© 2003 by P. Kratz.  Jede Verwendung des Textes und der Abbildungen unterliegt dem Urheberrecht.


Neue Herausforderungen
Themen des BIFFF...
Bücher und Broschüren
English Texts
E-Mail an BIFFF...























































Vom Antisemitismus
zur Homophobie
Teil I
 
 
Über Geschichte und Aktualität Arthur Kronfelds,
des leitenden Arztes an Magnus Hirschfelds
"Institut für Sexualwissenschaft"   ***
 
Teil I:
Kronfeld, Hodann, Hiller - und auch Hirschfeld selbst:
Politik und Philosophie am rechten Rand der Weimarer Republik.
Zum Einfluß von Jacob Friedrich Fries und Leonard Nelson
auf die Hirschfeldianer.
Die Bedeutung für die SPD-Politik heute.
 
Von Peter Kratz
 
Bei der Gründung seines Institut für Sexualwissenschaft (IfSw) stellte Magnus Hirschfeld 1919 einen einzigen Akademiker mit einem festen Gehalt an (1): den Neurologen und Psychiater, promovierten Mediziner und promovierten Philosophen Arthur Kronfeld (geb. 1886), im Weltkrieg als Oberarzt der Reserve Leiter eines Hospitals für Hirnverletzte und ausgezeichnet mit den Eisernen Kreuzen Erster und Zweiter Klasse, den Hirschfeld bereits seit 1906 von einer Publikation über "Sexualität und ästhetisches Empfinden" her kannte, Kronfelds zweiter Veröffentlichung überhaupt, die er dem Sozialdarwinisten Ernst Haeckel gewidmet hatte, nachdem er 1905 schon einen Artikel über "Goethe und Haeckel" publiziert hatte. (2) Kronfeld baute ab 1919 die ärztlichen Dienstleistungen am IfSw mit auf und leitete sie bis 1926 mit; selbst deckte er den Bereich Neurologie/Psychopathologie ab, wozu nach seinem Verständnis auch jedes von der heterosexuellen Fortpflanzungsnorm abweichende Sexualverhalten zählte. Kronfeld war in der wichtigsten Phase des IfSw der wichtigste Mitarbeiter Hirschfelds und wohnte sogar mit seiner Frau Lydia im Haus des IfSw, bevor er beruflich und privat aus dem Institut ausschied und in Berlin eine lukrative psychotherapeutische Privatpraxis für Prominente eröffnete.

V. l .n. r.: Kronfeld, Hirschfeld und Mitbegründer Wertheim 1919
im Institut für Sexualforschung.
(Foto: Sammlung Baumgardt / Schwules Museum Berlin)

Über Kronfelds Werk ist bisher fast nichts publiziert, obwohl es für das Verständnis des IfSw zentral ist. Über Kronfelds Leben gibt es ein paar oberflächliche und z. T. verfälschende Artikel, sein Ende oder Verbleib im Moskauer Exil nach 1941/42 liegt weiterhin im Dunkeln. Es war der Augsburger Arzt und Psychotherapeut Ingo-Wolf Kittel, der 1988 mit einer Bibliographie der Schriften Kronfelds, die sein Werk erschließt, diesem Mitarbeiter Hirschfelds aus der Vergessenheit holte. Die eigenen Artikel Kittels jedoch, die bis heute die fast einzigen Sekundärdarstellungen Kronfelds sind, kommen über den kreativen Umgang mit biographischen Daten und ein inhaltsleeres name-dropping zu Personen, die angeblich Kronfelds Lebensweg kreuzten und deren Nennung offenbar einen guten Eindruck über Kronfeld hinterlassen sollen, kaum hinaus (3). Zudem veröffentlicht Kittel seine Artikel heute im Internet auf einer extrem antisemitischen Website, was Fragen nach seiner Motivation für die Beschäftigung mit Kronfeld aufwirft.

Für einen guten Eindruck über Kronfeld besteht allerdings kein Anlaß. Kronfelds aggressive Homophobie und seine antisoziale, in ihrer Konsequenz auf die Vernichtung abweichenden Verhaltens zielende Psychiatrie fußen in einem wissenschaftlich strukturellen, vom beginnenden modernen Antisemitismus des 19. Jahrhunderts ausgehenden Mystizismus, der es einerseits durchaus rechtfertigen würde, daß seine Arbeiten heute fast völlig vergessen sind. Andererseits zeigt unsere Analyse seines Denkens (und des Denkens am IfSw überhaupt) und ihr Bezug auf aktuelle soziale Entwicklungen, daß der Schoß, aus dem das kroch, heute so fruchtbar ist wie je; auch sind erneut die direkten Apologeten Kronfelds nicht zufällig in neokonservativen Organisationen wie der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft oder Rolf Gindorfs Deutscher Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung zu finden, die schon den Rassehygieniker Hirschfeld weitgehend kritiklos verherrlichen (4). Die Frage nach dem Warum führt zwangsläufig in den Zusammenhang mit der Politik des massiven Sozialabbaus und der Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums nach oben, die heute - wie schon in den 20er Jahren - einen rosaroten Anstrich hat. Für diese Politik fortschreitender Individualisierung sich steigernder Lebensrisiken bei gleichzeitiger Erhöhung der Leistungsverpflichtungen des Einzelnen für eine sich angeblich in Verteidigung gegen globalistische Gefährdungen befindenden Gemeinschaft werden erneut - und erneut betrügerisch - emanzipatorische Bewegungen, wie die der Befreiung der Sexualität von religiös-weltanschaulicher Repression, in Anspruch genommen, wie damals, als jedermann, der die gesellschaftliche Machtverteilung gerade nicht verändern wollte, sich lauthals "Sozialist" nannte und die sozialistische Planung von Produktion und Verteilung des Reichtums in die Leistungsverpflichtung zum Zeugen und Gebären "Gesunder", also brauchbarer Arbeitskräfte münden ließ.

Ein bisher unbeachteter Einfluß auf das IfSw

Kronfeld war ein fanatischer Anhänger des Philosophen Leonard Nelson (1882-1927), und damit war er am IfSw nicht allein. Philosophisch-politische Gefolgsleute Nelsons waren auch: Kurt Hiller (1885-1972), seit 1904 Kronfelds zeitweise enger "geistiger" Freund (von dessen Homosexualität Kronfeld angeblich anfänglich nichts wußte), der später am IfSw für alle juristischen Fragen zuständig war und ideologisch eigentlich von den Präfaschisten Friedrich Nietzsche und Stefan George her kam (5); und Max Hodann (1894-1946), ab 1922 beamteter "Stadtarzt" am Gesundheitsamt Berlin-Reinickendorf, der ab 1914 begeistert bei dem Sozialeugeniker Alfred Grotjahn studiert hatte (einem alten rassehygienischen Kampfgefährten Hirschfelds und Ideologen des "lebensunwerten Lebens" sozial Unerwünschter) und ab Mitte der 20er Jahre ehrenamtlich die Sexualerziehungsberatung am IfSw machte (6) sowie ehrenamtlicher "Leiter der eugenischen Abteilung" (Eheberatung als Fortpflanzungsberatung) des IfSw wurde (7). Es erstaunt doch sehr, daß sich die bisherige Forschung zum IfSw mit der Bedeutung Nelsons für die "Sexualreform" des IfSw, die auf die gesellschaftliche Durchsetzung eugenischer Normen für ein "gesundes Volk" abzielte, nicht beschäftigt hat. Allerdings würde eine solche Beschäftigung nicht zu der politischen Interessiertheit passen, die das IfSw in die Geschichte der Emanzipation der Menschheit einreihen möchte.

Kronfeld lernte Nelson bereits 1902 näher kennen (8) und schloß sich dessen 1903 gegründeten philosophischen Zirkel von und für Studienanfänger namens "Fries-Gesellschaft" sogleich an. Dieser Zirkel befaßte sich ausschließlich mit dem gegenaufklärerischen, mystizistischen, deutsch-nationalistischen und radikal antisemitischen Philosophen Jacob Friedrich Fries (1773-1843), als dessen späte "Schüler" sich diese Studenten fühlten (9). Kronfeld führte den ein halbes Jahr jüngeren Hiller, den er aus familiären Zusammenhängen bereits flüchtig kannte, ab 1904 an die Gedankenwelt Nelsons heran, dessen politischer Elitismus, Aristokratismus und aggressive Feindschaft gegenüber jeder Form der Massendemokratie den elitär denkenden Hiller insbesondere begeisterte. Nelson veröffentlichte dann sogar in Hillers Publikation "Das Ziel. Jahrbücher für geistige Politik". Es war auch Kronfeld, der 1908 auf Hirschfelds Ersuchen hin Hirschfeld mit Hiller bekannt machte, nachdem Hillers Schrift "Recht über sich selbst" mit juristischen Argumenten die Befreiung der Sexualität vom Strafrecht verfochten hatte; Hiller trat daraufhin sowohl dem primär eugenischen "Bund für Mutterschutz" Helene Stoeckers als auch dem eher emanzipatorisch erscheinenden "Wissenschaftlich-Humanitären Komitee" Hirschfelds bei, für das er sich fortan vor allem engagierte (10). Kronfeld verband seine Fries-Schülerschaft mit einer kritiklosen Verehrung des Sozialdarwinisten Ernst Haeckel, dessen biologistische (auch rassistische und teilweise ebenfalls extrem antisemitische) Ideen ihn zum Medizinstudium gebracht hatten. Ebenso unter dem Einfluß Haeckels hatte sich auch Hodann für die "Naturforschung" begeistert und 1913 ein Medizinstudium angefangen; über akademische Zusammenhänge (offenbar Grotjahns Vermittlung) lernte Hodann 1915 Hirschfeld auf einer Veranstaltung von Hirschfelds, Grotjahns und Stoeckers "Ärztlicher Gesellschaft für Sexualwissenschaft und Eugenik" kennen (hier war Haeckel "Ehrenmitglied"!), trat ebenfalls dem "Bund für Mutterschutz" bei und kam über burschenschaftliche Zusammenhänge in direkten Kontakt mit Nelson und so auch mit Kronfeld, s.u. Während Hodann zu einem der engsten politischen Mitstreiter Nelsons wurde, warf sich Kronfeld vor allem auf Nelsons Philosophie und Wissenschaftstheorie, hielt sich aber praktisch-politisch zurück. Der Spötter Hiller schreibt, Nelson habe bei Kronfeld nunmehr Haeckel "als Hauptgott" abgelöst (11), ohne daß Kronfeld freilich jemals seine biologistisch-sozialdarwinistische Grundausstattung abgelegt hätte, die er sogar bei Haeckel an der Uni Jena vertieft hatte (zur selben Zeit, als Nelson dort dem damals fast völlig vergessenen früheren Jenenser Professor Fries nachrecherchierte).

Der Fries-Wiederentdecker Leonard Nelson.

Möglicherweise kannten Kronfeld und Nelson sich bereits vor 1902, denn die Väter beider waren in der Kaiserzeit prominente jüdische Rechtsanwälte in Berlin. Kronfeld und Nelson hatten selbst keine Verbindung zum Judentum mehr (wie auch Hiller oder Hirschfeld nicht), und obwohl Nelson familiär mütterlicherseits mit dem großen jüdischen Aufklärer Moses Mendelssohn (1729-1786) verwandt war, war "seine" Philosophie (die in Wahrheit die Fries' war) diametral der Aufklärung und ihrer Nachfolgen entgegengesetzt (s.u.). Nelson gründete mehrere echte Sekten, deren autoritärer Guru er war; von sich und seinen Anhängern verlangte er totale Askese im Sexuellen, der Ernährung (strenger Vegetarismus, Alkohol- und Nikotin-Abstinenz) und der allgemeinen Lebensführung. Da nicht jeder diesen Lebensregeln folgen wollte (Kronfeld offenbar gar nicht, Hodann nur bei Alkohol und Nikotin; der chaotische Hedonist Hiller fühlte sich ohnehin nur geistig verbunden), waren die Nelson-Organisationen bezüglich der Strenge der Lebensregeln abgestuft. Von Nelsons sexueller Orientierung ist nichts bekannt; seine Ehe, aus der ein Kind stammte, das früh starb, dauerte nur zwei Jahre. Er selbst starb 1927 von der Askese und jahrelanger Schlaflosigkeit völlig entkräftet. Nelsons Wirkung auf seine Jünger war Guru-gemäß von magischer Art und wirkte bei den meisten lebenslänglich, bis in die 70er Jahre.

Führer, Volk und Vaterland

Nelsons "Jacob-Friedrich-Fries-Gesellschaft" (FG) war der philosophische Kern von ca. einem Dutzend (wechselnden) Akademikern für seine an der bündischen Jugendbewegung der späten Kaiserzeit orientierte, kader- oder besser: sektenartig strukturierte politische "Bewegung", die bis 1933 im deutschsprachigen Raum niemals mehr als ein paar Hundert Mitglieder und vielleicht ein paar Tausend Sympathisanten hatte; zu Nelsons Lebzeiten zählte sie höchstens nach Zig. (12) Kronfeld und sein Studienfreund Otto Meyerhof (der später von der Psychiatrie zur Biochemie wechselte und als Muskelkater-Forscher einen Nobelpreis erhielt, erst 1938 emigrierte und bis 1937 die philosophische Zeitschrift der Nelsonianer, "Abhandlungen der Fries'schen Schule. Neue Folge", herausgab, die nach 1933 ungehindert weiter erscheinen konnte) gehörten von Beginn an zu dieser verschworenen Gemeinschaft. Kronfeld und Meyerhof lasen 1907 auf ihrer gemeinsamen Heidelberger Studentenbude eines von Nelsons Hauptwerken, "Über das sogenannte Erkenntnisproblem", Korrektur, bevor es in den "Abhandlungen" erschien. (Nebenbei: Heidelberg war ebenfalls eine Station des Professor Fries gewesen.) Auch Kronfeld veröffentlichte in dieser Zeitschrift Artikel, die er für so wesentlich für sein eigenes Verständnis von Wissenschaft allgemein und Neurologie/Psychiatrie im besondere hielt, daß er sie 1920 in sein "wissenschaftstheoretisches" Hauptwerk "Das Wesen der psychiatrischen Erkenntnis" aufnahm und immer wieder zitierte; es waren allerdings nur Nacherzählungen von Nelson-Artikeln. Zur FG zählte von Beginn an auch der Mystiker und evangelische (!) Religionsphilosoph Rudolf Otto, ein persönlicher Freund Nelsons, dessen Buch "Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen" von 1917 sowohl den nazistischen "Deutschen Christen" des Protestantismus als auch den panheistischen, völkisch-rassistischen "naturreligiösen" Sekten (von Deutschland bis nach Indien) die gern aufgegriffenen Stichworte zum mystischen "Erleben" und "Fühlen" des "Numinosen" im Menschen bot und bietet; Otto, der solche Gedanken offenbar aus Fries' Schrift "Wissen, Glaube und Ahndung" (s.u.) geklaut hatte, stand später mit dem nach Alfred Rosenberg zweiten "Religionswissenschaftler" der Nazis, Wilhelm Hauer, im engen Austausch. Auch Haeckels "Monistenbund", bei dem ja Hirschfeld Mitglied war, gehörte damals und gehört bis heute dieser Sektenszene an. Hier zeigt sich erneut, wie eng die Verbindungen zwischen den Hischfeldianern und den weltanschaulichen Gruppen, die ab 1933 unter Hauers Führung die Nazi-Herrschaft "religiös" unterstützen wollten und deren Wurmfortsätze bis heute wichtige und einflußreiche Propagandisten der Eugenik und "Biopolitik" sind, gewoben waren (13).

Nelson fühlte sich anfangs den Nationalliberalen um Friedrich Naumann verbunden, der den Begriff des "National-Sozialismus" geprägt hatte und sich für die Kriegsziele des Deutschen Kaiserreichs einsetzte. Als Staatsverfassung propagierte Nelson eine "Herrschaft der Weisen" unter einem diktatorischen "Führer", der die "Weisen" als "Priester der Wahrheit und Gerechtigkeit" auswähle und heranbilde. Jegliche Form der Massendemokratie lehnte er ab. Ökonomisch verfocht er die abstruse agrozentristische Wirtschaftstheorie seines engen Studienfreundes Franz Oppenheimer (einem Mitherausgeber der "Abhandlungen der Fries'schen Schule, Neue Folge"), der auf der Basis einer Bodenreform einen marktradikalen Manchester-Kapitalismus von lauter Mittelständlern einführen wollte, die in Siedlungskolonien leben und wirtschaften sollten, und nannte dies später "Sozialismus". Tatsächlich aber erinnert Oppenheimers Plan, der sowohl von der ökonomischen als auch von der industriell-technischen Wirklichkeit des monopolistischen Kapitalismus längst überholt war, an die kleinbürgerlichen "Sozialismus"-Vorstellungen der Strasser-Fraktion der Nazis und die völkischen, dann nazistischen Siedler-Pläne (Stichwort "Blut und Boden"); daß ausgerechnet der CDU-Wirtschaftsminister und -Bundeskanzler Ludwig Erhard sich nach 1945 als "Schüler" Oppenheimers präsentierte (um einen Leumundsjuden vorweisen zu können, nachdem er in Wahrheit seit den frühen 40er Jahren mit den Eliten des deutschen Kapitals für die Zeit nach dem Ende des nun schon Zweiten Weltkriegs geplant hatte), zeigt, was es mit dem Nelson-"Sozialismus" auf sich hatte. (14)

Auf einem der wichtigsten Fotos der späteren Fries-Gesellschaft sind 1909 die Friesianer (sitzend v. r.) Nelson, Meyerhof und Kronfeld sowie (stehendvierter v. l.) Rudolf Otto zu sehen. Der Fries-Verfälscher Gerald Hubmann (s. u.) bringt das Foto mit dieser Bildunterschrift in seiner Dissertation (1997, S. 327), ohne irgendwo auch nur ansatzweise auf die herausragene Rolle Ottos als Bezugspunkt der rechtsextremen protestantischen und "neuheidnischen" Gruppen und Sekteneinzugehen. (Vgl. zu den Sekten mein Buch "Die Götter des New Age".)

Als 1913 auf dem Berg Hoher Meißner in Nordhessen Wandervögel und Bündische bei einem großen Treffen an den Sieg über das napoleonische Frankreich 1813 erinnerten und die Freideutsche Jugend (FJ) gründeten, versuchte Nelson, hier zu missionieren, die FJ als Personalreservoir zu übernehmen und auf ihn als den "Führer" in ein neues glorreiches Zeitalter der Menschheit einzuschwören, das nach den weltanschaulichen Prinzipien Fries' gestaltet werden sollte. Als dies scheiterte, weil Nelsons Hybris und Askese die meisten Jugendlichen abstieß, weil der Erste Weltkrieg ganz anders rekrutierte und die Ideen der Bündischen Jugend sich im wesentlichen bereits überlebt hatten, und als die FG-Akademiker ihre Uni-Karrieren doch nicht zugunsten eines rein politischen Konzeptes aufgeben wollten, gründete Nelson 1917 mit einigen Getreuen den "Internationalen Jugend-Bund" (IJB) als politische Kampforganisation zur Erreichung seines "Sozialismus". Nachdem er sich im zweiten Versuch endlich habilitiert und mit Hängen und Würgen eine Privat-Dozentur als Philosoph an der naturwissenschaftlichen Fakultät in Göttingen bekommen hatte, missionierte er nunmehr hauptsächlich unter (seinen) Studenten für den IJB. Der Berliner Student Hodann, der Nelson schon seit 1913 vom Hohen Meißner und von den Politisierungsversuchen innerhalb der FJ her kannte und im nationalistischen Wahn der Vorkriegs- und anfänglichen Kriegszeit seinerseits die akademische Jugend im Geiste der Urburschenschaften von 1813 ff für den Krieg gegen den alten Erbfeind zu begeistern versuchte (in dem er allerdings selbst erst im letzten Kriegsjahr, und auch nur in einem Lazarett für Syphilis-Kranke, diente und bis dahin weiter bei Grotjahn studieren konnte), übernahm Führungsfunktionen im IJB und leitete die Berliner Sektion.

Kronfeld um 1908 bei einem Treffen der Nelson-Freunde.

Schon vor dem Weltkrieg hatte es einen Austausch zwischen den Bündischen und dem Kreis um Hirschfeld gegeben, bei dem es um Sexualität, aber auch um die richtige "Führerschaft" ging, ein Begriff, der bei den Bündischen lange vor Nelsons Einmischung Konjunktur hatte. Das Beispiel des Hans Blüher, den Hirschfeld (ungeachtet Blühers Antisemitismus) für seine sexualreformerischen Ziele gewinnen wollte, ist allgemein bekannt (15). Blühers männerbündlerisches Buch "Die deutsche Wandervogelbewegung als erotisches Phänomen" (1912), das sich vordergründig mit der Führung der Jugend befaßte, die an der von ihm unterstellten generellen Bisexualität der männlichen Jugendlichen ansetzen sollte, hatte heftige Debatten um Homosexualität und sexuellen Mißbrauch in den Jugendbünden ausgelöst. Trotz Hodanns Homophobie, die dazu führte, daß er sich in den 30er Jahren sogar offen von Hirschfeld distanzierte, als dessen Homosexualität nunmehr breit bekannt war (16), und trotz des Sex-Askese-Gebots Nelsons war Hodann eine Brückenfigur zwischen den führerschaftlich-antidemokratischen und den sexualreformerisch-eugenischen Positionen, die er im "Bund für Mutterschutz", in der "Ärztlichen Gesellschaft für Sexualwissenschaft und Eugenik" und dann vor allem im IfSw zu seiner eigenen Biopolitik zusammenmischte: Hodann als ein "Weiser" wies in seiner eugenischen Sexual- und Eheberatung den Weg der "Evolution", den die Paare, durch Sexualtrieb und Liebe verblendet, nicht erkennen könnten. Grotjahns Buch "Die hygienische Forderung" von 1917 war für ihn "das beste Volksbuch der Gesundheitspflege", und Grotjahns Forderung nach Steuererhöhungen für Ledige und Ehepaare mit zu wenig Kindern unterstützte er ebenso wie dessen "Wertschätzung" kinderreicher Frauen, "die mit Bewußtsein sich und der Nation, der sie angehören, diese Pflicht reichlich erfüllen" (17).

1917 (immerhin die Zeit der sozialistischen Oktoberrevolution in Rußland!) gab Hodann zur Erinnerung an das Wartburgfest der Burschenschaften von 1817, auf dem sowohl der "Völkerschlacht bei Leipzig" 1813 als auch der Lutherischen Reformation von 1517 als den großen deutschen Befreiungstaten von "Fremdherrschaft" gedacht worden war (von der Frankreichs und von der Papst-Roms; beides zentrale "befreiungsnationalistische" Bezugspunkte der Konservativen Revolution und des Faschismus, bis zur heutigen "Neuen Rechten"), die Schriftensammlung "Die Urburschenschaft als Jugendbewegung. In zeitgenössischen Berichten zur Jahrhundertfeier" mit heraus. Das Heftchen, das eifrig auf Fries als einen Mitveranstalter des damaligen Wartburgfestes einging und auch Fries' Festrede enthielt, sollte helfen, unter den Bündischen und den Burschenschaftlern weitere Anhänger zu werben. Auf Wunsch Hodanns verlegte Eugen Diederichs, der Verleger der Völkischen und der Bündischen (und der rechten Sekten!) aus Jena, mit dem er sich früher schon befreundet hatte, die Broschüre. Hodann bekannte sich "zum Geleit" sogleich zur Bücherverbrennung auf der Wartburg (s.u.) als einer deutschen Freiheitstat gegen die "unseren Volksgeist verderbende Schriften". Im Nachwort sprach sich Hans Mühlestein, ein schweizerischer (!) Anhänger und eifriger Mitstreiter Nelsons, in deutlich ethnopluralistischer Demagogie für ein deutsch geführtes Europa aus, das Deutschlands Mittel zur Weltherrschaft werden sollte. Der Mühlestein-Text gilt als eigentlicher Gründungsaufruf des IJB und wurde vom IJB 1920 erneut verbreitet. Mit Fries-Zitaten eingeleitet, rief er 1917 die deutsche Jugend zum Durchhalten im Schützengraben auf. Er pries Nelsons "Herrschaft der Weisen" und sah sie im kaiserlichen Deutschland durch die planwirtschaftliche Militärdiktatur Hindenburgs und Ludendorffs unter Wilhelm II. bereits verwirklicht: "Der Wille eurer Regierung ist mit euch, nicht gegen euch!", schrieb Mühlestein die jungen Menschen an, die zigtausendfach im Giftgas krepierten, und rief die europäische Jugend auf, der deutschen Führung zu folgen. "Welche welt- und herzerobernde Kraft in dem reinen moralischen Willen derjenigen Deutschen wohnt, als deren Führer euer Kaiser und euer Kanzler gelten dürfen!" (18) Ludendorffs "Kriegssozialismus", der dann auch von den Noske-Leuten in der SPD mitgetragen wurde (19), erschien also nun als politisches Ziel. Auf Mühlesteins Europa-Visionen bezog sich Kronfeld 1920 in "Das Wesen der psychiatrischen Erkenntnis" positiv (20).

Führerschaft als Gurutum

In Reden an die FJ und den IJB und schließlich in der Schrift "Demokratie und Führerschaft" von 1920 hatte Nelson sein mystisch fundiertes autoritäres und gänzlich antidemokratisches Verständnis von "Führerschaft" dargelegt: "Es herrscht ... der Wille desjenigen, der die beste Einsicht in das angestrebte Ziel hat"; eine "Herrschaft einer Begabtenelite" unter "Ausschließung aller nicht hinreichend Tüchtigen von der Mitwirkung an der Regierung" müsse errichtet werden - ein einfaches Prinzip, denn "der berufene Führer ist der jeweils beste unter den Menschen einer Generation", man brauche nur "Menschenkenntnis", um ihn auszuwählen - unklar blieb, wer "man" ist (21). Und auch Hodann hatte, als nun auch in Deutschland Revolution war, gewarnt, man dürfe nicht "die Einsicht wahrhafter politischer Führer dem Willen der Massen ausliefern"; "ich bin ein Feind jeglichen Demokratisierens", so Hodann; "wo der Demos, die Masse herrscht, da herrscht Suggestion, da ist Unverstand" (22). Um den Einfluß der Bevölkerung in der Revolution 1918/19 zurückzudrängen, engagierte Hodann sich im Berliner Arbeiter- und Soldatenrat, so wie sich Kronfeld in Freiburg (wo er noch im Hirnverletzten-Lazerett arbeitete) im Soldatenrat engagierte; sie hofften auch, hier Personal für ihre Führerschulungen rekrutieren zu können.

Auch Hillers Konzept der "Logokratie" oder "Geistigenherrschaft" als einer "Aristokratie" war von Nelson abgeleitet, wenngleich Hiller später für sich selbst die Urheberschaft an dessen Führerideologie reklamierte. Nelson wird von Hiller noch 1969 als "absoluter Monarch des objektiven Geistes", "Solo-Weiser und Dalai-Lama" gepriesen, "ich ziehe den Hut vor Nelson", Nelsons "Demokratie und Führerschaft" sei die "Hauptsache und pures Gold" gewesen (23). Hillers Haß auf Demokraten, die er im posthum erschienenen Band "Eros" seiner Erinnerungen "Leben gegen die Zeit" als "Demo-Kretins" bezeichnete, war Zeit seines Lebens grenzenlos. In seinen putschistischen frühen Schriften "Ein deutsches Herrenhaus" (1918) und "Logokratie oder ein Weltbund des Geistes" (1920), die also in der Zeit der revolutionären Durchsetzung der bürgerlichen Massendemokratie in Mitteleuropa erschienen, schrieb er, durch "Selbstgeburt" solle eine "souveräne Adelskammer der Geistigen" als "Rätesystem des Geistes" entstehen, "ein Herrenhaus, das sich selbst zeugt, aus Führermenschen bestehend"; "Aristoi" würden nicht gewählt, sondern "wittern sich gegenseitig aus, sie erkennen einander, sie anerkennen sich, ... die Menschen der Geist-Rasse, des unherrischen Herrentypus" (24).

Um die unter seinen Studenten Herausgerochenen ungestört "auszubilden", gründete Nelson 1923 das Sektenzentrum "Walkemühle" mitten im nordhessischen Bergwald, wo er unweit des Hohen Meißner ein altdeutsches, frühindustrielles Fachwerkhaus mit diesem programmatischen Namen gekauft und ausgebaut hatte (hochdeutsch: Walzwerk, Hammerwerk; Neues Deutsches Wörterbuch: "walken = Tuch, Filz, Leder schlagen und kneten, um es geschmeidig zu machen"). Schon im Wandervogel gehörten Landheime zur materiellen Grundlage der Bewegung, und hundert Jahre früher wohnten die Studenten "auf dem Haus" ihrer Burschenschaft. In der "Walkemühle" wohnten nun Nelsons Vater sowie sein Privatsekretär Willi Eichler und die pädagogische Leiterin des Zentrums Minna Specht (die beide die Nelson-Sekte nach dem Tod ihres Gurus gemeinsam weiter leiteten) als Aufsichtspersonen, und für die Zeit der Schulungen wohnten hier die zukünftigen Führer/Aristoi (meist Studenten Nelsons, fast nur Männer, um die 20 Jahre alt) sowie über Jahre hin die Kinder einiger fanatischer Nelson-Anhänger, die frühzeitig geformt werden sollten. Wie schon Hodann, so hatte Nelson auch Specht aus der FJ rekrutiert. Die Kinder und jungen Erwachsenen mußten unter spartanischer Einfachheit leben: strenger Vegetarismus, während der Gemeinschaftsessen wurden Texte vorgelesen und ideologisch indoktriniert; den Kindern waren auch Süßigkeiten verboten, sie mußten bei jedem Wetter allmorgendlich mit nacktem Oberkörper Waldläufe absolvieren, Kontakte zu Familien und Freunden außerhalb waren verboten; für die älteren war jegliche Sexualität verboten, Liebesbeziehungen, aber auch andere engere Freundschaften waren im Haus ebenso verpönt wie im IJB insgesamt, zumindest der Theorie nach. Specht, die von Nelson mit männlichen Attributen wie "Kamerad" oder "Freund" bezeichnet wurde, wurde später von solchen Ehemaligen (man könnte auch sagen: Sektenaussteigern), die die "Strenge der Gemeinschaft", die "harte Schule" und den "autoritären Charakter der Pädagogik" beklagten, als herrische, kalte Person beschrieben, die zeitlebens "zölibatär" gelebt habe, aber offenbar immer enge Anbindungen an andere Frauen gesucht hat. Nach Schätzungen wurden in der "Walkemühle" (ohne die Kinder) insgesamt ca. 30 Menschen zu "Führern" im Sinne Nelsons herangezogen (25).

"Zucht" war der zentrale Begriff von Nelsons Erziehungskonzept. Harter Sport galt ihm als die eine Möglichkeit zur "Willensstählung" seiner späteren "Führer" (26); die andere waren seine "intellektuellen Schulungen", die er in 10-Tages-Kursen in der "Walkemühle" selbst abhielt. Was er scheinphilosophisch "Sokratisches Gespräch" zum Erlernen der "Sokratischen Methode" des "Wahrheits"-Erkennens nannte, ist als psychoterroristisches organisiertes Zerbrechen der alten Persönlichkeit der bereits durch körperliche Askese geschwächten Zöglinge, gefolgt vom Neuaufbau nach dem Plan des Gurus, heute aus religiösen und Psycho-Sekten bestens bekannt. "Gepiesackt", "gezwungen", "gepeinigt", "lächerlich gemacht" fühlten sich die Zöglinge, es sei "jeder Einzelne in seiner Persönlichkeit zutiefst verunsichert worden" und einer "Probe der Verwirrung und Entmutigung" unterzogen worden. Nelsons Ziel war es, eine Gruppe zu formen, die ihm bedingungslos folgte, was ihm mit Spechts Hilfe weitgehend gelang (27). "Eine auf der Einsicht jedes Einzelnen beruhende Einstimmigkeit aller" durch "läuternde Veränderung" nannte es ein Unverbesserlicher noch 1953, "Kraft zur Wahrheit", "Mut", "im Kampf, im Zweifel, ja in der Verzweiflung um die Wahrheit", was den Anspruch erhob, Wissenschaft zu sein und doch vom Beginn der Einführung des Wortes "sokratisch" an nichts als plumpe Manipulation war (28). Toleranz gegen Abweichungen jeder Art vernichtete Nelson so, "Toleranz" galt ihm geradezu als der Gegenbegriff zu seiner "Zucht". "Zweifel an seinem Anspruch, das letzte Wort über die Grundlagen der Erkenntnis wie über das Ziel unseres Handelns gesprochen zu haben" (29), wurden erstickt.

Kronfelds bedingungslose Gefolgschaft

Während sich Hodann als Folge politischer Differenzen um die 1926 gegründete IJB-Nachfolgeorganisation "Internationaler sozialistischer Kampfbund" (ISK) auch von Nelsons pädagogischer Praxis entfernte - Hodanns Frau Maria Saran, von der er sich 1926 trennte, blieb eine fanatische Nelson-Verehrerin - und insbesondere bezüglich des Auslebens der jeweiligen Sexualität eine liberale Haltung einnahm (die freilich immer noch primär eugenisch motiviert war und Hirschfelds Meinung glich, Homosexuelle sollten ihre "Krankheit" besser unter ihresgleichen ausleben statt sie auch noch biologisch zu vererben bzw. "wertvolles" weibliches Erbgut nicht durch Heirat und folgende Kinderlosigkeit mangels Erfüllung der "ehelichen Pflichten" an der Vermehrung zu hindern), steigerte sich Hillers und Kronfelds Nelson-Verehrung nach dessen Tod Ende 1927 noch. Es war nicht irgendwer aus der Sekte, nicht der Privatsekretär, nicht die "Walkemühle"-Leiterin, sondern Kronfeld, der in der von Nelson selbst gegründeten, aus der Erbschaft eines leiblichen Fries-Nachfahren (ein Förster aus dem Thüringer Wald) finanzierten Zeitschrift "Abhandlungen der Fries'schen Schule. Neue Folge" den Nachruf schrieb (30). Hier schwärmt Kronfeld von "unserem dahingegangenen Führer", der als Person ein "Erlebnis" gewesen sei, das "für jeden unter seinen Freunden und Mitarbeitern - und für viele unter seinen Schülern - ... entscheidend geworden" sei. "Als Lehrer und als Freund" habe er "eine persönliche Wirkung von bezwingender und erschütternder Kraft" ausgeübt, und das schon, "als er noch ein Jüngling war", so Kronfeld offenbar über Nelsons frühe Wirkung auf ihn selbst, "niemand konnte sich ihm entziehen". Zum "Führer" bestimmt zu sein, so läßt er durchblicken, sei wie ein Naturgesetz; "gleich Platon" sei Nelson gewesen und habe das "schon von Sokrates" angestrebte Erziehungsziel für seine Zöglinge verfolgt. Schlichtweg alles zum Glück der Menschheit habe er in seinen 45 Lebensjahren geleistet, nämlich nichts weniger als "die Normen sittlichen Handelns, rechtlicher Gesetzgebung, sozialer, staatlicher und überstaatlicher (!) Ordnung ... zu begründen", und dies "mit einem Einsatz von Kräften, von Persönlichkeitswerten und von Verzichten, dessen Größe nur diejenigen ermessen können, die ihm nahegestanden haben". Besonders bekennt sich Kronfeld hier zu den "pädagogischen und politischen Organisationen", die Nelson geschaffen habe, um seine Ziele durchzusetzen, und nennt ausdrücklich "das Landerziehungsheim Walkemühle"; "Nelsons Tod reißt auch hier eine unausfüllbare Lücke", wenngleich man "in seinem Sinne weiterarbeiten" werde. "Leonard Nelson führte ein Leben heldenhafter Selbstzucht. ... Schonungsloser noch war er, wenn es notwendig war, gegen Menschen, die in seinem Freundeskreise und Schülerkreise standen, aber versagten, weil sie der Härte des Pflichtgebotes nicht gewachsen waren. ... Er lebte das Leben, das die Pflicht ihm vorschrieb" usw.

Schon wenige Tage nach Nelsons Tod war es Kronfeld, der am 9. November 1927 in der "Deutschen Allgemeinen Zeitung", einem verbreiteten Bürgerlichen-Blatt, einen Nachruf veröffentlichte, der - wen, der mehr als drei Kronfeld-Schriften aus vier Jahrzehnten gelesen hat, wundert es! - fast wortgleich mit dem Nachruf in den "Abhandlungen" war. Er ergänzte hier noch, daß Nelson "das Erbgut seines philosophischen Meisters Kant zu verwalten und zu vermehren" trachtete als "das höchste geistige Erbe der Nation", und daß er den Marxismus als eine bloße "Zeitströmung ... in einer erbarmungslosen und endgültigen Weise erledigt" habe.

Noch einmal, zum 50. Geburtstag Nelsons am 12. 7. 1932, veröffentlichte Kronfeld einen großen Artikel über sein "Vorbild": in der Tageszeitung "Der Funke", die Eichler und Specht für den ISK von Januar 1932 bis 17. Februar 1933 (mit Schwerpunkt in Berlin und Hamburg, Tagesauflage maximal 4000 Exemplare) als Kampfblatt gegen die "falschen" Führer der Nazis und für die "richtigen" der Nelsonianer herausgaben. Noch einmal nutzte Kronfeld hier das Gedenken an Nelson für einen Hinweis auf die "Walkemühle" als der Schule "geeigneter Charaktere" und für einen massiven Angriff auf den "Klassenkampf" und den "historischen Materialismus" der Marxisten, die offenbar Mitte 1932 für ihn ein größerer Feind waren als die Nazis, die er nicht einmal erwähnte, obwohl "Der Funke" ansonsten von antinazistischer Agitation überquoll. "Die Arbeiterklasse", schloß er, "hat keinen Führer in Deutschland, der ihn (Nelson) an wissenschaftlicher Klarheit, willensmäßiger Tapferkeit und menschlicher Größe übertraf". Das unsägliche Zehn-Pfennigs-Blatt d es ISK, in dem Kronfeld hier schrieb, war ansonsten voll mit Werbung für Oppenheimers Siedlungsbewegung ("Siedlung bedeutet mir, möglichst viele Menschen durch ihr wohlverstandenes Interesse mit der Scholle zu verwurzeln"), Tierschutz-Propaganda ("Fort mit Vivisektion!", "Jagd-Grausamkeiten in der Kaiserzeit"), Angriffen auf das "GPU-System" des Stalinismus und Agitation gegen "das Fiasko der Demokratie" und den "Aberglauben an die Macht der Mehrheit".

Kronfeld 1919 im Institut für Sexualforschung.

Auch in seinen wissenschaftlichen Schriften, vor allem im "Wesen der psychiatrischen Erkenntnis" von 1920 und in dessen Neuaufguß "Perspektiven der Seelenheilkunde" von 1930 bezog sich Kronfeld enthusiastisch auf Nelsons Philosophie, die er in dem 1920er Buch als die Grundlage seiner eigenen wissenschaftlichen Arbeit breit darlegte. Er verdanke seine erkenntnistheoretische Ausrichtung "meinem Freunde Leonard Nelson, als dessen Schüler ich mich fühle und freudig bekenne"; schon hier schwafelte er auch von "unserem Führer Nelson" und seiner "hingebenden und opfervollen Führerschaft" (31).

Die Volksseele als Quelle aller Erkenntnis

Leonard Nelsons Philosophie, der Arthur Kronfeld, Kurt Hiller und Max Hodann aus Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaft (IfSw) anhingen, wird allgemein zur Strömung des Neukantianismus gezählt, obwohl sie in wesentlichen Positionen davon abweicht. (32) Der Neukantianismus entwickelte sich am Ende des 19. Jahrhunderts als politische Philosophie des "ethischen Handelns" in der Abwehr des massiv erstarkten Historischen Materialismus und Marxismus, als Wissenschaftstheorie im (fehlgeschlagenen) Versuch, die Krisen der Naturwissenschaften zu lösen. Der Schwerpunkt lag immer auf der (politischen) "Ethik", wissenschaftstheoretische Überlegungen im Bereich der Naturwissenschaften dienten eigentlich nur dazu, dem platt politisch Gemeinten die Aura hehrer Wissenschaft zu verleihen, und dies insbesondere bei Nelson. Der (z.T. nur vermeintliche) Rückgriff auf Kants Erkenntnistheorie und Ethik blieb, vor allem in der "Marburger Schule" Paul Gerhard Natorps, Hermann Cohens und Ernst Cassirers, wenigstens ihrem Anspruch nach der Rationalität Kants verpflichtet und verhaftet (am deutlichsten bei Cassirer), wenngleich z.B. für den in der Sozialdemokratie einflußreichen Cohen bereits "Volk" und "Deutschtum" zentrale Kategorien seiner Ethik waren, die sich um die Behauptung des "eigene(n) Volkstum(s)" im "Kampf der Völker" und um "die sittliche Idee des Vaterlands als das eigentliche Kampfobjekt" drehte (33). Bei Nelson jedoch, der die Marburger in den "Abhandlungen der Fries'schen Schule. Neue Folge" massiv angriff (was Kronfeld dann nachplapperte), wurde die Anrufung Kants zum bloßen Lippenbekenntnis; inhaltlich argumentierte er in der Folge seines Vorbildes Jacob Friedrich Fries anti-kantisch mystizistisch (aber keineswegs mit anti-völkischen Folgen, s.u.); und schließlich wurde alles (durch Kronfeld, wenn auch nur am Rande seiner Arbeiten) auch noch mit dem protestantisch-religiösen Irrationalismus des Asketen Sören Kierkegaard und seiner völkischen Fortentwicklung bis zu Martin Heidegger sowie (ausführlich durch Kronfeld) mit dem methodologischen Irrationalismus Edmund Husserls verbunden (34). (Allerdings hatte schon der Student Nelson seinen Professor Husserl des Diebstahls an Fries' Ideen beschuldigt und war später auch schon positiv auf Kierkegaard eingegangen; auch hierin folgte Kronfeld also nur seinem "Führer" Nelson.) Nach dem Fall des Sozialistengesetzes 1890 wurde der Neukantianismus "Marburger" Art zum Glaubensbekenntnis der reformistischen, antimarxistischen sogenannten Revisionisten in der Sozialdemokratie; nach dem Scheitern seiner kausalistischen Erkenntnistheorie in den Naturwissenschaften überlebte nur noch seine politische Philosophie, im - ab 1918 durch Ebert/Noske erfolgreichen - Kampf gegen die Marxisten in der SPD.

Die von den "Marburgern" abweichende Weltanschauung Nelsons, die erst nach 1945 in der SPD eine Rolle spielt, ist als philosophisches System letztlich unklar und unvollständig geblieben, die Grundbegriffe wurden von ihm nicht vollständig durchgebildet und geklärt; Kronfeld bog seine Interpretation für die Psychiatrie zurecht (und nachfolgend für die Sexualwissenschaft, die für Kronfeld eben hauptsächlich ein Teil der Psychiatrie war). Die Grundannahmen sind primitiv und haben mit Kant allenfalls noch einige Wörter gemein. Es ist dies zudem alles bei Fries abgekupfert. Nelson ging davon aus, daß es nicht nur eine wissenschaftliche, sondern auch eine (und nur eine einzige) politische bzw. ethische "Wahrheit" als Lösung des jeweiligen Problems gebe (35). Diese "letzte Wahrheit" sei aber nicht in der Außenwelt zu finden (und die politische/ethische erst recht nicht im konkreten Zusammenleben und den konkreten Interessen der Menschen), sondern nur in der abstrakten Psyche, und zwar - spezieller - in der als apriorisch (und damit ahistorisch-überzeitlich und gesellschaftlich unabhängig) und theoretisch als bei allen Menschen in gleicher Weise vorhanden angenommenen "Vernunft", die jedoch ihren rationalen (kantischen) Charakter mit Fries verloren hat und faktisch zum mystischen Phänomen wird. In dieser Art "Vernunft" zeige sich die jeweilige "Wahrheit" durch "unmittelbare Erkenntnis" als "innere Erfahrung", eine neue, dritte Form des Erkennens neben der Anschauung und der Reflexion bei Kant, die die Kantsche Erkenntnistheorie ergänzen und vervollständigen, aber auch "psychologisch" korrigieren soll, in Wahrheit jedoch weiter mystifiziert. Diese jeweilige "unmittelbare Erkenntnis" sei aber erst noch durch eine besondere Art der "Reflexion" zu erforschen und ins wache Bewußtsein zu heben, um "Irrtümer" zu vermeiden. Diese Erforschung führe immer zur Wahrheit, solange sie "richtig" durchgeführt werde, denn als Wahrheits- und Gültigkeitskriterium gelte einzig "das Selbstvertrauen der Vernunft" in ihre Funktionsweise. Nur wer sich selbst "vertraut", handelt "richtig" und findet diese "Wahrheiten". Was auf den ersten Blick egalitär und rational erscheint (36), war elitär und mystisch gemeint. Nelsons "Vernunft" ist ein "ursprünglich dunkler" Wahrheiten-Pool im Kopf des "Führers"; seine "unmittelbare Erkenntnis" ist ebenfalls "ursprünglich dunkel", also unbewußt, allenfalls ein vorsprachliches dumpfes "Gefühl"; seine "Reflexion" ist eine Art Meditation, die man erst mühsam erlernen muß, um sich das "Gefühl" der "Wahrheit" bewußt und damit "rational" zu machen. Wie die konkrete Handlung der "Reflexion" aussieht, was sie eigentlich ausmacht, erklärt er nicht; in der wohlmeinenden Sekundärliteratur wird sie allgemein als Introspektion oder Selbstbeobachtung verstanden und bezeichnet, sie hat aber offensichtlich überwiegend einen meditativen Charakter und hat selbst in der wohlmeinenden Interpretation mit dem rationalen Verständnis der kantischen Reflexion nur noch den Namen gemein.

Alles wird undurchschaubar, wenn die Psychologie ins Spiel kommt: denn die besondere Art der besonderen "Reflexion", die die "ursprünglich dunkle" "Vernunft" erhellen soll und die Nelson nur durch Fettdruck (!) von der einfach gedruckten - und einfach gemeinten - Kantschen Reflexion unterscheidet (37), während er sie ein anderes Mal "sokratische Methode" nennt, die in seinem "sokratischen Gespräch" (siehe "Walkemühle") erlernt werde und für die man die Askese, Willensstärke, Verzweiflung usw. brauche --- , diese fette "Reflexion" nun sei selbst erst noch "psychologisch" in ihrer Besonderheit zu bestimmen, und zwar in Abhängigkeit vom Ausgang der ebenfalls noch zu leistenden "psychologischen" Untersuchung dieser "Vernunft" selbst, und zwar jeweils bezogen auf das konkrete zu lösende Problem. Das Gedankengebäude ist voller Zirkelschlüsse, das merkt man auch in der Kronfeld-Version deutlich. Klar wird jedoch: nur die Durchblicker, die Erleuchteten, die "Priester" oder "Weisen", die "Führer" eben, sollen in der Lage sein, die tatsächlichen "Wahrheiten" zu "erkennen", die sie dann ihrem Gefolge verkünden. Interindividuell nachprüfbar ist die Nelson-Kronfeldsche Art der "Wissenschaft" (und Politik) nur dem Anspruch nach, der leider erst dann eingelöst werden kann, wenn die gesamte Menschheit der "Erziehung" unterzogen wurde, die Nelson zum Erlernen der fetten "Reflexion" entworfen hat (Theorie); oder aber die Nachprüfbarkeit wird der Einfachheit halber und zwecks Vermeidung der Kosten für die Erziehung der gesamten Menschheit gleich auf den Kreis der "Weisen" beschränkt, der ja ohnehin alleinherrschen soll (tatsächliche Praxis der Nelsonianer). Die "Erziehung", "Schulung" der zukünftigen "Weisen" zur "richtigen" "Reflexion" tritt bei Nelson in etwa an die Stelle der "Erfahrung" Kants, über die Kant bei jedem Menschen die Kategorien der Erkenntnisfähigkeit (Begriffe des Denkens) entwickelt sehen will. Nelson gilt deshalb auch als Erziehungsphilosoph.

Und das ist schon seine ganze "Philosophie", deren Zauberworte "ursprünglich dunkel", "sokratische Methode" und "Selbstvertrauen der Vernunft" lauten, und das ist eben nichts anderes als das altbekannte Paradigma einer Guru-Sekte. Meister Eckhart hatte im 13. Jahrhundert nichts anderes gemeint, als er das Licht im eigenen Herzen, das im meditativen Gebet als Gott zu erkennen sei, verkündete, und seine Nachfolger, ob in der völkischen Sektenszene des 19. und 20. Jahrhunderts oder im New Age, propagier(t)en ebenfalls nichts anderes als eine Selbstvergöttlichung des Erleuchteten, die bei Nelson philosophisch-säkular daherkommt, in Verbindung mit seiner Führerideologie aber praktisch auf dasselbe hinausläuft. Erkenntnistheoretisch ist Nelson Mystiker mit politisch faschistoiden Folgen und steht somit ebenfalls nirgends anders als im Schnittpunkt von Romantik, Faschismus und "Neuem Denken" (38). Alle seine politischen, juristischen und ethischen Forderungen, die er als "letzte Wahrheiten" und mit seinen politischen Organisationen "Internationaler Jugend-Bund" (IJB) und "Internationaler Sozialistischer Kampf-Bund" (ISK) durchsetzen wollte, haben scheinbar ausnahmslos diese "Wahrheits"-Quelle, nämlich Nelsons ganz private, schlaflose Nächte lange fette "Reflexion" in seiner "ursprünglich dunklen" privaten "Vernunft", der er "selbstvertraut"; er nimmt aber in Anspruch, theoretisch könne sie jede(r) "erkennen", der nur lange genug in seinem Schulungszentrum "Walkemühle" bis zur "Einstimmigkeit" durchgewalkt worden ist (s.o.), "Einstimmigkeit" mit Nelson, weil die apriorische "Vernunft" eben "keine Toleranz" gegen andere, durch Nelsons Setzung der Aprioris notwendig falsche, "Wahrheiten" erlaube. Diese primitive Philosophie hatte weitreichende Folgen für Kronfelds Psychiatrie und Sexualwissenschaft, wie unten dargestellt werden wird, und für die Arbeit des IfSw Hirschfelds allgemein.

Weil das Gurutum in den Hochzeiten der gesellschaftlichen Kämpfe zu Beginn des 20. Jahrhunderts vielen verdächtig war, mußte, um innerhalb der Linken gegen den Marxismus wirken zu können, die egalitäre Komponente hinein, "daß die Vernunft anderer Menschen ebenso organisiert sei wie die meinige", die Nelson allerdings sofort wieder einschränkte: "der einzige (psychologische) Begriff des Menschen, den ich bilden kann: der Begriff aller der geistigen Wesen, deren Vernunft so organisiert ist wie die meinige" (39). Alle Fremden aus dem Menschsein auszuschließen, war in der Hochzeit des Rassismus nicht ungewöhnlich; hier wurden nun auch alle Andersdenkenden ausgeschlossen. Der scheinbare Egalitarismus des "Selbstvertrauens der Vernunft" wird so weit getrieben, daß die gewöhnliche Erfahrung im alltäglichen Leben und ihre Verarbeitung als "öffentliche Meinung" zum Wahrheitskriterium werden, was Kronfelds Studienfreund Meyerhof 1928 in seinem Nachruf auf Nelson noch einmal zustimmend deutlich machte (40); die Philosophie wird in ihren Inhalten und Ergebnissen populistisch. Daß also letztlich der "common sense" zum Richter über die Wissenschaft werde, hatte Cassirer - auf kantischer Grundlage - schon 1906 zu einer durchweg höhnischen Erledigung des ganzen Nelsonschen Wahngebäudes veranlaßt. Dies war den SPD-nahen Neukantianern derart wichtig gewesen, daß sie Cassirer hierfür das gesamte erste Heft der von Cohen und Natorp neu herausgegebenen Zeitschrift "Philosophische Arbeiten" gegeben hatten. Cassirer hatte darin Nelsons Fries-Neuaufguß als "Philosophie des 'gesunden Menschenverstandes'" gebrandmarkt, die ihren "letzten Halt- und Stützpunkt" in der sog. Schottischen Schule der Common-sense-Philosophie (Thomas Reid) habe, gegen die Kant doch gerade angetreten sei und die Nelson nun erneut "ergriffen und wiederhergestellt" habe (41). Das freilich war falsch, denn Reid hatte keine Vorstellung von völkischer Homogenität, dem zentralen Konzept der Philosophie Fries' (s.u.), die Cassirer offenbar nur flüchtig kannte. Kronfeld entgegnete Cassirer, man müsse den "common sense" aber doch selbst noch erleben und fühlen in der "inneren Erfahrung" (42), und zwar auf die richtige Weise, und war damit wieder näher beim Guru-Verständnis der "Wahrheit", als es Cassirers Interpretation des "Selbstvertrauens" war, der dem populistischen Schein-Egalitarismus Nelsons offenbar z.T. auf den Leim gegangen war. Zwar hatte Cassirer schon 1906 sogleich scharfsinnig erkannt, daß die "unmittelbare Erkenntnis der Vernunft" - "jenes verborgene X" (!), wie Nelson geschrieben hatte - "ein 'a priori' behauptet, das nur auf eine 'innere Stimme', auf ein bloßes psychisches Zwangsgefühl hin geglaubt und anerkannt werden müßte. Die 'exakte' psychologische Methode der Zergliederung (Fries-Nelsons "Erkenntnis"-Methode, P.K.) sieht sich hier letzten Endes auf eine Instanz hingewiesen, auf die jegliche Art der Mystik sich von je her berufen und auf die sie ihre Ansprüche gestützt hat" (43). Doch Cassirers Meinung stimmte eben nicht, nach der die "Zufälligkeit der 'Selbstbeobachtung'" - also wieder das Fries-Nelsonsche meditative Verfahren zur Wahrheitsfindung - bewirke, daß man "ohne Steuer auf dem weiten Meere der 'inneren Erfahrung' dahin(treibt)", wie sich schon bald (wieder) zeigte (44).

Denn als die Nazis regierten, wurde aus dem "Selbstvertrauen der Vernunft" flugs die deutsche "Volksseele", die schon hundert Jahre vorher der Kompaß und das Steuerrad für Fries gewesen war, s.u. (45). Die Herausgeber der "Abhandlungen der Fries'schen Schule. Neue Folge" (Kronfelds Freund Meyerhof, der Boden-und-Scholle-Ökonom Oppenheimer, die "Walkemühle"-Leiterin Specht) hatten nun kein Problem, sich zur neuen Zeit zu bekennen: Man wolle nunmehr als "neuen Abschnitt unserer Tätigkeit" auch "die Grundlagen des staatlichen und nationalen Denkens philosophisch ... erhellen"; dazu bejahten sie im Vorwort erst einmal ausdrücklich "die schöpferisch gestaltenden Kräfte der Volksseele im Aufbau des nationalen Lebens" (46), der am 30. Januar 1933 begonnen hatte. Sodann druckten sie eine Nelson-Rede von 1922, deren Inhalt zwar immer schon das Denken der Nelsonianer mitbestimmt hatte, deren Wortlaut aber lange zurückgehalten worden war, über "Sittliche und religiöse Weltsicht" ab, um jeden Zweifel zu zerstreuen. Sein "Selbstvertrauen der Vernunft" biegt Nelson hier - erwartungsgemäß, und es sind sogar die selben Wörter der rechtsextremen Sekten - voluntaristisch und biologistisch zurecht und vertritt (implizit) die faschistische Kant-Interpretation des NSDAP-Chefideologen Houston Stewart Chamberlain, der den kategorischen Imperativ als das innerlich zu spürende Willensgebot des 'Blutes', der 'arischen Rasse', ausgab (47). Nicht das Leben sei das höchste Gut des Menschen, so Nelson, sondern die "Pflicht" zur "Selbstachtung". 'Selbst' und 'Volk' sind aber seit dem Machtantritt der Nazis - quasi amtlich - identisch, und das wußten die Herausgeber der "Abhandlungen" sehr wohl, als sie diesen Text 1933 druckten! "Wo der Mensch sich zu dem entschließt, was er soll, da ist von keiner knechtischen Unterwerfung die Rede", die "Vernunft" des Menschen alleine, sei sie auch noch so mystisch, reicht Nelson nun aber nicht mehr zur Begründung seiner Ethik, "die Gewißheit der unendlichen Kraft seines vernünftigen Willens" tritt an ihre Stelle. 'Verknechtung' des 'freien Ariers' ist der stehende Vorwurf der pantheistischen völkischen Sekten (und der Konservativen Revolutionäre und bis heute der "befreiungsnationalistischen" "Neuen Rechten") gegen die 'römisch-jüdische' Kirche und der angeblich aus ihrem Postulat der Gleichheit der Menschen vor Gott folgenden Aufklärung und Menschenrechtsdeklaration; der 'Triumph des Willens' folgt dem Sieg über sie. Das Vokabular der Nazis übernimmt Nelson hier nicht, wohl aber zeigt sich die Verwandtschaft der Konzepte: Inhalt und Gegenstand der "Pflicht" - also die bisherigen "Wahrheiten" seiner Ethik, die soeben noch "reflektiv" der "dunklen" "unmittelbaren Erkenntnis" der "Vernunft" entlockt werden sollten -, das, "was wir sollen", so Nelson jetzt, sage ganz einfach "die Naivität des gesunden Instinkts" und "das sichere Urteil des gemeinen Mannes" dem Philosophen. Damit nicht jeder glaubt, mitreden zu können, sind mit "gesund" und "sicher" zwei Potentiometer eingebaut, mit denen der Führer/Priester/Weise die Lautstärke des Mitredens Jedermanns regelt. Der Philosoph wird zudem wieder zum Theologen, denn - nunmehr ununterscheidbar von den naturreligiösen rechten Sekten - Nelson sieht "den Gegenstand unseres Glaubens" im "Schönen und Erhabenen der Natur" und in den "Handlungen der Menschen", die über den "Instinkt" an die "Natur" gebunden sind. Den eigenen Willen und die eigenen Taten naturreligiös zu vergöttlichen (Natur gleich Gott, der Mensch ist Teil der Natur, sein Handeln ist somit Gottes Handeln) und so dem gesellschaftlichen Diskussions- und Entscheidungsprozeß der Mehrheitsabstimmung zu entziehen (wer wollte über Gott richten!), das genau ist das Ziel der völkischen Sekten seit Meister Eckhart (bzw. seit ihrer romantischen, naturreligiös-pantheistischen Eckhart-Interpretation). Und am Ende fordert Nelson zur Abrundung tatsächlich noch den Gottesstaat, der staatliches Handeln als göttliches ausgibt, "einen Staat, neben dem es dann keiner Kirche bedarf, weil er selber der Hort des religiösen Lebens in seiner Fülle ist" (48); dies war und ist genau das Endziel auch der Nazi-Sekten (49). Das alles will Nelson aus der religiösen Schrift Fries' "Wissen, Glaube und Ahndung" haben (das seltsame Wort "Ahndung" steht bei Fries für eine religiöse Ahnung von der Wahrheit, die höchste Form der Gewißheit von Wahrheit). Nelsons Text "Sittliche und religiöse Weltsicht" von 1922 stellt den Gipfel seiner "Philosophie" dar und verrät seine Nähe zur faschistischen Philosophie vollends.

Wird der "common sense" oder "gesunde Menschenverstand" im allgemeinen als ein gesellschaftliches Phänomen angesehen, also von den Alltagserfahrungen im gesellschaftlichen Prozeß (inklusive seiner formaldemokratischen Willensbildung) abhängig und aus dem sozialen Miteinander der Menschen entstanden, so ist der "Instinkt" (und nicht nur im deutschen Diskurs) ein klar biologisches Phänomen: er ist genetisch verankert und wird vererbt. Im Deutschland der 'nationalen Revolution' des Jahres 1933 wird Nelsons "gesunder Instinkt des gemeinen Mannes" bereits allgemein als politischer Kampfbegriff zwecks Ausgrenzung und Verfolgung der 'Nicht-Arier' (bzw. des 'jüdischen Bolschewismus' usw.) verstanden und benutzt. Dies also soll nun das Wahrheitskriterium der Nelsonianer für all ihre "wissenschaftlichen" ethischen Sätze sein: der Kern ihrer mystischen "Vernunft" - das geben sie hier offen zu - ist Biologie, ihren vermeintlichen Forderungen zu gehorchen ist die "sittliche Pflicht" der Nelson-Ethik. Dies steht diametral gegen die Ethik Kants, dessen "Sittlichkeit" ein rationales und nicht ein biologisches Phänomen war. Der amerikanische Philosoph Joshua Halberstam versuchte 1988 in seinem Text "From Kant to Auschwitz" (50) aufzuzeigen, daß gerade das Rationale der Ethik Kants, das massenhafte vernunftsmäßige Befolgen der höheren Pflicht, "coldness" und "murderous calculations", die Naziverbrechen ermöglichte (obwohl Chamberlain Kant längst schon biologisiert hatte!). Im Vergleich zu der von Halberstam kritisch analysierten kantischen "ethics of duty" erscheint Nelsons Ethik der Pflichterfüllung weitaus näher am Nationalsozialismus, weil er die Sätze (Aussagen) seiner Ethik nun auch biologisch bindet, nachdem er ihr Erkennen bereits mystifiziert hat. Zwei Konsequenzen der Pflicht-Ethik hat Kronfeld in den Nachrufen auf Nelson hervorgehoben: Pflichterfüllung beim rücksichtslosen Aussondern vermeintlich unzureichender Gefolgsleute und Pflichterfüllung sogar bis zur Selbstvernichtung Nelsons. Der Rekurs auf den "Instinkt" bewirkt (auch ohne Vergöttlichung der Natur) eine viel breitere "Banalität des Bösen", als es die von Halberstam kritisierte Absicht Kants, "to ground ethics on reason", je könnte: die Menschenverachtung, die Menschenversuche, Euthanasie und Eugenik bis zur Vernichtung erscheinen den Hirschfeldianern, besonders Kronfeld, als von der Natur selbst in ihnen verursachte ethische Forderungen, ihre Erfüllung als Pflicht gegenüber der Natur/Evolution.

Der Juden-Hasser Fries machte Biopolitik

Nelson hat der Philosophie und Politik, die bis heute vor allem mit seinem Namen verbunden wird, insgesamt keinen einzigen originellen Gedanken hinzugefügt, sondern alles bis zum letzten Konzept von Jacob Friedrich Fries (1773-1843) übernommen, und er rühmte sich auch selbst nur, Fries' Werk "wiederentdeckt" und mit Hilfe des Geld-Vermögens aus der Fries-Erbschaft popularisiert zu haben. Es war nicht Nelson sondern Fries, der das, was Kant versucht hatte aufzuklären und mit dem er nicht zu Ende gekommen war ("unser eigenes Erkenntnisvermögen aus sich selbst", so Kant in der Einleitung zur 2. Auflage der "Kritik der reinen Vernunft", das aufzuklären er auch nicht zu Ende kommen konnte im damaligen gesellschaftlichen Entwicklungsstadium des Denkens), re-mystifizierte und auf den Hund des Deutschtums zurückbrachte. Nelson/Fries verbanden nicht den transzendentalen Idealismus Kants mit dem agnostizistischen Psychologismus zu etwas Neuem und Nicht-Agnostizistischem, das tatsächlich zu wissenschaftlichen Sätzen und "Gesetzen" als Kausalzusammenhängen führe, wie Kronfeld behauptete (51), sondern gründeten eine Glaubensgemeinschaft, etwas, das Kant vehement bekämpft hatte. Daß bei den Nelsonianern - und zwar bis in Hirschfelds IfSw hinein - ohne Fries nichts lief, zeigen nicht nur die Nelson-Texte und der Name der "Fries-Gesellschaft" und ihrer "Abhandlungen", sondern auch z. B. Minna Spechts Schrift "J. F. Fries. Der Begründer unserer politischen Weltansicht" (1927), für die das politische Kampfblatt der Nelson-Bewegung, "Der Funke", noch 1932 immer wieder warb und das bis heute für die Nelsonianer in der SPD (s.u.) eine Hauptquelle ihrer Ideologie ist. Kronfeld bezog sich vielfach auf Fries direkt und schloß sein Grundlagenbuch "Das Wesen der psychiatrischen Erkenntnis" mit einem Kapitel über "Fries und die psychiatrische Forschung" ab, das mit den Sätzen schließt, Fries sei sein "philosophischer Führer" und alle Ansichten in seinem Buch (die er in seinen späteren Publikationen nur noch variierte und durch aktuelle Entwicklungen ergänzte) fänden in dem "Lehrgebäude von Jakob Friedrich Fries ihr Fundament, ihre Ausgangspunkte, ihre Maßstäbe und ihre Begründungen"; Fries sei für die Psychiatrie "von unvergänglicher Bedeutung" (52). Hiller, der lieber schwätzte als studierte und von Fries wohl nicht so viel gelesen hatte, plapperte dennoch immer mal wieder über dessen angebliche Wichtigkeit, Hodann hatte 1917 Fries-Texte wieder neu mit herausgegeben (s.o.).

Wer nun war Fries? Wenn er auch der Durchschnittsabiturientin und ihrem Spickzettelschreiber unbekannt sein mag, so urteilten doch einige bekannte Denker recht eindeutig: Für Hegel war Fries die Ausgeburt der Dummheit (53), "ein Heerführer dieser Seichtigkeit, die sich Philisophiren nennt" (54); Herbert Marcuse hielt ihn für einen Vordenker der "Ideologie der faschistischen Volksgemeinschaft" (55); Habermas zählt ihn zu den "gegenaufklärerischen und deutschtümelnden Intellektuellen" (56); Micha Brumlik nennt ihn einen "judenfeindlichen Hetzer" (57); Peter Hacks spricht ihn mit "schrecklicher Professor" an (58); Daniel Goldhagen sieht Fries als eine Quelle des "eliminatorischen Antisemitismus" in Deutschland (59). In der Literatur nach 1945 kommt der in Jena und Heidelberg als Professor der Philosophie und Physik wirkende Fries, der sich selbst als der Nachfolger Kants sah, fast nur als Antisemit und deutscher Nationalist vor, der die Judenbefreiung in Folge der Französischen Revolution bekämpfte und die judenfeindlichen Pogrome der Jahre 1819 ff ("Hepp Hepp-Unruhen") ausgelöst und angeheizt hat. Bis zum Novemberpogrom der Nazis 1938 waren dies die größten und folgenschwersten Angriffe auf Juden in Deutschland, bei denen bereits Menschen tätlich angegriffen, Geschäfte zerstört und geplündert und Synagogen angezündet worden waren; Rahel Varnhagen, aufmerksame Beobachterin des antisemitische Treibens von Fries und anderen Professoren, das sowohl in Intellektuellen-Zeitschriften als auch in Wirtshausstuben stattfand, machte Fries sogleich für die sich schnell in ganz Deutschland ausbreitenden Pogrome mitverantwortlich. Des weiteren gilt er (gemeinsam mit dem "Turnvater" Friedrich Ludwig Jahn und Johann Gottlieb Fichte) als Mitinitiator der Burschenschaftenbewegung und dann ihres nationalistischen und ebenfalls judenfeindlichen Wartburgfestes von 1817. Wissenschaftliche Autorinnen und Autoren wie Eleonore Sterling (1956/1969), Reinhard Rürup (1975), Nicoline Hortzitz (1988), Rainer Erb und Werner Bergmann (1989), Walter Grab (1991) lassen nicht den geringsten Zweifel an Fries politischer Ausrichtung und Bedeutung. Zu Recht beschuldigt Ingrid Belke (1988) Fries der "Vorwegnahme nationalsozialistischer Propaganda" gegen die Juden (wobei Fries ja sogar die Maßnahmen der tatsächlichen Verfolgungspolitik der Nazis vorschlug, s.u. (60). Erst nachdem Gerald Hubmann 1997 seine Dissertation über Fries und die Gesinnungsethik veröffentlicht hatte (61), die zwar ein großes Kapitel zum Antisemitismus enthält, ihn aber in seiner Bedeutung für Fries' Philosophie zu marginalisieren versucht und diese Philosophie insgesamt in wesentlichen Details falsch - nein, bewußt verfälschend! - darstellt, und nachdem es 1997 an der Universität Jena ein großes Symposion über den "Philosophen, Naturwissenschaftler und Mathematiker" Fries gegeben hatte (s.u.), findet im deutschsprachigen Raum auch außerhalb der SPD-Nelsonianer eine etwas breitere Fries-Renaissance statt.

Jacob Friedrich Fries in einer zeitgenössischen Radierung.
Vom Titelblatt eines von Nelson 1910 im Umfeld des "Nationalvereins" (Friedrich Naumann) herausgebenen Heftes mit politischen Fries-Schriften, darunter der Fries-Rede vom Wartburgfest der Burschenschaften 1817. Nelson hatte antisemitische Stellen einfach herausgestrichen.

Um verstehen zu können, wie sehr sich Fries' Philosophie von der Kants unterscheidet und weshalb sie bereits wesentliche Positionen faschistischer Philosophie und Bevölkerungspolitik (und damit auch "Sexualpolitik", auch wenn es diesen Begriff noch nicht gab) vorwegnahm, muß man sich vergegenwärtigen, wie grundsätzlich sich die Gesellschaft, in der sie entstand und für die sie geschrieben wurde, von der zu Zeiten Kants unterschied, der 1804 fast 80-jährig gestorben war. Unter dem Druck der revolutionären, dann der napoleonischen Armeen, die bis 1798 weite, dicht besiedelte und deutsch beanspruchte Gebiete bis zum Rhein der Französischen Republik einverleibt hatten und ab 1805 ganz Mitteleuropa durchzogen, besetzten und politisch bestimmten, waren nicht nur der Zuschnitt der staatlichen Territorien (Produktionsstandorte und Märkte), der Aufbau der staatlichen Verwaltungsinstitutionen zur Regelung des menschlichen Miteinander (und zur Sicherung der Herrschaft der aufsteigenden Bourgeoisie), das Recht mit der Betonung der privaten und der gesellschaftlichen Freiheiten des Individuums (Handels- und Gewerbefreiheit für jedermann; Bauernbefreiung mit der Folge des Zuzugs in die bestehenden und entstehenden Industrie- Ballungsgebiete; Gewerbe- und Niederlassungsfreiheit auch für die deutschen Juden, die wesentlich zur ökonomischen Entwicklung beitrugen; Abschaffung von Handelshemmnissen wie Zöllen), die Infrastruktur, Handels- und Transportwege revolutioniert worden, sondern auch (und damit) das alltägliche private Leben der Menschen in den Städten und auf dem Land. Sexualität, auch wenn sie sie anders nannten, war immer schon Teil des Alltags, ob der Bauern, Kaufleute, Arbeiter, der einheimische oder Besatzungssoldaten, ein Faktum, das im Geschichtsunterricht peinlich umgangen wird. Mit der neuen weltlichen Ideologie von Liberté-Egalité-Fraternité, die selbst in die Dörfer vordrang, wurde auch die alte repressive (Sexual-) Moral, die vor allem durch die Kirchen aufrechterhalten worden war, hinterfragt und zurückgedrängt. In einem Ausmaß, daß die Verbreitung der ("germanischen") Schweden im Dreißigjährigen Krieg - der letzten großen Besatzungsmacht in Mitteleuropa vor Napoleon - um ein Vielfaches überstieg, waren nun fremde Soldaten (vielfach mediterraner Herkunft), auf dem Durchmarsch oder als Dauerbesatzung bei deutschen Familien einquartiert, und in ihrem Gefolge fremde Verwaltungs- und Technik-Fachleute (Gebildete mit der bewunderten französischen Hochkultur) in Mitteleuropa unterwegs. Nach der Auflösung der geistlichen Fürstentümer und der Säkularisierung (Auflösung und Verkauf) von Klöstern und kirchlichen Ländereien zogen ökonomisch entwurzelte und verarmte, aber auch ethisch-moralisch- sittlich (nach lebenslangem Zölibat, dessen Qualen sich nun nicht mehr auszahlten, weder als ökonomische Lebensabsicherung noch spirituell unter der weltlichen bürgerlichen Ideologie) zutiefst erschütterte ehemalige Priester, Mönche und Nonnen in großer Zahl durchs Land und ließen sich irgendwo nieder. Der ungeordnete Rückzug der riesigen multinationalen Grande Armée nach dem gescheiterten Rußlandfeldzug Napoleons und ihre chaotische Auflösung, die 1812/13 quer durch Europa (und vor allem quer durch Preußen) fremde Individuen zurückließ, die sich entweder in ihre alte Heimat durchzuschlagen versuchten oder sich eine neue suchten, wo sie gerade waren, veränderte die Wohnbevölkerung in ihrer Zusammensetzung erheblich - eine Situation, die sich nach der "Völkerschlacht" bei Leipzig noch einmal wiederholte. Sehr viele junge deutsche Männer waren in der Grande Armée oder in den "Befreiungskriegen" gefallen und fehlten nun als potentielle Ehemänner und Väter - die Deutschen waren ausgedünnt, und manches deutsche "Mägdchen" (Jahn) hätte es da wohl nicht bei nur einmaligen "Fisimatenten" belassen (62).

Fries' gegenaufklärerische Philosophie folgte der napoleonischen Ära, die neben den politischen, administrativen und juristischen Umwälzungen durch die in Europa umherziehenden Armeen und durch die hohen Menschenverluste der Kriege auch eine biologische Umwälzung der Bevölkerung gebracht hatte. Und wer überlebt hatte, wollte nun richtig loslegen mit dem Privatleben. "Das Fremde" war am Ende der napoleonischen Herrschaft über Europa nicht nur als ökonomische Ausplünderung, sondern auch als Fortpflanzungspotential und Sexualverhalten der fremden Soldaten biologisch präsent, und der Kampf gegen die Fremdherrschaft, der konkret ein Kampf gegen die fremden Soldaten als Individuen war, wurde zur Geburtsstunde des Rassismus und der Eugenik als privater und politischer, familialer und gesellschaftlicher Handlungsanweisungen, vor allem bei den Deutschen, die seit dem Westfälischen Frieden beschaulich unter sich gelebt und geliebt hatten. In dieser Situation dachten viele biologisch und betrieben praktisch Biopolitik.

Nachdem Kant 1775 mit seiner Schrift "Von den verschiedenen Rassen der Menschen" lediglich einige begriffliche Grundlagen für die biologische und bürgerrechtliche Aussonderung bestimmter nichteuropäischer Menschengruppen gelegt und später die "Race" als "unausbleiblich erblich" sowie sowohl den individuellen als auch den Nationalcharakter als von den biologischen "Anlagen" und der "Abstammung" abhängig angesehen hatte (63), griffen nun Ernst Moritz Arndt, Jahn und Fries, die in der Literatur immer wieder als anti-napoleonisches Dreigestirn wahrgenommen werden, bewußt zur rassistischen und eugenischen Bevölkerungspolitik als Sexual- und Fortpflanzungspolitik, um den Einfluß der "Fremden" auf das deutsche Volk zurückzudrängen. Gerade weil sie - vor allem der in dieser Hinsicht "moderne" Fries - die napoleonischen Umwälzungen in Staat, Verwaltung, Recht und Wirtschaft formal für die Deutschen weitgehend beibehalten wollten - Fries wollte mit seinem "Regenten" ja sogar einen deutschen Alleinherrscher, so sehr hatte Napoleon ihn beeindruckt -, warfen sie sich auf die "Biopolitik", um das "Fremde" zu bekämpfen. In "Fragmente über Menschenbildung" von 1805 sang Arndt das Hohe Lied der deutschen Mutterschaft und Mutterpflicht, hetzte gegen "Schwächlinge an Leib und Seele" ebenso wie gegen Gleichberechtigung der Geschlechter und Frauenbildung ("Ein verständiges Weib ist aber zu allem gut, nur nicht zum Weibe für den, der ein Mann ist.") oder die "Ammenwirtschaft", weil hier oftmals unehelich gebärende und sogar ausländische Ammen die deutschen Kinder durch moralisch verdorbene Muttermilch vergifteten und - so seine rudimentäre Eugenik - die nicht stillenden Bürgermütter mangels Gebärpause die später Geborenen schädigten. Jede(r) habe seiner "natürlichen Bestimmung gemäß" zu leben, und sein Satz: "Der Mann begehrt des Weibes und das Weib begehrt des Mannes nicht aus bloßen physischen Gelüsten, sondern weil jeder etwas anderes will, als sich selbst", kann auch als Aussage zu jeder von der 'Natürlichkeit der Familie' abweichenden Sexualität gelesen werden. In anderen Schriften zeigte er sich als Gegner der "Vermischung" der Völker, besonders der Deutschen und Franzosen, prangerte die "Verbastardung" im Mittelmeerraum an und beschwor das "Einssein von Mensch und Natur". (64) Arndts "Menschenbildung" empfahl Jahn den Lesern seines eigenen Buches "Deutsches Volkstum" von 1810, das selbst als Hausbuch und Ratgeber mit Verhaltensanweisungen für den Alltag angefüllt war. Hier ging es um die rassische Reinheit in der "Völkerzucht" und im Kapitel "Häusliches Leben" handfest um Sexual- und Ehemoral, um die Naturaufgaben der Geschlechter und um Warnungen vor dem "Verlassen der Natur", dem "Verlust der Keuschheit durch unmenschliche Neugier und tierische Geschmacklosigkeit" sowie vor "Schamvergessenheit". Jahn empfahl: "Mäßigkeit bleibt die Würze der Sinnenfreuden" - "am Tage nie" und selbstverständlich nicht "bis zur ekelhaften Widerlichkeit in öffentlichen Gesellschaften". Er verlangte die Zwangskastration mit dem "Hämmlingsmesser" für den "Kunstwollüstler" und zusätzliche Steuern für den "Eheverächter", der "sich schändet als Selbstbeflecker", statt seinen "Scherf zur Bevölkerung" beizutragen. Er sprach sich mit eugenischen Argumenten gegen "die Basen- und Muhmen- und Nichtenheiraten mit Oheimen und Vettern und Neffen" aus, die "den Menschenstamm" verdürben und bereits "ganze Völker sogar verkrüppelt" hatten, nämlich die "Hottentotten" und die "Kaffern". Ebenfalls schädlich seien Ehescheidungen, "Ehelosigkeit (aber) strafe den Mann, der sich um ein Kind bewirbt". Jahn schloß seine Empfehlungen: "Ohne Ehe und häusliches Leben wäre der Mensch längst ein reißendes Tier; würde die Menschenzucht auf gut tierisch fortgesetzt, doch die Menschheit nicht mehr fortgepflanzt." (65) Peter Hacks zitiert und kommentiert Jahns Rassehygiene 1991 in "Ascher gegen Jahn. Ein Freiheitskrieg", beginnend mit einem Jahn-Zitat: "'Wer die Edelvölker der Erde in eine einzige Heerde zu bringen trachtet, ist in Gefahr, bald über den verächtlichsten Auskericht des Menschengeschlechts zu herrschen'; gemeint ist Bonaparte und sind die Bonapartisten, über die der herrschte. Die richtige Kunst der 'Völkerzucht' hingegen versteht jeder Landwirt. 'Mischlinge von Thieren haben keine echte Fortpflanzungskraft, und eben so wenig Blendlingsvölker ein eigenes volksthümliches Fortleben.' 'Die meisten Menschen sind Kinder der Wollust' - hierin liegt der Mißstand. Die Werkzeuge der Zeugung müssen in die Hand genommen werden. Jahn empfiehlt als Fachliteratur einen Aufsatz 'Über die Veredelung des Menschengeschlechts durch die Leitung ihrer Fortpflanzung', un er empfiehlt Arndts 'Fragmente über Menschenbildung'. Er will es wirklich naturkundlich. Schädelmessung macht sich nötig ... 'die vergleichende Zergliederung entdeckte eine bleibende, nachartende Schädelbildung einzelner Völker'." (66) Jahn war ein einer der engsten Mitstreiter Fries', der es nicht minder "naturkundlich" meinte.

Urburschen, Juden und deutsche Philosophie
als biopolitische Phänomene

Aus Arndt und Jahn rührte sich Fries 1814 seinen Aufruf "Bekehrt Euch!" an die aus den "Befreiungskriegen" heimkehrenden, durch soldatische Zügellosigkeiten und das moralisch verderbte Paris (wohin sie Napoleon verfolgt hatten) nun verwilderten Studenten, die er gemeinsam mit Jahn in den Urburschenschaften zusammenfassen wollte, um sie zu bessern. In der von Nelson 1910 neu herausgegebene Schrift ging es auch um eine Sexual- und Ehemoral, die nach der Schwächung der Kirchen neu - und zwar "biologisch" und "natürlich" - verankert werden mußte. Fries rief hier zu "Reinheit der Sitte! Ehrlichkeit und Keuschheit! ... für Staat und für Familienleben" auf und wetterte gegen "Sittenlosigkeit" und "eheliche Untreue". "Zwar haben töricht Philosophierende uns gegen die Familie selbst stimmen wollen", doch "wir werden der Familie immer das Wort reden" - diesen Satz muß man in der historischen Situation, in der nicht mehr nur Goethe und die Fürsten die mediterrane sexuelle Freizügigkeit auf ihren Reisen erlebten und hier nur davon erzählten, sondern diese nun mit den fremden Besatzungssoldaten selbst nach Deutschland gekommen war, ebenso bio-ethisch wie national-ethisch verstehen. Das "Selbstvertrauen", eben noch philosophisches Erkenntnismittel, ist hier bereits Volksseele: "Feindeshass" sei nun gefragt, "der Glaube an Völkerwillen, Vaterlandssinn und Religionseifer wird uns dabei führen"; "die Aufmerksamkeit der Deutschen auf das Fremde, das Ausländische ... war ... entehrende Selbstverachtung und affenmäßige Nachahmungssucht." Vor allem "unsere Jugend" zeige "eine gefährliche Schwäche unseres Volkes" und "Mangel an Selbstvertrauen bis zu blöder Selbstverachtung", wenn sie "in Kleidern, Ceremonien, Lebensweise, Kunst und Wissenschaft das Ausländische nachzumachen" versuche; nach dem Sieg über die Franzosen gelte es nun "abzuthun törichte Liebe zum Fremden". Innenpolitisch forderte Fries in dieser Schrift über das Ausmerzen alles Fremden hinaus die staatliche, rechtliche und sittlich-kulturelle Einheit Deutschlands "zum deutschen Reiche", die totale Militarisierung der Gesellschaft, die "Republik" unter einer erblichen Regentschaft ("Hütet Euch aber vor aller Wahlherrschaft!" - der Zusammenhang von Bonapartismus und Faschismus wird in der aktuellen Fries-Literatur nicht problematisiert!), eine "Nationalerziehung" nach dem Beispiel des antiken "Sparta" und einen National-Kultus als Über-Religion aller Deutschen - Forderungen, die Mühlestein 1917 in Hodanns "Urburschenschaft"-Schrift im wilhelminischen Kriegs-Deutschland weitgehend verwirklicht sah, s.o. Fries biologistischer Rückgriff auf die "Familie" war so ausgeprägt, daß er in einem Entwurfür eine "landständische Verfassung" nur Familienväter als Vertreter der Landstände in einer Ständeversammlung sehen wollte. (67)

Fries wandte seinen auf Fortpflanzung und Familie bezogenen Biologismus - der ein zentrales Moment seiner Philosophie in Ethik und Erkenntnistheorie darstellt, auch wenn Hubmann dies durch Textverkürzungen zu bestreiten versucht - xenophobisch am radikalsten gegen die deutschen Juden an, die zu ökonomischen Konkurrenten heranwuchsen, nachdem ihre Bürgerrechte (Gewerbe- und Niederlassungsfreiheit) als Folge der Französischen Revolution und der napoleonischen Herrschaft über Europa angeglichen oder wesentlich verbessert worden waren und weitere Gleichstellungsforderungen (vehement z.B. durch Wilhelm von Humboldt beim Wiener Kongreß) erhoben wurden. Fries vertrat eine klare biologische und kulturelle Hierarchie der Völker, an deren Spitze die Deutschen stünden. In seiner Schrift "Von Deutscher Philosophie, Art und Kunst" von 1812 schrieb er, "unter allen Völkern der Erde" seien es nur die Deutschen, die die einzig gültige Philosophie schüfen; die Deutschen hätten die "bessere Weisheit". In völliger Adaptation der Selbstvergöttlichungs-Ideen des mittelalterlichen Mystikers Meister Eckart, den später die völkischen Sekten und die Nazi-Ideologen zu einem der größten deutschen Denker erklärten, verlegt Fries hier die "Vernunft", das "Gewissen" und das "Wissen" nach "inwendig in Euch" (eine Formulierung Eckarts!) und verbindet sie mit dem "Wesen aller Wissenschaft", das als "eine innere Offenbarung des eigenen Geistes" erkannt werde; diese sei unfehlbar durch die "Anerkennung jenes Selbstvertrauens des Menschen auf seine göttliche Abkunft"; "der lebendige Geist in sich selbst" sei dem Deutschen Zeugnis und Existenz Gottes. (68) In Fries' Völkerhierarchie heißt "Mensch" immer "Deutscher". Er geht hier auch schon den nächsten Schritt zur faschistischen Ideologie, indem er diese chauvinistische Selbstvergöttlichung der Deutschen biologistisch mit der Natur ("Leben") verbindet und somit das zentrale Konzept der späteren naturreligiösen völkisch-rassistischen Sekten, die göttliche Natur handele durch den Menschen (das ein "ethisches" Tor zu den Nazi-Verbrechen gegen die Menschheit eröffnete (69), bereits vorwegnimmt: "Vernunft ist die unmittelbare Kraft des Lebens in unserem erkennenden Geiste; Verstand ist die Kraft des Willens, welche dem Menschen das höhere Selbstbewußtsein bringt" (70) - Chamberlain hatte es kaum anders ausgedrückt, lediglich "Mensch" durch "Arier" ersetzt, ein Wort, das Fries noch nicht kannte.

Fries' frühe Formulierung einer voluntaristischen Lebensphilosophie beinhaltete ein egalitäres Element, das Hubmann als aufklärerisch und scheinbar französisch-revolutionär präsentiert (71), das Fries jedoch in der (nach-) napoleonischen Zeit der biologischen 'Durchmischung' rassistisch meinte: die Idee der Gleichheit der Menschen, die Fries zur Bürgerrechts-Gleichheit der Deutschen verwandelte, aus der alle "Fremden" ausgeschlossen sein sollten. Fries war eben kein Aufklärer, sondern ein völkisch-rassistischer Revisionist des Liberté-Egalité-Fraternité, der die "Fremden" sogar für vogelfrei und ohne irgend ein Recht erklären wollte, weil sie nicht "gleich" seien, da sie nicht zum völkischen Kollektiv gehörten, sondern "Eindringlinge" seien (72). Sein Konzept der Homogenität des deutsches Volkes wollte er biologisch wie kulturell verwirklicht sehen, die "gleiche Abstammung" war ihm ebenso wichtig wie die "Einheit der Sprache, der Sitten, Gebräuche und Gesetze" (73); die physische Anwesenheit von "Fremden", zu denen er die deutschen Juden zählte, widersprach dem ebenso wie die geistige Anwesenheit von "fremder" Kultur, Wissenschaft und politischer Konzepte (wie das der Demokratie). In seiner populären Schrift "Über die Gefährdung des Wohlstands und Charakters der Deutschen durch die Juden" von 1816, die in Wirtshäusern öffentlich verlesen wurde und die den "Hepp-Hepp"-Pogrom mit vorbereitet haben soll, ist die Biologie das Primäre: Die "Natur der Judenschaft" und ihren "physischen Ursprung" betrachtend, kommt Fries hier zu dem Schluß, daß sie "der bloßen Abstammung nach" eine von den Deutschen verschiedene Rasse sei, weil die Juden als Individuen "seit Jahrtausenden ... nur unter sich heyrathen und auf diese Art ihre Rasse rein erhalten"; man dürfe den Juden "den Zutritt" nicht "gestatten", weil sie "diese Absonderung von den wahren Eingeborenen zum Grundsatz" gemacht hätten (74). Explizit bezieht sich Fries auf die biologischen Umwälzungen durch die damals aktuellen Kriege: die Deutschen hätten "den einzigen Sohn, den Ernährer, die einzige Stütze der Familie in den Krieg" schicken müssen, "und eine ganze Judengemeinde daneben kaufte sich mit wenigen hundert Gulden frei, zu ungehinderter Vermehrung" (75). Diese Behauptung war zwar falsch, zeigt aber, daß sein Denken von der 'biopolitischen' Situation nach den napoleonischen Kriegen bestimmt war. Seine Abgrenzung ist klar biologisch, und seine Konsequenzen sind ebenso klar - eugenisch! - gegen die Fortpflanzung der jüdischen Individuen gerichtet: "Wir müssen ihre möglichste Verminderung wünschen. Einige allgemeine Verfügungen sind daher leicht anzugeben. Jede Einwanderung von Juden soll verboten, ihre Auswanderung möglichst begünstigt werden. Ihre Heyrathsfreyheit soll noch mehr als bey den Christen beschränkt werden." (76) Wer nicht freiwillig auswandere, der müsse dem Judentum abschwören und als Individuum eine Läuterung durchlaufen: vollständige ökonomische Enteignung, langjährige körperliche Zwangsarbeit, Verbot jeglicher Tätigkeit als Kaufleute usw., und sie müßten auf der Straße "ein Abzeichen in der Kleidung" tragen; wer sich widersetze, dem drohte Fries mit dem offenen Hinweis auf die grausamen Judenverfolgungen in Spanien die Ermordung durch den deutschen Volkszorn an - das alles angeblich nur in ihrem eigenen Interesse zwecks sittlicher Besserung der vormaligen Juden, und es sind genau die Maßnahmen, die die Nazis dann in die Tat umsetzten. (77) Offenbar nur im Ausnahmefall konnten bei Fries einzelne "Fremde", die - im Falle der Juden - trotz aller Verfolgung im Lande blieben, dann, wenn sie sich vollkommen zu assimilieren versuchten, ihr Judentum als Religion und Kultur abgelegt und die Enteignung und die Zwangsarbeit überlebt hätten, allenfalls durch eine Einheirat in eine deutsche Familie Bürgerrechte erwerben und nach und nach zu gleichen Deutschen werden. "Gemischte Ehen" und "familienweise Aufnahme von Fremden" nach dem Beispiel der Hugenotten-Aufnahme in Preußen führt Hubmann, Fries' erst posthum erschienene Schrift "Politik" zitierend, zum Beweis dafür an, daß er "noch kein biologisch begründetes Trennungsdenken" gekannt habe. (78) Diese Textstellen zeigen deutlich die Weise der Fälschungen, die Hubmann an Fries vornimmt: Um den Eindruck zu erwecken, Fries habe sich lediglich gegen unkontrollierte Einwanderung ausgesprochen - wie man weiß, eine heute mit dem "Zuwanderungsgesetz" breit akzeptierte rot-grüne Position! -, läßt Hubmann in seiner Zitierweise der Textstelle den Satz über die Beschränkung der Heiratsfreiheit der Juden einfach weg und erwähnt die eugenische Ausrichtung dieser Fries-Forderung an keiner Stelle, spielt aber die vermeintliche Möglichkeit der Assimilation als - heute ebenfalls breit akzeptierte - eigentlich wohlmeinende Integrationspolitik hoch (deren Methoden dann wohl nur noch humanisiert werden müssen); Hubmann nennt Fries' Vertreibungspolitik sogar einen "Maßnahmenkatalog für die Integrationswilligen"! (79) Die Ähnlichkeit der Einheirats-Assimilierung mit dem Nazi-Konzept der genetischen "Aufnordung" vermeintlich minderwertiger, aber noch brauchbarer "Fremdvölker" ist Hubmann nicht aufgefallen, ebensowenig, daß Fries hier implizit die biologische Wertigkeits-Rangfolge 'Deutsche-Bastarde-Juden' vertrat, noch, daß diese genetische Rangfolge die abgestufte Verfolgungspraxis der Nazis gegen Juden, "Halbjuden", "Vierteljuden" usw. bereits vorweg nahm. Nirgendwo in der aktuellen Fries-Literatur werden die Übergänge zum Neofaschismus und Rechtsextremismus diskutiert, in dem heute die ausnahmsweise Integration einzelner Ausländer toleriert und die Solidarität eines völkischen Antiimperialismus gegen die Globalisierung gepredigt wird (die Globalisierung kam zu Fries' Zeiten als Grande Armée!), vom "neurechten" Ideologen Alain de Benoist über die NPD bis zu den "race-realists" in der British National Party um deren Chef Nick Griffin, der nicht nur 2002 beim "Pressefest" der NPD-Postille "Deutsche Stimme" auftrat, sondern quasi als 'sex-realist' auch Offenheiten zur Homosexualität vertrat - als demokratisches Leumundszeugnis kann Fries' "Politik"-Schrift heute wohl kaum herhalten (80).

Für Fries war das Judentum eine "Völkerkrankheit", die "Pest", ein "widerwärtiger Zustand", und wer ihn verteidige, sei ein "Volksverderber". Theoretisch konnten der Einzelne und seine Nachkommen durch Assimilation geheilt werden, wenn sie sich vollkommen dem unterwarfen, was Fries, Jahn, Arndt für das Deutschtum hielten. Fries' frühe Eugenik war darin offenbar vom Lamarckismus beeinflußt, der die biologische Vererbung von Gelerntem behauptete. Es müsse daher "für die Juden von der größten Wichtigkeit sein, der Judenschaft bald möglichst ein Ende zu machen", schrieb er und fügte scheinheilig zu seiner Verteidigung hinzu: "Wer den Pestkranken liebt, muß der nicht wünschen, daß er von der Pest befreyt werde? Und schmäht der den Pestkranken, der über die Schrecken der Pest klagt und räth, wie man sie vertreibe?" (81) Die Metapher vom Krankheitsträger und Verderber kennt man nur zu gut aus dem homophoben Diskurs. Fries' Botschaft - und die Botschaft der Friesianer hundert Jahre später - ist klar: Nur wer sich "assimiliert" und sich als Individuum vor und von der Gruppenkrankheit retten läßt, z.B. wer zu Hirschfelds und Kronfelds Zeiten als Homosexuelle(r) unauffällig lebte und als Ausgleich für Kinderlosigkeit der Gesellschaft brav höhere Steuern gezahlt hätte - eine Forderung von Hirschfelds "1. Internationalem Kongreß für Sexualreform", die schon Fries' Mitstreiter Jahn 1810 gegen "Eheverächter" und "Hagestolze" erhoben hatte (82) -, oder zu Volker Becks Zeiten brav in gleichgeschlechtliche Einehe tritt - ohne Adoptionsrecht, also eugenisch 'sauber'! -, darf auf gesellschaftliche Anerkennung hoffen, freilich nur auf eine, die bestenfalls der Rangstufe 'Bastard' entspräche, Mitleid statt Emanzipation. Für Hirschfelds Mitarbeiter Arthur Kronfeld, dem Fries' Ideen so viel bedeuteten, rangierten Homosexuelle allerdings wegen ihrer "Minderwertigkeit" noch weit unter den Fries'schen Rasse-Bastarden und Pestkranken, wie im 2. Teil dieser Artikelfolge aufgezeigt werden wird.

In den Schriften, die Fries an die aus den "Befreiungskriegen" heimgekehrten junge Leute richtete bzw. die in den als Auffangbecken für die Heimkehrenden gegründeten Burschenschaften begierig aufgenommen wurden, verband Fries Philosophie, Politik und Sexualität; z. B. sein Satz, die "Einheit des Volkes wird bestimmt durch gleiche Abstammung" aus der Schrift "Von Deutschem Bund und Deutscher Staatsverfassung" von 1816, gerichtet "An Deutschlands Jünglinge" (83), enthält genau dies. Diese biologische (bevölkerungspolitische, eugenische, rassenhygienische) "Einheit" zielt immer auch auf die Abgrenzung "vom Ausland", in dieser Schrift bis hin zur "sittlichen Autarkie" (84) als einer seiner Hauptforderungen für die Zukunft Deutschlands: "Unabhängigkeit des deutschen Volkes von fremdem Recht, fremder Sitte, fremder Sprache". Die (scheinbar nur philosophische) Behauptung, die Deutschen hätten die "bessere Weisheit", läßt nichts anderes als umfassende Autarkie zu in einer Philosophie, die umfassende Weltanschauung sein will, indem sie aus der eigenen "Vernunft" alle wissenschaftlichen, politischen und ethischen "Wahrheiten" heraus zaubert; denn für Fries gibt es in allen Bereichen nur eine einzige Quelle aller "Wahrheiten", diese "Vernunft", und das immer gleiche Wahrheitskriterium ist der Glaube an das "Selbstvertrauen der Vernunft" in ihre meditative "unmittelbare Erkenntnis". Fries' genereller Zug, immer konkret zu sein, kennzeichnet auch das als seine "Ethik" bekannte "Handbuch der praktischen Philosophie" von 1818, das vor allem die Burschenschaften beeinflußte. Hier geht es ganz handfest um die "sinnliche Anregung der Triebe", die in den Dienst des deutschen Volkes gestellt werden soll, während vor sinnenfroher Literatur und Kunst gewarnt wird. "Die Lebensansicht, welche den Zweck des Lebens in möglichst hoch getriebener ausschweifender Befriedigung der thierischen Triebe findet und meint, auch dafür allein die Verstandesbildung in Anspruch nehmen zu müssen", nennt er "raffinierte Bestialität" und nimmt absichtlich eine "Benennung aus fremder Sprache", weil er die "vergnügungssüchtige Lebensart" und das "herumschwärmede Leben" des "arbeitsscheue(n) Müßiggänger(s)", der "den Zwang der geordneten Arbeit haßt und verachtet", als mediterran, vor allem französisch, auch lüstern-jüdisch, aber niemals als deutsch ansieht (85). (Bei Kronfeld kehrt dies wieder als rassistischer Abgriff auf "Landstreicher", bei Nelson als Ablehnung des Berliner Literaten- und Bohemien-Lebens.) Er bringt ein Kapitel "Von der Liebe" mit plattesten Benimmregeln; die "reine Liebe des Jünglings zum Mädchen" wird gepriesen, und "die Heiligung des volksthümlichen Herkommens; die Achtung des volksthümlich anständigen und schicklichen; besonders in dem Kleineren, was mit ehelicher Treue und Keuschheit in Verbindung steht" von den aus dem Krieg Heimgekehrten gefordert (86). Fries' "praktische Philosophie" (Ethik) stellt hier die Verbindung von Sexualmoral und Deutschtum/völkischem Vorurteil, von Reinheit unten 'rum (Keuschheit) und Reinheit der Rasse dar. Im Kapitel "Familienleben" wird noch einmal deutlich, daß sein Volksbegriff - entgegen Hubmanns verfälschender Darstellung eines rein kulturalistischen Volksbegriffs - klar biologistisch, von der Fortpflanzung her kommend gemein ist. "Wir bedürfen recht sehr eines festen und feinen Familienlebens, damit es auch im öffentlichen Leben besser werde. ... Zugleich ... verwächst durch die Familie das Leben des Einzelnen in das seines Volkes. ... Daher haben wir denn auch um der Tugend willen strenges Familienrecht und strenge Sitte der Keuschheit als die besseren zu rühmen." Fries' "Ethik" ist auch deshalb von Bedeutung, weil sie deutlich die Verknüpfung von Erkenntnistheorie und völkischem Biologismus zeigt, die Hubmann ebenfalls bestreitet. Nur durch "strenge Sitte und strenges Familienrecht", so Fries an der selben Stelle weiter, "wird auch die Kraft des Gemeingeistes im öffentlichen Leben gewonnen werden können. Ehre und Keuschheit wird der Wahlspruch für den Gemeingeist" (87), der ja selbst - common sense ! - Ausdruck, Hort und Kriterium von "Vernunft" und "Wahrheit" sein soll; wenn Unkeuschheit den "Gemeingeist" verdirbt, ist die "Vernunft" als Wahrheitenpool verdorben. Die wissenschaftlichen, politischen, ethischen "Wahrheiten" sind somit eine Funktion von Keuschheit und Ehre, seine philosophische Erkenntnistheorie ("ursprünglich dunkle reine Vernunft", ihre "ursprünglich dunkle unmittelbare Erkenntnis" der "apriorischen Wahrheit", die im "Selbstvertrauen der Vernunft" "reflexiv" zum Bewußtsein komme: alles Konzepte Fries', die Nelson nur nachbetete) hängt direkt am Sexualverhalten. Die natürliche Familie als Abstammungsverhältnis ist für ihn die Keimzelle des homogenen Volkes, das den "Gemeingeist" birgt, der die "Seele des ganzen Volkes", die "ursprünglich dunkle Vernunft", ist und "gesund" gehalten werden muß; "Gesundheit des Volksgeistes" und "gesunde Vernunft" stehen bei Fries gegen die fremden eingedrungenen Krankheitsträger (88). Seine "Ethik" zeigt auch noch einmal explizit die Verknüpfung von Bürgerrecht und völkisch-biologischer Abstammung, auch diese von Hubmann fälschlich bestritten. "Die Pflicht des Familienvaters" sei es, "schützend und erziehend für die Seinigen zu sorgen, aus welcher Pflicht sich dann im Staate die Nothwendigkeit eines natürlichen Bürgerrechts aller Abkömmlinge aus unserem Volke ableitet" (89). Das steht diametral gegen den Universalitätsanspruch der naturrechlichen Bürgerrechtslehre der Aufklärung, in der nicht nur der biologische Volksgenosse (wie bei den Nazis), sondern von Natur aus ein Jeder gleiche Rechte hat, frei und gleich geboren ist. Wenn das Volk sich aus der Familie ableitet und das Recht des volksangehörigen Bürgers die Sorgepflicht des Vaters voraussetzt, was wird dann aus den Unehelichen? Die Keuschheitsverletzung ihrer Väter wäre eine Verletzung des "Gemeingeists", der völkischen Norm, einer ethischen/sittlichen "Wahrheit" der "Vernunft"; sie würde ihre Väter als "Fremde" beweisen und so die Rechtlosigkeit, Mißachtbarkeit, Minderwertigkeit ihrer unehelichen "Abkömmlinge" bedingen.

Alles hängt bei Fries an der biologischen Abstammung des Individuums, das wissenschaftliche Wahrheiten erkennt oder Rechte verliehen bekommt oder durch sein sittliches Verhalten die Zugehörigkeit zum völkischen Kollektiv beweist: Familie - Volk - Gemeingeist der "ursprünglich dunklen Vernunft", die wiederum ein jedes Individuum aus einer Familie des Volkes in sich "unmittelbar" erkennen kann, wenn es nur der "Vernunft"/dem Volks-Gemeingeist "vertraut", was dem Volksfremden gar nicht erst möglich ist. (Die meditative Reflexion wird dazwischen zugesetzt, damit es nicht so plump aussieht, wie es ist.) In Verbindung mit der Führerschafts-Idee (bei Fries der "Regent", der den Gemeingeist ausspricht und so lange der richtige, rechtschaffene, legale, der "dunklen Vernunft" entsprechende Regent/Führer ist, wie er dies tatsächlich tut bzw. solange das homogenisierte Volk dies glaubt - oder von den Bluthunden des Regenten zu diesem Glauben gebracht wird! (90)) bedeutet das schlicht: Führer befiehl, wir folgen! (Die Meditation auf die "Vernunft" kann sich das Individuum dann sparen.) Das hört sich aber nicht gut an, und Kant wollte eigentlich auch das Gegenteil, deshalb nannte Fries seine Philosophie der Lemminge lieber "Neue oder anthropologische Kritik der Vernunft". So war Kants Aufklärung durch den Zusatz der vermeintlichen biologisch-kulturellen Entwicklung des Menschengeschlechts bis zu seiner Spitze, den Deutschen, flugs gegenaufgeklärt.

Gegenüber der frappierenden Integration des der Norm konformen Sexualverhaltens in eine philosophische Erkenntnistheorie des Kritischen Idealismus, die sich als Anthropologie ausgibt, ist Fries' Beharren auf den Geschlechterrollen in seiner "Ethik" schon eine Nebensächlichkeit: "Männliche Kraft z. B. steht oft dem weiblichen Gemüthe nicht wohl an, so wie dagegen weibliche Zartheit des Gefühls dem männlichen. ... Der männliche Geist soll der ausführenden That, das weibliche Gemüth der Ausbildung des Gefühls dienen. ... Das Weib dagegen schweige in allen öffentlichen Angelegenheiten. ... Der einzige Wirkungskreis des Weibes ist das häusliche Leben" usw. (91). Man fragt sich nun doch, weshalb manche heute die Hirschfeldianer samt den fanatischen Fries/Nelson-Anhängern unter ihnen als "Bürgerrechtsbewegung" bezeichnen.

Zusammenfassend und in heutiger Terminologie stellt sich der Kern von Fries' Philosophie so dar: Die "Vernunft" im eigenen Innern ist ein naturreligiös-selbstgöttliches Phänomen, das über Meditation und Glauben die apriorischen "Wahrheiten" preisgibt, denen zu folgen ist. Gleichzeitig ist die "Vernunft" ein Phänomen völkisch-rassisischer Homogenität: die völkische Homogenität ist sowohl Voraussetzung dieser "Vernunft" als auch selbst eine dieser "Wahrheiten". Das macht diese Philosophie zwar zirkulär, für ihre Anhänger aber auch prinzipiell unangreifbar, denn wer die völkische Norm nicht erfüllte, wäre zur Erkenntnis ihrer Rolle als Voraussetzung jeglichen wahrheitsgetreuen Erkennens nicht fähig, was umgekehrt impliziert: wer die vermeintlich apriorischen "Wahrheiten" bezweifelt, verrät, daß er nicht zum völkischen Kollektiv gehört. Wer die völkische Homogenität als "Fremder" verletzt, ist Krankheitsträger, widervernünftig und - weil Vernunft = göttliche Natur - widernatürlich und gotteslästerlich; er ist ethisch zu verachten, darf verfolgt werden und braucht sich nicht zu wundern, wenn er ermordet wird, kann aber theoretisch durch Zwangsmaßnahmen "gebessert" werden. Die Juden (und Ausländer) dienten Fries zwar als Katalysator zur Entwicklung dieser Philosophie, weil sie für seine Anhängerschaft die augenscheinliche Normverletzung waren und weil sie aus ökonomischen Motiven der Konkurrenz bereits die passenden Haßobjekte waren; anwendbar ist sie aber auf jeden, der normabweichende Verhaltensweisen zeigt. Fries entwickelte eine Philosophie absoluter Norm des eigenen Standpunkts, der als der Standpunkt der (göttlichen) Natur erscheint. Im 2. Teil dieser Artikelreihe wird gezeigt werden, daß sie von seinen Anhängern aus Hirschfelds "Institut für Sexualwissenschaft" breit gegen sich normabweichend Verhaltende angewandt wurde, am konsequentesten von Kronfeld.

Titelbild von Hodanns "Urburschenschaft"-Schrift 1917:
Studenten erfagen (in einer zeitgenössischen Radierung nach 1817)
den Weg zur Wartburg.

Fries begnügte sich nicht mit Philosophieren, er wollte Politik machen. Dazu bediente er sich der studentischen Burschenschaften, deren Schwerpunkt damals in Jena war, wo Fries lehrte. Das nationalistische Gedenkfest an die religiösen und politischen "Befreiungen" der Deutschen, das die Burschenschaften auf der Wartburg unweit Jenas 1817 abhielten, hatte er mit initiiert und hier eine Rede gehalten, die Hodann 1917 in der "Urburschenschaft"-Schrift wieder veröffentlichte. Sie endete mit dem Ausruf: "Ein Gott, ein deutsches Schwert, ein deutscher Geist für Ehre und Gerechtigkeit!" (92). Seine Studenten brachten den Toast aus: "Den Horten unseres deutschen Lebens: Arndt, Jahn und Fries!" (93) Am Abend gab es einen Scheiterhaufen und eine Bücherverbrennung von "unseren Volksgeist verderbenden Schriften", die "nur zu sehr die alte keusche Volkssitte entstellt und entkräftet" hätten, wie es in der Hodann-Schrift heißt (94). Die Liste der zu verbrennenden Bücher hatten "Turnvater" Jahn und Fries zusammengestellt; Fries selbst hatte noch eigenhändig jüdische Literatur, darunter eine Schrift des Berliner Publizisten Saul Ascher gegen die "Germanomanie" von Fries und Konsorten, auf die Liste gesetzt. Verbrannt wurden aber auch der Code Napoléon, der die Menschenrechtserklärung der Französischen Revolution in täglich anzuwendendes Recht übersetzte, und ein Werk des restaurativen Schriftstellers August von Kotzebue. Am nächsten Tag wurde noch eine Fries-Rede "An die deutschen Burschen" verlesen, in der er dazu aufrief, "im entfesselten Deutschland" "den fröhlichen Waffentanz (zu) üben und (zu) lieben", und die "schönen Wunden ... großen schönen Narben der Schlacht" dichterisch besang - dies war die Geburtsstunde der Schlagende Verbindungen der Burschenschaften, die bis heute stolz auf ihre Schmisse sind. "Ehre und Keuschheit ist der Wahlspruch seiner Priester und Krieger!", so Fries an die Burschen über das "entfesselte Deutschland" (95). Insgesamt enthielt die Rede ein frühes politisches Programm des Faschismus, wie es hundert Jahre vor seinem Siegeszugs durch Europa eben vorstellbar war, denn Fries war in gleicher Weise ein Gegner der Demokratie wie der beim Wiener Kongreß restaurierten Fürstenherrschaft; er war verfassungsmäßig ein antifranzösischer Bonapartist, ein wahrhaft 'konstitutioneller Nazi', wie sich auf der Wartburg zeigt. Angeblich wegen Fries' Mitverantwortung für den Sturm nationalistischer Gefühle bei diesem Fest, das für erhebliches Aufsehen in den deutschen Gazetten gesorgt hatte, erhielt nicht Fries, sondern der Burschenschaften-Gegner Hegel 1818 den Philosophie-Lehrstuhl an der Berliner Universität - mit den bekannten weitreichenden Folgen; Fries wurde wenig später wegen des Kotzebue-Mordes, den einer seiner Studenten verübt hatte, in Folge der Karlsbader Beschlüsse und der sog. Demagogenverfolgung in den zeitweisen Ruhestand versetzt, bis er später wieder in Jena lehren durfte.

Bücherverbrennung 1817 beim Wartburg-Fest in einer zeitgenössischen Radierung. Das Ereignis und die Rolle von Fries sind keineswegs unbekannt. Der Deutsche Bundestag zeigte dieses Bild in seiner Ausstellung "Fragen an die deutsche Geschichte" 1974; die Ausstellung wird heute im "Deutschen Dom" am Gendarmenmarkt in Berlin gezeigt. Lediglich in der "Geschichtsschreibung" der heutigen Hirschfeld-Apologeten kommt dies alles nicht vor.

In seinem Nachwort zu Hodanns nationalistischen Wartburgfest-Broschüre von 1917 hob der Nelson-Intimus Hans Mühlestein (dessen Politik Kronfeld teilte, s.o.) noch einmal die Bedeutung und Verantwortung Fries' und einiger seiner Studenten für das Wartburgfest positiv heraus. Als die Nazi-Horden, darunter viele Burschenschaftler der Berliner Universität, 1933 auf dem Berliner Opernplatz "undeutsche" Bücher verbrannten, beriefen sie sich ausdrücklich auf die Bücherverbrennung von 1817 als Vorbild. Es ist keine Ironie der Geschichte, daß sie dabei etliche Bücher aus dem soeben geplünderten Hirschfeld-Institut verbrannten und Hirschfelds Büste beim Zug dorthin voran trugen und ins Feuer warfen, sondern die Erfüllung der Geschichte, wie Saul Ascher, der Gegner des germanentümelnden Nationalismus und der blinden Assimilation der deutschen Juden, sie zu Beginn des 19. Jahrhunderts vorausgesehen hatte. Ascher hatte bereits vor der Gewalt und den Vernichtungsphantasien der Friesianer gewarnt (und nach ihm Heinrich Heine), doch solche bis hin zum wilhelminischen Kriegerorden assimilierten "Juden" wie Kronfeld lasen und folgten lieber Fries statt Ascher, wendeten sich lieber dem antisemitischen, naturreligiösen, sozialdarwinistischen Monismus Ernst Haeckels zu. In seinem Essay "Ascher gegen Jahn - Ein Freiheitskrieg" schrieb Peter Hacks 1991: "In der Tat ging es dem armen Kotzebue damals schon wie später dem Carl v. Ossietzky oder dem Erich Mühsam. Erst wurde sein Buch ermordet, dann er." (96). Doch es ist viel komplizierter: Fries-Fan Hodann wurde gemeinsam mit Ossietzky und Mühsam nach dem Reichstagsbrand 1933 von der Nazis verhaftet und saß mit Ossietzky und Mühsam gemeinsam in der Berliner Haftanstalt Moabit (97), wo er auch den Tag der neuerlichen Bücherverbrennung zubrachte, die eingedenk seiner Buschenschaftler-Idole veranstaltet wurde. Doch dann kam Hodann wieder frei und ging ins Exil, starb 1946 eines natürlichen Todes; ermordet wurden die Juden Ossietzky und Mühsam.

Bücherverbrennung 1933 durch SA-Leute (vorne) und Burschenschaftler (hinten) auf dem Opernplatz in Berlin in einer zeitgenössischen Radierung.

Die heute zu sehende, Mitte der 90er Jahre einsetzende Fries-Renaissance steht in der Tradition von Fries' Politik. Nach dem Ende der DDR baute der westdeutsche neokonservative Philosoph Odo Marquard an der Universität Jena das Institut für Philosophie im Geiste Fries' und Fichtes (ebenfalls ein deutscher Volksgeist-Ideologe, Antisemit und Mitbegründer der Urburschenschaften, der in Jena wirkte, bevor er der Vorgänger Hegels an der Universität Berlin wurde) und in Abgrenzung zur DDR-Philosophie wieder auf, finanziert auch mit Spendengeldern aus Handel und Industrie (Bekleidungskette C&A). Die Deutsche Forschungs-Gemeinschaft DFG, in der Vorstandsmitglieder der Geld gebenden Großkonzerne auch den Ton angeben und die heute zentral an der Durchsetzung der rot-grünen "Biopolitik" mitwirkt (98), finanzierte hier ein Forschungsprojekt zu Fries, das 1997 in einen großen Fries-Kongreß in Jena mündete. Während dabei auch Nelsons "Neue Fries'sche Schule" und die "Fries-Gesellschaft" breit behandelt wurden und Hubmann Fries' Antisemitismus wieder einmal verneinen durfte, wird in dem 1999 erschienenen Sammelband mit den Kongreßvorträgen, in dessen Vorwort auch Odo Marquard für seine Leistung bei der "Abwicklung" der Jenenser DDR-Philosophie gedankt wird, Arthur Kronfeld an keiner Stelle genannt. Der westdeutsche Mitherausgeber von Fries' "Sämtlichen Schriften" (die erst zwei Jahrzehnte nach Beginn der faksimilierten Neuherausgabe der Schriften Fries' ab 1967 endlich 1996 auch dessen Judenfeindlichkeit neu publizierten!), der Düsseldorfer Philosophieprofessor Lutz Geldsetzer, nennt in seinem einführenden Vortrag über "Fries' Stellung in der Philosophiegeschichte" Fries als "Vorbild" von Erst Haeckel und Wilhelm Ostwald (99), der beiden Gründer und Führer des sozialdarwinistischen "Monistenbundes", in dem ja auch Hirschfeld Mitglied war. Breit geht Geldsetzer auch auf Fries' "Stellungnahme zur Judenfrage" ein, die er lediglich für "unrühmlich" und "inhuman" erklärt und deren Motivation er offenbar teilt, da er die Stereotypen des modernen Antisemitismus kritiklos wiederholt und in Möllemannscher Manier bewertet: "Zweifellos sah er (Fries) scharfsichtiger als viele andere die internationalen Verflechtungen des Finanzkapitals und der großen Handelshäuser, die im schlesischen und im Napoleonischen Krieg alle kriegführenden Parteien finanziert und beliefert hatten, und an denen jüdische Häuser einen beträchtlichen Anteil hatten. ... Aber darüber deutlicher zu werden, war wohl damals wie auch heute tabu." Außerdem, so Geldsetzer beim Jenenser Fries-Kongreß 1997 weiter, seien es ohnehin im wesentlichen "nur" jüdische Historiker, die in Fries heute "eine(n) der Hauptpromotoren des deutschen Antisemitismus" sähen. Geldsetzer schließt seine skandalösen Ausführungen mit dem Bekenntnis, daß es für Fries' politische Philosophie "m.E. damals bei der Lage des zersplitterten Landes inmitten hochgerüsteter und schon längst nationalistischer Großmächte keine Alternative gab" (100) - ein wohl bekanntes Argumentationsmuster der extremen Rechten, die ja auch für den Ersten Weltkrieg die vermeintliche Einkreisung Deutschlands durch seine Kriegsgegner, für den Sieg der Nazis den Friedensvertrag von Versailles und für Auschwitz die reichen Juden verantwortlich machen. Man muß dies im Hinterkopf haben, wenn in den "Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft" oder einer Publikation der "Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualwissenschaft" durch Ingo-Wolf Kittel positiv auf Fries als den geistigen Ziehvater Kronfelds verwiesen wird.

Auch in dem soeben erschienen, sehr lesenswerten Buch "'Wider den undeutschen Geist!' Bücherverbrennung 1933" von Werner Treß (Berlin 2003) kann man durch die Auswahl der Bilddokumente und durch die Bildunterschriften, wie hier S. 121, den falschen Eindruck gewinnen, die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 auf dem Opernplatz in Berlin (heute Bebelplatz) habe sich im wesentlichen gegen das Institut für Sexualwissenschaft Hirschfelds gerichtet. Tatsächlich bestand zwischen der Stürmung des IfSw durch SA, Hitler-Jugend und Burschenschaftler und der Bücherverbrennung wenige Tage später kein direkter Zusammenhang, da auf dem Opernplatz im wesentlichen Bücher aus der benachbarten Bibliothek der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität (heute Humboldt-Universität) und der benachbarten Staatsbibliothek Unter den Linden verbrannt wurden. Die bei der Stürmung des IfSw erbeutete bronzene Hirschfeld-Büste, die der Institutsgründer von sich hatte anfertigen und im Institut aufstellen lassen, wurde, auf einem Holzstock aufgespießt, von SA-Leuten zum Opernplatz getragen und dort in den Scheiterhaufen geworfen. Die große, international bestückte, rassehygienische und eugenische Literatursammlung des Rassehygienikers und Eugenikers Hirschfeld wurde vermutlich nicht verbrannt, sondern von den Nazis genutzt! Die Büste ist verschollen; die Stiftung Archiv der Akademie der Künste Berlin, Kunstsammlung, besitzt eine schwarz angemalte Gips-Kopie, die zur Zeit im Jüdischen Museum Berlin ausgestellt ist. Dieses selten abgebildete Foto zeigt, wie die bronzene Hirschfeld-Büste zum Opernplatz getragen wird (aus Treß, S. 121).

Fries, Nelson und die SPD - bis heute

Heute wird gerne auf SPD-Mitgliedschaft bzw. -Nähe vieler Hirschfeldianer der 10er und 20er Jahre hingewiesen. Auch dies ist komplizierter. Nachdem die Kommunistische Jugend 1921 einen Unvereinbarkeitsbeschluß zu Nelsons/Hodanns IJB als Organisation der abstrusen antimarxistischen Ideen Nelsons gefaßt hatte und damit Nelsons Versuch, nach dem Scheitern in der bündischen Freideutschen Jugend unter den organisierten revolutionären Arbeiterjugendlichen zu missionieren, ebenfalls scheiterte (vor allem Hodann wollte in Berlin den studentischen IJB den Arbeitern nahebringen), war es ab 1923 für IJB-Mitglieder Pflicht, der SPD beizutreten. Doch die "Marburger" Linie des Neukantianismus bei den Revisionisten war stark genug, im SPD-Parteivorstand Ende 1925 ebenfalls einen Beschluß der Unvereinbarkeit der Mitgliedschaften zu erreichen, offiziell wegen der Demokratiefeindlichkeit des IJB, sicher aber auch wegen des anti-kantischen Fries-Mystizismus. Als Antwort darauf wandelte Nelson Anfang 1926 den IJB zum ISK als einer eigenständigen politischen Partei um, während Hodann den IJB als reine "Erziehungsorganisation" für die "Führer" überparteilich belassen wollte und sich nach Auflösung des IJB von Nelson politisch entfernte. Bei der Nähe Kronfelds zu Nelson ist es unwahrscheinlich, daß Kronfeld nach 1925 noch Mitglied der SPD war, wie Kittel behauptet (101). Nelson und die "Walkemühle"-Leiterin Minna Specht fuhren 1927 noch nach Moskau, wo Trotzki, den Nelson für seine Bewegung als Verbündeten gewinnen wollte, Nelsons Anfrage nach einem Zusammentreffen unbeantwortet ließ und die Krupskaja (Lenins Witwe), als Specht zu ihren Tiraden über "Erziehung" anhob, den Raum verließ! Die Reise war ein Reinfall, auch weil Nelson sich in Moskau eine letztlich in seinem Tod endende Erkältung holte (102). Nach Nelsons Tod und der Distanz Hodanns zum Parteiprojekt leiteten Nelsons bisheriger Privatsekretär Willi Eichler und Specht den ISK. Da hier Kirchenaustritt neben Vegetarismus und Alkoholabstinenz ohnehin schon Mitgliederpflicht war, ging man nun daran, die bürgerliche Fraktion der "Freidenker" zu unterwandern (die damals mit Haeckels "Monistenbund" zusammenarbeiteten und deren heutiger Wurmfortsatz sich im "Humanistischen Verband Deutschlands" zeigt, mit dem SPD-MdB Rolf Stöckel aus Dortmund-Unna als Präsidenten und freundschaftlichen Beziehungen zu den heutigen Nachfolgern der völkischen und Nazi-Sekten); ISKler übernahmen die Redaktion der "Freidenker"-Zeitschrift, Specht warb eifrig für die Jugendweihe als freidenkerische (ursprünglich aber völkische!) Initiationsfeier in das Erwachsenenleben, Arbeitsschwerpunkt wurde nun die "Schaffung einer Einheitsfront auf gewerkschaftlicher und freidenkerischer Basis" gegen den Faschismus (103), ein schwieriges Unterfangen, weil Teile dieser "Freidenker" aus den völkisch-naturreligiösen Sekten kamen bzw. mit diesen sympathisierten (und dann ja 1933 mit Nazi-Sekten und SS-Leuten die "Religion" für den Nazi-Staat bilden wollten (104). Die bekannteste und erfolgreichste Aktion des ISK war ein kurzer rein formaler Aufruf zur Aktionseinheit von Kommunisten und Sozialdemokraten gegen die Machtübergabe an die Nazis als die falschen "Führer" im Jahr 1932. Der Aufruf richtete sich nicht gegen die Nazi-Ideologie oder einzelne Positionen daraus, wohl weil sie der Fries/Nelsonschen zu ähnlich war, und bezog sich auch nicht auf die Fries/Nelsonsche Ideologie. Er wurde neben Albert Einstein, Erich Kästner, Käthe Kollwitz, Heinrich Mann auch von Helene Stoecker, Hiller und Kronfeld und bekannten ISKlern unterzeichneten; daß sich alle Unterzeichner der Hintergründe bewußt waren, ist kaum anzunehmen.

Eichler und Specht versuchten ab 1933, von wechselnden Exilländern aus, schließlich dauerhaft aus England, die Struktur des ISK zu erhalten. Ihr Fanatismus führte u.a. dazu, daß Specht etliche Kinder aus der "Walkemühle"-Gruppe in die Schweiz, dann nach Dänemark und schließlich nach England mitschleppte, um die Gruppe zusammenzuhalten. Schließlich arbeitete Specht ab 1942 bei der "Fabian Society", einer Quellorganisation der britischen Labour Party, die im 19. Jahrhundert maßgeblich an der Entwicklung und Propagierung der englischen Eugenik beteiligt war (105). Die politisch eher unauffälligen Mitglieder der "Fries-Gesellschaft" blieben ganz oder zunächst in Deutschland und hielten 1936 (Kronfeld war bereits im Exil) sogar eine "philosophische Tagung" mit dem Physiker Carl Friedrich von Weizsäcker aus der Nazi-Atombomben-Forschertruppe um Werner Heisenberg ab, auf der "philosophische" Folgen der Quantenphysik (ein Steckenpferd Heisenbergs (106) mit dem kausalistischen Neukantianismus über die Eselsbrücke des Friesschen Mystizismus versöhnt werden sollten und deren Referate 1937 im letzten Heft der "Abhandlungen" erschienen. (Wegen der Emigration der Herausgeber 1938 erschienen keine weiteren Ausgaben mehr.) Weniger bekannte in Deutschland gebliebene ISKler versuchten anfänglich, auch gemeinsam mit Hitler-oppositionellen Strömungen des Faschismus (Nationalrevolutionäre, Konsertativ-Revolutionäre, Oppositionelle aus der SA), "Widerstand" zu leisten, z. B. in Form von mit Zwiebelsaft geschriebenen Klebezetteln gegen Hitler, die nachts mit Taschenlampenbeleuchtung an Häuserwänden lesbar waren; das galt als charakterbildende Bewährung und Zucht in Nelsons Sinn. Gewalt und Attentate gegen Nazis hatte Eichler verboten, dennoch wurden einige ISKler Opfer der Gestapo und bezahlten ihren "Widerstand" sogar mit dem Leben. Die ISK-Broschüre "Die sozialistische Republik", die ein Plan zum Umbau Deutschlands nach dem Ende der Nazi-Herrschaft war, erschien 1937 im englischen Exil und war voll mit Fries-Ideen und der Führer-Ideologie; sie gipfelte in der Forderung nach absoluter Machtbefugnis für einen "Regenten", wie Fries den staatlichen Diktator genannt hatte, den Nelson später als "Führer" bezeichnete. (107) Dieser Plan war für die übrigen Exil-Gruppen gänzlich indiskutabel, weshalb sich der ISK weiter isolierte.

Erst unter dem Einfluß der Labour Party und in den Auseinandersetzungen in den Exil-Bündnissen über den Wiederaufbau des zukünftigen Nachkriegs-Deutschland ließen die Exil-ISKler (es gab nun nur noch solche aktive) Anfang der 40er Jahre die gesamte Führer-Ideologie und Demokratiefeindlichkeit fallen, und mit ihr auch den Kern der Fries/Nelsonschen Philosophie: den erkenntnistheoretischen Mystizismus, die "Verzweiflung" der Wahrheitsfindung durch Introspektion, die "Erziehung" der Askese, das philosophisch-politische Gurutum. Statt der Ideologie pflegte man nur noch ein Heiligenbild, den inhaltlich völlig entleerten, zum abstrakten Heroen eingekapselten "Nelson". Nach Kriegsende führten Eichler und Specht "den ISK", der noch aus einer Handvoll Leute bestand, sang- und klanglos in die neu begründete SPD Kurt Schumachers - zum Leid Hillers, offenbar dem einzigen noch lebenden Nelsonianer aus Hirschfelds IfSw, der während seines Exils in London anfänglich eine enge Anbindung an den Exil-ISK gesucht hatte, aber - möglicherweise wegen seiner offenen Homosexualität - kaltgestellt worden war (108). Hiller hatte in all seiner Idiotie 1950 noch ein - ernstgemeintes! - "Profil des idealen Führers" für Deutschland veröffentlicht, der "Kamerad unter Kameraden" sein müsse und als "biologische Voraussetzungen ... weder ein schiefer Besen ... noch ein schleppender Sack" sein dürfe, vor allem aber "von deutscher Rasse. Die deutsche Nationalität genügt nicht. So war es deutsche Juden gibt, die ... sogar bessere Deutsche sind - so wahr wäre ein Deutschjude an der Spitze ein taktischer Mißgriff" (109). 1962 versuchte Hiller erfolglos, Hirschfelds "Wissenschaftlich-humanitäres Komitee" wiederzubeleben, bevor er als Autor der Zeitschrift "Konkret" des damaligen Herausgebers Klaus-Rainer Röhl (der sich inzwischen der "Neuen Rechten" angeschlossen hat) tätig war.

Fries-Nelson-Fan "Aristoi" Kurt Hiller.

Specht, die eine Lehrerausbildung hatte, wurde ab 1946 noch einige Jahre als Leiterin der ursprünglich aus der Lebensreform- und Wandervogel-/ Jugendbewegung kommenden, nun als "reformpädagogisch" geltenden Odenwaldschule versorgt (auf Wunsch der privaten Schulbesitzer), die bis heute eine Internats-Eliteschule des demokratisch-modernistischen Teils der (Groß-) Bourgeoisie ist und auch Experimentalschule der SPD-Bildungspolitik im Hessen der 60er und 70er Jahre war. Die Psychoterror-Pädagogik des von Kronfeld so hoch gelobten "Walkemühle"-Internats des IJB/ISK, die den Konzepten und Erziehungszielen der Odenwaldschule (die Klaus Mann, der hier in den 20er Jahren Schüler war, in "Der Wendepunkt" 1944 beschrieben hat) diametral entgegenstand, verfocht Specht nach 1945 offenbar nicht mehr. Sie engagierte sich über die SPD-Schiene auch noch still in der UNESCO, und kurz nach ihrem Tod wurde die Odenwaldschule zur "UNESCO-Modellschule" befördert.

Minna Specht, in der "Walkemühle" sadistisch,
in der "Odenwaldschule" abgestumpft.

Eichler saß ab 1949 für die SPD in Parlamenten und leitete organisatorisch die Kommission zur Erarbeitung des Godesberger Programms, das die völlige Abkehr der Partei von den geistig-politischen Traditionen des Sozialismus der Arbeiterbewegung besiegelte und zu den Wahlerfolgen der 60er und 70er Jahre führte, bevor er in der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) mit einem Posten versorgt wurde. Für ihn bedeutete Sozialismus nunmehr "die Sicherung eines menschenwürdigen Lebens und Verhaltens in Frieden und Freiheit" (110), und in der Qualität dieser Forderung als common sense hatten Fries und Nelson tatsächlich bis in die SPD hinein überlebt. Eichlers Funktion für die Godesberg-Kommission dient heute dazu, einen wichtigen Einfluß Nelsons und Fries' auf das Grundsatzprogramm von 1959 zu behaupten (111), was bei Kittel sicher auch den Zweck hat, das Gedenken an Kronfeld für die SPD interessant zu machen. Das ist jedoch falsch. Susanne Miller, immerhin die Lebensgefährtin Eichlers seit dem englischen Exil, dort ISK-Mitglied und bis heute die offiziöse Parteihistorikerin der SPD, erwähnt Nelson nicht einmal in dem offiziösen Buch "Kleine Geschichte der SPD", von Fries ganz zu schweigen (112). Selbst der unbelehrbare Fries/Nelson-Apologet Thomas Meyer, als stellvertretender Vorsitzender der Grundwertekommission der SPD (Vorsitz: Wolfgang Thierse) und wissenschaftlicher Leiter der Akademie der politischen Bildung der FES heute einer der Hauptideologen der SPD, der vielfach versucht, die Fries/Nelson- Ideologie zum weltanschaulichen Teppich der Partei in der Bundesrepublik Deutschland zu stilisieren, gab 1978 noch zu, daß Eichler in der Godesberg- Programmkommission ab 1954 gegen die marxistische Parteiopposition (die erst nach Verabschiedung des Programms aus der Partei gedrängt wurde) und vor allem gegen die philosophiefreien Pragmatiker scheiterte, vielmehr die Pragmatiker den Verzicht auf jede genauere weltanschauliche Begründung der SPD-Politik im Programm durchsetzten (113). Geradezu irrwitzig ist der Versuch des heute in der SPD als bedeutender Fries-Kenner geltenden Promotionsstudenten Gerald Hubmann (114), die Anrufung von "Freiheit", "Gerechtigkeit" und der "Würde des Menschen" im Godesberger Programm auf den Einfluß Fries' zurückzuführen, was dann ja auch z. B. für die Menschenrechtsdeklaration der Vereinten Nationen zu gelten hätte.

Richtig ist jedoch, daß der Neukantianismus in den 50er Jahren, als die Marxisten in der SPD aufgrund der Katastrophe des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs wieder gestärkt waren, erneut - und wieder erfolgreich - benutzt wurde, um marxistische Positionen zurückzudrängen; zum Fädenziehen erhielt das Organisationstalent Eichler den Leitungsposten, während seine Nelsoniaden außen vor blieben, wie schon bei den alten Revisionisten. Erst zu Beginn der 80er Jahre, als es galt, den Einfluß der Neomarxisten aus der Studentenbewegung, die Willy Brandt in die Partei integriert hatte, zurückzudrängen, griff die Parteirechte stärker auf Nelson zurück. So gilt heute Karl-Heinz Klär, einer der Architekten der gegenwärtigen Sozialabbau-Politik Schröders, aufgrund seiner Durcharbeitung des "Nelson-Archivs" der FES (vgl. Anm. 12), das großteils auf Eichlers Sammlung beruht, neben Meyer als der Nelson-Experte der SPD. Klär war der engste Mitarbeiter Rudolf Scharpings, als dieser rheinland-pfälzischer Ministerpräsident, Parteivorsitzender, Bundestagsfraktionsvorsitzender und Kanzlerkandidat von 1994 war und sprach sich schon 1994 für die Einführung eines neuen allgemeinen Arbeitsdienstes aus, den Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement neuerdings zumindest für junge Arbeitslose einführen will; Klär sah die Erinnerung an die Nazi-Zeit schon damals als Gefahr für die Neuorientierung der SPD-Politik und warnte, man solle sich bloß nicht "vom Alb des faschistischen Reichsarbeitsdienstes stillstellen zu lassen". Klär soll es auch, wie man hörte, gewesen sein, der den rechtsextremen Nationalrevolutionär und "Befreiungsnationalisten" Henning Eichberg, der ideologisch tatsächlich dem Fries-Umfeld des beginnenden 19. Jahrhunderts entstammt und u.a. den Nationalismus des Turnvaters Jahn propagiert, als Autor in dem von Meyer, Klär, Miller u.a. 1986 herausgegebenen "Lexikon des Sozialismus" unterbrachte (Eichbergs Artikel passend zum Stichwort "Freidenkerbewegung" (115). Und in der Tat lassen sich die heutigen antisozialen und auch antidemokratischen Tendenzen (massive Sozialkürzungen nach Schröders Ausschaltung von Partei und Parlamenten durch "Kommissionen" und "Räte" - Hartz-, Bio-Ethik-, Renten-, Gesundheitsreform- usw. und seine Instrumentalisierung der "Vertrauensfrage" als Führerabstimmung) als eine Form von Sozialverzichts- und Formierungspolitik (116) und Politik der "Weisen" ansehen, die man in der heutigen offenen Gesellschaft eben vermittelter angehen muß als sie Fries oder Nelson noch einforderten. Allerdings kann man sie auch als Ausfluß anderer, aktuellerer (wenngleich nicht unverwandter) Strömungen wie z.B. des angelsächsischen Kommunitarismus und Utilitarismus ansehen, die sich wohl eher im Schröder-Blair-Papier niedergeschlagen haben als der relativ unbekannte Fries. Dennoch ist die Verankerung dieser Politik in der SPD einfacher, wenn in der Spitze der Partei auch an andere (deutsche!) Traditionen angeknüpft werden kann, wie der Fries' und Nelsons. Und es ist nicht zuletzt Hubmann, der die Brücke von Fries zum heutigen Kommunitarismus zu schlagen versucht.

Es ist im übrigen bemerkenswert, daß in der sozialdemokratischen Rezeption Nelsons, die immer auch Fries am Rande nennt, nie auf das für Fries' Philosophie zentrale Moment des Antisemitismus eingegangen wurde. Nelson, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts antisemitische Sätze einfach aus Fries-Schriften strich, bevor er sie neu herausgab, scheint hier als Filter eingesetzt worden zu sein. Erst nachdem Daniel Goldhagens viel beachtetes Buch "Hitler's Willing Executioners" 1996 Fries als einen Urvater des "eliminatorischen Antisemitismus" der Nazis in Erinnerung brachte und als Vordenker von Auschwitz weltweit bekannt machte, sah sich Meyer genötigt, darauf einzugehen. Er ist seit 1990 auch Vorsitzender der "Philosophisch-Politischen Akademie" (PPA), eines Vereins, den Nelson zur Pflege seines Erbes schon 1922 weitsichtig gegründet hatte und der formaljuristisch der Träger der "Walkemühle" war. Meyer ist quasi der Nachfolger Nelsons. Die Internet-Seite der PPA gibt als eine ihrer Kontaktadressen auch die Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn an und nennt heute ganze 17 lebende "Freunde und Mitglieder" neben 24 bereits toten; trotz Internet-Präsenz möchte man wohl Führer- und Kader-Organisation bleiben. Man erfährt hier, daß die PPA im Juli 2003 ein "Lektüreseminar" ausgerechnet über die Nelson-Rede "Sittliche und religiöse Weltansicht" abhalten wird, die (s.o.) in den "Abhandlungen der Fries'schen Schule" 1933 zur Begrüßung des NS-Regimes abgedruckt worden war! Als Antwort auf Goldhagen schrieb die PPA 1997 ein "wissenschaftliches Preisausschreiben 'Antisemitische und antijudaistische Motive bei Denkern der Aufklärung'" aus, um geschichtsrevisionistisch den Antisemitismus Fries' quasi zu neutralisieren: "Antisemitismus" sei ja überhaupt erst nach Fries' Tod entstanden, "antijudaistisch" aber seien doch alle Aufklärer gewesen, sogar die jüdischen, und zwar "größtenteils aus Gedankenlosigkeit"(!), lautet das Fazit der "prämierten Schriften", die im Jahr 2001 von der PPA veröffentlicht wurden (117). Preisträger ist auch Gerald Hubmann, der sich in aggressivem Ton gegen all jene wendet, die Fries als Vordenker der nazistischen Ausrottungspolitik beurteilen (118). Er hat mit einem Text gewonnen, der fast wortgleich mit seinem Vortrag auf der 1997er Jenenser Fries-Tagung ist - so leicht gewinnt man in der Sozialdemokratie; auch die Fälschungen sind gleich, und man kann darauf wetten, wann die Grundwertekommission der SPD und die Friedrich-Ebert-Stiftung die von Hubmann verschwiegenen Fries'schen "Heiratsbeschränkungen" (gleich Fortpflanzungsbeschränkungen) gegen Juden, Türken und andere genetische Abweichler fordern wird, nachdem die von Hubmann nicht verschwiegenen "Einwanderungsbeschränkungen" gegen Ausländer ja schon SPD-Politik sind. Hubmanns preiswürdige Logik nachzuvollziehen bedarf es mystischer Eingebungen des Ausmaßes, die Nelson in seinen schlaflosen Nächten gehabt haben mag: Gerade weil Fries den Juden vorwarf, "der bloßen Abstammung nach" eine "physische Absonderung" betrieben "und auf diese Art ihre Rasse rein erhalten" zu haben (Fries-Zitate bei Hubmann), sei Fries eben kein Rassist! Trotz seines Rekurses auf die biologische Fortpflanzung und vermeintliche "Rasse" der Juden, so Hubmann weiter, und ihm folgend SPD-Meyer im Vorwort, habe Fries' vermeintlich bloßer "Antijudaismus" mit einem "biologistisch fundierten rassistischen Antisemitismus" nicht das Geringste zu tun! (119) Dagegen habe er aber "sozialstaatliches Gedankengut" vertreten (wie es Clement und Klär ohne Schrecken vor dem "Alb des Reichsarbeitsdienstes" tun): der Staat habe "dafür zu sorgen, daß jeder Bürger zweckmäßige und menschenwürdige Arbeit finden kann", faßt Hubmann Fries zusammen (120) - aber nur Deutsche konnten ja bei Fries "Bürger" werden, s.o., was Hubmann hier verschweigt, und vermeintliche Drückeberger sollten, wie bei Clement, in Fries' deutschem Führerstaat zwangsverpflichtet werden. Hubmann nennt Fries sogar den "Begründer eines Sozialismus noch vor Marx" (121) und den Möchtegern-Diktator Nelson einen "progressiven Denker"! (122) Der Antisemitismus muß also zur Nebensächlichkeit erklärt werden, damit die Sozialpolitik wiederverwertbar wird. Freilich kann man die 200 Jahre alte Gesellschaftspolitik Fries' nicht eins zu eins in den heutigen hochentwickelten Kapitalismus übertragen, weder zustimmend noch kritisch; entscheidend ist vielmehr, daß die grundlegenden "ethischen" und "erkenntnistheoretischen" Ideen Fries' - und der ihm 100 Jahre später nachfolgenden Nelsonianer, die Hirschfeldianer nicht zu vergessen! - heute offenbar immer noch kreativ für Sozialabbaupolitik gegen die Schwachen (Arbeitslose, Alte, Kranke, Behinderte und auch unwillkommene Nichtdeutsche) genutzt werden; dies könnte auch die Fries-Renaissance seit Mitte der 90er Jahre mit erklären.

Hubmanns unermüdlicher Einsatz gegen fast die gesamte deutsche und internationale Literatur zu Fries' Antisemitismus wurde inzwischen belohnt: er ist nunmehr wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Edition der Marx-Engels-Gesamtausgabe "MEGA", die nach dem Ende der DDR von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften fortgesetzt wird; und man kann (schon wieder!) darauf wetten, daß er seinen "bewährten" Geschichtsrevisionismus demnächst bei der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft vorträgt, nachdem diese von uns nunmehr auf die Bedeutung der Philosophie Fries' und Nelsons für den Hirschfeld-Kreis gestoßen wird.

Exkurs   ---
Hirschfelds eigene Verbindungen zu den Friesianern:
Franz Oppenheimer

Magnus Hirschfeld selbst hatte offenbar eigene Kontakte zu den Friesianern um Nelson, so daß neben den am IfSw beschäftigten Personen Kronfeld, Hodann und Hiller auch der ökonomische Gründer und hauptsächliche Profiteur des Instituts und seiner rassehygienischen Politik und Praxis gegen Minderheiten zumindest dem Umfeld der Fries-Philosophie zugerechnet werden muß. (Freilich handelte Hirschfeld trotz seiner Mitgliedschaft in Haeckels Monistenbund sicher nicht aufgrund einer stringenten und durchdachten Weltanschauung; "Philosophie" wäre also für den geistigen Rahmen seines biologistischen Pragmatismus ein zu hoch gegriffener Begriff.) Die Bedeutung dieser Kontakte ist bisher offenbar völlig unerforscht, lediglich ein paar Fakten sind bekannt.

Der an der Universität Oxford lehrende Medizinhistoriker Paul Weindling brachte 1989 seine umfangreich und grundlegende Studie über die deutsche Rassenhygiene/Eugenik heraus (123), in der er Hirschfeld und das IfSw in den geistigen Strom einordnet, der geradewegs zu den Verbrechen des Nationalsozialismus führte, und die auch in diesem Punkt über das Buch von Weingart, Kroll und Bayertz (124) hinausgeht, die schon 1988 Hirschfelds Rolle in der Rassenhygiene thematisierten. Weindling weist in einigen Randbemerkungen auf die ökonomischen Probleme der niedergelassenen Ärzte am Ende des
19. Jahrhunderts hin. Wegen einer Ärzteschwemme hätten viele nach neuen Betätigungsfeldern gesucht, aus denen sowohl die Sexualwissenschaft als auch die völkisch-rassistisch ausgerichtete politische Kritik der kapitalistischen Gesellschaft wesentliche Anstöße erhalten hätten. Unterbeschäftigte Ärzte hätten sich in der Großstadt über eine Sexualwissenschaft ökonomisch absichern können, die sie als Teil der Rassenhygiene und Eugenik sowohl wissenschaftlich als auch politisch etablierten und praktisch als "ärztlichen" Kampf gegen die vermeintliche Dekadenz der Großstadt (Geschlechtskrankheiten, Prostitution, Vermehrung der zu Behinderten Definierten, Tuberkulose, Alkohol- und Rauschgift-Mißbrauch) ausübten; andere hätten ihre Praxen ganz geschlossen, hätten sich den zivilisations- und stadtfeindlichen Bewegungen als politische Publizisten angeschlossen und vor allem von der völkisch (statt sozialistisch) ausgerichteten Gesellschaftskritik gelebt. Während Hirschfeld den ersten Weg ging, schlug sein Arztkollege Franz Oppenheimer (1864-1943), der dann Nelsons enger Freund, Weggefährte und Mitherausgeber der "Abhandlungen der Fries'schen Schule - Neue Folge" bis weit in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein wurde, den zweiten Weg ein. Hirschfeld und Oppenheimer kannten sich bereits seit der Wende aufs 20. Jahrhundert sehr gut; ihre Wege kreuzte sich schon kurz vor Nelsons ersten Fries-Arbeiten und der personellen Gründung seines Fries-Kreises.

Oppenheimer, der aus einer jüdischen Familie kam und in dessen Gesicht tiefe Schmisse von den Florettfechtkämpfen in seiner Burschenschaft sogleich seine neue Weltanschauung kundtaten, hatte 1896 seine Arztpraxis in Berlin aufgegeben. Er glaubte, als Ideologe der völkischen Landsiedlungsbewegung und der deutschen Scholle den medizinischen Problemen der Großstadt besser begegnen zu können. Nicht die soziale Revolution sollte die katastrophale gesundheitliche Situation in den Berliner Mietskasernen und in den Fabrikhallen von Siemens und Borsig verändern, sondern das deutsche Volk sollte biologisch und kulturell erstarken durch die Landbesiedlung in nach eugenischen Grundsätzen geführten Bauern- und Handwerkerkommunen, in denen die Menschen ein einfaches "natürliches" Leben zu führen und auf jeden Luxus zu verzichten hätten. Dazu entwickelte er eine agrarzentristische ökonomische Theorie, deren Kern sich letztlich am germanischen Allgemein-Acker orientierte, auf dem jeder mitarbeitete und von dem jeder seinen Anteil bekam - ein in der Bewegung der Deutsch-Völkischen am Ende des 19. Jahrhunderts populärer Mythos über die Entstehung des Genossenschaftsgedankens aus der teutschen Volkstradition. Dies verband er mit einer radikalen Leistungsideologie, bei der "marktwirtschaftlich" der Beste (Stärkste) den größten Anteil am Gemeinschaftswerk bekäme (125). (In den 20er Jahren promovierte Oppenheimer den späteren Erfinder der "Sozialen Marktwirkschaft", Ludwig Erhardt, der sich nach 1945 als sein Schüler ausgab und seine reformierte Volksgemeinschafts-Ideologie in den 60er Jahren im Konzept der "Formierten Gesellschaft" zusammenfaßte, 126). Persönlich blieb Oppenheimer jedoch bis 1919 in Berlin wohnen und zog dann nach Frankfurt am Main - das Metropolenleben bot ihm doch so viele Vorteile, daß er den Haß auf die Metropolen nur theoretisch auslebte. In seinen Schriften verehrte Oppenheimer den antisemitischen Agitator Eugen Dühring als wegweisenden Ökonomen (selbst als Oppenheimer schon Opfer des Antisemitismus war), und seine Ideen der "Freibürgerschaft" und des "Freilandes" sowie seine Geldfeindlichkeit sind verwandt mit der Agitation des ebenfalls antisemitisch und rassenhygienisch argumentierenden Finanzwirtschaftlers Silvio Gesell ("Freigeld"); alle drei waren erklärte Feinde eines marxistisch fundierten Sozialismus und wollten alternative, "deutsche" und "nicht kollektivistische" Sozialismuskonzepte entwickeln.

In seinen eugenischen und Landsiedlungs-Ideen traf sich Oppenheimer nicht nur mit den Völkisch-Religiösen - er hatte Kontakt mit Bruno Wille, einem Berliner Exponenten der völkischen "Freireligiösen" -, sondern auch mit dem Begründer der deutschen Rassenhygiene Alfred Ploetz, dessen Nachfolger als Redakteur der Zeitschrift "Welt am Montag" Oppenheimer 1897 wurde; Ploetz hatte geholfen, diese Zeitschrift zu begründen, die Nazis verboten sie dann als "jüdisch". Mit Ploetz, einem radikalen Antisemiten, und mit dessen rassenhygienischen Organisationen und Publikationsorganen arbeitete auch Hirschfeld zur Kaiserzeit zusammen, mit Ploetz' Mitstreitern sogar noch in den 20er Jahren. Von den rassenhygienischen, angeblich idealen Sexualtypen des germanischen "Vollweibes" und "Vollmannes" trennte sich Hirschfeld nie.

Völkisch-rassistische, germanisierende Abbildung
aus Hirschfelds Buch "Geschlechtskunde", Band 4, von 1930:
"Vollmann und Vollweib" als Hirschfelds ideale Sexualtypen.

Ploetz und Oppenheimer gehörten zu einem literarisch interessierten, aber auch Eugenik und antimarxistische, völkische "Sozialismus"-Konzepte diskutierenden Kreis um den Schriftsteller Gerhard Hauptmann, dem auch Hirschfeld und seine Schwester Franziska angehörten. Hauptmann war Ploetz' engster Freund; Hauptmanns Autobiographie ist eine wesentliche Quelle für die Forschung über Ploetz (127). Ploetz war zeitweise verheiratet mit der Schwester des Psychiaters Ernst Rüdin, der zum führenden deutschen Rassenhygieniker wurde, später auch direkt praktisch an den Nazi-Verbrechen beteiligt war und 1940 den liebevollen Nachruf auf seinen vormaligen Schwager, langjährigen Freund und Mitstreiter schrieb. Hauptmann, der später zugab, ein Anhänger der völkischen Eugenik gewesen zu sein und der alles Schwache verachtete, hatte sich bekanntlich ebenfalls mit den Nazis freudig eingelassen. Dieser Kreis namens "Neue Gemeinschaft", der das "Zurück zur Natur" predigte, kaufte im Jahr 1900 ein Gebäude am Schlachtensee in Berlin, wo einige Familien als Kommune zusammenlebten, wo aber auch die Vortragsveranstaltungen stattfanden, bei denen die Externen Oppenheimer und Hirschfeld über ihre agrarzentrischen bzw. eugenischen "Sozialreform"-Ideen sprachen, die Hirschfeld bereits als "Sexualreform" ausgab. Die lesbische, biomystische (Buchtitel: "Die Hand als Spiegel der Psyche") Ärztin und Psychotherapeutin Charlotte Wolff schreibt in ihrer ansonsten apologetischen Hirschfeld-Biographie von 1986, die Kommune sei von extrem patriarchalen Strukturen bestimmt gewesen, die Frauen "returned to their cosy roles of second-class citizens and helpmates", während sich die Männer der Diskussion ihrer großen weltanschaulichen Entwürfe hingaben (128).

Weindling berichtet, daß Oppenheimer und der Mediziner Grotjahn, mit dem Hirschfeld in den ersten 25 Jahren des 20. Jahrhunderts rassenhygienisch teilweise eng zusammenarbeitete, 1893-94 gemeinsam Soziologieseminare an der Berliner Universität besuchten; der Dritte im Freundschafts- und Studienbunde war Ludwig Woltmann, der schon bald zum extremistischen Agitator des Ariertums wurde, aber aus dem Kreis nicht ausgeschlossen wurde. Grotjahn war ebenfalls von den Landsiedlungs- und Kommune-Ideen beeinflußt und ein Verehrer der Hauptmannschen Schriftstellerei. Oppenheimer, Ploetz, Grotjahn, Hirschfeld, Kronfeld, Hiller, Hodann, auch der anfängliche Nelson-Lehrer Friedrich Naumann und der bei den völkischen Sekten bis heute beliebte Willy Hellpach, eine Reihe sozialdarwinistischer "Monistenbund"-Mitglieder und sogar Woltmann trafen sich auch ab 1904/05 im "Bund für Mutterschutz" wieder, einer am Anfang extrem völkisch-rassistischen, ebenfalls die Landsiedlung propagierenden, dann bald rassenhygienisch-eugenischen Organisation, die bis zum Ende des Ersten Weltkriegs ein wichtiges Betätigungsfeld des Hirschfeld-Kreises war und zur Propagierung der "Sexualreform" diente. Sexualität galt ihnen allen als das Mittel zur Höherzüchtung des deutschen Menschen, zur Veränderung der hochkapitalistischen Gesellschaft des Massenelends hin zu einer psychosomatisch "starken" deutschen Volksgemeinschaft, die mit anderen Völkern um die Märkte und Rohstoffe der Erde konkurrieren und dabei nicht von Schwachen, Kranken und "Minderwertigen" behindert werden sollte; man bediente sich lediglich der Sexualität, um von ihr völlig unabhängige politische Ziele zu erreichen.

Das personelle Netz der Zusammenarbeit war über die Jahre hin, in denen diese Organisationen zum Teil gleichzeitig bestanden, sehr dicht gewoben, auch wenn mit wachsender antisemitischer Hetze einige der "jüdischen" Rassenhygieniker den "arischen" vorwarfen, die Idee der Eugenik an den Antisemitismus verraten zu haben - deutsch-völkisch waren sie anfangs alle ausgerichtet, gerade auch die "assimilierten Juden". Hirschfeld trennte sich nie klar von den "Ariern", und Oppenheimer bestrafte Ploetz bloß mit einer Namensverwechslung: In seinen autobiographischen Notizen "Mein wissenschaftlicher Weg" von 1929 (129), in der er sich rühmte, der "Renommierfechter" seiner Burschenschaft gewesen zu sein, und allen Ernstes seine eigene Familie auf König David zurückzuführen versuchte und damit seinen eugenischen Stolz noch einmal hervor kehrte, nennt er Ploetz plötzlich nicht mehr Alfred sondern "Karl" (nach dem besser beleumundeten Begründer des historischen Lexikons, Karl Ploetz), wohl auch, um seine tatsächliche Nähe zu den deutsch-völkischen Rassenhygienikern zu vertuschen. Die autobiographischen Angaben der Szene um Hirschfeld sind voll von solchen Fälschungen, seitdem die "Arier" sich mehr und mehr gegen die "nicht-arischen" Rassenhygieniker stellten, und dann vor allem nach 1933 und nach 1938, als man die eigene Mitverantwortung an der geistigen Vorbereitung der Nazi-Verbrechen verleugnen wollte.

Seit dem Basler Zionistenkongreß 1903 bediente sich Oppenheimer auch des Zionismus als Folie zur Propagierung seiner agrarzentristischen Ideologie, verstand sich als "aristokratischer Helfer" der auswanderungswilligen Juden, wie er dort in seiner Rede sagte, kämpfte jedoch gleichzeitig vehement gegen die bereits stattfindende zionistische Besiedlung Palästinas und gegen die "kollektivistische" Kibbuz-Bewegung an, weil sie seinem von Germanentümelei und Marktradikalismus gespeisten Ideal des organisierten Agrarstaats nicht entsprachen. Und tatsächlich forderte er dann auch "nationale Autonomie", also apartheidliche Territorien, in den Heimatländern der osteuropäischen Juden, die aufgrund ihrer Armut und der Pogrome nach Westen auswanderten und sich auch in den Elendsvierteln Berlins niederließen. Oppenheimers vermeintlicher Zionismus war rassenhygienisch motiviert, und er beschuldigte die einwandernden Ostjuden recht deutlich, die mitteleuropäischen Großstädte "moralisch und gesundheitlich" weiter zu verderben (130). Offenbar trieb den "aristokratischen Helfer" aber auch ein Ekel vor der ärmlichen Erscheinung der Ostjuden, die nun massenweise auf Berlins Innenstadtstraßen zu sehen waren, der Ekel, der den europäischen Antisemitismus zu dieser Zeit allgemein beflügelte.

Die Freunde Leonard Nelson (l.)
und Franz Oppenheimer (r.) 1924 in Göttingen.
Oppenheimers Gesicht ist von Schmissen durchfurcht;
noch 1929 rühmte er sich, der "Renommierfechter" seiner schlagenden Burschenschaftsverbindung gewesen zu sein.
(Foto: Franz-Oppenheimer-Gesellschaft e.V.)

Der schwule jüdische Historiker George L. Mosse sieht Oppenheimer nicht als Zionist, sondern ordnet ihn unter die "germanischen Utopien" und macht deutlich, daß er das Agrarland überall "zu einer Heimat völkischer Kultur" machen wollte, "und das hieß Boden- und Rassenkultur"; die Lebensweise der aus der deutsch-völkischen Bewegung entstandenen Landsiedlungen rund um Berlin habe Oppenheimer noch in den frühen 30er Jahren als politisch tolerant verteidigt, als hier schon der Nazismus blühte (131). Oppenheimer hatte sich auch im Streit um die Grundlagen des Bürgerlichen Gesetzbuches, der am Ende des 19. Jahrhunderts zwischen völkischen Ideologen und kapitalistischen Pragmatikern tobte, auf die Seite der Deutsch-Völkischen geschlagen. Diese wollte nicht das "Römische Recht", das schon den "Code Napoléon" (und damit die Rechtssysteme in fast ganz Europa) prägte, als Orientierung und Basis für das zu schaffende einheitliche Bürgerliche Recht im Deutschen Kaiserreich, das insbesondere die Eigentums-, Schuld- und Vertragsrechte sowie das Familienrecht ("bürgerliche Ehe", Verwandtschaft, materielle Versorgung) regeln sollte. Die Völkischen wollten vielmehr eine von ihnen selbst geschaffene - bzw. erfundene - Abstraktion aus mittelalterlichen und romantischen Mythen, das "Germanische Recht", zur Grundlage machen, was zu einem vom übrigen Europa verschiedenen Rechtssystem in Deutschland und seinen Einflußgebieten und zu einer Abkopplung der deutschen Wirtschaft vom europäischen Handelsraum geführt hätte. Statt des Individuums als Rechtssubjekt hätte die biologisch-familiale, stammesmäßige "Gemeinschaft" im Zentrum gestanden, mit Folgen wie der "Rassentrennung", "Sippenhaftung" usw., die erst die Nazis einführten. Selbstverständlich setzten sich die kapitalistischen Pragmatiker und ihre Orientierung am "Römischen Recht" durch, allerdings erst 1896 nach zwanzig Jahren langen Kämpfen. Die "rassische" Ungleichbehandlung im Bürgerlichen Recht führten erst die Nazis schrittweise ein, "Nicht-Arier" wie Oppenheimer wurden dann zu Opfern ihrer eigenen frühen Ideologie. Oppenheimer stritt noch in seinen agrarzentristischen Staats- und Wirtschaftskonzepten der 10er und 20er Jahre des 20. Jahrhunderts heftig gegen das "Römische Recht" an und wollte seine Jüngern in den wenigen Landkommunen in Deutschland und der einen in Palästina, die ihm zu folgten bereit waren, auf Rechtsvorstellungen festlegen, die denen der Deutsch-Völkischen aus dem Streit am Ende des 19. Jahrhunderts sehr verwandt waren und die er bisweilen mit alttestamentlichen Zitaten scheinbar jüdisch-zionistisch aufpeppte.

Man darf nicht vergessen, daß es personell ja nur ein relativ kleiner Kreis von Medizinern, Philosophen und Politikern war, der sich überhaupt für die Eugenik engagierte. Innerhalb dieses Kreises bildeten die Genannten, von völkischen Utopien und dem Wahn der Übermenschen-Züchtung getrieben, lange ein offenbar sehr belastbares Netzwerk, das dann auch spätere Nazi-Verbrecher wie Eugen Fischer oder Otmar von Verschuer umfaßte (vgl. "Hirschfeld - Das falsche Idol"). Doch während der "Arier" Ploetz von den Nazis sogleich aus Dankbarkeit für die Erfindung der Rassenhygiene einen Professorentitel erhielt, mußte der vermeintliche Zionist und tatsächliche anti-urbane Agrarideologe Oppenheimer schließlich 1938 ins Exil gehen nach --- Los Angeles! Und während Verschuer seine medizinische "Forschung", über die er bereits an Hirschfelds IfSw gesprochen hatte, an Menschengehirnen fortführen konnte, die ihm Josef Mengele aus dem KZ Auschwitz übersandte, mußten sich die Hirschfeldianer, unter ihnen Arthur Kronfeld, der in den 30er Jahren lebensgefährliche Menschenversuche an seinen psychiatrischen Patienten unternahm, im Exil ihr "Menschenmaterial" zusammensuchen.

Heute kann man die zeitweilig enge Beziehung zwischen Oppenheimer und Hirschfeld im Jüdischen Museum Berlin optisch wieder erleben: beide teilen sich eine Vitrine, in der die Rassenhygiene allerdings nicht mehr erwähnt wird.

Nelson 2010 von der SPD geehrt

Die SPD-Mitgliederzeitung "vorwärts" berichtete im Januar 2010, dass die Partei Nelson im Willy-Brandt-Haus, der Parteizentrale, ehren will. Nelsons wirre politisch-philosophische Ideen erwähte das Blatt nicht.


(Scan aus "vorwärts", Nr. 1/2010)

Die Aktualität der Fries/Nelson-Ideologie zeigte sich auch schon im August 2003 wieder: In den ARD-Tagesthemen am 7. 8. durfte der politische Nachlaßverwalter Nelsons, der SPD-Ideologe Thomas Meyer, die Forderung nach einer Ausmerzung des Begriffs vom "Demokratischen Sozialismus" aus der SPD-Programmatik begründen, die kurz vorher SPD-Generalsekretär Olaf Scholz als Startschuß für die kommende völlige Umstülpung der Ziele der Partei erhoben hatte. Fries' und Nelsons "Gerechtigkeits"-Idee soll nun offenbar in ein neues Parteiprogramm zugunsten der Starken auf Kosten der Schwachen fließen. Wie praktisch: für den Wechsel vom Sozialdemokratismus zum Sozialdarwinismus können die deutschnationalen Juden Magnus Hirschfeld und Franz Oppenheimer Pate stehen!

Im 2. Teil (in Vorbereitung):
Wie Arthur Kronfeld die völkisch-rassistischen Homogenitätsvorstellung aus Fries' Antisemitismus gegen Behinderte und Homosexuelle wendete.

im 3. Teil:
Wie Arthur Kronfeld seine Ressentiments gegen Behinderte und Homosexuelle als Kampfmittel gegen die Nazi-Führer einsetzt, die er für "behindert" und "homosexuell", kurz "degeneriert" hält:

Kronfelds Schrift 'Degenerierte an der Macht' von 1941


...zurück zur Übersicht: Biopolitik: Magnus Hirschfeld

...zurück zur Übersicht: Neue Herausforderungen - Neuer Antifaschismus

...zurück zur Übersicht: Themen des BIFFF...

...Eingangsseite

 
Anmerkungen:
(Zurück im Text zur Stelle der Anmerkung über den "Zurück"-Button Ihres Browsers.)

(1) Man muß sich das "Institut" wohl eher als eine Art privater Gemeinschaftspraxis vorstellen, in der auch über den ärztlichen Bereich hinausgehende Informationsveranstaltungen abgehalten wurden, wie es auch heute solche Praxen in Berlin gibt. Sicher war es alles andere als die Forschungs- und Ausbildungseinrichtung, für die es viele heute halten, die den aufgeblasenen Arbeitsberichten und den von Kronfeld redigierten "Mitteilungen" aus dem IfSw unbesehen Glauben schenken. Die übrigen bekannten Personen aus der IfSw-Arbeit waren ehrenamtlich oder auf eigene Rechnung tätig und boten ihre Dienste nur zu bestimmten Sprechzeiten an, in denen sie Räume des IfSw-Hauses benutzten. Angesichts der bescheidenen Wirklichkeit des IfSw sind hochstaplerische Formulierungen wie die Herzers: "Arthur Kronfeld las wöchentlich einstündig 'Forensische Sexuologie'" oder "... hielt Arthur Kronfeld wöchentlich zweistündig zwei Vorlesungen..." (im IfSw) geradezu lächerlich; in: Herzer, Manfred: Magnus Hirschfeld, Frankfurt a. M. 1992, S. 121.
(2) Bekanntlich orientierte sich Hirschfeld primär an Haeckel, vgl. meinen Beitrag "Hirschfeld - Das falsche Idol", was neben dem Sexualitätsthema seine Aufmerksamkeit 1906 auf Kronfeld gelenkt haben mag.
(3) Kittel, Ingo-Wolf: Arthur Kronfeld - Ein Pionier der Psychologie, Sexualwissenschaft und Psychotherapie, hekt., Konstanz 1988 (Katalog einer von Kittel verfaßten Kronfeld-Ausstellung in der Universitätsbibliothek Konstanz, mit Fotokopien von Titelseiten und Textanfängen von Kronfeld-Schriften und der Bibliographie von 260 Veröffentlichungen Kronfelds aus der Zeit von 1905 bis 1942, die in sechs verschiedenen Sprachen erschienen waren.) Eine weitere Bibliographie Kronfelds, die weitgehend auf Kittels Arbeit fußt, enthält: Kreuter, Alma: Deutschsprachige Neurologen und Psychiater. Ein biographisch-bibliographisches Lexikon von den Vorläufern bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, München 1996, S. 795-797. Beide Bibliographien sind verschieden unvollständig. Die von Kittel in seinen Artikeln mehrfach angekündigte eigene Dissertation über Kronfeld existiert nicht, auch die von Kreuter, S. 795, als Quellenangabe zitierte, Kittel zugeschriebene "Inaug. Dissert. Heidelberg 1985" existiert nicht.
Anläßlich des 100. Geburtstag Kronfelds erschienen: Kretschmer, Wolfgang: Zum 100. Geburtstag Arthur Kronfelds, Ztschft. Individualpsychologie, 1986, 11, S. 58-60; Schröder, Christine: Arthur Kronfeld (1886-1941) - Ein Psychiater im Dienste der Psychotherapie, Ztschft. Psychiat. Neurol. med. Psychol. (DDR), 1986, 38, S. 411-418, die weitgehend Kittels Arbeiten erzählt; sowie diverse Artikel Kittels, die inhaltlich ähnlich sind, z.B.: Kittel, I.-W.: Arthur Kronfeld - Leitender Arzt am Institut für Sexualwissenschaft in den Jahren 1919-1926, Ztschft. Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft (M-MHG), 1985, 6, S. 25-41 (Reprint-Ausgabe der M-MHG S. 215-231); Kittel, I.-W.: Zur historischen Rolle des Psychiaters und Psychotherapeuten Arthur Kronfeld in der frühen Sexualwissenschaft, in Gindorf, Rolf, und Haeberle, Erwin J. (Hrsg.): Sexualitäten in unserer Gesellschaft, Bd. 2, Berlin 1989, S. 33-44 (Referat auf der 8. Fachtagung Sozialwissenschaftliche Sexualforschung 1986 der Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung DGSS, einer von dem Unternehmer Rolf Gindorf 1972 gegründeten Organisation).
(4) Andreas Seeck von der MHG beschäftigte sich mit Kronfelds Ansichten über Homosexualität, ohne sie auch nur im Ansatz verstanden zu haben, während der Ausstellung "75 Jahre Institut für Sexualwissenschaft" im Schwulen Museum Berlin 1994, vgl. seinen Beitrag in M-MHG 1994/95, 20/21, S. 51-63. Die DGSS Gindorfs verleiht die Magnus-Hirschfeld-Medaille, z.B. 2002 an Manfred Bruns vom LSVD, der als Staatsanwalt an Strafverfahren nach § 175 mitwirkte; DGSS-Präsident Haeberle veranstaltete 1990 eine Internationale Konferenz für Sexualforschung gemeinsam mit dem homophoben Günter Dörner (als "Ratten-Dörner" bekannter Professor an der Charité der Humboldt-Universität Berlin), vgl. Gigi Nr. 23, S. 9. Zur sozialpolitischen Aktualität der IfSw-Arbeit vgl. a. meinen Beitrag "Nach 80 Jahren aktuell: Mit Hirschfeld für Schröder!".
(5) Vgl. Hiller, Kurt: Köpfe und Tröpfe. Profile aus einem Vierteljahrhundert, Hamburg 1950, S. 32 f, 36; ders.: Leben gegen die Zeit, Bd. 1 (Logos), Reinbek 1969; Bd. 2 (Eros) 1973, passim. Kronfeld war ab 1904 "mein bester Freund", Bd. 1, S. 64; "meinem im Geistbereich besten Freunde", Bd. 2 S. 48; flüchtig kannten sich beide bereits aus Kinderzeiten in Berlin, Bd. 1, S. 63 f; Kronfelds Unkenntnis über Hillers Homosexualität Bd. 1, S. 111.
(6) Vgl. Wolff, Wilfried: Max Hodann (1894-1946). Sozialist und Sexualreformer, Hamburg 1993, S. 26 ff. (Erschienen als Band 9 der "Schriftenreihe der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft"; Wolff hat die Qualität der Beziehung Hodanns zu Nelson nicht verstanden.)
(7) Wolff S. 147. Vgl. Herzer, Manfred: Max Hodann und Magnus Hirschfeld, in: M-MHG 1985, 5, S. 12.
(8) Kronfeld gibt in seinem Nachruf auf Nelson in der Deutschen Allgemeinen Zeitung vom 9. 11. 1927 selbst an, Nelson kennengelernt zu haben, als dieser zwanzig Jahre alt war; Nelson wurde am 11. Juli 1982 geboren. Seinen philosophischen Kreis (Fries-Gesellschaft) bildete er erst im Wintersemester 1903/04, also kannte Kronfeld ihn vorher schon.
(9) Kronfeld, Arthur: Das Wesen der Psychiatrischen Erkenntnis. Beiträge zur allgemeinen Psychiatrie I, Berlin 1920, S. 46 f
(10) Hiller 1969, S. 73
(11) Hiller 1969, S. 64
(12) Zur Nelson-Bewegung vgl. Link, Werner: Die Geschichte des Internationalen Jugend-Bundes (IJB) und des Internationalen Sozialistischen Kampf-Bundes (ISK), Meisenheim a.G. 1964; Hieronimus, Ekkehard: Bedeutende Juden in Niedersachsen. Theodor Lessing, Otto Meyerhof, Leonard Nelson, Hannover 1964; Klär, Karl-Heinz: Zwei Nelson-Bünde, in: Internat. wiss. Korresp. z. Geschichte d. deutschen Arbeiterbewegung, 1982, 18, Heft 3; Hansen-Schaberg, Inge: Minna Specht - Eine Sozialistin in der Landerziehungsheimbewegung (1918 bis 1951), Frankfurt a. M. 1992; Meyer, Thomas: Nelson, Leonard, in: Metzler Philosophen Lexikon, Stuttgart 1995; Hubmann, Gerald: Ethische Überzeugung und politisches Handeln. Jakob Friedrich Fries und die deutsche Tradition der Gesinnungsethik, Heidelberg 1997 (zu Nelson S. 325-346).
(13) Vgl. mein Buch "Die Götter des New Age. Im Schnittpunkt von 'Neuem Denken', Faschismus und Romantik", Berlin 1994; sowie meinen Beitrag "Hirschfeld - Das falsche Idol".
(14) Das alles hindert weder Kittel noch die MHG daran, Kronfeld dem sozialistischen Lager zuzuschlagen. Das sieht sicher besser aus als schlüge man die Nelsonianer den Strasser-Leuten zu.
(15) Vgl. auch Pross, Harri: Jugend Eros Politik. Die Geschichte der deutschen Jugendverbände, München 1964.
(16) Vgl. Wolff, S. 51.
(17) Grotjahn zit. n. Wolff, S. 149.
(18) Hodann, Max und Koch, Walther: Die Urburschenschaft als Jugendbewegung, Jena 1917, Hodann S. 3; "Volksgeist" S. 25; Mühlestein S. 105f, 112, 109. "Gründungsaufruf IJB" vgl. Hubmann 1997, S. 337. Es ist unerfindlich, weshalb Hubmann, S. 334, Fn 33, Mühlesteins spätere Lügen referiert und ihm glaubt, er habe 1917 in Opposition zum Kaiserreich gestanden, obwohl Hubmann selbst (S. 336-339) aus genau dieser "Urburschenschaft"-Schrift zitiert, allerdings die hier zit. Textstellen wegläßt.
(19) Vgl. mein Buch "Rechte Genossen. Neokonservatismus in der SPD", Berlin 1995, in dem ich diese Kontinuität sozialdemokratischer Politik bis in die Gegenwart dargestellt habe.
(20) Kronfeld 1920, S. 55.
(21) Zit. n. Link, S. 30f.
(22) Hodann in "Die Tat" 1918/19, zit. n. Link, S. 56.
Zweites Zitat n. Wolff, S. 26.
(23) Hiller 1969, S. 289, 390, 190, 392.
(24) "Demo-Kretin" in Hiller 1973, S. 101; "Herrenhaus"- und "Logokratie"-Zit. n. Nachwort von Horst H. W. Müller in Hiller 1973,
S. 178 ff, 187 f.
(25) Vgl. Hansen-Schaberg, Inge: Minna Specht - Eine Sozialisten in der Landerziehungsheimbewegung, Frankfurt a. M. 1992; zur Walkemühle S. 52-59. Hansen-Schabergs Dissertation über Specht ist apologetisch, doch waren Spechts und Nelsons Erziehungsmethoden derart brutal und die Erlebnisberichte ehemaliger Zöglinge so eindeutig, daß sie nicht umhin kommt, dies zu kritisieren. Die Zahl der 30 "Führer" schätzte Link, nach Hansen-Schaberg, S. 54. Zahl der Kinder: 12 Mädchen, 22 Jungen im Alter von 2 bis 14 Jahren zwischen 1923 und 1933 insgesamt, nach Recherchen Hansen-Schabergs, S. 57.
(26) Link, S. 114.
(27) Hansen-Schaberg, S. 314-322.
(28) Heckmann, Gustav: Das sokratische Gespräch, die Wahrheit und die Toleranz, in: Specht, Minna und Eichler, Willi: Leonard Nelson zum Gedächtnis, Frankfurt a. M. 1953, S. 217-220.
(29) So Adolf Lowe, der sich 1953 weigerte, an den Lobhudeleien von Eichler, Specht u. a. anläßlich Nelsons 70. Geburtstag kritiklos mitzuwirken, in: Specht und Eichler 1953, S. 149.
(30) Kronfeld, A.: Zum Gedächtnis Leonard Nelsons, in: Ztschft. "Abhandlungen der Fries'schen Schule. Neue Folge", 5. Bd. H. 1, Göttingen 1929, S. IX-XXVII. Der Nachruf erschien 1929, in dem nach Nelsons Tod nächsten Heft der "Abhandlungen", dem ersten des fünften Bandes, das Nelson noch weitgehend selbst konzipiert hatte, und nicht, wie Kittel, 1988 S. 21, fälschlich behauptet, erst 1933; Kittel hat aus seinen Fotokopien das falsche Impressum herausgeschnitten und zur Anfangsseite des Nachrufs geklebt, nämlich das des Inhaltsverzeichnisses des 5. Bandes, das erst 1933 mit dem letzten Heft dieses Bandes erschien.
(31) Kronfeld 1920, S. 7, 55, 47.
(32) Vgl. Oesterreich, Traugott Konstantin: Friedrich Ueberwegs Grundriss der Geschichte der Philosophie, Berlin 1923, S. 471-476; Vorländer, Karl: Geschichte der Philosophie, Bd. III, Hamburg 1975, S. 39; Sandkühler, Hans Jörg und de la Vega, Rafael: Marxismus und Ethik. Texte zum neukantianischen Sozialismus, Frankfurt a. M. 1974; Kofler, Leo: Marxistischer oder ethischer Sozialismus?, Bovenden 1955. Vgl. a. Meyer, Hans: Systematische Philosophie, Bd. III, Paderborn 1960; Noack, Hermann: Die Philosophie Westeuropas, Darmstadt 1976.
(33) Cohen, Hermann: Biographisches Vorwort und Einleitung mit kritischem Nachtrag, zu dem von Cohen neu herausgegebenen Gründungsbuch des Neukantianismus von: Lange, F. A.: Geschichte des Materialismus und Kritik seiner Bedeutung in der Gegenwart, abgedruckt in: Sandkühler und de la Vega, Zit. hier S. 83-85.
(34) Vgl. Kronfeld 1920, ausführlich zur Phänomenologie Husserls, die in Wahrheit die Fries' sei, als der adäquaten Erkenntnismethode der Psychiatrie. Kronfeld und Meyerhof werden von Oesterreich/Ueberweg als neukantianische Wissenschaftstheoretiker der Psychiatrie vorgestellt,
S. 476.
(35) Die Begriffe in Anführungszeichen sind sämtlich von Nelson/Fries.
(36) Link z.B. läßt sich von den Wörtern täuschen und gesteht Nelson zu, eine rationale Philosophie zu vertreten, S. 3-7, 15. Auch Hubmann läßt sich täuschen und glaubt sogar, "Alkoholabstinenz, Rauchverbot, Pünktlichkeit" als Programmpunkte des IJB seien Beispiele für "eine umfassende Rationalität", 1997, S. 340.
(37) Nelson, Leonard: Die kritische Methode und das Verhältnis der Psychologie zur Philosophie, in: Ztschft. "Abhandlungen der Fries'schen Schule. Neue Folge", Bd.1, H.1, Göttingen 1904, S. 67.
(38) Vgl. mein Buch "Die Götter des New Age" (Anm. 13).
(39) Nelson 1904, S. 34 f.
(40) Meyerhof n. Hieronimus, S. 116. Hubmann 1997, der dies für Fries darstellt, S. 94, 122 ff.
(41) Cassirer, Ernst: Der kritische Idealismus und die Philosophie des "gesunden Menschenverstandes", in: Ztschft. "Philosophische Arbeiten", hrsgg. v. Hermann Cohen u. Paul Natorp, 1. Bd. 1. H., Gießen 1906,
S. 13, 15.
(42) Kronfeld 1920, S. 43 f.
(43) Cassirer. S. 22.
(44) Ebd., S. 23.
(45) Vgl. Hubmann 1997, S. 94, 126 f.
(46) "Abhandlungen der Fries'schen Schule. Neue Folge", Göttingen 1933, 6. Bd, 1. H., Vorwort S. III, VII.
(47) Vgl. im einzelnen mein Buch "Die Götter des New Age" (Anm.13).
(48) Nelson, Leonard: Sittliche und religiöse Weltsicht, in: "Abhandlungen der Fries'schen Schule. Neue Folge", Bd. 6,
H. 1, Göttingen 1933, S. 19f, 29, 22, 32.
(49) Vgl. wiederum mein Buch "Die Götter des New Age" (Anm. 13), in dem diese Konzepte der nazistischen Sekten dargelegt und abgeleitet sind.
(50) Halberstam, Joshua: From Kant to Auschwitz, in: Ztschrft. Social Theory and Practice, Nr. 14, 1988, S. 41-54; Zit. S. 41, 46.
(51) Kronfeld 1920, S. 28f, 42f.
(52) Ebd., S. 482.
(53) So interpretiert Peter Hacks Hegel in "Ascher gegen Jahn. Ein Freiheitskrieg", Berlin 1991, S. 49.
(54) Hegel in der Vorrede zu "Grundlinien der Philosophie des Rechts", S. 26 im Nachdruck der 4. Aufl. seiner "Sämtlichen Werke", Stuttgart-Bad Cannstadt 1964.
(55) Marcuse in "Vernunft und Revolution", Neuwied 1962, S. 162f, zit. n. Hubmann 1997, S. 9.
(56) Habermas in "Die nachholende Revolution", Frankfurt a. M. 1990, S. 221, zit. n. Hubmann 1997, S. 9.
(57) Brumlik in "Zum Demokratiebegriff in Romantik und Idealismus", in: Schneider, Karlheinz und Simon, Nikolaus (Hrsg.): Antisemitismus und deutsche Geschichte, Berlin 1985, S. 28.
(58) Hacks, S. 45.
(59) Goldhagen, Daniel Jonah: Hitler's Willing Executioners. Ordinary Germans and the Holocaust, New York 1996, S. 54.
(60) Sterling, Eleonore: Er ist wie Du, 1956, Neuauflage unter dem Titel "Judenhaß. Die Anfänge des politischen Antisemitismus in Deutschland 1815-1850, Frankfurt a. M. 1969; Rürup, Reinhard: Emanzipation und Antisemitismus. Studien zur "Judenfrage" der bürgerlichen Gesellschaft, Göttingen 1975; Hortzitz, Nicoline: "Früh-Antisemitismus" in Deutschland 1789-1871. Strukturelle Untersuchungen zu Wortschatz, Text und Argumentation, Tübingen 1988; Belke, Ingrid: Zur Geschichte der Emanzipation und des Antisemitismus bis 1870, in: Horch, Hans Otto und Denkler, Horst (Hrsg.): Conditio Judaica. Judentum, Antisemitismus und deutschsprachige Literatur vom 18. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg, Tübingen 1988 Bd.1, S. 42; Erb, Rainer und Bergmann, Werner: Die Nachseite der Judenemanzipation. Der Widerstand gegen die Integration der Juden in Deutschland 1780-1869, Berlin 1989; Grab, Walter: Der deutsche Weg der Judenemanzipation 1789-1938, München 1991.
(61) Hubmann, Gerald: Ethische Überzeugung und politisches Handeln. Jakob Friedrich Fries und die deutsche Tradition der Gesinnungsethik, Heidelberg 1997; ders: Menschenwürde und Antijudaismus. Zur politischen Philosophie von Jakob Friedrich Fries, in: Hogrebe, Wolfram und Herrmann, Kay (Hrsg.): Jakob Friedrich Fries. Philosoph, Naturwissenschaftler und Mathematiker, Frankfurt a. M. 1999; ders.(fast textidentisch mit 1999): Sittlichkeit und Recht. Die jüdische Emanzipationsfrage bei Jakob Friedrich Fries und andere Staatsdenkern des Deutschen Idealismus, in: Gronke, Horst, Meyer, Thomas und Neißer, Barbara (Hrsg.): Antisemitismus bei Kant und anderen Denkern der Aufklärung, Würzburg 2001.
(62) Fisimatenten = Ausflüchte, Ausreden. Eine Worterklärung sieht die sexuell gemeinte Aufforderung französischer Soldaten an sich hinterher in der Familie herausredende deutsche Frauen, "Visite ma tente!" (Komm in mein Zelt!), als Wortursprung.
(63) Vgl. Mosse, George L.: Die Geschichte des Rassismus in Europa, Frankfurt a. M. 1990, S. 54f; Stangneth, Bettina: Antisemitische und Antijudaistische Motive bei Immanuel Kant?, in: Gronke, Meyer, Neißer, Zit. S. 19-23.
(64) Arndt, Ernst Moritz: Fragmente über Menschenbildung,
Altona 1805, S. 185-187, 197, 62, 190.
Vgl. a. Weigand, Richard: Die Anthropologie von Ernst Moritz Arndt,
Berlin 1941.
(65) Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volkstum, Berlin 1991, S. 292, 281-283, 288-291, 292 f, 297.
(66) Hacks, S. 113.
(67) Fries, J. F.: Zwei politische Flugschriften, hrsgg. u. m. Vorwort v. Leonard Nelson, München 1910 (darin: "Bekehrt Euch!" von 1814). "Ständeversammlung": Hubmann 1997, S. 132.
(68) Zit.n. Fries, Jakob Friedrich: Sämtliche Schriften, Bd. 24, Aalen 1978, S. 646, 650 f, 654, 722. Weitere solche Textstellen zur Selbstvergöttlichung bei Hubmann 1997, S. 85f.
(69) Vgl. hierzu mein Buch "Die Götter des New Age" (Anm. 13).
(70) Fries, Sämtliche Schriften, Bd. 24, S. 644.
(71) Hubmann 1999, S. 143f; ders. 2001, S. 136f;
ders. 1997, S. 97, 125, 146.
(72) Vgl. Hubmann 1999, S. 144; "Eindringlinge": Fries in "Politik", zit. n. Hubmann 1997, S. 149, vgl. a. S. 125.
(73) Fries 1816 in "Von Deutschem Bund und Deutscher Staatsverfassung", zit. n. Hubmann 1999, S. 145f, Zit. S. 146;
ders. 1997, S. 126.
(74) "Gefährdung des Wohlstands ... durch die Juden" zit.n. Fries, Sämtliche Schriften, Bd. 25, Aalen 1996, Faksimile der Erstveröffentlichung als Rezension, S. 150-173; Zit. S. 159.
(75) Ebd., S. 171.
(76) Ebd., S. 169.
(77) Ebd., S. 169f, 172, 170, 158, 157.
(78) Hubmann 2001, S. 149; ders. 1999, S. 157; ders. 1997, S. 190.
(79) Hubmann 1999, S. 151; frech behauptet Hubmann, S. 153, Fn 55, sogar, "Rasse" werde von Fries "im nichtbiologischen Sinn, als Kulturgemeinschaft" verstanden, "wie aus dem Kontext klar hervorgeht", obwohl Fries von Heiratsbeschränkungen schrieb. Vgl. a. Anm. 18 zur Verfälschung der Mühlestein-Aussagen durch Hubmann. "Integrationswillige": Hubmann 2001, S. 145; ders. 1997, S. 184.
(80) NPD u. Benoist vgl. die deutsche antifaschistische Zeitschrift "Der Rechte Rand" Nr. 78, Sept./Okt. 2002, S. 17 f; BNP vgl. die englische antifaschistische Zeitschrift "Searchlight International", No. 320, February 2002; No. 333, March 2003, p. 10-11; Griffins Gay-Ouing No. 292, October 1999.
(81) Fries in "Gefährdung des Wohlstands ... durch die Juden", Sämtliche Schriften Bd. 25, S. 163, 167, 158, 157.
(82) Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volkstum, Neuausgabe Berlin 1991, S. 290. Zur Hirschfeld-Tagung vgl. meinen Beitrag "Nach 80 Jahren aktuell: Mit Hirschfeld für Schröder!".
(83) Vgl. Hubmann 1999, S. 145f.
(84) Ein Ausdruck Hubmanns, 1997, S. 149, der die Fries-Stelle anführt, aber nicht näher bedenkt.
(85) Fries, Jakob Friedrich: Ethik, Bd. 10 aus Sämtliche Schriften,
S. 65f.
(86) Ebd., S. 300, 285.
(87) Ebd., S. 314ff.
(88) Zit. n. Hubmann 1997, S. 94, 126.
(89) Ebd., S. 317f.
(90) Hubmann, 1997, S. 122 f, findet dies positiv, stellt es nicht in Frage und nennt es mit Fries' Worten ein Machtverhältnis auf  "Treu und Glauben"!
(91) Ebd., S. 80, 318f.
(92) Hodann und Koch, S. 17.
(93) Zit. n. Hubmann 1997, S. 56.
(94) Hodann u. Koch, S. 25.
(95) Ebd., S. 30.
(96) Hacks, S. 57.
(97) Vgl. Wolff, S. 43.
(98) Vgl. meinen Beitrag "Nach 80 Jahren aktuell: Mit Hirschfeld für Schröder!".
(99) Zu Oswald, Haeckel und Hirschfeld vgl. meinen Beitrag "Das falsche Idol".
(100) Geldsetzer, Lutz: Jakob Friedrich Fries' Stellung in der Philosophiegeschichte, in: Hogrebe und Herrmann,
S. 41f, 44, 52.
(101) Kittel 1988, S. 8.
(102) Vgl. Hansen-Schaberg, S. 295f.
(103) Link, S. 151.
(104) Vgl. dazu mein Buch "Die Götter des New Age" (Anm. 13).
(105) Vgl. Paul, Diane: Eugenics and the Left, in: Journal of the History of Ideas, 1984, 45, S. 567-590; Farrall, Lyndsay Andrew: The Origins and Growth of the English Eugenics Movement 1865-1925,
Indiana 1970.
(106) Vgl. dazu mein Buch "Die Götter des New Age" (Anm. 13),
S. 134ff.
(107) Vgl. Link, S. 188f, 204, 274; 258f.
(108) Klär 1982, S. 345, ergeht sich mit Bezug auf den Archivbestand lediglich in Vermutungen über politische Gründe für den Bruch Hiller-ISK vom September 1941, der bereits vorher absehbar war. Daß Hillers offene und ausgelebte Homosexualität dabei eine Rolle spielte, ist ebenfalls eine - allerdings naheliegende - Vermutung, die sich aus dem Gebot sexueller Askese im ISK speist, dem wiederum Klär 1982, S. 315f, S. 350 FN 187 (ohne hierbei Hiller zu nennen) eine zentrale Bedeutung zum Verständnis des ISK beimißt.
(109) Hiller 1950, S. 32f Fn 2; S. 390, 393.
(110) Zit. n. Link, S. 332.
(111) Kittel 1985, S. 26 (Reprint S. 216); auch Hubmann behauptet dies, 1997, S. 344f.
(112) Miller, Susanne und Potthoff, Heinrich: Kleine Geschichte der SPD, Bonn 1988 (6. Aufl.); Potthoff erwähnt in seinem Teil über die SPD bis 1945 Nelson und den ISK in zwei Sätzen, S. 135f, Nelson erscheint jedoch nicht im Personenregister. Meyer, Thomas: Grundwerte und Wissen im Demokratischen Sozialismus, Bonn 1978, S. 104.
(113) Meyer, Thomas: Grundwerte und Wissenschaft im Demokratischen Sozialismus, Bonn 1978, S. 104.
(114) Hubmann 1997, S. 344f. Hubmanns Dissertation über Fries von 1996, die 1997 als Buch erschien (Anm. 12), war der Neubeginn einer etwas breiteren Auseinandersetzung mit Fries in Deutschland.
(115) Zu Klär vgl. mein Buch "Rechte Genossen. Neokonservatismus in der SPD", Berlin 1995, S. 168ff. Das "Lexikon des Sozialismus" erschien 1986 im DGB-eigenen Kölner Bund-Verlag; Stichworte auch "Eichler" und "Internationaler Sozialistischer Kampf-Bund" (beide von Klär), "Nelson" und "Neukantianismus".
(116) Interessant ist in diesem Zusammenhang die Adaptation des Konzepts der "Formierten Gesellschaft" des Oppenheimer-"Schülers" Ludwig Erhard durch die heutige SPD, vgl. mein Buch "Rechte Genossen. Neokonservatismus in der SPD" (Anm. 19), S. 81ff.
(117) Gronke, Meyer, Neißer,
"Gedankenlosigkeit" Vorwort S. 8.
(118) Hubmann 2001 in Gronke, Meyer, Neißer (Anm 61), S. 150.
(119) Ebd., S. 144f; Vorwort S. 9.
(120) Ebd., S. 140.
(121) Ebd., 137.
(122) Ebd., S. 151.
(123) Paul Weindling: Health, race and German politics between national unification and Nazism 1870-1945, Cambridge 1989, S. 79, 119, 126, 252-254.
(124) Peter Weingart, Jürgen Kroll, Kurt Bayertz: Rasse, Blut und Gene. Geschichte der Eugenik und Rassenhygiene in Deutschland,
Frankfurt a. M. 1988.
(125) Vgl. zu Oppenheimerss Wirtschaftstheorie die sehr instruktiven Beiträge auf der Internetseite www . freunde-oppenheimer . de, die freilich seine Verbindung zu den Rassenhygienikern völlig verschweigt.
(126) Vgl. mein Buch "Rechte Genossen. Neokonservatismus in der SPD"  (Anm. 19), Kapitel 2: "Krisensozialismus und Sozialpatriotismus", Unterkapitel "Formierte Gesellschaft", S. 81-89.
(127) Vgl. Werner Doeleke: Alfred Ploetz (1860-1940), Sozialdarwinist und Gesellschaftsbiologe, Diss., Frankfurt a. M. 1975. Hauptmann: S. 44ff, "Welt am Montag": S. 44.
Doeleke scheint selbst Anhänger der Ploetz-Ideen zu sein, offenbar bis hin zum Antisemitismus, vgl. S. 105!
(128) Charlotte Wolff: Magnus Hirschfeld, London 1986, S. 49.
(129) Text: www . opp.uni-wuppertal . de/oppenheimer/fo29a.htm
(130) Baseler Zionistenkongreß-Rede: www . opp.uni-wuppertal . de/oppenheimer/fo03a.htm
(131) George L. Mosse: Ein Volk, ein Reich, ein Führer. Die völkischen Ursprünge des Nationalsozialismus, Königstein/Ts. 1979, S. 121-123.

 

*** Die Recherche wurde unterstützt von
 
  im  ,
Oranienstraße Berlin-Kreuzberg.

...zum dritten Teil von "Vom Antisemitismus zur Homophobie:
Kronfelds Schrift 'Degenerierte an der Macht' von 1941"

                           ...zurück zur Übersicht: Biopolitik: Magnus Hirschfeld

                       ...zurück zur Übersicht: Themen des BIFFF...

                      
...Eingangsseite