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Das "rot-grüne Projekt" hat eine Ideologie,
die "Neue Rechte" stand Pate:
 
Biosozialismus (I)
 
Der Wirtschaftsstandort wird abgesichert,
ob populär, ob wissenschaftlich:
Aus allen Rohren wird Deutschland
im "Jahr der Lebenswissenschaften" biologisiert

(Dieser Artikel von Peter Kratz erschien leicht gekürzt in KONKRET Nr. 9/2001 unter dem Titel "Die Biologisierung des Sozialen".)

"Zum Glück haben Sie Ahnenforschung gemacht", sagte der Sprachhistoriker Prof. Dr. Jürgen Udolph kürzlich einer stolzen Frau, die im Radio die Bedeutung ihres Familiennamens erklärt haben wollte, denn die territoriale Herkunft der Familie sei entscheidend für die nominale Sinndeutung. Die tägliche Sendung mit dem Namensforscher, der sich bisweilen ungeniert auf Nazi-Literatur beruft und über "Namenkundliche Studien zum Germanenproblem" die frühgeschichtliche germanische "Landnahme" der belgischen und französischen Zielgebiete späterer deutscher Weltkriege nachweist, ist der Renner in Radio Eins, dem Programm von SFB und ORB für junge moderne Menschen in Berlin und Umgebung. Viele rufen beim Sender an und wollen wissen, warum ihre Familie so heißt. Udolph hat an der Uni Leipzig den einzigen deutschen Lehrstuhl für Onomastik und ist renommiertes Mitglied der wissenschaftlichen Indogermanischen Gesellschaft. Im Radio erklärte er bisher nur deutsche Namen, keine türkischen, afrikanischen oder jüdischen, der Nachfrage wegen.

Stolz und Schönheit

Zwischendurch sendet Radio Eins Werbe-Jingles für die in Berlin gastierende Ausstellung verstorbener Menschen des Prof. Dr. Gunter von Hagens ("Körperwelten"), die der Sender promotet. "Echte Leichen, die, sagen wir mal, wie der Elchkopf an der Wand präpariert sind. Wenn Sie noch nicht da waren, dann nichts wie hin!", tönt der DJ aus den Empfangsgeräten des Volkes. Von Hagens gibt zu, auch "herrenlose Leichen" für seine "Plastination" zu benutzen, die zu Lebzeiten nichts davon wußten, einmal aufgeschlitzt angegafft zu werden. Mehr als eine Million Schaulustige kamen bisher schon nach Berlin, zweiundzwanzig Mark kostet der Eintritt. Der Leichenverwerter will den Besuchern mit seinen Exponaten helfen, "Körperstolz" zu entwickeln. Bei der Love Parade der stolzen Schönen fuhr er selbst mit, ließ 5000 Freikarten verteilen und in der Ausstellung Techno-Musik spielen. Das gefiel Radio Eins. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin Andreas Nachama sah dagegen in der Leichenschau "die logische Konsequenz dessen, was im 20. Jahrhundert schon passiert ist - da wurde kein Halt gemacht vor lebenden Menschen, da wurden menschliche Körper millionenfach von Mördern zu Asche verbrannt oder zu Seife verarbeitet, aus menschlicher Haut Lampenschirme hergestellt". Der Berliner Tagesspiegel wiederum ließ zum Jubiläum der "Sendung mit der Maus" auf seiner Kinderseite die lustig belehrenden ARD-Tiere für die Ausstellung werben: "Wir finden, daß Kinder so etwas ruhig anschauen dürfen. Man bekommt ein Gefühl dafür, was für eine genau ausgetüftelte Maschine so ein Körper ist." Gutes Deutsch lernen die Kinder so nicht, aber Wichtiges für den Standort Deutschland.

L'homme machine hat kein Gedächtnis, sondern Ahnen, kein Bewußtsein, sondern Gene. Die Rückkehr zum bürgerlichen Materialismus ist von der Verwertungslogik des Kapitals gefordert, da beißt die Maus kein' Faden ab. Der Sozialismus habe sich "historische überlebt", meint Gerhard Schröder, und mit ihm das historisch-materialistische Menschenbild. Körperstolz und Ahnenstolz treten an seine Stelle, das soziale Individuum wird zum Nachkommen, der Tote zum Ausstellungsobjekt, das Subjekt zur Ware Mensch, auch stückweise verkaufbar als Stammzellenhaufen, Ersatzteil der Maschine.

Konjunktur, wenigstens für "Soziobiologen" und "Ahnenforscher(innen)"

Die Biologisierungs-Propaganda treibt Blüten. Als Höhepunkt einer einschlägigen Artikelreihe brachte der Tagesspiegel Ende Juli einen ganze Seite über das Verlieben, das "in den Zeiten von Stammzellen- und Genomforschung" nun ebenfalls von "Soziobiologen" erforscht werde. "Der biologische Imperativ" zwinge Mann und Frau beim "berühmten 'ersten Blick'" dazu, das "Reproduktionspotenzial des Gegenübers" abzuschätzen; Frauen bevorzugten von Natur aus Ehepartner mit hohem Einkommen, um durch bessere Startchancen der Nachkommen "die Weitergabe ihrer Gene (zu) sichern", während beim Mann "die Biologie des Fremdgehens" den Selektionsvorteil bringen soll. Gerhard als Bundeskanzler, sein Halbbruder dagegen schon wieder arbeitslos - für den "stern" ist auch das ein Bio-Thema: "Brioni gegen Ballonseide, das kann nur daran liegen, daß sie unterschiedliche Väter haben". Die Biologisierung des Strafrechts war Schröders eigener Sommerhit: "Wegschließen, und zwar für immer". Der Tagesspiegel ergänzte zur Vorbereitung des 7. Weltkongresses für Biologische Psychiatrie, der erstmals nach 1945 in Berlin tagte: "Kälte aus den Genen. Schwerverbrecher wie der Mörder von Ulrike" seien nur ein "Teil einer größeren Gruppe mit einer 'Antisozialen Persönlichkeitsstörung'"; zum Glück fahndeten Forscher bereits nach der "biologischen Basis" der Antisozialen. Der Schließer bekommt einen sicheren Arbeitsplatz.

Ahnenforschung betrieb auch Forschungsministerin Edelgard Bulmahn zur Eröffnung ihres "Jahres der Lebenswissenschaften", das die gesellschaftliche Akzeptanz der Biotechnologie herstellen soll, nachdem die Presse, bis hin zur kapitalfreundlichen "Welt", im Jahr 2000 noch sehr kritisch über die "Ersatzteillager-Züchtung" in Großbritannien berichtet hatte. "Selber Banane!" rief Bulmahn nun dem Volk auf Postkarten zu, die kostenlos in Kneipen verteilt wurden, und duzte jovial: "Dein Genom ist zu 50 % mit dem der Banane identisch. Mehr unter www lebenswissen de." Auf einer anderen Karte forderte sie: "Mach mir den Affen! Das dürfte dir nicht schwerfallen, denn dein Erbgut stimmt zu über 99 % mit dem des Zwergschimpansen überein". Der Affe schaut konsterniert, doch die Ministerin lächelt auf der Karte und verspricht: "Das Jahr der Lebenswissenschaften bietet große Chancen zur Diskussion auf gleicher Augenhöhe. Jeder soll die Möglichkeit haben, mit Forscherinnen und Forschern Meinungen und Argumente auszutauschen und dadurch informierter zu entscheiden." Lustig listige PR-Strategie für die Stammtische der Neuen Mitte. Wenn man Bananen zermatschen darf, dann wohl auch den achtzelligen Embryo, der ja augenscheinlich zu weit weniger als 50 % Mensch ist - ein Mißverständnis der Pop-Kampagne, ich gebe es zu, ebenso wie die Frage nach der Identität des "normalen" Genoms des Deutschen mit dem "kalten" des Schwerverbrechers, die sich aber, Entschuldigung, angesichts der "über 99"-prozentigen Nähe, die sogar zu den Laborversuchstieren besteht, doch geradezu aufdrängt.

Everybody's got something to hide
exept for me and my monkey:

 


Postkarte der Bundeswissenschaftsministerin Edelgard Buhlmahn

zum "Jahr der Lebenswissenschaften 

Auch "gleiche Augenhöhe" und "Entscheidungsfreiheit" für "jeden" sollte man nicht mißverstehen. Wer mit Bulmahns "Lebenswissenschaften"-Kampagne die Lebensphilosophie assoziiert, die in Deutschland die Biologie als Gesellschaftswissenschaft "implementierte" und derart die für manche schon prähistorischen politischen Schwerverbrechen ermöglichte, wurde bei der Eröffnungsveranstaltung der Kampagne in Berlin nicht enttäuscht. Als Bulmahns Hausphilosoph saß Peter Sloterdijk auf dem Podium gleich neben der Ministerin, der legitime Nachfolger der Lebensphilosophie, der sich schon 1999 als conclusio seines Textes "Regeln für den Menschenpark", sich ausführlich auf seinen Ahnherrn Nietzsche berufend, gegen die "gleiche Augenhöhe" ausgesprochen hatte: "Der würdigste Hüter und Züchter der Menschen" sei "der Weise", quasi als Abstraktion des Ethikrates. Dem Volk bleibt immerhin die Entscheidung zwischen Euro- und Dollar-Bananen.

"Biopolitik" aus der "Neuen Rechten"

So geht Biopolitik, mal populär, mal elitär. Machen auch wir Ahnenforschung: Der Begriff "Biopolitik" stammt aus den Schriften der Neuen Rechten. Die heute wieder aktuellen Bücher von Michael Billig (Die rassistische Internationale, 1981) und Margret Feit (Die 'Neue Rechte' in der Bundesrepublik, 1987) analysierten, wie der intellektuelle Neofaschismus - international organisiert, in Deutschland im Thule-Seminar - von Alain de Benoist über Sigrid Hunke bis Armin Mohler zurückgreift auf biologistische Konzepte von Konrad Lorenz, Hans Jürgen Eysenck oder Arthur Jensen, die sich nicht scheuten, auch in den Blättern der Neuen Rechten, wie Benoits "Nouvelle École" (Lorenz) oder Jürgen Riegers "Neue Anthropologie" (Eysenck, Jensen), zu publizieren, in denen auch Nazi-Rassisten wie Hans F. K. Günther wieder zu Ehren kamen. Eysencks erbpsychologische Arbeiten zum Charakter des Kriminellen, Jensens Thesen von der genetisch minderen Intelligenz der Schwarzen wurden in den Kampagnen gegen die teure Bildungsförderungs- und Resozialisierungspolitik in den USA direkt politisch umgesetzt.

Auch heute ist die Biopolitik eng verzahnt mit der Ideologie der Neuen Rechten. Der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft (MPG), Hubert Markl, ein Schüler von Konrad Lorenz, schloß sich in seiner Rede auf der diesjährigen Hauptversammlung der MPG im Juni dem nominalistischen Verständnis der Neuen Rechten vom Menschen an., nach dem "Mensch" ein willkürlicher Zuschreibungsbegriff ist. "Zwar gehört jeder heute lebende Mensch biologisch zur Art Homo sapiens", sagte Markl, doch "Menschenwürde, ja eigentlich Menschsein ist mehr als dies Faktum, es ist eine kulturell-sozial begründete (!) Attribution", und zwar "mit allen Rechtsfolgen"; die "Zuschreibung des vollgültigen Menschseins" werde "in heutigen Hochkulturen ... durchaus verschieden begründet". Mensch ist demnach nicht als absolute, sondern als eine nach weltanschaulichen Kriterien relative Kategorie zu verstehen. Den Nominalismus, der im Gegensatz zur Rousseauschen und Kantschen Auffassung steht, nach der jeder Mensch von Natur aus gleiche Rechte hat, wies Feit - neben dem Postulat von der Bestimmtheit des Menschen durch biologische Triebe (Territorial-, Aggressions-, Dominanz-, Besitz-, Sozietäts- und Sexualtrieb) - als die zentrale Kategorie der Neuen Rechten nach. Er eröffnet erst die Möglichkeit, bestimmten Menschen die Qualität des Menschseins abzusprechen. Selbst die FAZ tat einen Aufschrei, weil Markl hieraus die Berechtigung zu Eugenik und "Sterbehilfe" ableitete und diese auch noch - ganz Lorenz-Schüler - in den Dienst der Evolution stellte, deren natürliche Auslesemechanismen in den zivilisierten Gesellschaften nicht mehr funktionierten. Markl knüpfte nun auch noch "Wissenschaft" und "technische Erfindungsgabe" an die Zuschreibung und schloß mit einem Bekenntnis zum faustischen Menschen, der "seine Grenzen überschreiten muß, um ganz Mensch zu sein", die Rede ab. So kam er implizit an die Thesen des Neurechten Guillaume Faye heran, der 1988 in dem Buch des Thule-Seminars "Mut zur Identität" nur die Indoeuropäer als berechtigte Träger der Attribution "Mensch" anerkannte, weil nur sie Wissenschaft und Technik entwickelten und auch die Willenskraft hätten, "vor allem durch die Beherrschung der Genetik ... die differenzierende Logik der natürlichen Evolution ab(zu)lösen" (Faye) und ihre kulturelle Überlegenheit genetisch zu festigen. Damit nicht genug. Markl rief schon im Januar dazu auf, die Zahl der Menschen weltweit auf zwei Milliarden zu senken, und er ließ keinen Zweifel daran, wer zu wessen Gunsten weg muß: "Ein Fünftel der Menschheit braucht dringend mehr, vier Fünftel brauchen dringend weniger Nachkommen". Dies sind in der Tat "gattungspolitische Entscheidungen" (Sloterdijk), die Markl mit Lorenz' "Parasiten"-These begründete, nach der die bald zehn Milliarden Menschen "ein gigantisches Nahrungsreservoir für gefährliche Mikroben" (Markl) darstellten, die am Ende auch das zu vermehrende Fünftel bedrohten. Lorenz hatte diese These 1976 in Benoists "Nouvelle École" publiziert. Im Februar forderte Markl in Anspielung auf die Jensen-Debatte der 70er Jahre dann auch, die genetischen Grundlagen von menschlichem Verhalten und Intelligenz stärker zu berücksichtigen, als es die Sozialwissenschaften im Gefolge von Marxismus und Frankfurter Schule bisher tun.

Eugenischer und völkischer Rassismus

Der Antifaschismus der 80er und 90er Jahre kritisierte vor allem den völkischen Rassismus als wichtigste politische Konsequenz neurechter Ideologie und überließ die Kritik des eugenischen Rassismus weitgehend der Frauenbewegung und den politisch bewußten Behinderten, die den Nominalismus in der Debatte um Peter Singers Euthanasie-Konzept der "Person" und "Nicht-Person" thematisierten. Doch Markls Aufruf, die dringend benötigten ausländischen Fachkräfte ins Land zu holen und gegen die Stiefel und Knüppel der Neonazis zu verteidigen, verbunden mit seiner Forderung, die Zahl der nicht indoeuropäischen Menschen auf der Welt zu verringern, zeigt einmal mehr die Grenzen dieses Antifaschismus. Schon der Ahnherr des Rassismus, Francis Galton, hatte eine "intelligente Auslese" durch menschlichen Willen und Wissenschaft gefordert. Markl verband nun, vor der MPG und in Zeitungsartikeln, die "Willenskraft" und die "Pflicht zur selbstverantwortlichen Lenkung der eigenen Geschicke" (Markl) mit den vermeintlichen Anforderungen der Evolution und den tatsächlichen der hochentwickelten Ökonomien des Nordens. Dennoch ist auch der eugenische Rassismus, der die wirtschaftlich Brauchbaren aus allen Kontinenten rekrutiert und die Unbrauchbaren überall biopolitisch bekämpft, nicht frei vom völkischen Rassismus. Bulmahn belehrt uns auf einer weiteren Postkarte ihrer Lebenswissenschaften-Pop- Kampagne: "Fast wäre aus dem Bayern ein Eskimo geworden. Ihr Erbgut ist zu 99,99 % identisch" - fast, denn Eskimos sind eben keine indogermanischen Computer-Inder, sondern - siehe oben - offenbar näher am Zwergschimpansen als am Süddeutschen, wenn man den Postkarten der Forschungsministerin glaubt. Passend berief Bulmahn, die kürzlich selbst - und erstmalig seit 1945 - den Begriff der Evolution wieder in die deutsche Politik einführte, Markl sogleich in den "Innovationsbeirat", dem fast nur Industriemanager angehören und der das Projekt "futur" anleiten soll, eine Quasi-Sekte aus 2000 Leuten, die im Internet-Dialog miteinander "Leitvisionen", "Zukunftsbilder" und "wahrscheinliche Zukünfte" entwerfen, Transzendentes also, an dem sich die Forschungspolitik der Bundesregierung demnächst ausrichten soll. Das Projekt ergänzt den praktisch orientierten Nationalen Ethikrat, der neben der Stammzellenforschung bereits die Pränataldiagnostik (eine Voraussetzung der Eugenik) und die Euthanasie zu seinen Themen bestimmte und dem mit Jens Reich ebenfalls ein Anhänger Lorenz'scher Ausmerze des als fehlerhaft definierten menschlichen Erbgutes angehört.

Heimliche Traditionen ...

Verdacht hat der Begriff "Biopolitik" schon anderweitig erregt. Der Faschismusforscher Michael H. Kater stellte Ende Juli 2001, nach Schöders "Wegschließen!" und dem Bio-Psychiater-Weltkongreß, in der Frankfurter Rundschau die Volksgesundheitspolitik der Nazis als "biopolitisches Konzept" vor. Weitere Parallelen zum heutigen Diskurs, als in diesem Adjektiv erkennbar, wollte er nicht ziehen, ließ die Erinnerung an die Nazipolitik für sich selbst sprechen: die von jedem Glied der Volksgemeinschaft verlangte "sittliche Pflicht zur Gesundheit", das "Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher", die Erbgesundheitsgesetze, das nicht mehr verwirklichte Gesetz zur erbmedizinischen Ausmerze von "Gemeinschaftsfremden", darunter soziale Randgruppen und Oppositionelle. "Toleranz gegen moralisch Minderwertige ist eine schwere Gefahr für die Volksgemeinschaft", hatte auch Konrad Lorenz in den 40er Jahren in seinen pro-nazistischen Artikeln geschrieben. Geradezu als sittliche Pflicht zur Eugenik erscheint heute Sloterdijks Appell im Tagesspiegel: "Die Verhütung von schwersten Erbkrankheiten ist keine heillose Machenschaft, sondern ein Ausdruck von Verantwortlichkeit", denn "mißgebildete Kinder" seien "skandalös", ihre Existenz eine "Lebenszumutung". Nicht skandalös fand er seine Anspielung auf Jürgen Habermas, der ihm bürgerlich-aufgeklärte Opposition gegen seine "Menschenpark"-Rede zugemutet hatte. Listig machte er Habermas zum Anwendungsfall der Eugenik: "Ich lehne die theologische Verklärung von Erbkrankheiten ab, ich glaube nicht an den Gott, der Hasenscharten schuf." So weit geht Biopolitik schon wieder.

... in bekanntem Auftrag

Schröder nahm in seinem Artikel "Gen-ethischer Grenzgang" zum Start des Jahres der Lebenswissenschaften unter Bezug auf Jens Reich Markls Verbindung von Nominalismus und faustischer Hybris schon vorweg. Einzige Grenze sei die Unantastbarkeit der Menschenwürde, und "diese Würde steht nicht in der Buchstabenfolge des Genoms" - gegen Rousseau und Kant gelesen: Sie ist kein Naturrecht eines Jeden. Gleichzeitig machte er klar, daß die Überbau-Kampagne der ökonomischen Basis dient: Es gehe um "Patentschutz" für deutsche Firmen, da "eine Selbstbeschränkung Deutschlands auf Lizenzfertigungen" zur Fremdbestimmung führe, denn Deutschland verlöre die Macht über "die Anwendungen und Folgen dieser Techniken". Später sagte er: "Ich setze noch einen drauf: Es ist nicht unethisch, darüber nachzudenken, ob man einem Volk ... die ökonomische Nutzung dieser Technologie möglich macht oder nicht", ein Satz mit weitreichenden Interpretationsmöglichkeiten, auch im Sinne Fayes. Enorme Kosteneinsparungen durch neue Produktionsabläufe sieht der Verband forschender Arzneimittelhersteller. Das Testen neuer Medikamente kann statt im Tierversuch, der die teure Züchtung und Haltung der Tiere erfordert, an künstlich hergestellten Geweben aus menschlichen Stammzellen erfolgen; deshalb fordert er, wie Schröder, die Freigabe auch der embryonalen Stammzellen als kostengünstigste Quelle der Testgewebe-Produktion. Schon heute betreibt das Forschungsministerium "die wohl weltweit bedeutendste staatliche Fördermaßnahme zur Entwicklung von Alternativen für Tierversuche", prahlt Bulmahn und rühmt sich des Tierschutzes. Auf solche Wettbewerbsvorteile bei Testen und Zulassung sind auch andere Branchen scharf, z.B. bei den Nebenwirkungen industriell eingesetzter chemischer Substanzen oder künstlich hergestellter Lebensmittel. Dagegen ist das Arbeitsplatz-Argument nach Studien des Forschungsministeriums weniger bedeutsam: Gut 200 000 Arbeitsplätze seien in der Landwirtschaft, der Lebensmittelverarbeitung und im pharma-medizinischen Bereich durch die Biotechnologie beeinflußt, nur 25 000 neue Arbeitsplätze in den Biotech-Unternehmen selbst entstünden in den nächsten zehn Jahren. Auch die unter Linken verbreitete These, der Wissenschaftsapparat treibe aus sich heraus die Debatte an, die Karrieren des Nachwuchses verlangten nach neuen Promotionsthemen, ist wohl zu vernachlässigen, weil z.B. seltene Krankheiten mangels Massen-Markt ja nicht erforscht werden. Bedeutender ist wohl die Verquickung von Wissenschaft und Kapital, wie bei Detlef Riesner, Düsseldorfer Biologieprofessor und Mitgründer der Qiagen AG, einer der bedeutendsten deutschen Biotech-Firmen, oder wie bei Günter Stock, Vorsitzender des Senats der MPG und Forschungsvorstand der Schering AG, der letztjährigen Top-Gewinnerin im Dax, die ihren Börsenkurs gegen den Trend um die Hälfte steigerte. Stock forderte im Juli die Erlaubnis zum therapeutischen Klonen; ein Patent für die noch verbotene Technik will sich auch Oliver Brüstle von der Uni Bonn sichern, für den NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement die embryonalen Stammzellen auf dem Weltmarkt beschaffte. Ob die Stammzellen, deren Wirtschaftskreislauf Clement zu organisieren hilft, immer nach "ethischen Mindeststandards" gewonnen werden, bezweifelten Regine Kollek vom Nationalen Ethikrat und Ingrid Schneider von der Ethik-Kommission des Bundestages kürzlich in der Süddeutschen Zeitung: Kontrollen über die Herkunft der Eizellen und Embryonen, aus denen die heute handelbaren Stammzellinien gewonnen wurden, gebe es nicht, teilweise kämen sie über dunkle Kanäle aus der Dritten Welt. Aus abgetriebenen menschlichen Föten gewonnene Stammzellen wurden bereits in transgenen Tierversuchen eingesetzt. Von der Verwertung "herrenloser Embryonen" bis zur Zwangsentnahme von Eizellen in Gefängnissen, in denen ja auch zwangsweise Abtreibungen vorkommen, ist - jedenfalls derzeit - offenbar alles denkbar auf dem Markt der Einzelteile.

Therapien mit totipotenten Stammzellen werden nur durch therapeutisches Klonen wirtschaftlich, weil körperfremde Embryonalzellen teure Antiimmunbehandlungen (wie bei Organtransplantationen) nötig machen. Bedenkt man, daß die gesetzlichen Krankenkassen, denen 80 % aller Versicherten angehören, auch intern, durch ihre "sozialpartnerschaftliche" Kontrolle, dem direkten Zugriff der Kapitalseite unterliegen, sind deren Behandlungspräferenzen vorhersehbar, auch wenn das therapeutische Klonen ein Heer an eizellspendewilligen Frauen voraussetzt. Der Umbau der Sozialversicherungssysteme, das Abzweigen von Profiten für private Versicherer aus diesem gigantischen Finanzpool bei gleichzeitig sinkender Zahl der Beitragszahler, gehört ebenfalls zum volkswirtschaftlichen Hintergrund der Bioethikdebatte, weil die Leistungen verbilligt werden müssen. Das gilt ebenso für zukünftige Therapiearten, für die eugenische Verhinderung teurer Kranker wie auch für deren "Euthanasie". Von Einsparungen an den Lohnnebenkosten profitieren alle Kapitalfraktionen. So wirkt "Biopolitik" weit über eine "Ethik des Heilens" hinaus, sie wird die gesamte Gesellschaft umgestalten.

Fortsetzung:
...Biosozialismus (II) aus KONKRET Nr. 10/2001
...Biosozialismus (III) aus KONKRET Nr. 2/2002

(September 2001)

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