der Natur weder Gleichheit noch Gleichberechtigung ableiten. "Anders als heutige Systemtheoretiker wie Fitjof Capra, Morris Berman und in besonderem Maße auch Alvin Toffler", so Becher, "landet die ganzheitliche Staatslehre nicht bei der Propagierung einer 'Gegenkultur' oder Kultur-Revolution. Holistisches Denken müßte folgerichtig sein. Wer den 'Atomismus' in Physik, Psychologie und Gesellschaft ablehnt, kann ihn nicht mit den Thesen einer 'Basis-Demokratie', mit antipatriarchalischen Floskeln, mit 'Feminismus', mit Homosexuellen- und Minderheitenschutz, mit radikaler Demokratisierung, d. h. mit völliger Atomisierung überwinden. ... Vor dem 'Unheil der totalen Demokratie' ... sollte uns das Schicksal bewahren." Und das Schicksal ist bekanntlich kosmisch verankert. Spann selbst hatte vorgeschlagen, den deutschen Juden auf deutschem Boden eine Art Homeland zu schaffen, ein eigenes Apartheid-Territorium, das jedoch als Ghetto organisiert sein sollte: Holismus pur. (290)

Pierre Krebs schreibt, um was es geht im "Neuen Zeitalter", das "unserem inneren Reich" folgen soll: "Eine alte, noch etablierte politische Ära geht zu Ende: die anorganische Politik der Gleichheitslehre. Eine neue politische Ära, die legitimen Anspruch auf die Macht haben wird, steht bevor: die organische Politik, die das Recht auf Verschiedenheit wahrnimmt." Und er zitiert einen französischen Mitkämpfer, als hätten es Capra oder Mynarek gesagt: "Das Biologische und das Kulturelle sind im Grunde eins: eine Gesellschaft stellt ein biokulturelles System dar, indem beide Sphären ineinander dringen und aufeinander wirken." Da können alle, Faschisten und New Ager, zustimmen.

"Verwurzelung" ist - nach der Baum-Metapher - hier nun das Zauberwort: "Unser Humanismus", so Krebs, "ist organisch, er basiert auf den erworbenen Erkenntnissen des Lebens. So bringt er Natur und Leben, Volkstum und Menschen wieder in Einklang." "Natur und Leben" war der Titel des von Uexküll edierten, heute fast gänzlich unbekannten "New Age"-Klassikers von Chamberlain. Die "Rückkehr", die "Wiederentdeckung" und "Wiedergeburt" bezieht sich immer auf die "eigenen Wurzeln", also auf vorzivilisatorische, vordemokratische Weltanschauungen. Germanen- und keltentümelnde "Wurzelsuche" im New Age gerät zielsicher an die Autoren der historischen völkischen Bewegung in Deutschland. Wie sich "inneres Reich" und äußeres Reich entsprechen, ist hier deutlich. Die aufscheinende Wirklichkeit des äußeren Reiches verheißt nichts Gutes. (291)

Es ist nicht erstaunlich, den Holismus-Ideologen Jan Smuts als Anhänger der südafrikanischen Apartheid anzutreffen. Die Idee der "geschichteten Ordnung der Natur", wie es bei Capra heißt, beinhaltet ein Aufteilen des Ganzen in Teile, die ihrerseits jeweils wieder zu einem Ganzen für Teile unterer Ordnung werden usw. Capra versucht, dies mit der Baum-Metapher auszudrücken: "Der Systembaum veranschaulicht verschiedene Ebenen der Komplexität in einem individuellen lebenden Organismus." Auf derselben Ebene der hierarchischen Struktur sind die verschiedenen Ganzen/Gestalten strikt getrennt voneinander. Ihr Zusammenhang als die Einheit in der Vielheit stellt sich erst durch ihre Verknüpfung auf der höheren Ebene ein, der sie aber nicht mehr als Individuen angehören. Der Gestalt-Begriff beinhaltet auch nach dem Verständnis von Smuts das hierarchische Gefüge der ungleichen Teile, von denen jedes seinen Platz im Ganzen habe. Der Platz werde vom "holistischen Befehl, ... gleich einer lebenden Quelle aus den Tiefen des Universums" als "gestaltende(r), beaufsichtigende(r) Einfluß" der Natur zugewiesen, so Smuts. Hier sieht man förmlich die Peitsche, mit der der weiße Herr Südafrikas den schwarzen Sklaven "beaufsichtigt". Die Gestalt dürfe nicht zerstört werden, weder in ihrer inneren Struktur noch durch das Vermengen mit anderen Gestalten. Schon Chamberlain, der die Gestalten als Unterformen der einen Ganzheit des Kosmos ansah, hatte die Disparatheit der Gestalten, ihre Ungleichartigkeit und Unvereinbarkeit, in seinem Briefwechsel mit Emma von Ehrenfels als zentrales Wesensmerkmal behauptet. Gleichzeitig hatte er ihre Autonomie untereinander und dennoch ihre Leistungsbezogenheit auf das Ganze (wie die Leistungsbezogenheit der Teile auf das Ganze ihrer jeweiligen Gestalten) als Wirkung des All-Göttlichen betont, das den Zusammenhang stifte. Jedoch besitzt nur die Gestalt diese begrenzte Autonomie, nicht jedoch ihre Teile, nur die Gemeinschaft ist autonom, nicht das Individuum. Wenn Smuts zu den ersten gehörte, die sich für die "Homelands" der Schwarzen Südafrikas aussprachen, und diese Politik mit seinen rassistischen Paßgesetzen durchzusetzen versuchte, dann war das nur der politische Ausfluß einer Weltanschauung, bei der schließlich der Staat als das Ganze erscheint, auf dessen Nutzen hin die Teile - die ihrerseits unvermischbare, getrennt zu belassende Unter-Ganzheiten bilden - an dem ihnen zugewiesenen Ort leistungsbezogen hinarbeiten sollen. (292)

Die Konsequenz dieses vergöttlichten Ganzen - bis hin zur Historie als Teil des Ganzen - ist die Vorstellung vom Schicksal, das letztlich alles vorbestimme. Die aus dem Schicksalsglauben folgende Verpflichtung, "seiner eigenen Natur treu (zu) bleiben" (Abraham Maslow), findet sich in der gesamten New Age-Literatur. Gerne wird dabei auf die Sätze des Atomphysikers Harald Fritzsch zurückgegriffen: "Eines der wohl wichtigsten Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaft ist, daß jeder von uns eine Rolle spielt, eingebettet in das Netz der Naturvorgänge. Wir sind ein Teil des Ganzen und nicht losgelöst vom Rest des Universums." Die Folge einer nur noch eingeschränkten Freiheit des Individuums im Rahmen dessen, was ihm schicksalsmäßig "kosmisch" vorbestimmt ist, findet sich bei Capra ebenso wie bei Smuts. Habe man sich erst einmal in mystischer Erfahrung mit dem Kosmos verschmolzen, so Capra, dann "scheint die Frage nach dem freien Willen ihre Bedeutung zu verlieren", weil man ja selbst "das ganze Universum" sei. Es ist nichts anderes als das freudige und freiwillige Sicheinfügen in sein Schicksal, das Traumbild der "sanften" Diktatur. In der Astrologie, die einen Strom des New Age darstellt, wird dies popularisiert. (293)

Dieses Bild von der Welt beinhaltet das Ende jeglicher Emanzipationsmöglichkeit, weil die Welt - bis hin zu gesellschaftlichen Phänomenen wie Nation oder Familie - als vorbestimmte hierarchisch geordnete Gestalt mit nachgeordneten Unter-Gestalten gedacht wird. Ein Weltbild der Gestalt kennt weder Gleichheit innerhalb der hierarchisch verfaßten Gestalten noch Austausch zwischen den nach außen abgeschlossenen, gegeneinander autonomen und auch unter einander verschiedenen Gestalten. Gleichheit und Austausch sind vom Begriff der Gestalt her bereits ausgeschlossen, wie er von Christian von Ehrenfels entwickelt und seitdem unverändert benutzt wird. Die Bindung von Gestalt/Ganzheit an eine sie bestimmende, in ihr wirkende übernatürliche Wesenheit entzieht die "Gestaltung" der Gestalten menschlichem Zugriff und bindet dadurch Gesellschaft und ihren Aufbau an etwas Außermenschliches.

Daß nicht nur der Kosmos Gestalt sein soll, die nach göttlichen Selbstorganisations-Gesetzen funktioniert, sondern auch die nachgeordneten Unter-Gestalten genau denselben Gesetzen unterliegen, somit also auch die im Zentrum der Aufmerksamkeit stehenden gesellschaftlichen Phänomene hier keine Ausnahme von der Schicksalsbestimmung beanspruchen können, dafür haben die Ideologen vorgesorgt. Die von dem Quantenphysiker David Bohm entwickelte Idee einer impliziten Ordnung in jedem Teil, die der Ordnung des Ganzen entspreche - weil diese Ordnung das identische göttliche Wesen sein soll, das im Ganzen wie im Teil herrscht, der ja selbst wiederum das Ganze für die Teile auf tieferer Hierarchieebene sei - ist der Ansatz, an dem sich Capra orientiert. Auch dies ist kein origineller Einfall. Chamberlain schrieb bereits 1899: "Die gesamte Natur verbürgt uns die innere, transzendente Wahrheit", dies sei "kosmische Mythologie" der "Arier". Chamberlains Bezug auf das indische "Tat-twam-asi" macht dies noch einmal deutlich. Er versteht es als "einheitliches Bildungsgesetz", das "in sämtlichen Gestalten des Lebens ... zu entdecken" sei. (294)

Die alte Ansicht, Makrokosmos und Mikrokosmos würden sich entsprechen, weil sie von dem identischen Göttlichen in gleicher Weise durchdrungen seien, wird in der kirchlichen New Age-kritischen Literatur immer wieder als geistiges Erbe der spätantiken Gnosis ausgegeben wird, während man hier den faschistischen Hintergrund dieser Ansicht verschweigt. Das Konzept ist so alt wie der Organizismus, es wurde von der Antike über die Ahnengalerie "europäisch eigener Religion" bis zu Oswald Spengler verwendet. Das Begriffspaar wird von Capra in derselben Weise verwendet wie von Krieck. Bohm ist also allenfalls in der Formulierung originell, nicht jedoch im Konzept.

Der Bohmsche Ausdruck des Eingefaltetseins des Ganzen in jedem seiner Teile als universale Eigenschaft der Natur ist wiederum nur ein anderer Ausdruck für den Primat des Ganzen über die Teile, dafür, daß die Teile vom Ganzen her bestimmt sind, niemals aber umgekehrt das Ganze bestimmen können. "Wie es sich formt und erhält, hängt demnach von seinem Ort und seiner Aufgabe im Ganzen ab", schreibt Bohm, ohne darzulegen, wer denn die Aufgaben verteilt, die so schicksalshaft an einem kleben sollen. Das mag in der Physik vielleicht nur die Elementarteilchen tangieren, Bohm jedoch bezieht dies sogleich auf die Gesellschaft, wo es Menschen - und vor allem die beherrschte Mehrheit - tangiert. Die Menschen seien verschieden und hätten in der Gesellschaft ihre verschiedenen Aufgaben zu erfüllen, zum Nutzen des Ganzen. Dagegen würde das atomistische Gesellschaftsbild - das Bohm "fragmentiert" nennt und dem soziale Durchlässigkeit bei den Positionen und demokratische Mehrheitsbildung entsprechen - die Ganzheit zerstören. Bohm kommt (ohne den Begriff zu verwenden) zum Konzept der Apartheid, wenn er dem "fragmentierenden Weltbild" einerseits vorwirft, "zu teilen, was in Wirklichkeit unteilbar ist", nämlich die ganze, heile Gestalt, und sogleich anschließt: "Der nächste Schritt wird darin bestehen, daß wir zu vereinigen versuchen, was sich in Wirklichkeit nicht vereinigen läßt. Dies kann man besonders deutlich im Fall von Gruppenbildungen in der Gesellschaft sehen (politischer, ökonomischer, religiöser Art usw.)", die sich aufgrund ihrer Partikularinteressen "vom Gesellschaftsganzen absetzen" würden. Das Teilen des Unteilbaren und das Gleichsetzen des Verschiedenen schaffe "Verwirrung angesichts der Frage, was verschieden und was zusammengehörig (oder eins) ist, aber das klare Erfassen dieser Kategorien ist in jeder Lebensphase notwendig. Wer das, was verschieden ist und was nicht, durcheinanderbringt, bringt alles durcheinander." (295)

So mag es sich auch der Holist und Rassist Smuts vorgestellt haben: Die heile Gestalt einer Gemeinschaft, des Staates Südafrika - in der die Unter-Gestalt der Weißen bestenfalls patriarchal über die hierarchisch niedrigeren Unter-Gestalten der verschiedenen Farbigen-Gruppen herrscht - wird von liberalistisch-sozialistischen Predigern der Gleichheit der Menschen "fragmentiert" in lauter gleiche Atome, die die Unter-Gestalten zerschlagen und zu einer angeblich unnatürlichen, jedenfalls unorganischen Gesellschaft neu kombinieren. Das ganzheitliche Südafrika von Smuts sollte selbst wiederum Teil sein, zuerst in der von Weißen beherrschten Ganzheit Afrika, mit dieser in der Ganzheit des kolonialen britischen Empire. "Ganze sind nicht willkürlich teilbar", schreibt Smuts, "und die abgespaltenen Teile sind nicht willkürlich austauschbar. Jedes Ganze hat eine wirkliche Eigenart, eine einzigartige Identität, und eine nicht umkehrbare Ausrichtung, die es von jedem anderen unterscheidet und das eigentliche Wesen der Individualität ausmacht." Die nationale Identität des Ethnopluralismus mit ihrer Konsequenz der Apartheid ist die logische Folge. Bohm wird nicht derart deutlich. Er bleibt im Allgemeinpolitischen. Das atomistische Gesellschaftsbild bringe als Konsequenz der "Verwirrung" "ein breites Spektrum von Krisen" hervor: "soziale, politische, ökonomische, ökologische, psychologische usw., und dies sowohl im einzelnen wie in der Gesellschaft im ganzen." Es bewirke "das endlose Ausufern von chaotischem und sinnlosem Konflikt, der darauf hinausläuft, daß alle Energien durch gegeneinander gerichtete oder sich durchkreuzende Bewegungen vergeudet werden." (296)

Diese Visionen von menschlichen Gesellschaften als kosmisch bestimmte organische Gemeinschaften gleichen sich überall in den Büchern des "Neuen Denkens". Dabei mögen sie vordergründig das eine Mal quantenphysikalisch, ein anderes Mal "öko-religiös" begründet sein. Im Organizismus ist für das freie Austragen von Konflikten kein Platz. Diese "Gemeinschaften" sind künstlich befriedete Zwangsvereinigungen, in denen die Konflikte einfach deshalb von der Ideologie negiert werden, weil der Kosmos als harmonisch konzipiert gilt. Wenn aber Konflikte auftreten - trotz der angestrebten mystischen Einsicht in die Harmonie - so ist letztlich und entgegen aller zur Schau getragenen "Sanftheit" immer wieder Repression das Mittel, die Konflikte zu unterdrücken. Wolfgang Metzger äußerte sich 1942 in seinem Gestalt-Artikel in der Zeitschrift "Volk im Werden" eindeutig: Es sei im Interesse des Bestandes der Gestalt wohl unverzichtbar, "unbelehrbare Widerspenstige zu zwingen, Störenfriede abzukapseln und zu beseitigen." Dies genau ist die Konsequenz des Gestalt-Begriffes, der von dem extremistischen Antidemokraten Christian von Ehrenfels ja nicht im politikfreien Raum entwickelt wurde und der von faschistischen Gestalttheoretikern um den Begriff des "Gestaltfremden" - des Jüdischen nämlich - folgerichtig ergänzt wurde. Hier ist überall eine Zwangseinheit des Ganzen gemeint, in der die Vielheit der Teile, auch die Gegensätze wie Gut und Böse, zur Einheit gezwungen werden. Es liegt auf der Hand, daß diese Einheit nur noch als transzendente, die Grenzen der Erfahrung und der sinnlich erfahrbaren Welt überschreitende, in der täglich erfahrbaren Welt eben auch nicht zu erfahrende unwirkliche Einheit möglich ist. Gesellschaftlich hegemonial können solche wirklichkeitsfernen Ansichten nur werden, weil die Herrschenden ein Interesse daran haben, die Austragung der für ihre Herrschaft gefährlichen Konflikte zu unterdrücken. (297)

Der Organizismus als Weltanschauung hat die untereinander verwandten Staatsformen des korporativen Ständestaats, der Monarchie bzw. des faschistischen Führerstaats als politische Konsequenz. Nur diese Staatsformen erfüllen die Forderungen des "Systembaumes", der Gestalt als hierarchisches Gefüge. Der organizistische Staat, dessen Idee aus der Antike stammt, hatte bereits im Mittelalter einen "transzendenten Zweck" zur Rechtfertigung von Elitenherrschaft über die Massen. Das Transzendente erfuhr in der Romantik, wie in ihren Nachfolgern bis zum New Age, durch den Pantheismus eine Modernisierung, die von der gesellschaftlichen Entwicklung - bei den Produktivkräften, zu denen auch die Wissenschaften zählen, wie im Überbau der politischen Theorie - abgefordert wurde. Metternichs Feudalismus des frühen neunzehnten Jahrhunderts stützte sich auf die mittelalterliche Form des Transzendenten, auf die wieder katholisch gewordenen Romantiker. Doch er konnte sich nicht mehr halten gegen die politischen Freiheits- und Gleichheitsforderungen, die von materiellen Wohlstandsforderungen genährt waren. Der Versuch der vormals fortschrittlichen, jetzt restaurativen bürgerlichen Partei, die Ansprüche der Massen zu neutralisieren, indem sie mechanizistisch in den bürgerlichen Organizismus eines Auguste Comte eingebunden werden sollten, scheiterte. Zu deutlich war die Maschine Menschenwerk und Comtes Gesellschaftsmaschine also menschlichem Willen und menschlichen Mehrheitsentscheidungen zugänglich, als daß die Massen sich mit dieser Ideologie hätten abspeisen lassen. Erst zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts wurde das Göttliche - und damit das Unhinterfragbare, in staunender Anbetung Hinzunehmende - in den unerklärten Phänomenen von Elektrizität und Strahlung "wiederentdeckt" und damit die Möglichkeit zum pantheistischen Organizismus als Herrschaftsmittel gelegt. So wurde der alte "transzendente Zweck", wie er uns heute im "quantenphilosophischen" New Age begegnet, wiederbelebt. Willig, ja gierig griffen die Herrschenden schon damals nach dieser neuen Ideologie als Antwort auf den Sozialismus. Sie taten es erneut in den sechziger und siebziger Jahren, als Antwort auf die marxistische Renaissance.

Hunke hatte 1974 die ganzheitliche Antwort parat. Als der Begriff des New Age noch gar nicht in Europa angekommen war, wandte die damalige Vizepräsidentin und Chefideologin der "Deutschen Unitarier" bereits den Inhalt des altbekannten "Neuen Denkens" als die "Alternative" des "dialektischen Unitarismus" - wie sie die organizistische Einheit in der Vielfalt nannte - gegen die damalige Reformpolitik an, die auf der "68er"-Bewegung aufbaute. In ihrem Buch "Das nach-kommunistische Manifest. Der dialektische Unitarismus als Alternative" muß Werner Heisenberg als organizistischer Einbinder der Massen ran. "Soziale Partnerschaft statt Klassenkampf" heißt das Kapitel, das von einem Heisenberg-Zitat eingeleitet wird: "An die Stelle der reinen Alternative, die in ihrer Härte der Wirklichkeit oft nicht gerecht wird, tritt eine komplementäre Betrachtungseise. Man muß einsehen, daß es sich keineswegs um eine dualistische, sondern durchaus einheitliche Beschreibung der Phänomene handelt. Werner Heisenberg." Zitate des damaligen Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer - vormals der SS verbunden, ähnlich wie Hunke - dienen ebenfalls als Prologe vor den Kapiteln. So z. B. zum Kapitel "Verantwortung am Arbeitsplatz": "Gebraucht wird der Mitarbeiter von hoher Verantwortungsfreudigkeit und von einem Kooperationswillen, der niemals durch Zwang erzeugt werden kann, sondern nur aus freiem Entschluß der Person entspringt. Hanns Martin Schleyer."

Da kommt das New Age gerade recht, wo man sich einbinden läßt aus naturmystischer meditative Einsicht. Gegen das marxistisch-materialistische Konzept der Entfremdung, das soeben eine Renaissance erlebt hatte, setzt Hunke 1974 die spirituelle Verwirklichung des Selbst im Kapitel "Vom diskriminierten zum 'selbstverwirklichten' Mitarbeiter". Wiederum steht ein Schleyer-Zitat vorweg: "Es ist schon abzusehen, daß der Arbeiter der Zukunft ein ganz anderer Typ sein wird als der Arbeiter von gestern. Hanns Martin Schleyer." Vorbereitet wird das "richtige" Verständnis Schleyers mit einem Zitat Teilhard de Chardins: "Dem Menschen ist es nicht genug, nach Überwindung seines Egoismus, sozial zu leben. Ihn verlangt es, aus einem ganzheitlichen Herzen, vereint mit dem ihn tragenden Weltganzen, seinem Ruf zu antworten." Und Saint-Exupéry schließt bei Hunke die "Alternative" des Organizismus gegen eine gerechte, sozialistische Gesellschaftsgestaltung ab: "Die Menschen treffen sich nicht, wenn sie unmittelbar aufeinander zukommen", so zitiert sie diesen Mystiker des zwanzigsten Jahrhunderts als Zeugen gegen das linke Konzept der "humane(n) Gesellschaft", "sondern wenn sie sich im gleichen Gott vereinigen." Das bedeutet in ihrem "dialektischen Unitarismus", den sie heute "Europas eigene Religion" nennt, ebenso wie im New Age, bei der "Neuen Rechten" oder im historischen Faschismus: vereint sein im Gott der kosmischen Gesamt-Gestalt und ihrer gesellschaftlichen Unter-Gestalten. "Tragisch" schicksalshaft, mystisch-einsichtig vereinigen sich die kleinen Teilchen, indem sie sich dem Primat des Ganzen unterordnen. (298)

Zerstörung der Ethik

Diese Form der "sanften" Einschränkung menschlicher Freiheit - und hierdurch der Möglichkeit zu materieller Bedürfnisbefriedigung - durch eine pantheistische, schicksalhafte Festlegung bedeutet gleichzeitig aber auch eine Entlastung des handelnden Menschen (der herrschenden Eliten) von der Verantwortung für sein Tun. Er kann zwar nicht von seinem Platz, der ihm im Gefüge der Gestalt zugewiesen wurde, aber er muß sich hier in seinem Schicksal "sieghaft bewähren", wie es bei den Völkisch-Religiösen heißt. Wo die pantheistische Einheit in der Vielheit, ja in den Gegensätzen liegt, da ist kein Platz mehr für die Forderung an das Individuum, das Böse zu vermeiden. Die ethischen Kategorien des Gut und Böse werden hier vielmehr als "Yin und Yang" aufgefaßt, von denen eine jede seine Berechtigung habe. Chamberlain sagt über den frühen Vordenker des Faschismus und des New Age Jakob Böhme: "Und Böhme geht furchtlos weiter und leugnet den absoluten Unterschied zwischen Gutem und Bösem; der innere Grund der Seele, sagt er, ist weder gut noch böse, Gott selber ist beides: 'Er ist selber alles Wesen, er ist Böses und Gutes, Himmel und Hölle, Licht und Finsternis.' ... Das ist reine indische Lehre; daß sie der Lehre der christlichen Kirche 'schlechthin widerstreite', haben die Theologen längst und ohne Mühe gezeigt." Hunke beschränkt sich siebzig Jahre später darauf, Chamberlain inhaltlich zu plagiieren. Schlund zitiert 1924 den fünften Glaubensgrundsatz der völkischen Sekte "Deutschgläubigen Gemeinschaft": "Ich glaube, daß es vor Gott ein Gut oder Böse nicht gibt - denn auch was wir böse nennen, weil es uns schädlich wirkt, liegt im Schöpfungswillen." Der Kampf gegen die Unterscheidung der ethischen Kategorien von Gut und Böse setzt sich fort im Verwischen des Unterschieds zwischen Leben und Tod. Es sind Hauptanliegen faschistischer Ideologie damals wie heute. Das ist verständlich, denn wo das Böse angeblich Teil des göttlichen Willens ist, da ist es das Handeln des SS-Schergen im KZ auch. Tatsächlich wird dies von völkisch-rassistischen Religionsstiftern auch offen vertreten.

Hunke, die sich in ihrer Promotionsschrift 1941 auf die SS-Zeitschrift "Das Schwarze Korps" berief, schreibt 1969: "Gutes könnte nicht sein, wenn es Böses nicht gäbe. ... Auch Fehler und Irrwege, das Böse selbst, sind notwendiges Moment der göttlichen Weltordnung und Bedingung unaufhörlichen Werdens und Vergehens, von Aufstieg und Steigerung." Selbst "das Dunkel" will sie "heiligsprechen" und "es auch in seiner Furchtbarkeit (bejahen) und noch dem scheinbar sinnlos Zerstörerischen ... schöpferischen Sinn" geben. Damit kommt sie auf der heutigen Linie des US-amerikanischen New Age-Dominikaners Matthiew Fox an. Auch mit dem New Age-Ideologen George Trevelyan kann Hunke mithalten, der das "Neue Zeitalter" erst aus der Asche des in einer Katastrophe untergegangenen Bestehenden emporsteigen sieht. Hunke interpretiert Nikolaus Cusanus in dieser Weise und schreibt: "Das bedeutet, daß auch das Dunkel, auch das Furchtbare und Grauenhafte des Daseins vom Ganzen umfaßt wird und seinen Sinn erhält. Es bedeutet eine Neuwertung auch des Bösen."

1986 schreibt Hans Ulrich in seinem apologetischen New Age-Buch "Von Meister Eckardt bis Carlos Castaneda" über "das esoterische Weltbild": "Schwarz und Weiß, Gut und Böse, Hell und Dunkel sind in Wahrheit keine Gegensätze, die sich gegenseitig ausschließen. Sie bilden nur zwei Seiten einer Medaille und gehören tatsächlich zusammen." "Alles ist Eins" sei der Sinnspruch des Neuen Zeitalters, und dieses "Eins" sei der "All-Geist". "Niemals", sagt auch Hunke, "können wir darum aus dem Göttlichen herausfallen, das uns 'unablöslich' ... umhüllt und durchlebt." (299)

Den Kampf gegen den jüdisch-christlichen Glauben von der Sündhaftigkeit des Menschen führen Faschismus und New Age gemeinsam. Er ist außerordentlich populär, denn er verspricht mehr als nur die Möglichkeit einer Lossprechung durch Gottes Gnade nach getaner Buße. Er verspricht vielmehr Befreiung von Verantwortung und daher von Buße und Strafe für jedwede Tat. Wo das Schicksal wirkt und wo es kein Gut und kein Böse als handlungsleitende Kategorien mehr gibt, da existiert allenfalls noch die "Verstrickung", für die das Individuum keine persönliche Verantwortung zu übernehmen braucht. In einigen (neo-) faschistischen Sekten tritt an die Stelle der Verantwortung das "Irren". Das Irrtums-Konzept weist keine logische Verbindung zum Schicksals-Konzept mehr auf, sondern ist allenfalls als Ausrede gegen die Kritik von seiten einer wirklichen Ethik der Verantwortung her gedacht. Die Konsequenz des "Irrtums" ergibt sich wiederum schicksalsmäßig. Der New Ager Mynarek spricht vom "Irrläufer der Evolution" und suggeriert damit: wer in die Irre geht, fällt zwangsläufig den Evolutionsgesetzen, dem Kampf ums Dasein, anheim. Dieses Schicksal ist jedoch weder Sühne noch Buße noch Strafe, nichts vom Menschen Geschaffene oder Vereinbarte, sondern wiederum die angeblich natürliche, durch die kosmischen Gesetze vorgesehene Folge des Irrtums. Der pantheistische Organizismus kann aufgrund seiner Konstruktion keine Ethik kennen außer dem extrem egoistischen Willkür-Gebot, niemals gegen die Gebote des Schicksals, des Göttlichen in der eigenen Brust zu verstoßen.

Seine Popularität gewinnt der Kampf gegen den Sündenglauben vor allem durch die sexuelle Interpretation des Konzepts der Erbsünde. Mynarek ist ein herausragendes Beispiel dafür, wie unter dem Deckmantels des Kampfes gegen die sexuelle Unterdrückung durch die christlichen Kirchen in Wahrheit die Un-Ethik von Schicksal und Irrläufer durchgesetzt werden soll. Das New Age, in dem zahlreiche Sekten mit dem Versprechen bisher nicht erlebter sexueller Ekstase, die durch spirituelle und körperliche Praktiken erreichbar sein soll, auf Verklemmten-Fang gehen, bezieht einen großen Teil des emotional begründeten Zuspruchs aus seinem Kampf gegen den Glauben von der Sündhaftigkeit des Menschen. An die Stelle der menschlichen Ethik treten die Naturgesetze. Wer nur dem Ruf der Natur folge, so heißt es, der sei im Einklang mit dem Göttlichen, der handele deshalb ethisch. Der Ruf der Natur aber ist der von Ungleichheit und Hierarchie, von Organismus- und Baum-Metapher, vom Recht des Stärkeren und vom Tod des Schwächeren. Dies ist keine Ethik mehr sondern Barbarei.

Die Selbstvergöttlichung derer, die dazugehören, ist eine Grundlage des New Age und Grundlage des Schicksalsglaubens wie der Ablehnung des Sündenglaubens. Sie ist im übrigen - darauf weist bereits Lenin 1909 hin - ein alter Trick des Kampfes gegen die Linke. Die Selbstvergöttlichung findet mal plump statt, z. B. bei den Anhängern Erich von Dänikens, deren "Präastronautik" inzwischen zum Bestandteil der "UFOlogie" geworden ist. Da werden Fragen gestellt wie "Wer waren die 'Götter'? Woher kamen sie? Kommen sie wieder, oder sind sie nie fortgewesen?". So wird suggeriert, die Götter seien unter uns, wohl als die Elite, die in mystisch-meditativer Verbindung zum All-Göttlichen steht und vorgibt, in dessen Interesse - statt im eigenen - Platzanweiser in der ganzheitlichen Gesellschaft zu sein. Nach dem oben Dargestellten es nicht erstaunlich, daß Rudolf Bahro in der UFO-Zeitschrift "Magazin 2000" als "ständiger Mitarbeiter" geführt wird.

Auch Mynareks Selbstvergöttlichungsversuche des "ökoreligiösen Menschen" folgen kaum einem anspruchsvolleren Denken, wenn er Religiösität an die Gene bindet, "Öko-Religiösität" als höchste Stufe der Evolution ausgibt und behauptet, die "ökoreligiösen" Menschen hätten bereits den "nächsten Schritt der Evolution" vollzogen, sie seien "der Sinn der Erde, der Evolution der Natur", in ihnen bringe sich das Göttliche als göttliche Natur selbst zu Bewußtsein. Nachdem er derart den neuen Herrenmenschen konstruiert hat, findet Mynarek für "das genaue Gegenteil des öko-religiösen Menschen" (derjenige etwa, der Mynarek lediglich für einen schlechten Ideologen und seine "Ökologische Religion" für einen wahren Schmarrn halten mag) die nach Vernichtung schreiende Bezeichnung "Irrläufer der Evolution". (300)

Etwas ausgefuchster kommt Capras Selbstvergöttlichung daher. Als die Hauptphänomene der allgöttlichen Selbstorganisation der Ganzheiten sieht er die Möglichkeit zur Selbsterneuerung und zur Selbst-Transzendenz an. "Wird der Begriff des transzendenten menschlichen Geistes in diesem Sinne verstanden, als Bewußtseinsform, in der sich das Individuum mit dem Kosmos als Ganzem verbunden fühlt, dann wird deutlich, daß ökologisches Bewußtsein im wahrsten Sinne des Wortes spirituell ist." "Dieser Glaube an Gott ist verbürgt durch die innere Erfahrung der göttlichen Eigenschaften des eigenen Selbst", findet Erich Fromm in "Haben oder Sein" in Anlehnung an den großen Selbstvergöttlicher des Mittelalters, Meister Eckhart: "Er ist ein ständiger, aktiver Prozeß der Selbsterschaffung, oder, wie Meister Eckhart sagt, Christus werde ewig in uns selbst geboren." Die Möglichkeit der Selbstvergöttlichung des "Ariers" durch Interpretation der Eckhart-Schriften ist der Grund für die Popularität dieses christlichen Mystikers in der faschistischen Literatur. Das aber bringt Erich Fromm, der vor den Nazis emigrieren mußte, keineswegs dazu, diese Selbstvergöttlichung zu hinterfragen.

Ebenso verweist Bahro in der "Logik der Rettung" auf Eckhart, der - mit Bahros Worten - gelehrt habe: "Wir müssen uns der Uridentität mit dem All-Einen vergewissern." Und Bahro zitiert Eckehart mit dem Spruch "Hier ist Gottes Grund mein Grund und mein Grund Gottes Grund", den er von Sigrid Hunke abgeschrieben haben mag. Eckharts Wort vom "inneren Jerusalem" - nicht mehr der mystischen Ort ewigen Glücks ist gemeint, der nach dem Jüngsten Tag tatsächlich erreicht werde, sondern das mystisch-meditativ zu erreichende Gefühl des Jetzt-schon-selbst-Gott-Sein - dient allenthalben, auch bei Bahro, der Selbstvergöttlichung der Wissenden oder Sehenden oder Erleuchteten. "Darum das Beten zuerst", meint Bahro, "das nicht als Formelnaufsagen gemeint war, sondern als verbale Meditation. Wir Deutschen müssen Meister Eckhart lesen, wenn wir wieder wissen wollen, was das war und sein kann und wie sehr es über den Bekenntnisfloskeln steht." Mit deutscher Mystik zu deutscher Weltherrschaft, das war das Programm Lagardes und Chamberlains, der völkischen Bewegung und Rosenbergs. Sie alle stützten sich auf den hochgotischen Mystiker Eckhart, der Jahrhunderte vorher die erste Phase des deutsch-europäischen Kolonialismus - die Kreuzzüge als Eroberen des reichen Ostens - ideologisch untermauerte. (301)

Das Konzept der Individuation des New Age-Vordenkers Carl Gustav Jung - oder besser: das, was New Ager daraus machen - ist auch wieder nur ein anderer Name für die Selbstvergöttlichung. "Auf dem Höhepunkt des Individuationsprozesses kommt es zur überwältigenden Begegnung mit dem Selbst, zu einer nicht anders als numinos, als religiös zu bezeichnenden Spitzenerfahrung", findet Mynarek, der Jung als dem - im Gegensatz zum Juden Freud - angeblich wahren Psychoanalytiker ein ganzes Kapitel in dem Buch "Vernunft des Universums" widmet. "Es ist eine Erfahrung des Grundes und des Ganzen aller Wirklichkeit, des Göttlichen, des Absoluten, vergleichbar etwa dem hinduistischen Gipfelerlebnis der zur erfahrenen Gewißheit gewordenen Einsicht: 'atman ist brahman' (mein Selbst, das innerste Wesen des Menschen, der unwandelbare Kern und die tragende Mitte des Individuums ist identisch mit der Mitte und dem Grund aller Wirklichkeit). Die gelungene Individuation oder echte Verwirklichung des Selbst bedeutet nach Jung ein Einswerden mit sich selbst, mit der Menschheit, die man im Urgrund seiner Psyche ja auch ist, und mit der ganzen Welt, dem Kosmos." Jung hatte allerdings eine andere, völkische Vorstellung von seinen Archetypen, mit der "Menschheit" hatte der Nazi und Hitler-Verehrer nichts im Sinn. Sein elitäres Konzept der Individuation war das Erkennen der eigenen Göttlichkeit, das eben archetypisch nur dem Arier möglich sein soll, so wie es die gesamte völkisch-religiöse Szene sieht. Auch Capra wendet sich gegen den jüdischen Mechanisten Freud und findet, Jung habe in der Psychoanalyse das mechanistische Paradigma durch das ganzheitliche ersetzt und dabei "auch Vorstellen (benutzt), die überraschende Ähnlichkeiten mit denen aufweisen, die moderne Physiker zur Beschreibung subatomarer Phänomene benutzen." (302)

Es gibt eine erstaunliche Parallele zwischen den explizierten ethischen Vorstellen von Chamberlain und Ferguson, die von der These der Selbstgöttlichkeit herrührt und überall im pantheistischen Organizismus - überwiegend implizit - auftritt. Auch wenn ihre Positionen auf den ersten Blick als gegensätzlich erscheinen mögen, so meinen beide doch dasselbe. Bei Ferguson ergibt sich durch die Selbstvergöttlichung eine "neue Ethik" gegen die Kantsche Vernunftethik als ein unbedingtes Befolgen der Gebote der inneren göttlichen Stimme, die ja mit dem All-Göttlichen eins sein soll. Das göttliche Selbst sei es, das dem Menschen sage, was er zu tun habe, unabhängig von den Meinen und Rechten anderer Menschen und den Lebenszusammenhängen. Dies ist eine extreme Selbstverwirklichungsethik, die auch aus dem Satanismus als das "Tu, was Du willst!" des Aleister Crowley bekannt ist. Chamberlain, der das Sich-eins-Fühlen des "Ariers" mit der Natur heraushebt, verfährt genauso, stützt sich allerdings auf seine "arisch"-pantheistische Verfälschung Kants, nach der das sittliche Gebot dem rassisch gebundenen "echten, natürlichen Gefühl" aus dem Innern entsprechen soll. Er schreibt: "'Das Gewissen', sagt er (Kant, P. K.), 'bedarf keines Ahnherrn', mit ihm ist alles gegeben; es hat nur mit der inneren eigenen Welt zu tun." Indem Chamberlain sich Kant voluntaristisch dienstbar macht, kommt er zur erstrebten faustischen Ethik der Tat: "Für Kant kommt es zunächst gar nicht darauf an, was wir sollen, sondern einzig darauf, daß wir sollen". "Sittlich ist eine Handlung nur, insofern sie aus dem innersten eigenen Willen hervorquillt und einem selbstgegebenen Gesetz gehorcht", schrieb er bereits in den "Grundlagen". An die Stelle, wo in Kants Ethik die vernünftige eigene Einsicht steht, tritt hier das mystisch zu fühlende Selbst als Manifestation des All-Göttlichen, dessen Willen gefolgt werden soll. Auch hier ist die Verwirklichung dieses Selbstes, die Tat, das sittliche Gebot. Es wird nicht - jedenfalls nicht zuerst - danach gefragt, ob denn die Tat ethisch vertretbar sei. Da, wo das Auftreten dieses Selbst-Willens ein göttliches Phänomen sein soll, ist das Befolgen dieses Willens die sittliche Pflicht, nicht das Beurteilen. Immerhin ist bei Chamberlain durch die rassische Bind des Göttlichen, durch die Vorstellung, das Göttliche zeige sich in der Rassenseele des Volkes, noch ein Kollektiv - wenn auch ein biologistisches, für das dann "Führer" sprechen wollen - als Kontrolle dieser Selbstgöttlichkeits-Ethik vorhanden. Derartiges findet sich nicht explizit bei Ferguson, im Rahmen der Vorstellung von der geschichteten Ordnung der Natur in hierarchischen Gestalten ist sie bei Ferguson jedoch auch nicht ausgeschlossen. (303)

"Wir handeln an Gottes Statt", sagt Hunke und meint mit "wir" die Mittel- und Nordeuropäer. Sie zitiert zum Auftakt ihres Hauptwerkes "Europas andere Religion" den Meister Eckhart: "Greift in euer eigenes Gut - ihr tragt doch alle Wahrheit wesenhaft in euch." Zwanzig Jahre später sieht Hunke sich und ihre Arier noch höher stehen: "Verantwortung 'für' Gott" ist jetzt ihre Parole, "wir" seien "hochverantwortliche Mitschöpfer Gottes". Höher kann selbst eine faschistische "Arierin" nicht mehr steigen. Chamberlain hatte bereits 1899 geschrieben: "Diese germanische Metaphysik befreit uns vom Götzendienst und offenbart uns dadurch das lebendige Göttliche im eigenen Busen", fast so hatte es Eckhart, von der römischen Kirche deswegen verfemt, im dreizehnten Jahrhundert geschrieben. In der germanischen Religion der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert "seid ihr selber schaffende, gesetzgebende Natur", so rief Chamberlain den "Ariern" zu. "Religion" wird bei ihm zur "Tat der Gegenwart". Der tiefere Sinn: "Glaubt ihr nur an euch selber, so besitzt ihr die Kraft, das neue 'mögliche Reich' wirklich zu machen." Das ist der Selbstvergöttlicher Meister Eckhart, deutsch und praktisch. Sigrid Hunke achtzig Jahre vorweggenommen, schreibt Chamberlain in seinem "Goethe"-Buch, der germanische Mensch habe "am göttlichen Wesen teil - wie Eckhart es mit erhabener Demut ausspricht, Gott liebe den Menschen nicht als Kreatur, sondern 'als Gott'".

"Wir handeln an Gottes Statt" (Hunke)

Wo hier die Demut sein soll, das konnte schon Eckhart nicht erklären, trotz der ihn erwartenden Schrecken der Inquisition. Wer für sein Handeln die pantheistische selbst-göttliche Rechtfertigung hat, darf alles tun: "Selbst die luziferische Natur ... könnte nicht sein, wäre sie nicht Abglanz der Gottheit", so Chamberlain in seinem "Goethe"-Buch. Diese Ideologie hat ein Ziel: den Komplex Auschwitz als Handeln an Gottes Statt. Der ethische Unterschied zwischen "Gut" und "Böse" verschwindet, er wird - z. B. von Hunke - sogar als jüdisch und damit uneuropäisch denunziert. Wo das Göttliche sich durch die "Arier" verwirklicht, da ist der "Kampf des germanischen gegen den jüdischen Geist" (Chamberlain) in den Mordfabriken der Nazis Praxis - Handeln -, und zwar an Gottes Statt. Aus den Werken der Dichter und Denker der "Deutschen Mystik" seit Meister Eckhart ist die Rechtfertigung der Richter und Henker, der tödlichen "Meister aus Deutschland", abgeleitet. Hunke schreibt als Höhepunkt ihrer "europäischen Religion" über die Vereinigung des Ariers mit dem Göttlichen, dies geschehe "als Gott-Subjekt, indem wir ihn in uns einströmen, ihn uns durchfluten und durchformen und durch uns ausströmen lassen, so daß wir mit ihm über uns selbst hinausschreiten und uns hinausweiten, indem wir ihm in den anderen Gott-Subjekten begegnen. Von hier alle Ethik, alles soziale Verhalten!" Dies sei "die Menschwerdung und Individualisierung des Göttlichen im 'göttlichen Menschen'". (304)


 

Die "luziferische Natur" als "Abglanz der Gottheit" (Chamberlain).

Beide Abbildungen aus: Czewslaw Pilichowski: Es gibt keine Verjährung, Warschau 1980;
Archiv der Hauptkommission zur Untersuchung der Naziverbrechen in Polen.

Das Gebäude des "Neuen Denkens" hat freilich einen grundlegenden Widerspruch: Es will/muß antiemanzipatorisch sein, deshalb darf die Selbstvergöttlichung nicht für alle gelten. Man setzt sich ja gerade ab von der "judaochristlichen" Vorstellung von der Gleichheit der Menschen vor Gott, wie sollte das pantheistische All-Göttliche da in gleicher Weise in allen Menschen sein! Damit nicht jeder Mensch meint, hier mitreden und mittun zu können, wie es ihm gefällt, weil doch das Göttliche auch in ihm wirke - damit nicht etwa eine Mehrheit sich zusammenschließt und nach diesem Prinzip Forderungen stellt und durchsetzt, Herrschende entmachtet -, wird die Fähigkeit zur Erkenntnis des Göttlichen innerhalb des Gestaltgefüges den Eliten bzw. ihren Mystiker-Agenten vorbehalten. Sie allein sollen die entsprechenden Techniken des Gotterkennens beherrschen und deshalb in der Lage sein, als einzige das Göttliche zu verkünden. Der New Age-Führer David Spangler aus der Findhorn-Gemeinschaft erklärt kategorisch: "Alle spirituellen Gesellschaften sind hierarchisch. Anders könnten sie nicht funktionieren. Es ist klar, daß man sich bei der Führung der Angelegenheiten einer spirituellen Gesellschaft nicht an jene wenden kann, die weniger erleuchtet sind." Und wie Bahro oder die frühen faschistischen Sekten setzt er auf den spirituellen Alleinherrscher, der seine Legitimation aus der Selbstgöttlichkeit zieht, die andere eben nur relativ haben sollen, weshalb sie nicht zum Führer befähigt seien: "Diese New Age-Energie manifestiert sich durch ein Wesen, das als Herr der Welt bekannt ist. Er wird auch der König oder der Führer der Hierarchie genannt." Die schottische Findhorn-Kommune gehört zu den wichtigsten Zentren des New Age. Andere New Ager wie Capra oder Mynarek trauen sich nicht, diesen Sachverhalt derart deutlich auszusprechen, sondern verbergen ihn lieber hinter Floskeln wie "Systembaum" oder dem "ökoreligiösen Menschen" als "Sinn der Evolution". (305)

Gegenüber den "Anderen", den ethnopluralistisch verschiedenen, konkurrierenden Gestalten, hilft der völkische Relativismus des Gotterkennens - jedenfalls bei der "Neuen Rechten", weniger explizit im New Age. Die Selbstvergöttlichung wird für sich reserviert und anderen abgesprochen. In der gesamten völkisch-rassistischen spirituellen Literatur von Chamberlain über Hauer bis Hunke und Benoist, im Ansatz auch bei Bahro, wird die Möglichkeit, das Göttliche meditativ in sich selbst zu finden, als die speziell den "Ariern" eigene Religiösität ausgegeben. Synonym für "Arier" heißt es auch: Germanen, Keltogermanen, Indogermanen, Nordeuropäer, Indoeuropäer, Deutsche. Andere hätten eine andere Religiösität. Die der Juden z. B. entgöttliche die Natur, trenne den Menschen als Sünder von Gott und predige die Gleichheit der Menschen vor Gott. So können sich die "Arier" das Gottsein - mehr noch: das Verantwortlichsein für Gott - gegen die Ansprüche aller anderen Menschen dieser Erde reservieren.

Die Konsequenz heißt Apartheid: "Die Unvereinbarkeit verschiedener, auf verschiedenartigen Denkstrukturen beruhender religiöser Auffassungsweisen" muß, "wo eine starke religiöse Potenz vorhanden ist wie in diesem niemals religionsmüde gewordenen Europa, notwendig zu ständigen Konflikten und schließlich zur vollständigen Abstoß des Ungemäßen führen", meint Hunke. Die Vorstellung einer einheitlichen Menschheit mit einheitlichen Menschenrechten wird deshalb als gestaltwidrig abgelehnt, weil Gestalt eben in sich ein hierarchisches Gefüge hat. Deshalb dürfe "Verschiedenes" eben nicht zusammengefügt werden außerhalb des spirituellen Zusammenhanges in der Ganzheit des All-Göttlichen, der aber kein "atomistischer" Zusammenhang der Gleichheit, sondern ein organischer, hierarchischer der Ungleichheit sei. "Einheit in der Vielheit", so diese These, sei eben nicht aus der Gleichheit heraus möglich, sondern nur aus der Verschiedenheit. (306)

Doch gibt es im Ganzen der "Arier" eben auch eine Hierarchie, innerhalb der sich nicht jeder zum spirituellen Führer aufschwingen darf. Allenfalls ermöglicht in diesen Vorstellen die pan-arische Fähigkeit der Selbstvergöttlichung dazu, das eigene Unten als ein göttliches Unten zu erkennen und sich deshalb in ihm zu fügen, während das Oben der Eliten und Herrschenden ebenso als göttliches Oben anerkannt und akzeptiert wird. Zu dieser Herrenmenschen-Ideologie fühlen sich im Faschismus auch Teile der Massen hingezogen, vor allem solche, die real am wenigsten "göttlich" über ihre eigenen Lebensbedingungen bestimmen können. Doch die Selbstvergöttlichung kommt auch für die "arischen" Massen, für die kleinen faschistischen Täter, lediglich als Verheißung einher, die sie nur in ihrem Verhalten gegen die "Untermenschen" einlösen können. Niemals jedoch werden sie tatsächlichen Einfluß auf gesellschaftliche Zustände, auf ihr eigenes Leben haben. Die hinter den realen Handelnden stehende und sie "ethisch" absichernde Selbstvergöttlichung tritt hier real als hierarchisch gestufte Göttlichkeit auf: Der SS-Scherge im Warschauer Ghetto konnte sich allenfalls gegen Lebensmittel hortende, verhungernde Wehrlose als Gott aufspielen. In der gesamten "Gestalt" der Nazi-Hierarchie faschistischen Gottmenschentums war er lediglich ein untergeordneter Teil, dem seine eigene Unterordnung, sein eigenes Getretenwerden im Gesamtgefüge, durch die Erlaubnis zur relativen Göttlichkeit gegenüber Kindern und Schwachen, zum Treten nach "unten", erträglich gemacht werden sollte.

Im New Age ist es eher schwierig, einen direkten völkischen oder rassistischen Relativismus des Gotterkennens zu predigen, denn hier will man ja "global denken", zumindest also die Möglichkeit der Erleuchtung für ein paar Führer aus allen Völkern offenhalten. Dieser Anspruch hindert an verbaler Ehrlichkeit, auch wenn Bohm - an dem sich Capra immer wieder orientiert und den auch Dürr gerne zitiert - den Weg zu einem New Age-haften Relativismus öffnet. Aber über einen anderen Weg kommt man hier zum selben Ziel, der indirekten Postulierung des "Arischen" als des Höchsten nämlich. Wie oben an der gleichartigen Zivilisationskritik dargestellt, findet sich trotz allem "Yin und Yang" von Gut und Böse im Faschismus wie im New Age selbstverständlich der Feind, der bekämpft wird, das abzulehnende Böse. Er tritt zumindest als Natur zerstörender, Ganzheit fragmentierender, utilitaristischer Mensch des "Habens" statt des "Seins" auf. Gemeint ist derjenige, der bewußt gegen das göttliche Wollen in ihm handele. (Hier ist ein nicht zu kittender logischer Bruch im pantheistischen Organizismus, den Mynareks mit letztlich christlichen Vorstellen lösen wollte, die zum Glauben an die Sündhaftigkeit zurückführen. Dieser Bruch macht im übrigen auch die konzeptionelle Ärmlichkeit dieser Weltanschauung deutlich.) Gemeint ist auch, wer wegen anderer biologischer und/oder kultureller Ausstattung zum Erkennen der Eigengöttlichkeit und ihrer eigen-inneren Handlungsgebote angeblich schon gar nicht in der Lage sei. In der gesamten Geistesgeschichte dieses "Neuen Denkens" von den "Gründerjahren" des Deutschen Reiches an wird dieser abgelehnte, zu bekämpfende, zu vernichtende "Irrläufer der Evolution" immer mit der biblischen Trennung von Gott und Welt, der Entgöttlichung der Natur, der Fragmentierung des Ganzen im Dualismus von jenseitigem Gott und diesseitiger Welt, von dortigem Himmelreich und hiesigem Jammertal in Verbindung gebracht: also mit der Weltanschauung des Judentums.

Die Behauptung, das biblische Gebot des jüdischen Gottes an die Menschen: "Machet Euch die Erde untertan!", trage die Schuld an den Zivilisationskrisen jeder Art, tut ein übriges. Es ist zwar ein völliger Unsinn, weil die Bibel den Menschen nicht zur Vernutzung der Natur auffordert, sondern zum ehrfurchtsvollen Umgang mit der eben göttlichen, nicht menschlichen Schöpfung. Das hindert aber alle Ideologen der Ganzheit - ob christlich-antisemitisch, ob germanisch-nazistisch, ob "neurechts-europäisch-eigen", ob New Age-amerikanisch, nicht daran - eine angeblich falsche und schlechte jüdische Weltauffassung einer angeblich richtigen und guten indogermanischen gegenüberzustellen. Und überall in Faschismus oder New Age, wo dieser Feind-Mensch beschrieben wird, ist er das Schreckgespenst des Liberalisten und/oder des Sozialisten, des nur am materiellen Interessierten, der alles rücksichtslos wegrafft, auch um den Preis der Selbst- und Weltzerstörung. Es mag erstaunen, besser erschrecken: Dieses Menschenbild des Feindes ist die Fratze des Geld scheffelnden Juden aus der nazistischen Karikatur. Sie und meist nur sie wird im New Age wie im Faschismus als die Ausgeburt des Bösen angeführt. Man erkennt diese Feindesfratze immer noch in der "neurechten" und auch in der New Age-Literatur, obwohl sich die Ideologen von Hunke bis Benoist, von Mynarek bis Capra, erst recht der unbelehrte, als Jude verfolgte Erich Fromm, nach Auschwitz nicht mehr der Redewendungen Lagardes, Chamberlains oder Kriecks bedienen.

Zudem zeigt sich im New Age die Tendenz, einen neuen Rassismus aufzumachen, wie z. B. bei Mynarek, der Religiösität als biologische Tatsache sieht. Er behauptet von seinem "öko-religiösen" Menschen, dieser habe den nächsten Schritt der Evolution bereits vollzogen, sei selbst "Sinn der Evolution", handele einzig im Einklang mit der Gott-Natur und somit kosmisch-ethisch, während derjenige, der auf der Evolutionsleiter angeblich eine Stufe darunter stehengeblieben sei, der "Irrläufer" sei, feindlich gegen die Gott-Natur und damit unethisch. Die Ausgrenzung, die hier geschieht, unterscheidet sich prinzipiell in nichts von der nazistischen Ausgrenzung als "Rassefremder", "Volksschädling" usw., als demjenigen, der aus dem als göttlich ausgegebenen Ganzen herausfällt, durch eigene Schuld oder durch Anderssein. Mit dem aber, der als Gottesschädling dingfest gemacht werden kann, gibt es keine Diskussion mehr über ein Richtig oder Falsch der "gottesschädlichen" Ansichten über den Umgang mit und die Organisation der Welt. Es gibt nur noch göttlich gerechtfertigte Vernichtung.

...weiter im Text:   Dritter Teil von Kapitel 3

 

Anmerkungen des zweiten Teils von Kapitel 3:
(Zurück im Text zur Stelle der Anmerkung über den "Zurück"-Button Ihres Browsers.)

(206) D. Bohm: Fragmentierung und Ganzheit, in Dürr 1990, S. 281. F. Capra: Wendezeit. Bausteine für ein neues Weltbild, München 1988, S. 22f.
(207) Capra 1988, S. 38 f. Vgl. H. Mynarek: Ökologische Religion. Ein neues Verständnis der Natur, München 1986; ders.: Die Vernunft des Universums. Auf der Suche nach den Lebensgesetzen von Kosmos und Psyche, München 1988. Vgl. E. Fromm: Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft, Stuttgart 1976, z. B. S. 12 ff. Fromm (S. 9) empfiehlt ausdrücklich den rechtsextremen französischen Philosophen und Anhänger von Telepathie und Parapsychologie, Gabriel Marcel, und dessen Buch "Sein und Haben" von 1935 (deutsch 1954).
(208) Die Quellen über germanische Religiösität sind unsicher und politisch gefärbt, z. B. die "Germania" des Tacitus. Die meisten Vorstellungen über germanische Mythologie sind Erfindungen der Gotik, der Romantik und der völkischen Bewegung.
(209) P. de Lagarde: Ueber das verhältnis des deutschen Staates zu theologie, Kirche und religion, Göttingen 1873, S. 22 f. Zit. n. der Originalorthographie. Die Schrift entstand im wesentlichen 1859. Vgl. a. ders.: Deutscher Glaube, Deutsches Vaterland, Deutsche Bildung, Jena 1925 (Verlag Eugen Diederichs), z. B. S. 3-5.
Zur damals üblichen Identifizierung von Judentum und kapitalistischen Mißständen vgl. auch F. Stern: Kulturpessimismus als politische Gefahr, Bern 1963, S. 90 f.
Vgl. H.-P. Obladen: Waldsterben im 19. Jahrhundert. Zur Geschichte eines aktuellen Problems, in: "Ästhetik und Kommunikation", Heft "Deutsche Mythen", 1984.
(210) H. St. Chamberlain: Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts, München 1899, S. 404; S. 443. Den Begriff "Judaochristentum" oder "Judäochristentum", den die "Neue Rechte" um Benoist und Hunke wiederentdeckt hat, benutzte bereits Chamberlain, als er von der "judaeo-christliche(n) Religion" (1899, S. 682) sprach.
(211) Vgl. H. Eichberg: Abkopplung, 1987. Vgl. H. Eichberg: Kommen die alten Götter wieder?, 1984, wo er sich auch z. B. auf Hermann Wirth bezieht, den religiösen Germanenmystiker und zeitweiligen Chef der SS-Organisation "Ahnenerbe"; zit. S. 27; S. 35; S. 42.
(212) H. St. Chamberlain: Grundlagen, a. a. O.; S. Hunke: Europas andere Religion, Düsseldorf 1969; A. de Benoist: Die Religion der Menschenrechte, in: Krebs 1988.
(213) H. St. Chamberlain 1921, S. 716.
(214) S. Hunke: Das Ende des Zwiespalts, Bergisch Gladbach 1971, S. 101. Im Erscheinungsjahr dieses Buches wurde Hunke zur Vizepräsidentin der nazistischen Sekte "Deutsche Unitarier Religionsgemeinschaft e. V." gewählt. Dies.: Kampf um Europas religiöse Identität, in: Krebs 1988, S. 81.
(215) Vgl. "esotera", Nr. 10/1988, S. 20-22.
(216) Capra 1988, S. 324; S. 338; S. 329; S. 331; S. 403 ff; S. 406.
C. G. Jungs "kollektives Unbewußtes", das heute im New Age, nicht nur bei Franz Alt, wiederauferstanden ist, war vom Erfinder als völkische Kategorie gedacht. R. Jäckle, S. 89 f, zitiert z. B. einen Text Jungs aus dem Jahre 1934: "Das arische Unbewußte hat ein höheres Potential als das jüdische; ... Meines Erachtens ist es ein schwerer Fehler der bisherigen medizinischen Psychologie gewesen (er meint Sigmund Freud, P. K.), daß sie jüdische Kategorien, die nicht einmal für alle Juden verbindlich sind, unbesehen auf den christlichen Germanen oder Slawen anwandte. Damit hat sie nämlich das kostbare Geheimnis des germanischen Menschen, seinen schöpferisch ahnungsvollen Seelengrund als kindisch-banalen Sumpf erklärt. ... Wo war die ungeheure Spannung und Wucht, als es noch keinen Nationalsozialismus gab? Sie lag verborgen in der germanischen Seele, in jenem tiefen Grunde, der alles andere ist als der Kerichtkübel unerfüllbarer Kinderwünsche und unerledigter Familienressentiments." Dieselbe Position vertritt auch Mynarek 1988.
(217) Dürr 1990, Vorwort, S. 10; C. F. v. Weizsäcker: Parminedes und die Quantentheorie. Naturgesetz und Theodizee, in Dürr 1990, S. 261; P. Jordan: Die weltanschauliche Bedeutung der modernen Physik, in Dürr 1990, S. 227. Vgl. M. Berman: Wiederverzauberung der Welt, München 1983.
(218) Jordan, S. 227. M. Planck: Religion und Naturwissenschaft, in Dürr 1990, S. 23. Planck wendet sich deutlich gegen eine Spiritualisierung der Physik, daher auch Dürrs Kritik an ihm.
(219) Der Goldmann-Verlag gehört zur Bertelsmann-Gruppe. In einem Gebäude an der Rue Pierre le Grand in Paris, in dem die Bertelsmann-Tochter "Gruner und Jahr" ihr Quartier hatte, residierten lange Zeit gleichzeitig die Redaktionen führender französischer Zeitschriften der "Nouvelle Droite" um Alain de Benoist.
(220) Mynarek 1988, S. 31; ders. 1986, S. 171; S. 39; S. 90; S. 157; S. 158.
(221) Mynarek 1986, S. 212 f; ders. 1988, S. 293; S. 144.
(222) Bahro 1987, S. 21; S. 493; S. 337; S. 455.
(223) Vgl. z. B. P. de Lagarde: Deutsche Politik und Religion, S. 69 f.
(224) Vgl. G. Mosse: "Ein Volk Ein Reich Ein Führer. Die völkischen Ursprünge des Nationalsozialismus", Königstein 1979. Er geht insbesondere auf den "germanischen Glauben" als den damaligen Respiritualisierungsversuch ein.
(225) Vgl. z. B. P. de Lagarde: Die Religion der Zukunft. Erster Band der Deutschen Schriften, Ostern 1878, zit. n. ders.: Deutsche Schriften, München 1934, S. 253 (Ablehnung der religiösen Beziehung auf die Natur); S. 272 (Kritik der Weltflucht des Katholizismus); S. 277 (Deutscher Glaube zeige sich in Buchen und Eichen). Vgl. J.-J. Anstett: Paul de Lagarde, in: The Third Reich, S. 190.
(226) Chamberlain 1899, S. 670; S. 1044; S. 654; ders. 1921, S. 757; ders. 1899, S. 288; S. 659 f; S. 1057; S. 1104; S. 1105. Zum "Yin und Yang" vgl. a. Chamberlains "Kant"-Buch, 1921, S. 292 ff, über die Naturmystik der "altarischen Inder" und der Naturvölker.
(227) Chamberlain 1899, S. 1104; zum Pantheismus S. 1115.
Seinen Rassismus als den zweiten Kern der "Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts" kann er kaum durchhalten. Immer wieder muß er ihn an kulturelle Erscheinungen binden, denn alle Versuche, den "Arier" über blonde Haare, blaue Augen usw. zu definieren, scheitern. Selbst die Definition über die Schädelform, die im Nationalsozialismus gängig wurde und die der "Deutsche Unitarier"-Papst Wilhelm Hauer noch in den sechziger Jahren vertrat, verlangt nach Ausnahmen, weil Chamberlain ihm positiv erscheinende Kulturgrößen als "Arier" retten möchte, die der rassistischen Schädel-Norm nicht entsprechen.
(228) H. St. Chamberlain: Dilettantismus, Rasse, Monotheismus, Rom. Vorwort zur 4. Auflage der Grundlagen des XIX. Jahrhunderts, München 1903, S. 66.
Duns Scotus: ein voluntaristischer mittelalterlicher Franziskaner-Mystiker, der heute z. B. beim Evangelikalen Borowski (vgl. Kap. 2) hoch im Kurs steht. Die durch Duns' Nachfolger chaotisierte Ideologie des Scotismus löste im Franziskaner-Orden den Augustinismus ab. "unitas ineffabilis": ein Begriff des römischen Kirchenvaters Augustinus, das "unaussprechliche Eine", der etwa den Heiligen Geist der Pneumatologie bezeichnet. Es ist erstaunlich, daß Chamberlain hier einen Ausdruck des in Nordafrika missionierenden Augustin verwendet, den er ansonsten abfällig als "afrikanischen Mestizen" für die "Verjudung" und Orientalisierung des "germanischen" Christentums verantwortlich macht, so wie Hunke heute, die von "dem Afrikaner" spricht, wenn sie Augustin meint.
(229) P. E. Schlund: Neugermanisches Heidentum im heutigen Deutschland, Reprint der 2. Auflage (München 1924) als Heft 4 der Irmin-Edition, hrsgg. von der Arbeitsgemeinschaft für Religions- und Weltanschauungsfragen (F.-W. Haack), München o. J. (80er Jahre), S. 51. Wie Künneth, so war auch Schlund ein christlicher Antisemit und stimmte den anfänglichen Verfolgungsmaßnahmen der Nazis gegen Juden zu.
(230) Die Dr. Lothar Rosipaul Verlagsgesellschaft München gibt alljährlich den von Jens Dittmar bearbeiteten Buchkatalog "Lebenshilfe und Esoterik" heraus, der New Age-Literatur zahlreicher deutschsprachiger Verlage vorstellt und laut Impressum "von mehr als 600 Buchhändlern" in der Bundesrepublik Deutschland, Österreich und der Schweiz "kostenlos an Kunden abgegeben" wird.
DG-Flugblatt zit n.: Deutschland-Berichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (Sopade) 1934-1940, Frankfurt a. M. 1980, 2. Bd. 1935, S. 237.
(231) Eichberg 1978, S. 203; ders. 1984, S. 22; S. 36.
(232) S. Hunke: Europas andere Religion, Düsseldorf 1969, S. 500; S. 501. Dies.: Vom Untergang des Abendlandes zum Aufgang Europas, Rosenheim 1989.
(233) "elemente", Nr. 1/1986, S. 5 ff.
(234) A. de Benoist: Heide-Sein zu einem neuen Anfang, Tübingen (Grabert-Verlag) 1982. G. Faye: Die neuen ideologischen Herausforderungen, in: P. Krebs (Hrsg.): Mut zur Identität. Alternativen zum Prinzip der Gleichheit, Struckum (im Ludendorffer-"Verlag für ganzheitliche Forschung und Kultur") 1988, S. 218 und S. 231.
"Surhumanismus": Ein aus dem Französischen schlecht übersetzter Ausdruck, der in etwa bedeuten soll: gegen "die Fesseln des Egalitarismus und der tausendjährigen Ideologie des okzidentalen Humanitarismus" (S. 217) gerichtet.
(235) Nach Luthers Gnaden-Automatik geht ins Himmelreich ein, wer nur stark genug an Christus glaubt. Der Glaube ist der entscheidende Schlüssel, nicht das ethische Handeln auf Erden. So wurde die ethisch disziplinierende Lehre von der Sündhaftigkeit des Menschen ausgehebelt, mit faustischen Folgen.
Im November 1993 wurde an den 500. Geburtstag des Paracelsus erinnert, vgl. "Frankfurter Allgemeine Zeitung" 10. 11. 1993. Die Deutsche Bundespost brachte eine Sonderbriefmarke mit dem Bild des Paracelsus und Tierkreiszeichen heraus.
Mohler 1950, S. 71 f.
(236) Mynarek 1986, S. 159.
(237) Capra 1988, S. XI; S. 488; S. 5; S. 6.
(238) Chamberlain 1899, S. 482; ders.: "Goethe", zit. n. d. Volksausgabe 1932, S. 716; ders. 1899, S. 907; S. 1103; ders. 1921, S. 288; ders. 1899, S. 1045.
(239) Capra 1988, S. 388.
(240) G. Schiwy: Teilhard de Chardin, München 1981, S. 208. Schiwy ist Teilhard-Anhänger, verschweigt in seiner Biographie aber nicht die heute negativ wirkenden Seiten seines Vorbildes.
Vgl. G. Lukács: Zerstörung der Vernunft. Der Weg des Irrationalismus von Schelling zu Hitler, Berlin 1954.
(241) Chamberlain 1899, S. 1086; S. 1044. Weizsäcker in Dürr 1990, S. 239.
(242) J.-P. Regelmann: Systemtheorie und Krise. Betrachtungen über die historischen Zusammenhänge zwischen Politik, Wissenschaft und der Sinn-Sucht nach der Weltanschauung, in: ders. u. E. Schramm, S. 77.
W. I. Lenin: Materialismus und Empiriokritizismus. Kritische Bemerkungen über eine reaktionäre Philosophie; vgl. dort v. a. "Kapitel V: Die neueste Revolution in der Naturwissenschaft und der philosophische Idealismus". Zit. n. d. deutschen Ausgabe des Verlags für fremdsprachige Literatur, Moskau 1947.
(243) Küenzlen 1988, S. 246.
(244) Lukács, S. 69 f; S. 71.
(245) P. Forman: Weimar Culture, Causality, and Quantum Theory, 1918-1927: Adaptation by German Physicists and Mathematicians to a Hostile Intellectual Environment, in: Historical Studies in the Physical Sciences 1971, S. 1-115. Forman stützt sich auf eine vorherige Arbeit von M. Jammer: The Conceptual Development of Quantum Mechanics, New York 1966, und seine eigene Dissertation: P. Forman: The Environment and Practice of Atomic Physics in Weimar Germany, Merkeley 1967. In der Einschätzung des kulturell-politischen Milieus der Weimarer Republik stützt er sich auch auf Sontheimer und Lukács.
Forman benutzt das deutsche Wort "Entseelung" (S. 11) und verweist im übrigen auch, aber nur am Rande, auf H. St. Chamberlain, O. Spann, E. Spranger und M. Heidegger als Mitverantwortliche für diese Vorwürfe und das antirationale Klima, vgl. S. 102, S. 21, S. 40 u. S. 34.
Das Argument, daß sich vor allem auch Forscher jüdischer Herkunft im antisemitischen Klima an das ganzheitliche Denken der hegemonialen Lebensphilosophie überanpaßten, so, wie viele deutsche Juden mit ihren Weltkriegs-Orden auf ihren Patriotismus verweisen wollten, um damit ein Gegengewicht zum deutsch-völkischen Antisemitismus zu setzen, bringt Forman nicht.
(246) U. Geuter: Die Professionalisierung der deutschen Psychologie im Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. 1984, S. 85-99, hier S. 95.
(247) Forman, S. 16. Neben Lukács und Sontheimer stützt sich Forman in der Einschätzung des geistigen Klimas im Deutschland der zwanziger Jahre auf P. Gay: Weimar Culture: The Outsider as Insider, New York 1968, und F. K. Ringer: The Decline of the German Mandarins. The German Academic Community 1890-1933, Cambridge, Mass. 1969.
(248) In Forman, S. 12 f. Übersetzung Verf.
Zur Verfälschung des Deterministen Einstein und zum Ausspielen des älteren (religiösen) gegen den jüngeren (materialistischen) Einstein zugunsten eines idealistischen, kosmisch-pantheistischen Weltbildes vgl. F. Herneck: Einstein und sein Weltbild, Berlin (DDR) 1976.
(249) Vgl. z. B. Krebs 1988, S. 372; S. 380. Lenin, S. 312.
Der ursprünglich aus der Résistance kommende Ideologe der "Nouvelle Droite" Julien Freund, heute Autor in fast allen "neurechten" Publikationen und Herausgeber der von Sorel gegründeten Sammlung "Le Devenir Social", hielt 1975 bei der von Armin Mohler geleiteten Siemens-Stiftung einen Vortrag über Sorel, interessanterweise auf Vermittlung von Thomas Nipperdey, der sich in besonderer Weise um die Religion als Integrationsinstanz bemüht. Mohler selbst schrieb ergänzend zu dem als Broschüre der Siemens-Stiftung erschienenen Vortrag eine Kurzbiographie und Bibliographie Sorels, vgl. P. Kratz, 1991b. Sorels interessanter Beitrag zu unserem Thema kann hier leider nicht weiter ausgeführt werden.
Vgl. A. Steil: Die imaginäre Revolte. Untersuchungen zur faschistischen Ideologie und ihrer theoretischen Vorbereitung bei Georges Sorel, Carl Schmitt und Ernst Jünger, Marburg 1984; J. J. Roth: The roots of Italien fascism: Sorel and Sorelismo, in: The Journal of Modern History (Chicago), Jg. 39, 1967, S. 30-45; Michael Freund: Georges Sorel. Der revolutionäre Konservatismus, Frankfurt 1972; M. Curtis: Three against the Third Republic. Sorel, Barrès and Maurras, Princeton, N. J., 1959.
(250) Capra 1988, S. 82; S. 84; S. 47.
Hunke 1969, S. 485 f (verfälschend); S. 486; S. 489.
R. Künast: Empirische Wissenschaften zur Gleichheitslehre, in: Krebs 1981, S. 277. Der Gründer des Grabert-Verlages, Herbert Grabert, war in der "Deutschen Glaubensbewegung" Wilhelm Hauers aktiv.
Krebs 1988, S. 36.
Vgl. W. Heisenberg: Der Teil und das Ganze. Gespräche im Umkreis der Atomphysik, München 1969; ders.: Physik und Philosophie, Stuttgart 1959; ders.: Die Einheit des naturwissenschaftlichen Weltbildes, Leipzig 1942.
(251) Grußadressen für Ernst Krieck in: Volk im Werden, Jg. 1942, S.146.
(252) K. B. Ritter: Religiöse Grundeinstellung der Jugend, in: A. Moeller van den Bruck, H. von Gleichen und M. H. Boehm (Hrsg.): Die Neue Front, Berlin 1922, S. 95; S. 92.
A. Dietrich: Wissenschaftskrisis, in: ebd., S. 149, 168 f.
(253) Zeitschrift "Volk im Werden", Jg. 1942, S. 175; S. 177; Weizsäckers Artikel S. 95-105.
(254) Thomas Görnitz: Carl Friedrich von Weizsäcker. Ein Denker an der schwelle zum neuen Jahrtausend, Freiburg 1992, S. 119; S. 125.
(255) Weizsäcker zit. n. R. Wisser: Verantwortung im Wandel der Zeit, Mainz 1967, S. 202.
H. Korch: Zur Kritik des physikalischen Idealismus C. F. v. Weizsäckers, Berlin (DDR) 1959. Korch sieht hier bereits die Notwendigkeit einer linken Auseinandersetzung mit dem, was heute als New Age Breitenwirkung entfaltet hat, und kritisiert die Untätigkeit und Flachheit der Nachkriegs-Linken in der Auseinandersetzung mit dem physikalischen Idealismus. Allerdings läßt er die spirituelle Dimension des physikalischen Idealismus außen vor, weil er 1959 wohl deren kommende Bedeutung im New Age nicht sehen konnte.
(256) F. Capra: Das Tao der Physik, München 1984, S. 62 f.
(257) Ph. Lenard: Deutsche Physik, München 1936, zit. n. 3. Aufl. 1943. Vgl ders.: Große Naturforscher. Eine Geschichte der Naturforschung in Lebensbeschreibungen, München 1929, zit. n. 6. Aufl. 1943, in dem Lenard J. C. Maxwell zum Vertreter ganzheitlichen Denkens auf der Basis der "Einheit des Äthers" macht, S. 305.
Das Ziel der "Deutschen Physik" nicht verstanden hat Marie-Luise Heuser: "Was grün begann endete blutigrot", in: D. Hassenpflug (Hrsg.):Industriealismus und Ökoromantik. Geschichte und Perspektiven der Ökologisierung, Wiesbaden 1991, S. 43-64. Heuser begreift ebenfalls den Faschismus nicht als Ideologie zur Absicherung der Gesellschaftsmodernisierung. Vgl. Schweidlenka 1989 (S. 39 f), der den Zusammenhang zwischen der ersten "New Age"-Bewegung der Völkisch-Religiösen und der industriellen Modernisierung durch den Faschismus ebenfalls nicht versteht.
(258) E. Krieck: Leben als Prinzip der Weltanschauung und Problem der Wissenschaft, Armanen-Verlag Leipzig 1938. Chamberlain 1899, S. 129.
(259) Heisenberg hatte kein Problem, sich auf Einstein zu beziehen, und wurde deshalb zeitweise als "Geist von Einsteins Geist" und als "der Ossietzky der Physik" angegriffen, z. B. in "Das Schwarze Korps" vom 15. 7. 1937, zit. n. R. Wistrich: Wer war wer im Dritten Reich, München 1983, S. 117. Unter nazistischen Ideologen fand eine heftige Kontroverse um die Physik statt, die schließlich aufgrund der Perspektive "Atombombe" zugunsten des Heisenberg-Kreises entschieden wurde, dessen weltanschauliche Ideen sich - ungeachtet des "Problems" Einstein - auf der Basis des Organizismus dann doch in die NS-Ideologie integrieren ließen.
Wir wollen keinesfalls behaupten, Lenards fast schon pantheistisches Äther-Konzept sei nur eine andere Formulierung der neueren Physik, insbesondere der Relativitätstheorie, im ideologischen Gewand des "Ariertums" gewesen. Aber die ideologischen Verfälschungen und Interpretationen der neueren Physik haben einen gemeinsamen Grund mit Lenards pantheistischer Umformung des Äthers: der Kampf gegen den Dialektischen Materialismus mit Hilfe "naturwissenschaftlicher" Unterstützung.
Auch ist zu bedenken, daß Lenard und Chamberlain durchaus mechanistische Anteile in ihrem Denken hatten, sich im Übergang von mechanistischen zum holistischen Weltbild befanden.
(260) H. St. Chamberlain: Gestalt und Leben. Hrsgg. von Jakob von Uexküll, München 1928, S. 11.
Vgl. Mynarek 1988; Krebs 1981.
(261) Chamberlain 1928, S. 102; S. 32; S. 105; S. 96; S. 101; S. 132. Vgl. Capra 1988, S. 324. Chamberlain 1928, S. 136.
(262) Chamberlain 1928, S. 45; S. 50; S. 74. Daß Chamberlain noch am Anfang ganzheitlichen Denkens steht, wird hier in seiner Trennung von "beiden" und der Idee der "Bürgschaft" der "beiden" füreinander deutlich. Heutiges ganzheitliches Denken sieht "beide" als Eines, weil Teil des einen kosmischen, pantheistischen Transzendenten.
(263) Chamberlain in einem Brief vom 7. 10. 1923 an Adolf Hitler, zit. n. G.-K. Kaltenbrunner: Houston Stewart Chamberlains germanischer Mythos, in: "Politische Studien. Zweimonatsschrift für Zeitgeschichte und Politik", 18. Jg., 1967, S. 568-583, hier: S. 583.
(264) Vgl. Kratz 1990.
(265) Peinliche Verwechslungen der beiden Jacob von Uexküll finden sich tatsächlich immer wieder. So meint Maria Wölflingseder, der ältere von beiden, der schon 1944 starb, habe den "Alternativen Nobelpreis" gestiftet, in: M. Wölflingseder: Von oben oder von unten? Eine Studie über gesellschaftliche Veränderungen aus der Sicht Paulo Freires und Fritjof Capras unter besonderer Berücksichtigung gegenwärtiger New Age-Strömungen, Diss. Phil., Universität Wien 1991, S. 192.
Einladungsschreiben der "Jugend- und Bildungsstätte Klingberg der Deutschen Unitarier" vom 11. 2. 1991 für das "Osterseminar: Perspektiven einer ökologischen Politik im geeinten Europa."
(266) J. Smuts: Die holistische Welt, 1938. In der uns vorliegenden Originalausgabe der deutschen Ausgabe sind die zitierten Stellen Meyer-Abichs nach dem 8. Mai 1945 überklebt worden, ließen sich jedoch gut - gegen das Licht gehalten - lesen. Die Praxis des Überklebens offen faschistischer Textstellen findet sich in öffentlichen Bibliotheken häufig.
(267) F. S. Crafford: Jan Smuts. A Biography, New York 1945, zit. S. 225ff.
R. P. Stevens: Weizman and Smuts, Beirut 1975. Übersetzung vom Verf. Die von der Universität von Kuwait finanzierte und vom "Institute for Palestine Studies" herausgegebene Studie ist politisch gegen Israel gerichtet und sieht die Unterstützung der Errichtung und Existenz Israels durch Smuts und Südafrika als eine Maßnahme rechtsextremer Unterstützung für den völkischen Zionismus. Wir beziehen uns hier nur auf die von Stevens geschilderten Fakten über Smuts.
Die Studie von Stevens zeigt jedoch in unserem Sinne etwas anderes: Die vom (Neo-) Faschismus behaupteten ideologischen Unterschiede zwischen einem "dualistischen Juden" (wie hier Weizman) und einem "ganzheitlich-holistischen Arier" (wie hier Smuts) spielen in der praktischen Politik keine Rolle mehr, wenn der Imperialismus sich zur Verfolgung seiner Ziele sowohl das Judentum als auch den Holismus nutzbar machen kann - eine praktische Art von "Einheit in der Vielheit" der Ideologien.
(268) Lenin, S. 273; S. 336; S. 271.
(269) Diesen Aspekt des Heroischen Realismus als Folge von Ganzheitsideologie in Verbindung mit Selbstvergöttlichung sieht Wölflingseder überhaupt nicht, da bei ihr die religiöse Seite des New Age gänzlich unterbelichtet bleibt.
(270) Wölflingseder, S. 41; S. 47.
(271) J. Langbehn: Rembrandt als Erzieher, 1890, S. 153. Langbehns Buch, das wir hier nicht näher behandeln können, gehört ebenfalls zu den herausragenden "New Age"-Werken der letzten Jahrhundertwende. Vgl. G. Mosse 1979, S. 49 ff, und D. Mendlewitsch 1988, S. 74-115. Vgl. Langbehns posthum erschienenes Buch "Der Geist des Ganzen", Freiburg 1933.
(272) P. de Lagarde: "Deutsche Politik und Religion", S. 25. Vgl. J.-J. Anstett, a. a. O., der aus Lagardes "Die Reorganisation des Adels" zitiert: "No nation can do without an organic structure; the mechanical division which the State effects and requires does not replace the structure that comes from natural evolution an growth" (S. 158).
Zu Diederichs vgl. Lutzhöft, S. 219.
Mendlewitsch, S. 129.
(273) Lagarde zit. n. Mendlewitsch, S. 139. Mendlewitsch, S. 140; vgl. S. 141; S. 155. Mendlewitsch nennt in ihrem Buch das New Age nicht.
Vgl. Mynarek 1986.
(274) F. Stern, S. 265.
E. Krieck in "Volk im Werden", Jg. 1942, S. 113.
(275) Chamberlain 1921, S. 325; S. 327. Capra 1991, S. 309. Chamberlain 1899, S. 341.
Vgl. J. Réal: The Religious Conception of Race: Houston Stewart Chamberlain and Germanic Christianity, in: The Third Reich, S. 252 f.
(276) Chamberlain 1928, S. 96; S. 124; S. 132. Vgl. Mynarek 1988. Chamberlain 1921, S. 294.
Der widersprüchliche Chamberlain lehnt dagegen diese platte Gleichsetzung von Natur und Vernunft in seinem "Kant"-Buch ab. Das Buch argumentiert in der Folge der neukantischen Bewegung der Jahrhundertwende erkenntniskritisch und verfährt deshalb anders als manch erkenntnistheoretisch ungebildeter New Ager von heute. Chamberlains Descartes- und Kant-Interpretationen erscheinen in einer zwischen ganzheitlichem und mechanistischem Weltbild ständig unentschlossen schwankenden Argumentation zu pendeln, kommen jedoch - da er Kant (wie auch Descartes) als "Arier" und "Germanen" und daher als Vertreter des Organizismus retten will - schließlich zu einer vermittelnden Position, in der Descartes - und in seiner Fortentwicklung Kant - als "arische" Urväter ganzheitlichen bzw. pantheistischen Denkens vorgestellt werden.
(277) Mynarek 1986, S. 165; ders. 1988, S. 43; S. 25 f. Chamberlain 1921, S. 293 f.
(278) J. v. Uexküll: Staatsbiologie, zit. n. 2. Aufl. 1933, S. 48. Capra 1988, S. 51 f.
(279) Im New Age wie in der faschistischen Literatur, bei Hunke gleichermaßen wie in Rosenbergs "Mythus des zwanzigsten Jahrhunderts" (S. 145, S. 255), auch bei nazistischen Sekten wie den "Deutschen Unitariern", wird immer wieder darauf verwiesen, daß die ersten Christen bei den Germanen "Arianer" gewesen seien und das "arianische Christentum" erst vom römisch-jüdischen hätte zurückgedrängt werden müssen. Das "arianische Christentum" des beginnenden Mittelalters zeichnete sich nach diesen Darstellungen durch eine einheitliche (statt dreiheitliche: Gottvater, Sohn und Heiliger Geist) Gottesvorstellung aus, dessen Nachfolge offenbar das pantheistische "Deutsche Christentum" der völkischen Bewegung antreten wollte.
(280) F. Capra: Das neue Denken, München 1987, S. 91; ders. 1988, S. 293; S. 314. Mynarek 1988, S. 176. Capra 1988, S. 315. Chamberlain 1921, S. 327.
(281) Vgl. Fromm, 65; S. 126. Volk im Werden, Jg. 1942, S. 45; S. 111; S. 46; Krieck 1938, S. 30.
(282) S. Hunke 1969, S. 459 f. Chamberlain 1899, S. 614-620.
(283) Vgl. z. B. Capra 1988, S. 433; G. R. Bach und H. Molter: Psychoboom. Wege und Abwege Moderner Therapie, Reinbek 1979, das bereits die New Age-Ansätze der Humanistischen Psychologie und hierbei insbesondere auch das kalifornische Esalen-Institut kritisch behandelt. Über die gestaltpsychologischen Ziele des Esalen-Gurus Fritz S. Perls schrieb "Der Spiegel", Nr. 41/1983, S. 275: "Jeder einzelne müsse zu der in seiner Natur archetypisch angelegten, ganzheitlichen 'Gestalt' als Lebensform finden."
Das Buch von Bach und Molter, eines der ersten neuen, das dem New Age gegenüber kritisch argumentierte, ohne daß dieser Begriff bereits bekannt gewesen wäre, erschien interessanterweise zuerst 1976 im Eugen Diederichs Verlag, der in den zwanziger Jahren ebenso groß im Geschäft mit Publikationen des ersten, deutsch-völkischen "New Age" und der neuheidnischen Konservativen Revolution war wie heute mit solchen des New Age, und heute auch wieder nachgedruckte Neuausgaben des zwanziger Jahre-"New Age" bringt. Arno Klönne, der sich von uns in unserem Sammelband "In bester Gesellschaft" (Hethey u. Kratz 1991) in die Nähe der Konservativen Revolution gestellt sieht - zu Unrecht, wie er meint; aus einem Mißverständnis seinerseits heraus, wie wir meinen -, veröffentlichte in den achtziger Jahren bei Diederichs. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß der nazistische "Schamane" Hermann Wirth 1928 bei Diederichs sein Buch "Aufgang der Menschheit. Untersuchungen zur Geschichte der Religion, Symbolik und Schrift der atlantisch-nordischen Rasse" veröffentlichte, Werner Georg Haverbeck sich als Schüler Wirths sieht und 1985 ein "Hermann-Wirth-Symposium" im "Collegium Humanum", Haverbecks Tagungshaus für Rechtsextremisten, abhielt (vgl. Gugenberger u. Schweidlenka, S. 127) und Klönne in den siebziger Jahren im Vorstand des "Collegium Humanum", saß (vgl. Hethey u. Kratz, S. 23).
(284) Krieck in "Volk im Werden", Jg. 1942, S. 11. W. Metzger: Der Auftrag der Psychologie, ebd., S. 133-144. F. S. Perls u. P. Baumgardner: Das Vermächtnis der Gestalttherapie, Stuttgart 1990, S. 192. Vgl. A. Zurek: Psychotherapie und Entfremdung, in: Verhaltenstherapie und psychologische Praxis (Ztschft.), Nr. 4/1992, S. 433-456.
(285) Der Begriff der "Not-Wende" als einer Wende aus gegenwärtiger Not ist zentral in der völkischen Religiösität. Als "Not" ist hier immer die "westliche" oder "jüdische Überfremdung" mit ihren angeblichen politisch-ökonomisch-militärischen und psychischen Folgen gemeint.
(286) Capra 1987, S. 32. Metzger, S. 138 f. Mynarek 1986, S. 90; S. 63. Metzger S. 139; S. 136; S. 140; S. 143.
(287) W. Prinz: Ganzheits- und Gestaltpsychologie und Nationalsozialismus, in: C. F. Graumann (Hrsg.), S. 89-111, hier S. 103.
(287a) Krebs 1988, S. 358. Mynarek 1986, S. 171; S. 213; ders. 1988, S. 232. Capra 1988, S. 322; S. 317.
(288) F. Capra: Ganzheit, Gesundheit und Friede, in: Tübinger Ärzteinitiative gegen den Krieg: Unser Eid auf das Leben verpflichtet zum Widerstand. Dokumentation des 4. Medizinischen Kongresses zur Verhinderung eines Atomkrieges 1984 in Tübingen, Tübingen o. J.
(289) Capra 1988, S. 312. Mynarek 1988, S. 32 ff; S. 43. Uexküll 1933, S. 59 ff. Eichberg 1986, S. 264.
(290) K. Sontheimer: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik, Frankfurt a. M 1968, S. 256.
W. Becher: Der Blick aufs Ganze. Das Weltbild Othmar Spanns, München 1985, S. 13; S. 135.
Zu W. Becher vgl.: G. Herde und A. Stolze: Die Sudetendeutsche Landsmannschaft, Köln 1987. K. Hirsch: Rechts von der Union. Personen, Organisationen, Parteien seit 1945. Ein Lexikon, München 1989, S. 184-187, S. 352 f.
(291) Krebs 1988, S. 12 f; S. 21.
(292) Capra 1988, S. 313; S. 311. Smuts, S. 355; S. 353.
(293) Maslow zit. n. Schorsch 1988, S. 50. Fritzsch zit. n. Schorsch 1986, S. 269. Capra 1988, S. 298 f. Vgl. Smuts, S. 142 f; S. 353.
(294) Chamberlain 1899, S. 659 f; ders. 1928, S. 124 f; S. 132.
(295) Capra 1988, S. 2 f; S. 320. Krieck in "Volk im Werden", Jg. 1942, S. 54.
D. Bohm: Fragmentierung und Ganzheit, in: Dürr 1990, S. 278; S. 280 f.
(296) Smuts, S. 150. Bohm, S. 281 f.
(297) Metzger, S. 140.
Weshalb Physiker, die gerade ihr Weltbild selbst zerstört haben, und herrische Faschistinnen, deren Weltbild am 8. Mai 1945 von "Untermenschen" beendet wurde, so wenig konfliktfähig sind, daß sie Harmonie ideologisch erzwingen wollen, ist eine interessante psychologische Frage, der wir jedoch hier nicht nachgehen werden.
(298) S. Hunke: Das nach-kommunistische Manifest. Der dialektische Unitarismus als Alternative, Stuttgart 1974, S. 205; S. 199; S. 201; S. 185; S. 229.
(299) Chamberlain 1899, S. 1050. Schlund, S. 45. Hunke 1969, S. 466; S. 468; S. 334. H. E. Ulrich: Von Meister Eckhardt bis Carlos Castaneda, Frankfurt a. M. 1986, S. 135 f. Hunke 1969, S. 400.
(300) Lenin S. 371 ff. Däniken in "esotera", Nr. 12/1991, S. 11. Mynarek 1986, S. 157; S. 115; S. 159.
(301) Capra 1988, S. 465. Fromm S. 51. Bahro 1987, S. 194 f; S. 153.
(302) Mynarek 1988, S. 257. Capra 1988, S. 403-408.
(303) Chamberlain 1921, S. 362; S. 775; S. 752; S. 723; ders. 1899, S. 1120.
(304) Hunke 1969, S. 9; dies. 1989, S. 9; S. 7. Chamberlain 1899, S. 1111; S. 1122 f; ders. 1932 S. 728. Hunke 1969, S. 462 f.
(305) Spangler zit. n. Schweidlenka 1989, S. 67.
(306) Hunke 1969, S. 493.
Alain de Benoist sieht in der Menschenrechtsdeklaration eine moderne Form der mosaischen Gesetzestafeln, mit denen die Menschen zu einem Einheitsbrei "Menschheit" gerührt werden sollten, damit die jüdische Weltherrschaft besser über sie herfallen könne, vgl. A. de Benoist: Die Religion der Menschenrechte, in: Krebs 1988. Der gänzlich überschätzte Benoist ist keineswegs originell in der Erfindung dieses Unsinns, dieselben Gedanken finden sich z. B. bereits 1899 in Chamberlains "Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts" (z. B. S. 526-536, z. B. 837-858), ein Buch, das die "Neue Rechte" - meist ohne Chamberlain zu nennen - bis zum letzten Gedanken ausgeschlachtet hat. Als wörtliche Vorwegnahme des 1988er Artikels von Benoist schrieb Chamberlain 1899 (S. 1015): "Die déclaration des droits de l'homme ist ein religiöses Bekenntnis." Der heutige Kopf des europäischen Neofaschismus Alain de Benoist entpuppt sich hier als Plagiator, der nicht einmal die Quellen "seiner" Gedanken angibt.

...weiter im Text:   Zum dritten Teil von Kapitel 3