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Völlig unwissenschaftlich war die Ausstellung über Hirschfelds "Institut für Sexualwissenschaft", die die Berliner Humboldt-Universität im Mai und Juni 2010 in der "Kommode" am Bebelplatz zeigte (alle Fotos aus der Ausstellung: BIFFF...). Hirschfeld selbst hatte nach ein paar letzten Semestern an der Berliner Universität, wo er nach langem Umherschweifen schließlich ein Medizinstudium abschloss, nie wieder etwas mit der späteren Humboldt-Uni zu tun. Sein privates "Institut" waren Erweiterungsräume seiner privaten Arztpraxis in seinem Wohnhaus.

Schon am Eingang der "Kommode" lockte wochenlang ein verdrecktes Hinweisschild in die Ausstellung, ...



... dessen Aussehen dem inhaltlichen Niveau der Ausstellungstafeln durchaus entsprach. Oben rechts auf dem Zettel sah man die Veranstalter:



die berüchtigte private Berliner Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V.   (MHG), die seit fast dreißig Jahren maßgeblich die Hirschfeld- Geschichtsklitterung mitbetreibt, und das "Institut für Kulturwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin", das unter der Publicity-geilen Christina von Braun, die zu allem und jedem schwätzt, offenbar nicht einmal mehr Fachhochschul-Niveau erreichen kann.

Die Ausstellung war maßgeblich von dem Agraringenieur (!) Rainer Herrn und dem MHG-Gründer Ralf Dohse fabuliert worden. Herrn hatte schon 2008 als "Kurator" einer wesentlich ausführlicheren, aber von denselben Fehlern, Verfälschungen und Auslassungen gekennzeichneten Ausstellung im "Medizinhistorischen Museum" der Charité der Humboldt-Universität fungiert.

Oberflächlich und vielfach inhaltlich falsch, dafür aber teilweise offen rassistisch, berücksichtigte die "Kommode"- Ausstellung von 2010 kaum eine neuere Forschung über Hirschfeld und sein Institut, die das Bild des Helden der MHG in den richtigen historischen Zusammenhang der Vorbereitung der Nazi-Verbrechen stellt. Die Ausstellungs- Tafel über Hirschfelds engsten Mitarbeiter Arthur Kronfeld z.B. (unten) beinhaltete kein einziges Ergebnis der neueren Forschungen über Kronfeld, die seit 2003 bereits im Internet bekannt sind:



Nur in wenigen Sätzen wurde auf Hirschfelds Hauptarbeitsgebiet, die Selektion "lebensunwerter" Menschen durch Eugenik, eingegangen (unten), dabei unkommentiert seine abwartende Zustimmung zum Nazi-"Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" zitiert, als habe es daran nichts zu kritisieren gegeben:



Zwei Tafeln über die Eheberatung am Hirschfeld-Institut gingen mit keinem Wort auf die
konkreten Inhalte ein, die Hirschfeld doch selbst während seiner USA-Reise 1930/31 als den Kern seiner Eheberatung dargestellt hatte:


 
Statt dessen zitierte man - wieder unkommentiert, als gebe es hierzu nichts weiter zu sagen - Hirschfelds absurde Vorstellung über den Zusammenhang von Handschrift, Berufswahl und Sexualiität:



Auf der Ausstellungstafel der MHG heißt es: "In der Handschrift wie auch in Zeichnungen und anderen Handfertigkeiten lassen sich - so Hirschfeld - die Auswirku
ngen von Männlichkeit und Weiblichkeit erkennen: 'Es zeigt sich, in wie hohem Grade die Hand das Ausführungsinstrument der Seele ist. So seltsam es klingt: die Berufsneigung und Berufswahl des Menschen wird in erster Linie von seinen Geschlechtsdrüsen geleitet.' (Hirschfeld 1930)"

Zitiert wird aus Hirschfelds letztem Hauptwerk "Geschlechtskunde - auf Grund dreißigjähriger Forschung und Erfahrung bearbeitet von Dr. Magnus Hirschfeld" aus dem Jahr 1930.

Miese rassistische und sexistische Bildchen, die Hirschfeld in Kolonialzusammenhängen sammelte, im Institut öffentlich aushängte und in Büchern mit Pseudoweisheiten über das angebliche Sexual- und Familienleben der "Kolonialvölker" (die freilich niemand aus seinem Institut je besucht hatte!) veröffentlichte, zeigt die MHG-Ausstellung an der Humboldt-Uni auch 2010 noch ohne weiteres. Die in ihrer Menschenwürde verletzten Personen waren selbstverständlich nicht gefragt worden, ob ihre Fotos ausgestellt und rassistisch kommentiert werden dürften -- für die MHG und die Hirschfeldlobby am Institut für Kulturwissenschaften der HU kein Problem! Die Nestorin der "Gender Studies" an der HU, Christina von Braun, scheint keine Einwände gehabt zu haben. (Wir haben die Gesichter der Frauen, die auf unserer starken Verkleinerung dder Ausstellungstafel ohnehin nicht mehr zu erkennen waren, zusätzlich gepixelt.) Feixend rennen tumbe Studenten an den Tafeln vorbei: "Haha, Hottentitten!" Unter dem linken Bild (unten) steht "Hottentottin", die MHG nennt diese entwürdigende Zurschaustellung einer Kolonial-Untertanin des Deutschen Kaiserreiches frech "Sexualethnologie":



Ausstellungstafeln in der "Kommode" der Humboldt-Universität zu Berlin im Mai und Juni 2010, wo man zwar kein gesichertes Wissen über Sexualität, wohl aber jede Menge Stoff für Studentenulk finden konnte:


 
Aus den neuesten Forschungen des BIFFF...:
 
Magnus Hirschfeld als Rassist

Das Idol sexueller Emanzipation gerät immer mehr ins Zwielicht.

In Berlin wird breit mobil gemacht für die Errichtung einer "Magnus Hirschfeld Stiftung" und eines neuen Hirschfeld-Denkmals am Spreeufer, wo einst sein "Institut für Sexualwissenschaft" stand. Doch die politischen Ziele des Namensgebers, die durch BIFFF...-Recherchen immer klarer werden, lassen das Schlimmste befürchten: Auf seiner "Weltreise", die Hirschfeld 1930/31 in den USA begann, sprach er sich für die institutionelle Kontrolle des Fortpflanzungsverhalten der Menschen zugunsten einer willkürlich definierten Volksgesundheit aus, die den Freiheits- und Menschenrechten diametral entgegen gesetzt ist.

In Artikeln, die seine Vorträge vor einem damals in den USA recht großen eugenisch engagierten Publikum begleiteten, dessen größte Sorge sich auf die "Rassenmischung" bezog, breitete Hirschfeld aus, was tatsächlich an seinem "Institut für Sexualforschung" in Berlin zwischen 1919 und 1930 geschah: eine auf Ausgrenzung abweichenden Verhaltens des konkreten Individuums und auf die Höherzüchtung des abstrakten Volkskörpers gerichtete "Eheberatung", deren Kriterien einzig Hirschfelds Vorurteile darüber waren, wer sich mit wem zu welchem Zweck fortpflanzen sollte.

Ein Kriterium seiner Beratungsgespräche, das Hirschfeld dabei ausdrücklich nennt:
die "Rasse" der jeweiligen Partner.

Forschungen des BIFFF... in den USA

Das BIFFF... hat in aufwendigen Recherchen in den USA, die wir in den letzten Jahren anstellten, die tatsächliche Reise Hirschfelds zu den rassistischen Eugenikern rekonstruiert -- Fakten, die von den deutschen Hirschfeld-Lobbyisten bisher weitgehend totgeschwiegen werden. Wir beginnen hier aus Anlass des 75-jährigen Todestages des "Sexualwissenschaftlers", der in Wahrheit ein Ideologe des eugenischen Rassismus war, eine Folge von kommentierten Darstellungen der Artikel Hirschfelds aus US-Zeitungen und -Zeitschriften der Jahre 1930/31, die bisher in der deutschsprachigen Diskussion überhaupt nicht berücksichtigt wurden.

Der Abdruck der Artikel, die Hirschfelds doch eher bescheidene Vortragsreise durch einige Staaten der USA promoten sollten, wurde von Hirschfelds engem Freund George Sylvester Viereck organisiert, der die gesamte USA-Reise auf Hirschfelds Bitte hin geplant und durchgeführt hatte.

Viereck, ein Literat der US-amerikanischen Richtung der Konservativen Revolution, war während des Ersten Weltkriegs nach dem Kriegseintritt der USA als Propagandist der Kriegsziele des Deutschen Kaiserreiches aufgetreten. Seine anfänglichen amerikanischen Verleger, ausgewanderte deutsche Juden, trennten sich von Viereck, als dieser begann, die politische Bewegung Adolf Hitlers zu unterstützen, die er als legitime Nachfolgerin der Hohenzollern-Herrschaft ansah. Sekundärquellen zufolge war Vierecks Vater, mit dem Hirschfeld bereits am Ende des 19. Jahrhunderts befreundet gewesen sein soll-Familie, ein "illegitimer" Spross der Hohenzollern; unabhängige Bestätigungen hierfür stehen aus. Allerdings würde dies erklären, weshalb Hirschfeld immer wieder Anekdoten aus den deutschen Adelsfamilien als Beweise für seine abstrusen eugenischen Vorstellungen anführte.

In den 1940er Jahren saß Viereck in den USA wegen offener Nazi-Propaganda im Gefängnis. Weil er sich auch nach dem breiten Bekanntwerden der Nazi-Verbrechen an den europäischen Juden nicht vom Nationalsozialismus distanzieren wollte, trennte sich seine Frau von ihm. Sein erst kürzlich verstorbener Sohn Peter Viereck, ein liberal-konservativer Historiker und Politikwissenschaftler in Massachusetts, distanzierte sich schon früh vom Vater.

Die deutschnational-rassistische Atmosphäre, die Viereck schon in den 1910er bis und 30er Jahren um sich schuf, scheint Hirschfeld in keiner Weise gestört oder abgestoßen zu haben, wie sein Briefwechsel mit Viereck zeigt.

Technizistische Eheberatung

Der Artikel Hirschfelds, den wir hier als ersten in Auszügen dokumentieren, erschien am 22. August 1931 in dem wöchentlichen Boulevard-Magazin "Liberty", das in New York City erschien. Er stellt den von Hirschfeld entwickelten Fragebogen für die Ehe-, Paar- und Partnerberatung am Berliner "Institut für Sexualwissenschaft" dar, ein Thema, dass die USA-Reise beherrschte und in dem die eugenischen Vorstellungen Hirschfelds kulminierten. Nach seiner Darstellung waren diese eugenischen Beratungen das Hauptarbeitsfeld des Berliner Instituts, und keineswegs - wie es die heutige Hirschfeld-Lobby darstellt - der Einsatz für die sexuelle Emanzipation. Der Artikel zeigt das intellektuell bescheidene Menschen- und Gesellschaftsbild Hirschfelds, für den das Induviduum wie ein Zahnrad ins Getriebe passen sollte und das entweder an den von Hirschfeld aufgrund seines Fragebogens mit 140 Fragen als richtig diagnostizierten Platz montiert oder erst noch passend gefeilt werden muss.


Illustration der Idealbeziehung von Mann und Frau in dem Artikel.
Die Illustration wurde dem amerikanischen Mittelschichtsgeschmack angepasst, während Hirschfeld in Deutschland germanentümelnde Darstellungen für seine Konzepte des "Vollmannes" und "Vollweibes" verwendete.

Gänzlich rigide Vorstellungen vom Menschen, seinen Rollen und seinem Platz in der Gesellschaft bestimmen dabei sein Denken, Vorstellungen, die weitgehend dem 19. Jahrhundert entstammen. Für Entwicklungen und Veränderungen von Individuum und Gesellschaft ist kein Platz. Hirschfeld vertritt hier einen totalitären Erklärungs- und Machtanspruch für sich und sein Berliner Institut, dem sich die Menschen in ihren Liebesbeziehungen zu fügen haben, wenn sie glücklich werden wollen. Diese Art von Glücksversprechen kennt man ansonsten aus religiösen Sekten.

Die Kritik, die Judith Butler am Berliner "Christopher Street Day" 2010 und seinen Veranstaltern übte, traf auf eine Weise ins Schwarze, wie es sich wohl nicht einmal Butler hätte träumen lassen: denn die Träger des Berliner CSD sind auch die Protagonisten der Hirschfeld-Idolisierung, die von Butler kritisierte Zementierung hergebrachter Gender-Vorstellungen war Hirschfelds primäres politisches Ziel in einer Welt völligen gesellschaftlichen Umbruchs, ein Umbruch, der ihm unheimlich war.

Hirschfeld sieht sich in dem Artikel selbst als der große Menschenverwalter, als Ingenieur zwischenmenschlicher Beziehungen, der besser als die Betroffenen beurteilen kann, ob sie eine Liebesbeziehung eingehen sollen. Seine Kriterien sind dabei ausschließlich auf das unauffällige Funktionieren der Individuen in der vorgegebenen gesellschaftlichen Konstellation und Rolle ausgerichtet, wie man es schon aus seiner Berater- und Gutachtertätigkeit für Polizei und Justiz in Preußen kannte, zum Beispiel aus seinen Transvestiten-Gutachten. Die Subjektivität des Menschen wird seiner Funktionalität vollkommen untergeordnet, ohne dass die Kriterien - für was, wen und wie funktionieren? - thematisiert und offen gelegt würden. Nicht die individuelle Zuneigung von Menschen zueinander ist entscheidend für Hirschfelds Ehe- und Partnerberatung, sondern die Funktionalität als Zeugungs- und Gebärmaschine für den abstrakten Volkskörper (beziehungswise, soweit es sich um Homosexuelle handelt, deren Lebensumstände allerdings auf seiner USA-Reise nicht thematisiert wurden: die Funktionalität als biologische Sackgasse für vermeintliche Erbfehler, die aus der evolutionären Keimbahn der Menschheit ausgeschieden werden sollen).

Wer Wissenschaftlichkeit erwartet, wird - wie immer in Hirschfelds Publikationen - mit suggestiven Anekdoten abgespeist. So bleibt sein Machtanspruch auf das Happy End unhinterfragbar. Und tatsächlich folgen ihm seine Fans bis heute bedingungslos, im tiefen Glauben an den Meister. Schon Hirschfelds Einstieg in die Darstellung seines Fragebogens, der über Wohl und Weh der Liebe entscheiden soll, lässt tief blicken: "In the old days of fairy tales the knight who wanted to marry a princess was asked three riddles. If he could answer them satisfactorily he received the hand of the princess. If he could not answer them he was thrown to the dragons." Das könne sein Fragebogen heute viel besser.

Das Drachensystem der Nazi-Herrschaft war zwar noch nicht real (obwohl es sich bereits abzeichnete), als Hirschfeld sich so äußerte - scheinbar ganz lustig und harmlos -, aber in einigen Staaten der USA galten bereits rassistische Eugenikgesetze, die Ehetauglichkeitsprüfungen vorsahen und zum Beispiel gemischtrassische Ehen verboten. Dies problematisierte Hirschfeld nicht etwa auf seiner USA-Reise, im Gegenteil, er setzte voll auf das eugenisch-rassistische Vorverständnis seiner Zuhörer und Leser und pries seinen Fragebogen als das Nonplusultra der eugenisch kontrollierten Ehe.


Anfang des fünfseitigen Artikels aus der Zeitschrift "Liberty",
in dem der Hirschfeld-Fragebogen für die Eheberatung dargestellt wird.

Hirschfelds Ideen passen in die Zeit der Weltwirtschaftskrise und der Massenverarmung eines großen Teils der US-amerikanischen Bevölkerung, jedoch keinesweg im Sinne von Emanzipation und sozialer Wende. Seine Vorstellungen sind romantisch-technizistisch und zielen auf die Ängste und Träume der weißen Mittelschicht ab, die sich in ihren Privilegien bedroht fühlt, den sozialen Abstieg befürchtet und sich in die Vorstadt-Idylle wünscht. Hirschfelds Glücksversprechen ähnelt dem der Sekten-Gurus: es verlangt die Folgsamkeit gegenüber seinem Urteil und Rat; es ist ebenso irreal wie reaktionär, denn die Anpassung an die von Hirschfeld übernommenen gesellschaftlichen Normen für das private Leben in den weißen suburbs rettet niemanden aus den Zwängen der sich in den 20er und 30er Jahren dramatisch verändernden Gesellschaft.

Wie immer in seinen Veröffentlichungen täuscht auch hier Hirschfelds blumiger Erzählstil darüber hinweg, dass seine Ideen rein gar nichts mit Wissenschaft zu tun haben, sondern sich einzig aus seinem reichen, lebenslang angesammelten Schatz von Anekdoten speisen, deren Aussageggehalt er niemals irgend einer wissenschaftlichen Überprüfung unterzogen hat, sondern nach Gutdünken als 'Beweise' einsetzt. Vielleicht sind sie auch gänzlich erfunden, wer könnte das prüfen? Dass Hirschfeld von der medizinischen Zunft seiner Zeit verlacht wurde, hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass er von wissenschaftlichem Arbeiten nichts verstand.

Der Mensch als Automobil

Sein Ansatz ist technizistisch, wie schon die ersten Sätze des Artikels zeigen (gelbe Markierungen durch BIFFF...):


Gestützt lediglich auf Vorurteile schildert Hirschfeld, wie er und sein Personal am "Institut für Sexualwissenschaft" in die Lebensplanung von Menschen eingreifen, die dumm genug waren, ihn zu Rate zu ziehen. Seine biologistisch-eugenische Orientierung wird sofort klar, bis hin zu völlig abwegigen Parallelisierungen von Menschen mit der Pflanzen- und Tierzucht, dem Modell der zahlreichen "Hühnerpuster", die in die Politik gingen:



Und wenig weiter, an haarsträubenden Fehlkonzepten der frühen Psychiatrie und dem Rollenverständnis des 19. Jahrhunderts für den Mann und die Frau festhaltend:


 
Tod oder Kastration

Gegenüber abweichendem Verhalten äußert sich Hirschfeld so rigoros, wie es die Nazis dann praktizierten. (Später unterstützte er sogar vorsichtig das NS-Gesetz "zur Verhütung erbkranken Nachwuchses", das ihm allerdings zu lasch (!) war.)




Rasse und "Makel des Blutes"

Hirschfeld bleibt zeitlebens vollkommen gefangen in der Denkweise der "Rassenhygiene" und Eugenik. Ein paar Abschnitte weiter knüpft er wieder an sein Bild der Autowerkstatt vom Beginn des Artikels an, verlangt Ehefähigkeitsbescheinigungen, um durch medizinische Tests einen angeblichen "Makel des Blutes" auszuschließen,  bevor sich Eheleute -- wie in der Tierzucht -- paaren, statt zu lieben. Dass er es dennoch "Liebe" nennt, zeigt, wie sehr Hirschfeld menschliche Gefühle technizistisch- mechanistisch angeht.


Sein Fragebogen, so Hirschfeld weiter, gehe weit über rein medizinische Betrachtungen hinaus. Er umfasse auch Fragen der Rasse, des Vorkommens Krimineller in der "Sippe", des Alkoholkonsums in der Verwandtschaft und gewöhnlicher "abnormaler Neigungen" wie Abenteuerlust, Mystizismus oder Genialität, die er für ererbt hält. Letztlich verfolgt Hirschfeld das Diagnostik-Programm der Nazi-Rassenkunde, vor allem, wenn er explizit Konzepte wie das der "Sippe" (tribe) in seine Überlegungen einbezieht.



Sein Hinweis, er würde nichts kritisieren, sondern nur konstatieren, ist lächerlich angesichts der Konsequenzen, die die Auskünfte der Betroffenen über ihre Lebensumstände für das abschließende Urteil des Ehe- und Partnerberaters haben.




Schädelform und Augenfarbe: Ehe-Kriterien wie bei den Nazis


Dann kommt er ganz offen und ohne Umschweife zu den Kriterien der Nazi-Rassenkunde wie Schädenform und Augenfarbe, die für ihn wesentliche Momente in der Partnerberatung sind.



Schließlich geht es auch noch um das Abfragen der politischen Meinung, gerade so, als hätten sich die Liebenden bisher über nichts unterhalten. Für Hirschfeld war es auch offenbar wichtig, all diese wild durcheinander gewürfelten Informationen zu speichern, falls das Paar in Zukunft noch einmal zur Beratung zurück komme -- die totale Verwaltung des Individuums.



Hirschfelds grotesker Ausforschungswahn mutet geradezu Doktor-Mabuse-artig an. Er geriert sich als der Alleinwissende und der Drahzieher, dessen Rat alles zum Besseren wendet, ohne dessen Rat aber die Liebenden in die Drachengrube fallen könnten. Dabei ist die Basis seines Handelns nichts weiter als ein paar überkommene Gender-Stereotype, die nicht in Frage gestellt werden sollen.




Tyrannei des Fragebogens


Abstrus ist auch seine Verneinung der Entwicklungsmöglichkeit der menschlichen Persönlichkeit, die freilich Bedingung für die Totalverwaltung der Individuen ist, denn wer sich ändern kann, wird unberechenbar. Doch die Berechenbarkeit menschlichen Verhaltens in einer totalitären Gesellschaft ist Hirschfelds Arbeitsziel.



Am Ende wird aufsummiert, mechanistisch-technizistisch die Empfehlung für den angeblich idealen Partner abgegeben, für Heirat oder Trennung -- ein absurdes Theater einer "Love Clinic", die nach dem Modell der Autowerkstatt errichtet wurde. Um "tausend Prozent", verspricht Hirschfeld, würden die Chancen des lebenslangen Liebesglücks steigen, wenn man nur seinen Fragenbogen zu Rate ziehe. 'Das gewisse Etwas' -- er behauptet, es zu kennen, denn er habe die "Magie des Sex Appeal" entschlüsselt.

Und er meinte das alles ernst.



In Wahrheit lieferte Hirschfeld mit seinem Fragebogen nur die Rechtfertigung für die Fortsetzung bestehender Machtverhältnisse, insbesondere zwischen Mann und Frau, und der hergebrachten Rollenaufteilung in der Ehe für die Masse der Bevölkerung. Deren gesellschaftliche Zementierung zu garantieren, ist die Grundlage seiner Arbeit. Die modernen Techniken der Fragebogenerarbeitung, die Probleme der Interpretation der Antworten der Probanden usw. sind ihm unbekannt. Er geht rein intuitiv vor. Aufgrund seiner eigenen, nicht weiter validierten und supervidierten Lebenserfahrung interpretiert Hirschfeld quasi "frei Schnauze". Man könnte ebenso gut zum Pfarrer des Vertrauens gehen. Der allerdings würde zumindest nicht auf der Basis der Idee der Selektion 'wertigen' und 'unwertigen' Lebens beraten, wie es Hirschfeld machte.

(Juni 2010)
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