© 2006 by Peter Kratz. Jede Verwendung der Texte und der Abbildungen unterliegt dem Urheberrecht.
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Die neue
"Biopolitik"
steht in weit rechter Tradition: (Dieser Artikel von Peter Kratz erschien gekürzt in KONKRET Nr. 10/2001 unter dem Titel "Tue, was du willst".) Menschen als Rohstoff des Kapitals vernutzen zu wollen, um Mehrwert zu schaffen, ist keine absonderliche Haltung, wie die Bioethik-Debatte bisweilen nahelegt, sondern dies ist das Grundgesetz des Kapitalismus. Zum Beispiel: Heute erreicht in Deutschland nur ein Drittel der Arbeitenden die Rente mit gesetzlicher Altersgrenze, ein Drittel ist bereits vorher tot und ein Drittel wird invalide frühverrentet. Die "biopolitische" Position des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft, der von den Vorstandsvorsitzenden der meisten Großkonzerne aus Industrie, Versorgern, Banken und Versicherungen sowie den Präsidenten der Wissenschaftsorganisationen geleitet wird und Forschungsprojekte aus den Konzernprofiten fördert, kann also nicht erstaunen: Manfred Erhardt, Generalsekretär des Stifterverbandes, sprach sich im August für den profitablen Einsatz von Embryonen und für das "therapeutische" Klonen aus, das in Wahrheit die massenhafte Herstellung und Verwendung menschlichen Gewebes im industriellen Produktionsprozeß solcher Branchen bedeuten wird, deren Produkte auf ihre Wirkungen am Menschen getestet werden müssen. Ausdrücklich stimmte Erhardt dem Nominalismus Hubert Markls zu, den die "Neue Rechte", vor allem ihr deutscher Nestor Armin Mohler, in Anlehnung an ältere faschistische Ideen entwickelt hatte: daß "Mensch" nur eine "kulturelle Zuschreibung" sei, "kulturbezogen-werteorientiert. Und damit gesellschaftsabhängig, also relativ", so der promovierte Jurist Erhardt, die gegen allgemeine Menschenrechte gerichteten Äußerungen Markls noch zuspitzend. Die Logik deutscher Kapitalvertreter kehrt zu den 30er Jahren zurück, zur Logik der Entrechtungs-Gesetze. Dabei geht es nicht mehr nur um den achtzelligen Embryo, der die begehrten Gewebe produzieren soll. Erhardt verwies zur Legitimation der Arbeit mit den Stammzellen zu tötender Embryonen ausdrücklich auf die zahlreichen Spätabtreibungen "wegen genetischer Defekte", die ja sogar "bis kurz vor der Geburt zugelassen" seien. Die juristisch falsche Parallele (die Legalität des Spätabbruchs bei bereits selbständig lebensfähigen "behinderten" Föten ist rechtlich an die reale Gefahr für die körperliche oder seelische Gesundheit der Schwangeren geknüpft, nicht an den "Defekt" des Kindes) zeigt implizit ein wert- und gesellschaftsabhängiges Verständnis von "Defekt", der zum beliebig verfügbaren Konzept wird, um Lebens- und Menschenrechte zu- oder abzuerkennen. En passant wird die Eugenik auf eine neue Stufe gehoben, eine neu-rechte, auf der die gesellschaftliche Wertigkeit des Menschen das bisher dominierende Argument der "normalen" medizinischen Überlebensfähigkeit abgelöst. Sie hat nun das Potential zur Sozialeugenik, zur biologischen Selektion nach sozialen statt medizinischen Kriterien. Bei so viel akzeptiertem Kulturrelativismus gegenüber dem Nutzobjekt Mensch wirkte der Nominalimus Detlev Gantens, des Chefs der Hermann-Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren und des im Humangenomprojekt tätigen Max-Delbrück-Zentrums in Berlin-Buch, geradezu biologisch-archaisch, als er im Juli im Sender Phoenix ("Kinder nach Maß?") die Embryonenforschung rechtfertigte: zum richtigen Menschen gehöre schließlich auch das Immunsystem, und das entwickele sich ohnehin erst postnatal und umweltabhängig. Wehe den Immungeschwächten! Die Beispiele Erhardt und Ganten zeigen erneut, wie auch die Lebenden von der Bioethik-Debatte erfaßt werden. Interessengeleitete
Menschenforschung von Die prominenten wissenschaftlichen Propagandisten der neuen Biotechniken zur Verarbeitung von Menschenmaterial sitzen praktischerweise sowohl in den staatlichen Beratungs- und Ethikräten als auch in Vorstand und Kuratorium des Stifterverbandes der Wirtschaft: neben Ganten auch Markl (Präsident der Max-Planck-Gesellschaft MPG) oder Ernst-Ludwig Winnacker (Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG und darin Nachfolger Markls). Im Gegenzug sitzt z.B. Erhardt im Hauptausschuß der DFG (bei der wiederum die MPG Mitgliedsorganisation ist) und kontrolliert die Verteilung der Forschungsgelder mit, die von den Konzernen "gespendet" wurden, z.B. für die Forschung an embryonalen Stammzellen, die von der DFG mitfinanziert werden soll. Die Entscheidungen zur "Biopolitik" sind offenbar intern längst gefallen, man hat lediglich noch ein Vermittlungsproblem in einem immer noch mehrheitlich christlich geprägten Land. Ganten weiß Rat: "Unsere Gesellschaft" sei "im Moment" mit der "weitgehenden Freigabe" der Embryonenforschung "überfordert", deshalb habe er sich "immer für ein schrittweises Vorgehen ausgesprochen", sagte er im August der "Zeit". Dabei spielt Schröders Ethikrat, dem er mit Winnacker angehört, wohl keine Rolle mehr, denn hier sei "kaum die Zeit, all die komplizierten Fragen im Umfeld dieser Forschung abschließend zu beantworten". Vordenker "Neue Rechte" Die Antworten hat man sich längst woanders geholt. Das Menschenbild der "Neuen Rechten" ist bei den Eliten der deutschen Wirtschaft und Wissenschaft heute so hegemonial, wie damals das verwandte der Nazis. Dieser Teil der Bioethik-Debatte ist allerdings bisher fast völlig tabuisiert. Hegemonie erreichte die "Neue Rechte" durch Think Tanks, die teilweise von den Konzernen finanziert oder kontrolliert werden, wie der Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung unter Armin Mohler und Heinrich Meier, die die Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften "mit einem interdisziplinären Ansatz" fördern will, oder der von früheren NSDAP- und SS-Mitgliedern gegründeten, viel kleineren, aber sehr einflußreichen Freien Akademie (FA), die schon in den 80er Jahren Markls Thesen verbreitete, als dieser DFG-Chef war. Sie betreiben seit Jahrzehnten durch Vortrags- und Diskussionsreihen und in ihren Publikationen offensiv die Biologisierung der Gesellschaft: die Siemens-Stiftung z.B. mit sozialdarwinistischen Veranstaltungen zu den "biologischen Grundlagen unseres sozialen Verhaltens", Konrad Lorenz folgend, der ebenso wie Hans-Jürgen Eysenck selbst hier auftrat; die FA, in deren Schriftenreihe Lorenz schon in den 60er Jahren publizierte, z.B. mit dem Thema "Evolution und Evolutionsstrategie in Biologie, Technik und Gesellschaft", zu dem Lorenz-Schüler Markl und der Direktor des österreichischen Konrad-Lorenz-Instituts für Evolutions- und Kognitionsforschung Franz Wuketits Beiträge lieferten. Die enge Vernetzung von Führungspersonen und Referenten dieser Think Tanks mit der "Neuen Rechten" sicherte den Ideologie-Transfer vom offenen Rechtsextremismus der Jürgen Rieger ("Neue Anthropologie") oder Alain de Benoist ("Nouvelle École") hinein in die Mitte der Gesellschaft. Mohler, Lorenz oder Eysenck sind nur die prominente Spitze; die aus "Nation Europa", vom "Deutschen Kulturwerk Europäischen Geistes" (DKEG) und den "Lippoldsberger Dichtertagen" der früheren Hitler-Geburtstags-Dichter bekannte rechtsextreme Autorin Margarete Dierks z.B., ehemals in der Schulung der NSDAP-Kader aktiv, war jahrzehntelang die Organisatorin der FA-Tagungen und noch in den 90er Jahren dort Referentin. Den Einladungen des von Mohler unterstützten Thule-Seminars konnten prominente Politiker schlecht folgen, wenn hier der verfassungsschutzbekannte Rassist Rieger publizierte, bei der Siemens-Stiftung dagegen geben sie sich die Klinke in die Hand; dem DKEG, das Lorenz mit dem "Schiller-Preis" ehrte, mußten sie fernbleiben, weil es immer wieder in den Verfassungsschutzberichten als rechtsextremistisch aufgeführt wurde, zur FA dagegen bestehen keine Berührungsängste. Die aktuelle "Biopolitik" schafft nun das Bedürfnis, auch die neueren Ergebnisse der Verhaltens- und Evolutionsbiologie auf die menschliche Gesellschaft anzuwenden; Wuketits z.B. bereitet die nächste "wissenschaftliche Fachtagung" der FA im Mai 2002 vor, deren Ergebnis sich aus der Ankündigung ablesen läßt: daß allgemeine Menschenrechte aufgrund der Gesetze der biologischen Evolution nur eine "Illusion" seien. Freireligiöse, Deutsche Unitarier, "Humanisten" Zu den einschlägigen Entwicklern und Vermittlern des neurechten Menschenbildes zählen auch die rechten Sekten, die die FA durch Referenten, Besucher, Werbung für die Fachtagungen und Kreuzmitgliedschaften mittragen und deren Vorläufer schon in den 20er und 30er Jahren an der faschistischen "Ethik" mitwirkten: neben Deutschen Unitariern und Freireligiösen auch "Humanisten" wie der Humanistische Verband Deutschlands (HVD; vgl. KONKRET Nr. 7/2001), die personell, inhaltlich und durch ihre gemeinsame Nazi-Vergangenheit untereinander, aber auch mit der "Neuen Rechten" um Mohler und Benoist vernetzt sind. Sie erfreuen sich heute der Mitgliedschaft und Unterstützung prominenter Biowissenschaftler und Philosophen ("Humanisten"), führender Industriemanager (Deutsche Unitarier) und ministrabler Politiker (Freireligiöse). Ihr wachsender Einfluß in den Parteien links der Konservativen - und damit auch die historische Kontinuität der aktuellen Bio-Debatte - ist für die Presse, die sich aus den ganzseitigen Anzeigen der Konzerne finanziert, tabu. Diese Sekten waren es vor allem, die nach 1945 in Deutschland unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit - und in den Dachverbänden International Humanist and Ethic Union (IHEU) und International Association for Religious Freedom angebunden an weltweite, dem Faschismus vordergründig unverdächtige Entwicklungen der Bioethik - daran arbeiteten, aus Nominalismus und Sozialdarwinismus eine voluntaristische Ethik zu entwickeln, die zwar immer noch große Anleihen bei Nietzsche und den faschistischen Denkern seit Houston Stewart Chamberlain macht, das "Tue, was Du willst!" jedoch immer weniger völkisch-rassistisch als mehr und mehr utilitaristisch interpretiert. Nicht mehr so sehr die Blutsgemeinschaft soll nun das individuelle und gesellschaftliche Handeln (darunter die Selektion der Brauchbaren und Unerwünschten) bestimmen, sondern die Nutzengemeinschaft, die im Einzelfall auch die gut bezahlte ausländische Fachkraft umfaßt. So können die Deutschen Unitarier - weit entfernt von Aktionen wie dem Kirchenasyl, aber heute ideologisch geführt von dem Rüstungs-, Luft- und Raumfahrt-Manager Horst Prem aus der Daimler-Chrysler-Unternehmensfamilie - bei Otto Schilys "Bündnis für Demokratie und Toleranz" mitmachen, und nur das "ötv-magazin" wunderte sich im Januar 2001 noch, daß sich die Sekte auch hier "als Partner tummelt" und diese "Völkischen ausgerechnet beim Innenminister eine Plattform erhalten". Die Wende zur Nutzengemeinschaft wurde durch die moderne Evolutionsbiologie nötig, die mit dem alten Rassismus kaum noch vereinbar ist, wohl aber, entsprechend interpretiert, sehr gut mit dem Sozialdarwinismus. Seine Renovierung besorgte z.B. der "Humanist" Richard Dawkins mit seiner Theorie vom "egoistischen Gen", das in Verfolgung des größten eigenen Nutzens auch die Evolution bestmöglich vorantreibe. Wuketits sieht in seinem neuen Buch "Humanität zwischen Hoffnung und Illusion", das ein Bestseller bei den rechten Sekten ist, ebenfalls den "Eigennutz" als das durchschlagende biologische Prinzip "unserer Natur". Die Optimierungsstrategien der Evolution werden - aufgrund der sozialdarwinistischen Vertauschung von Kausalität mit Finalität - utilitaristisch interpretiert, statt wie vom echten Darwin: historisch. "Alle Evolutionsstrategien", so der heutige FA-Präsident und frühere Vize-Präsident der Deutschen Unitarier Jörg Albertz, hätten "sich deshalb herausgebildet, weil sie im Evolutionsprozeß ein effektiveres und schnelleres Fortschreiten ermöglichen" - die Präsenzform des Verbs verrät den Fehlschluß. Man glaubt den Zweck der Evolution zu erkennen (Oh Wunder, er scheint sich mit Zielen der Konzerne zu decken!) und will alles Handeln darauf ausrichten; man sieht sich als Teil der Natur ("Humanisten") oder in freimütig bekundeter eigener Göttlichkeit (Unitarier, Freireligiöse) ethisch berechtigt, die Evolution nunmehr selbst zu lenken, und zwar im Effekt hin zu betriebs- und volkswirtschaftlichen Einsparungen. Sigrid Hunke, die herausragende Ideologin der europäischen "Neuen Rechten", die sogar Benoist die Ideen lieferte, ebenfalls Schiller-Preisträgerin des DKEG ist und von Prem 1985 zur Ehrenpräsidentin der Deutschen Unitarier gemacht worden war, nachdem FA-Albertz sie als Vizepräsidentin abgelöst hatte, nannte ihre utilitaristisch modernisierte Ethik schon früh "selbstbestimmte Ethik", eine emanzipationsdemagogische Formel, mit der z.B. Markl oder Erhardt heute Embryonenforschung, Klonen, Eugenik und Euthanasie rechtfertigen, wie es diese Sekten schon vorher taten. Hunke, durch ihren Doktorvater ehemals selbst der SS verbunden, hatte sich in ihrer Nackriegs-Ideologieproduktion passend auf Zitate des damaligen Arbeitgeberpräsidenten und vormaligen SS-Mitglieds Hanns-Martin Schleyer berufen. Wie weit Modernisierung und Demagogie - und auch das Verdecken der historischen Wurzeln - inzwischen gehen, zeigt der Verweis von Markl und Erhardt auf die alte Parole "Mein Bauch gehört mir!", die nun für die Evolution im Allgemeinen wie für die Embryonenforschung im Konkreten in Dienst genommen wird. Die Emanzipationsdemagogie der "Selbstbestimmung", die den Verheißungen des Neoliberalismus und seiner utilitaristischen Philosophie folgt und im krassen Gegensatz zu den sich real weiter verengenden sozialen Voraussetzungen individueller Freiheit steht, ist bei der "Neuen Rechten" an die Stelle der Sozialismusdemagogie des alten Faschismus getreten. Pränatal- und Präimplantationsdiagnistik in der Nutzengemeinschaft der "Neuen Mitte" Ohne Appell an die Freiheit kommen auch die heutigen Genetiker, die konkrete Eugenik betreiben, nicht aus. Sabine Stengel-Rutkowski, Mitglied im Ethikrat der Bayrischen Staatsregierung, Leiterin der genetischen Schwangerenberatung in Oberbayern und Professorin am Institut für Soziale Pädiatrie und Jugendmedizin der Uni München, hat als Top-Wissenschaftlerin auf diesem Gebiet die Studien der DFG zur bundesdeutschen Pränataldiagnostik der letzten 30 Jahre geleitet. 1978 brachte sie eine erste Zwischenbilanz heraus, die sich "an den Hausarzt in seiner Tätigkeit als genetischer Familienberater" wandte. Hier wurde die - bis heute als verfassungswidrig verbotene - völlige Freigabe der eugenisch motivierten Abtreibung gefordert. Die Eltern müßten sich auch ohne eigene Gefährdung der Schwangeren "frei für oder gegen das Kind entscheiden" können, auch aufgrund von "Erwägungen zur Sinnhaftigkeit eines behinderten Lebens oder auch gesundheitspolitische(n) Überlegungen", die die verantwortungsbewußte Schwangere bisher durch entwürdigende "Egozentrik" (das Vorschieben eigener psychischer Gefährdung) verdecken müsse. Das sind die Argumente Peter Singers, auf den sich heute auch die "Neue Rechte" beruft. Am Ende des Buches wurde dann, rein utilitaristisch, eine akribische Aufrechnung der Kosten des Aufbaus eines pränatalen Diagnose- und Beratungssystems zur "Prävention des Down-Syndroms" gegen die Sozialausgaben für Menschen mit Down-Syndrom angestellt und (1978) ein jährlicher "monetärer Nutzen" in zweistelliger Millionenhöhe durch Abtreibung der möglicherweise betroffenen Föten errechnet. Solche Menschen sind zu teuer, ihr Leben nützt nur ihnen selbst. Das waren auch die Argumente der Nazis in "Volk und Rasse" 1936, die die Ausstellung "Der (im-) perfekte Mensch" kürzlich im Dresdner Hygienemuseum anprangerte: "Hier trägst du mit. Ein Erbkranker kostet bis zur Erreichung des 60. Lebensjahres im Durchschnitt 50 000 RM". Auch Markl brachte bei der diesjährigen Hauptversammlung der MPG das Beispiel Down-Syndrom, um für die "Freiheit der Eltern" bei der "Präimplantations- und Pränataldiagnostik" zu werben, nicht ohne auf die Evolution zu verweisen: "schon von Natur aus" kämen "möglichst nur gesunde und entwicklungsfähige Keime zur Entwicklung". Daß tatsächlich fast alle Föten mit dieser als wahrscheinlich diagnostizierten Krankheit, auch mit erwarteter Mukoviszidose oder Lippen-Kiefer-Gaumenspalte nach genetischer Beratung abgetrieben wurden, war ein Ergebnis der von Stengel-Rutkowski in den 90ern abschließend publizierten DFG-Studien. Herabwürdigende Bezeichnungen wie "Zwergwuchs", "Klumpfuß", "Mißgeburt", "Kellerkind in unwürdigen sozialen Verhältnissen" und "Fehlentwicklungen im Sozialisationsprozeß" - 1978 in Stengel-Rutkowskis Hausärzte-Buch als ethisch gerechtfertigte eugenische Abtreibungsgründe angeführt, die jedoch der reformierte § 218, "das sei mit einiger Bitterkeit vermerkt", als juristische Rechtfertigung weiterhin "versagt", wie es dort hieß - lassen ahnen, wer noch alles ins Visier gerät. Trotz ihrer jüngsten Warnungen vor "einer Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres Genotyps" beharrt sie auch heute auf der freien Entscheidung zwischen "Verhinderung oder Akzeptanz der Geburt eines Kindes, welches anders sein wird als das erwartete 'Wunschkind'", eine Scheinalternative, die faktisch über die ökonomische und kulturelle Ausgrenzung entschieden ist. Wie die Alten sungen ... Sabine Stengel-Rutkowski ist die Schwiegertochter des vormaligen SS-Offiziers Lothar Stengel-von Rutkowski (den Adelstitel hat man vornehm abgelegt), der als "Erbarzt" im Rasse- und Siedlungsamt der SS Thüringen über den "kulturbiologischen Volksbegriff" arbeitete, "die Fortpflanzung von 20 000 thüringischen Bauern" medizinisch untersuchte, noch 1944 als Medizinalrat beim Thüringischen Landesamt für Rassewesen sein Praktiker-Buch "Grundzüge der Erbkunde und Rassenpflege" in dritter Auflage publizierte ("Einleitung: Der Sozialismus des Blutes") und im selben Jahr das Buch "Deutsch auch im Glauben. Eine Sammlung für Front und Heimat" im Verlag "Sigrune" herausbrachte. Er war mit dem Nazirassisten Hans F. K. Günther eng befreundet und schrieb Günthers Biographie in mehreren Folgen für die "Nationalsozialistischen Monatshefte". 1933 gründete er mit den Freireligiösen und anderen völkischen Sekten die "Deutsche Glaubensbewegung" Wilhelm Hauers mit, die gegen die "Verknechtung" durch die jüdisch-christliche Ethik einen Nazi-Gotteststaat auf der Basis einer "Religion der freien Deutschen" anstrebte und aus der nach 1945 die heutigen Unitarier und Teile der Freireligiösen und "Humanisten" entstanden. 1956 half er Hauer - vormals selbst SS-Mitglied - auch bei dessen letztem Lebenswerk, der Gründung der FA, als deren "Ehrenmitglied" Stengel-von Rutkowski bis heute geführt wird. Postnazistisch vom Erbarzt zum Genetiker mutiert und mit Hilfe der SPD in Hessen Leiter eines Gesundheitsamtes geworden, engagierte er sich bei den Deutschen Unitariern, wo er noch 1990 zur Gentechnik sprach. Jürgen Riegers "Artgemeinschaft" und das Thule-Seminar druckten seine Gedichte, die Hauers und Hunkes "Religion" lobpreisen: "Wir werden wie Knechte nicht wimmern, wir werden getrost uns zimmern eine Wiege aus eichenem Schaft, und werden Geschlechter zeugen, die nimmer mehr sich beugen, der Wille formt die Welt" ("elemente" des Thule-Seminars 1990, die auch einen Beitrag Günthers über "das Knechtsverhältnis des Menschen zu Gott" bei den "Völkern semitischer Sprache" im Gegensatz zu den selbstgöttlichen "freien Indogermanen" enthielten). Die Schwiegertochter hat ihre Ethik, wie jeder sonst, nicht aus den Genen des Schwiegervaters, sondern aus dem Bücherregal. FA-Autor Hubert Markl verbat sich auf der diesjährigen MPG-Hauptversammlung, den DFG-Präsidenten und Genetiker Ernst-Ludwig Winnacker beschützend, solche Ahnenforschung als "beleidigende Verunglimpfung", nachdem Sandra Maischberger den DFG-Chef im Sender n-tv damit konfrontiert hatte, daß sein Vater ja wohl Direktor bei der IG Farben gewesen war. Winnacker verteidigte sich, sein Vater habe mit der Zyklon-B-Produktion der IG Farben für die Vernichtungslager ja nicht direkt etwas zu tun gehabt. Der infame Zusammenhang ist einfach zu erkennen und wohl deshalb tabuisiert: die Opfer wurden zwangssterilisiert oder getötet, die (Schreibtisch-) Täter und ihre Hinterleute hatten Kinder, die heute die Legalität ihres Handelns "schrittweise" erweitern können, um etwas wie den Nürnberger Ärzteprozeß nicht erleben zu müssen. Das ist die spezifisch deutsche Kontinuität der Bildungseliten. SPD-Familienpolitik als Sozialeugenik Die hat nun auch die SPD-Familienpolitik im Sinn. "Kellerkinder" sollen sozialeugenisch verhindert werden. Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Renate Schmidt, neuerdings als Nachfolgerin Raus für das Bundespräsidentenamt ab 2004 im Gespräch, legte kürzlich das Parteikonzept "Familienpolitik für das 21. Jahrhundert" vor, in dem die CDU/CSU-Idee eines monatlichen Familiengeldes von 1200 Mark abgelehnt wird mit dem Argument, für die "mittleren und höheren Einkommen" sei dies kein Grund, "weitere Kinder zu bekommen". In der SPD-Mitgliederzeitung "Vorwärts" wurde sie im Juni noch deutlicher: "Zur Zeit bekommen gerade die Paare wenig oder keine Kinder, die traditionell Wert auf Bildung legen. Wen wundert es deshalb, wenn die Zahl der Studierenden immer weiter zurückgeht"; das Unions-Konzept sei "bestenfalls ein Anreiz für diejenigen, die keine Ausbildung haben und ein Einkommen von 1200 Mark nicht selbst erwirtschaften können". In ihrem Jahrhundert-Konzept schreibt sie: "Kinderreichtum bei den Benachteiligten, Kinderarmut bei der restlichen Bevölkerung hat gravierende Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Bevölkerung" und sei deshalb "kritisch" zu beurteilen. Diese sozialeugenische Politik der Wiegen ist auch selbst "aus eichenem Schaft" gezimmert: Freireligiöse und "Humanisten" beklagen schon seit langem - und mit Unterstützung von Sozialdemokraten aus ihren Reihen (vgl. KONKRET Nr. 1/1998) - die "Gegenauslese", bei der "die wertvollen Individuen ihre Kinderzahl beschränken", weshalb sogar "Entartung" drohe, wie es beim IHEU-Kongreß schon 1968 hieß. Ihr Vordenker Konrad Lorenz schrieb 1973 in "Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit": "Unser Mitleid mit dem asozialen Ausfallbehafteten, dessen Minderwertigkeit ebensogut durch irreversible frühkindliche Schädigungen verursacht sein kann wie durch erbliche Mängel, verhindert, daß der Nicht-Ausfallbehaftete geschützt wird". Das soll sich nun ändern. Bisher war die finanziell unterstützte "Chancengleichheit" das sozialdemokratische Credo, nach dreißig Jahren "biopolitischer" Agitation der Think Tanks aber führt nun auch in der SPD der Sozialdarwinismus die Politik. Während für die Öffentlichkeit noch um die Präimplantationsdiagnostik gestritten wird, die ja nur den wenige Zellen großen Embryo betrifft - Schröder und Bulmahn dafür, andere dagegen -, ist die Vize-Vorsitzende schon bei bevölkerungspolitischen Argumenten zur Steuerung der Fortpflanzung nach sozialen Kriterien. Als langjährige Nürnberger Bundestagsabgeordnete hat Renate Schmidt, die nach der Wahl 2002 erst einmal Familienministerin werden soll, wie der "Tagesspiegel" meldet, den rechten Hintergrund dazu, denn die dortige SPD ist eine Hochburg der rechten Sekten. Die fast vergessene Käte Strobel z.B., Mitglied des HVD, war seit 1949 Nürnberger SPD-MdB und ab 1966 Bundesministerin für Familie, Jugend und Gesundheit; für die Regierung Schröder ist das Andenken an Strobels politisches Wirken derart wichtig, daß kürzlich zu ihren Gunsten sogar Marlene Dietrich von der Einszehner-Briefmarke weichen mußte. Für eine Antifaschistin ist auch im Kleinen kein Platz mehr. Noch eins drauf setzt das "Netzwerk 2010", eine parteioffizielle Gruppe, in der sich jüngere Sozialdemokraten zusammengeschlossen haben, die sich als die Zukunft der SPD ansehen, darunter die Landesvorsitzenden von Hamburg (Scholz), Thüringen (Matschie) und Baden-Württemberg (Vogt), die Bundesminister Bodewig und Bury, auch HVD-Chef MdB Rolf Stöckel und MdB Hans-Peter Bartels, der als Sektenbeauftragter der schleswig-holsteinischen Landesregierung im engen Einvernehmen mit dem Unitarier-Funktionär Ralf-Bernd Abel gegen amerikanische Konkurrenzsekten kämpfte (vgl. KONKRET Nr. 12/1996). Stöckel und Bartels und weitere "Netzwerker" sind auch Mitherausgeber der neuen programmatischen SPD-Zeitschrift "Berliner Republik". Familien seien "von wachsender Bedeutung für den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft", heißt es im "Netzwerk"-Gründungspapier, "vor allem in Zeiten fundamentaler Veränderungen und Umbrüche vermittelt die Familie Sicherheit und Stabilität". In der Neuen Mitte wird Platz geschaffen für die neue Mutti. Bartels erläuterte im April im "Tagesspiegel", seine Mutter habe in den 30er Jahren acht Geschwister, sein Vater sogar dreizehn gehabt, von denen etliche für den Krieg draufgingen ("manche habe ich nie kennengelernt - der Krieg!"), heute dagegen sei "ein Drittel aller Frauen in Deutschland kinderlos, Tendenz steigend". Der heutige "individualisierungsbesoffene Megatrend" sei "Quatsch! Dummer, ideologischer Quark!" Gehe es weiterhin nach "unseren Links-Libertären", dann werde bald "hier gar nichts mehr funktionieren. Die Lampen werden nicht mehr weitergegeben, eine nach der anderen erlischt; eine Gesellschaft schafft sich selbst ab". "Neue Mitte" und "Alte Kameraden" Wem angesichts solch strahlender Lampen wie Schmidt und Bartels noch kein Licht aufgeht, dem erhellt der Einfluß, den die rechte Sektenszene seit Schröders Wahlsieg erringen konnte, vielleicht den ideologischen Hintergrund des derzeitigen - und seit den 30er Jahren größten - Sozialabbaus: Sparkommissar Hans Eichel unterstützte als hessischer Ministerpräsident persönlich die Deutschen Unitarier, mehr noch sein Vorgänger Holger Börner, der damals gerne mit "Dachlatten" gegen linke Demonstranten losgezogen wäre und heute Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung ist, der wichtigsten NGO der neuen deutschen Großmachtpolitik. Die Freireligiösen-Aktivistin Doris Barnett ist Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung, "Humanisten"-Mitglied Gerd Andres Staatssekretär beim Arbeits- und Sozialminister, wo die Kürzungen für Arbeitslose und Sozialhilfebedürftige zugunsten teurer Militäreinsätze organisiert werden. Justizministerin Hertha Däubler-Gmelin kritisierte zwar die Forderung ihres Parteifreundes Stöckel nach Legalisierung der kostensparenden - weil nicht-militärischen - "aktiven Sterbehilfe", als diese Debatte zur Unzeit kam und mit der ökonomisch viel drängenderen Embryonenforschung gefährlich vermengt wurde (die Euthanasie kommt über die Harmonisierung des Strafrechts in der EU, an der ihr Ministerium arbeitet, ohnehin durch die Hintertür); dagegen erledigte die Notarskanzlei der Privatfrau Däubler-Gmelin Vereinsangelegenheiten der Berliner Freireligiösen, die sich mit ihrem Dachverband, den Unitariern und dem HVD in dieser Forderung einig sind. Parlamentarischer Staatssekretär im Justizministerium ist der Freireligiöse Eckhart Pick, dessen Vater 1933 mit Hauer die "Deutsche Glaubensbewegung" gründen wollte; als Verbindungsinstanz zwischen Ministerium und Parlament hat er eine Schlüsselstellung, denn im Justizministerium werden alle Gesetzespläne juristisch bearbeitet, ob Arbeitszwang für Hilfeempfänger, die geplante Erfassung der teuren chronisch Kranken oder die familienpolitische Sozialeugenik gegen die Unbrauchbaren. Wolfgang Thierse holte sich Anregungen beim Vizepräsidenten der FA, dem brandenburgischen "Humanisten"-Chef Volker Mueller, und beim Unitarier Prem, die er als Parlamentspräsident in deren Funktion als Vertreter des Dachverbandes Freier Weltanschauungs- gemeinschaften (DFW), der Freireligiöse, Unitarier, FA und einige "Humanisten" vereint, im April 2000 zum Gedankenaustausch empfing. 1982 noch hatte Prem den für die Nazi-"Euthanasie" mitverantwortlichen SS-Mann und Unitarier-Funktionär Albert Hartl, der im Nürnberger Ärzteprozeß als Entlastungszeuge aufgetreten war, zum "Wegweiser" der Unitarier erklärt, nun hieß es in der Presseerklärung des DFW: "Herr Thierse ermutigte den DFW, gerade Fragen der Menschenrechte sowie der ethischen Lebensorientierungen in unserem demokratischen Gemeinwesen zu thematisieren und sich intensiv einzubringen". Schon 1999 konnte der DFW im Willy-Brandt-Haus, der SPD-Parteizentrale, mit einem Festakt sein 50-jähriges Gründungsjubiläum feiern; das Grußwort sprach Thierse als SPD-Vize. Da mochte man an der Parteibasis nicht nachstehen. Darmstadts SPD-Oberbürgermeister Peter Benz wollte im letzten Jahr die dort lebende FA-Funktionärin und Unitarierin Dierks ehren und sagte erst notgedrungen ab, nachdem örtliche Antifaschisten und dann auch FR und FAZ berichtet hatten, Dierks habe sich unlängst wieder zu den Nazi-Dichtern Hans Grimm ("Volk ohne Raum") und Hans Baumann ("Heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt") bekannt, die sie vor "Verfemung" schützen wollte. Über allen schwebend, gab der Philosoph im Ministeramt Julian Nida-Rümelin sein Bestes, als er Biologismus und Nominalismus zu einem runden Rechtsprinzip verband, das wieder an Peter Singer erinnert: noch auf Embryonen bezogen, meinte er im Januar, man dürfe sie ruhig klonen, denn nur wer fähig zur "Selbstachtung" sei, habe überhaupt einen Anspruch auf Menschenwürde. Für die rechten Sekten ist das "Selbst" seit jeher identisch mit "Deutschland". Bei all dem kann die Helferin aus jeder Abstimmungsnot nicht fehlen: Die PDS engagiert sich nicht nur im HVD, ihr Vorstandsmitglied Sylvia Yvonne Kaufmann ließ sich im April 2001 aus Anlaß der Erwähnung des europäischen "religiösen Erbes" in der Präambel der EU-Grundrechte-Charta, an der sie als Europaabgeordnete mitgearbeitet hatte, von Prem zum "Thingplatz" der Deutschen Unitarier im Ostseebad Scharbeutz einladen, nachdem PDS-MdB Ulla Jelpke noch vier Jahre zuvor eine parlamentarische Anfrage zu den rechtsextremen Verbindungen der Sekte gestellt hatte. Mit uns zieht die neue Zeit, heißt es in dem alten Parteilied. Und während die Antifa-Linke in Villa Abajo noch gegen die NPD Putz macht, baut die sozialdarwinistische "Linke" in Villa Arriba längst schon den Biosozialismus auf. ...Biosozialismus (I) aus KONKRET Nr. 9/2001...Biosozialismus (III) aus KONKRET Nr. 1/2002 (Oktober 2001) |