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"Querfront"
 
Unkaputtbar.
Der Begriff stammt von dem deutschen General Kurt v. Schleicher aus dem Jahr 1932. Er hat heute wieder Bedeutung gewonnen aufgrund des politischen Einflusses von Nationalrevolutionären in Südamerika und in islamischen Staaten. Die revolutionären "Dritter Weg"-Konzepte weisen weltweit wesentliche Gemeinsamkeiten auf; die Hauptgemeinsamkeit - und der Hauptunterschied zu marxistischen Konzepten - besteht in der Konfrontation zu den Werten der Französischen Revolution und der europäischen Aufklärung und der Hinwendung zum völkischen Ungleichen. Die Übertragung des Begriffs der "Querfront" ist heuristisch fruchtbar, wenngleich nicht unproblematisch. Die Bedeutung des Konzeptes in Deutschland/Europa ist auch heute nicht zu unterschätzen, obwohl die beste Zeit der Nationalrevolutionäre hier in den 80er Jahren vor der deutschen Wiedervereinigung und in ihrer Vorbereitung lag. Heute kehrt der Inhalt des Begriffs verkleidet zurück in die Politik der Linken: über die unreflektierte Solidarität mit verarmten Bevölkerungsteilen Mittel- und Südamerikas, Afrikas, Asiens und der pazifischen Inseln, bei der (überwiegend militärische und keineswegs nur "indigene") Führer als emanzipatorische Revolutionäre mißverstanden und ihre europäischen faschistischen Traditionen (Mussolini, Röhm, v. Schleicher) nicht beachtet werden.

Schleicher wollte mit Hilfe eines Zusammenschlusses aus Reichswehr, "Stahlhelm", SA und völkisch-militaristischen Teilen der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften aus dem "Reichsbanner" eine Militärdiktatur gegen die sozialen Rechte der Arbeitnehmer errichten.

Der Offizier Kurt v. Schleicher kam 1913 im Alter von 31 Jahren zum Großen Generalstab des Heeres Kaiser Wilhelms II. und machte während des Ersten Weltkriegs in der Obersten Heeresleitung unter dem später Friedrich Ebert nahestehenden General Wilhelm Groener Karriere nicht im militärischen, sondern im politischen Bereich der Armee. Als Ende 1918 die von Ebert und Groener geplante militärische Zerschlagung der Arbeiter- und Soldatenräte an deren Widerstand gescheitert war und Niederlage, Zerfall bzw. alliiertes Verbot/Auflösung der regulären kaiserlichen Armee absehbar waren, plante der damalige Major v. Schleicher innerhalb der Obersten Heeresleitung den Aufbau der Freikorps zum Einsatz gegen die sozialistischen Arbeiter aus den Resten der Armee. Durch seine gute Beziehungen zum Ebert-Günstling Groener, der seinen alten Freund v. Schleicher weiter protegierte, als er selbst Reichwehrminister der Weimarer Republik geworden war, und zu Gustav Noske, dem selbsternannten "Bluthund" der militärischen Gegenrevolution von 1918/19, stieg v. Schleicher in den 20er Jahren immer weiter in politisch-militärische Funktionen auf, bis er 1929 Generalmajor und Chef des Ministeramtes des Reichswehrministers Groener wurde. Hier hielt er die Verbindung zwischen der Reichswehrführung und dem Reichspräsidenten Paul v. Hindenburg, der im Ersten Weltkrieg Chef der Obersten Heeresleitung gewesen war. In dieser Funktion, so behauptete v. Schleicher später, habe er als "Erfinder" der Notverordnungskabinette beim Reichspräsidenten die Kanzlerschaft des früheren Armeehauptmannes Heinrich Brüning durchgesetzt. Nach einer Intrige gegen seinen Förderer Groener wurde v. Schleicher im Kabinett des früheren Husarenoffiziers Franz v. Papen Mitte 1932 selbst Reichswehrminister und baute seine Kontakte mit Röhm und der SA weiter aus. Das Kabinett v. Papen erhöhte die Steuern, kürzte die Sozialleistungen weiter, setzte die Tarifverträge außer Kraft und hob das gerade erst verfügte SA- und SS-Verbot wieder auf. Als v. Papen trotz zweier Neuwahlen keine Mehrheiten im Reichstag finden konnte, wurde v. Schleicher Anfang Dezember 1932 selbst Reichskanzler und wollte ohne Parlament mit seiner "Querfront" als Militärdiktator des Deutschen Reiches herrschen.

Harzburger Front - Rotfront-Kämpferbund - Eiserne Front - Querfront

Nachdem sich mit der "Harzburger Front" die extreme Rechte aus politischen Nationalisten und Deutschnationalen, militaristischen Frontkämpfern und Freikorps-Kämpfern der rechtsextremen Weltkriegs-Veteranen-Organisation "Der Stahlhelm" und der großteils militarisierten NSDAP zusammengeschlossen hatten, formierte sich auf der Linken der Rotfront-Kämpferbund der KPD und in Konkurrenz zu beiden zur Verteidigung der Weimarer Republik die "Eiserne Front" der Sozialdemokratie und Gewerkschaften, die jedoch mit der sozialdemokratischen Organisation "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold" auch völkisch-militaristische Kräfte aus den Reihen autoritär sozialisierter Weltkriegssoldaten unterer Ränge aufnahm, was im Jahr 1932 zu massiven Konflikten innerhalb der Sozialdemokratie um die sich entwickelnden SA-ähnliche Strukturen im "Reichbanner" führte.

Als im Jahr 1932 die Straßenkämpfe zwischen den "Fronten" mit Hunderten Toten eskalierten, der KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann bei der Reichspräsidentenwahl einen großen Anteil sozialdemokratischer Stimmen gewinnen konnte (13 % der Stimmen insgesamt im ersten Wahlgang für Thälmann, bei der Stichwahl gegen Hindenburg noch 10 %), weil die SPD Hindenburg unterstützte (der im ersten Wahlgang 49,6 % erhielt, und zusätzlich brachte es Hitler auch noch auf 30 %!), die KPD dann bei den beiden Reichstagswahlen vom Juli und November erhebliche Stimmengewinne erlangen konnte, die SA unter Ernst Röhm systematisch den Staatsstreich vorbereitete und schließlich am 25. Januar 1933 die Linke in den Industrie-Großstädten des gesamten Deutschen Reiches riesige Volksfront-Demonstrationen gegen die Nazis zustande brachte -- da verhandelte Kurt v. Schleicher zwecks Ausschaltung der Kommunisten und des linken Flügels von Sozialdemokratie und Gewerkschaften seit Dezember 1932 eine "Querfront" über die politischen Lagergrenzen hinweg - selbstverständlich unter Ausschluß der marxistischen Linken -, die ihn zum Exekutor der ökonomischen Interessen desjenigen Teil des deutschen Großkapitals hätte machen sollen, dem Hitler, Göring und Goebbels noch unheimlich waren. Der Sozialdemokratie bot er staatskapitalistische Kontrollinstrumente gegen die Großkonzerne an, die an den "Kriegssozialismus" der Ebert-Sozialdemokratie am Ende des Ersten Weltkriegs anknüpften. Gregor Strasser als Kopf des "antikapitalistischen" Flügels der NSDAP sollte unter v. Schleicher Vizekanzler werden und die SA-Massen um Röhm binden, die gerade abgesetzten preußischen SPD-Politiker Otto Braun und Carl Severing sowie der "Reichsbanner"-Führer Karl Höltermann sollten die Sozialdemokratie anbinden, der Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes Theodor Leipart die Arbeitnehmerinteressen auf die Profite des Großkapitals hin kanalisieren.

"Konservative Revolution" als Schleichers Ideengeber

Bernd Engelmann schreibt in seinem Buch "Einig gegen Recht und Freiheit" (Frankfurt a. M. 1978, S. 172): "v. Schleicher resümierte: Mit der Reichwehr, der preußischen Polizei, dem 'Stahlhelm' und weiteren vaterländischen Verbänden als Streitmacht, mit den 'salonfähigen' Nazis, den Deutschnationalen, den Resten der deutschen Volkspartei, Teilen des" (katholischen, BIFFF...) "Zentrums sowie einigen rechten Sozialdemokraten und 'staatsloyalen' Gewerkschaftsführern" (das waren vor allem Gruppen um den durch v. Papen abgesetzten Ministerpräsidenten Preußens, Otto Braun, und seinen Innenminister Carl Severing sowie dem Oberpräsidenten Hannovers Gustav Noske und dem Gewerkschafts-Vorsitzenden Leipart, BIFFF...) "als politischer Basis, mit voller Unterstützung durch die Hugenberg-Presse" (als hauptsächlichem nicht-nationalsozialistischem Teil der "Harzburger Front", BIFFF...) "sowie durch die größten Konzerne - IG Farben, Krupp, Otto Wolff, Bosch und AEG -, könnte er der Zukunft ruhig engegensehen." Freilich übersah Engelmann hier die Nationalrevolutionäre und Konservativen Revolutionäre, die innerhalb (SA, Strasser-Fraktion) und außerhalb der NSDAP (von Moeller-van den Bruck über Winnig und Wirsing bis Jünger und Jung) Schleicher die Ideen gegeben hatten. Ohne die (von der Reichswehr gezähmten) SA-Massen wäre seine "Querfront" ein handlungsunfähiger Torso geblieben, zumal diese Massen arbeitslos waren und beschäftigt werden mußten, damit sie nicht marodierten oder gar zu den Marxisten überliefen.

V. Schleicher versprach den Konzernen die Neutralisierung der proletarischen Massen der SA und die Einbindung der kleinbürgerlichen Teile von Sozialdemokratie und Gewerkschaften sowie die terroristische Ausschaltung der breiten marxistischen Basis in der Arbeiterschaft, die er bereits in der Reichwehr-Diktatur von Friedrich Eberts Gnaden während der ersten Hälfte der 20er Jahre eingeübt hatte. Ob er dabei nun auch "Nationalbolschewisten" innerhalb der KPD in seine "Querfront"- Konstruktion einbezog, ist eine noch offene Frage. Seine Zielrichtung war klar antisozialistisch und gegen die bescheidenen Errungenschaften der sozialdemokratischen soziale Sicherungspolitik während der ebenso bescheidenen Prosperitätsjahre der Weimarer Republik gerichtet.

Die Rolle der "Querfront" beim Versuch, am Ende der Weimarer Republik den letzten Rest der sozialen Errungenschaften seit der 1918er Revolution zu beseitigen, kann selbst der konservative Historiker Hagen Schulze - übrigens der Sohn Sigrid Hunkes, was viele seiner Studenten und Kollegen an der Freien Universität Berlin nicht wissen; Hunke war seit 1942 verheiratet mit Peter H. Schulze (Beamter des Auswärtigen Amtes), Hagen Schulze ist ihr erstes Kind, 1943 in Tanger/Marokko geboren; nur als neurechte Schriftstellerin behielt sie ihren seit den SS-Tagen bekannten Geburtsnamen Hunke bei; vgl. "Wer ist Wer? Das deutsche Who's Who", Lübeck 1986, Seiten 601 (Hunke) und 1219 (Hagen Schulze) - in seinem apologetischen Buch über Otto Braun (Berlin 1977) nicht vertuschen.

Die Verwandtschaft der von v. Schleicher zusammengefaßten "Querfront"-Ideen mit den staatskapitalistischen südamerikanischen Diktaturen seit Juan Peron bis hin zu den aktuellen scheinbar sozialistischen Bestrebungen, die bereits verschiedentlich thematisiert wurde, muß intensiv untersucht werden, ebenso die Überschneidungen zu den nationalrevolutionär-nationalreligiös-antiwestlichen Entwicklungen in den ökonomischen Mittelmächten der islamischen Welt, deren wirtschaftliche und regional-imperialistische Situationen inzwischen mit der Deutschlands zu Beginn der 30er Jahre vergleichbar sind.

Zu den "Querfront"-Ideen innerhalb der Sozialdemokratie
mit Wirkungen bis heute vgl.
Peter Kratz: Rechte Genossen. Neokonservatismus in der SPD,
Kapitel: "Kriegssozialismus" seit 1914.
 

 
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