Peter Kratz: "Die Götter des New Age.
Im Schnittpunkt von 'Neuem Denken', Faschismus und Romantik"
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"Alles schon mal dagewesen!"
10 Thesen zu
New Age und Faschismus
 
Von Peter Kratz

Vortrag gehalten auf dem ersten antifaschistischen Colloquium des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung DISS
 am 8./9. Dezember 1989,
überarbeitet hektographiert erschienen 1990.
Der Vortrag ist nicht Teil des Buches.

Es wird versucht, zu zeigen, daß die Ideologie des New Age und die des Faschismus in zentralen Elementen identisch sind und deshalb die weiter wachsende massenweise Verbreitung des New Age eine heutige neofaschistische "Ansprache" bei den New Age-anfälligen Bevölkerungsgruppen, insbesondere der gebildeten Mittelschicht, in einer Weise begünstigt, wie es seit dem moralischen Niedergang des Faschismus aufgrund seiner Abscheu erregenden Verbrechen nicht der Fall gewesen ist. Zuvor wird die Aufnahme des New Age in rechten bis rechtsextremen Kreisen der Bundesrepublik behandelt, die ihre Chance bereits gewittert haben.

"Außerirdische legten Hausfrau in Untertasse", schreibt die BILD-Zeitung am 2.3.1989 über "die neuen Erkenntnisse des UFO-Forschers". Ein englischer Ex-Polizist gibt seine Beobachtungen preis: "Mindestens 60 UFOs habe ich in den letzten Jahren mit eigenen Augen gesehen. Und ich bin nicht so leicht reinzulegen. Bevor ich zur Polizei ging, war ich drei Jahre bei der Luftwaffe". Ein glaubwürdiger Zeuge für BILD-LeserInnen also, der ihnen über die Außerirdischen sagen kann: "Sie besitzen eindeutig eine hochentwickelte Intelligenz und könnten uns ihre Anwesenheit ohne weiteres mitteilen, wenn sie wollten. Aber sie wollen nicht".

Das Geheimnisvolle, Bedrohliche, von dem die Menschen auf unerklärliche Weise abhängig sind, das sie nicht kontrollieren können, das aber ihr Leben kontrolliert, war immer schon Teil der Stabilisierungs-Propaganda für autoritäre Herrschaftsformen. Wann hätte je geheimes Wissen, mit einem Fremdwort "Esoterik", ob in den mittelalterlichen Geheimbibliotheken der Klöster oder in den Köpfen von Schamanen, emanzipatorisch gewirkt für die, vor denen es geheim gehalten wurde! Hellseher sehen meistens dunkle Wolken, Schreckliches auf die Menschen zukommen. Angst als Herrschaftsmittel wirkt seit Jahrtausenden. Hanussen war das letzte große Beispiel, er zog in den 20er Jahren unter Hinweis auf die Herrschaft angeblich jenseitiger Kräfte Scharen des verunsicherten Bürgertums an sich, noch bevor Hitler die Angst politisch, aber nicht weniger irrational, umsetzte, unter Hinweis auf die angebliche Herrschaft eines nicht faßbaren "Weltjudentums". C.G. Jung, einer der vom New Age als Prophet akzeptierten, sah in Hitler den Medizinmann und Magier, der den "Archetypen" eines deutschvölkischen "kollektiven Unbewußten" zum Durchbruch verhelfe, und begrüßte Hitlers Kanzlerschaft euphorisch. Ein Mann, der sich "Deutschlands größter Hellseher" nennt, zog Mitte der 80er Jahre durch die Bundesrepublik; in Bonn hatten Witzbolde seinem Gesicht auf dem Plakat ein Hitler-Bärtchen aufgemalt. Eine der ersten Taten des Reichspropagandaministers Goebbels war das Verbot des Dr.Mabuse-Films: Mabuse übt im Film aus dem Hintergrund vermittels okkulter Techniken eine "totale Herrschaft des Verbrechens" aus. Diese Kino-Vision des heraufziehenden Staats-Terrors, in der unheimliche Mächte ein Chemiewerk in Brand stecken (fünf Jahre später waren es in der Wirklichkeit die Synagogen und die Brandstifter waren jeweils stadtbekannt), wollten die Nazis den Deutschen nicht zumuten.

"Katharina (15): Ich bin die Braut des Satans", schreibt die Boulevardzeitung EXPRESS am 8.6.1988 in ihrer Serie "Der neue Satanskult". Junge Menschen, SchülerInnen zumeist, würden von charismatischen Führerfiguren, durch Sex, Drogen oder Prügel zur bedingungslosen Gefolgschaft gezwungen: die Einstiegsdroge in die autoritäre Gesellschaft.
Auch wenn Ufologie und Okkultismus zum breiten Strom des New Age zählen, in diesen (Rand-) Erscheinungen liegt nicht die Hauptgefahr für die Demokratie und die Menschenrechte, die von der Ideologie eines "Neuen Zeitalters" ausgeht.
Aber New Age und Faschismus - das muß doch wohl zweierlei sein! Wie könnte "Positives Denken", das zudem noch aus dem Way of Life eines der Sieger über den Faschismus stammt, mit einer Ideologie zusammengehen, die durch beispiellose Verbrechen negativ besetzt ist! Und überhaupt: New Age greift doch auf asiatische Philosophie zurück, und in Indien lehrte bekanntlich der Pazifist Gandhi.

Den historischen faschistischen Ideologen fiel es im November 1938 leicht, sich von antijüdischen Pogromen plebejischer Straßenhorden zu distanzieren. "Das hat mein Mann nicht gewollt", so ließ sich die Witwe des NSDAP-Chefideologen Houston Stewart Chamberlain vernehmen. Ihr Mann hatte nach 1900 in hundertausendfach verkauften Bestsellern über den angeblichen Gegensatz von "indogermanischer" zu "semitischer" Weltanschauung und Kultur beim deutschen Bürgertum die geistige Basis für dessen Zuschauen zur Synagogen-Brandstiftung und für sein Schweigen zum Abtransport jüdischer Nachbarn geschaffen - und bei nicht wenigen die Grundlage ihrer Zustimmung zu alldem. Aber mit den praktischen Folgen seiner Ideologie wollte man als Intellektueller nichts zu tun haben. Das "Blut" spielte in der Ideologie faschistischer Denker zwar eine zentrale Rolle, aber doch bitte nicht an den eigenen Händen!

Den aktuellen neofaschistischen Ideologen der "Neuen Rechten" aus dem "Thule-Seminar" fällt es heute leicht, sich von Auschwitz zu distanzieren und statt auf Julius Streicher nun z.B. auf Teilhard de Chardin zu setzen, einen indophilen Apostel des New Age; er wird allenthalben zitiert, von Sigrid Hunke bis Alain de Benoist, den Köpfen der "Neuen Rechten" also, und bei Fritjof Capra sowieso (1). Wer weiß schon, daß Teilhard sich in den 30er Jahren für die Züchtung von "Übermenschen" aussprach (vgl. These 6).
"Indogermanisch", also das eigentlich "Arische", gegen "semitisch", also das den EuropäerInnen angeblich Fremde, ist nicht nur das Ausgangsthema faschistischer Ideologie, sondern auch des New Age.

1. Gleich und Gleich gesellt sich gern

"Spiritualität und Politik" ist kein neues Thema der 80er Jahre, schon gar nicht im Bezug auf rechtsextreme Politik. In den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts gab es bereits einmal eine Gründungswelle von Sekten, wie heute im breiten Strom des New Age. Neben Parapsychologie, Okkultismus und Geisterglaube, dem katholischen "Wunder" der Therese von Konnersreuth usw. traten als seriöse geistige Beschäftigungen für das damalige Groß- und Kleinbügertum neuheidnisch-naturreligiöse Ansätze, die sich z.B. auf Goethes Metaphysik oder den erst Anfang des 19. Jahrhunderts wiederentdeckten mittelalterlichen Mystiker Meister Eckehart bezogen. In der Wissenschaft begann die Indogermanenwelle, angebliche Verwandtschaften zwischen germanischen und indischen Kulturelementen aufgrund einer postulierten gemeinsamen rassischen Abstammung von einem mythischen Urvolk wurden behauptet. "Arisch" war kein Schimpfwort, sondern eine Erkenntnis. Viele dieser Sekten verstanden sich und ihren "deutschen Glauben" politisch und als Teil der völkischen Bewegung.

Die Bekämpfung des "jüdisch-materialistischen Geistes" war das Hauptziel der spirituellen Bewegung zu Beginn unseres Jahrhunderts. Der christliche Geistliche Erhard Schlund veröffentlichte 1923 eine kleine Schrift über "Neugermanisches Heidentum im heutigen Deutschland" (2), die an den Inhalten der damaligen Sekten deren Verwandtschaft zum heutigen New Age deutlich macht. So zitiert er z.B. das "Glaubensbekenntnis" der "Germanische Glaubensgemeinschaft": "Wir bekennen uns zu der Kraft des Geistes und des Lebens, die das All durchdringt und uns" (S. 51). Von der "Deutschgläubigen Gemeinschaft" zitiert Schlund als deren 5. Glaubensgrundsatz: "Ich glaube, daß es vor Gott ein Gut oder Böse nicht gibt - denn auch was wir böse nennen, weil es uns schädlich wirkt, liegt im Schöpfungswillen" (S. 45). Der Kampf gegen die Unterscheidung der ethischen Kategorien von Gut und Böse, von Leben und Tod, ist ein Hauptanliegen faschistischer Ideologie damals wie heute, z.B. auch bei Hunke, der herausragenden Religionswissenschaftlerin des Neofaschismus. Das ist rational verständlich, denn wo das Böse angeblich Teil des göttlichen Willens ist, da ist es das Handeln des SS-Schergen im KZ auch. Tatsächlich wird derartiges von völkisch-rassistischen Religionsstiftern auch offen vertreten, s.u.

Aber 1986 schreibt auch Hans E. Ulrich in seinem apologetischen New Age-Buch "Von Meister Eckardt bis Carlos Castaneda" über "Das esoterische Weltbild" (3): "Schwarz und Weiß, Gut und Böse, Hell und Dunkel sind in Wahrheit keine Gegensätze, die sich gegenseitig ausschließen. Sie bilden nur zwei Seiten einer Medaille und gehören tatsächlich zusammen". "Alles ist Eins" sei der Sinnspruch des Neuen Zeitalters, und dieses "Eins" sei der "All-Geist".
Es ist kein Zufall, daß Meister Eckehart einen Hauptbezugspunkt für Alfred Rosenbergs "Mythus des 20. Jahrunderts", des Hauptbuches im Nazi-Kirchenkampf, ebenso abgibt wie für Alain de Benoists "Heide sein" oder Fritjof Capras "Wendezeit".
Geht man heute in die Bahnhofsbuchhandlungen, dann sieht man ganz vorne, wo früher "Konkret" verkauft wurde, die Zeitschriften des New Age stehen. Der Markt für Spiritualität ist da und er wächst. Keine großstädtische Buchhandlung mehr, die nicht inzwischen eine New Age-Abteilung eingerichtet hätte. Wohl kaum aus religiöser Überzeugung, denn die Miete für Verkaufsflächen im Innenstadtbereich ist teuer.

1923 schrieb Schlund: "Jedenfalls zeigt sich nicht bloß, daß eine religiöse Welle über unser Volk hinweggeht, sondern daß viele und stärkere Kräfte am Werk sind, diese Welle aufzufangen und in das antichristliche, neugermanische Fahrwasser zu lenken. Es zeigt sich ferner, daß der religiöse Hintergrund er nationalsozialistischen und deutschvölkischen Bewegung alles andere ist als christlich oder gar katholisch" (S. 61). In den nächsten zehn Jahren sollte sich diese Bewegung in Scharen dem Nazismus anschließen.
Das sieht heute nicht anders aus.

Die Esoterik der SS

In der Bundeshauptstadt Bonn ist die größte esoterische Buchhandlung der Republik angesiedelt, die "Horus-Buchhandlung". Schon 1982 schrieb Hartmut Meyer in der alternativen Bonner Stadtzeitung "De Schnüss", was dort alles an Literatur zu finden ist:
- Hermann Wirth, der gemeinsam mit dem "Reichsführer SS" Heinrich Himmler und dem Blut-und-Boden-Fanatiker "Reichsbauernführer" Walter Darré Gründer die neuheidnische SS-Organisation "Ahnenerbe" gründete, die zum "Rasse- und Siedlungshauptamt" der SS gehörte (4); inzwischen ist Wirth zum "Schamanen" der europäischen Indianer-Bewegung aufgestiegen;
- Werner Kosbab und seine "Fachschrift für Runen-Esoterik"; Kosbab ist ansonsten bekannt aus der neofaschistischen "Volkssozialistischen Einheitsfront";
- Lanz von Liebenfels, "der Mann, der Hitler die Ideen gab", wie es in den einschlägigen Prospekten heißt.
Auch 1990 finden sich bei "Horus" die Hauptwerke der indogermanischen Rassistin Helena Petrowna Blavatsky, das Hakenkreuz stolz auf dem Buchdeckel; aus ihrer "Theosophischen Gesellschaft" speisten sich der "Germanen-Orden" und die "Thule-Gesellschaft", beides personelle und ideologische Vorläufer der NSDAP.

Nicht erst die weit rechts stehende "ganzheitlich-esoterische Partei Deutschlands" mit Namen "Neues Bewußtsein", die zur Europawahl 1989 kandidierte und "für ein besseres Volkskarma (Schicksal)" eintrat, hat deutlich gemacht, daß Spiritualität auch heute politisch sein will. Für Jörg Wichmann, früherer Mitinhaber der "Horus"-Buchhandlung und in der Szene anerkannter "Fachmann", sind die Forderungen von "Neues Bewußtsein" "ganz vernünftig" (5), lediglich den Bundessekretär Friedhelm Wegner kritisiert er, weil dieser - ganz un-karmisch - der Meinung sei, "jeder ist seines Glückes Schmied".

Bei den Grünen existiert inzwischen eine bundesweite "Arbeitsgruppe Spirituelle Wege in Wissenschaft und Politik" als rechte Abspaltung der "Bundesarbeitsgemeinschaft Christen in den Grünen", weil man eben nicht-christlich sein will. Auf dem Evangelischen Kirchentag 1989 in Berlin verteilte sie am eigenen Info-Stand auf dem "Markt der Möglichkeiten" ein Flugblatt "Erfahrungen betreffend Neue Spiritualität bzw. New Age - und Neureligiöse Bewegungen". Positiv erwähnt wird Hubertus Mynarek, Mitglied dieser Grünen-AG, mit seinem Buch "Die Vernunft des Universums" (München 1988). Das in der Reihe "New Age" im Goldmann-Taschenbuchverlag erschienene Werk informiert uns über die Verantwortung des Judentums für die Umweltverschmutzung (S. 144): "Bei den Semiten" sei "eine Verehrung Gottes in der Geschichte unter weitgehender Ausklammerung der Natur" festzustellen, während "bei den Ariern die 'Verehrung Gottes in der Natur'" durchgehend anzutreffen sei. Was Mynarek hier noch als Zitat aus der historischen völkischen Bewegung kenntlich macht (freilich ohne es zu kritisieren), akzeptiert er sogleich als seine eigene Meinung: "In der Tat hat das Alte Testament - in der semitischen Tradition stehend - trotz einiger schöner Naturschilderungen keinen eigentlichen Naturbegriff". Die angebliche "Entgöttlichung der Natur" durch das Juden- und Christentum erscheint hier, entgegen aller politisch-ökonomischen Zusammenhänge, als die eigentliche Ursache der hemmungslosen "Vernutzung" der Natur.

Nazi-Geist für Bonn

Mynarek, der als Papstkritiker mit dem Image eines Linken durch die Volkshochschulen tourt, entwarf zwei Jahre früher in seinem Hauptwerk "Ökologische Religion. Ein neues Verständnis der Natur" (1986 ebenfalls bei Goldmann München) einen antidemokratischen Gottesstaat, in dem er und seine Anhänger, die "ökoreligiösen Menschen", als die biologisch höherstehenden neuen Herrenmenschen angeblich "den nächsten Schritt der Evolution" bereits an sich selbst vollzogen hätten. Im Auftrag einer von Mynarek ausdrücklich als "politisch" verstandenen, göttlichen "Natur" schüfen sie einen neuen Staat nach den von Mynarek postulierten Bedürfnissen dieser "Gott-Natur", in dem die angeblich auf dem jüdisch-christlichen Weltbild fußenden "technokratischen" Menschen als "Irrläufer der Evolutiuon" dem biologischen Kampf ums Dasein zum Opfer fielen (S. 115, 116, 159, 171, 212). Mynarek arbeitet seit seinem Austritt aus der katholischen Kirche, deren Priester er bis 1972 war, eng mit der völkisch-rassistischen Sekte "Deutsche Unitarier Religionsgemeinschaft e.V." (DUR) zusammen, in der sich nach 1945 hohe Funktionäre des NSDAP-"Amtes Rosenberg" (das bis zum Schluß den Nazi-Kirchenkampf weiterführte), der SS und der Gestapo zusammenfanden (6). Heute versucht die DUR ihr Glück im New Age und lädt einen Häuptling der Schwarzfuß-Indianer zu ihrem Jahreskongreß ein; allerdings sahen auch schon Nazi-Ideologen im Idealbild des Indianers einen Bruder des Germanen (7). Neben Mynarek und vor allem Sigrid Hunke, die bis Ende 1988 Ehrenpräsidentin der DUR war, gelten der Gründer des rechtsextremistischen "Deutschen Kulturwerkes Europäischen Geistes" Herbert Böhme sowie die völkischen Theologen Rudolf Walbaum und Friedrich Schöll und der Führer der nazistischen "Deutschen Glaubensbewegung" Wilhelm Hauer zu den Vordenkern der DUR. Hauer hielt in den 30er Jahren unter dem Saalschutz von SA und SS antisemitische und antichristliche Massenveranstaltungen ab (8) und glaubte noch im November 1944, als Aachen bereits vom Faschismus befreit war, daß er in den Taten Adolf Hitlers "den Willen Gottes" erkennen könne. Mynarek hält in seinem Buch "Orientierung im Dasein", das 1979 im "Verlag Deutsche Unitarier" (München) erschien, Hauer für "eine der bedeutendsten Größen der Religionswissenschaft des 20. Jahrhunderts". Im "Esoterik-Almanach 1986" des dicke im New Age-Buchgeschäft steckenden Jens Dittmar vom Rossipaul-Verlag (9) (München 1986), einem Nachschlagewerk der Szene, wird Mynarek in der Rubrik "New Age" erwähnt und Hauer als "Indologe" vorgestellt, weil er angebliche "indogermanische" Gemeinsamkeiten propagierte und über indische Spiritualität publiziert hatte - aus nazistischer Sicht nach einer Indienreise in den 20er Jahren. In der Zeitung "Die Grünen" kann sich Mynarek über eine ganze Seite zur "natürlichen Religion" auslassen, die er - wie der Rassist Hauer - im Menschen als biologisch verankert sieht; areligiöse Menschen wären demnach erbkrank, ein interessantes neues Feld für die Eugenik. Die Zeitschrift "Das Neue Zeitalter - Das erste Magazin für ganzheitliches Denken", die an den meisten Bahnhofskiosken zu haben ist, führt Mynarek im April 1990 als ständigen Mitarbeiter. Die Zeitschrift "esotera" aus dem größten deutschen New Age-Verlag, dem Freiburger Verlag Hermann Bauer (in dem Werner Kosbab sein "Runenorakel" veröffentlichte), brachte 1988 eine Titelgeschichte "Ein neuer Geist für Bonn. Politik der Zukunft ist spirituell" (10), in der Mynarek meint: "Spiritualität ist die Seele der Politik" (S.25). Die ehemalige Bundestagsabgeordnete der Grünen und Führerin der "Spiritualisten bei den Grünen" Karin Zeitler schreibt in demselben Heft ganz ungeniert: "Sich nicht verleugnen: Der Gemeinschaftsgedanke der 20er und 30er Jahre, auch der Kommunegedanke der 60er und 70er Jahre, haben mit ihren Vorhaben, den Menschen als Ganzes zu sehen, Politisches mit Privatem zu verbinden und politische Ideen zuallererst bei sich selbst umzusetzen, die richtige Richtung schon gezeigt" (S. 23). In der Tat, für die Juden Europas verband der "Gemeinschaftsgedanke der 30er Jahre" sehr intensiv "Politisches mit Privatem"!

Im Juli 1990 wollte die neue rotgrüne Umweltministerin Niedersachsens, Monika Griefahn, bei einem von der nazistischen DUR-Sekte organisierten Kongreß eine Festrede zu halten. Griefahn hatte schon im Vorjahr, noch als Greenpeace-Aktivistin, ihre Teilnahme an diesem 27. Weltkongreß der "International Association for Religious Freedom" zugesagt, einem auf der New Age-Welle reitenden Zusammenschluß auch "indogermanischer" Sekten. Auf Vorläuferkongressen hatten vor 1933 bereits Hauer und der DUR-Gründer Walbaum gesprochen. Die frisch gebackene Ministerin, die in den 80er Jahren trotz der Proteste von AntifaschistInnen bei mehreren DUR-Seminaren als umweltpolitische Referentin angekündigt war und Duzfreundin der DUR-Spitze ist, wollte ihren politischen Gegnern keine Blöße geben und sagte ihre Teilnahme im letzten Augenblick dann doch wieder ab.

Sich nicht verleugnen: Blumen für Hitler

Derartige Beispiele lassen sich zu Hunderten allein aus den 80er Jahren finden, vom nationalrevolutionären Verlag Heitz und Höffkes, der eine Reihe "Esoterik und Urweistum" führt und darin z. B. Lanz von Liebenfels neu herausbringt, bis zu den Externsteinen im Teutoburger Wald, der zentralen kontinental-europäischen neuheidnischen Kultstätte, an er sich zur Sonnwendfeier Neonazis und New Ager bei der Meditation treffen; daß sich historisch an diesem Naturdenkmal gar keine alte heidnische, wohl aber eine christliche Tradition nachweisen läßt, stört weder die einen noch die anderen, heute wird Geschichte gemacht. Gleich neben den Externsteinen hat sich die Buchhandlung Burkhart Weecke niedergelassen, hier kann man Fotos von Sonnenwenden an dem Naturdenkmal kaufen. Weecke hat auch die Chefredaktion der neurechten "Thule-Seminar"-Zeitschrift "elemente" inne; hier schreiben seit 1986 Alain de Benoist, Sigrid Hunke oder Pierre Krebs über "die Neue Kultur Europas", "Unser inneres Reich" oder "die Welt der Indoeuropäer".

In dem New Age-nahen, recht unübersichtlichen, aber detailreichen Buch "Mutter Erde, Magie und Politik. Zwischen Faschismus und neuer Gesellschaft" von Eduard Gugenberger und Roman Schweidlenka (Wien 1987) wurden eine Reihe anderer, ebenso erschreckender Vorfälle eines Zusammengehens von New Agern und Faschisten kritisch aufgezeigt. Doch insbesondere die Vorgänge um die sehr weit in der etablierten bundesrepublikanischen Gesellschaft verankerten Sekte der "Deutschen Unitarier", die es sich genau auf dem Schnittpunkt von Faschismus, New Age und Establishment sehr bequem eingerichtet hat, fehlen leider ganz.

Es kann hier auf ein für dieses Cross-over von Faschismus und New Age bedeutsames Buch wie das des "Deutschen Unitariers" und Grünen-Mitglieds Holger Schleipp "Zurück zur Natur-Religion?" (Hermann Bauer Verlag Freiburg 1986; das Buch wird vom neurechten "Thule-Seminar" empfohlen, vgl. Krebs 1988, S. 374) nicht weiter eingegangen werden, obwohl es mit Beiträgen von Mynarek, den Nationalrevolutionären Henning Eichberg und Peter Bahn, dem Alt- und Neonazi Werner Georg Haverbeck (11) sowie christlichen oder islamischen Annäherungen an Naturreligion über eine Vermittlung der Weltanschauungen zu einer Gleichberechtigung faschistischer Grundpositionen kommen will.

Es sollen aber noch zwei Beispiele angeführt werden, die für das Thema bedeutsam sind.
Als der Hippie-Kultpoet Leonard Cohen seinen Gedichtband "Blumen für Hitler" herausbrachte, war Flower-Power-Zeit und im Musical "Hair" wurde das "Wassermann-Zeitalter" weltweit bekannt gemacht; niemand dachte daran, daß der Zeitgenosse Rainer Langhans, damals "APO-Politclown" im Generationskonflikt mit den Nazi-Eltern der damaligen StudentInnen, gut eineinhalb Jahrzehnte später und inzwischen zeitgemäß zu einem deutschen Guru des New Age gewandelt, in der Zeitung der Erben der 68er-Bewegung, der taz, am 12.4.1989 erklären würde: "Spiritualität in Deutschland heißt Hitler. Und erst wenn Du da ein Stück weiter bist, kannst Du jenseits davon kommen, bis dahin aber mußt Du das Erbe übernehmen. Wir haben keine Chance: Wir müssen dieses Erbe von unseren Eltern übernehmen, nicht im Sinne dieses braven, ausgrenzenden Antifaschismus, sondern im Sinne einer Weiterentwicklung dessen, was da von Hitler versucht wurde...Wir müssen sozusagen die besseren Faschisten werden - die man dann als solche nicht mehr bezeichnen kann - statt diesen ängstlichen, ewig-gestrigen Faschismus als einzigen Sachwalter dieser Utopiebedürfnisse den Neonazis zu überlassen". Im Februar 1990 erscheint in der Baghwan-nahen New Age-Zeitschrift "Connection" eine ganzseitige Anzeige für eine Veranstaltung "Deutsch-deutsche Visionssuche", die mit (allerdings weniger verfänglichen!) Passagen aus dem Langhans-taz-Interview für eine Podiumsdiskussion wirbt: Langhans und der wieder in der DDR missionierende Rudolf Bahro wurden als Streitpartner von Christa Wolf, Bärbel Bohlei u.a. angekündigt, die Moderation hat Eva Quistorp, Europaabgeordnete der Grünen, ehemals im Grunen-Bundesvorstand und in den 80er Jahren durch Solidarität mit Nationalrevolutionären aufgefallen (12).

Bahro hatte schon in seiner "Logik der Rettung" (13) geschrieben: "Ich halte die Frage nach dem Positiven, das vielleicht in der Nazibewegung verlarvt war und dann immer gründlicher pervertiert wurde, für eine aufklärerische Notwendigkeit, weil wir sonst von Wurzeln abgeschnitten bleiben, aus denen jetzt Rettendes erwachsen könnte. Antifaschismus, der nichts weiter als Gefahrenabwehr ist, bedeutet vor allem, uns von dem größeren Teil des Potentials abzusperren".

Deutsche Bäume, deutscher Wald, deutscher Geist

Alles nur einflußlose Spinner? Im Mai 1988 findet in Hannover einer der größten New Age-Kongresse der Bundesrepublik statt: "Geist und Natur", von der Industrie gesponsert, die Schrimherrschaft hat Ministerpräsident Ernst Albrecht. Der spricht über die ökologische Krise und das Ozon-Loch, die taz begrüßt seine Ausführungen in einem langen Hintergrundbericht und läßt sich selbst über "die Welt als Ganzes" aus, die nicht erst von der Quantenphysik so "ganzheitlich" gesehen werde, sondern bereits in "der östlichen Philosophie" und der "abendländischen Mystik", Meister Eckehart. Die indogermanische Connection ist endlich zur Hannover-Messe zurückgekehrt.

Im August 1989 schreibt die schon mehrmals fast zur Bundesministerin berufene Industrieberaterin Gertrud Höhler in der vom ehemaligen NPD-Bundestagskandidaten Bernhard C. Wintzek herausgegebenen neofaschistischen Zeitschrift "MUT" über "Bäume - Sinnbilder des Lebens, I. Teil: Indianerbäume". Der Indianerhäuptling Seattle hat es ihr angetan und seine Rede, die als ein Manifest des New Age gilt: "Zurückhören nach gestern und vorgestern" (S. 59). Höhler breitet hier das ökonomische Programm der vom deutschen Kapital geführten EG als Verwirklichung des New Age aus und liegt damit auf der Linie der "Neuen Rechten", worauf in der 9. These näher eingegangen wird. Spiritualität als Basis des Imperialismus ist nichts neues: Auch Lagardes Forderungen nach der deutschen Kolonisierung Südosteuropas, wenn erst einmal das "wahre" deutsche Reich geschaffen sei, ließen sich in zwei Weltkriegen sehr gut als geistiger Überbau nutzen. Bereits in ihrem 1988 erschienen Buch "Offener Horizont. Junge Strategien verändern die Welt", das auch positive Erwähnung in der Zeitschrift der "Deutschen Unitariern" findet (Nr. 1/1990 der "unitarischen blätter", S. 40 f), schaffte Höhler problemlos die Synthese von Kapitalinteresse und New Age, nicht ohne schon im Titel auch an den Jugend-Kult der Konservativen Revolutionäre der 20er Jahre anzuknüpfen (14), an die unmittelbaren geistigen Vorbereiter der Nazi-Herrschaft also (15). Höhler Buch von 1985 "Die Bäume des Lebens - Baumsymbole in den Kulturen der Menschheit" zählt für "MUT" "zweifellos zu ihren beeindruckendsten Publikationen" (S. 52). Bäume als Symbole für Politisches werden uns auch noch in der 5. und 9. These begegnen.

Schon im März 1989 hat "MUT" das Thema New Age ausführlich behandelt. Der Psychologie-Professor Ernst Plaum stellt das "neue Weltbild" dar und Teilhard de Chardin als dessen "bedeutsamen Gewährsmann" (S. 43). Er fordert allerdings die Auseinandersetzung mit dieser bunten Zeiterscheinung: "Allzuvieles wirkt phantastisch und absurd" (S.  43). Er fordert die Rückbesinnung auf die europäischen Wurzeln des "neuen Weltbildes": Nikolaus von Kues, Spinoza, die romantische Naturphilosophie, Othmar Spann oder die nazistische "Leipziger Schule" der "Ganzheitspsychologie". Plaum kommt hier zu dem Punkt, an dem Sigrid Hunke schon seit zwei Jahrzehnten ist: eine Ahnengalerie angeblich "arischer" Religiösität. In ihrem neuesten Buch "Vom Untergang des Abendlandes zum Aufgang Europas. Bewußtseinswandel und Zukunftsperspektiven" (Rosenheim 1989) reklamiert Hunke die geistesgeschichtliche Grundlage des Faschismus als die authentische Basis des "neuen Zeitalters", die "im krassen Gegensatz zu dem bunt schillernden Supercocktail der amerikanischen New-Age-Ideologie" stehe, wie es im Klappentext heißt. Der New Age-Verlag "Horizonte", in dem Hunkes Buch Seit an Seit mit Gorbatschows "Meine Vision. Worte, die die Welt bewegen" erscheint, erwähnt zwar, daß Hunke "Schillerpreisträgerin 1985" ist, nicht aber, daß der "Schillerpreis" von dem im Verfassungsschutzbericht als rechtsextremistisch eingestuften "Deutschen Kulturwerk Europäischen Geistes" verliehen wird.

Die Behauptung, daß die Ideologie des New Age demokratiegefährdend ist, weil sie in den Köpfen der Menschen die Voraussetzung für ein Akzeptieren autoritär-antidemokratischer Konzeptionen schafft, den geistigen Boden für neofaschistische "Ansprache" bereitet, bedarf zur Begründung mehr als nur einer Aufzählung von solchem Gesellen des Gleich und Gleich. Wenn man sich nicht mit der falschen Vorstellung von "Mißbrauch" und "Gebrauch" "an sich richtiger" Ideen zufrieden geben will, muß die Frage nach den Grundlagen der hier vorgestellten Oberflächen-Gemeinsamkeiten beantwortet werden. Das kann hier nur thesenhaft versucht werden.

2. Derselbe Ausgangspunkt: Romantizistische Zivilisationskritik

Das Beklagen und eifrige Diagnostizieren eines angeblichen Niederganges der bestehenden Welt ist nicht nur bei Hellsehern die Geschäftsgrundlage, sondern gewissermaßen der Ausgangspunkt für die angebliche Notwendigkeit eines die Natur schützenden New Age schlechthin.

Einer der Urväter der deutschen völkischen Bewegung, Paul de Lagarde, der hier beispielhaft angeführt ist, tat in der Blütezeit der Frühindustrialisierung nichts anderes, als diesen "Niedergang" zu beklagen. Ohne Zweifel gab es im Frühkapitalismus und während der ersten großen Wirtschaftskrise in Deutschland, dem "Gründerkrach" der 70er Jahre, Mißstände jeder Art. Für die Unbill der damaligen Zeit: Massenelend mit "Sittenverfall" (Diebstahl, Prostitution, Alkoholismus) in der größten Klasse der Gesellschaft (die von Ideologen wie Lagarde nicht als "Gesellschaft", sondern als "Volksgemeinschaft" verstanden wurde), Abbröckeln der inneren Bindungen an die Autoritäten von christlichen Kirchen und Staat, Hinwendung von relevanten Gesellschaftsteilen zum Sozialismus, bereits feststellbare Umweltauswirkungen ungezügelter Industriealisierung, "Sittenverfall" auch bei den Herrschenden (als "ausschweifendes Leben" im Fin de Ciècle) usw., für all dies machten Lagarde und andere die "Fremdheit" der bis dato vorherrschenden Spiritualität verantwortlich: Das Christentum der Großkirchen hatte seine Quelle eben in Kleinasien, nicht in Europa. Es war nicht nur jüdischen Ursprungs, sondern auch noch mit Gewalt den Nord- und MitteleuropäerInnen aufgezwungen worden, als der - so sehen es die Alt- und Neofaschisten - durch römisch-jüdische Priesterherrschaft gekrönte Franke die Irminsul fällen ließ. Das konnte nach Meinung der frühen völkischen Ideologen nicht gutgehen, von solch "fremdem" Geistigen mußten die Deutschen ja ab- und in den Abgrund fallen, haltlos im Innern, weil geistig-spirituell wurzellos. Die Phänomene der modernen Gesellschaft, die hier meist negativ gewertet werden, sind dieser Ansicht nach die Folge der "Entfremdung vom Eigenen" und "Entwurzelung" aus dem eigenen geistigen Boden der "Keltogermanen" (Chamberlain) und einer Hinwendung zum "fremden" Jüdischen (16). Bei H. St. Chamberlain ist "Rom" gleichbedeutend mit kulturellem Niedergang aufgrund von Rassenmischung, ein "Völkerchaos" sei die ausgehende Antike insbesondere, seit sich die Juden, aus Palästina vertrieben, überall in Europa festgesetzt hätten; die angeblich am Sitten- und Kulturverfall sterbende erste große Zivilisationsperiode Europas wird bei ihm von der Epoche der sittlich und rassisch festen Germanen abgelöst, die allerdings bald, durch das "Weltjudentum" begünstigt, unter die Herrschaft der römischen Kirche geraten seien. In der Trivialliteratur der Jahrhundertwende und der vorfaschistischen Zeit, die Jost Hermand (17) analysierte, hat die Forderung nach einer zweiten Befreiung Deutschlands von "Rom", diesmal vom jüdisch-katholischen, und von der Überfremdung durch "Welsches" (dem angeblich aus einem jüdisch bestimmten "Westen" kommenden Liberalismus und Sozialismus) eine zentrale Position. Der Begriff "Rom" als Bezeichnung für das Objekt des anti-modernistischen Ressentiments findet sich in den 20er Jahren bereits bei dem Vater der Nationalrevolutionäre, Ernst Niekisch, und seinem "Widerstand" gegen alles "Welsche" (18). Bisweilen, insbesondere bei der französischen "Nouvelle Droite" der 70er/80er Jahre, wird diese neue "geistige Kolonialmacht Rom" gleich unter dem Begriff "Judaochristentum" zusammengefaßt. "Entkolonialisierung Europas" ist auch das Stichwort des nationalrevolutionären Flügels der "Neuen Rechten", z.B. bei dem heutigen Kelten-Mystiker Henning Eichberg (19), der den politischen Kampf gegen das "Jalta-System", der Spaltung Europas, mit dem kulturellen Kampf gegen eine die Europäer "entfremdende Wodka-Cola-Kultur" verbindet. Die Diffusion dieser neofaschistischen Nationalrevolutionäre um Eichberg in die zivilisationskritische Ökobewegung war bereits in deren Anfängen, der Anti-AKW-Bewegung in Wyhl z.B., zu erkennen; Eichberg selbst stellt sie am Beispiel spirituell beeinflußter Protestaktionen im Rahmen der Startbahn-West-Kampagne dar (20): die "sanfte Gegenkultur" sei die eine Erbin des "Kampfes zweier Kulturen: Rom gegen den Norden" (S. 27), der "westlich-christliche Show down" (S. 35) des "Atomstaates" der andere Erbe. Wie Hunke oder Benoist, historisch Lagarde oder Chamberlain, so findet auch Eichberg die Gründe für negative Auswirkungen der industriellen Zivilisation letztlich (trotz "Jalta") in der jüdisch-christlichen Weltanschauung: "Offenbarungsreligion, Priesterhierarchie und Heiliges Buch" (S. 42). Bei H. St. Chamberlain 1899, bei Sigrid Hunke 1969 oder bei Alain de Benoist 1988 (21) wird die Geschichte der römischen Kirche als Versuch eines getarnten Judentums dargestellt, auf neuem Wege die Weltherrschaft über die anderen Völker zu erlangen; über Christen-Mission, Liberalismus und Sozialismus bemächtige es sich nicht nur der Köpfe der "fremden" Völker und verwirre sie, sondern sei - man sehe es ja von den 1.Mai-Demonstrationen damals bis zum Ozonloch heute - auch für die negativen Folgen der Industriegesellschaft letztlich verantwortlich. "Das utilitaristische Nichts, das leere Leben mit Fabriken drin", so Chamberlain in seinem wenig bekannten "Kant"-Buch, sei "die uns bedrohende Zukunft" (22). Ein besonders deutliches Beispiel ist Hunkes Buch "Das Ende des Zwiespalts" (23), in dem schon in den Kapitelüberschriften die "Verzweiflung der Jugend", "Flucht in Drogenrausch und Gewalt", "kranke Gesellschaft, krankes Bewußtsein", "totale Sinnkrise", "Ungehorsam", "Besessenheit am Sex" usw. beklagt werden und als "der Krisenherd" schließlich der "griechisch-christliche Dualismus", also die angebliche Entgegensetzung von Geist und Natur, ausgemacht wird: "Ursache aller Übel, an denen wir heute leiden, ist das uns fremde dualistische Ideensystem" (S. 101). "Vom freien Sachsen zum weinenden Knecht", so faßt Hunke (24) die psychisch angeblich desolate Verfassung der Mittel- und Nordeuropäer seit der christlichen Missionierung zusammen.

Der angebliche "Verfall geistiger Werte" ist heute wieder ebenso in aller Munde wie "Sittenverfall" oder "Naturvernutzung", Verfall von Gesundheit, Psyche, Bildung, all den angeblichen Folgen angeblich "geistiger Entfremdung" durch die materialistisch orientierte Kultur der Moderne und ihre Grundlage, die industrielle Gesellschaft. Den "weinenden Knecht" sieht die Psycho-Boom-Fraktion des New Age heute beim Therapeuten sitzen. Das Christentum, die bisher vorherrschende Spiritualität, wird von New Agern als abgehalftert dargestellt, es könne weder geistige Bindung noch Sinn vermitteln, schließlich seien die Kirchen ja auch schon seit Jahren leer. Der Kampf gegen die christlichen Großkirchen erfolgt durch die in der Öffentlichkeit noch relativ schwachen New Age-Sekten ganz einfach über die Abschöpfung eines Großteils des Potentials an religiösen Menschen, aber auch durch offensive ideologische Auseinandersetzung mit dem Christentum und dem Judentum in Form eines neuerlichen "Kirchenkampfes". Geschickter geht vor, wer innerhalb der christlichen Kirchen, besonders zu beobachten im Protestantismus, auf der New Age-Schiene agitiert; Protestanten waren auch historisch, in der Zeit der deutschgläubigen Bewegung, anfällig für diese Ideologie. Jüdisch-christliche Tradition wird heute verbreitet z.B. für die ökologische Krise oder das Patriarchat verantwortlich gemacht, so auch in Capras "Wendezeit": "Die Anschauung, daß der Mann die Natur und die Frau beherrschen solle, und der Glaube an die überlegene Rolle der Vernunft wurden gestützt und ermutigt von der jüdisch-christlichen Tradition, die dem Bilde eines männlichen Gottes, der Personifizierung der höchsten Vernunft und Quelle allerhöchster Macht, huldigt, eines Gottes, der die Welt von oben regiert, indem er ihr sein göttliches Gesetz auferlegt" (S. 38 f). Der "Sündenbock", eine Einrichtung jüdischer Religiösität, wird umgedreht: die Sünden werden dem Bock "Judentum" aufgeladen, dieses sodann in die Wüste gejagt. Allgemein ist es die als ursprünglich vom Judentum herrührend gesehene Trennung von jenseitig-geistigem Gott und diesseitig-materieller Natur/Erde, dieser "Dualismus" (wie es bei Hunke, Eichberg, Mynarek oder Capra heißt), der für den Verfall von Natur/Erde verantwortlich gemacht wird: Die Entgöttlichung der Natur habe zur Vernutzung der Natur geführt, das biblische "Macht Euch die Erde untertan" wird allenthalben im New Age kritisiert (und erst von daher kommend neuerdings in New Age-nahen christlichen Gruppen, die durch Anpassung versuchen, an Gläubigen-Potential für die christlichen Großkirchen zu retten, was noch zu retten ist). Der "technisch-utilitaristische Mensch", der Natur und Erde "vernutzt", gehört zu den Lieblings-Haßobjekten Mynareks.

"Rom" als Synonym für alles Abzulehnende findet sich bei Bahro neben dem Begriff der "Megamaschine". Der Apokalyptiker Bahro, der bereits überall das Ende "sieht", beklagt die "extreme europäische Konfrontation von Intellekt und Körper, Mensch und Erde, damit auch männlicher und weiblicher Seele" (S.462), den "Dualismus" eben.

Die "Krise der Moderne" wird in der Beilage zur regierungsamtlichen Wochenzeitung "Das Parlament", "Aus Politik und Zeitgeschichte" (25), vom New Age-Publizisten Christoph Schorsch als "Entstehungsbedingung der New Age-Bewegung" diagnostiziert, das alte Thema seit der deutschen Romantischen Bewegung gegen die Französische Revolution also. "New Age steht in der Kontinuität einer bald 150jährigen Protestbewegung gegen die Moderne", meint dort Reinhart Hummel, der es wissen muß: die von ihm geleitete "Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen" gab 1989 ein positives Buch über die schon erwähnte Nazi-Sekte "Deutsche Unitarier Religionsgemeinschaft" heraus, in dem den LeserInnen der Antisemitismus als ganz normale Weltanschauung erscheint, die man eben als zivilisationskritischer, spirituell heimatbewußter Mitteleuropäer haben kann.

3. Dieselbe Lösung: Respiritualisierung

Lagarde und andere hatten es sich im letzten Viertel des 19. Jahrunderts zum Ziel gesetzt, mit einer neuen "Germanischen Religion" den geistigen Unterbau eines deutschen Kaiserreiches zu schaffen. Während die ArbeiterInnenbewegung auf die Veränderung der materiellen Verhältnisse setzte, auf Revolution und hernach ein besseres Leben, hatten die konservativen Ideologen anderes im Sinn: Nur nichts am Diesseits ändern!, das kam den Herrschenden gelegen. "Beseelung" hieß Lagardes romantizistisches Programm gegen die Krisen des Frühkapitalismus, die er allgemein von der Vorherrschaft des "jüdischen Materialismus" verursacht sah, war er nun "liberalistisch" als die Ideologie der herrschenden Klasse der "Rothschilds" oder "sozialistisch" als der Versuch einer Erreichung des besseren Lebens für alle auf Erden mit Hilfe der Schriften des Juden Karl Marx, einerlei. Wir finden hierzu eine Übersicht in George Mosses Buch "Ein Volk Ein Reich Ein Führer. Die völkischen Ursprünge des Nationalsozialismus" (Königstein 1979), der insbesondere auch auf den "germanischen Glauben" eingeht. Die Erschaffung eines neuen "inneren Reiches" sollte die für Lagarde notwendige Voraussetzung zur Entstehung eines neuen, zweiten "Deutschen Kaiserreiches" werden, das im Gegensatz zum wilhelminischen weder rote Fahnen noch die Rauchfahnen der Industrieschlote kennen dürfte. Selbstverständlich stand er damit ebenso im Gegensatz zur realen politischen Ökonomie seiner Zeit wie die spätere Blut-und-Boden-tümelnde Ideologie des Nazimus zu der realen Modernisierungspolitik des durch Hitlers Terror gestützten deutschen Kapitals. Eingebundenwerden heißt ja nicht, selbst Macht zu haben.

Zuerst sollte dieses "Beseelungsprogramm" noch durch die Reinigung des Christentums von allem Jüdischen, durch den "arischen Christus", erreicht werden (so auch bei Chamberlain); später wurde es germanentümlich und neuheidnisch.

Die Partei "Die Republikaner" nannte in ihrem alten Parteiprogramm Paul de Lagarde, einen von den Nazis als Vordenker akzeptierten Begründer völkisch-spiritueller Weltsicht, als Vorbild der Jugend. Sie hat in ihr neues Parteiprogramm 1990 den meist überlesenen Abschnitt "Kirche und Religion" aufgenommen, in dem "die innere Erneuerung unseres Volkes" gefordert wird, weil "die moralischen Abwehrkräfte unserer europäischen Kultur nahezu erschöpft sind". 120 Jahre seit Lagardes "über das verhältnis des deutschen staates zu theologie, kirche und religion" (26; Göttingen 1873) sind offenbar sehr kurz.

Eichberg will, schon im direkten Übergang zur New Age-Bewegung, mit den "alten Göttern" die neuen Probleme lösen und setzt auf "Religion als soziale Sinnlichkeit" (1987, S. 203); "altdeutsches Heidentum und Gesellschaftskritik griffen ineinander" (1984, S. 22), die "neualten Mythen" seien "subversiv und gegenkulturell" (S. 36).

Hunke sieht bereits vor der massenhaften Verwendung des Begriffes "New Age" im "Bewußtseinswandel" die Lösung, in der "Heilung vom Materialismus" (1969, S. 500) und der Hinwendung zur "Religion der Zukunft" (S. 501). Noch nennt sie es "Europas andere Religion", inhaltlich ist ihr Konzept von Spiritualität identisch mit dem des New Age. Sie propagiert das Programm des "Neuen Zeitalters" bereits 1971 als schlichte Modernisierung der Ideen Lagardes und Chamberlains: "Zum Felddenken" (1971, S. 103) hin will sie, zwanzig Jahre später, 1989, fordert sie die "Denkwende zum Ganzheits-Denken" durch "Europas eigene Religion", die des "amerikanischen Supermarktes New Age" gar nicht bedürfe, da sie originärer sei; statt des weiteren "Untergang des Abendlandes" werde dann der "Aufgang eines europäischen Europas" als Lösung "aller Übel" kommen (27).

Pierre Krebs, Leiter des neurechten Kasseler "Thule-Seminars", knüpft in der ersten Ausgabe der Zeitschrift "elemente" direkt an Lagardes Beseelungs-Forderungen an: "Unser inneres Reich" nennt er plagiierend seinen Beitrag und triumphiert: "Deutschland ist, ohne es eigentlich zu wissen,...zu den alten Göttern zurückgekehrt" (28), die von Heidegger diagnostizierte "Verfinsterung" ("die Flucht der Götter, die Zerstörung der Erde, die Vermassung des Menschen, der Vorrang des Mittelmäßigen", S. 6) beginne sich als "inneres Reich" bereits aufzuhellen, als "die Identität des neuen Deutschland. Diese Identität ist imperial" (!; S. 8). Deutschland werde nicht untergehen, sondern über die Respiritualisierung zum "Epizentrum unseres Kontinents" (S. 6) werden.

Benoist fordert "zu einem neuen Anfang" Europas eine Rückkehr zum Heidnischen und der französische Neofaschist Guillaume Faye (29) schreibt recht offen über den wahren Hintersinn der Spiritualität im Kampf gegen "die Zivilisation des jüdisch-christianisierten Westens": "Warum ein Mythos? Weil zu einer Zeit, wo alles Gedachte von jüdisch-christlichen und egalitären Werten geprägt ist, die surhumanistiche (30) Botschaft der neuen europäischen Identität - will sie die Geister nicht erschrecken - in einer irrationalen und verschlüsselten Form dargelegt werden muß, die mehr die Sensibilität als den Intellekt anspricht...Das surhumanistische Projekt wendet sich an all diejenigen, die die heidnische Weltanschauung - häufig ohne es zu wissen - in sich tragen und die zahlreicher als angenommen sind, da der Schatten der Götter immer noch vorhanden ist, die alten Pantheons immer noch fruchtbar und imstande sind, junge Götter ins Leben zu rufen. Wie Meister Eckhart es formulierte, ist ein solcher Diskurs für diejenigen gemacht, die ihn bereits in ihrem Herzen als ihre eigene Wahrheit tragen...Erst wenn Europa den Sinn für das Heilige und die Schicksalsgemeinschaft wiederentdeckt, wird es sich regenerieren", dazu diene die "mythische Spiritualität".

Gertrud Höhler, New Age-Spezialistin im Dienste des deutschen Kapitals, hatte bereits 1982 bei einem "Gespräch über Technik und Glück" (31) gegen Hermann Lübbe eingewandt: "Er sagt: 'Wir müssen die richtigen Argumente liefern, dann klappt das'. Das ist sicherlich nicht richtig, das geht nicht ohne Umweg" (S. 19); dieser Umweg sei das "Zusammenwirken von Gefühl und Intellekt,...d.h., sie müssen einfach die 'Intelligenz der Gefühle' oder aber die Macht der Emotion einbeziehen, wie das jeder Politiker tut" (S. 38 f).

"Alles muß im neuen Zeitalter - dem Wassermannzeitalter - spirituell durchdrungen werden, und zwar ohne Ausnahme, d.h. auch die Politik", heißt es in einem Informationsblatt "bewußter denken" der Partei "Neues Bewußtsein" vom Januar 1989, denn "durch die spirituelle Entwicklung werden die Probleme gelöst". "Wir wollen ein spirituell erweitertes Politikverständnis anregen und durch spirituelle Wege und Methoden neue Lösungsmöglichkeiten entwickeln", heißt es auf einem Flugblatt der "Grünen Arbeitsgruppe Spirituelle Wege in Wissenschaft und Politik", "so daß Mensch, Erde und Natur wieder in einem spirituellen Verständnis gesehen werden und dieses sozial umsetztbar wird". "Ich wurde zu einer spirituellen Politikerin", bekennt die ehemalige Grünen-Bundestagsabgeordnete Karin Zeitler in der Zeitschrift "esotera" (32; S. 20), "Entwurzelung" führe zu "Lebensangst und Lebensunlust", dagegen ist für Zeitler "eine spirituelle Lebenseinstellung die Voraussetzung dafür, daß unsere moderne, materielle, kranke Welt wieder zu einem Gesunden, ausgeglichenen Zustand findet" (S. 22). New Age-Guru Bahro schrieb seine "Logik der Rettung" in der "Absicht, Spiritualität und Politik zu verbinden" (S. 21) und den "Kontakt zu den zahllosen spirituellen Rinnsalen" (S. 18) aufzunehmen. Er bietet sowohl Teilhard de Chardin als auch Heidegger als "Retter" an. Seinen "Ökologischen Rat", der sehr als eine passende Machtinstitution für die Mynarekschen "ökoreligiösen Menschen" erscheint, versteht Bahro "vor allem eine spirituell-politische Instanz" (S. 493).

Der ehemalige katholische Theologe Hubertus Mynarek, bis 1972 Pro-Dekan der Katholischen Fakultät der Universität Wien, hält "das Numinose", das Heilige, in dem "selbst ja der Begriff des Heilen und Heilens mitschwingt" (1988, S. 31) für die zentrale Kategorie und ihr Fehlen in der modernen Welt für das Grundübel: "heile" Welt statt "kranke" Welt. "Ökologische Religion heißt, das Absolute in der Natur (und ihren wunderbaren Lebensgesetzen) zu verehren; das Göttliche als greifbar kosmisches Phänomen sichtbar zu machen" (1986, S. 171). Selbstverständlich muß auch bei ihm der Häuptling Seattle wieder seine Rede halten.

"Das Gedankengebäude des neuen Systemansatzes wird in keiner Weise eingeengt, wenn man diesen kosmischen Geist mit der traditionellen Vorstellung von Gott assoziiert", sagt Capra (1986, S. 324)

4. Dasselbe Feindbild: Das "mechanistisches Weltbild"

Von Lagarde über Chamberlain bis Capra wird das "mechanistische Weltbild" angeprangert. Es sei "atomistisch", vereinzele und vermasse zugleich, Natur wie Gesellschaft; es teile alles in lauter kleine Gleiche auf, wodurch sich jede Struktur auflöse, erst recht die "natürliche". Das ist ein massiver Angriff auf das demokratische Prinzip und auch so gemeint.

"Eine geistlose Natur und ein unnatürlicher Geist" sind nach Lagarde (1873, S. 22 f) die Folge des falschen, materialistischen Weltbildes. Es gebe nur Verschiedenheit zwischen den Menschen und den Völkern, niemals Gleichheit. Lagarde versteht den von ihm abgelehnten "Unstaat", das System bürgerlicher Gesetzesvorschriften, dem die Innerlichkeit fehle, mit Novalis als "Maschine". Die demokratische Gesellschaft sei nicht mehr als eine Aggregation von Vereinzelten, könne niemals zur Gemeinschaft wachsen; für ihn ist sie "Stimmviehgetriebe" (33).

Julius Langbehn, der mit seinem Buch "Rembrandt als Erzieher" (45. Auflage, Leipzig 1900) ähnlich erfolgreich wirkte wie Lagarde und als ein weiterer Urvater der deutschen völkischen Bewegung gilt, lehnte die Naturwissenschaft und ihre Methoden wegen mangelnder "Innerlichkeit" ab. Er sprach sich gegen die induktive Erkenntnismethode der Naturwissenschaft aus, dagegen für intuitives Erfassen. Darwin z.B. habe nur "Bausteine, kein Gebäude" geliefert. Kritik an der "Zersetzung durch Amerikanisierung" wird am Ende des 19. Jahrhunderts in dieser Szene Mode (34).

Der spätere Chefideologe der NSDAP, Houston Stewart Chamberlain, verfaßte sowohl in seinen "Grundlagen des 19. Jahrhunderts" (1899) als auch in den weniger bekannten Schriften "Immanuel Kant", "Goethe" (1912) und "Natur und Leben" (35) (posthum 1928) eine Kritik des "mechanistischen Denkens", von der Capra und alle, die bei ihm abschreiben, etliches lernen könnten. "Das Leben ist keine Maschine", überschreibt Chamberlain (1928, S.29) ein Kapitel. "Keines hat so mächtige Werkzeuge zur Verblödung und Vergewaltigung unzähliger Menschen erfunden wie das Jahrhundert der Presse und der Maschine" (1921, S. 717). Der "Atomismus" löse "jede Gestalt auf" (S. 325). Zwar hätten Descartes und Locke es noch nicht verstanden, "Natur in sich, sich in Natur zu hegen" (Grundlagen, 1909, S.1098) und hätten sich "außerhalb der Natur (gestellt), wie die Theologen, und meinten, sie könnten sie von dort aus betrachten und begreifen" hätten hierdurch nur eine "künstliche Scheidung des Selbst in zwei Teile" bewirkt (ebd., S. 1099); dies seien "fremde Beimengungen" (S. 1101), von denen "unsere junge, werdende Weltanschauung" gereinigt werden müsse (S. 1100), denn: "Es ist nicht alles in der Natur mechanisch, es läßt sich nicht jede Erfahrung in eine logische Begriffskette hineinschmieden" (S. 1105). Dennoch aber sei Descartes eigentlich "ein Vertreter des organizistisch-dynamischen Standpunktes im Gegensatz zum atomistisch-mechanischen" (S. 341).

Chamberlain versucht Descartes als ganzheitlichen, "germanischen" Denker zu retten, an dem er zwar vermeintliche Einflüsse eines jüdisch-christlichen Weltbildes scharf kritisiert und ihre Ausscheidung aus dem eigenen cartesianisch fußenden, aber neogermanisch ausgerichteten Denken verlangt, den er aber dennoch vehement vor den damaligen Angriffen auf das "mechanistische Weltbild" in Schutz nimmt. Er trennt Descartes von Newton und beschuldigt Newton und seine Nachfolger, Descartes verfälscht zu haben. Die ganzheitliche Konzeption sei dagegen ur-cartesianisch, wie man an Decartes' Konzept des "Äthers" sehe, der nicht nur das Universum ausfülle, sondern der einerseits alles mit allem in Beziehung treten lasse, andererseits rein geistiger, nicht-materieller Natur sei, so Chamberlain. Die Vorstellung des "Äthers", so Chamberlain in den "Grundlagen" (S. 129), sei "altes indisches Erbgut". Der Chef des "Thule-Seminars" Pierre Krebs greift - ohne Chamberlain zu nennen - hierauf direkt zurück, wenn er 1988 den Autor der neurechten französischen Zeitschrift "Nouvelle Ecole" Patrick Trousson zitiert: Trousson hatte im Winter-Heft 1985/86 der von Benoist herausgebrachten "Nouvelle Ecole" die Weltvorstellungen der Physik untersucht und die "bootstrap"-Theorie Geoffrey Chews aus den 60er Jahren, die wir in Capras "Wendezeit" als "neuphysikalische" Grundlage des "Neuen Weltbildes" finden (Capra 1986, S. 97 ff), in einem Atemzug mit dem "Äther"-Konzept genannt (Krebs 1988, S. 346), das er - wie Chamberlain und wie Capra beim "bootstrap" - als Möglichkeit zur Fundierung eines idealistischen Weltbildes sieht, bei der sich nicht nur die Materie in Nichts auflöst, sondern aus der auch die antidemokratische "organische Gemeinschaft" ableitbar ist.

Die bekannte Kritik des New Age am cartesianischen Weltbild, die hier nicht im einzelnen ausgeführt zu werden braucht (36), findet sich auch z.B. im Vortrag Heideggers "Die Begründung des neuzeitlichen Weltbildes durch die Metaphysik" vom 9.4.1938 (37): Descartes habe durch die Subjekt-Objekt-Trennung die Welt berechenbar und ausbeutbar erscheinen lassen. Auf den breiten Bezug sowohl des New Age wie des (Neo-) Faschismus kann hier nicht eingegangen werden.
Fritz Stern zitiert Moeller van den Bruck aus dessen 1919 erschienenen Buch "Der preußische Stil": "Was fangen wir mit unseren Massen an? Wie retten wir die Natur vor der Maschine?" (Stern, S. 265).
Eine für ihre neofaschistische Ideologie zentrale Kritik am cartesianischen Weltbild findet sich allerorten bei der "Neuen Rechten" (die ja im übrigen Heidegger für sich wiederbelebt), so z.B. bei Faye (1988, S. 242) oder bei Hunke (1969, 1989).

Auch Walter Becher, Schüler des "Konservativen Revolutionärs" und Faschismus-Vorbereiters Othmar Spann (der den sudetendeutschen Henlein-Faschismus beeinflußte), Redakteur in der Nazi-Presse, nach 1945 Führer der revanchistischen Sudetendeutschen Landsmannschaft und CSU-Bundestagsabgeordneter (38), schließt sich in seinem 1985 erschienenen Buch "Der Blick aufs Ganze. Das Weltbild Othmar Spanns" (39) der Kritik des "mechanistischen Weltbildes" an, in dem die Menschen nur noch lauter kleine Sandkörner seien und die Gesellschaft zum "Sandhaufen" (Spann) verkomme. Überhaupt ist Bechers Buch als eine rechte Antwort auf Capra gemeint: Spanns Lehre sei "nicht nur eine 'Summa philosophiae', sondern auch eine 'Summa oecologiae'" (S. 13).
Diese Beispiele zur 4. These sollen genügen.

5. Dieselbe Alternative: Das "kosmische", organische Weltbild

Die Idee eines "ganzheitlichen" Weltbildes, in dem der Kosmos von den Himmelskörpern bis zum einzelnen Menschen ein Gesamtgefüge bilde, in dem jedes Element selbst seinen vorbestimmten Platz einnehme und gesetzmäßig seine vorbestimmten Aufgaben erfüllen müsse, in dem daher jedes Element und seine Aufgabe einzigartig und verschieden von allen anderen sei, findet sich als die grundlegende Alternative zu den "mechanistischen", demokratischen und egalitären Weltanschauungen sowohl bei den historischen Ideologen des Faschismus als auch bei den aktuellen Vordenkern des New Age. Der "Rembrandt-Deutsche" Julius Langbehn hatte bereits die Schrift "Der Geist des Ganzen" verfaßt. Die Ablehnung der Kausalitätsbeziehungen als Erklärungsmuster ist keine Erfindung der Esoteriker der 70er oder 80er Jahre. Der "Kosmos"-Begriff wird bereits um die Jahrhundertwende in der völkischen Bewegung spirituell verstanden als das alles durchdringende, nur noch spirituell erfahrbare Gesetz, das in gleicher Weise physikalische, biotische oder soziale Phänomene bestimme. "Kosmos" ist auch das Synonym für die angestrebte und (wieder) aufzubauende Ordnung der (menschlichen bzw. menschlich beeinflußbaren) Welt.

Chamberlain (1928), ausgehend von Descartes' "Äther" als "Grundmythe" (S. 45) und kosmischem Mittler zur Ganzheit des Universums, der alles mit allem in Beziehung setze (S. 45 f), sieht in Physik und "Himmelskunde" (S. 35 f) die Ausgangspunkte allen Systemdenkens, das "eine ganz neue Physik" entstehen lasse, "die ein Gegenstück bildet zu der Physik der mechanisch bewegten Materie" (S. 50). Das kommt uns alles sehr bekannt vor aus der Ideologie des New Age. "Ja, hineinwachsen soll der Mensch in das ihn umgebende Weltall", meint Chamberlain, "er soll den bestirnten Himmel über ihm als seine Heimat erkennen, voll Vertrauen, daß er ihre Geheimnisse wird enträtseln können, - gehört er doch organisch zu ihr und ist ihren gigantischen Verhältnissen gewachsen" (S. 74). Dabei gelte es, den "Kausalitätswahn" (S. 105) zu bekämpfen.

Ob Ökokrise oder psychosomatische Krankheiten heute, ob Erstarken des Proletariats oder Kulturschock der Barbarei des Ersten Weltkriegs damals, das "Heil" wird im Kosmos gesucht: "Aus einem Chaos ein Kosmos", war schon die Parole Chamberlains (S. 80). Und den "Zusammenhang zwischen der Erde und dem Weltganzen" (S. 84) sieht der NSDAP-Chefideologe am besten in den Ehrenfels'schen Gestalt-Gesetzen niedergelegt, seine "Lebenslehre" (Teil zwei von "Natur und Leben") schuf er in Briefwechseln mit dessen Gattin Emma von Ehrenfels (40).

Was wir heute bei Capra als die "sich selbst organisierenden Systeme" finden, steht schon in Chamberlains "Lebenslehre" als "Autonomie" von Ganzheiten. Ganzheiten seien disparat, autonom, als Gefüge aus unterschiedlichen Elementen zu denken, nach innen hierarchisch, leistungsbezogen auf den Bestand nicht jedes einzelnen Elementes, sondern des Ganzen selbst und nur des Ganzen, strebten daher ewigen Bestand an. Chamberlain nennt als Ganzheiten Gattung, Familie, Reich, später dann auch die Rasse; bei Capra (1986) finden sich als Nennungen Familie, Stamm, Gesellschaft, Nation. Auch Capra will "das Systembild des Lebens" ausdrücklich ebenfalls "auf die Beschreibung der gesellschaftlichen und kulturellen Evolution" ausgedehnt wissen (S. 322) und wendet biologische Ordnungsprinzipien auf soziale Phänomene an, mit den bekannten antidemokratischen Folgen, auch wenn er sich subjektiv als Teil der neuen Emanzipationsbewegungen verstehen mag. "Diese Anschauung ermöglicht es, die biologische, gesellschaftliche, kulturelle und kosmische Evolution aus demselben Modell der System-Dynamik zu begreifen" (S. 317), ein zentraler Gedanke auch Teilhard de Chardins. "Das neue Weltbild betont die Verknüpftheit und gegenseitige Abhängigkeit aller Phänomene, und ist nicht auf ihre Teile beschränkt. Dieselben Ganzheitsaspekte zeigen sich in sozialen Systemen - zum Beispiel einer Familie oder einer Gemeinschaft - und ebenso in Ökosystemen, die aus einer Vielzahl von Organismen in ständiger Wechselwirkung mit lebloser Materie bestehen. Alle diesen natürlichen Systeme sind Ganzheiten...Der menschliche Körper, zum Beispiel, enthält Organsysteme, die aus verschiedenen Organen bestehen, von denen jedes aus Geweben und jedes Gewebe aus Zellen besteht. Alle diese sind lebende Organismen, oder lebende Systeme, die aus kleineren Teilen bestehen, und zugleich die Teile von größeren Ganzheiten bilden. Der gesamte Organismus schließlich ist in größere soziale und soziologische Systeme eingebettet", die "gesund" oder krank sein könnten (41). In derselben Weise läßt sich Mynarek über die alles umfassende kosmische Gesetzlichkeit aus, der sich ohnehin meistens auf Capra bezieht und aus den angeblichen kosmisch-natürlichen Prinzipien seinen "ökoreligiösen" Gottesstaat ableitet (vgl. "Ökologische Religion" 1986 und "Die Vernunft des Universums" 1988).

Die Organismus-Methapher, nach der die Welt wie ein biologischer Organismus mit steuerndem Zentralnervensystem und den ausführenden Organen Arme und Beine geschaffen sei, kann nur antidemokratische Folgen haben, denn wann je hätten sich ein Arm und ein Bein ein neues Zentralnervensystem gewählt! Capra ahnt dies, wenn er schreibt: "In der Vergangenheit ist die geschichtete Ordnung der Natur (eine feine Umschreibung für antidemokratische Hierarchie, P.K.) oft fehlinterpretiert worden, um autoritäre gesellschaftliche und politische Strukturen zu rechtfertigen" (1986, S. 312). Hier begegnet uns wieder das allzu billige Argument des Mißbrauchs an sich richtiger Konzepte, als gäbe es einen demokratischen "Gebrauch" natürlicher Hierarchien. Capra sucht einen Ausweg: "Aus diesem Grunde habe ich die (hierarchische, P.K.) Pyramide umgedreht und in einen (ökologischen, P.K.) Baum verwandelt" (ebd.), offenbar nicht wissend, daß bereits Jakob von Uexküll in seiner 1922 erschienenen "Staatsbiologie" den "Organbaum" als ständestaatliches Ordnungsprinzip gegen die "unbiologische" und "unorganische" Demokratie und die Menschenrechte gesetzt hatte (42). Die Baum-Metapher ist ein Liebling der Ökologie- und der New Age-Bewegung, auch Mynarek widmet ihr ein ganzen Kapitel: "Der Baum als herausragendes Beispiel des Mensch-Natur-Zusammenhanges" (1988, S. 32 ff), die Naturvölker sähen im Baum ein mythisches "Abbild des Ganzen, der Wiederholung der kosmischen Landschaft" (S. 33), der Baum sei "Teil-Offenbarung des biokosmischen Heiligen als Ganzem" (S. 43). Sofort fällt einem der Begriff Ab-Stamm-ung ein.

Uexküll hatte in seiner "Staatsbiologie" als "die Krankheiten des Staates" (S. 59 ff) die Menschenrechte oder das Streikrecht der ArbeiterInnen analysiert, die die ständischen "Organbäume" zerfräßen; er hatte "fremde Rassen" als "Parasiten" bezeichnet, die vor allem ein Interesse am "kranken Staatskörper" hätten, weil hier das Immunsystem die Parasiten nicht abwehren könne. Der Bezug zur Rede von der "jüdischen Demokratie" und dem "bolschewistischen Weltjudentum" bei den Nazis ist deutlich und logisch: den Uexküll, der heute in Teilen der Ökologiebewegung als der wesentliche Schöpfer ganzheitlichen Denkens und als einer der ersten, der den Begriff der "Umwelt" in die Politik einbrachte, gilt, war auch der Herausgeber der posthum erschienenen Chamberlain-Schriften "Natur und Leben" (1928), die er mit einem "gestalttheoretischen" Vorwort versah.

Uexkülls Therapie gegen die Zivilisationskrankheiten der Moderne ist die Rückkehr zu den vorzivilisatorischen Mythen der Naturvölker, die damals der Rechtfertigung ihrer nicht-demokratischen Gesellschaften diente: "Die Überzeugung einer umfassenden Planmäßigkeit ist in jedem Wilden lebendig, der dauernd mit der lebendigen Natur verkehrt. Die Mythen der primitiven Völker", so Uexküll, "sind nichts anderes als der Versuch, diese überwältigende Macht dem Verständnis näherzubringen. Man kann daher die Göttermythen als die Wissenschaft von damals bezeichnen, während unsere Wissenschaft nichts anderes ist als der Mythus von heute" (S. 48).

Chamberlain, der auch andernorts (vor allem in den "Grundlagen", in "Kant" und in "Goethe") die spirituelle Erkenntnis der "Allbeseeltheit" als Ergänzung der hergebrachten szientistischen Wissenschaft einfordert, präsentiert in "Kant" Giordano Bruno als den geistigen Ahnen der neuen Weltanschauung, der er heute auch im New Age und bei der "Neuen Rechten" ist: als erster kosmischer Denker, dessen "einzig authentische Ausgabe der italienischen Schriften" übrigens Paul de Lagarde besorgt habe (1921, S. 288). "Was bei metaphysisch veranlagten, doch primitiven Völkern völlig naiv vorausgesetzt wird, weil selbst der Gedanken die Möglichkeit einer Unterscheidung zwischen Welt und Mensch, zwischen Angeschautem und Gedachtem nicht aufkommt, und gar nicht verstanden werden könnte, wird von diesen Philosophen als Doktrin wieder eingeführt, Giordano Bruno z.B." (S. 293 f). Die "Gleichsetzung von Natur und Vernunft", die "seit den ältesten Zeiten, von denen wir Nachricht besitzen, bis zum heutigen Tage herab eine so große Bedeutung für die Weltanschauung der Indoeuropäer besitzt", sei "der Urmythos aller Mythen" (S. 294), ein Gedanke, der doch sehr an das Buch des heutigen New Agers Mynarek über "Die Vernunft des Universums" erinnert (43). So schreibt Mynarek, der ebenfalls an dem in der ersten These genannten Buch "Zurück zur Natur-Religion?" mitarbeitete, in seiner "Vernunft des Universums" einleitend erst einmal breit über "Ökologische Elemente und Lebensregeln bei den Naturvölkern".

Und auch bei Capra lesen wir: "Vor 1500 Jahren betrachtete man in Europa und in den meisten anderen Zivilisationen die Welt organisch. Die Menschen lebten in kleinen, zusammenhängenden Gemeinschaften und erlebten die Natur als organische Beziehung, charakterisiert durch die wechselseitige Abhängigkeit der spirituellen und materiellen Phänomene und die Unterordnung der Bedürfnisse unter die der Gemeinschaft". Es war der angebliche "heile" Zustand vor der kritisierten und für alle Unbill verantwortlich gemachten "Newton'schen Weltmaschine": "Dieser Zustand änderte sich im 16. und 17. Jahrhundert radikal. Die Vorstellung von einem organischen, lebenden und spirituellen Universum wurde durch das Bild von der Welt als Maschine ersetzt" (1986, S. 51 f). Dieser romantisierte, zum Paradies verklärte Zustand war nach Capras eigener Rechnung also tatsächlich die Zeit um das Jahr 486 in Mitteleuropa: die Zeit des Unterganges der Antike, die nach Chamberlain am "Völkerchaos" krankte, die Völkerwanderung germanischer Stämme, die nach Chamberlain die erst einmal rettende Herrschaft antraten; des sich herausbildenden Feudalismus, der totalen Barbarei und des Rechts des Stärkeren auf den Schlachtfeldern Europas: hierin tatsächlich dem biotisch-"kosmischen" Prinzip entsprechend. Capra und die Faschisten liefern identische Beschreibungen des angeblich vorbildhaften, noch nicht römisch-christianisierten, erst recht von jeder Demokratie unberührten, weitgehend heidnischen Mittel- und Nordeuropa an der Wiege des Feudalismus. Hin "zu einem 'Fürsten der ökologischen Wende'" will Bahro (S. 475), die Assoziation zum Feudalismus ist von ihm gewollt; zu einem "Regiment" (S. 466) will er den Rechtsstaat und die parlamentarische Demokratie verändern, die er ausdrücklich ablehnt (S. 480 f), "Regiment" kennen wir aus Preußen oder später: in der romanischen Übersetzung "Regime" aus Lateinamerika. Denn, so Bahro, "jeder komplexe Organismus hat eine Führungsfunktion" und die sei zur Zeit bei uns "unbesetzt" (S. 476). Die Demokratie solle endlich "enttabuisiert" werden, "keine Errungenschaft unserer Zivilisation darf jetzt das Vetorecht gegen lebensnotwendige Veränderungen haben, weil der Extreminismus eine Krankheit des ganzen sozialen Organismus ist" (S.481). Gut gelernt bei Uexküll, dem bewundernden Editor des Hitler-Bewunderers Chamberlain. Das organisch-kosmische Weltbild ist wahrlich keine Erfindung des New Age. Kurt Sontheimer schreibt zusammenfassend über die intellektuell-ideologischen Bemühungen zur Demokratiezerstörung in der Weimarer Republik: "Wesentlich für das Verständnis der antidemokratischen Bewegung bleibt indes, daß solche Elementarbegriffe wie Volk, Gemeinschaft und Organismus den Kern ihrer weltanschaulichen Orientierung bilden" (S. 256).

Zu recht kritisiert Walter Becher in seiner Darstellung des Weltbildes Othmar Spanns den von Capra aufgesetzten Demokratismus. In der Tat läßt sich aus der Natur weder Gleichheit noch Gleichberechtigung ableiten, "Gleichheit ist Tod, Gliederung ist Leben", schrieb schon Langbehn in seinem "Rembrandt" (S. 153). "Anders als heutige Systemtheoretiker wie Fitjof Capra, Morris Berman und in besonderem Maße auch Alvin Toffler", so Becher 1985, "landet die ganzheitliche Staatslehre nicht bei der Propagierung einer 'Gegenkultur' oder Kultur-Revolution. Holistisches Denken müßte folgerichtig sein. Wer den 'Atomismus' in Physik, Psychologie und Gesellschaft ablehnt, kann ihn nicht mit den Thesen einer 'Basis-Demokratie', mit antipatriarchalischen Floskeln, mit 'Feminismus', mit Homosexuellen- und Minderheitenschutz, mit radikaler Demokratisierung, d.h. mit völliger Atomisierung überwinden...Vor dem 'Unheil der totalen Demokratie'...sollte uns das Schicksal bewahren" (S. 135), und das ist bekanntlich kosmisch verankert. Johannes Kepler wird von Becher und Spann wie von Chamberlain oder Capra als der Seher des ökologischen, ganzheitlichen Reiches verehrt. Schon Hunke hatte in ihrem "Nach-kommunistischen Manifest" (Stuttgart 1974) gegen "die biedermännische Formel" des Willy Brandt'schen "Mehr Demokratie wagen" gekeift, sie diene einer "Gesamtpolitisierung und Ideologisierung aller Lebensbereiche, Institutionen und Betriebe" mit dem Ziel der "Einparteiendiktatur" (S.172), als wäre es der Emigrant Brandt und nicht Hunke selbst gewesen, die 1940 bei dem SS-Rassepsychologen Clauß promovierte. Pierre Krebs schreibt, um was es geht im "Neuen Zeitalter", "unserem inneren Reich": "Eine alte, noch etablierte politische Ära geht zu Ende: die anorganische Politik der Gleichheitslehre. Eine neue politische Ära, die legitimen Anspruch auf die Macht haben wird, steht bevor: die organische Politik, die das Recht auf Verschiedenheit wahrnimmt" (1988, S. 12). Und er zitiert einen französischen Mitkämpfer: "Das Biologische und das Kulturelle sind im Grunde eins: eine Gesellschaft stellt ein biokulturelles System dar, indem beide Sphären ineinander dringen und aufeinander wirken" (S. 13). Da können alle, Faschisten und New Ager, zustimmen, Chamberlain, Uexküll, Spann, Capra, Mynarek usw. "Verwurzelung" als Schlüsselwort: "Unser Humanismus", so Krebs, "ist organisch, er basiert auf den erworbenen Erkenntnissen des Lebens. So bringt er Natur und Leben, Volkstum und Menschen wieder in Einklang" (S. 21). "Natur und Leben" war der Titel des von Uexküll edierten, heute fast gänzlich unbekannten New Age-Klassikers von Chamberlain.

Die "Rückkehr", die "Wiederentdeckung" und "Wiedergeburt" bezieht sich immer auf die "eigenen Wurzeln", auf Urmythen usw., also auf vorzivilisatorische, vordemokratische Weltanschauungen. Germanen- und keltentümelnde "Wurzelsuche" im New Age gerät zielsicher an die Autoren der historischen völkischen Bewegung in Deutschland. "Unser spirituelles Erbe", meint Bahro unkritisch, sogar zustimmend, "- jedenfalls hier in dem nichtromanischen Land - hat den Wanderer-Wotan in sich" (S. 152).

6. Dieselben geistigen Quellen: Ideologen des Gottmenschentums

Es wundert nicht mehr, daß uns im New Age und in der historischen wie "neurechten" faschistischen Ideologie ständig dieselben Denker als Quellenbezug begegnen. Weil die "Neue Rechte", ob in Frankreich oder in der Bundesrepublik Deutschland, eigentlich nur die alten Arbeiten Lagardes oder Chamberlains auf die Situation am Ende des 20. Jahrhundets hin aktualisiert, ist ihre geistige Traditionslinie identisch mit der der völkischen und faschistischen Bewegung. Neben der asiatischen, vor allem der indischen Philosophie und Religiösität, die uns nicht nur in Capras "Tao der Physik" oder bei Externstein-Meditierern begegnet, sondern bereits bei Chamberlain und zahlreichen völkischen Ideologen der 10er und 20er Jahre auftaucht, die nach ihren Asienreisen begeistert über die festgestellte Einheitlichkeit einer "indogermanischen Weltanschauung" berichteten, wird insbesondere die Geschichte der europäischen Ketzer in den beiden Hauptwerken dieser Ideologie, Chamberlains "Grundlagen" damals (S. 614 ff) und Hunkes "Europas andere Religion" heute, als die Geschichte der eigenen ureuropäischen Weltanschauung gegen die fremde vorderasiatisch-semitische dargestellt. Herausragend werden immer und überall genannt: Meister Eckehart, der auch den Hauptbezug in Alfred Rosenbergs "Mythus des 20. Jahrhunderts" abgibt, Nikolaus von Kues, Giordano Bruno, Jakob Böhme, niemandem gleich: Johann Wolfgang Goethe, dann Friedrich Hölderlin, Martin Heidegger und Pierre Teilhard de Chardin, schließlich als die Repräsentanten der neueren Physik Werner Heisenberg und Albert Einstein (seine jüdische Herkunft dient - wie bei Baruch Spinoza, der mehr und mehr einbezogen wird - sogar als Persilschein; die Fehler Chamberlains werden eben nicht wiederholt).

Aus der Verfolgung der deutsch-mystischen Ketzer durch die judaochristliche römische Kirche wird in der völkischen Bewegung der Anspruch des "wahren Europa" auf "Gegenwehr" abgeleitet, schließlich bis zu den Gaskammern. Die brennenden Scheiterhaufen des Mittelalters sind die Leuchtfeuer auch für die im Nebel ihrer Spiritualitäten umhertastenden New Ager. Gegenwehr ist für Mynarek der "Kampf ums Dasein" nach dem "ökoreligiös" göttlichen Naturprinzip, dem die jüdisch-atomistisch-utilitaristischen "Irrläufer der Evolution" anheim fallen müßten. Die Scheiterhaufen und die Gaskammern werden schließlich sogar als angeblich gleichartige Auswirkungen desselben Judaochristentums zusammengeworfen: Holocaust sind beide, für das New Age oder auch für den neurechten Henning Eichberg.

Zur erweiterten Neuausgabe seiner "Wendezeit" (1986) schreibt Capra im Vorwort, an der Erstausgabe sei häufig kritisiert worden, daß er "insbesondere die Tradition des ganzheitlich-ökologischen Denkens in der deutschen Geistesgeschichte nicht berücksichtigt" hätte (S. XI); durch eine neu hinzugefügte Einführung will er diesen Mangel beheben: Bruno, Hinduismus (!), Paracelsus, Jakob Böhme, Spinoza, Herder (auf den sich das REP-Parteiprogramm beruft), in der Reihenfolge der Nennungen. Schließlich: "Goethe nun ist die zentrale Gestalt in der Entwicklung des ökologischen Ganzheitsdenkens in der deutschen Geistesgeschichte" (S. 5). "Wie das der Naturmystiker wird auch Goethes Denken von einer tief ökologischen Spiritualität getragen" (S. 6). Es ist das "Volk der Dichter und Denker", das uns als geistiger Grund des Faschismus wie des New Age präsentiert wird.

Mit Goethe liegt man in Deutschland immer gut, nicht erst seit Chamberlains monumentalem Werk "Goethe" von 1912. Der "Dichterfürst" mit seinen pantheistischen Naturlehren ist die Referenz für Hunke oder Mynarek, für Benoist oder Faye, für Capra oder Bahro. Man bezieht sich allgemein auf dieselben Textstellen und Chamberlain oder Capra kommen keineswegs zu verschiedenen Interpretation und Schlußfolgerungen. Der NSDAP-Ideologe stellt uns allerdings Goethe mit Zitaten als Antisemiten vor, eine neue Erfahrung für den/die normal gebildete/n OberschülerIn nach 1945. Der Kopf der deutschen Klassik gewann seine naturreligiös-pantheistischen Anschauungen in Auseinandersetzung mit dem Judaochristentum - eine sehr moderne Vorgehensweise, die von der "Neuen Rechten" ebenso wie im New Age praktiziert wird. Das Judentum als nicht-natürliche Religion, so liest man in den "Grundlagen" Chamberlains (S. 482), werde von Goethe als eine die Mitteleuropäer überfremdende Weltanschauung abgelehnt. "'Mögen die Juden an ihrer eigenen Kultur arbeiten - das wäre ersprießlich; an unserer Kultur ... dürfen wir ihnen keinen Anteil vergönnen'", so zitiert Chamberlain Goethe in seinem ausschließlich ihm zugedachten Buch (1932, S .716). Goethe dagegen sei, ganz Arier, ein Seher der Natur des Kosmos (1909, S .907); mit Goethe komme es zu einer "Erweiterung der Vorstellung 'Natur' (S .1103) im Sinne des pantheistischen Naturverständnisses von "Natur als Alles".

Der Bezug auf Goethe und die andern dient im New Age wie im Faschismus demselben Zweck: der pantheistisch fundierten Selbstvergöttlichung des Menschen. "Wir handeln an Gottes Statt", sagt Hunke und meint mit "wir" die Mittel- und Nordeuropäer; sie zitiert zum Auftakt ihres Hauptwerkes "Europas andere Religion" Eckehart: "Greift in euer eigenes Gut - ihr tragt doch alle Wahrheit wesenhaft in euch" (S. 9); zwanzig Jahre später sieht sie sich und die Arier noch höher stehen: "Verantwortung 'für' Gott" (S. 9) ist jetzt ihre Parole, "wir" seien "hochverantwortliche Mitschöpfer Gottes" (S. 7) - höher kann selbst eine faschistische "Arierin" nicht mehr steigen. Chamberlain hatte bereits 1899 geschrieben: "Diese germanische Metaphysik befreit uns vom Götzendienst und offenbart uns dadurch das lebendige Göttliche im eigenen Busen" (S. 1111), fast so hatte es Eckehart, von der römischen Kirche deswegen verfehmt, im 13. Jahrhundert geschrieben. In der germanischen Religion der Wende zum 20. Jahrhundert "seid ihr selber schaffende, gesetzgebende Natur", so Chamberlain (S. 1122), "Religion" wird zur "Tat der Gegenart" (ebd.). Der tiefere Sinn: "Glaubt ihr nur an euch selber, so besitzt ihr die Kraft, das neue 'mögliche Reich' wirklich zu machen" (S. 1122 f). Das ist nicht nur Lagarde oder Pierre Krebs: mit dem "inneren Reich" zum realen Imperialismus; das ist original Meister Eckehart, der germanische "New Ager" des Mittelalters. Sigrid Hunke 80 Jahre vorweggenommen, schreibt Chamberlain in seinem "Goethe", der germanische Mensch habe "am göttlichen Wesen teil - wie Eckhart es mit erhabener Demut ausspricht, Gott liebe den Menschen nicht als Kreatur, sondern 'als Gott'" (S. 728). Wer für sein Handeln die pantheistische selbst-göttliche Rechtfertigung hat, darf alles tun: "Selbst die luziferische Natur...könnte nicht sein, wäre sie nicht Abglanz der Gottheit", so Chamberlain (S. 728). Diese Ideologie hat ein Ziel: Auschwitz als "Handeln an Gottes Statt". Der ethische Unterschied zwischen "Gut" und "Böse" verschwindet, er wird - z.B. von Hunke - als jüdisch denunziert. Wo das Göttliche sich durch die ArierInnen verwirklicht, da ist der "Kampf des germanischen gegen den jüdischen Geist" (Chamberlain) in den Mordfabriken der Nazis "Handeln an Gottes Statt". Aus den Werken der Dichter und Denker der "deutschen Mystik" seit Meister Eckehart ist die Rechtfertigung der Richter und Henker, der tödlichen "Meister aus Deutschland", abgeleitet.

In dem 1990 erschienenen Buch "Neue Wege - neue Ziele. Denkanstöße und Orientierungshilfen in einer Wendezeit" (44), in dem neben Capra auch Gorbatschow, Oskar Lafontaine, der Dalai-Lama und Monika Griefahn schreiben, berichtet Robert Jungk über die "Zukunftswerkstätten" unter der Überschrift "Selber Schöpfer sein". Jungk tauchte bereits in den 70er Jahren im Umfeld des Alt- und Neonazi, New Age- und Naturreligions-Apostels Werner Georg Haverbeck auf (s.u.); in Haverbecks "Collegium Humanum" (vgl. These 1) tagt auch Ende 1990 wieder der Kreis um Sigrid Hunke, der sich inzwischen "Arbeitskreis Europas eigene Religion" nennt.

Die eher konservative "Zeitschrift für Politik" brachte 1988 ein Schwerpunktheft zum Thema New Age (45). Gottfried Küenzlen schreibt hier, es ließen sich gemeinsame Ansichten und Merkmale des New Age nennen, "die sich quer durch die verschiedenen Tendenzen und Gruppen finden" und nennt u.a.: "Der Mensch als Teil des Göttlichen kann sich seines göttlich-kosmischen Ursprungs also auf dem Weg der Überwindung des Ichs versichern. Es gibt ein esoterisches Wissen, es gibt okkulte Praktiken, die dem Menschen seine Göttlichkeit erfahrbar machen...Wo ihm dies gelingt, wo er den Schein des subjektiven Ich abstreift, hat er, Teilhaber des Göttlichen, die Macht, die Realität um ihn her zu verändern und sich ihm verfügbar zu machen" (S. 243) - trotz allem vordergründigem Protest gegen das biblisch-jüdische "Macht Euch die Erde untertan".

Diese "neue Sicht der Wirklichkeit" findet Capra bei Pierre Teilhard de Chardin, den er "unter den abendländischen Mystikern" als denjenigen ansieht, "dessen Gedanken denen einer neuen Systembiologie am nächsten kommen" (1986, S. 338). Ohne Teilhard, den von seiner Kirche kaltgestellten, vom Zweiten Vatikanischen Konzil stillschweigend rehabilitierten, dann katholischerseits totgeschwiegenen Jesuiten, geht nichts mehr, auch nicht bei Hunke, bei Mynarek oder Bahro. Der des historischen Faschismus (scheinbar) so Unverdächtige, der rehabilitierte Ketzer, für seine Anhänger ein Galilei des 20. Jahrhunderts, der Mystiker und Naturwissenschaftler: Teilhard - einige mögen ihn noch gekannt, ihm sogar die Hand geschüttelt haben - ist der personifizierte New Age-Faschist inmitten des Establishments. Sein Ziel: einen "Übermenschen" schaffen, die Evolution auf die selbstgöttliche Spitze treiben; in den 30er Jahren gab es dafür nur die Mendel'schen Gesetze und die biologische Zucht von Menschen. Heute greifen die Mitschöpfer Gottes zur Gentechnik, s.u.

Teilhard und seine Familie standen den Gegnern des französischen Hauptmannes Dreyfus nahe, des ersten jüdischen Mitglieds im französischen Generalstab, den Antisemiten 1894 wegen angeblicher Spionage verhaften ließen (46); die "Dreyfus-Affäre" schwelte jahrelang; wegen der antisemitischen Intrigen der damaligen französischen Justiz und des nicht rechtsstaatlichen Verfahrens gegen Dreyfus veröffentlichte Zola sein berühmtes "J'accuse!". Teilhard stand zeitweise unter dem Einfluß der später verbotenen rechtsextremen "Action Francaise" des Charles Maurras, der in seinem Buch "L'Autinéa" (1901) zurück zum Heidentum wollte. Günter Schiwy, der christliche New Age-Biograph Teilhards, sieht diesen "im Banne der Lebensphilosophie" (S. 208), die als Mitverantwortliche für den Faschismus, als "Zerstörerin der Vernunft" analysiert wurde.

7. Der gemeinsame pseudo-wissenschaftliche Anspruch

Die "Kritik des Irrationalismus", wie wir sie von Lukács (47) oder Stern und Sontheimer her kennen, reicht nicht aus und reichte nie aus. Der Einbezug naturwissenschaftlicher Erkenntnis als Basis des - so oder so - "Neuen Weltbildes" reicht z.B. bei Lukács kaum über Lenin hinaus (48). Tatsächlich haben faschistische und New Age-Ideologie beide einen durchgehenden wissenschaftlichen Anspruch, sie geben sich keineswegs nur anti-rationalistisch, nur die Grenzen der Erkenntnis betonend, sehen vielmehr vor allem die Naturwissenschaft als eine unverzichtbare Basis des "Neuen Weltbildes" an. Dies nur als "irrationalistisch" zu kritisieren, statt diesen Umgang mit Naturwissenschaft ernst zu nehmen, greift zu kurz. Beides: das Ansprechen der Wissenschaftsgläubigkeit und die Kritik an der Wissenschaft, verschafft diesem "Neuen Weltbild" breite Zustimmungsfähigkeit. Küenzlen weist darauf hin, daß "der Anspruch, den eigenen religiös-spirituellen Weg als sicheres Wissen begründen zu können, ja geradezu die New-Age-Orientierung als unausweichliches Ergebnis moderner Wissenschaft ausweisen zu können", zu "den wesentlichen Orientierungen der modernen Lebenskultur" gehöre (S.2 46, vgl. Anm. 45).

So finden wir bei Chamberlain in derselben Weise seitenlange laienhafte Darstellungen naturwissenschaftlicher Ergebnisse zur Begründung der Weltanschauung wie z.B. heute bei Mynarek. Gleichzeitig werden angebliche Grenzen der Naturwissenschaft aufgezeigt und Alternativen, auch Erkenntnis-Alternativen, im irrationalen, nicht-wissenschaftlichen Vorgehen präsentiert. Bei Chamberlain wie bei Capra wird die Intuition zu einem wesentlichen Erkenntnismittel. Die sogenannte "deutsche Mystik", die uns bei Alfred Rosenberg genauso begegnet wie bei Hunke/Krebs oder den zahllosen New Age-Autoren der esoterischen Buchhandlungen, sie "erkannte" die "Weltprinzipien" auf dem Weg der "Intuition", eine meditative, ganzheitliche, "deutsche" Erkenntnismethode im Gegensatz zum zergliedernden, "welschen" induktiven Verfahren, die in der "Lebensphilosophie" wie bei Lagarde oder Chamberlain eben auch in die ideologische Vorbereitung des Faschismus einfloß.

Es ist zwar richtig, wenn Lukács unter dem unmittelbaren Eindruck des Nationalsozialismus, seiner Ideologie und seiner Praxis, schreibt: "Hitler und Rosenberg tragen alles, was über irrationellen Pessimismus von Nietzsche und Dilthey bis Heidegger und Jaspers auf den Lehrstühlen, in den intellektuellen Salons und Cafés gesprochen wurde, auf die Straße" (S. 69 f); und es ist durchaus berechtigt, eine solche Entwicklung aus den New Age-Bildungszentren heraus für die Zukunft zu befürchten, wo Heidegger und Jaspers dieselbe Rolle spielen wie in den neurechten Denkfabriken. Dennoch ist es nur die Hälfte, denn es geht nicht mehr nur um "Weltauslegung", die Lukács durch den Einfluß des Irrationalismus an die Stelle der Welterkenntnis treten sieht (vgl. S. 71), sondern um die weltanschauliche Verwendung solcher neuerer Erkenntnisse, die sich nicht (mehr) ohne weiteres bloß denunziatorisch als "irrationalistische Uminterpretation" bekämpfen ließen. Die "Neuen Rechten" wie die New Ager verfügen inzwischen über den geistigen Beistand von Prominenz, den philosophierenden Heisenberg z.B. Andererseits ist sicher: Die Fragen, die sich die seriöse neuere Physik stellt, werden von New Agern und Neofaschisten bereits als die willkommenen Antworten genommen, weil sie zur Konstruktion des organischen Weltbildes dienlich sind. (49) Ergebnisse meistens der Atomphysik - oft sogar innerhalb der Diskussion der Physiker umstrittene Ergebnisse -, dienen Laien, die sie "philosophisch" interpretieren, wie dem ehemals katholischen Theologen Mynarek, als "Beweise" bei der Begründung letztlich gesellschaftspolitischer Forderungen. Der Zusammenhang zwischen ihrem Verständnis der neueren Physik und ihren "Neuen Weltbildern" ist immer ein politisch interessierter.

Das ist freilich nichts neues. Chamberlain wuchs intellektuell unter dem Einfluß der beginnenden neuen Physik und der Krise des bisherigen Weltbildes der Naturwissenschaften auf und verhielt sich der Naturwissenschaft gegenüber nicht anders als heute Mynarek. Er war ein Anhänger des "Fortschritts" und der "Technik" (und keineswegs ihr irrationalistischer Gegner), wie heute die "Neue Rechte" und Teile des New Age auch, denn Technikfeindlichkeit ist im Gegensatz zu einem verbreiteten Urteil keineswegs ein Wesenszug der Ideologen des New Age. Lukács arbeitet zwar - auch im Hinblick auf Chamberlain als Kantianer - dessen "arischen" Respiritualisierungs-Ansatz treffend heraus (S. 557 ff), jedoch noch ohne ausreichenden Bezug zu Technik und Modernisierung als Standbein des Faschismus (vgl. den italienischen "Futurismus", der heute in der "Neuen Rechten" wieder reaktiviert wird) oder gar zur "neueren Physik", um die Lukács einen Bogen macht.

Über die weltanschauliche Bedeutung einer damaligen "New Age-Diskussion", z.B. Henri Poincaré's "La physique moderne" von 1906, sein "La valeur de la science" von 1905 mit der Konstatierung der "Krise der Physik", Abel Rey's "La théorie physique chez les physiciens contemporains" von 1907, oder des Buches des französischen präfaschistischen Theoretikers Georges Sorel (50) "Les préoccupations méthaphysiques des physiciens modernes" von 1907 hat damals Lenin in seinem Buch "Materialismus und Empiriokritizismus" von 1909 Entscheidendes gesagt, allerdings weder unter dem Eindruck des Faschismus noch unter dem des heutigen New Age. Lenin behandelt hier vom Standpunkt des Historischen Materialismus aus bereits einen wesentlichen Teil der heutigen New Age-Diskussion. Der Zerfall der Gewißheit über die Allgültigkeit des mechanistischen Weltbildes war das Thema der damaligen Wissenschaftsdiskussion, ohne daß es einen Ausblick auf neue "Paradigmen" schon gegeben hätte. Das alles war bereits nach Planck, doch noch vor Bohr, Einstein und Heisenberg. Schon damals spricht Lenin vom "Zusammenhang einer gewissen Schule der neuesten Physiker mit der Wiedergeburt des philosophischen Idealismus" (S.266), der doch gerade erst vom bürgerlichen Materialismus überwunden worden war. Der Zusammenhang wird dann später bei Lukács leider nicht mehr weiter untersucht.

Auch der damals auf der "Rechten" diskutierte Ausweg kommt uns aktuell vor, Lenin zitiert die Schilderung Rey's: "Man muß der subjektiven Intuition, dem mystischen Gefühl der Realität, mit einem Wort, dem Geheimnisvollen, alles zurückgeben, was man ihm durch die Wissenschaft entrissen zu haben glaubte" (S. 271). "Die antiintellektualistische Strömung der letzten Jahre" in Frankreich sei bestrebt gewesen, sich auf den "allgemeinen Geist der modernen Physik zu stützen" (ebd.). Hier ist - wohlgemerkt! - von der Zeit der Jahrhundertwende die Rede.

Diese Franzosen scheint Chamberlain nicht gekannt zu haben (51), doch beteiligt er sich auf seine Weise, mit seinen "Kant"- und "Goethe"-Büchern, an dieser Diskussion, vor allem mit dem Versuch, Descartes und Goethe zusammenzubringen, so wie Teilhard später Wissenschaft und Mystik zusammenbringen wird. Naturwissenschaft und Mystik seien Schwestern, belehrt Chamberlain, Mystik befruchte die Naturwissenschaft, große historische Naturwissenschaftler seien Mystiker gewesen (1909, S. 1060); es folgt eine Namensliste "germanischer" Wissenschaft, wie man sie bei Mynarek oder Hunke findet, die heute ja noch Einstein und Heisenberg als mystifizierende Physiker einbeziehen wollen. Die Germanen, so Chamberlain, besäßen "eine besondere Beanlagung für das Ausforschen der Natur"; diese stehe "in innigem Zusammenhang mit den tiefsten Tiefen unseres Wesens" (1909, S. 906), was den Juden und allen jüdisch orientierten Völkern abginge (er hätte Einstein niemals in die Ahnengalerie gehängt). Chamberlain sieht vier Gruppen von Ahnherren germanischer Weltanschauung: die Theologen, die Mystiker, die Humanisten und die Naturforscher; "durch ihre vereinte Arbeit hat die neue Weltanschauung nach und nach immer bestimmtere Gestalt erhalten" (1909, S. 1037). Das wird im New Age, z.B. in Capras neuer Einführung zur "Wendezeit", "Das ganzheitlich-ökologische Denken in der deutschen Geistesgeschichte" (1986, S. 1-11), nicht anders gesehen. Es scheint so, als wollte das New Age mit der alten naturwissenschaftlichen und irrationalistischen Munition die Weltanschauungskämpfe der Jahrhundertwende wiederholen oder fortsetzen.

8. Dasselbe Ziel: Der faustische Mensch vereint Ratio und Mythos

Menschen, die "an Gottes Statt" (Hunke) handeln, "selbst Schöpfer sein" (Jungk) wollen, die Naturwissenschaft und Spiritualität verknüpfen, "in allem", also auch im Bösen, die Verwirklichung des Göttlichen sehen und deshalb auch zum Bösen bereit sind: das sind die "faustischen" Menschen, die sich selbst ihre Ethik je nach ihren Interessen und ihrem Nutzen zimmern. Goethe eben: Die Wette des Dr. Faustus mit dem Satan, neuerdings in eine "göttliche" statt "mephistophelische" Faust-Interpretation gefaßt.

Dafür steht Teilhard de Chardin, der New Age-neofaschistische Universalheilige: Er verbindet Naturwissenschaft und Spiritualität im ganzheitlichen "Glauben an die Einheit" (52). Er will nicht Faust, sondern Prometeus sein, allerdings mit demselben Ergebnis. Schiwy schreibt über Teilhards Ansicht: "Der Mensch müsse erkennen, daß es seine Aufgabe ist, 'sich selbst biologisch zu vergrößern und zu verändern'" (Band 2, S. 262), eine Position, die Mynarek durch die Proklamierung des "ökoreligiösen Menschen" als eines auf der Stufenleiter der Evolution bereits über allen anderen Menschen stehenden neuen Herrenmenschen ebenfalls verficht. Schiwy wendet ein: "Teilhard begibt sich im Hinblick darauf, was die Nationalsozialisten in Deutschland bereits zu praktizieren beginnen" (als Teilhard seine Menschenzucht-Pläne publiziert, P.K.) "auf ein gefährliches Terrain" (B.2, S .202). Für den "faustischen" Menschen aber wäre ein solcher Einwand absurd, denn "gefährliches Terrain" ist ja gerade sein Metier, ethisch und technisch. 1937 macht Teilhard sich Gedanken über eine etwaige Energiekrise und über die Schaffung des neuen "Über-Menschen", den er anstrebt. "Was kommt nach der Kohle, dem Wasser, dem Erdöl?...In diesem Punkt können wir der Physik vertrauen" und Schiwy fragt nachträglich: "Atom?" (B.2, S. 203 f). Tatsächlich hielt der trotz seines christlichen Bekenntnisses tief im europäischen Heidentum verwurzelte Teilhard die Freisetzung der Atomenergie für "sittlich berechtigt" (B.2, S. 261), da die Menschen in ihrer Self-made-Höherentwicklung "bis an die äußerste Grenze" gehen müßten, wie Schiwy ihn zitiert (ebd.). Doch Teilhard fordert noch Weitergehenderes, für seine Zeit auf der Höhe der Naturwissenschaft: "Modellieren des menschlichen Organismus mittels der Hormone. Kontrolle der Vererbung und der Geschlechtsbestimmung" (B.2, S. 262). Der faustische Teilhard, der "Vernunft und Mystik" verbinden will (1959, S. 281), hat auch sogleich die passende gesellschaftspolitische Perspektive, wenn er (diesmal bei Bahro zitiert, der ihm zustimmt) in seiner Schrift "Der Mensch im Kosmos" "angesichts von Nationalsozialismus und Kommunismus die politische Frage so zuspitzt: ...'Wenn eine Energie toll wird, stellt der Ingenieur keineswegs ihre Kraft in Frage. Nimmt er nicht einfach seine Rechnung nochmals vor, um herauszufinden, wie man sie besser lenken könnte? Ist das moderne Totalitätsprinzip nicht eben deshalb so ungeheuerlich, weil es vermutlich das Zerrbild eines wundervollen Gedankens ist und der Wahrheit ganz nahe kommt?'" (Teilhard, zit. n. Bahro, S. 460). Der Wahrheit ganz nahe: "Führer befiehl...".

New Age- und Hitler-Guru Rainer Langhans bringt es in dem schon zitierten taz-Interview auf den Punkt: "Nichts wegnehmen, keine Projekte der Askese, des Verzichts - die Menschen wollen Gott sein, na dann sollen sie". Und vorher: "Wir müssen uns die Mühe machen, uns nirgends schrecken zu lassen, um noch in den fürchterlichsten Verzerrungen das Schöne zu entdecken, das eigentlich intendiert ist. Was will die Gentechnik? Sie will - auf das Materialistische reduziert - weil man das andere nicht kennt - auf der grobstofflichen Ebene einen 'neuen Menschen' realisieren, so schön (!) wie irgend möglich. Das ist sehr verdienstvoll...Wenn du weiter oben sitzt (!), siehst du den größeren Zusammenhang und du siehst: ES IST GUT". Und Hitler selbst hatte in den "Tischgesprächen" ja schon seine Interpretation des Nietzsche'schen Übermenschen zum besten gegeben: "Der Mensch wird Gott, das ist der Sinn!"

Kein Wunder, daß eine Weltanschauung wie die des New Age, die mit ihrer auf dem "arischen" Gottmenschentum basierenden "Ethik" die religiöse Rechtfertigung für jedes Handeln - ob im KZ bei Menschenversuchen oder im Gentechniklabor - parat hat, besonders bei Naturwissenschaftlern beliebt ist. Nicht allen New Agern ist wohl dabei. Roman Schweidlenka kritisiert in seinem Buch "Altes blüht aus den Ruinen" (Wien 1989) die zunehmende Technikgläubigkeit in den eigenen Reihen. Die Versöhnung von "High Spirit" mit "High Tech" in Verbindung mit dem "organischen Bewußtsein" erinnert ihn an den Faschismus.

Mephisto mutiert zu Faschisto: Die "Neue Rechte" setzt Mythos, aus dem "indogermanischen" Heidentum abgeleitetes Gottmenschentum und Technik planmäßig ein. Guillaume Faye, in der französischen "Nouvelle Droite" Zweiter Mann hinter Benoist, hält - wie mannigfach auch Chamberlain oder Hunke - die Technik für einen wesentlichen Teil der "eigenen" ureuropäischen ("arischen") Identität. Er spannt den Bogen von der Respiritualisierung durch den Rückgriff auf die Naturmystik des Meisters Eckehart zur modernen Technik als der "zweiten Magie" (in Krebs 1988, S. 245); mit der Technik könne der/die EuropäerIn endlich zum Herrn der Welt werden, alle anderen Menschen beherrschend. Faye schreibt: "Der stets riskierende europäische Mensch fand in seiner Technik die kulturellste aller Kulturen" (S. 240). "Der faustisch gewordene europäische Mensch überschreitet durch die Wissenschaft und die Technik, was alle Zivilisationen - das Judao-Christentum inbegriffen - nicht zu verletzen wagten, nämlich die offenbare Ordnung der Natur" (S. 245). Das Ende seines Artikels und die Spitze seiner Argumentation muß etwas länger zitiert werden: "Da virtuell nicht die 'Geschichte', sondern die Techno-Wissenschaft die Verlängerung der natürlichen Evolution ist, wäre es dann denkbar, daß die Europäer, sich hierbei von den anderen Völkern unterscheidend, die göttliche Kühnheit zeigen, die Technik - ihre Technik - zu benutzen, um eine steigende Selbstmodifizierung zu vollziehen, was Nietzsche metaphorisch als den Marsch zum Übermenschen Bezeichnete?" (S. 256). Und er gibt selbst die Antwort: Es gehe um nichts anders als "um die Tatsache, daß die Völker, die die künftige Techno-Wissenschaft fest in die Hand nehmen, sich vor allem durch die Beherrschung der Genetik und der zugehörigen Wissenschaften die Möglichkeit zu einer Selbstmutation geben werden mit allen Gefahren, aber auch mit allen Möglichkeiten, die diese Wette bzw. Wagnis beinhaltet. Anstatt vereinheitlichend und einebnend zu sein, wird die Techno-Wissenschaft den Völkern, die sich ihr hinzugeben wagen, als das wichtigste Mittel erscheinen, ihre Verschiedenheit gegenüber den anderen zu behaupten und zu gestalten - wird gewissermaßen die differenzierende Logik der natürlichen Evolution ablösen" (S. 257).

Oder mit den Worten Teilhards: "Religion und Wissenschaft: die Verbindung der beiden Seiten oder Phasen eines einzigen vollständigen Erkenntnisaktes - des einzigen, der Vergangenheit und Zukunft zugleich umfaßt, um sie zu betrachten, zu messen und zu vollenden" (1959, S. 280).

Raimund Hethey weist in seinem Beitrag in dem vorliegenden Buch (.....) auf Werner Georg Haverbecks Schrift "Die andere Schöpfung" (Stuttgart 1978) hin. Nicht nur Mynarek bezieht sich auf diese Schrift in seiner "Ökologischen Religion" und lobt die "treffenden Ausführungen von W.G. Haverbeck" (1986, S. 273), auch Robert Jungk, ebenfalls im New Age gern gesehen, hängt an Haverbeck, diesem ehemaligen hohen NSDAP- und "Kraft durch Freude"-Funktionär, der sich selbst als Schüler des SS-"Ahnenerbe"-Gründers Hermann Wirth (vgl. 1. These) sieht, der 1984 in seinem Tagungshaus "Collegium Humanum" (CH) unter dem Deckmantel eines Seminars über "Naturreligionen" den Neonazi Michael Kühnen und sein "Komitee zur Vorbereitung der Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag Adolf Hitlers" tagen ließ (53), der den Kühnen-Vertrauten, FAP- und späteren REP-Funktionär Michael Krämer in der Geschäftsleitung des CH beschäftigte, usw. Im CH tagte früher öfter die "Deutsche Unitarier Religionsgemeinschaft" Hunkes, im November 1990 wird Hunke hier bei der gemeinsamen Tagung ihrer neuen Sekten-Abspaltungen "Bund Deutscher Unitarier" und "Arbeitsgemeinschaft Europas eigene Religion" auftreten.

Jungk sagt in seinem Vorspruch zu "Die andere Schöpfung. Technik als ein Schicksal von Mensch und Erde": "Das Werk von Werner Georg Haverbeck hat mich angeregt zu neuen Einsichten und zur Auseinandersetzung. Daß der Autor sich über die notwendige Kritik hinaus bemüht, eine positive Veränderung der Technik geistig einzuleiten, erscheint mir besonders wichtig. Er gehört damit zu den geistigen Vätern einer Wende, die herbeizuführen mit jedem Tag dringender wird" (S. 2). Was, um Gottes willen, hat Robert Jungk mit Werner Georg Haverbeck zu schaffen? Tatsächlich entwickelt Haverbeck in diesem Buch unter ungeniertem Bezug auf nazistische Literatur das Weltbild des mystisch-organisch-technischen Menschen. Unter Bezug auf Goethe oder Teilhard, auf zahlreiche weitere der hier Genannten, kommt Haverbeck am Ende des Buches zu dem Schluß: "Die Menschwerdung der Erde als das Ziel der Technik tritt heute in ihre volle Erscheinung. Eine größere Bedeutung kann der Technik wohl kaum zugesprochen werden. Doch der Mensch hebt sich, wenn er wahrhaft zum Meister der Materie wird, zugleich über diese hinaus. Seine Technisierung kann wie ein Weg erscheinen, der ihn zu seiner eigentlichen Bestimmung führt. Der Weg ist belanglos angesichts des erreichten Zieles" (S. 346). Die Verbindung von Technik und religiöser Naturmystik ist bei Haverbeck wie bei Mynarek identisch: "Im menschlichen Bewußtsein erkennt die Natur sich selbst", so Haverbeck (S. 10), "im Menschen bringt die Natur sich selbst zur Sprache", so Mynarek (1986, S. 131); Technik gehört dazu: "Der Mensch erfüllt nun die Aufgabe, die ihm die 'sich mit ihm forttreibende' Natur gestellt hat, u.a. dadurch, daß er ihre Werte (die...ästhetischen, sozialen, logisch-mathematischen, biotechnischen usw. Wertaspekte) ins Bewußtsein hebt und zur Sprache bringt" (S. 139).
Haverbecks Synthese aus (Neo-) Faschismus, Modernität und New Age kann hier nicht mehr weiter ausgeführt werden.

9. Das Kapitalinteresse an den Gemeinsamkeiten der beiden Weltanschauungen

Ist die Bereitschaft der Wissenschaftler zur skrupellosen Überschreitung der "offenbaren Ordnung der Natur" (Faye) erst einmal durch moralisch entlastende "Öko-Ethik" und New Age-Selbstvergöttlichung geschaffen, so werden sich auch schnell Käufer für die Produkte des "faustischen" Handelns finden. Mit dem Gottmenschentum faschistischer Herren beiderlei Geschlechts wurden die ökonomisch verwertbaren Taten der Nazi-Wissenschaftler ebenso gerechtfertigt wie mit dem "arischen" kosmischen Weltbild eine antidemokratische Organisation der Gesellschaft zugunsten der ökonomischen Verwerter. Wie wenig dabei die Feinheiten der Weltanschaung eine Rolle spielten, zeigen die medizinischen Menschenversuche, die zwar an angeblich rassisch minderwertigen "Untermenschen" vorgenommen wurden, deren vermarktbare Ergebnisse aber ausschließlich mit Blick auf die potentielle "arische" Kundschaft interessant waren: allzu tief kann der Glaube an rassische Unterschiede zwischen den Versuchspersonen und den "Herrenmenschen" also nicht gewesen sein.

High Spirit und High Tech sind seit der Jahrhundertwende Brüder, der Okkultist und "Parapsychologe" Albert von Schrenck-Notzing z.B. (Großvater des "Criticon"-Herausgebers Caspar) diente seine Untersuchungen der Infrarot-Strahlen seinem engen Freund, dem Elektro-Industriellen Graetz an - zur ökonomischen Ausbeutung bei "Kontroll- und Registrierzwecken" (54); zum Kreis der von Schrenck-Notzing gegründeten "Münchner psychologischen Gesellschaft" gehörte gehörten auch die "Lebensphilosophen" Klages und Max Scheler ("Die Stellung des Menschen im Kosmos", Darmstadt 1928), über Scheler promovierte nun wieder Mynarek - die Kreise sind klein. Daß sich eine ministrable Industrieberaterin wie Gertrud Höhler seit Jahren auf dem New Age-Trip befindet und gerade deshalb in den Chefetagen des deutschen Kapitals gern gesehen ist, hat seinen Grund. Man braucht gar nicht lange zu suchen.

Platt und offen schreibt Faye (in Krebs 1988, S. 250): "Es ist daher wichtig, zumal sich unsere Götter nun im Kosmos befinden, diese europäische techno-wissenschaftliche Kultur mit der Eroberung des Weltraums fortzusetzen, die für die Europäer ferner den Schlüssel zu ihrer strategischen und militärischen Unabhängigkeit bildet" (vgl. hierzu die identischen Äußerungen Chamberlains, zit. in These 5). Zum Wohle der deutsch geführten europäischen Weltraumtechnologie wurde die Daimler Benz-MBB-Fusion vorgenommen. Ist es ein Zufall, daß der Präsident der Sekte "Deutsche Unitarier Religionsgemeinschaft", deren Ehrenpräsidentin Sigrid Hunke jahrelang bis Ende 1988 war und die es sich genau auf dem Schnittpunkt von New Age, Faschismus und bundesdeutschem Establishment eingerichtet hat, ein Ingenieur von MBB ist?
High Tech als die Zukunft Europas: Angesichts der Weltmarktlage, wo in zwanzig Jahren die trikontinentalen Schwellenländer die Produkte kostengünstiger herstellen werden, von denen Europa vor zwanzig Jahren selbst noch lebte, ist dies die allgemein akzeptierte Perspektive.

Daß die Biotechnologie die Zukunft Europas sein soll, vielleicht mehr als die Atomtechnologie, das meinte nicht nur VW-Chef Hahn im "Gesprächskreis Wirtschaft und Politik" der Friedrich-Ebert-Stiftung am 13.10.1988. Die Biotechnologie als Schlüsselindustrie, von der Europas Wohlstand abhänge, davon ist die EG-Kommission in Brüssel überzeugt. Gehandelt wird heute erst noch überwiegend im Agrarbereich: die lachsfarbenen Petunien sind der Sympathie heischende Einstieg in die "Überschreitung der offenbaren Ordnung der Natur", synthetische Hormone für die Rinderzucht weisen aufs ökonomische Kalkül.

Die Genomanalyse, bekannt als "genetischer Fingerabdruck", als letzten unbezweifelbaren Beweis über die Identität und die Herkunft der Gene eines Menschen, ist bereits für den britischen Pharma- und Chemiegiganten ICI ein lohnendes Geschäft. Auch hier muß nicht alles streng logisch sein: "Immigrantinnen und Immigranten versuchten durch den genetischen 'Fingerabdruck' den unanfechtbaren Nachweis von Verwandtschaftsbeziehungen zu erbringen, die ihren Angehörigen den legalen Zuzug nach Großbritannien ermöglichen sollte. Doch schon bald verweigerten die rassistischen Ausländerbehörden in England die Anerkennung der DNA-Analyse als Beweismittel. Gleichzeitig aber hielt der genetische 'Fingerabdruck' triumphalen Einzug in englische Gerichtssäle" (Konkret Nr. 7/1990, S. 45). Die Genomanalyse als Kriterium bei der Einstellung von ArbeitnehmerInnen wurde bereits von den Gewerkschaften heftig kritisiert; statt Geld zur Humanisierung des Arbeitslebens auszugeben, wollen Unternehmer lieber nur solche Personen an gefährliche Arbeitsplätze stellen, die aufgrund ihrer genetischen Ausstattung z.B. für bestimmte Chemikalien weniger empfindlich sind. Die "Brave new world" als Ergebnis der Ideologie derer, die diese doch zu kritisieren vorgeben.

Die Ethik-Debatte um Eugenik und Euthanasie, die in den USA bereits offen mit ökonomischen Argumenten volkswirtschaftlicher Kosten-Nutzen-Rechnungen über die angebliche Nichtbezahlbarkeit von Krankheit geführt wird, ist dankbar für die gottmenschliche Unterstützung aus dem New Age. Wer wegen mangelnder Humanität des Arbeitsplatzes im Alter eine verschlissene Gesundheit hat, dem wird der Giftbecher angeboten. Die ehemalige Kolumnistin der inzwischen kapitaleigenen Tageszeitung DIE WELT Sigrid Hunke, die sich in ihrem "nach-kommunistischen Manifest" (1974) bei Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik ständig auf den damaligen Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer, ein ehemaliges SS-Mitglied, berief, hat in ihrem vorletzten Buch "Tod - was ist dein Sinn (Pfullingen 1986) die faschistische Todesethik, ausgehend von der Spiritualität des "Meisters aus Deutschland" Eckehart, bereits durchgespielt: "Vertrauen in den Tod" ist ihre Devise, denn: "Das Prinzip Vertrauen ist mehr als das Prinzip Hoffnung" (S. 149). Bedenkt man, daß Hunke jahrelang als Vize- und Ehrenpräsidentin einer Sekte vorgestanden hat, die sich noch 1986 auf den Mitverantwortlichen am Zustandekommen der Nazi-"Euthanasie"-Morde Albert Hartl, Gestapo-Chef der Abteilung für Kirchenbeobachtung im Reichssicherheitshauptamt, berief, so wird der "faustische" Inhalt des "Prinzips Vertrauen in den Tod" deutlich (vgl. Ernst Klee: "Euthanasie" im NS-Staat, Frankfurt 1983, S. 278 ff). Die ganzheitlich denkende Hunke unter Berufung auf Eckehart: "Das ursprüngliche Einssein des Menschen mit dem Göttlichen, aus dem er kommt und das in ihm lebt, läßt ihn im Tod wieder in das Göttliche eingehen. Der Tod stiftet neue, höhere Einheit" (1986 S. 141).
Während ein US-amerikanischer Gouverneur bereits öffentlich und aus ökonomischen Motiven von der Pflicht der Alten, zu sterben, gesprochen hat, läuft diese Debatte in Deutschland bisher noch etwas vorsichtiger, man hat ja Vergangenheit: "Hilfe", Sterbehilfe eben, und "Vertrauen".

Auf den Feldern derer, die das organische Weltbild gesät haben, ernten nun auch Sensemänner des Kapitals, die Sämann und -frau doch eigentlich zu bekämpfen vorgaben. Und diese Ernte wird nicht zum erstenmal eingefahren. "Wenn das atomistische Verfahren Natur und Kosmos, Mensch und Gesellschaft, Geist und Persönlichkeit verfehlt und verfälscht, kann es nicht plötzlich in der Wirtschaft Anspruch auf Wahrheit und Geltung erheben", resümiert das ehemalige CSU-MdB Walter Becher die wirtschaftspolitischen Vorstellungen des präfaschistischen Othmar Spann (S. 150). Und da ist sie auch schon wieder, die faschistische "Großraumwirtschaft" (S. 156). Organisch soll sie sein, nach innen wie nach außen, d.h.: Jedem das Seine, nach seinem zugedachten Platz im Ganzen, im Gefüge. "Großraum- und Volkswirtschaften differenzieren sich durch den Menschenschlag und arteigene Zielwelt, die in Europa anders ist als in Südostasien, in Deutschland anders als in Indien, aber auch anders als in Italien, in der Türkei oder in Portugal" (S. 156, Hervh. Org.). Techno-Wissenschaft und ihr Ergebnis: Wohlstand, beide sind europäisch "arteigenen", der Neger ist dagegen agrarisch und kann gut tanzen. Und auch die "indogermanische" Solidarität hört am Geldbeutel auf, wie man sieht. Die hier nach Othmar Spann vorgenommene innereuropäische Differenzierung ist die Perspektive einer "organisch-kosmischen" EG. Und sie ist keineswegs neu. Der Außenmitarbeiter der "Pressestelle Auslandsdienst" der "Militärischen Stelle im Auswärtigen Amt" des deutschen Kaiserreiches Ernst Jäckh schrieb im Juni 1916 über "Mitteleuropa als Organismus" und den "Sinn für das Organische": "Deutschland ist eine Art Mikrokosmos von Mitteleuropa", so wie seine "einzelnen Organe" erst "zur Einheit des Organismus zusammenwachsen" mußten, so müsse es auch das deutsch geführte Europa nach dem deutschen Sieg im Weltkrieg. Von der "organischen Notwendigkeit dieses Zusammenhanges" Mitteleuropas und "der naturgemäßen Bedingtheit der einzelnen Organe" war hier die Rede (55); gemeint war in dieser Hohen Zeit Chamberlain'schen Denkens (56) die schon von Lagarde für nötig erachtete Kolonisierung Südosteuropas durch das deutsche Kapital, die im August 1914 in Angriff genommen worden war.

Derartige "organische" Kriegszielschriften finden sich für den Ersten und den Zweiten Weltkrieg zahlreich in dem Dokumentenband "Europastrategien des deutschen Kapitals" von Reinhard Opitz. Der Herausgeber weist darauf hin, daß Jäckhs Schriften zum großen Teil von dem Elekto-Industriellen Robert Bosch finanziert worden waren. Die Hypothese über einen Zusammenhang zwischen neurechter Ideologie (-bildung), New Age und Kapitalinteresse hat Verf. am Beispiel der Siemens AG und des Programms der von dem Neurechten Armin Mohler geführten Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung dargestellt (57).
Lukács hatte bereits die Verbindung der "Zerstörung der Vernunft" durch den Irrationalismus der Jahrhundertwende mit der damaligen Phase des ökonomischen und militärischen Imperialismus in Verbindung gebracht, das erstere als den geistigen Überbau des zweiten analysiert.

Die Zeitschrift "Criticon", in der Mohler mitarbeitet, brachte 1977 (in Nummer 44, S. 324) die Darstellung eines Europa-Planes der "Nouvelle Droite" um Alain de Benoist, "Les racines du Futur. Demain la France": "In ihren (der Nouvelle Droite, P.K:) Augen wurzelt das soziale Modell Europas vorgeschichtlich...in den Mythologien der indoeuropäischen Völker", heißt es in dem Artikel; es werde die "Verstärkung der eigentlichen politischen Autorität" gefordert, die "Wiederherstellung einer militärischen Elite" sowie "eine präzise Zuweisung von Aufgaben an die Wirtschaft". Solche "vorgeschichtlich" und "mythisch wurzelnden" Konzepte kennt man aus der Zeit zwischen 1920 und 1945 (oder 1976: Francos Tod) in Europas Wirklichkeit. Aber nicht nur daher: Im SPIEGEL (Nr. 17/1989, S. 130) sagt der High-Tech-Berater aller Bundesregierungen seit 1969 Ingolf Ruge über den Konkurrenzkampf Europa-USA-Japan auf dem High-Tech-Weltmarkt: "Die Deutschen - und dann die Europäer - müssen sich mehr um einen Konsens bemühen. Das Wirtschaftssystem des Jahres 2000 muß anders strukturiert sein als unser heutiges System. Jetzt heißt es nur: Die Wirtschaft soll in den Zukunftsindustrien alles selbst machen, der Staat hält sich da mit seinen Subventionen raus. Der Erfolg der Japaner liegt einmal in ihrem Fleiß, in ihrer Sorgfalt, in ihrem Nationalbewußtsein, zum anderen aber in ihrem System der Kooperation zwischen Staat und Wirtschaft". Auf der alten kelto-germanischen Schiene, die von Chamberlain bis Eichberg reicht und in der "Wurzelsuche" des New Age Blüten der Mystik treibt, fordert die Nouvelle Droite in "Criticon": "eine neue europäische Einheit..., die vom Kampf gegen einen gemeinsamen Feind (die Sowjetunion) ausgehend auf einer deutsch-französischen Achse ruht". Die Feinderklärung in Europa hat sich seit der Respiritualisierung Polens weitgehend erübrigt, die Aufgabenverteilung nach der Organismus-Methapher konnte deshalb bereits beginnen: High Spirit und High Tech für das Zentralnervensystem in Mitteleuropa, viel Handarbeit für die Peripherie.

Im Innern wachsen derweil die Bäume für die, die Spirit brauchen. Das indogermanisch-mythologisch wurzelnde "System der Kooperation zwischen Staat und Wirtschaft" soll einem fiktiven Ganzen dienen, nicht den konkreten Menschen. "Die Japaner", "die Europäer", nicht: die Fließbandarbeiterin X, die für ihr zweites Kind dringend auch ein zweites Kinderzimmer bräuchte, ein Partikularinteresse, zugegeben. Industrieberaterin Gertrud Höhler spricht in ihrem "MUT"-Artikel ("Bäume - Sinnbilder des Lebens: Indianerbäume", vgl. 1. These) von der freudigen "Unterwerfung" der Indianer unter "die Gesetze der Natur" (S. 54), von der Bereitschaft, "sich selbst in die Kreisläufe des natürlichen und kosmischen Geschehens einzuordnen" (S. 57), kritisiert den "selbstverständliche(n) Komfort des Zusammenlebens, an den wir uns unter dem Schlagwort des 'Sozialen' gewöhnt haben" und findet, das Soziale Netz tue "ein übriges, unser Wissen über die Unerbittlichkeit und Großartigkeit der Natur in gleicher Weise zu verwischen" (S. 59). "Nicht um Rückwege" geht es ihr beim Rückgriff auf die Weisheiten naturmystischer Indianerhäuptlinge, sondern "um den Versuch der Integration von Eroberergesinnung und Bewunderung" gegenüber der Natur (S. 60). Das Erobern ist die Sache derer, die Höhler berät, das Bewundern die Sache derer, die sich wegen der "Unerbittlichkeit" mit nur einem Kinderzimmer für mehrere Kinder zufrieden geben müssen. In dem Buch "Verspielen wir die Zukunft? Gespräche über Technik und Glück" (Zürich 1982) läßt Höhler die Katze des Kapitalinteresses aus dem Sack ihres New Age-Engagements: "Die Zustimmungsfähigkeit zum Sinn der wissenschaftlich-technischen Welt muß erhalten bleiben oder wiederhergestellt werden in großen Teilen der Bevölkerung", nicht bei den vor ihr Beratenen, denn: "Es gibt keine Selbstverständlichkeit mehr bei den Wirkungen moralischer Ansprüche, die sich an Gruppen richten" (S.52 f). "Wir müssen offenbar eine Zustimmungswilligkeit erzeugen" (S. 54), über Mythos und Respiritualisierung, jedenfalls über Irrationales, vgl. These 3.

Jakob von Uexküll, der Erfinder der ständestaatlichen "Organbäume", kritisierte bereits in seiner "Staatbiologie" von 1920 die Unverschämtheit des sozialen Anspruchdenkens der atomistischen Massen: "Solange der Betrieb des Staates geregelt weiterging", hatte dieser "die Möglichkeit, den einzelnen Arbeitsfeindlichen durch einen Arbeitswilligen zu ersetzen, der wohl stets vorhanden war. Sobald aber eine größere Zahl Arbeiter aus der Arbeitskette zurücktrat und streikte, stand das betroffene Staatsorgan vor dem Untergang" (S. 66). "Parasiten", und zwar insbesondere "Fremdrassige", die 1920 zahlreich in der deutschen Linken aktiv waren, "gedeihen besser in einem kranken Staate, der nur noch schwach auf ihre Eingriffe reagiert" (S. 73): "Die Versuche des (bereits "geschwächten", P.K.) Staates, ein Streikverbot zu erlassen, wurden...vereitelt" (S. 66).

In anderem Zusammenhang sagt 1990 der New Age-Poet der Hippie-Bewegung Allen Ginsberg, ökologisch gemünzt: "Der ganze Planet hat AIDS". Der Verursacher dieses planetarischen, ökologischen AIDS ist allerdings im biologistisch-organischen Denken von Lagarde bis Capra oder Mynarek identisch mit dem der staatlichen Immunschwäche bei Uexküll: das letztlich jüdisch-christliche Weltbild, hier technisch, da politisch im "contrat social" (Uexküll, S. 66), in beiden Fällen als anti-ganzheitlich, atomistisch wirkend angesehen.

So ist das kosmische Weltbild, über "Ökoreligiösität" oder Naturreligion in die Köpfe der Menschen gebracht, also im Innern nützlich zur Formierung der autoritären Gesellschaft und nach außen dienstbar zur Abgrenzung vom angeblich "Fremden", um dieses dann aber doch zu erobern.

10. Dieselbe Vision: Das neue Reich, das neue Zeitalter

Das "dritte Reich" und das "New Age": zwei Mythen, die sich gleichen, wie ein Haar dem anderen. Ihr Inhalt ist die organisch-ganzheitliche "Gemeinschaft" des "jede(r) an seinem/ihrem Platz", die gegen die atomistische "Gesellschaft" der Gleichen als Un-Reich gestellt wird. Sie sind beide eine spirituelle Vision, keine "konkrete Utopie"; nicht die Umwerfung der materiellen Verhältnisse führt zu ihnen hin, das unterscheidet sie auch vom "Reich der Freiheit" des Kommunistischen Manifestes. Ihrem Charakter nach sind sie auf spirituellem Wege erreichbar. Beide wollen das endliche Stadium des Glücks sein, der "vollkommenen Harmonie des Ganzen" (Mynarek 1986, S. 203), "die Sinfonie aller Teile im System des Ganzen am Ende der kosmischen Geschichte" (S. 201).

Paul de Lagarde sprach 1875 bereits ebenso vom spirituellen "inneren Reich" wie Pierre Krebs 1988. Sontheimer (vgl. Anm. 10) analysierte "die Vision des Reiches" im antidemokratischen Denken der Weimarer Republik als eine religiöse. Er führt unter der Überschrift "Gottes-Reich der Deutschen" den völkisch-protestanstischen Wilhelm Stapel an (S. 226 f), der den Unterschied zwischen weltlicher und geistlicher Herrschaft in der Person eines christlichen Kaisers aufgelöst sah - das erinnert doch sehr an den spirituell gestützten "Fürsten der ökologischen Wende" bei Bahro. Stapel mache die Rechnung zwischen "französisch" und "deutsch" auf, der alte Mythos des Kampfes zwischen "Lutetia" und "Germania", letztlich zwischen Liberalismus/Sozialismus und dem organisch-ganzheitlichen Weltbild/Gesellschaftsaufbau, den wir so anschaulich auf der Berliner Siegessäule dargestellt sehen. Sontheimer sieht sogleich den imperialistischen Aspekt des "Reiches": "Dieser Kampf gehe um die Herrschaft in Europa. Europa müsse übernational werden, aber eine solche Ordnung müsse auf der natürlichen Rangordnung der Nationen beruhen" (S. 226 f), das "Reich" ist hier, ganz im Sinne des heutigen "New Age", universell, kosmisch geplant, nicht etwa "kleindeutsch". "Das Reich ist die endgültige Ordnung der Welt", zitiert Sontheimer Franz Schauwecker, der von der "Identität von Deutschem Reich und Gottesreich" ausgehe (S. 227 f); dieses Zitat könnte auch eine Beschreibung des "Neuen Zeitalters" bei Capra oder Mynarek sein. Sontheimer kommentiert die spirituelle Reichs-Vorstellung: "Dieses Reich ist nicht von Menschenhand erklügelt, es kommt von Gott selber her und empfängt von ihm den Glanz seiner Majestät...Diese Reichsschwärmerei korrespondiert, wie bei vielen anderen Reichsideologen, einer militanten Aggressivität gegen das demokratische System von Weimar" (S .230).

Sie korrespondiert auch einer Vorstellung des "New Age", wie man sie in der "Ökologischen Religion" des New Agers Mynarek findet: als der politischen Durchsetzung der göttlichen Naturprinzipien im Gottesstaat der "ökoreligiösen Menschen", wie Mynarek es explizit fordert, vgl. These 1. Bedenkt man, daß derselbe New Ager eng mit der Sekte "Deutsche Unitarier Religionsgemeinschaft" zusammenarbeitet, in der sich Anhänger und enge Mitarbeiter Alfred Rosenbergs zusammenfanden und die erst im April 1990 noch ehemalige Kandidatinnen der rechtsextremistischen "Kieler Liste für Ausländerbegrenzung" in leitende Sekten-Ämter wählte, so kann man sagen, daß auch heute diese Art von New Age-Reichs-Idee mit der Ablehnung des demokratischen Systems, diesmal von Bonn, korrespondiert.

Der New Age-faschistsiche Gottmensch ist in Friedrich Hielschers "Das Reich" gemeint, aus dem Sontheimer zitiert: "Auf das Reich, als den Täter und Wissenden Gottes, ist die Geschichte aller anderen Seelentümer angelegt" (S. 231). Sontheimer kommentiert: "Das Reich lebt also von innen heraus; die es in sich tragen, sind Berufene, die unabhängig voneinander zu wirken beginnen, bis sie sich erkennen...Die Hielschersche Reichsidee ist esoterisch, ganz vom Schleier des Geheimnisses umwoben...Hielschers 'Reich' ist das Buch eines politischen Gläubigen, verfaßt für Gläubige, ein Buch großer Worte, geschrieben mit der Gebärde des Tiefwissenden" (S. 231 f) - Charakterisierungen, wie sie auf Capras "Wendezeit" oder Mynareks "Ökologische Religion" paßten. Die Vorstellungen des konservativ-revolutionären Juni-Clubs über das Reich und Mitteleuropa lassen sich durchaus mit Sigrid Hunkes Ideen verbinden, die sie in der provokativen Überschrift zusammenfaßte "Das Reich ist tot - es lebe Europa", ein deutsch geführtes, in indogermanischen Mythen wurzelndes "Europa" als zeitgemäße Weiterentwicklung des veralteten Reiches. Über Moeller van den Brucks Schrift "Das dritte Reich" von 1923, das "die ungeheure mythische Kraft dieser Formel für die antidemokratische Massenbewegung" ausgedrückt habe, urteilt Sontheimer: "Es ist sowohl das Reich (gemeint), das der deutsche Nationalismus in nächster Zukunft errichten wird, wie jene besondere, nie voll einlösbare Verheißung für das deutsche Volk, das Endreich. Den Gedanken des Dritten Reiches als 'höchster und letzter Weltanschauungsgedanke', von dem er nicht lassen könne, empfindet Moeller selbst als problematisch: er sei 'seltsam wolkig' und ganz und gar jenseits. Er führe über die Wirklichkeit hinaus, doch müsse er gerade zu einem Wirklichkeitsgedanken gemacht werden" (S. 239). Und dann das Zitat des ganzheitlichen New Agers Moeller: "Das Dritte Reich wird ein Reich der Zusammenfassung sein, die in den europäischen Erschütterungen und politisch gelingen muß" (Moeller, zit. n. ebd.).

Wer nun einwenden möchte, der Dezentralisierungsgedanke im New Age stünde all dem entgegen, wird enttäuscht sein, denn auch die geistigen Vorbereiter des Faschismus waren Dezentralisten in der Theorie: Chamberlain z.B. mit seiner Kritik am römisch-antiken Imperiums-Gedanken, der vom religiös fundierten Weltherrschaftsanspruch des Judentums nach Rom gedrungen sei, und den die Päpste - urbi et orbi - beerbt hätten. Oder wieder Moeller, über den Hans-Joachim Schwierskott schreibt: "Sich gegen den Zentralismus im Reichsvolk und den Imperialismus des Reiches abgrenzend setzte Moeller als Motto über das Kapitel vom Reich die Forderung: 'Wir müssen die Kraft haben, in Gegensätzen zu leben'. Das bedeutet ein unzweideutiges Bekenntnis zum Föderalismus, der im Reiche nicht in uniformer Gleichmacherei erstickt werden, sondern im Gegenteil, den schöpferischen Reichtum dieses Reiches ausmachen soll" (58). Neben der Anerkennung der Hierarchie, der Führung durch ein Reichsvolk, tritt also die coincidentia oppositorum, die Zusammenfassung heterogener Kräfte. Gemein jedoch müsse allen diesen Kräften ein spezifisch deutsches Wertungsbewußtsein eignen. Damit beanspruchte das Reich als Überstaat und Ordnungsprinzip einen nur ideell zu umreißenden Raum. 'Die Gültigkeit seiner Idee schafft den Raum des Reiches'", so ein Moeller-Zitat bei Schwierskott, das genuin New Age-Ideologie beinhaltet (ebd.).

Natürlich kann dieses Reich nicht rational verstanden und erbaut werden, es kann nur "erglaubt" werden, vgl. Lagarde. Auch zum "New Age" findet nur, wer die esoterischen, meditativen Praktiken anwendet, in seinem Innern zum "Reich Gottes" findet, vgl. die Lehren des Meisters Eckehart. Etliche Autoren haben sich mit dem metaphysischen, spirituellen Charakter der antidemokratischen Reichsidee der 20er Jahre befaßt, so auch Jean Neurohr in seinem Buch "Der Mythos vom Dritten Reich" (Stuttgart 1957), der vor allem in dem Kapitel "Imperium Sacrum" auch auf die geschichtliche Entwicklung der Idee eingeht. Er setzt den Reichgedanken auch in Beziehung zu den Verheißungen des "Neuen Menschen", eine Vision, auf die auch Küenzlen 1988 in seinem Artikel "Das New-Age-Syndrom" wieder hinweist. Weil all dies hier nicht mehr dargestellt werden kann, soll lediglich der Schlußsatz dieses Kapitels "Imperium Sacrum" bei Neurohr zitiert werden. Zur "Idee eines übernationalen Reiches" läßt Neurohr Edgar Jung ("Die Herrschaft der Minderwertigen, ihr Zerfall und ihre Ablösung durch ein Neues Reich" von 1927) zu Wort kommen: "aus deutschem Geiste geboren, das Abendland vor endgültiger Auflösung bewahrt" (S. 201). Bei Sigrid Hunke heißt dies 1989: "Vom Untergang des Abendlandes zum Aufgang Europas".

Auf die spirituelle Seite des Reichsgedankens der Nazis verweist Josef Ackermann in "Heinrich Himmler als Ideologe" (vgl. Anm. 4). "Dieses Reich wird geradezu ein heiliger Mythos sein", zitiert er Himmler (S.171). Walther Wüst, bei SS-"Ahnenerbe" aktiv, Autor von "Das Reich. Gedanke und Wirklichkeit bei den alten Ariern", befand das Nazi-Reich laut Ackermann als "heilig, weil es in fugenloser Übereinstimmung eine Schöpfung der göttlichen Welt- und Zeitordnung sei, weil Gott es selber eingerichtet habe" (S.174) - die Mynarek'sche Herleitung des "ökoreligiösen" Gottesstaates, der Heil, Heilen und göttliche Natur politisch werden läßt.

Die interessante Frage, warum ausgerechnet heute nach Positionen wie dem "inneren Reich" von Lagarde/Krebs, über die man vor 15, 20 Jahren gelacht hätte, im größeren Stil gegriffen wird, ist die interessante. Sontheimer wertet die spirituell mitbegründete Hoffnung der 20er Jahre auf das Reich als Einbruch des Glaubens in die Welt der politischen Verzweiflung und des wirtschaftlichen Niederganges (S. 242), auch als einen Bruch mit der mechanistischen Demokratie, dem rechnerischen, interessen- und zweckbestimmten Charakter demokratischer (Partei-) Politik in einer Gesellschaft, die immer mehr statt weniger von Interessenskonflikten geprägt ist. Er zitiert einen Reichs-Theoretiker von 1932: "Die entscheidende Bedeutung der Reichsidee liegt darin, daß sie dem Krisenbewußtsein, das die deutsche Gegenwart beherrscht, einen positiven Sinn gibt" (S. 242), eine durchaus aktuelle Erklärung der Hinwendung zu einem verheißenen "Neuen Zeitalter", auf die offenbar auch Gertrud Höhler setzt. Thomas Nipperdey (vgl. Anm. 50) schreibt, zeitlich passend, 1988 in seinem Artikel "Religion und Gesellschaft: Deutschland um 1900" (59) über die Krise der Moderne zu Zeiten Lagardes, Chamberlains usw., bei der damaligen Respiritualisierung habe es sich um "eine postmoderne Modernität jenseits der 'alten' Aufklärungsmodernität" gehandelt (S. 596) - eine feine Umschreibung Nipperdeys für das "Faustische", das bereits zu Zeiten der Aufklärung jenseits ihrer Botschaft war. "Man muß versuchen, die provozierenden Formeln von Über- und Herrenmenschen als Gegenbilder gegen den angepaßten und außengeleiteten Menschen zu verstehen, als Antwort auf die Bedrohung des Projektes der Moderne von der Autonomie durch die Folgen eben dieser Moderne" (S. 605), schreibt Nipperdey entschuldigend und werbend. Ein konservativer etablierter Historiker, kein New Age-Spinner, kein Neofaschist, findet hier seine Worte für das Projekt der "Postmoderne": das in alten "indogermanischen" Mythen spirituell fußende Neue Zeitalter eines deutsch geführten Herrenmenschen-Reiches.

Die reale Umsetzung des Mythos im Reich bzw. im Aquarius erscheint nach der Respiritualisierung als höherer Auftrag, letztlich als göttlicher Auftrag. Es gibt allerdings einen wesentlichen Unterschied zwischen dem Mythos des "Reiches" damals und dem des "Neuen Zeitalters" heute: der (trotz aller gegenstehenden Rhetorik dann doch reale) imperiale Anspruch des "Reiches" bezog sich nur auf Europa; der imperiale Anspruch des Aquarius ist global bzw. kosmisch.

Schluß: Die Indogermanen belehren uns

Sigrid Hunke glaubt fälschlicherweise, für ihr "arisches" Projekt des "Aufgangs Europas" den "bunt schillernden Supermarkt des New Age" nicht zu brauchen. Die inzwischen fast 80jährige Hunke wirft auf nur einer Seite ihres letzten Buches (1989, S. 319 f) alles über Bord, was in der von ihr bisher propagierten "indogermanischen" Geschichte der Spiritualität von außerhalb des eng begrenzen "Deutschland" gesammelt wurde, insbesondere jeden Anklang an "östliche Spiritualität". Und dies nur, weil das Indoarische als New Age neuerdings aus dem Land der verhaßten Sieger über den Faschismus zu uns kam, gewissermaßen als eine "Reeducation verkehrt", die Hunke aber nicht mehr aufnehmen kann. Sie sieht darin lediglich einen "Gemischtwarenmarkt, zu weitläufig, zu kommerziell und für Europäer grundfalsch assortiert", etwas Fremdes also, "neue Entfremdungen", die deshalb den Keim eines neuen Unterganges des Abendlandes bereits in sich trügen. Da waren die faschistischen und vorfaschistischen Ideologen früher klüger, auch Hunke selbst, da ist die "Neue Rechte" insgesamt heute immer noch klüger.

Denn es liegt ja auf der Hand, trotz des "ganzheitlichen" Denkens: nicht jede(r) ist mit Einem zu ködern. Und die Rechte könnte doch gerade mit den Buntschillernden recht zufrieden sein:

"Oneness", Ganzheit, heißt ein im übrigen deutschsprachiges Informationsblatt des Sri Chinmoy aus Indien, eines der bedeutenderen und (Einfluß-) reicheren Gurus. Die Ausgabe Nr. 3, November/Dezember 1989, dieser Zeitschrift mit dem Untertitel "Peace-News - Spiritualität: die Quelle des Weltfriedens" trägt auf dem Titel die Schlagzeile "Mit aktuellem Sonderteil über die neuesten Ereignisse in Deutschland". Innen ist eine "Seelenkarte Deutschlands seit dem 9. November 1989" abgedruckt: ganzheitlich in den erst noch kommenden Grenzen. Die im November 1989 noch prophetische Karte, in Wirklichkeit eine Land- (nahme) statt "Seelen"-Karte des "Deutschland als Ganzem" (60) will Sri Chinmoy durch "eine Beobachtung, die er in der inneren Welt gemacht hatte", erschaut haben. Seine Anhänger belehren uns: "Er betonte jedoch, daß er von einem rein spirituellen Standpunkt aus gesprochen habe und sich jeder politischen Stellungnahme enthalte. Es freut uns, diese Neuigkeit veröffentlichen zu dürfen; es ist eine wirkliche Oneness-Peace-News, und wir hoffen, daß sie mit Reife und Weisheit aufgenommen wird".

9. November 1989, die Trümmer des verbrannten Judentums sind weggeräumt. Jetzt, endlich frei von vorderasiatisch-semitischer Überfremdung und jüdischer Streitsucht, spricht der indoarische Mystiker Sri Chinmoy zu den Deutschen: "Die Seele Deutschlands feiert einen großen Sieg über die dunkelste Nacht der Unwissenheit. Dieser göttliche Sieg Deutschlands ist ein echter Sieg der ganzen friedliebenden Einsseins-Weltfamilie".

Sri Chinmoys Konkurrenten von der "Internationalen Gesellschaft für Krischna-Bewußtsein" (die sogenannte Hare-Krishna-Sekte, die wir dankenswerteweise durch George Harrisons Plattenproduktion noch von ihrem 1968er Hit des Londoner "Hare-Krisha-Temple" her kennen), hatten bereits 1981 in deutscher Sprache das "Varnasrama-Manifest der sozialen Vernunft" veröffentlicht (New York 1981). Jetzt endlich verstehen wir, was uns die Hare-Krishna-Singer auf dem Apple-Label sagen wollten. Es ist das altbekannte Konzept: "Die Brahmanas: Der Kopf des sozialen Körpers", das ist die Priesterkaste des Neuen Zeitalters, Mynareks biologisch angeblich höherstehenden "ökoreligiösen Menschen" vergleichbar; "die Ksatriyas: Die Arme des sozialen Körpers", hier werden die Beamten, die Polizei und die Streitkräfte genannt; "die Vaisyas: Der Magen des sozialen Körpers", damit sind Uexkülls "Organbäume" der (Ernährungs-) Wirtschaft gemeint; schließlich "die Sudras: Die Beine des sozialen Körpers": dieses Kapitel des "Manifestes der sozialen Vernunft" ist ganz kurz und steht unter der Überschrift "Wirkliches Glück für die Arbeiterklasse". Im Text heißt es dann:

"In jeder Gesellschaft bildet die Sudra-Klasse den größten und die Brahmana-Klasse den kleinsten Teil der Bevölkerung...Hochqualifizierte Menschen sind selten, unqualifizierte Menschen gibt es viele...Der beruflichen Neigung der Sudras entspricht es, körperlich zu arbeiten und zu dienen...Weil der Sudra nicht über die vier Tätigkeiten von Essen, Schlafen, Sexualität und Verteidigung hinaussehen will, sind seine Gedankengänge dieselben wie die der Tiere...Das Varnasrama-System läßt die Sudras hart arbeiten, damit sie ihre groben Verlangen austoben können...Wenn der Sudra seine Pflicht, den höheren Schichten der Gesellschaft treu zu dienen, ausführt, macht er trotz seiner tief verwurzelten materiellen Anhaftungen allmählich spirituellen Fortschritt. Dies ist das Geheimnis des Varnasrama-Systems. Wenn die Menschen einfach ihrer Natur folgen und sich an die Varnasrama-Richtlinien halten, werden sie allmählich gereinigt werden." (S. 215-219).

Was in den 70er Jahren noch als "Jugendsekten" verharmlost wurde, von denen allenfalls die konkurrierenden Großkirchen betroffen seien (so wie auch heute wieder der militante Neonazismus als Rauditum jugendlicher Fußballfans verharmlost wird, die man mit "Fanprojekten" schon wieder in den Deutschen Sportbund integrieren könne), das erscheint unversehens als ein Hauptpunkt faschistischer Ideologie, antidemokratischer Gesellschaftsverfassung und sozialer Unterdrückung, als die Lebensperspektive eines Großteils der Menschen unter dem Faschismus oder dem New Age.

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Anmerkungen:
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(1) Vgl. P. Krebs: Mut zur Identität. Alternativen zum Prinzip der Gleichheit, Struckum 1988; A. de Benoist: Heide sein zu einem neuen Anfang, Tübingen 1982; F. Capra: Wendezeit, Bern München Wien 1986
(2) Zit. nach dem Reprint der 2. Auflage 1924, München o.J. (80er Jahre)
(3) Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 1986, S.135 f
(4) Zum religiösen Charakter des Quasi-Ordens SS vgl. J. Ackermann: Heinrich Himmler als Ideologe, Göttingen 1970
(5) J. Wichmann: Die Renaissance der Esoterik. Eine kritische Orientierung, Stuttgart 1990, S.291
(6) Vgl. P. Kratz: FaschistInnen wollen mit New Age-Image leichtgläubige Menschen ködern, Broschüre herausgegeben von der Bonner Initiative Gemeinsam gegen Neofaschismus, Bonn 1990
(7) Vgl. Gugenberger/Schweidlenka 1987, S.31 ff; auch Karl May stand der völkischen Bewegung nahe.
(8) Vgl. Deutschland-Berichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands- SoPaDe, besonders Jahrgang 1935, Frankfurt 1980
(9) Die Dr. Lothar Rossipaul Verlagsgesellschaft, München, gibt alljährlich den Buchkatalog "Lebenshilfe und Esoterik" heraus, der New Age-Literatur zahlreicher deutschsprachiger Verlage enthält und laut Impressum "von mehr als 600 Buchhändlern in der Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin sowie Österreich und der Schweiz kostenlos an Kunden abgegeben" wird. Der Katalog wird von Jens Dittmar besorgt.
(10) esotera, Nr. 10/1988
(11) In Haverbecks "Collegium Humanum" (CH) tagte laut dem Verfassungsschutzbericht Nordrhein-Westfalens von 1984 unter dem Deckmantel eines Seminar über Naturreligionen Michael Kühnens "Komitee zur Vorbereitung der Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag Adolf Hitlers" (KAH); der damalige Kühnen-Vertraute und heutige Funktionär der "Republikaner" Michael Krämer war in der Geschäftsführung des CH beschäftigt.
(12) Vgl. P. Kratz: Die nationalrevolutionäre Connection: Gaddafi - Mechtersheimer - Schönhuber. Quellen und Querverbindungen neofaschistischer Deutschland-Vereiniger, herausgegeben von der Bonner Initiative Gemeinsam gegen Neofaschismus, Bonn 1990
(13) R. Bahro: Logik der Rettung, Stuttgart 1987, S.461
(14) Vgl. Stern: Kulturpessimismus, S. 270
(15) Vgl. K. Sontheimer: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik, erweiterte Studienausgabe München 1968
(16) Zur damals üblichen Identifizierung von Judentum und kapitalistischen Mißständen vgl. auch F. Stern: Kulturpessimismus als politische Gefahr, Bern 1963, S. 90 f
(17) J. Hermand: Der alte Traum vom neuen Reich. Völkische Utopien und Nationalsozialismus, Frankfurt 1988
(18) Vgl. E. Niekisch, z.B. Politik und Idee, Dresden 1929; Gedanken über deutsche Politik, Dresden 1929; Entscheidung, Berlin 1930; besonders: Hitler - ein deutsches Verhängnis, Berlin 1932
(19) H. Eichberg: Abkopplung, Koblenz 1987
(20) H. Eichberg: Kommen die alten Götter wieder? Germanisches Heidentum im 18./19. Jahrhundert - Zur Genese alternativer Mythen, wo er sich auch z.B. auf den bereits genannten Hermann Wirth bezieht; in: H.P. Dürr (Hg.): Unter dem Pflaster liegt der Strand, Berlin 1984
Zu Eichberg vgl. auch: Die "nationale Frage" als revolutionärer Störfaktor? Streitschrift wider eine "nationale Identität", Deutschtümelei und Wissenschaftsopportunismus. Dokumentation und Diskussion über den GeZeitenwechsel an der Universität Oldenburg, Oldenburg o.J. (1987).
(21) H.St. Chamberlain: Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts. 9. Auflage der Volksausgabe, München 1909; S. Hunke: Europas andere Religion, Düsseldorf 1969; A. de Benoist: Die Religion der Menschenrechte, in: Krebs 1988
(22) H.St. Chamberlain: Immanuel Kant, 4. Aufl. München 1921, S.716
(23) S. Hunke: Das Ende des Zwiespalts, Bergisch Gladbach 1971. Im Erscheinungsjahr dieses Buches wurde Hunke zur Vizepräsidentin der nazistischen Sekte "Deutsche Unitarier Religionsgemeinschaft e.V." gewählt.
(24) S. Hunke: Kampf um Europas religiöse Identität, in: Krebs 1988, S. 81
(25) Ausgabe B 40/89 vom 29.9.1989
(26) Geschrieben laut Vorwort im wesentlichen 1859
(27) S. Hunke: Vom Untergang des Abendlandes zum Aufgang Europas, Rosenheim 1989
(28) elemente Nr. 1/1986, S. 5f
(29) in Krebs 1988, S. 218 und 231
(30) d.h. gegen "die Fesseln des Egalitarismus und der tausendjährigen Ideologie des okzidentalen Humanitarismus" (S.217) gerichtet;
(31) R. Lindner (Hg.): Verspielen wir die Zukunft? Gespräche über Technik und Glück mit Gerturd Höhler, Hermann Lübbe, Hans Lenk, Helmut Klages, Manfred Härter, Zürich 1982
(32) Vgl. Anm. 7, S. 20
(33) Vgl J.-J. Anstett: Paul de Lagarde, in: UNESCO und International Council for Philosophy and Humanistic Studies (Hg.): The Third Reich, Bungay (Großbritannien) 1955
(34) Vgl. Stern, S. 163 f
(35) H.St. Chamberlain: Goethe, 2. Nachdruck der Volksausgabe München 1932;
ders.: Natur und Leben, München 1928
(36) Vgl. z.B. Capra 1986, Mynarek 1986
(37) Vgl. S. Vietta: Heideggers Kritik am Nationalsozialismus und an der Technik, Tübingen 1989; hier - nach Victor Farías' "Heidegger et le nezisme", Lagrasse 1987 - in interessierter Weise als Auseinandersetzung Heideggers mit der nazistischen Modernisierungspolitik dargestellt.
(38) Vgl. G. Herde/A. Stolze: Die Sudetendeutsche Landsmannschaft, Köln 1987
(39) W. Becher: Der Blick aufs Ganze. Das Weltbild Othmar Spanns, München 1985
(40) Die Bedeutung der Ehrenfels'schen Arbeiten als gemeinsame Quelle von Faschismus und New Age wird z.Z. vom Verf. untersucht. Die bisher übliche Trennung in nazististisch belastete "Ganzheitspsychologie" als deutschvölkische Verfälschung der an sich emanzipatorischen "Gestaltpsychologie" (die zudem noch vorwiegend von jüdischen und exilierten Autoren wie Wertheimer, Lewin usw. betrieben wurde), läßt sich wohl nicht aufrechterhalten.
(41) F. Capra: Ganzheit, Gesundheit und Friede, in: Tübinger Ärzteinitiative gegen den Krieg: Unser Eid auf das Leben verpflichtet zum Widerstand, Dokumentation des 4. Medizinischen Kongresses zur Verhinderung eines Atomkrieges 1984 in Tübingen, Tübingen o.J.
(42) J.v. Uexküll: Staatsbiologie, nach der 2. Aufl. 1933
(43) Chamberlain lehnt diese platte Gleichsetzung von Natur und Vernunft in seinem "Kant"-Buch ab. Das Buch argumentiert in der Folge der neukantischen Bewegung der Jahrhundertwende erkenntniskritisch und verfährt deshalb anders als manch erkenntnistheoretisch ungebildeter New Ager von heute. Chamberlains Descartes- und Kant-Interpretionen erscheinen in einer zwischen ganzheitlichem und mechanistischem Weltbild ständig unentschlossen schwankenden Argumentation zu pendeln, kommen jedoch, da er Kant (wie auch Descartes) als "Arier" und "Germanen" retten will, schließlich zu einer vermittelnden Position, in der Descartes und in seiner Fortentwicklung Kant als arische Urväter ganzheitlichen Denkens vorgestellt werden. Chamberlains Position ähnelt hierin der der "Neuen Rechten". Das kann hier nicht näher ausgeführt werden.
(44) A. Bachmann und M. Schaeffer (Hg.): Neue Wege - neue Ziele, München 1990. Mit Beiträgen von F. Capra, F. Vester, R. Junck, M. Gorbatschow, R. v. Weizsäcker, O. Lafontaine, Dalai-Lama, M. Griefahn u.a.
(45) Zeitschrift für Politik, 35, 1988, Heft 3, hier: G. Küenzlen: Das New-Age-Syndrom. Zur Kultursoziologie vagbundierender Religiösität, S.237-248
(46) Vgl. G. Schiwy: Teilhard de Chardin, München 1981
(47) G. Lukács: Zerstörung der Vernunft, Berlin 1955
(48) W.I. Lenin: Materialismus und Empiriokritizismus, 2. Aufl., Moskau 1947
(49) Alles läuft letztlich wieder auf den Streit zwischen Idealisten und Materialisten hinaus: ob bei Capra und Mynarek, bei Chamberlain und Hunke: die empirische Wirklichkeit wird - trotz des Bezug auf Natur und Naturwissenschaft, der eben kein materialistischer sein will - in ein Nichts aufgelöst, in ein rein geistiges Phänomen. Man sieht auch hieran, wie im New Age der Linken ein altbekannter, neu erstarkter Gegner erwächst. Bereits um die Jahrhundertwende wurden - wie heute im New Age - vor allem Ergebnisse aus der Atomphysik-Forschung als Argumente gegen den Materialismus gewendet, vgl. Lenin, S. 264 ff. Das kann hier nicht weiter ausgeführt werden.
(50) Sorel, der vom Anarchosyndikalismus über die "Action Francaise" (vgl. Teilhard de Chardin !) zur Ideologie des Herrenmenmschen kam, wird heute von der "Neuen Rechten" als Vordenker akzeptiert, vgl. die Literaturauswahl bei Krebs 1988. Der ursprünglich aus der Résistance (!) kommende Ideologe der "Nouvelle Droite" Julien Freund, heute Autor in fast allen "neurechten" Publikationen und Herausgeber der von Sorel gegründeten Sammlung "Le Devenir Social", hielt 1975 bei der vom Neurechten Armin Mohler geleiteten Siemens-Stiftung einen Vortrag über Sorel, interessanterweise auf Vermittlung Thomas Nipperdeys; Mohler selbst schrieb ergänzend zu dem als Broschüre der Siemens-Stiftung erschienenen Vortrag eine Kurzbiographie und Bibliographie Sorels.
Vgl. A. teil: Die imaginäre Revolte. Untersuchungen zur faschistischen Ideologie und ihrer theoretischen Vorbereitung bei Georges Sorel, Carl Schmitt und Ernst Jünger, Marburg 1984; J.J. Roth: The roots of Italien fascism: Sorel and Sorelismo, in: The Journal of Modern History, Chicago, 39/1967/30-45; Michael Freund: Georges Sorel. Der revolutionäre Konservatismus, Frankfurt 1972: M. Curtis: Three against the Third Republic. Sorel, Barrès and Maurras, Princeton, N.J., 1959.
Sorels interessanter Beitrag zu unserem Thema kann hier leider nicht ausgeführt werden.
(51) Chamberlain kennt frühere Arbeiten von Poincaré und er kennt Ernst Mach, dessen Perspektiven für sein eigenes, Chamberlains Weltbild, er offenbar nicht versteht und den er vor allem als einen Anti-Kantianer bekämpft, als einen "New Ager" seiner Zeit aber akzeptiert; vgl. Chamberlains "Immanuel Kant", zum letzten z.B. S.508 oder S.581 gegen S.697 f.
(52) P. Teilhard de Chardin: Der Mensch im Kosmos, München 1959, hier S. 279 ff
(53) Vgl. Verfassungsschutzbericht 1984 des nordrhein-westfälischen Innenministers
(54) A. von Schrenck-Notzing: Grundfragen der Parapsychologie, 2. Aufl. Stuttgart 1962 (1929), S.24
(55) Zit. n. R. Opitz: Europastrategien des deutschen Kapitals 1900-1945, Köln 1977, S. 367 ff
(56) Nicht nur der kriegführende Kaiser hatte einen Chamberlain-Lesekreis eingerichtet und korrespondierte eifrig mit diesem.
(57) P. Kratz: Siemens zum Beispiel..., herausgegeben von der Bonner Initiative Gemeinsam gegen Neofaschismus, Bonn 1990
(58) H.-J. Schwierskott: Arthur Moeller van den Bruck und der revolutionäre Nationalismus in der Weimarer Republik, Göttingen 1962, S. 107 f
(59) Th. Nipperdey: Religion und Gesellschaft. Deutschland um 1900, in: Historische Zeitschrift, 246/1988/591-615
(60) Diese sprachliche Parallele aus dem Deutschland-Vertrag von 1955 zum aktuellen ganzheitlichen Trend erscheint als Treppenwitz der Weltgeschichte.

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