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Die
ultimative Hirschfeld-Erkenntnis:
Magnus Hirschfeld:Nazis pflasterten seinen Weg Der "Sexualwissenschaftler" ließ sich seine USA-Reise 1930/31 von rechtsextremen Deutschtümlern organisieren. Das BIFFF... deckt eine Zitatfälschung aus einem angeblichen Hirschfeld-Brief auf, die bereits in ein Buch Volkmar Siguschs eingegangen ist. Die Wahrheit: Hirschfeld erstrebte eine autoritäre, formierte Gesellschaft. Erschreckend: erst uns fallen die Ähnlichkeiten zwischen den Zitaten Siguschs aus Hirschfelds "Geschlechtskunde" von 1930 und dem Protokoll der Wannsee-Konferenz auf. Eine BIFFF...-Analyse von Schriften des Hirschfeld-Freundes und Nazis George Sylvester Viereck ergibt: Der von Hirschfeld-Apologeten unterstellte "jüdische Messianismus" ihres Idols entstammte in Wahrheit den konservativ-revolutionären Ideen des Pangermanen Viereck und seines Vaters, die mehr als vierzig Jahre lang Hirschfelds enge Freunde waren. Der Deutsch-Amerikaner G. S. Viereck ist bis heute wegen seiner Untersützung Kaiser-Deutschlands und Nazi-Deutschlands während der Weltkriege eine bekannte Hassfigur in den USA. Sicher, Deutschlands Nationalheld Graf Stauffenberg war der viel größere Lump, ein Täter des Vernichtungskrieges: fast fünf Jahre trug dieser Soldat die Verbrechen mit, drei Jahre war er beim "Feldzug gegen das jüdisch-bolschewistische System" dabei, um die "Sühne am jüdischen Untermenschentum" in Osteuropa zu vollziehen, wie Wehr- machtsgeneräle es damals ausdrückten, hielt aus Begeisterung für den Krieg gegen den osteuropäischen "Pöbel", gegen die polnischen "Juden" und gegen das dortige "Mischvolk", wie er selbst schrieb, und auch aus Deutschtum und soldatischem Gehor- sam den SS-Mördern den Rücken hinter der Front frei, äußerte sich sogar selbst anti- semitisch -- und dennoch wird er jedes Jahr von den Spitzen des deutschen Staates über alle Parteien hinweg geehrt: als Widerständler der letzten Stunde, als ohnehin schon alles verloren war, was er vorher mit dem Krieg zu erreichen versucht hatte, Widerständler erst, als die Großzahl der europäischen Juden und Sinti und Roma aus biologistischen Wahnideen heraus bereits ermordet worden war, von seinem "heiligen Deutschland". Hirschfeld dagegen hat Antsemiten gehasst, wurde schon Anfang der 20er Jahre Opfer ihrer Gewalttaten, vorher schon Opfer ihrer noch subtilen Hetze, konnte in der Zeit des Straßenterrors 1932/33 nicht in seine deutsche Heimat zurückkehren aus Angst um sein Leben. Die Antisemiten hatten ihn, aus einer jüdischen Familie stammend, zu einem "Juden" gemacht, der er niemals sein wollte. Er bekam keine Chance, Widerstand gegen die Nazis an der Macht zu leisten, und er war zu weich für diese Tat, zu weibisch, eine Tunte, weswegen er heute von nicht wenigen Anhängern geliebt wird. Und seine Weichheit wäre nicht der schlechteste Grund dafür, ihn zu lieben, ein Stück Menschlichkeit gegen seine sonstige Missachtung der "biologisch Minderwertigen", gegen deren physische Existenz auch er Politik machen wollte. Geehrt werden soll er nun von Staats wegen mit der Magnus-Hirschfeld-Stiftung, die eine kollektive Wiedergutmachung für die Verfolgungen der Homosexuellen durch Nazi- Deutschland (und unausgesprochen durch das Adenauer-Deutschland) sein soll und seinen Namen tragen soll. Ein ehrenwerter Mann? Der widersprüchlichen Person Hirschfeld kann man nicht gerecht werden. Sollte man es? Sollte man es versuchen? Seine eigene Homosexuali- tät hat er bis in die Mitte der 20er Jahre weitgehend verborgen, selbst engste Mitar- beiter wie der Psychiater Arthur Kronfeld, mit dem er ab 1919 das "Institut für Sexual- wissenschaft" in Berlin als Arztpraxis betrieb, wussten offenbar nichts davon. Homo- sexuelle hielt Hirschfeld für "degeneriert", für Träger schlechten, kranken Erbgutes, das er mit eugenischen Mitteln "ausjäten" wollte -- wie dachte er über sich selbst? Sein Einsatz für die strafrechtliche Legalisierung homosexuellen Verhaltens unter Männern begründete er damit, das Verbot würde homosexuelle Männer aus sexuellem Notstand in heterosexuelle Ehen zwingen, wo sie ihr schlechtes Erbgut weitergäben und so die biologische Tradition "degenerierender Familien" fortsetzten; das müsse verhindert werden, indem der Staat ihnen ein legales homosexuelles Leben erlaube -- vom Ziel der sexuellen Emanzipation, der Anerkennung eines befreiten Sexuallebens als Menschenrecht war Hirschfeld weit entfernt. Aus jüdischem Elternhaus, schloss er sich der neopaganen Naturreligion des "Monismus" an, in der sich intellektuelle Germanentümler mit Sozialdarwinisten trafen, verehrte ihren Gründer Ernst Haeckel wie keinen anderen und trat dessen "Monisten- bund" bei, einer Sekte, die geistig geradewegs in den Nationalsozialismus und seine Verbrechen führte und deren Mitglieder sich von den Nazis weitgehend "gleichschalten" ließen, bevor der kleine Rest verboten wurde. Haeckel selbst war als "Philosoph" ein Agitator gegen das "Judaochristentum" als der Hauptgrundlage der Idee der zivilisierten Gesellschaft und wurde von den Nazis posthum als einer der ihren akzeptiert, der schon früh von "niederen Menschenrassen" schwadroniert und die Nazi-Ideologiue mit erdacht hatte. Dass Hirschfeld jüdischer Herkunft war, wussten auch viele seiner rechtsextremen Wegbegleiter aus der "Sexualwissenschaft" lange Zeit nicht, einer neuen psycho-medizinischen Disziplin, die als Rassenhygiene und Eugenik zur Höher- züchtung des germanischen Kriegervolkes begann, ausgedacht von fanatischen Ausjätern und Vernichtern jedes von der romantisch phantasierten Kriegernorm abweichenden Lebens, denen er, der "nur" ein niedergelassener praktischer Arzt für Allgemeinmedizin war, der Nichtwissenschaftler, der heimliche schwule Jude, der Weichling, sich geradezu anbiederte, um Anerkennung zu erlangen. Sexualität war für Hirschfeld, der den Ersten Weltkrieg begeistert begrüßte, ein Mittel zur Höherzüchtung im Konkurrenzkampf der Völker, zu einer Zeit, als die Trennung von Sexualität und Fortpflanzung noch undenkbar war. Hatte er selbst Spaß am Sex? Er schrieb die Antwort auf diese Frage nicht auf, obwohl er so vieles aufschrieb, was heute von seinen Apologeten exegiert wird. Das Hauptziel von Sexualität war ihm das biologisch starke Volk, das schrieb er immer wieder auf. Zum Beispiel in seinem Vorwort zu seinem "Weltreise"-Buch 1933: "Selektion" von Menschen sollte die Sexualwissen- schaft, wie er sie betrieb, ermöglichen, "die zielstrebige Bevorzugung von Erbfaktoren, die für die körperliche Gesundheit und die geistige Tüchtigkeit der Nachkommenschaft förderlich sind, negativ durch die Ausschaltung gegenteiliger Eigenschaften," so Hirschfeld in diesem Vorwort. Von Gender-Theory wusste man damals noch nichts, eine Forderung nach "sexueller Selbstbestimmung" wäre zur Zeit der Rede von den "ehelichen Pflichten" auf Unverständnis gestoßen; das Strafrecht gar nach dieser Idee auszurichten, hätte nur Kopfschütteln erregt. Die Definitionen der Konzepte Gesund- heit und Tüchtigkeit wurden nicht kulturrelativistisch gefasst; wer "behindert" war, sollte einfach weg. Hirschfeld schien eine klare Vorstellung zu haben, welcher Mensch "wertvoll" und welcher "wertlos" sei. Wert für wen? -- für sich selbst, fürs Kapital, für Kaiser oder Führer, "für den Graben, Mutter, für den Graben!", wie in den 20er Jahren in einem Lied Kurt Tucholskys gegen den Krieg die Antwort auf die Frage hieß, für wen die Mutter ihr Kind geboren und aufgezogen habe? Zum "Wert für wen" schwieg sich Hirschfeld aus, überließ anderen, auch den Nazis, die Entscheidung. "Die Eugenik bezweckt durch die Hervorbringung besserer und glücklicherer Menschen die Entstehung einer besseren und glücklicheren Menschheit. Im Dienste dieser Auf- gabe steht auch letzten Endes die sexuelle Völkerkunde und dies ihr gewidmete Buch", schrieb er 1933 am Ende des Vorwortes zu seinem Buch "Die Weltreise eines Sexual- forschers", das bis heute sein bekanntestes Werk ist. Wer "gut" und "besser", sogar: wer "glücklich" ist, schien er zu wissen, wollte er definieren, eine autoritäre und rigide Position, die dem Weichling Rückgrad zu versprechen schien in einer turbulenten Welt der Wirtschaftskrise -- die Wahnvorstellung des "Neuen Menschen", den zu schaffen sich selbstgöttlich fühlende Sozialdarwinisten anmaßten. Der Wahn des Weltenlenkers Magnus
Hirschfeld:
Ende des Vorworts aus Hirschfelds Buch "Die Weltreise eines Sexualforschers". Anfang der 80er Jahre begann in West-Deutschland eine Hirschfeld-Renaissance, die nach der Kritik der 68er Bewegung an den fortgesetzten Nazi-Traditionen im Adenauer-Deutschland und nach der sexuellen Revolution, die endlich den Spaß am Sex als gesellschaftliches Phänomen entdeckte und als individuelles Menschenrecht proklamierte und verteidigte, und nach dem zur Schau getragenen Abscheu gegen jegliche Menschenselektion (der die Möglichkeit des gezielten Aussuchens ausländi- scher Arbeitskräfte, möglichst ohne sexuelle Bedürfnisse, geradezu zum Ziel hatte!) überraschte. Wieso der Obermenschenselegierer Hirschfeld? 1985 erschien im "Spiegel" ein Artikel des Sexualwissenschaftlers Volkmar Sigusch, der gegenüber dem breiten Publikum erstmals, wenn auch sehr verhalten, auf Hirschfeld als den Biologisten und Eugeniker einging, der 1933 "die Hitlerschen Experimente" gegen "lebensunwertes" Leben nicht verurteilen wollte (wie Sigusch nun mit diesen Hirschfeld-Zitaten anpran- gerte), sondern dazu aufrief, diese erst einmal "abzuwarten", bevor man über sie urteile. Sigusch kritisierte dies und die "Neuer Mensch"-Ideologie der ganzen Zunft der deutschen Sexualwissenschaftler, die in den ersten dreißig Jahren des Jahrhunderts von der Züchtung der von ihnen als "lebenswert" Definierten und der Vernichtung der angeblich "Lebensunwerten" geträumt hatten, immer im Dienste einer Höheren Sache, die sich mit den Kriegs- und Profitzielen des Kapitals und seiner finanzkapitalistischen Ableger der Sozial- und Krankenversicherungen so gut vereinbaren ließ wie dem pan- germanischen Romantizismus der offiziell regierenden Kaiser und Führer. Sigusch erwähnte auch Hirschfelds Lob des "Kriegshandwerks" als "Kunstwerk", das er mit Beginn des Ersten Weltkriegs niederschrieb, und zitierte Hirschfelds Jubel über den Kriegsbeginn aus seiner Schrift "Warum hassen uns die Völker? Eine kriegspsychologi- sche Betrachtung" von 1915: "'Als bei dem Aufmarsch und Ausmarsch unserer Truppen im August 1914 sich die ruhende Kraft unseres gewaltigen Volksheeres in lebendige umsetzte, da spürten wir - um mit Goethe zu reden: >Wie alles sich zum Ganzen webt / Eins in dem anderen wirkt und lebt<'", so Hirschfeld in Siguschs "Spiegel"-Artikel. Sigusch kritisierte auch diese gerade beginnende blauäugige Hirschfeld-Renaissance, die über den Weg der "Rassenhygieniker" und Eugeniker unter den "Sexualreformern" um Hirschfeld in die Vorbereitung der Nazi-Verbrechen schweigen wollte. Exkurs: Volkmar Sigusch, Evangelist der Hirschfeld-Religion Doch schon damals wusste Sigusch nur Bruchstücke und konnte Hirschfelds Arbeiten nicht wirklich als logischen Teil der Vorbereitung dieser Verbrechen einordnen, wollte den Gründer des Berliner "Instituts für Sexualwissenschft" als strahlendes Vorbild der sexuellen Emanzipation, das er niemals gewesen war, nur weiter wichsen. Dass der Kreis der Personen um Hirschfeld, mit denen er seit 1899 erst das "Wissenschaftlich- humanitäre Komitee" betrieb und dann fünf Jahre nach seiner Kriegslobhudelei das "Institut für Sexualwissenschaft" (IfSw) gründete und betrieb, fast komplett den Ersten Weltkrieg herbei sehnte, bejubelte und noch 1917, als andere Jubler des August 1914 sich schon lange schämten, die Jugend Europa aufriefen, Wilhelm II. als ihrem Führer zu folgen, das haben erst wir in einer Untersuchung der Personen des IfSw im Jahr 2003 dargelegt, nicht die Hirschfeld-Apologeten. Der Grund für Siguschs Unvermögen, eine "Sexualwissenschaft", die aus Rassenhygiene und Eugenik entstand und deren Ziel nicht sexuelle Emazipation, sondern die Höher- züchtung des Volkes war, adäquat einzuordnen und zu kritisieren, liegt wohl vor allem darin, dass er ihr nicht mit antifaschistischen Kategorien und nicht mit einem antifa- schistischen Grundverständnis der Gesellschaft begegnet, obwohl er behauptet, von Adorno her zu kommen. Wie sich verschiedene Formen des intellektuellen und dann praktisch werdenden Faschismus und wie sich seine Verbrechen aus bisweilen als harmlos erscheinenden Geistesströmungen entwickelten, wie sehr auch antifaschisti- sches Denken zur Kritik stalinistischer Eugenik nötig wäre -- all das müsste man wissen, um die Verantwortung der biologistisch-medizinischen "Sexualwissenschaft", als deren Protagonist Hirschfeld bis heute gilt, für diese Verbrechen einschätzen zu können. Und das wäre auch die Voraussetzung dafür, Hirschfelds Freundschaften mit Nazis, das Engagement nazistischer Rassetheoretiker am IfSw und seine Rücksichten auf die NS-Gesundheitspolitik verstehen zu können. Bei genauer Erforschung ist eine eindeutige Linie in Hirschfelds Werk und Verhalten zu sehen, keineswegs Widersprüche oder Ungereimtheiten, die die heutigen Hirschfeld-Apolgeten ihrem Idol gerne unter- stellen möchten, um seinen geraden Weg hinein in die Verbrechen zu verschlängeln und so unkenntlich zu machen. Inzwischen distanziert sich Sigusch von seiner früheren Kritik an Hirschfeld als zu kurz und missverständlich und wirft anderen vor, sie gegen die Sexualwissenschaft gewen- det zu haben: vehement in seinem populärwissenschaftlichen Buch "Geschichte der Sexualwissenschaft" aus dem Jahr 2008, das - schmerzlich zu sagen angesichts der Verdienste, die Sigusch in der Emanzipationsbewegung auch hatte - weitgehend Müll ist; noch populärer in seinem jüngsten "Spiegel"-Interview ("König Sex", in Spiegel Nr. 9/ 2011), in dem er Einblicke gewährt in seine Psyche eines Vereinsamten, zu tiefst Enttäuschten, sich betrogen Fühlenden, dessen Lebenswerk von den Konservativen zerstört worden sei. Sigusch war immer schon zur Hälfte naiv und nur zur anderen irgendwie links, heute hat ihn die Naivität vollends übermannt. Mit seinem Ausspruch: sexuelle "Phantasien müssen schmutzig sein. Sauberkeit, Gewissenhaftigkeit und Rationalität sind Gift für jede Erotik" aus dem "Spiegel"-Inter- view setzt er den Weg fort, den er seit 30 Jahren beschleunigt geht: weg von der Zivilisation, zurück zu den Gesetzen des Dschungels. Der Mensch wird als Tier gesehen und soll es bleiben dürfen, und in der komplexen Gesellschaft, die freilich nach menschlichen Regeln funktioniert, nicht nach tierischen, und in der auch "Erotik" nach dem rationalen Profitprinzip der "Ehehygiene", des Werbe- und Bezahlfernsehens und des Porno- und Sexspielzeug-Konsums geplant wird, soll ihm sein Schlafzimmer den Freiraum dazu bieten, der in Wahrheit doch auch nur nach fremd gesetzten Zwängen funktioniert, regiert durch den Vorhang hindurch vom sexuell-industriellen Komplex, weil die eingebildeten "Enklaven der Unmittelbarkeit" (Adorno) eben Scheinrealitäten bleiben. Das "Schmutzige" ist längst schon in die Warenform gepresst, der Befreiungs- kampf der vormals Geächteten ist Reklamefeldzug geworden: siehe die Fernsehsen- dung "Wa(h)re Liebe" der Charaktermaske Ernie Reinhardt alias Lilo Wanders: in größter Offenheit verkaufte er die Durchkapitalisierung der Sexualität als ebensolche Befrei- ungstat wie seine Teilnahmen an fast jeder CSD-Demo. Getriebensein vom Unverstan- denen -- für den Aufklärer Sigmund Freud war es der Horror. Sigusch muss zwar zuge- ben, dass Freud im Gegensatz zu Hirschfeld und Konsorten niemals von Lebensunwer- ten sprach, kapiert aber immer noch nicht, warum: weil die Eugenik ein Gesetz des Dschungels ist, das den Ausfall der natürlichen Auslese in der zivilisierten Gesellschaft ersetzen will, des Dschungels, in dem sich Viehzüchter zu Hause fühlen, die passendes Menschenmaterial brauchen, aber kein Freud, der das menschliche Individuum befreien wollte, aber am Konsumenten nicht interessiert war. Eugenik und Sexindustrie sind zwei Seiten derselben Medaille, die da heißt: die Menschenwürde der Logik der Kapital- verwertung unterwerfen. Wieso Sexualität aus der Zivilisation ausgenommen wird, erklären Sexualwissenschaft- ler wie Sigusch oder Hirschfeld, die von der pathologischen Sexualität her kommen und Therapie als Herrschaftswissen betreiben/betrieben, nicht. Sigusch prägt den Aus- druck "Normopath" für die, die er verachtet: die Zivilisierten, die der Norm folgten, die seiner Meinung nach Sex "kulturbeutelhaft" (Sigusch) betrieben und dabei "die Aura des Geheimnisvollen" (Sigusch) zerstörten, die doch im Zwischenmenschlichen erhalten bleiben müsse. Gegen die Rationalität des Kapitals, das weiter von "Hinter-dem-Rük- ken" aus regiert, unerkannt durch die geschlossene Schlafzimmertür hindurch, setzt der von seinem Scheitern als Befreier zutiefst Beeindruckte und Verunsicherte - das Geheimnis! Ärmlich, nicht spektakulär, nur ein alter Hut. Anti-Aufklärer ist Sigusch geworden, nicht ein kritischer Aufklärer wie sein Lehrer Adorno; ein Esoteriker, der in Wahrheit mit seinem Geheimwissen aus und in der Therapiestunde Macht ausübt und einüben lässt. Und gehört damit nun erst so recht zu Hirschfeld, dem Besserwisser über die lebenswerte und lebensunwerte Biologie und Psyche des Menschen, eingebil- detem Durchblicker, der sich Liebende mit einem Fragebogen dazu riet, sich besser zu trennen, der aber nebenbei auch sein Geschäft zu machen verstand in der beginnen- den Sexindustrie. Dass der Versuch der Verteidigung von archaischem Freiraum unter den gegebenen Verhältnissen ebenso scheitern muss wie er die bestehenden Verhältnisse nur weiter zementiert, war eine Erkenntnis der Kritischen Theorie, und es wird jetzt deutlich, dass Sigusch sie wohl niemals kapiert hatte: Emanzipation ist keine Einbahnstraße. Emanzi- pation fordert die Anstrengung der (Selbst-) Zivilisierung des Individuums bis in seine letzte vormals geheime Psycho-Ecke, denn es gibt kein richtiges Leben im Falschen. Die Dialektik von Gesellschafts- und Selbst-Veränderung mag bis heute unverstanden sein, "Geheimnisse" verträgt sie jedoch nicht. Das wussten vor Adorno auch schon viele Mediziner, die sich dem Eugenik-Wahn verschlossen und darauf beharrten, ihren Eid aufs Wohl des Individuums geleistet zu haben, nicht auf das eines "höher" zu züch- tenden anonymen Volks- oder Klassen-Körpers. Dass Eugenik ein totales Zeitphänomen der ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts gewesen sei, ist eine Lüge, die in Deutschland heute vor allem von den Hirschfeld-Fans gepflegt wird, zur Entlastung. Es gab immer Alternativen eines den Menschenrechten verpflichteten ethischen Handelns. Euphemistisch bis zum Kotzen des Lesers ist Siguschs Darstellung des "Instituts für Sexualwissenschaft" (IfSw) in seinem Geschichtsbuch. Siguschs Satz von 1985, Hirschfeld sei "bestenfalls sozial und liberal" gewesen, möchte man jetzt gegen den Autor wenden: Sigusch ist bestenfalls ein Sozialdemokrat der Mitte, wenn nicht der "Neuen Mitte"! Wie nichts schreibt er Sätze wie: "Hier (im IfSw) wurden eugenische Fragen wie 'Ehetauglichkeit', 'Zuchtwahl' und 'Gesundheitszeugnisse' erörtert", ohne dieser Praxis auch nur ein einziges Mal die kritische Frage entgegen zu halten: ehe- tauglich nach wessen Kriterien? Die Kriterien der sich Liebenden spielten für Hirschfeld keine Rolle, wie seine Artikel in der US-Presse zur Zeit seiner Amerikareise 1930/31 zeigen. Siguschs Kapitel über das IfSw folgt der bekannten Legendenbildung, ist von den neueren Forschungen zu den politisch-weltanschaulich-gesellschaftlichen Zusammen- hängen des Instituts gänzlich unbeleckt. Seine Personenportraits der Mitarbeiter Hirschfelds sind nicht nur lückenhaft, sondern von gänzlicher Unkenntnis der tatsäch- lichen weltanschaulichen Hintergründe gekennzeichnet; es sei nur auf sein Portrait Arthur Kronfelds (S. 359 f) verwiesen, bei Sigusch das längste von allen und dennoch völlig unwissend. Von Kronfelds weltanschaulicher Begründung seines Handeln und For- schens, seinem Fußen auf der mystischen deutschtümelnden Volks-Philosophie des Antisemiten Jacob Friedrich Fries kein Wort, auch nichts zu Kronfelds späteren homo- phoben Ausfällen (die wir zum Jahr 2012 veröffentlichen werden, wenn die Kronfeld- Texte gemeinfrei sein werden). Sigusch erzählt lediglich die völlig veraltete Darstellung des Augsburger Psychiaters und Inhabers einer "Philosophischen Praxis" für Psycho- therapie auf der Basis esoterischer Meditationstechniken, Ingo-Wolf Kittel, nach, dem zwar das Verdienst zukommt, mit Artikeln in "sexualwissenschaftlich" genannten Zeit- schriften Kronfeld überhaupt erst einmal aus der Vergessenheit geholt zu haben, der aber nichts von dem verstanden hat, was Kronfeld dachte und tat. Kronfeld habe sich (allerdings erst nach seiner IfSw-Zeit) beim Psychiater Karl Bonhoeffer habilitiert, schreibt Sigusch, um Kronfelds Bedeutung zu heben, ohne zu erwähnen, dass Bon- hoeffer dann zu den Euthanasie-Ärzten der Nazis gehörte, dessen Gutachten Men- schen den Tod brachten, und Kronfeld sich schließlich im Moskauer Exil, psychiatrisch getarnt, an den stalinistischen Verfolgungen beteiligte, wie das BIFFF... demnächst in einer großen neuen Untersuchung über Kronfelds Arbeiten aufzeigen wird. Den Antise- miten und Nationalsozialisten Carl Müller-Braunschweig, der 1933 mitverantwortlich für die Vertreibung der jüdischen Psychoanalytiker war, führt Sigusch ohne jeden Hinweis hierauf als jemanden an, der "selbstverständlich" zu Beginn des IfSw "mit dem Institut und der Sache, für die es stand, verbunden" war. Unkritisch plappert der vereinsamte Sigusch, der nach neuen Verbündeten sucht, die Propaganda der Hirschfeld-Apologeten nach, denen er sich nun anbiedert: das IfSw sei "Zufluchtsstätte" der Verfolgten gewesen -- doch Sigusch vergisst zu erwähnen, wie sich Hirschfeld die Not junger Männer persönlich zunutzen machte, sie ausbeutete bis zur Prostituierung. Dass Hirschfeld durch seine zahlreichen Gerichtsgutachten an der Strafverfolgung sexueller Abweichung mitwirkte - ein bis heute totgeschwiegenes, niemals von den Hirschfeld-Apologeten erforschtes Kapitel, obwohl die Gerichtsakten in Berlin im Landesarchiv liegen! -, verharmlost Sigusch dazu, Hirschfeld habe doch nur mitgemacht, "um eine mildere Strafe oder einen Freispruch zu erreichen". In Wahrheit aber dienten z. B. Hirschfelds Transvestiten-Gutachten, die eine Änderung der Geschlechtsangaben in Ausweispapieren ermöglichen sollten, der reibungslosen Einord- nung der Abweichenden als Zahnrädchen in die nicht hinterfragte Maschinerie: die Menschen sollten unauffällig sein, wenn die Polizei sie kontrollierte. Warum aber, so möchte man Sigusch und Hirschfeld entgegen halten, sollte ein Polizist überhaupt das "M" oder das "W" im Personalausweis kontrollieren und dann verhaften, wenn ein Mensch Kleidung trägt, die dem Polizisten als unpassend zum Geschlechtskürzel erscheint? Emanzipation durch Anpassung an die Unterdrückung? Tatsächlich verfolgte Hirschfeld mit seinen Gerichtsgutachten nicht die Zivilisierung oder gar Emanzipierung der (normabweichenden) Sexualität, sondern ihre Disziplinierung auf die Kategorien der wilhelminischen Obrigkeits-Gesellschaft. Völlig kritiklos präsentiert Sigusch unter der Überschrift "Zufluchtsstätte" den Satz: "Das ... Archiv bzw. Sexualmuseum präsentierte perverse, angstlustbesetzte Sexualia so, wie ein Museum für Naturkunde exotische Bestien ausstopfte." Wären nicht spä- testens hier kritische Anmerkungen nötig? Doch bei Sigusch folgt das Gegenteil: Das IfSw sei "ein, wenn nicht sogar das Zentrum der fachlich fundierten und linksliberal motivierten Sexualreformbewegung zur Zeit der Weimarer Republik" gewesen, meint er. Hirschfeld allerdings meinte, Homosexuelle seien "degenerierende" Träger/innen schlechten, kranken Erbgutes! Alpha und Omega:
Der Mensch als Material, vorgeführt:
Brauchbar? Unbrauchbar? Für wen? Für sich selbst oder für die Weltkriegstreiber? Ein Patient dient Hirschfeld (oben links, der Fummler) dazu, sich selbst und seine "Zwischenstufenlehre" wichtigtuerisch in Szene zu setzen. Die Berliner "Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e. V." zeigt das Bild ohne weiteres heute im Internet in ihrer Online-Ausstellung "Institut für Sexualwissenschaft (1919-1933)" (BIFFF...-Screenshot von der CD-Ausgabe). Der Mensch, erst einmal zum Objekt der (Sonder-) Behandlung entmenschlicht, vorgeführt vom entmenschten Täter: Abbildung aus: Czewslaw Pilichowski: Es gibt keine Verjährung, Warschau 1980; Archiv der Hauptkommission zur Untersuchung der Naziverbrechen in Polen. Aber "persönlich integer"?! Siguschs Betrachtung des Zusammenhangs von Sexualwissenschaft und Eugenik und der Vorbereitung der Vernichtungs-Verbrechen dient einerseits dem Zweck, Hirschfeld reinzuwaschen, obwohl er zugeben muss, dass man sich auch am IfSw "in besonderen Fällen" für die "Zwangssterilisierung" ausgesprochen habe (was die Hirschfeld-Apologe- ten bisher geleugnet haben). Andererseits zeigt sie nur ein weiteres Mal Siguschs Naivität. "Wie die meisten Sexualforscher persönlich integer und nur das Beste für die Kranken und die gesamte Menschheit wollend" sei Hirschfelds großes Vorbild August Forel gewesen, so Sigusch allen Ernstes, und zitiert Forel gleichzeitig mit der Forde- rung, "'defekte Untermenschen' zwangsweise zu sterilisieren". Kann man "persönlich integer" sein, wenn man von anderen als "defekten Untermenschen" spricht, wie Forel? Sigusch verniedlicht den Vernichter Forel: "Sein Buch Die sexuelle Frage, zuerst 1905 erschienen, erlebte viele Auflagen, wurde in viele Sprachen übersetzt. Die Parole seines Buches wie der ganzen Epoche lautet: Verbesserung des 'Menschenmaterials', Vernichtung der nutzlosen und untauglichen Menschen in Fürsorge und Liebe." Wessen Nutzen? Wessen Taug? Sigusch, der Adorno-Schüler, schweigt. Und da ist es dann wieder: Auschwitz als bloßer Zeitgeist, als "Parole der ganzen Epoche", und bei Sigusch, dem man nun geistige Umnachtung attestieren möchte, auch noch "in Für- sorge und Liebe", und das ist kein Forel-Zitat, sondern ein Sigusch-Kommentar der Beweggründe Forels, den er sodann weiter zitiert, er habe "die Gefahr der Überwuche- rung, die der Kulturmenschheit durch die große Fruchtbarkeit minderwertiger Men- schenrassen drohe", gesehen (S. 377); Sarrazin vobiscum! "Dabei", so Sigusch weiter, Forel zitierend, "gerieten ihm (Forel) 'besonders die Chinesen und einige andere Mongolen', aber auch 'die Neger' und 'eventuell' die jüdische Rasse ins Visier." Aber hinter dem Visier "wie die meisten Sexualforscher persönlich integer"!? Sigusch zitiert (S. 378) auch Forels Liste der "durch schmerzlosen Tod" zu Vernichten- den, alternativ gnädigst zwangsweise zu Sterilisierenden, und nennt sie "grauenhaft": "Dazu gehörten 'in erster Linie alle Verbrecher, Geisteskranke, Schwachsinnige, vermindert Zurechnungsfähige, boshafte, streitsüchtige, ethisch defekte Menschen', ferner 'die Narkosesüchtigen', 'die erblich zu Tuberkulose Neigenden, die körperlich Elenden, die Rachitischen, Haemophilen, Verbildeten und sonst durch vererbbare Krankheiten oder krankhafte Konstitutionen zur Zeugung eines gesunden Menschen- schlages unfähigen Individuen'." Der Willkürlichkeit der Opferliste entspricht die der zu Fördernden. Sigusch zitiert: "Forel ... hatte 1905 'die sozial nützlichen Menschen' im Auge, welche zur eugenischen 'Vermehrung besonders günstige Objekte sind', 'das heisst, diejenigen Menschen, die große Freude an der Arbeit haben, dabei verträglich und gleichmässigen Humors, gutmütig und gefällig sind'." Forel gehörte dem Präsidium von Hirschfelds "Weltliga für Sexualreform" an, einem Sammelsurium von Eugenikern, teilweise auch nur eugenisch ausgerichteten Schrift- stellern ohne jede nennenswerte Fachausbildung, die sich selbst für die Brillianten in der Krone der Schöpfung hielten. "Kein Wunder", so Sigusch, "dass auch Hirschfeld immer wieder um Forels Gunst buhlte" und Kronfeld im Schweizer Exil an einer Klinik des Sohnes Forels arbeiten durfte. Kein Wunder auch, aber das schreibt Sigusch nicht, dass Hirschfeld 1933 in seinem Vorwort zur "Weltreise" (siehe unsere Abbildung oben) genau den Gedanken Forels folgt. Sigusch hatte seine Leser/innen schon auf Seite 350 eingestimmt: "Aus heutiger Sicht problematisch war auch die Haltung (des IfSw) gegenüber der eugenisch-rassenhygienischen Bewegung der Zeit, die als fortschrittlich und aufklärerisch missverstanden wurde." Auch hier merkt man wieder, dass Sigusch keine Ahnung von der reaktionären, rechtsextremen Gedankenwelt der Institutsmit- glieder hat, die wir andernorts dargelegt haben und die haargenau zu den Vernich- tungsphantasien selbsternannter Eliten gegen die "Masse" des "Pöbels" passte. Diese "Haltung" war allerdings keineswegs "problematisch", wie Sigusch im Jahr 2008 schreibt, sondern verbrecherisch und komplizenhaft, und das nicht erst "aus heutiger Sicht". Menschen zwangsweise zu sterilisieren oder gar "durch schmerzlosen Tod" zu ermorden, insbesondere auch noch solche, denen man vorher die eigene Entschei- dungs- und Zurechnungsfähigkeit psychiatrisch wegdefiniert hatte, und dies ideolo- gisch als Eugenik ("gute Fortpflanzung") zu ummänteln, war auch damals schon verbrecherisch. Sigusch problematisiert auch hier nicht die Kriterien, die die selbster- nannten Brillianten gegen die fremd bestimmten Kieselsteine ins Feld führten, auch nicht, wer diese Kriterien festlegt (bis heute, siehe Sarrazin). Sigusch, der nach Verbündeten Suchende, will das Positive sehen im Grauen, das diejenigen anrichteten, denen er sich trotz allem zugehörig fühlt. "Für mich ist Hirsch- feld kein 'geistiger Vorläufer des Faschismus'", schreibt Sigusch (S. 386), "Ich habe nie behauptet, dass er nazistische oder faschistische Ideen geäußert hätte. Aber selbst wenn er das getan hätte, wäre er für mich noch lange kein 'Vorläufer' im Sinne von vordenkendem Subjekt, sofern sich ein solches epistemologisch isolieren lässt, weil er dafür als Theoretiker viel zu unbedeutend war." Die Nazis hätten das alles nur "benutzt". Das ist nicht logisch oder gar dialektisch, das ist die Logik des "Geheim- nisses", siehe oben. Der Setzende bestimmt, wer Brilliant ist, und dies nicht zu hinter- fragen, ist die neue Epistemologie (Erkenntnistheorie). Sigusch setzt der Hirschfeld- Apologetik einen ganz alten Hut der Vor-68er-Zeit auf. Man möchte sich fremdschä- men für ihn. (Im übrigen brauchte Hirschfeld keinen großen Theorie-Überbau, da er, erkenntnistheoretisch betrachtet, Funktionalist war; auch das verkennt Sigusch.) Und Sigusch setzt Hirschfeld als Brillianten, den politischen Praktiker (S. 378 f): "Doch welche Antworten gab Magnus Hirschfeld, der große Vertreter sozialdemokratischer Sexualpolitik? Forel hat er jedenfalls nie widersprochen. Er nannte ihn 'den weisesten und besten aller gegenwärtigen Europäer' ... Im dritten Band seiner Geschlechtskunde (1930 ...) spricht sich Hirschfeld für die 'Ausjätung schlechter Menschenkeime' aus, für die Aufartung des Volkes mittels Zwangssterilisierung und Zwangskastration." Ist Sigusch irre? "Bedenkenlos war Hirschfeld nicht", schreibt er weiter, denn er habe sorgenvoll auf die "zu bewältigenden 'Riesenziffern'" der in ihrem Menschsein zu Ver- nichtenden hingewiesen, so Sigusch (S. 380), Hirschfeld zitierend. Sigusch zeigt auch durch ein längeres Zitat aus Hirschfelds "Geschlechtskunde"-Band III von 1930, wer alles nach Hirschfelds Meinung die Massengräber (oder Krematorien? oder nur Sterili- sierungs-OPs) füllen sollte, und wen Hirschfeld mit seiner schwammiger Begrifflichkeit gegebenenfalls noch alles hätte hinein definieren können: "250.000 Geisteskranke, ebenso viele Schwachsinnige und Idioten, in noch größerer Menge Psychopathen aller Art, außerdem 90.000 Epileptiker, 120.000 Alkoholiker, 18.000 Taubstumme, 36.000 Blinde, 70.000 Fürsorgezöglinge und dazu ein ganzes Heer von Krüppeln, Vagabunden, Dirnen und Verbrechern (jeder siebte erwachsene Mann ist in Deutschland vorbe- straft). Wie sehr der erblich belastete Bevölkerungsteil auch den Geldbeutel des Staates belastet" (1930, in der Weltwirtschaftskrise, nicht vergesssen!) "geht aus einer Berechnung hervor ..." -- wir sparen uns die Reichsmark-Zahlen, die Hirschfeld allein "für die Verpflegung von 33.000 Minderwertigen ... 1911 in Preußen" hier aus- rechnet, zitieren lieber aus Siguschs Buch (ebd.) noch die Schlussfolgerung Hirsch- felds, die Sigusch in seiner "Geschlechtskunde" fand: "Solche Zahlen machen es begreiflich, dass auch in Deutschland das Sterilisierungsproblem in steigendem Maße die Aufmerksamkeit immer weiterer Kreise auf sich zieht; andererseits geht aber aus ihnen hervor, welche ungeheuren Schwierigkeiten eine Zwangssterilisierung mit sich bringen würde, die wirklich eine nennenswerte Entlastung des Volksganzen von den erblich belasteten Volkskreisen bedeuten würde." Sigusch interpretiert diese Darstellung so, als (ver-) zweifele Hirschfeld an seinem eigenen Vorhaben der Höherzüchtung des Volkskörpers. Dafür gibt es aber keinerlei tatsächlichen Argumente. Hirschfeld war Nietsche-Verehrer, so jemand verzweifelt nicht an einer Aufgabe, sondern wächst an ihr. Vielmehr muss man Hirschfelds Liste der zu Vernichtenden, bei der nur die Juden (verständlicherweise), die Sinti und Roma, Sozialdemokraten, Kommunisten, Bolschewiki, Christen, Homosexuellen usw. nicht genannt werden bzw. teilweise in Hirschfelds Formulierung vom "Heer von Verbrechern (jeder siebte erwachsene Mann ...)" aufgehen, als schwere Aufgabe verstehen, der sich die Deutschen kurze Zeit später tatsächlich stellten, als sie mit der Regierungs- übertragung an die NSDAP, die Völkischen, die Rassenhygieniker und Eugeniker die Überwindung der von Hirschfeld gesehenen "ungeheuren Schwierigkeiten" praktisch angingen. Und siehe da: den Deutschen war es tatsächlich möglich, ihren "Volkskörper" von Millionen und Abermillionen "Minderwertiger" physisch zu entlasten, anfangs sogar unter Hirschfelds Empfehlung, "die Hitlerschen Experimente" doch erst einmal "abzu- warten". Fast wörtlich finden sich Hirschfelds "Bedenken" im Protokoll der Wannsee- Konferenz wieder, dem Zusammentreffen von Funktionären der mittleren Führungs- ebene Nazi-Deutschlands am 20. Januar 1942, das als entscheidendes Betratungs- und Beschluss-Ereignis für die Ermordung der europäischen Juden gilt. Erstaunlich und erschreckend ist, dass die inhaltliche und zum Teil wörtliche Übereinstimmung der Textstellen aus Hirschfelds "Geschlechtskunde" von 1930 mit Textstellen des Wannsee-Konferenz-Protokolls bisher niemandem außen dem BIFFF... aufgefallen zu sein scheint! Während Hirschfeld davon faselte, "welche ungeheuren Schwierigkeiten eine Zwangssterilisierung mit sich bringen würde, die wirklich eine nennenswerte Entlastung des Volksganzen von den erblich belasteten Volkskreisen bedeuten würde", und Sigusch, dies zitierend, sein Idol entlastend kommentiert: "Bedenkenlos war Hirschfeld nicht" (s.o.), äußerte Staatssekretär Wilhelm Stuckart vom Reichs- ministerium des Innern (SS-Mitgliedsnummer 280 042 und gemeinsam mit Hans Globke Verfasser des juristischen Kommentars der Nürnberger Rassegesetze) dieselben "Bedenken" dann auch bei der Wannsee-Konferenz, als es um die Verhinderung von "Mischehen" zwischen "Ariern" und "Juden" ging (eine Problematik für Rassisten, die Hirschfeld - bezogen auf Weiße und Asiaten bzw. Schwarze - in den USA bereits kennengelernt hatte): Stuckart zweifelte "die praktische Durchführung" der "Bereinigung" seines "arischen" Volkskörpers an, weil dies "eine unendliche Verwaltungsarbeit mit sich bringen würde" und forderte zudem, "zur Zwangs- sterilisierung zu schreiten", wie man in dem bisher einzigen gefundenden Exemplar des Protokolls der Mörder-Konferenz lesen kann. "Wannsee-Konferenz" von 1942
Das Protokoll enthält fast wortgleich Passagen wie Hirschfelds "Geschlechtskunde" von 1930: Oben: Ausschnitt aus Seite 14 des
Protokolls der Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942, auf dem die
Möglichkeiten der Ermordung der europäischen Juden
erörtert wurden.
Unten: Ausschnitt aus Seite 11 des Protokolls der Wannsee-Konferenz. Die SS-Mörder faselten von der "Freiwilligkeit" der Sterilisierung der Kinder aus "Mischehen"; "Evakuierung" war das Tarnwort für die Deportation in die Vernichtungslager: Die angebliche "Freiwilligkeit" der
Sterilisierung, die Hirschfeld für Unerwünschte forderte,
führen die Hirschfeld-Fans von der Berliner
"Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V." bis heute als Entlastung für
ihr Idol an, obwohl Hirschfeld selbst, wie auch Sigusch zitierte
(s.o.), in seiner "Geschlechtskunde" in Wahrheit auch von
"Zwangssterilisierung" geschrieben hatte.
Unten: Auch das Kriterium der "polizeilichen Beurteilung" der Unerwünschten, das Hirschfeld (s.o.) sinngemäß als Grund für die Sterilisierung anführte ("jeder siebte erwachsene Mann ist in Deutschland vorbestraft"), findet sich im Protokoll der Wannsee-Konferenz (Ausschnitt von Seite 12) wieder; Menschen, die durch die "polizeiliche Beurteilung" fielen, sollten "den Juden gleichgestellt werden": (Alle BIFFF...-Screenshots aus
dem originalen Protokoll der Wannsee-Konferenz,
wie es "Der Spiegel" im Internet als PDF-Datei veröffentlichte.) Hirschfelds Kritik an der Sterilisierungs-Hetze der Nazis, die er 1934/35 äußerte, bezog sich bekanntlich nur darauf, dass diese die Vorarbeiten der Rassenhygieniker und Eugeniker gegen die jüdische Bevölkerung wandten; das Prinzip teilte Hirschfeld jedoch mit den Nazis, befand sogar noch 1935 deren Eugenik-"Gesetz zur Verhinderung erbkranken Nachwuchses" von 1933 für zu lasch, weil es die Sterilisierung von Hirsch- felds Lieblingsfeinden, den "Rauschsüchtigen" und "Alkoholikern", aussparte. Sigusch, der die Parallelen zum Protokoll der Wannsee-Konferenz nicht sieht (oder nicht kennt oder nicht sehen will), weist auch auf Hirschfelds Unterstützung für "den sächsischen Medizinalrat Dr. Gustav Boeters" hin, einen der aggressivsten Menschenvernichtungs-Propagandisten in der Zeit der Weimarer Republik, dem Hirschfeld das Wort redete: er habe doch nur den Grundsatz, "'>nach dem jeder Gärtner Unkraut jätet, auf den Menschen<'" angewendet, so zitiert Sigusch (S. 380 f) aus Hirschfelds "Geschlechts- kunde" von 1930, in der Hirschfeld Boeters zitierte. Und Sigusch weist weiter darauf- hin, dass Hirschfeld zustimmend Boeters' Hetze gegen "das menschliche Unkraut" und "jene Schmarotzer" zitierte und Boeters' Klage, dass "die Fürsorge für das Heer der Lebensunwerten von Jahr zu Jahr wachsende Riesensummen verschlingt", teilte. "Seit Auschwitz", meint Sigusch nun verquer, "muss jeder menschenfeindliche Ton als bare Münze genommen werden." Das aber ist falsch, denn schon 1930 und früher war dieser "Ton" verbrecherisch, gegen die Menschenrechte gerichtet, fußten etliche IfSw-Mitarbeiter auf den Ideen des Vernichtungsantisemiten Fries, und Boeters' Klage in Hirschfelds "Geschlechtskunde", von Sigusch zitiert, dass "Reichstag und Reichsre- gierung" Boeters' Vernichtungsvorschläge ablehnten, zeigt, was damals tatsächlich Zeitgeist war: dass nämlich die übergroße Mehrheit der Menschen diese menschenver- achtende Politik der Hirschfeld, Boeters, Forel und wie sie alle hießen und zusammen- liefen auf ihren Kongressen der "Weltliga für Sexualreform" ablehnte. Das gilt übrigens auch für Hirschfelds wenige zeitweise Mitkämpfer in der SPD, die im Gegensatz zu Hirschfeld von ihrer Eugenik-Politik abließen, als sie in den 20er Jahren in der Partei keine Mehrheiten fanden; dazu aber schreibt Sigusch, der die Forschungen und Arbeiten anderer als der Hirschfeld-Fans ignoriert, nichts. Dabei wären doch "dieje- nigen, die nicht teilnahmen" (Hannah Arendt), herauszustellen als die wahren Idole -- gegen Hirschfeld und Konsorten. Um fair zu sein, muss man anerkennen, dass Sigusch bei aller geschichtlichen Ver- harmlosung wenigstens den Zusammenhang von Sexualwissenschaft und Rassen- hygiene/Eugenik sieht, der ja eigentlich auch gar nicht zu übersehen ist: Rassismus fing immer beim Sex an. Siguschs pro-Hirschfeld-Mitstreiterin Christina von Braun, die er in seiner "Geschichte der Sexualwissenschaft" breit und lobend erwähnt, sieht das ganz anders. Die Filmemacherin vom Kulturwis- senschaftlichen Institut der Berliner Humboldt-Universität, die sich zu vielem äußert, (manche meinen, sie schwätze zu allem und jedem) und über deren Geschwätzigkeit sich inzwischen sogar schon "Die Welt" lustig machte, leugnete in einem "Tages- spiegel"-Interview zum 100. Weltfrauentag 2011 diesen Zusammenhang: (BIFFF...-Screenshot "Tagesspiegel" online 08. März 2011) Einerseits und andererseits, "... hatte damit zu tun": Ja, es stimmt, im Universum hat alles mit allem irgendwie zu tun, aber muss das Land Berlin der von Braun für diese Erkenntnis wirklich einen Lehrstuhl finanzieren? Und wundert es einen wirklich, wenn die Konservativen die Gelegenheit ergriffen, Siguschs Frankfurter Institut nach dessen Pensionierung einzusparen? Das Niveau dieser Art von Sexualwissenschaft erreicht die Sohle noch nicht in Siguschs Schilderung der "Zerstörung des ersten Instituts für Sexualwissenschaft durch die Nazis" in seinem Geschichtsbuch von 2008. Als einzige Quelle zitiert er sei- tenweise einen anonymen angeblichen "Augenzeugen" aus Willi Münzenbergs extrem homophoben "Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitler-Terror" von 1933, das in der Geschichtswissenschaft über alle ideologischen Streitereien hinweg als Quelle für unbrauchbar gehalten wird und allenfalls auf einer Metaebene interessant ist: bei der Frage, was sich die Exilierten in Paris alles einfallen ließen, um die träge Weltöffent- lichkeit gegen den Terror des neuen Hitler-Regimes zu mobilisieren, eines Regimes, um dessen terroristische Unverschämtheit in Wahrheit viele Politiker anderer Länder die Deutschen beneideten. Sigusch verkauft diese verständliche und damals vielleicht sogar sinnvolle Propagandaschrift heute immer noch und gänzlich kritiklos als bare Münze. Nicht einmal auf die offene Homophobie des "Braunbuchs" geht er ein. Wie falsch er mit dieser "Quelle" liegt, zeigt die Zeile aus dem "Braunbuch"-Bericht über die Zerstörung des IfSw (bei Sigusch S. 368), in der behauptet wird, Bücher des flam- menden Nazi, selbsterklärten Hitler-Freundes und tatsächlichen Hirschfeld-Freundes George Sylvester Viereck seien von den HJ-und SA-Horden aus dem IfSw getragen und verbrannt worden. Zum Zeitpunkt der IfSw-Zerstörung jedoch stand Viereck bereits in Nazi-Diensten als Propagandist ihrer Politik in den USA (siehe unten). Man kann wohl annehmen, dass der Name Vierecks von Hirschfeld selbst ins "Braunbuch" getragen wurde, denn Hirschfeld kam am 14. Mai 1933 in Paris an, wo er auf Willi Münzenberg traf, seinen Mieter von 1918, der damals in einem dem IfSw benachbarten Haus des Eigentümers Hirschfeld gewohnt hatte. Münzenberg arbeitete nun am "Braunbuch" als dem großen publizistischen Wurf der inzwischen in Paris versammelten Exilierten; das Buch erschien im August 1933. Hirschfeld korrespondierte mindestens bis Oktober 1933 mit seinem alten Freund Viereck, von dem er sich seine Aufnahme in die USA als Exilland erhoffte. Die Motivation wäre klar: den rechtsextremen deutsch- freundlichen Kreis um Viereck aufzuschrecken in der Hoffnung, er werde sich von Nazi-Deutschland abwenden, wenn von den Nazi-Horden sogar Vierecks Bücher hier verbrannt würden. Doch Viereck und seine Leute taten das Gegenteil, schlossen sich vollends den Nazis an; Viereckt selbst stimmte dem Verbot einiger seiner Schriften durch die Nazis dann sogar noch ausdrücklich zu. Und Hirschfeld weigerte sich, des- halb mit seinem alten Freund zu brechen (siehe unten). Ground Zero dieser Art von Sexual-"Wissenschaft" ist erst erreicht, wenn Sigusch auf Seite 387 falsch aus einem angeblichen (siehe unten) Brief Hirschfelds an Viereck zitiert und dabei noch sich selbst zitiert, was wohl wichtiger ist als die Überprüfung eines Zitates: "'Tragischerweise' aber, so hieß und heißt es nach wie vor bei mir, war Hirschfeld das eugenologische Vernichtungsdenken als solches 'bis zum Ende nicht suspekt' - wie auch sein Brief aus dem Exil an seinen Freund George Sylvester Viereck vom 30. Okto- ber 1933 zeigt, den Atina Grossmann ... in den Sammlungen des Kinsey-Instituts entdeckt hat. In diesem Brief heißt es: 'Zweifellos ist der Reinigungsprozeß, der gegenwärtig in Deutschland durchgeführt wird, in vieler Hinsicht das, was wir lange Zeit gewünscht hatten, aber die Kosten dieser Maßnahmen, die Gewalttätigkeit und insbesondere die Intoleranz, sind ein zu hoher Preis dafür.'" (Hervh. P.K.) Sigusch gibt nicht an, wer der Nazi Viereck war, obwohl Grossmann (eine vielfach ausgezeichnete Historikerin des wohltätigen New Yorker Privatcolleges Cooper Union) ihn mit den Worten vorstellt: "Viereck, der in den USA als Nazi-Apologet galt", bevor sie das vermeintliche Briefzitat bringt. Sigusch verschweigt das einfach, und der zweifellos skandalöse Brief Hirschfelds (wie die ganze skandalöse Freundschaft der beiden über Jahrzehnte hin) zeigt, dass Siguschs Wörtchen "nicht suspekt" wohl kaum beschreiben können, worum es geht. Den zweiseitigen Brief, maschinengeschrieben unter Hirschfelds Pariser Briefkopf und mit einer handschriftlichen Unterschrift, die anderen Hirschfeld-Unterschriften weniger ähnlich sieht als andere, ordnen wir weiter unten in Hirschfelds Bestrebungen ein. Allerdings ist das Zitat falsch. Eine Fotokopie des angeblichen Dokuments liegt im "Haeberle-Hirschfeld-Archiv für Sexualwissenschaft" (HHA) der Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin, und BIFFF...-Leiter Diplom-Psychologe Peter Kratz war wohl im Februar 2011 der erste Interessent, der diese Fotokopie im HHA sehen konnte und ihre Bedeutung erkannte. Der Satz lautet in dieser HHA-Fotokopie in Wahrheit so: "Gewiss ist der Einigungsprozess, der in Deutschland jetzt durchgeführt wird, in mancher Hinsicht das, was auch wir seit langem wünschten, aber die Kosten dieser Prozedur, die Gewaltmässigkeit und vor allem die Intoleranz sind allzu hohe Einsätze." Die Abweichungen zu Grossmanns und Siguschs Version sind doch erheblich; politisch bedeutsam ist vor allem der Unterschied zwischen "Reinigungsprozess" in der Gross- mann/Sigusch-Version und "Einigungsprozess" in der HHA-Fotokopie des Originals (wenn diese und das Original denn echt sind, siehe unten). Hirschfeld-Brief an
George Sylvester Viereck (Ausschnitte):
"30. Oktober 1933 ... Lieber G. S. ! Es ist schade, dass wir uns bei Deinem Besuch in Europa nicht gesprochen haben. Als ich in der Zeitung las, dass Du in Hamburg " ... ... "Gewiss ist der Einigungsprozess, der in Deutschland jetzt durchgeführt wird, in mancher Hinsicht das, was auch wir seit langem wünschten, aber die Kosten dieser Prozedur, die Gewaltmässigkeit und vor allem die Intoleranz sind allzu hohe Einsätze." ... "Persönlich geht es mir leidlich, nur meine Gesundheit lässt viel zu wünschen übrig. Dr. M. Hirschfeld" Abbildungen oben: Screenshot-Ausschnitte aus einer Fotokopie eines zweiseitigen angeblichen Briefes Hirschfelds aus Paris an Viereck vom 30. 10. 1933, im HHA der UB der HU Berlin, Jakob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum, vorläufige Archiv-Nummern der beiden Fotokopie-Blätter: 128.8-1 und 128.8-2 In der Grossmann/Sigusch-Version kann der Satz ohne weiteres mit Bezug auf Hirsch- felds Eugenik-Politik gelesen werden, wie Sigusch es ja auch tut: als Reinigung des Volkskörpers vom "Unkraut" nach Gärtner Art. Im Original jedoch geht Hirschfelds Aussage weit über den engen Bereich der Eugenik (die Hirschfeld in dem Brief gar nicht anspricht!) hinaus, bei dem manche/r auch heute sagen würde: Na ja, Unkraut ist wohl ein böses Wort, aber die PID, richtig angewandt, ist doch eine Wohltat für die Eltern! Der nationale "Einigungsprozess" Deutschlands in einer totalitären Diktatur verweist dagegen auf ein allgemeinpolitisches, gesellschaftliches Ziel, das die beiden alten Freunde - der von Nazi-Jugendlichen schon zu Beginn der 20er Jahre auf der Straße zusammengeschlagene jüdischstämmige Hirschfeld, der insbesondere Adolf Hitler als den führenden Antisemiten hasste, und der Nazi und selbsterklärte Hitler- Freund Viereck, der seinen "Führer" schon zu Beginn der 20er Jahre persönlich inter- viewt hatte und das Hitler-Interview in seiner eigenen Zeitschrift in den USA und 1932 noch einmal verändert in der US-Zeitschrift "Liberty" (in der auf Vierecks Vermittlung hin Hirschfeld schon 1931 über seine eugenische Arbeit am IfSw geschrieben hatte) und als Broschüre veröffentlicht hatte - offenbar teilten: das politische Ziel einer formierten Gesellschaft, in der es so wenig Platz für marxistische Klassenkämpfe wie für bürgerlich-demokratischen Parteienstreit wie für die vielfältigen Freiheiten viel- fältiger Minderheiten gäbe, darunter der sexuellen, die Hirschfeld und sein zeitweilig engster Mitarbeiter, der Psychiater Arthur Kronfeld, ohnehin für biologisch "degene- riert" hielten. So herum betrachtet, erscheint die Verbindung zu Hirschfelds Eugenik- Politik noch viel gefährlicher, weil hier deutlich wird, wie die Willkür der Forelschen Auflistung der zu Vernichtenden direkt ins Politische und Gesellschaftspolitische hinein reichte. Interessant ist es, die Fälschung des Hirschfeld-Brief-Zitates genauer zu betrachten, denn dies ist ein Lehrbeispiel für die heutige apologetische Hirschfeld-Forschung und Hirschfeld-Geschichtsschreibung, die schon keine Geschlichtsklitterung mehr ist, son- dern eine breite Geschichtsfälschung. Sigusch entnimmt das Zitat aus dem Vortrag von Atina Grossmann: "Magnus Hirschfeld, Sexualreform und die Neue Frau: Das Insti- tut für Sexualwissenschaft und das Weimarer Berlin", den sie auf dem Kongress "Der Sexualreformer Magnus Hirschfeld: Ein Leben im Spannungsfeld von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft" hielt, der im Jahr 2003 in Potsdam stattfand und vom Moses- Mendelssohn-Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam (MMZ) in Zusammenarbeit mit dem Kulturwissenschaftlichen Institut der Humboldt- Universität zu Berlin und der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. Berlin organisiert worden war. Das BIFFF... hatte damals den Kongress öffentlich kritisiert. Die Referate des Kongresses erschienen in dem von Elke-Vera Kotowski und Julius H. Schoeps (beide vom MMZ) herausgegebenen Sammelband "Magnus Hirschfeld: Ein Leben im Spannungsfeld von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft" (Berlin 2004; Grossmanns Vortrag: S. 201-216), das Sigusch als Zitat-Vorlage dient. Das Original des angebli- chen Hirschfeld-Briefes an Viereck hat Sigusch nicht gesehen, auch keine Fotokopie, wie es BIFFF...-Leiter Kratz im HHA der Humboldt-Uni getan hat. Wir wissen nicht, ob Grossmann ihren Vortrag auf Englisch hielt und einen englischen Text für das Buch einreichte, der dann von den Herausgeber/innen, ihren Mitarbeiter/ innen oder dem Verlag für den Kongress-Reader falsch ins Deutsche übersetzt wurde. Das wäre eine einfache Erklärung für die Fehler: Grossmann hätte den Hirschfeld-Satz aus seinem Brief an Viereck aus dem deutschen Original ins Englische übersetzt, andere hätten ihn falsch ins Deutsche zurück übersetzt, ohne die neue deutsche Version am Original zu überprüfen. Allerdings ist im Englischen der Unterschied zwi- schen den entsprechenden Wörtern für "Einigung" und "Reinigung" weit größer als im Deutschen, es sind gänzlich verschiedene Wörter. Der Fehler hätte doch eigentlich auffallen müssen. Auf jeden Fall wurde weder von den Herausgeber/innen Kotowski und Schoeps noch von ihrem Verlag eine angemessen sorgfältige Lektorierung unter- nommen, das angebliche Original des Briefes, aus dem Grossmann zitierte, nicht zur Überprüfung herangezogen. Diese schlampige Art der apologetischen Hirschfeld-For- schung zeigt auch die Fußnote 14 zu Grossmanns Text in dem Sammelband (S. 215), in dem sie als Quelle des Briefes angibt: "Hirschfeld Sammlung, Konsey Institute, Bloomington, Indiana". Jawohl, da steht nicht "Kinsey Institute" sondern "Konsey Institute". So viel zur sorgfältigen wissenschaftlichen Arbeit Kotowskis und ihres MMZ-Chefs Schoeps, der seit Jahren eher als Ideologe denn als ernst zu nehmender Historiker schreibt. Zuzutrauen ist dieser Art Hirschfeld-Forschung aber auch eine plumpe Fälschung: Was nicht ins ideologische Konzept passt, wird eben passend gemacht. Der Verdacht gilt in jedem Fall gegen Grossmann, die in ihrem Artikelchen, dessen Schwärmerei für Hirsch- feld mit Apologetik nur unzureichend beschrieben wäre, auch noch auf ihre familiären Beziehungen zu Hirschfeld hinweist (S. 203). Damit nicht genug: Grossmann erfindet, das Einigung/"Reinigung"-Zitat habe Hirschfeld in dem Brief "in bezug auf das Sterilisa- tionsgesetz der Nazis 1933" (S. 205) geschrieben. Davon ist in dem Brief aber keine Rede, Eugenik oder dieses Nazi-Gesetz kommen in dem Brief gar nicht vor (vgl. den vollständigen Wortlaut des Briefes). Vielmehr folgt das Zitat direkt auf Hirschfelds Bemerkung darüber, dass sein Freund Viereck erwartungsgemäß "der Hitlersuggestion" erlegen sei. Es entspricht also im Gedankenzusammenhang des Briefes genau unserer Interpretation (siehe oben). Und hier schließt sich die Frage an, ob Grossmann, deren Fälschung nunmehr auch mit Hilfe von Sigusch in die Literatur eingegangen ist, den Brief überhaupt jemals gesehen hat, geschweige denn "entdeckt" hat, wie Sigusch behauptet. Für die Herausgeber des Kongress-Readers, Kotowski und Schoeps, ist das alles kein Thema, wir aber dürfen uns in unserer Kritik an diesem Kongress (auf dem übrigens auch schon wieder Christina von Braun vom Kulturwissenschaftlichen Institut der Humboldt-Universität etwas zu sagen hatte, und zwar - acht Jahre früher! - fast wortgleich den oben aus dem "Tagesspiegel" zitierten Unsinn) und dem daraus folgen- den Buch, das heute in fast jedem schwulen Buchladen verkauft wird, um neben den Pornos auch was Seriöses zur Geschichte der Bewegung im Angebot zu haben, ein weiteres Mal bestätigt fühlen. Wieder sind es wir vom BIFFF..., die erstmals nicht nur das Zitat an einer Fotokopie des angeblichen Originals, die wir im HHA suchten und fanden, überprüften und als falsch zeigen konnten, sondern die auch Fragen nach der Echtheit des Briefes stellen: Grossmann gibt an (S. 206), das Material der Hirschfeld-Sammlung des Kinsey-Insti- tuts, aus dem sich offenbar auch der HHA-Gründer Erwin J. Haberle bediente, als er in den 80er Jahren dort eine Zeitlang arbeitete, stamme von Hirschfelds Freund Harry Benjamin, der es über Jahrzehnte aufbewahrt und es dann dort abgegeben habe. Ben- jamin freilich ist eine unsichere Quelle: Natur-Apostel und Psycho-Esoteriker im Gefolge Gurdijeffs, arbeitete er als niedergelassener Arzt in New York und San Francisco, machte auch Hormonexperimente, um Homosexualität wegzutherapieren, schrieb zu diesem und jenem und war kein großes Licht der Wissenschaft, auch wenn interes- sierte Kreise ihm heute die "Entdeckung" der Transsexualität zurechnen. Es sind übrigens dieselben Kreise, die auch die Hirschfeld-Apologetik betreiben. Wie kam Benjamin an einen Brief, den Hirschfeld zu Viereck geschickt hatte? Benjamin hätte diesen Brief auch insgesamt fälschen können, um sich als Freund Hirschfelds wichtig und interessant zu machen, zum Beispiel gegenüber Alfred Kinsey, mit dem er bekannt wurde, als Hirschfeld schon längst tot war. Der Brief ist maschinengeschrieben, in Paris wohlgemerkt, enthält aber deutsche Umlaut-Buchstaben. Auf einer französischen Schreibmaschine? Vielleicht hatte Hirschfeld am Ende seiner Weltreise in Österreich oder der Schweiz (1932!, und nicht, wie J. Edgar Bauer in dem Kotowski/Schoeps- Reader auf Seite 271 falsch behauptet: "Hirschfelds Reise, die zwischen November 1930 und April 1931 stattfand"; der Fehler ist auch auf der HU-HHA-Webseite zu sehen, die diesen Text Bauers übernommen hat -- nicht mal das kriegen die Apolo- geten richtig hin! In seinem Text "Der Tod Adams", der urspünglich in der von Manfred Herzer herausgegebenen Vortragssammlung "100 Jahre Schwulenbewegung" enthalten war und jetzt ebenfalls - als "revidierte Fassung"! - auf der HHA-Webseite zu lesen ist, behauptet Bauer sogar, Hirschfeld habe seine Reise nach Amerika erst 1931 angetre- ten: "1931, als er nach Amerika ging" -- man fasst es nicht, dass solche Leute als die legitimen Interpreten des "Œuvres Hirschfelds" <Bauer> gelten! Doch damit nicht genug: Herzer selbst, der bisher einzige deutschsprachige Biograph Hirschfelds, schreibt im September 2011 in seinem unsäglich (w)irren Artikel "Magnus Hirschfelds Lehre von den sexuellen Zwischenstufen und der Historische Materialismus" im Heft 293 der früher einmal marxistischen Zeitschrift "Das Argument", Hirschfeld sei 1931 in die USA gereist: "Anfang 1931, kurz bevor er das zunehmend vom Naziterror zerrüttete Deutschland verließ...", S. 566! In seiner Hirschfeld-Biographie, "zweite, überarbeitete Auflage" 2001, hatte Herzer noch richtig "November 1930" geschrieben. Was soll man machen mit einem "Arguemnt"-Heft, wo gleich im ersten Artikel, den man aufschlägt, im ersten Absatz vom ersten und einzigen Hirschfeld-Biographen ein in Hirschfelds Leben so zentrales Datum falsch ist? Müll und Abo kündigen!) -- also nochmal: Vielleicht hatte Hirschfeld am Ende seiner Weltreise in Österreich oder der Schweiz 1932 (!) eine Schreibmaschine mit deutschen Lettern gekauft, um sein "Weltreise"- Buch zu schreiben, und diese mit nach Paris geschleppt. Die Unterschrift Hirschfelds unter diesem Brief an Viereck ist ungewöhnlich im Vergleich zu anderen. Vielleicht gibt es aber gar kein Original, und das Exemplar, das Grossmann im Kinsey- Institut gefunden haben soll, ist auch nur eine Fotokopie, vielleicht von Benjamin zusammengeklebt. Wer fährt hin und guckt nach? Benjamin und Viereck waren miteinander bekannt und hatten in New York, vermittelt durch Hirschfeld, miteinander Kontakt, aber zum Zeitpunkt dieses Briefes war Viereck bereits in die Dienste des Nazi-Regimes eingetreten, und Benjamin war jüdischer Her- kunft. Dennoch bezeichnete Benjamin noch im hohen Alter in den 80er Jahren Viereck als "unseren gemeinsamen Freund" (siehe unten). Es existieren offenbar keine Briefe von Viereck an Hirschfeld mehr, denn in US-amerikanischen Archiven, die Vierecks Schriftverkehr auflisten, gibt es keine, und beim HHA wurden uns keine vorgelegt. Hirschfelds Brief an Viereck vom 30. Oktober 1933 ist bisher der letzte belegbare Kontakt zwischen beiden (wenn er denn echt ist). Aber wer weiß, was sich noch alles auf dem Autographen-Markt US-amerikanischer Antiquariate finden lässt! Vielleicht war aber nicht Benjamin die Quelle des Kinsey-Instituts, wie Grossmann meint, die den Brief nicht weiter kritisch hinterfragt, sondern Viereck selbst. Denn für die Brief-Kontakte zwischen Alfred Kinsey und Viereck gibt es in US-Archiven Belege. Solchen Wäg- und Unwägbarkeiten sieht sich eine kritische Hirschfeld-Forschung immer wieder gegenüber. Die Apologeten gehen einfach darüber hinweg. Der (nehmen wir nun mal an: echte) Originaltext mit dem "Einigungsprozess" des deutschen Volkes, der nun endlich, 1933!, "durchgeführt" werde, zeigt die Kontinuität in Hirschfelds Denken: sein unbändiger Jubel über den Beginn Ersten Weltkriegs als Einigungsprozess der Deutschen im Volkskrieg gegen die Franzosen, den Sigusch in seinem "Spiegel"-Artikel von 1985 noch ausführlich zitiert und kritisiert hatte (siehe oben), kommt freilich im Oktober 1933 etwas verhaltener daher. Hirschfeld ist nun auch älter und gesundheitlich angeschlagen, da schreit man nicht mehr so laut "Hurrah!" wie noch im August 1914, als Hirschfeld mit dem Goethe-Zitat noch eins drauf setzte: "Wie alles sich zum Ganzen webt, eins in dem anderen wirkt und lebt". Der deutsche "Kriegssozialismus", aus dem sich der Faschismus und Nationalsozialismus als gemeinschaftsideologische Staats- und Wirtschaftsformen entwickelten (und in dem Lenin erstaunlicherweise ein Vorbild für die sowjetische Planwirtschaft sah!), war immer Hirschfelds politisches Ziel, die "sozialistische Eugenik" innerhalb der SPD gehört hierzu, Hirschfelds Kontakte mit der Noske-Fraktion der SPD ebenso. Hirschfelds Vor- stellung von der "Volksgemeinschaft als einheitlicher Volkskörper" aus seinem Plan zur "Verstaatlichung des Gesundheitswesens" von 1919 gehört hierher, auch das Ziel, dem dieser Plan dienen sollte: "Deutschland ..., das sich aus dem schweren Unglück dieser Tage zu neuem Glück und neuer Stärke emporringen wird" (ebd.) Die Chance zur Erkenntnis dieser Kontinuität verpasst Sigusch, weil er ungeprüft falsch zitiert. In dieser antidemokratischen und antiliberalen Gesellschaftsformierung traf sich der Kreis um Hirschfeld, der sich personell z.T. überschnitt mit dem Kreis um den autoritä- ren Ideologen Leonard Nelson, dem Idol Kronfelds, wie unsere Studie "Vom Antisemi- tismus zur Homophobie" nachgewiesen hat, auch mit den Vorstellungen des Nelson- Kreises "Internationaler sozialistischer Kampfbund ISK" und seiner Zeitung "Der Funke", der 1932/33 gegen die "falschen" Führer der Nazis und für die angeblich "richtigen" Führer der Nelsonianer kämpfte -- und beide gegen die pluralistische Weimarer Demokratie! Gerade erst erinnerte die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" an die Parallele im faschisti- schen Franco-Spanien, wo in Anlehnung an den deutschen biologistischen Konstitu- tions-Psychiater Ernst Kretschmer - der unter den Nazis Karriere machte, Fördermit- glied der SS war, als "Richter am Erbgesundheitsgericht" über Zwangssterilisierungen entschied, direkt in die Euthanasie-Aktionen verwickelt war und mit dem laut Sigusch (S. 359), der diese Kretschmer-Verbindungen zu den Nazi-Verbrechen alle ver- schweigt, Kronfeld "befreundet" war - eine politische Eugenik gegen Linke und Demo- kraten entwickelt worden war, die die biologisch-medizinische "Minderwertigkeit" derer, die in der Tradition der Französischen und Amerikanischen Revolutionen und des Marxismus für die menschliche Emanzipation kämpften, behauptete: (BIFFF...-Screenshot, FAZ online, 09. März 2011, aus dem Artikel von Paul Ingendaay: Kindesraub im Spanien, Eugenik unter Franco) Mangelndes Wissen war immer schon eine Ursache von Religionsbildung. Sigusch ist über dieses Stadium hinweg und ins Stadium der Um-Interpretation dessen einge- treten, was die Gläubigen verstört, was aber nicht wegzuleugnen ist, selbst wenn man hier und da noch ein paar verändernde Buchstaben mehr in die heiligen Sätze hinein pfuschen würde. Ja, der feindesliebende Jesus konnte auch gewalttätig werden, aber nur zum Höheren Ziel, gegen die Geldwechsler, die den Tempel Gottes mit Irdischem entweihten. Wer wollte deshalb Jesu persönliche Integrität bezweifeln! Ja, Hirschfeld, Forel, Boeters wollten "ausjäten", aber doch nur "in Fürsorge und Liebe" und "persön- lich integer" (Sigusch). Hirschfeld, der Widersprüchliche, der Rätselhafte, Undurchsich- tige, Geheimnisvolle, in heiliger Einfalt, für viele gar unbefleckt. So wird er seit den 80er Jahren konstruiert. Aber auch die Hirschfeld-Religion ist aufklärbar. Unsere Vermutung, dass Hirschfeld, der immer nur mit dem pro-faschistischen (Noske-) Flügel der Sozialdemokratie sympathisiert hatte und in vielen Bezügen (nicht nur in seiner Vergötterung Nietzsches und Haeckels) der "Konservativen Revolution" näher stand als der Weimarer Demokratie, eine faschistisch durchgeplante "moderne" Gesell- schaft vorschwebte und keineswegs die westlich orientierte linksliberale Freiheits- garantie für jedwedes Individuum innerhalb der gleichen Rechtsstaatsgarantien für alle Menschen, wird nicht nur durch die Korrektur des obigen Zitates von der biologischen Reinigung zur nationalen Einigung, sondern auch von seinem Umgang mit faschisti- schen und faschistisch beeinflussten Freunden in den USA unterstützt, mit denen Viereck seinen alten Freund Hirschfeld zusammenbrachte. Dabei sollte man nie vergessen, dass breiten Teilen der ursprünglichen faschistischen Bewegung das antisemitische Moment fehlte. Der Nazi Viereck organisierte Hirschfelds USA-Reise Hirschfelds Buch über seine Weltreise, die im November 1930 mit der Abfahrt nach New York begann, "Weltreise eines Sexualforschers im Jahre 1931/32", das 1933 in Zürich erschien und heute in Neuauflagen zu kaufen ist, beginnt mit seiner Abreise aus San Francisco im März 1931. Sein Aufenthalt in den USA von November 1930 bis März 1931 ist bisher weitgehend unbekannt und unerforscht, auch scheint er die Weiterfahrt nach Asien und die Weltumrundung erst in den USA geplant zu haben. Das BIFFF... hat mit einer ersten Veröffentlichung über die Statements und Artikel Hirschfelds, die mit Hilfe des deutsch-amerikanischen rechtsextremen Schriftstellers und Politikers George Sylvester Viereck in US-Zeitungen und Zeitschriften erschienen, die dem Hearst-Kon- zern gehörten, für den Viereck bisweilen arbeitete, erstmalig etwas Licht in dieses Dunkel gebracht und wird die kommentierte auszugsweise Neuveröffentlichung dieser Zeitungsartikel weiter fortsetzen. Aus diesen Artikeln geht hervor, dass Hirschfeld in den USA insbesondere seine eugenischen Positionen zu verbreiten und zu verbreitern versuchte, weil er hier auf größere Resonanz hoffte. Denn in etlichen Bundesstaaten der USA waren bereits eugenische Gesetze zur Sterilisierung und Zwangssterilisierung von als "Behinderte" definierten Menschen in Kraft; auch gesetzliche Verbote für Ehen zwischen Weißen und Schwarzen oder Asiaten, die scheinbar eugenisch bis offen rassistisch begründet wurden, gab es hier. Hirschfeld kröpft sich eingangs des ersten Kapitels seines "Weltreise"-Buches geradezu damit, dass er in San Francisco vom dortigen deutschen Generalkonsul verabschiedet wurde. Das war Werner Otto von Hentig, damals schon ein bekannter Vertreter der "Nationalrevolutionäre" in der "Konservativen Revolution" in Deutschland, die allerdings erst von Armin Mohler in seinem gleichnamigen Überblicksbuch von 1950 über die rechtsextremen antidemokratischen Strömungen, die mehr oder weniger schnell und vollständig in den Nationalsozialismus mündeten, so benannt wurde. (Werner Otto von Hentig war auch der Vater des heute breit bekannten Pädagogen Hartmut von Hentig.) "23 Personen geleiteten mich an Bord", so Hirschfeld im Stile dessen, der sich selbst für einen Brillianten unter Kieselsteinen hält, "darunter der deutsche Generalkonsul von Hentig - bekannt durch seinen kühnen Ritt im Weltkrieg von Kabul in Afghanistan bis an die chinesische Küste. Er brachte mir als Abschiedsgeschenk einige von ihm ver- fasste Bücher und sprach mir seinen Dank dafür aus, was ich als Verfechter der deutschen Wissenschaft in Amerika für Deutschlands Ansehen getan hätte." Der Diplomat von Hentig, ein Abenteurer und unsteter Charakter, versuchte während des Ersten Weltkriegs in Mittelasien Stammesfürsten zum Aufstand gegen die dortige britische Kolonialherrschaft zu bewegen, wovon sich das deutscher Kaiserreich eine Schwächung der Briten und eigene Vorteile im europäischen Krieg versprach. Hirschfeld und seine Mitstreiter waren zur gleichen Zeit in Deutschland begeisterte Anhänger der deutschen Kriegspolitik und des Deutschen Kaisers Wilhelm II., gleichzeitig propagierte Viereck diese deutsche Kriegspolitik bereits in den USA (siehe unten). Hentig, der 1917 aus der Hand Wilhelms II. den Orden "Kreuz der Ritter mit Schwerten des königlichen Hausordens der Hohenzollern" erhalten hatte, verließ immer wieder mal den diplomati- schen Dienst und beteiligte sich zu Beginn der Weimarer Republik mit seinem Bruder Hans von Hentig (ebenfalls Nationalrevolutionär der ersten Nachkriegsstunde, Autor des Buches "Das Deutsche Manifest", dann eugenischer Kriminologe und Rassenhygie- niker, der insbesondere "Neger" für biologisch bedingt kriminell hielt und nach 1945 gegen die "Kriminalität" Homosexueller agitierte) aktiv an innerdeutschen Aufständen gegen die Weimarer Demokratie. 1923/24 waren die Brüder in den thüringischen Kommunistenaufstand verwickelt; damals glaubte die KPD, sich mit den "Kriegssozialis- mus"Teilen der Reichwehr und der Noske-Fraktion der SPD verbünden zu können, und Reichswehr-Einheiten hielten in der Sowjetunion heimlich Manöver ab, was gegen den Versailler Friedensvertrag verstieß. Später war Werner Otto von Hentig ein enger Freund des NSDAP-Abweichlers Otto Strasser, der Anfang der 20er Jahre aus der SPD zu den Nazis gefunden hatte, seine Version eines "Deutschen Sozialismus" (preußi- schen Faschismus) entwickelte und sich wegen der pro-kapitalistischen Politik der Hitler-Göring-Mehrheitsfraktion 1930 von der NSDAP trennte. Ins Auswärtige Amt zurückgekehrt, leitete Werner Otto von Hentig ab 1937 die dortige Orientabteilung und war die Kontaktperson Nazi-Deutschlands zu Mohammed al-Husseini, dem "Großmufti von Jerusalem", Hitler-Verehrer und unermüdlichem Helfer bei der Vernichtung der europäischen Juden, die er während des Zweiten Weltkriegs mit Expeditionskorps der deutschen Wehrmacht auch auf die orientalischen, insbeson- dere "palästinensischen" Juden der zionistischen Siedlungsbewegung auszuweiten trachtete; Hentig verhalf im April 1945 persönlich Husseini, dem wichtigsten Verbin- dungsmann zwischen dem nazistischen Vernichtungsantisemitismus und dem islamisti- schen Antisemitismus des Vorderen Orients, der ab 1941 in Berlin lebte, zur Flucht in die Schweiz. Am 28. 04. 2010 schrieb die "Süddeutsche Zeitung" über Hentig, er habe sich auch dafür eingesetzt, dass eine arabische Übersetzung von Hitlers "Mein Kampf" im arabischen Raum verbreitet werde, weil dies in der arabischen Welt auf weitrei- chende Sympathie stoßen werde und von großem propagandistischen Wert für Hitler- Deutschland sein werde. Hentig erhielt eine Reihe von Nazi-Orden, darunter 1943 die "Rumänische Erinnerungsmedaille 'Kreuzzug gegen den Kommunismus'" und wurde in einem Entnazifizierungsverfahren zuerst als "Hauptschuldiger" eingestuft. Nach einer Pause trat Hentig in den 50er Jahren wieder in den diplomatischen Dienst des Auswärtigen Amtes, nun der Bundesrepublik Deutschland, ein und profilierte sich als Gegner von Adenauers Westbindungs-Politik. Er pflegte nun eifrig Kontakte zu in arabischen Staaten untergetauchten Nazis. In den 60er Jahren betrieb von Hentig mit Wolf Schenke, einem vormaligen Funktionär der Reichsleitung der Hitler-Jugend, Mit- arbeiter des NSDAP-Parteiblattes "Völkischer Beobachter" und Agenten Nazi-Deutsch- lands im japanisch besetzten Shanghai (einer der Hauptzufluchtsstätten exilierter europäischer Juden, die Schenke dort ausspionierte, weshalb er nach Kriegsende von den USA vor ein Kriegsgericht gestellt, aber freigesprochen wurde) und anderer ehe- maliger Nazis rechtsextremistische "neutralistische" politische Kleingruppen gegen die NATO-Bindung der Bundesrepublik Deutschland und schrieb in Schenkes Zeitschrift "Neue Politik", in der nun auch Otto Strasser publizierte, anti-israelische Artikel. Man muss etwas wissen über Werner Otto von Hentig und seine Politik, um Hirschfelds "Weltreise"-Buch richtig lesen und verstehen zu können. Zweifellos kann man dem 1935 im französischen Exil verstorbenen Magnus Hirschfeld nicht vorhalten, welche Entwicklungen seine Kontaktpersonen und Freunde in den folgenden Jahrzehnten nahmen. Diese Warnung wird in unserer Darstellung weiter unten noch viel bedeutsamer werden. Es wird aber, ebenso wie bei Werner Otto von Hentig, auch deutlich werden, dass der politische Mensch Hirschfeld, der in den 10er und 20er Jahren mit zahlreichen Politikern zu tun hatte, der politische Forderungen gestellt und Gesetzentwürfe mit verfasst hatte, 1931 wohl kaum unwissend und naiv an den antidemokratischen Nationalrevolutionär im Dienste der Weimarer Republik Werner Otto von Hentig heran gegangen war. Hirschfelds Hinweis auf von Hentigs ach so heroischen "Ritt" im Ersten Weltkrieg, der anti-britischen Aufständen und den deut- schen Kriegszielen diente und den von Hentig in seinem Buch "Von Kabul nach Shang- hai" dargestellt hatte, zeigt dies. Auch ist anzunehmen, dass Hirschfeld in San Fran- cisco mit von Hentig über die eugenisch-rassenhygienische Kriminologie des Hentig- Bruders Hans gesprochen hat, der zur selben Zeit hierüber in Deutschland publizierte, was wohl ein gemeinsames Interesse und Small-Talk-Thema war, wenn von Hentig seinen Gast Hirschfeld doch schon als "Verfechter der deutschen Wissenschaft in Amerika" gewürdigt hatte, wie Hirschfeld stolz bekundet. Man kannte sich, man wusste von einander, man lobte sich gegenseitig. Mindestens das. Davon ist auszugehen, ohne Hirschfeld Unrecht zu tun. Es stellt sich auch die Frage, ob und wie Hirschfeld auf seiner Weiterreise nach China gar von Hentigs alten Shanghai-Kontakten profitierte, Hentig ihm dort Türen öffnete. Klar ist bereits, dass Hirschfeld von seinem USA-Aufenthalt profitierte. In demselben Statement vom August 1933, in dem er zur Geduld mit den "Hitlerschen Experimenten" aufrief und das Sigusch (S. 385) nun im Wortlaut und vollständig abdruckt (dessen wörtliche Authentizität aber nunmehr durch Siguschs Neuabdruck fraglich ist, weil hier deutlich wird, dass es sich nur um die Kolportage einer unbekannten Person über ein "Gespräch" handeln soll, dass Hirschfeld mit einer weiteren unbekannten Person ge- führt haben soll), bekennt Hirschfeld, "in Kalifornien" gelernt zu haben, dass die dorti- gen "Versuche" an Menschen "in den meisten Fällen ein günstiges Resultat für die Sterilisation" ergeben hätten; doch jetzt äußert er - ein Argument des ihn fortwährend kritisierenden Neurologen Albert Moll wörtlich aufgreifend - auch selbst Zweifel an der Eugenik wegen der vielen offenen Fragen zur Vererbung menschlicher Eigenschaften: "Es genügt allein, an Beethoven zu erinnern, dessen Vater Alkoholiker war. Man muss die Hitlerschen Experimente abwarten, ehe man sich darüber äußert. Nicht nur aus wissenschaftlichen Gründen. Denn es ist keineswegs sicher, dass die Nationalsozia- listen einzig und allein aus eugenischen Zwecken handeln. Man muss vielmehr befürch- ten, dass sie sich der Sterilisation bedienen werden, weniger um die 'Rasse aufzu- züchten', als um ihre Feinde zu vernichten. Die Ereignisse der letzten Monate bieten Anhalt genug für solche Befürchtungen." Stock, der du gewesen, steh doch wieder still! Hirschfeld wusste doch mindestens seit den frühren 20er Jahren, als Nazis ihn auf offener Straße zusammengeschlagen hatten, um was es geht. Warum da noch "abwar- ten"? Der Mann war einfach unbelehrbar, wie der Zauberlehrling. Und die Meister des Zaubers, des "Geheimnisses" der "hohen Mächte", waren eben "Meister aus Deutsch- land", wie sie sich Goethe noch nicht träumen lassen konnte: noch faustischer als Faust. Und kein Weichling hielt sie auf. Im selbem Jahr 1933 setzte Hirschfeld doch wieder seine Hoffnung auf die Eugenik, siehe oben: sein Vorwort zum "Weltreise"-Buch, und zum Ende des Jahres schrieb er die Zeilen an Viereck (siehe oben): dass die "Einigung" seines geliebten Deutschland, die nun die Nazis vollzogen, doch auch sein Ziel gewesen war, nur weniger brutal: "schmerzloser Tod" wie bei Forel eben, aber tot. Es ist der sehr kritikablen "Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V." (MHG) und teilweise noch kritikableren Geldspender/innen wie der Autorin Marita Keilson-Lauritz zu ver- danken, dass ein Brief Hirschfelds an Viereck vom 22. Oktober 1930 von der MHG - offenbar aus dem Nachlass Vierecks, der teilweise in den USA verramscht wurde - "in einem US-amerikanischen Antiquariat", wie die MHG schreibt, angekauft und auf der MHG-Webseite im Dezember 2005 erstmals veröffentlicht wurde, in dem Hirschfeld Viereck bittet, seine Amerika-Reise zu organiseren und ihm in New York einen "würdi- gen Empfang" zu bereiten. Es ist die Tragik all der Finanziers aus der MHG und darüber hinaus, dass durch die Veröffentlichung dieses Briefes Hirschfelds Beziehungen zu prominenten Rechtsextremisten in den USA, die er schon durch die 10er und 20er Jahre hindurch von Berlin aus und in Berlin pflegte, breiter bekannt wurden, und Hirschfelds "Sexualwissenschaft" und Politik nunmehr in einer Weise eingeordnet wer- den müssen, die den Betrebungen der MHG nach einer Idolisierung gänzlich zuwider laufen. Es darf bezweifelt werden, dass sich die MHG der Tragweite ihrer Entschei- dung, den Brief ins Internet zu stellen, bewusst war. Allein der Name des deutsch- amerikanischen rechtsextremen Schriftstellers und Politikers George Sylvester Viereck, dessen jahrzehntelange enge Freundschaft zu Hirschfeld bisher keine Rolle in der Hirschfeld-Forschung spielte, zerstört mehr als zwanzig Jahre Polierarbeit der Hirsch- feld-Apologeten an ihrem Idol. Dass Hirschfeld seine USA-Reise gänzlich von Vierecks Unterstützung abhängig machte, zeigt die Enge der Beziehung zwischen beiden, die offenbar noch enger war als die zu seinem sexual-ärztlichen Kollegen Harry Benjamin, der doch als Mitglied im "Internationalen Ausschuss" der Hirschfeld-Gründung "Weltliga für Sexualreform" als Vertreter "Nordamerikas" aufgeführt war und den Hirschfeld ebenfalls um Unterstüt- zung bei seiner Ankunft in New York bat. Hirschfeld forderte Viereck in dem MHG- Brief auf, er möge sich wegen des "würdigen Empfangs" mit Benjamin in Verbindung setzen. Ein Brief Hirschfelds an Benjamin vom 14. Oktober 1930, dessen Fotokopie im HHA zu sehen ist (vorläufige Archiv-Nr.: 0561-2), zeigt, dass Hirschfeld Benjamin siezte, während er den mit Benjamin gleichaltrigen Viereck in dem Brief vom 22. Okto- ber 1930, den die MHG zeigt (und auch in anderen Briefen, die das HHA in Fotokopie hat), duzte. Das änderte sich auch nicht nach der gemeinsamen Zeit in New York, denn in einem Brief an Benjamin aus San Francisco vom 25. Februar 1931, dessen Fotokopie ebenfalls im HHA ist (vorl. Arch.-Nr. 0561.7), siezte er Benjamin immer noch (wenn denn all diese Fotokopien mit den verschiedenen Unterschriften echt sind). Die Bedeutung dieser Beziehung Hirschfeld-Viereck war bisher nirgends Gegenstand der Forschung, obwohl Viereck auf seinen zahlreichen Europareisen in den 10er und 20er Jahren auch immer wieder Hirschfeld besuchte und dieser sich von Viereck noch Ende 1933 die Aufnahme als Exilant in den USA erhoffte (siehe unten). In der unsäglich schlechten, lückenhaften und oftmals gänzlich falschen, aber dennoch sehr bekannten Hirschfeld-Biographie von Manfred Herzer ("Magnus Hirschfeld. Leben und Werk eines jüdi- schen, schwulen und sozialistischen Sexologen", 2. überarbeitete Auflage, Hamburg 2001) kommt der so lange so wichtige Hirschfeld-Freund George Sylvester Viereck gar nicht vor. Außer dem BIFFF..., das schon 2008 auf die Bedeutung dieser Beziehung für die Ein- schätzung von Hirschfelds Sexualpolitik hinwies, scheint dies niemanden der (apologe- tischen) "Hirschfeld-Forscher/innen" weiter zu interessieren, zumal im letzten Jahr- zehnt die Forschung um diesen so hochgelobten "Sexuologen" ohnehin weitgehend zum Erliegen gekommen zu sein scheint. Auch die Potsdamer Konferenz von 2003 brachte keine wirklich neuen Erkenntnisse, sondern diente nur der Denkmalpflege. Nachdem wir 2003 mit der Veröffentlichung einer Arbeit über Hirschfelds engsten Mitarbeiter Arthur Kronfeld und damit mit der Aufklärung des politisch-weltanschau- lichen Hintergrundes der IfSw-Gründer begonnen hatten, gab es als neue Erkenntnis lediglich die Veröffentlichung dieses Hirschfeld-Viereck-Briefes durch die MHG, der einzig von uns in seiner Bedeutung bewertet wurde. Die MHG bringt auf ihrer Webseite zwar zu dem Brief aktuelle Fotos des Hauses, in dem Viereck damals in New York City gewohnt haben soll, gibt aber nur wenige Hinweise zur Person Vierecks, obwohl Hirschfeld in dem Brief ankündigt, bei seinen Vorträgen für Vierecks Bücher zu werben. Auch die Archivstücke des HHA zu Viereck und Hirschfeld wurden bisher nicht aufgear- beitet, erst recht nicht ihre politische Bedeutung. Und wieder sind es wir vom BIFFF..., die hier zum allerersten Mal über diese Archivalien arbeiten. Zusammen mit den von uns aus den USA beigebrachten Artikeln Hirschfelds aus 1930/31, deren Abdruck Vier- eck organisiert hatte und die wir nach und nach ausschnittsweise kommentiert hier zeigen werden, eröffnet sich ein Blick auf Hirschfeld, der die politische Motivation der Apologeten dafür erahnen lässt, dass sie sich diesen eigentlich immer schon greifbaren Zeitungsdokumenten bisher nicht zugewendet haben. Zitate aus dem
Hirschfeld-Viereck-Brief der MHG:
Hirschfeld kriegt sich gar nicht mehr ein vor Lobhudeleien für seinen Freund Viereck -- er will ja auch was von ihm, nämlich über einen "würdigen Empfang" hinaus die Organisation der gesamten Reise und ihres publizistischen Echos, einer Reise, die Hirschfeld von Anfang an zum Zwecke der Propagierung seiner Ideen und seiner eugenischen Sexualpolitik gedacht hatte ... ... auch wenn er Viereck ebenso sein touristisches Interesse ans Herz legt, aus einem Hochhaus über die Stadt zu schauen: Politisch wichtiger als die Aussicht über das Häusermeer New Yorks ist Hirschfelds Versicherung,, er werde Vierecks Bücher auch in Europa propagieren (oben). Die Frage der Echtheit stellt sich selbstverständlich auch bei diesem Brief, zumal hier eine gänzlich andere Version der Unterschrift Hirschfelds erscheint als in dem obigen HHA-Brief an Viereck vom Oktober 1933: (BIFFF...-Screenshots von der MHG-Webseite "hirschfeld.in-berlin.de"; verkleinert, elektronisch bearbeitet, um die Ausschnitte lesbarer zu machen, und gelbe Markierungen durch BIFFF...) Viereck erfüllte Hirschfelds Wünsche aus diesem Brief, so gut er konnte. Das zeigen Archivstücke aus dem HHA der Humbboldt-Universität zu Berlin, die z.T. seit Jahren auf der HHA-Webseite im Internet kommentarlos zu sehen sind und bisher auch nicht in ihrer Bedeutung erkannt wurden bzw. die z.T. erstmals von BIFFF...-Leiter Diplom- Psychologe Peter Kratz im HHA-Papierarchiv im Februar 2011 eingesehen wurden. Das zeigen auch die Zeitungs- und Zeitschriften-Artikel, die wir in den USA über Hirsch- felds Reise fanden und die über das weit hinausgehen, was im HHA zu sehen ist. Ins- besondere auch diese Artikel, deren Echtheit nicht in Zweifel steht, zeigen die Enge und Kontinuität der Beziehung zwischen Hirschfeld und Viereck. In einem handschriftlichen Brief vom 25. Februar 1931 aus San Francisco an Benjamin (der auch auf der HHA-HU-Internetseite zu sehen ist) und auch in dem oben genann- ten Brief vom 14. Oktober 1930 (Ausschnitt-Abbildung unten) schrieb Hirschfeld den Namen "Viereck" nicht aus, sondern malte ein Viereck. Der kleine Scherz, der wieder- holt in Fotokopien solcher Briefe, die das HHA hat, zu sehen ist, verweist auf die Enge der Beziehungen zwischen den drei Männern: Screenshot-Ausschnitt aus einer Fotokopie eines zweiseitigen angeblichen Briefes Hirschfelds aus Berlin an Benjamin vom 14. 10. 1930, im HHA der UB der HU Berlin, Jakob-und-Wilhelm-Grimm- Zentrum, vorläufige Archiv-Nummer des Fotokopie-Blattes: 0561.2-2 Handschriftlich fügte Hirschfeld den "besten Grüßen" hinzu: "auch an [] etc.", wobei das Viereck (gelber BIFFF...-Pfeil) für seinen Freund George Sylvester Viereck steht. Wie sehr Vierecks Gedanken und Schriften Hirschfeld beeinflussten, zeigen auch Hirschfelds Ausführungen zum Judentum im "Weltreise"-Buch, die J. Edgar Bauer auf der Potsdam-Konferenz 2003 zum Anlass nahm, über Hirschfeld als jüdischem Denker zu schwadronieren. Bauer kapiert den Zusammen zu Viereck nicht, den und dessen Schriften er auch gar nicht erwähnt und wohl auch nicht kennt. Auch den Lebenszu- sammenhang Hirschfelds in den Jahren 1930 bis 1934 blendet Bauer bei seiner Exegese von Hirschfeld-Schriften, insbesondere des "Weltreise"-Buches, als angeblich jüdisch inspiriert aus: 1930 beendete Hirschfeld seine "Geschlechtskunde" mit den Bekenntnis- sen zur Forels und Boeters' Vernichtungspolitik gegen die zu Unerwünschten Definier- ten, warf sich sogleich Viereck und seinen rechtsextremistischen und eugenischen US- Freunden an den Hals, fand sich in den eugenischen "Experimenten" in einigen US-Bun- desstaaten weitgehend bestätigt, widmete sein "Weltreise"-Buch der Eugenik (siehe oben), wollte sich auch nach Vierecks totalem Anschluss an den Nationalsozialismus von diesem nicht trennen (siehe unten), forderte zum "Abwarten" gegenüber den "Hit- lerschen Experimenten" auf und bekannte sich 1934/35 in seiner Artikelserie "Phantom Rasse" - ausgerechnet unter Bezug auf Benito Mussolini, den Viereck so sehr verehrte - weiterhin zur Höherzüchtung, forderte dabei, "objektiv die Hypothesen des Rassismus zu überprüfen" und sah selbst sein IfSw und die dortige eugenische Ehe- und Sexual- beratung ohne Scham, ja sogar mit Stolz als Vorläufer der Nazi-Eugenik, die von den Nazis jetzt lediglich aus "Übereifer, Fanatismus und Vorurteilen" übertrieben werde. (Vgl. unseren Text "Magnus Hirschfeld - das falsche Idol für sexuelle Emanzipation" aus dem Jahr 2000.) Bauer interpretiert Zitatfetzen aus dem "Weltreise"-Buch (unsere Zitate nach dem Bauer-Text, wie er auf der HHA-Webseite wiederveröffentlicht wird) als Beweis dafür, dass Hirschfelds Frommen und Streben jüdisch bestimmt sei und einem "messianischen" Welterlösungsplan folge: "Im Judentum sieht Hirschfeld ein '>unstet und flüchtig< umherwandernde[s] Volk [...], das nirgends eine eigentliche Heimstätte finden kann und doch überall eine große menschliche Mission erfüllt'". Hirschfeld bezeichne sich selbst als "'Weltenwanderer durch Zeiten und Zonen'", und Bauer unterschiebt gar seinem Idol seine eigene Interpretation: "... gibt Hirschfeld seine eigene Ansicht zu erkennen, wenn er fragt, 'ob nicht die ahasverische Unruhe der Juden auch noch ein Erbstück aus ihrer nomadischen Urzeit ist'. Hirschfelds Fragestellung scheint zuletzt darauf abzuzielen, das christliche Verdammungsurteil vom jüdischen Ahasver aufzuhe- ben und den Weg des ewig Wandernden in der ureigenen Geschichte von nomadischer Freiheit und mosaischer Befreiung zu rekontextualisieren" (Hrvhbg. Bauer), was Hirsch- feld zu einer "eigenständige[n] Auffassung des Judentums" (das er in Wahrheit mit seinem Anschluss an den germanentümelnden, pantheistischen und biologistischen "Monistenbund" des Sozialdarwinisten Ernst Haeckels längst verraten hatte) und zu großen und wichtigen Menschheitsgedanken von "welthistorischer Mission" (Bauer) führe, nämlich nichts weniger als der "Erlösung der Menschheit" (Hirschfeld nach Bauer). Vierecks "Wandering Jew"-Trilogie als Quelle von Hirschfelds "Judentum" Der Hintergrund ist viel einfacher als Bauers verschwurbelter Versuch, Hirschfeld doch noch zum verkappten lebenslangen Juden zu machen (den Bauer schon früher mehr- fach anstellte), und zeigt sich sogar in Hirschfelds Bittbrief an Viereck vom 22. Okto- ber 1930, in dem er überschwänglich Vierecks "Salomé"-Buch begrüßt und dort ankün- digt (obwohl er es noch nicht gelesen hat!), es auf seiner bevorstehenden Vortrags- reise nach Jusoslawien zu empfehlen. Das Buch ist der zweite Teil der "Ewiger Jude"- Trilogie, die Viereck 1928 ("My First Two Thousend Years. The Autobiography of the Wandering Jew"), 1930 ("Salomé the Wandering Jewess. My Two Thousend Years of Love") und 1932 ("The Invincible Adam") mit seinem Koautor Paul Eldridge, der jüdi- scher Herkunft war, schrieb. Nachdem sich Viereck offen dem Nationalsozialismus angeschlossen hatte - siehe unten -, distanzierte sich Eldridge von der Koautoren- schaft und von Viereck; Neuauflagen der Bücher erschienen in den 30er Jahren mit der Angabe Vierecks als alleinigem Autor. Das seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland fast nur noch antisemitisch gemeinte Stereotyp des "Ewigen Juden" (englisch: "The Wandering Jew"), das seine hohe Zeit in der Romantik hatte (zu deren späten dekadent-ästhetizistischen Nach- wirkungen das poetische Werk Vierecks gezählt wird), beinhaltet die über die Jahrhun- derte vielfach und verschieden ausgeformte spätmittelalterliche Erfindung des ewig wandernden Juden namens Ahasver, der als Methapher für "das jüdische Volk" herhal- ten muss, das sich, aus der Heimat vertrieben ewig in der Fremde umherschweifend, mit allen anderen Völkern biologisch vermische und so seine eigene Existenz als Volk auslösche. Der seit dem 19. Jahrhundert sexuell, eugenisch und rassistisch konnotierte Ahasver-Mythos fand seinen wahnsinnigen Endpunkt in den Eheverboten der national- sozialistischen Nürnberger Rassegesetze und schließlich in der Ermordung der europä- ischen Juden, um deren "Vermischung" mit den "Wirtsvölkern" zu beenden, wie es in der Nazi-Ideologie heißt: von den Mördern als eugenische Maßnahme verstanden -- Auschwitz als Sexualpolitik. Während Bauer, der Vierecks Einfluss auf Hirschfeld ignoriert, einen neuen Mythos um Hirschfelds angebliches Judentum zu bauen versucht - und sich da herum einen jahre- langen, aber letztlich mangels Faktenwissen zu nichts führenden Streit mit Manfred Herzer liefert -, hatte Hirschfeld bloß getan, was alle seine Bücher auszeichnet: irgendwo was abgeschrieben, was ihm passend und brauchbar erschien, und sich den "Ewiger Jude"-Mythos von Viereck ausgeliehen, den er 1932/33 immer noch als seinen besten und engsten Freund betrachtete und von dem er sich eine Aufnahme in den USA erhoffte. Bauer, der von Vierecks Trilogie nichts weiß, zieht einen Gedankenstrang vom Ahas- ver-Mythos zu dem von Hirschfeld verwendeten Ausdruck der "Menschheitsassimila- tion", bei der das Judentum metaphysisch in Befreiungsbewegungen der Menschheits- geschichte aufgehen soll - so jedenfalls stellt es Bauer dar. Dabei sieht er nicht den biologistisch-sexuellen Hintergrund: das Sich-Ergießen Ahasvers in die anderen Völker, der beim Eugeniker und "Sexuologen" Hirschfeld nichts Metaphysisches hatte. Der anti- semitische Fluch gegen Ahasver soll ins Positive gewendet werden, doch das Konzept einer "ahasverisch" begründeten "Menschheitsassimilation", die Hirschfeld als "Lösungs- mittel der Judenfrage" (Hirschfeld-Zitat nach Bauer) ansieht, ist schon in der Weise fragwürdig, als es Hirschfeld - und Bauer! - bei seinem "Lösungsmittel" unerörtert lässt, wer denn eigentlich warum eine "Judenfrage" stelle, was dies überhaupt bedeute und warum sie irgendeiner "Lösung" bedürfe. Die konkrete "Lösung" zeigt dann Hirsch- felds Verhaftetsein im Denken Nietzsches, Haeckels, Forels, Boeters', Vierecks: die "Ausjätung" der "Minderwertigen", Eugenik als Ergebnis und Ziel seiner sexuellen Stu- dien auf der Weltreise. Kern der "Menschheitsasssimilation" soll bei Hirschfeld - nach Bauer - das "nur Mensch sein" sein, die Einsicht in die "über allem stehende Mensch- heitszugehörigkeit" der "Völker", auch der Juden, bei gleichzeitiger Betonung ethno- pluralistischer Momente: der "jüdischen Partikularität", auf die man nicht zu verzichten brauche, und der "identitätsstiftenden Funktion jüdischer Kulturleistungen", wie dann auch der der anderen "Völker". Bauer fasst es in den von ihm Hirschfeld unterschobe- nen Gedanken, "dass man sich auf das Allgemeinmenschliche als Fundament der jüdi- schen Kulturspezifität besinnen soll" -- eine Plattitüde, die jedoch als Botschaft des Biologisten zu Mengele-Denken wird: weil die sich nicht an die Regeln des Ethnoplura- lismus, nicht an die Partikularität haltenden ahasverischen europäischen Juden, die deshalb zur Ermordung anstanden, eben auch "nur Menschen" waren, konnte der KZ-Arzt Josef Mengele an ihnen seine Menschenexperimente durchführen, deren Ergebnisse dann jedoch den sich partikular verhaltenden reinrassigen "Ariern" zugute kommen sollten. Hirschfeld sieht Moses - so stellt es Bauer dar, ohne die Gegensätzlichkeit zum Juden- tum zu begreifen - weniger als den Vermittler des Gebotes: Du sollst nicht töten!, sondern vor allem (vermittelt über "Ruhe- und Speisegesetze") als "bedeutende[n] Hygieniker" (Hirschfeld laut Bauer), also - übertragen - als Vermittler eines eugeni- schen Gebotes: Du sollst nicht den Falschen töten! Die euphemistische Deutung des Wortes "Rassenhygiene" oder "Rassehygiene", das in Deutschland anfänglich statt "Eugenik" benutzt wurde und von Hirschfeld gerne und bis zum Schluss ("Aufzüchtung der Rasse") synonym benutzt wurde, weist den Weg zum Verständnis. In Hirschfelds "geschichtsimmanentem Messianismus" (Bauer), der als "messianisch inspirierter Ent- wurf sexueller Befreiung" (Bauer) daherkomme, findet die "Erlösung" und "Versöhnung" (Bauer; man beachte die besondere Konnotation des Wortes Versöhnung zur jüdisch- christlichen Mythologie!) in Wahrheit auf dem Seziertisch des Eugenikers statt, was Bauer nicht sehen will. Nach Bauers Darstellung soll dagegen "die Verwirklichung der Freiheit sexueller Minderheiten" der Kern von "Hirschfelds säkulare[m] Messianismus" sein (Zitate Bauer Anm. 103), obwohl davon im "Weltreise"-Buch mit seinem Eugenik- Vorwort, das Bauer ebenfalls ignoriert, keine Rede ist, und obwohl Hirschfeld, der z.B. die Prostitution und die biologische Fortpflanzung von Menschen, die in ihrem Sexual- leben (auch) homosexuelle Handlungen ausführen, mit eugenischen Argumenten be- kämpfte, ein erklärter Gegner sexueller Freizügigkeit war. Doch Bauer unterschiebt seinem Idol als politisches Ziel die "Sexualbefreiung" (ebd.), während doch Hirschfelds "Weltliga" keineswegs "für Sexualbefreiung" hieß sondern "für Sexualreform". So erzeu- gen Phantasie, Wunschdenken und Ignoranz einen mythischen Hirschfeld, den es historisch nicht gegeben hat -- eine Hirschfeld-Religion eben. Hirschfelds vermeintlicher "ahasverischer" Universalismus, den Bauer exegiert, bezog sich bekanntlich auf die "Aufzüchtung der Rasse" (als Menschheit gemeint), die er noch 1934 in seinem "Abwarten!"-Appell zu den "Hitlerschen Experimenten" als Ziel ausgab, einer Menschheit, die ihm biologisch als unzureichend erschien -- keine "Emanzipation", sondern nichts weiter als "Viehzücher-Allüren", wie es antinazistische Kritiker damals schon lange gegen die Theoretiker des Nationalsozialismus (hier: gegen Houston Stewart Chamberlain) formuliert hatten, und ganz bestimmt kein alttestamen- tarisches Schöpfungsbewusstsein oder gar Ehrfurcht vor dem Verbot des Juden- Christen-Gottes an die Menschen, nun auch noch Früchte vom Baum des Lebens zu essen. In Hirschfelds Fokus war nicht das Individuum als das vom Judengott geschaf- fene und geliebte Ebenbild Seiner Selbst, und schon gar nicht dessen Lebensrecht als einzig von Gott verliehenes und zu verleihendes höchstes Gut, sondern der Schöp- fungsakt, den er und seine Mit-Brillianten nun für sich beanspruchten: Selektion als "Erlösung" von den unterstellten Unzulänglichkeiten der Schöpfung des in Wahrheit ob seiner nunmehr scheinbar mit wissenschaftlich-biologischer Diagnostik begründbaren Unfähigkeit verlachten, wenn nicht gar verachteten statt gefürchteten Gottes -- von Judentum keine Spur, statt dessen "selbst Schöpfer sein" im Sinne Sigrid Hunkes und der "Konservativen Revolution" / "Neuen Rechten": die faschistische Faust-Interpreta- tion, nicht das Judentum, war Hirschfelds Grundlage, wie es ihn Nietzsche und Haeckel gelehrt hatten. Auf dieser Grundlage wäre "Versöhnung" nur möglich, wenn "Gott" Hunkes Diktum akzeptierte: "Wir handeln an Gottes Statt." Bauer muss zugeben, dass "es für Hirschfeld Wertunterschiede nur 'zwischen einzelnen Menschen' gibt" (man beachte den Euphemismus dieses Wörtchens "nur"!), begreift aber nicht den grund- sätzlichen Dissenz dessen zu den biblischen Schöpfungsreligionen. In seiner Verach- tung des Lebensrechts des Individuums zugunsten der "Rasse" hatte Hirschfeld nicht nur das Judentum seiner Väter verraten, sondern auch seinen Eid als Arzt. Bauer ist weder in der Lage, die Universalität der sexuellen Begierde des mythischen "Ewigen Juden" Ahasver, der sich biologisch in alle Völker verbreite und damit sein eigenes wie die anderen auslösche (so der demographisch-sexualpolitische Kern des Mythos), als antisemitisches Konstrukt zu erkennen und zu entlarven noch Hirschfelds Bestreben nach einer universellen Sexualwissenschaft, das Bauer als Ausfluss von Hirschfelds "ahasverischem" Verständnis des Judentums sieht, als bloß biologistisches Herangehen des Arztes Hirschfeld an seinen Gegenstand zu kritisieren. Statt dessen missversteht Bauer Hirschfelds abstruse, auf freier Phantasie beruhende und in eine ach so wissenschaftlich anmutende mathematische Formel gepresste "Lehre von den sexuellen Zwischenstufen" gendertheoretisch (wohl, um seinem Idol so einen moder- nen Anstrich zu geben), obwohl Hirschfeld immer nur nach biologischen "Zwischenstu- fen" der Geschlechter suchte. Nichts lag Hirschfeld, der vom "Vollmann" und vom "Vollweib" als den idealen Typen phantasierte und für diese in seinen Büchern sogar Bilder als Identifikationsidole reproduzierte, ferner als eine gendertheoretische Auflö- sung seines Biologismus (oder eine lern- oder gar handlungstheoretische), gar noch mit einem Universalitätsanspruch für die Bürgerrechte des jeweiligen Induviduums, was schon die Vorsilbe "Zwischen" für die in ihrem "vollen" Dasein demnach Geminderten zeigt, die an den Idealbildern festhält. Die marxistisch-kritische Auflösung des schein- baren Widerspruchs zwischen Individuum und Menschheit hatte Hirschfeld ohnehin nicht auf dem Schirm. Wie aber Biologismus (d.h. die Fesseln der Biologie ins Gesell- schaftliche übertragen) emanzipatorisch (d.h. befreiend) sein kann, hat noch niemand gezeigt, auch nicht Bauer. Hirschfelds
Idealtypen des "Vollmannes" und des "Vollweibes":
Alte Germanen: ja!, aber "Universalismus"? (aus seiner "Geschlechtskunde", Band IV, erschienen 1930) Hirschfelds Orientierung auf die Universalität von "Sexualität" bei seiner gleichzeitgen Verneinung der Universalität des Lebensrechts für alle Menschen (das die von ihm als in welcher Form auch immer abnorm Befinierten eben nicht haben sollten, siehe oben, vom Recht auf Fortpflanzung als Teil ihres Lebensrechts ganz zu schweigen) endet in Wahrheit nur in dem Schrecken, der Gegenstand der "Dialektik der Aufklärung" ist: die Universalität der bloß technischen Vernunft wendet sich gegen das Emanzipationsver- sprechen der Aufklärung und des Sozialismus. Denn der Inhalt der von Hirschfeld in seinem "Weltreise"-Buch, auf das sich Bauer stützt, beschworenen "sexuellen Men- schenrechte", die Bauer so sehr als Ausdruck des "geschichtsimmanten Messianismus" hervorhebt und die Hirschfeld von Benjamin für seine "Weltliga für Sexualreform" hatte ausformulieren lassen, um sie als Charta des Selbstverständnisses auf der nicht mehr stattgefundenen Weltkonferenz der Liga in Chicago 1933 zu beschließen, war nicht mehr und nicht weniger als der eugenische (nicht: völkische) Rassismus, wie man bis heute in der unkritischen Auflistung dieser "Rechte" durch Erwin J. Haeberle auf der HU-HHA-Webseite leicht ersehen kann. Das gilt für alle zehn "sexuellen Menschen- rechte" der "Weltliga", die nur im Lichte der Punkte 4. ("Verbesserung der Rasse durch Geburtenauswahl" und "Sterilisierung" der zu Unerwünschten Definierten) und 9. ("Stö- rungen und Abnormalitäten des Sexualtriebes" seien "als mehr oder weniger patholo- gisch zu begreifen" und entsprechend zu behandeln; von Benjamin z. B. durch hormo- nelle Anti-Homosexuellen-Therapien) angemessen zu verstehen sind. Dabei verweist Bauer doch sogar darauf, dass sich Hirschfeld im "Weltreise"- Buch zur Begründung seines universalistischen Anspruchs ausdrücklich auf Forel beruft! Aber auch von dessen Listen der zu Vernichtenden, die Hirschfeld übernommen hat, scheint Bauer nichts zu wissen. Die interessante Frage ist, weshalb Hirschfeld 1932/33 plötzlich öffentlich, in seinem so wichtig angelegten "Weltreise"-Buch, zu dem in Deutschland antisemitisch und rassistisch konnotierten Ahasver-Mythos greift, um sich methaphorisch auszudrücken, obwohl ihm doch gerade jetzt deutlich ist, dass er wegen des Antisemitismus nicht in seine Heimat zurückkehren kann. Bauer stellt diese Frage erstaunlicherweise nicht, obwohl er gegen Herzer vehement auf die Verfolgungssituation hinweist, der sich deutsche Juden und Jüdinnen sowohl im Kaiserreich (trotz der preußischen Juden- emanzipation und der jüdischen Finanziers der - für die aggressive Expansionspolitik des deutschen Kapitals letztlich unnützen - politisch-militärischen Hobbys Wilhelms II.) als auch in der Weimarer Republik (mit den Morden an prominten jüdischen Politiker- /innen) ausgesetzt sahen, und damit zu erklären versucht, weshalb Hirschfeld eine Verbindung seiner erwachsenen Person zum Judentum zeitlebens zurückwies. Bauer gibt auch keine Nachweise dafür an, dass der sesshafte Hirschfeld, der fast sein ganzes Arbeitsleben in Berlin zugebracht hat, sich bereits früher in der Tradition des wandernden "Ewigen Juden" gesehen hätte. Die Antwort gibt Hirschfelds jahrzehntelange Beziehung zu Viereck, die beide Autoren wechselseitig befruchtete und von der Herzer und Bauer, die sich mit ihren Hirschfeld- Interpretationen so überaus wichtig machen (zuletzt im September 2011 in der Zeit- schrift "Das Argument", in der nun wieder Herzer gegen Bauer anschreibt) -- nichts wissen! Im Grunde muss man jedoch Viereck - vielleicht sogar viel mehr als Kronfeld, Hiller oder Hodann - als einen der wichtigsten "Mitarbeiter" Hirschfelds betrachten, und zwar bereits seit der Wende des 19. auf das 20. Jahrhundert. Alles, was Bauer aus dem "Weltreise"-Buch von 1932 herausgefiltert als Hirschfelds angeblich genuine Auffassung vom Judentum ausgibt, steht bereits in Vierecks "Wandering Jew / Wande- ring Jewess"-Trilogie, an der Viereck bereits vor dem Ersten Weltkrieg zu arbeiten begonnen hatte, die aber erst 1928, 1930 und 1932 erschien. Hirschfeld hat es - beim dritten Teil der Trilogie, in dem Hirschfeld selbst vorkommt, sogar druckfrisch - hieraus in sein "Weltreise"-Buch übernommen. Bauer und Herzer, die seit Jahrzehnten Hirsch- felds Schriften, Briefe und Notizzettel exegieren, lesen das hier auf der BIFFF...-Web- seite nun zum ersten Mal. Bitte schön: Schon 1929 hatte Hirschfeld in einem Brief an Viereck, dessen Fotokopie im HHA der HU zu sehen ist (so dieser Brief denn echt ist, siehe oben), über den 1928 erschienen ersten Band geschrieben, "wie ausgezeichnet mir Dein Buch vom Ewigen Juden gefallen hat. Es ist ein grandioses Werk, und ich habe es bereits mehrfach empfohlen und überall dasselbe günstige Urteil gehört, wie ich es selbst habe." (Brief Hirschfelds vom 11. März 1929 an Viereck, vorläufige HHA-Signatur 128.7). In Vierecks immer fader werdenden, dramatisch angelegten, vielfach verwickelten und verknoteten Erzählung durchläuft ein Protagonist ("The Wandering Jew") mit wech- selnden Namen und Rollen rsp. die Protagonistin Salomé als tanzende und koitierende "Wandering Jewess" die letzten zweitausend Jahre der Menschheitsgeschichte als ein episodisches Welttheater, hat hierbei zahllose (auch bisexuelle) sexuelle Abenteuer, trifft auf zahlreiche Prominente wie Karl den Großen, Martin Luther, Friedrich II. von Preußsen, Maimonides und dessen Homunculus, den Gott Pan, Nietzsche oder Spinoza rsp. Jeanne d'Arc, Katharina die Große, Queen Victoria, die hinduistische Fruchtbar- keits- und Glücksgöttin Lakshmi usw. und entwickelt im Dialog mit ihnen, als Zuhörer von Gesprächen dieser teilweise mythischen Geschichtsgrößen untereinander, als deren Inkarnation oder in Interpretation der eigenen sexuellen Abenteuer (die er/sie teilweise mit ihnen hat) eine Weltsicht (diejenige Vierecks!), die letztlich konservativ- revolutionär ist. Sie ist von der Faszination am Antizivilisatorischen, am vermeintlich Natürlichen, am technisch-wissenschaftlichen Vermögen und am Selbstschöpferischen geprägt, die das Schaffen von Viereck, der sich als ein "conservative anarchist" mit Vorliebe für "order" bezeichnete (für die "Neue Ordnung" - "New Order", wie er selbst wörtlich schrieb - der Konservativen Revolution und des Faschismus), seit je beherr- schte. Der Protagonist, der auch deutliche Züge von Goethes "Faust II" aufweist (Fausts Zeitreise durch die Epochen, sein Famulus Wagner als Schöpfer des Homunculus), trägt am Ende die wilde Natürlichkeit als "Sohn des Dschungels" in die Stadt New York, aber nicht im Sinne der "Negermusik" des Jazz und Swing der Nachtclubs und Tanzsäle der 20er und 30er Jahre, die Viereck von seinen Figuren ausdrücklich kritisieren lässt ("The Invincible Adam", S. 403), sondern im Sinne des konservativ gezügelten, revolu- tionär wagenden Barbarismus seines offen antidemokratischen und gegen die Universa- lität der Menschenrechte gerichteten, schon präfaschistischen autobiographischen Frühwerks "Confessions of a Barbarian" von 1910, einer Sammlung vorher bereits ver- öffentlichter journalistischer Essays, in denen Viereck den angeblich geistig orientie- rungslosen US-Amerikaner/innen das wilhelminische Kaiserreich als Vorbild anzudienen versuchte (siehe unten). Inhaltlich waren die großen ideologischen Linien der "Wandering Jew"-Trilogie schon in "Confessions of a Barbarian" vorgezeichnet, in dem auch die Eugeniker Hirschfeld und Havelock Ellis von der späteren "Weltliga für Sexualreform" bereits als Mediziner patho- logischer Sexualität und Hirschfeld auch im Bezug auf seinen Kampf gegen den Alkohol- konsum erwähnt wurden. In "Confessions" erkennt man auch, dass und wo Viereck den Inhalt seiner Trilogie zusammenklaubte, um daraus eine faschistische, biologistische Vision zu machen: er schrieb in "Confessions", dass die vier Schauspiele "Peter Pan" von James M. Barrie ("embodies the imperishable longing for eternal youth", Viereck, S. 123), Wedekinds "Frühlings Erwachen", Wildes "Salomé" und Shaws "Cäsar und Cleo- patra" die vier "repräsentativen Schauspiele des Jahrhunderts" ("Confessions", S. 123) seien, das freilich gerade erst begonnen hatte. George Berhard Shaw, den Viereck bewunderte, war ein Hauptagitator der eugenischen Bewegung, sein "Cäsar" eine Verkörperung von Nietzsches "Übermenschen", der sich seiner Rolle in der Evolution bewusst ist. "Salomé" verkörpert bei Oscar Wilde morbide Schönheit und fehlgeleitetes Verlangen, den Primat des Biologischen vor der reflektierten zwischenmenschlichen Liebe; das Stück ist von Zivilisationspessimismus getragen, den Viereck direkt in sei- nen "Salomé"-Band überträgt. Frank Wedekinds "Frühlings Erwachen" kritisiert vor dem Hintergrund der Pubertätsprobleme und der sich im Ausprobieren entwickelnden Per- sönlichkeit die wilhelminisch-viktorianische Prüderie (ein Hauptthema Vierecks, das er allerdings nur gegen die Vorherrschaft Großbritanniens einsetzte) bis hin zu einem auch vor Gewalt nicht zurück schreckenden "Alles ist erlaubt". (Mit Wedekind war Hirschfeld laut Herzers Hirschfeld-Biographie seit seiner Münchner Studentenzeit 1889/90, wo er auch die Familie Viereck und deren damals fünfjährigen Sohn George Sylvester kennen- lernte, befreundet.) Der ewig junge "Pan" Barries, der dennoch die Erfahrungslast der ganzen Menschheit auf den Schultern trägt, weiß biologistisch, nämlich aus Rasse und Geburt ("by instinct", Viereck), wo es lang geht. In den vier Stücken findet Viereck das, was er in seiner Trilogie zur politisch-philosophischen Botschaft zu verbinden ver- sucht: die Unbekümmertheit der Jugend und der freche Tabubruch, das Übermen- schentum der weißen Europäer, der Weg zur konservativ-revolutionären Erlösung in einer "New Order" ("Confessions", S. 185) über Sexualität. Ein Großteil des poetischen Werkes Vierecks kreist um diese Themen. Wegen des vordergründig auffallenden sexuellen Inhalts erregte der erste Trilogie-Band "My First Two Thousend Years. The Autobiography of the Wandering Jew" 1928 eini- ges Aufsehen, auch in der jungen US-amerikanischen Szene der Psychoanalytiker. Als "erotische Interpretation der Geschichte" wurde es vorgestellt, die Zeitung "New York Evening Post" erkannte in einer Rezension sogleich die messianische (möchte man nun nach Bauer sagen!) Anlage des Werks: "the restless reach of a man towards a forever elusive finality". Die "New York Times", bei der man nie viel von Viereck gehalten hatte (1907 gab es einen Verriss seiner Gedichte und Theaterstücke als sprachlich ziellose Effekthascherei, langweilig, bloße Selbstrechtfertigungen enthaltend und den großen Oscar Wilde - Star der Dekadenzliteratur - und sein "Salomé"-Stück nur nachäffend, die von Viereck entworfenen Bilder brauchbar allenfalls "zur Ausschmückung eines Bordells"), sah es dagegen negativ: "Witz ohne Frische, Ironie ohne Tiefe". Thomas Mann, bis zu seinem Bekenntnis zur Weimarer Republik 1923 selbst ein Vordenker und daher Kenner der "Konservativen Revolution" (siehe seine "Betrachtungen eines Unpoli- tischen" von 1919, von denen er sich bald abwandte) fand das Buch "kühn und groß- artig" - wie die Visionen der "Konservativen Revolution" eben, deren Verwirklichung Mann schon ahnte bzw. inzwischen befürchtete, während Hirschfeld an ihnen teil- haben wollte! Der zweite Band "Salomé - The Wandering Jewess. My Two Thousend Years of Love", in dem alles noch einmal zur weiblichen Identifikation aufgewärmt wurde, hatte 1930 mit dem ökonomischen Schock der Weltwirtschaftskrise zu käm- pfen, die nach handfesten Lösungen statt erotischen Phantastereien verlangte. Hirschfeld und sein "Weltliga"-Mitstreiter Havelock Ellis, der die Eugenik-Bewegung in Großbritannien anführte, rezensierten es noch (Ellis hatte auch schon den ersten Band bekannt gemacht). Der dritte Band "The Invincible Adam" von 1932, in dem Hirschfeld am Ende als Figur vorkommt ("unser gelehrter Meister ... in seinem Institut in Berlin"), ist eine Ergänzung, meist aber nur Zusammenfassung und aktuelle Schlussfolgerung aus den beiden vorhergehenden Bänden, in dem der Protagonist "aus dem Dschungel" im aktuellen New York ankommt, nachdem er die französische und die russisch-sowje- tische Revolution durch- (und über-) lebt und als unzureichend erlebt hat. Es bleibt offen, ob nunmehr hier in New York die - deutschen Vordenkern folgende, siehe "Confessions" - zielführende, erlösende, konservative Revolution zur Neuen Welt der Übermenschheit stattfinden wird oder ob wegen Missachtung der Viereckschen Bot- schaften der große Untergang sich ereignen wird. Viereck sieht den Wendepunkt nun als gekommen an, und durch die Nennung Hirschfelds am Ende der Trilogie wird auch klar, dass er die Menschheit mit dessen (und anderer Eugeniker) Hilfe nun, nach den zweitausend Jahren des "wandering", auf der letzten Stufe zum Übergang stehen sieht. Es ist eben Biologismus pur. Der Protagonist der Trilogie ist ein Weißer, das betont Viereck ausdrücklich, gegen das mögliche Missverständnis, "Sohn des Dschungels" könnte einen Afrikaner meinen. Gleichzeitig wird er als der "Affe Kotikokura" vorgestellt, was - biologistisch - seinen Gewaltanspruch und die Bedrohung für die von Viereck bekämpfte westliche Zivilisation unterstreichen soll. Er bleibt durch die zweitausend Jahre hindurch immer gleich jung und (ver-) urteilt Personen und Zeitläufte, denen er begenet, mit jugendlicher Unbe- kümmertheit, Unverschämtheit und Schärfe, wenngleich er die geschichtlichen Erfah- rungen der Menschheit in sich aufnimmt. Seine (rsp. ihre) Begenungen mit den Geschichtsgrößen stellen die Stufen (und das bisherige Scheitern) dar, auf denen die (nur weiße) Menschheit, deren Allegorien der "Wandering Jew" und seine "Salomé" sind, zur Weltherrschaft des Übermenschentums aufsteigen. Vierecks Anleihen bei Barries "Pan" und Shaws "Cäsar" sind überdeutlich, aber auch Hirschfelds Mitstreiter und Forschungspartner Eugen Steinach, der nicht nur Männer, die homosexuell lebten, durch dilettantische Transplantationen von Hoden und Hodenteilen heterosexuell lebender Männer zu "heilen" versuchte und dabei etliche zu Tode brachte, sondern vor allem durch seine von der medizinischen Wissenschaft verlachten, auf Phantasie- Drüsen und phantasierten Funktionen der Geschlechtsdrüsen beruhenden "Verjün- gungs"-Experimente bekannt geworden war, hatte seinen Anteil am ewig jungen "Wandering Jew" bzw. "Kotikokura" (S. 405). Viereck hatte mit Steinach schon 1904 korrespondiert, wohl auch durch Vermittlung von Harry Benjamin, einem Steinach-Fan, weitere Arbeiten Steinachs kennengelernt und selbst 1923 unter dem Pseudonym George F. Corners ein Buch veröffentlicht, in dem er Steinachs Scharlatanerie in den USA zu popularisieren versuchte. Hirschfelds und Vierecks New Yorker Freund Harry Benjamin setzte später Steinachs Versuche, auch zur hormonellen "Heilung" Homo- sexueller, fort (siehe unten); Steinach obwohl jüdischer Herkunft - hielt noch zu Beginn der 40er Jahre, kurz vor Vierecks Verhaftung wegen Spionagetätigkeit für Nazi-Deutschland, Kontakt zu Viereck. Im dritten Band ("The Invincible Adam", London 1932) lässt Viereck den Protagonisten, der nun mal "Adam", mal "Kotikokura" genannt wird, während der Affe vorher nur der "companion" des "Wandering Jew" und der "Wandering Jewess" war, Zeuge einer Unterhaltung zwischen "Jahweh", dem jüdisch-christlichen Schöpfergott, und der indo- arischen Lebensgöttin "Lakshmi", der aus dem Meer Geborenen, werden, in dem sich letztere über den Schöpfungs-Dilettantismus "Jahwehs" lustig macht, der nur ein "Amateur", sein Werk unvollkommen sei, und in dem der Protagonist zur Selbstgöttlich- keit aufgestachelt wird: "Jahweh wird nur ein knittriger Schatten Deiner sein, Adam." Der konservativ-revolutionäre Topos des "Selbst-Schöpfer-sein" (Hunke) als "Wagnis", dem sich der Weiße tätig stellen müsse, durchzieht die Trilogie in zahlreichen, schrift- stellerisch meist plumpen Anspielungen und zeigt durch die Konnotation mit tabu- brechenden sexuellen Abenteuern die Verbindung zur Eugenik auf. Der "Neue Mensch" müsse "both god and monkey" werden (S. 411), "god and ape", "subman and super- man" usw., erklärt Viereck im Nachwort des dritten Bandes, und er müsse dabei zu sich selbst finden: "I find myself" (S. 286/305). Die Idee des "Homunculus" als kon- struierter "Neuer Mensch" kommt vielfältig vor und knüpft bewusst an die faschistische "Faust"-Interpretation an. Legte Goethe seinen Homunculus hermaphroditisch an, so verknüpft Viereck dies mit Hirschfelds "Zwischenstufenlehre" zu einem "unbesiegbaren Adam", der auch weibliche Anteile haben müsse, wobei er sich im Nachwort ausdrück- lich auf "the latest discoveries of endocrinology and psychology" beruft (S. 412), also auf die selbst von den Hirschfeld-Apologeten heute zurückgewiesenen medizinischen Phantastereien ihres Meisters. Nichts muss in diesem schon postmodernen Panopticum, oftmals orgiastisch und rauschhaft hingeschrieben, einen logischen Zusammenhang haben, wie in der faschi- stischen Ideologie (oder den intellektuellen Ausbrüchen des intellektuell mit Viereck durchaus verwandten konservativen Revolutionärs Ernst Jünger!) üblich, weshalb dieser Adam gleichzeitig gegen die Effeminierung des amerikanischen Lebens ("emasculation") ankämpft. Seine "weiblichen Anteile" sollen ihn erkennen lassen können, wo der Platz des Vollweibes in seiner Welt zu sein hat, den er ihr zuweist und den seine "Salomé" im Selbstbewusstsein ihrer Rolle akzeptiert, während ihm seine "accentuated masculinity" zu seiner ewigen und ewig rebellisch vorwärts treibenden Jugend verhelfe (S. 405). Sofort fallen einem hierbei Hirschfelds "Transvestiten"-Gerichtsgutachten ein, die mit der Änderung des Geschlechtseintrags im Personalausweis von "W" nach "M" oder umgekehrt auch nur das Ziel hatten, vordefinierte Geschlechtsrollen zu verfestigen, statt eine staatlich nicht definierte Gender-Offenheit einzufordern. Der weise Maimonides, den Viereck mit Goethes Faust bzw. dessen Wagner paralleli- siert, führt den Protagonisten zur Erkenntnis seiner selbst und in die Geheimnisse der Homunculus-Produktion ein, mit mäßigem Erfolg: "Maimonides freed him temporarily" (S. 404), das Christentum habe den Eros jedoch wieder vergiftet, die Französische Revo- lution habe ihn mit de Sade nur verdorben. Die wahre Befreiung des Sexus, die der zur Abstraktion fähige Leser nach dem Text- und Sinnzusammenhang erst durch die Euge- nik zu erwarten hat, steht noch aus, und der Homunculus des Maimonides bleibt unbe- lebt. Auch dem Satanisten Gilles de Retz, dem der Protagonist auf seiner Zeitreise begegnet, gelingt die Herstellung eines Homunculus nicht. (Die Figur des Retz hatte sich Viereck aus Shaws Theaterstück um Jeanne d'Arc, "Saint Joan", entliehen; das historisches Vorbild von Vierecks Retz, der hundertfache pädophile Kindermörder Gilles de Rais aus dem 15. Jahrhundert, gibt heute im Black Metal ein beliebtes Sujet ab; auch der faschistische Satanist Aleister Crowley - von 1915 bis 1917 ein Angestellter Vierecks bei dessen Zeitschrift "Fatherland", siehe unten - hatte sich mit Rais beschäftigt.) "I am God!", ruft der Protagonist gegenüber Maimonides aus, der ihm diesen Ausruf eingibt (S. 290). "In die Lenden eines jeden Mannes ist die Geschichte der menschli- chen Rasse eingeschrieben seit der Erschaffung Adams. In Dir, Kotikokura, wurde der Traum der Menschheit zu Körper und Geist", sagt ihm der weise Maimonides (S. 291; Übersetzung P.K.), "some day man will read the secret of his life, the whole nature of his composition in that which he so shamefully casts from him!", lehrt dieser den Pro- tagonisten, unter Hinweis auf die Körperausscheidungen, den "joy of sex", die weg versteckten Sexualorgane und auch den Speichel (S. 294), als habe es 1932 schon die DNA-Probe gegeben, und spricht sich (S. 298) für die experimentelle Forschung aus, die der Mensch ohne Scham und Angst betreiben solle: "Is it my fault, my friend, if all knowledge must be gathered through pain and turture?" (S. 299). Mengele lässt grüßen. Wer suche, müsse eben alles durchstöbern, sorgfältig, hoffnungsvoll und mutig, so Vierecks Maimonides. "Some day man will create life, not the imperfect life of the whomb [Mutterschoß] but the perfect life of the brain" (ebd.). Nur der "superman", mit göttlichem Intellekt ausgestattet (und das ist nach Vierecks "Confessions of a Barbarian" nur der weiße Mann, während der Schwarze intellektuell noch unter der Frau stehe, siehe unten), werde "die Treppe zur Ewigkeit ersteigen", lässt Viereck seinen Maimonides sagen (S. 297) -- das ist ein Gleichnis für die Weltherrschaft, und das ist "Nouvelle Droite" der 70er bis 90er Jahre in Reinkultur (siehe unten). Andererseits ist das gemeinsame Kind der "Salomé" und des "Wandering Jew", von Viereck ebenfalls als Homunculus konzipiert - eine "Homuncula": die Mutter des neuen Übermenschengeschlechtes -, (noch) unfähig, die Menschheit zu erlösen und geht in einer Sintflut unter. Löst sich Goethes Homunculus im Meer auf, aus dem bekanntlich Lakshmi entstieg, so vermischt sich Ahasver mit der Menschheit, alle Partikularität vernichtend. Vierecks Protagonist distanziert sich allerdings schon zu Beginn der Geschichte - wie Hirschfeld! - von seinem Judentum und schließt sich dem damals universell herrschenden Heidentum, der römischen Armee im besetzten Judäa, an. "He still lives - this Wandering Jew - and goes from land to land, changing names and religions that the people may not recognize him. Wherever he goes there is pestilence and war and drought, and virgins do not grace the nuptial beds" (S. 232), so schreibt Viereck den antisemitischen Mythos auf, aus dessen biologistischem Substrat anderer- seits "the invincible Adam" entsteigt, unschwer erkennbar als der selbstgöttliche Über- mensch, der sich was traut!, der "Jahweh" in den Schatten stellt! Das "nur-Mensch- werden", die "Menschheitsassimilation" vollzieht sich mit diesem Ziel, ist die Botschaft des Viereckschen Maimonides. Seine vielfach verwickelte Schreibe, die sich wiederum, wie bei den "Confessions", an US-Bürger/innen wendet und wiederum den teutonischen Wahn propagiert, ergibt dabei nicht wirklich einen Textzusammenhang als Handlungs- strang, sondern implantiert mit viel zeit-modischem mystischem Tamtam einzelne Topoi der rechtsextremen Ideologie wie Trojaner, wie Wurmviren in die Gehirne seiner US- amerikanischen Leserinnen und Leser, denen die Idee der Einen Menschheit als Grund- lage der Amerikanischen Revolution wohlvertraut ist; diese muss nun nur noch über- menschlich erneuert werden. So biegt man die Universalität der Menschenrechte zu Faschismus um. Hirschfelds eugenische Hoffnung aus seiner Schrift "Phantom Rasse", die biologische Vermischung der menschlichen "Rassen" bringe bei eugenischer Anleitung, Lenkung und Bevormundung des sexuellen Verhaltens der Individuen (und notfalls auch durch "schmerzlosen Tod", siehe oben: Forel) die Übermenschheit hervor, weil sich die besten Eigenschaften der "Rassen" dann addierten, multiplizierten oder potenzierten, hat Viereck, personifiziert in seinem mythischen "unsterblichen Adam", vorweg genom- men. Goethe lässt im "Faust II" Wagner sagen: "Es wird ein Mensch gemacht", und das Rezept aufzählen: "Dass, wenn wir aus vielhundert Stoffen / Durch Mischung - denn auf Mischung kommt es an / Den Menschenstoff gemächlich komponieren / ... Was man an der Natur Geheimnisvolles pries / Das wagen wir verständig zu probieren." Vier- eck lässt Maimonides fast identisch reden; doch bleibt bei Goethe offen, ob er der fortschrittskritischen oder der faschistisch-verbrecherischen Option den Vorzug gab. Vierecks Faust-Interpretation ist klar: er verkauft nur ein Jahr nach Beendigung der Trilogie seine schriftstellerische Arbeitskraft dem Nationalsozialismus, den er vorher schon bewunderte. Und Hirschfelds eugenische Vision der "Rassen"-Mischung bleibt Rassismus, weil sie die Liebe von Menschen zueinander und ihren daraus folgenden Sex instrumentalisiert zu einem von außen definierten höheren Zweck, dem der "Aufzüch- tung", der das sexuelle Verhalten der Individuenn untergeordnet werden soll, durch Hirschfelds "Eheberatung" per Fragebogen, oder notfalls - bei Beratungsresistenz - durch strafbewehrte eugenische Gesetze. Die Hauptelemente der "Konservativen Revolution", die in den Faschismus führten und heute von der "Neuen Rechten" / "Nouvelle Droite" weiter gepflegt werden, sind in der Trilogie enthalten: männliche jugendliche Kraft und wagender Mut zur Rebellion, die durch kein Tabu zu fesseln sind; Nonkonformität bis hin zur Bisexualität des Protago- nisten; der Biologismus/Rassismus und die Bindung des menschlichen Handelns an "Instinkte" im Rückgriff auf vorzivilisatorische Vorfahren (Maimonides: "The instinct of the primitive is often wiser than the logic of the sophisticate, my son"; "Invincible Adam", S 294), durchaus mit anti-intellektuellem Ressentiment; gleichzeitig die Technik-Verherrlichung und die Selbstvergöttlichung, die zum Neuen Zeitalter der Neuen (gesäuberten) Menschheit führen sollen. Selbstverständlich alles gut gemeint!, -- im Interesse der weißen Europäer, und "persönlich integer" (Sigusch). Viereck hatte sich schon früher ein "temperament of a pagan" bescheinigt und sich mit dem Bekenntnis, sein Vater Louis habe ihn zum "pantheist" erzogen, in Opposition gegen die Werte des "Judaochristentums" und seiner säkularen Nachfolger Aufklärung und Marxismus gestellt, wie es fast alle Denker der KR taten und die "Neue Rechte" bis heute als ihre Grundlage hat. Viereck, der Literat, beließ dieses Bekenntnis bis zu seinem Eintritt in die Dienste Nazi-Deutschlands 1933 abstrakt, während Hirschfeld sich schon früh Haeckels sozialdarwinistischem "Monistenbund" als Mitglied anschloss. Dafür sind Vierecks Worte um so deutlicher: "Kotikokura is a rococo name for youthful rebellion whether in the jungle or in civilized communities - rebellion without which life would die of emasculation" ("Invincible Adam", S. 406), und im Nachwort des dritten Bandes, der "personal note", die den Konsumenten fantastischer Literatur auf die politisch-gesellschaftliche Dimension des Werkes verweist, parallelisiert er den Prota- gonisten physiognomisch mit Michelangelos "David" und nennt ihn einen "Bruder des Faust" (S. 406): männliche Kraft und Schönheit mit selbstgöttlichem Intellekt. Ein zur Wehrmacht mutierter David, dem Arno Breker das Schwert in die Hand gab, mit einer Salomé als selbstbewusstem Gegenüber, die sich ihren Aufgaben, dem ihr Aufgegebe- nen, der "Neue Menschheit"-Mutterschaft, freudig stellt. Vollmann und Vollweib. Viereck hatte die Ideen hierzu in der Zeitphase des Futurismus, der in den italienischen Faschismus führte und auch im deutschen Bürgertum schon vor dem Ersten Weltkrieg zahlreiche Anhänger hatte, einem Krieg, der in seinen "Stahlgewittern" (Ernst Jünger) und seinen revolutionären Veränderungen des (Alltags-) Lebens der Menschen fast schon als Materialisierung des Futuristischen Manifestes des Filippo Tommaso Marinetti von 1909 erschien, in der Zeit, als Viereck seine "Confessions of a Barbarian" und erste Teile der "Wandering Jew"-Trilogie niederschrieb, die sich dann als schriftstellerische Ausarbeitung von Marinettis Manifest las, und zwar wörtlich bis ins Anarchische, ins körperlich Hedonistische, ins Anti-Feministische und Anti-Moralische und in die Ver- herrlichung von männlicher Jugend, Technik, Kühnheit, Gefahr und Gewwalttätigkeit hinein. Auch Hirschfeld war dem verfallen, wie seine "kriegspsychologische Betrach- tung" von 1915 zeigt. Vierecks Technik- und Wissenschaftsgläubigkeit zeigte sich in seinen Versuchen, Steinachs Verjüngungs-Operationen, an denen auch Hirschfeld beteiligt war, in den USA zu popularisieren. Sein Romantizismus führte ihn ins Neu- heidentum mit seiner Folge der Selbstvergöttlichung. Dann versuchte er schriftstelle- risch, das, was er als zukunftsträchtig im Sinne der essentials der "Konservativen Revolution" am "Bolschewismus" und am Faschismus hielt, zusammenzubringen und ihre angeblichen gemeinsamen Kräfte - den "Barbarismus" im Sinne Ernst Niekischs (der dasselbe versuchte) und die Industrie- und Technik-Entwicklung - in einer Weise und in einem Ausmaß zu entfesseln, wie es der Begeisterung für den zu entwickelnden "Übermenschen" entsprach und wie es sich die Futuristen erträumt hatten mit ihrer Unterstützung des Faschismus Benito Mussolinis, die Viereck teilte und der Hirschfeld keineswegs fern stand, und der späteren Unterstützung des Nationalsozialismus als der scheinbar noch überlegeneren Philosophie und Praxis. Viereck ist bisher kaum als ein Vertreter des Futurismus gewürdigt worden, der die zeitweilige Kluft zwischen Marinetti und Mussolini (d.h. zwischen "Bolschewismus" und Faschismus) zu überbrücken versuchte, denn die Resonnanz seiner extremen pro- deutschen Politik ab 1910/14 (siehe unten) überdeckte alles andere in seinem Werk, und seine dichterische Arbeit wird eher der fantastischen Literatur (wie in der Viereck- freundlichen Interpretation der "Wandering Jew"-Trilogie durch Brian Stableford: The Two Thousand Year Quest. George Viereck's Erotic Odyssey, in: ders.: Slaves of the Death Spider and Other Essays on Fantastic Literature, aus dem Jahr 2007; Stableford weiß nichts von Vierecks Leben und der "Konservativen Revolution" als ideenge- schichtlichem "Knäuel" <Mohler> des Faschismus/Nationalsozialismus und hat offenbar auch Teile der Verwicklungen innerhalb der Trilogie nicht verstanden, verweist aber darauf, dass in der Literaturgattung der Fantastik häufig auf das Neuheidentum zurückgegriffen wird, S. 160) und - seinem Wunsch, Oscar Wilde zu beerben, ent- sprechend - der "Dekadenzliteratur" des Fin de Sciècle und des folgenden Jahrzehnts zugerechnet. Doch hatte sich Viereck mit der Lektüre Edgar Allan Poes geschult, dessen Werke in Deutschland ausgerechnet von dem späteren "Konservativen Revolutionär" Arthur Moeller van den Bruck herausgegeben wurden. Vierecks vielleicht am besten bekanntes Werk "The House of the Vampyre" von 1907 behandelte schon Themen der "Wandering Jew"-Trilogie, deren ersten Aufriss er ebenfalls in diesem Jahrzehnt schon verfasste und die nur wegen seiner pro-deutschen tagespolitischen Beschäftigungen erst ab 1928 erscheinen konnte: der Übermensch, der sich in (hier schriftstellerischen) Geschichtsgrößen durch die Jahrhunderte zu verwirklichen versuchte, und die tabubrechende bisexuelle "love"-Konzeption. Wie schon die amerikanische Romantik des 19. Jahrhunderts in der Ideologiekritik kaum beachtet wird, so scheint es bisher kaum ein Verständnis der US-amerikanischen Ausformungen des Futurismus zu geben, obwohl Viereck in den USA bis heute ein herausragendes Objekt kritischer Arbeiten zum Pangermanismus ist, eine breit bekannte Größe also, dessen geschichts- und gesellschaftsphilosophisch zu wertende dichterische Werke dann jedoch immer nur als fader und/oder scheinbar eskapistischer Nachklapp und als Nachäffen anderer Autoren herauskamen. Doch bei genauer Betrachtung wird klar: Im Spannungsfeld zwischen kapitalistischer Moderne und romantisierender Lebensreform (bzw. als deren Alternative: eskapisti- scher Fantastik!) ging Viereck den Weg vieler zum Faschismus als der Synthese aus beiden. Der Anspruch der faschistischen Ideologie, zum angeblichen Evolutionsziel der Über- menschheit fortzuschreiten, wurde in den 80er Jahren noch einmal von der "Neuen Rechten" deutlich gemacht, als z. B. Guillaume Faye in seinem Artikel "Die neuen ideo- logischen Herausforderungen" in dem Buch des rechtsextremistischen "Thule Seminars" (Kassel) von 1988, "Mut zur Identität", gedanklich identisch zu den Lehren des Vier- eckschen Maimonides (siehe oben) schrieb: "Da virtuell nicht die 'Geschichte', sondern die Techno-Wissenschaft die Verlängerung der natürlichen Evolution ist, wäre es dann denkbar, dass die Europäer, sich hierbei von den anderen Völkern unterscheidend, die göttliche Kühnheit zeigen, die Technik - ihre Technik - zu benutzen, um eine steigende Selbstmodifizierung zu vollziehen, was Nietzsche metaphorisch als den Marsch zum Übermenschen bezeichnete?" (S. 256) "Und an diesem Punkt treffen wir wieder auf den Begriff der Identität durch eine Problematik, die keiner unserer Zeitgenossen zu erörtern wagt, so sehr wirkt sich das jüdisch-christliche Verdrängte auf die 'Unver- änderlichkeit' des Menschen aus, das ein Geschöpf Gottes sein soll, das sich selbst nicht mehr gehört und das aufgrund des fixistischen Dogmas zur Selbstentwicklung nicht berechtigt ist." (S. 257) Das ist die Botschaft des Maimonides im "Invincible Adam" an diesen "Adam"/"Kortikokura", wie wir sie oben zitiert haben. "Worum handelt es sich?", fragt Faye 1988 weiter, und antwortet: "Um die Tatsache, dass die Völker, die die künftige Techno-Wissenschaft fest in die Hand nehmen, sich vor allem durch die Beherrschung der Genetik, und der zugehörigen Wissenschaften die Möglichkeit zu einer Selbstmutation geben werden mit allen Gefahren, aber auch mit allen Möglichkeiten, die diese Wette bzw. Wagnis beinhaltet. Anstatt vereinheitlichend und einebnend zu sein, wird die Techno-Wissenschaft den Völkern, die sich ihr hin- zugeben wagen, als das wichtigste Mittel erscheinen, ihre Verschiedenheit gegenüber den anderen" (also die ethnopluralistische Partikularität Bauers!, siehe oben) "zu be- haupten und zu gestalten - wird gewissermaßen die differenzierende Logik der natür- lichen Evolution ablösen." (ebd.) Eugenik als das Gesetz des Dschungels, das nun auf die intellektuelle Höhe gehoben ist, die schon Vierecks Maimonides vorschwebte: Technik als Instinkt. Die "Wette" Fayes ist die aus Goethes "Faust". Das eugenische Motiv, das faschistische Motiv des Wagens und der Selbstgöttlichkeit zeigt letztlich auch Hirschfelds Anschluss an die faschistische Faust-Interpretation, die im Gegensatz zur kritischen der "Dialektik der Aufklärung" steht. Und jetzt durchdenke man/frau Vierecks und Hirschfelds und Fayes eugenische Bot- schaft noch einmal neu vor dem Hintergrund der technischen Entwicklung Chinas und den China-Reisen des Gründers des Haeberle-Hirschfeld-Archivs der Bibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin! Die Zeilen des Neonazi Faye geben auch eine Verständnismöglichkeit für Vierecks Begeisterung für die Psychoanalyse: das "jüdisch-christlich Verdrängte" soll zurück geholt, die Möglichkeiten der Sexualität "befreit" werden zum Zwecke der "Selbstmodi- fizierung ... als Marsch zum Übermenschen". Viereck schätzte die Psychoanalyse als Werkzeug, als Bulldozer zur Herrichtung des Weges, auf dem marschiert werden soll -- ein Missbrauch, der dann auch Freud dämmerte, nachdem Viereck ihn zweimal inter- viewt hatte. Als hätte Faye Vierecks Trilogie und seine "Confessions" gelesen, beklagt er ein paar Seiten vorher die "Verweiblichung des Mannes" (S. 211) und die "Entvirilisierung des Europäers" (S. 213), fast wörtlich wie am Ende des "Invincible Adam"-Bandes, wo Vier- eck dies über die USA der beginnenden 30er Jahre schrieb. Sechzig Jahre Kontinuität der "Konservativen Revolution", als habe es dazwischen das Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus nicht gegeben. Bemerkenswerte Worte schrieb im August 2011 Gerrit Bartels unter der Überschrift "Das Böse lässt sich nicht einmauern" in seiner Rezension zu Götz Alys neuem Buch "Warum die Deutschen? Warum die Juden? Gleichheit, Neid und Rassenhass" im Berliner "Tagesspiegel", Worte, die dort niemals über Magnus Hirschfeld geschrieben werden könnten: (BIFFF...-Screenshot von
"Tagesspiegel.de" am 15. August 2011. Gelbe Markierung durch BIFFF...)
Die mörderische Geschichte wirkt bis heute nach und wird mit der "Magnus-Hirschfeld- Stiftung" nur in eine neue, weitere Etappe eintreten. Das Konzept der ewigen rebellischen Jugend durchzieht die gesamte "Konservative Revolution" seit ihren Vorläufern zur Zeit der antinapoleonischen Kriege (Burschen- schaften!), die ja primär Kriege gegen die Ideen der Aufklärung waren. Ernst Nolte hat daraus sein Konzept der "ewigen Linken" gezogen, die in der Menschheitsgeschichte immer wieder für die nötigen Umwälzungen gesorgt habe und immer wieder von Rechts konservativ hätte gebremst werden müssen (in Ernst Noltes den NS rechtfertigender Schrift "Der europäische Bürgerkrieg"). Auch die Debatte um den Nationalsozialismus - dessen Führer ja vergleichsweise noch sehr junge Menschen waren: Hitler war drei- undvierzig Jahre alt, als er Reichskanzler wurde, dreiunddreißig Jahre alt, als Viereck ihn interviewte und als kommenden Führer entdeckte! - als Modernisierungsbewegung, die in den 80er und 90er Jahren um Autoren wie Rainer Zitelmann (von rechts) oder Götz Aly und Susanne Heim (von links) geführt wurde, gehört hierher. Aus der konser- vativen Bändigung der jugendlichen Revolution, die Viereck vom "asthetic anarchist" zum Anhänger einer "New Order" werden ließ (alles schon 1910 in den "Confessions of a Barbarian"!), zieht Nolte sein "historisches Recht" des Faschismus/Nationalsozialis- mus, gegen den "Bolschewismus" zu kämpfen; Viereck entschied sich einseitig für den Nationalsozialismus, als er für seine frühen Versuche, die "positiven" Kräfte beider zu vereinen und zu entfesseln, keine Perspektive mehr sah. Und dies steht auch so am Ende des dritten Bandes der Trilogie, als der Protagonist vergeblich versucht, den egalistischen Bolschewiki die Vorzüge der ewigen Jugend im revolutionären Prozess und den Partikularismus der instinktiv erfühlten Geschlechterrollen zu predigen. Interessant ist, dass Nolte im "Europäischen Bürgerkrieg" - wie Vierecks "Ewiger Jude" - durch die Geschichte streift, um hier und da und dort die "ewige Linke" zu identifi- zieren, die eine positive und notwendige Wirkung auf die Entwicklung gehabt habe, aber bisher immer letztlich scheiterte und scheitern musste. Vierecks Protagonist macht dies ebenfalls durch und steht am Ende vor der letzten, entscheidenden Stufe -- die für Viereck sein aktiver Anschluss an den Nationalsozialismus war. Damit entging er dem Verdikt der Nationalsozialisten gegen die "bloßen" Faschisten, die sich nur eines "Stils" bedienten, wie es Armin Mohler in seiner Schrift "Der faschisti- sche Stil" (1973) nacherzählte und wie es die Nationalsozialisten tatsächlich auch anfänglich gegen Viereck vorbrachten, als sie bei den Bücherverbrennungen auch seinen "Ewigen Juden" ins Feuer warfen - zum völligen Unverständnis Hirschfelds, der offenbar die Botschaft der Trilogie für kompatibel mit dem "Einigungsprozess" des Jahres 1933 hielt, wie seine beiden Briefe an Viereck aus 1933 zeigen. Gegen Ernst Jünger und Gottfried Benn, so Mohler, habe es zu Beginn der NS-Herrschaft geheißen: "Diesem Schriftstellertypus gehe die Formvollendung vor dem Dienst am Volke, der Genuß vor der Pflicht; die Geste sei ihm wichtiger als das Bekenntnis, der entschie- dene Gegner näher als der durchschnittliche Volksgenosse", einen Vorwurf, den man in jeder Weise auch dem dichterischen Werk Vierecks machen konnte und machte. Doch Viereck akzeptierte schließlich sogar offensiv das Verbot seiner Trilogie in Nazi- Deutschland und schrieb ohne Umschweife: Wenn ihn die amerikanischen Juden vor die Wahl stellten, würde sein Blut wissen, für wen er sich entscheide: für Deutschland (siehe unten). Viereck nutzte lediglich den faschistischen Stil, um "Ästhetizisten" einzufangen, nationale Bürgerliche der Mittelschicht und Schöngeister, die wie er erst von Nietzsche und Konsorten, dann von der "Konservativen Revolution", dann von den gewalttätig Siegreichen, dem italienischen Faschismus und dem NS fasziniert waren. Er nannte sich selbst einen "asthetic tramp" ("Confessions", S. 74), aber schon im Ersten Weltkrieg waren seine Wahl und seine praktische Parteinahme klar und politisch und nicht bloß ästhetisch, auch wenn er am Ende der Trilogie einen Disclaimer platzierte: er und sein Koautor Eldridge seien doch nur Geschichtenerzähler, man habe zwar Überzeugungen, werde aber wütend nur mit einem Lächeln im Gesicht, ziehe das Florett der Käule vor (S. 413, sinngemäß). Dass Viereck seine Botschaft über Sexualisierungen des Geschehens zu vermitteln ver- suchte, unterstreicht noch den Anspruch, jede Art von Scham zurückzuweisen, jedes Tabu zu übertreten, nonkonform zu sein. "We must free ourselves from ancient taboos which make us ashamed of our instincts", lässt er am Ende zusammenfassen (S. 407), dabei einen Kern des rechtsextremen Welt- und Menschenbildes, das biologistische Konzept des Instinkts als dem menschlichen Handlungsantrieb, herausstellend. Das ist der größte Bruch eines gesellschaftlichen Tabus, die schärfste Verneinung der seit zweihundertfünfzig Jahren etablierten Konformität: die Ablehnung der aufgeklärten Vernunft zugunsten des Mythos, des Gesellschaftsvertrags zugunsten des Macht- willens. Es ist das von Theoretikern der Konservativen Revolution vielfach variierte "Tue was Du willst!", wie es später auch Aleister Crowley ausdrückte, (der ebenso wie Viereck durch die Verbindung zur Sexualität die Aufmerksamkeit Alfred C. Kinseys erregte). Das faszinierte Viereck an Hitler, der betonte: Wir bitten nicht, wir nehmen es uns! Der Begriff "Machtergreifung" kommt aus dieser Haltung, durch die immer die beanspruchte Selbstgöttlichkeit hindurch scheint. Das bisweilen Orgiastische des (nicht nur sexuellen) Geschehens bei Viereck erinnert auch an den Tabubrecher Ernst Jünger. Im Nachwort des dritten Bandes nennt Viereck sein Werk "a trilogy of love" (S. 412) und betont "its biological implications" (S. 412), damit niemand sie übersehe hinter all dem Wirrwar von Mythen, die Viereck miteinander verbindet. Hirschfeld hatte er 1930/31 in den USA als "eminent authority on the manifestions of love" vorgestellt (Zeitung "New York American" vom 30. 11. 1930), der in Berlin eine "Love Clinic" betreibe usw. Der synonyme Gebrauch von "sex" und "love" fällt auf, wenn Eugenik gemeint ist. Warum Viereck im jüdisch und deutsch und deutsch-jüdisch mitbestmmten New York seine - vor allem sexistisch ausgeformte - Version der "Konservativen Revolution" in eine antisemitische Legende - und damit doch im Judentum - ansiedelte, warum er zentrale Sätze seiner biologistischen Konzeption der angeblichen Menschheitserlösung durch Erzeugen einer Übermenschheit von einer Figur sagen lässt, der er den Namen des mittelalterlichen Arztes und bedeutenden jüdischen Philosophen Maimonides gibt (den er sich allerdings "Elohim", Gott, überlegen fühlen lässt, vgl. "Invincible Adam", S. 298), wäre noch näher zu erkunden; jedenfalls weist Armin Mohlers "Analyse" des "faschistischen Stils", dass der Faschist (im Unterschied zum Nationalsozialisten, der seinen Feind verachte und zu vernichten trachte) in dem ihm ebenbürtigen Gegner ein Stück seiner Selbst erkennt, wiederum einen Weg. Viereck hatte schon 1910 in seinen "Confessions of a Babarian" dazu aufgerufen, sich ein Beispiel an den Juden zu neh- men, die durch die Ewigkeit von viertausend Jahren, angeblich unbeirrt von kommen- den und gehenden Zivilisationen, an ihrem "imaginary kingdom" festhielten. "Bevor dieser Geist nicht unser [politisches] System durchdrungen hat", schrieb er hierzu (Übersetzung P.K.), "werden wir [i.e. die USA] geringer bleiben als das [den Konser- vativen in den USA vorbildhafte antike] römische Reich" (S. 25). Das ist nichts weiter als Vierecks frühe Version von Arthur Moeller van den Brucks Idee eines geistigen "Dritten Reiches", die dieser 1923 als ein Hauptwerk der "Konservativen Revolution" veröffentlichte, allerdings ohne Rückgriff aufs Judentum. Warum Viereck das Verlangen der US-Konservativen und des hinter ihnen stehenden, nach Expansion drängenden Kapitals, allen anderen so überlegen zu werden, wie es die Alten Römer waren, 1910 mit der spirituellen Sehnsucht des Judentums verband, obwohl er doch das wilhelmini- sche Deutschland und seine gezwungene germanentümelnde geistige Traditionspflege als reelles Vorbild propagierte, bleibt vorerst offen. Zum Weiterdenken sei auch darauf verwiesen, dass der Nationalrevolutionär Hans-Joachim Schoeps (dessen Werk sein Sohn Julius Schoeps am Moses-Mendelssohn-Zentrum in Postdam - Mitveranstalter der Hirschfeld-Konferenz 2003, auf der Bauer seinen "Ahasver"-Vortrag hielt! - heute pflegt) eine "jüdische" Konzeption des Faschismus, der ihn so sehr begeisterte, zu entwerfen versuchte -- und von Armin Mohler in seiner Zusammenschau "Die Konser- vative Revolution in Deutschland 1918 - 1932" von 1950 neben dem Barbarismus- Fanatiker Ernst Niekisch und dem SPD-Deutschtümler August Winnig aus der Noske- Fraktion als "Stiefbruder" gewürdigt wurde! (Den Viereck scheint Mohler jedoch nicht gekannt zu haben, nur die berühmte und durchschlagende Nazi-Kritik des Viereck- Sohnes Peter, der sich schon in den 30er Jahren vom Vater distanzierte, erwähnt er abfällig.) Im weiteren Verlauf der "Confessions" setzt Viereck sogar Nietzsches "Zarathustra", den philosophischen Entwurf des Übermenschen, mit den Botschaften der jüdischen Propheten gleich (S. 132). Der von den antisemitischen Ideologen behauptete Endkampf zwischen den angeblich gleichermaßen die Weltherrschaft beanspruchenden "Ariern" und "Juden", die sich angeblich beide für auserwählte Völker hielten, könnte die Gleichverteilung des Heroischen durch Viereck auf beide erklären. Gleichzeitig schrieb er (ebd.): "The Book of Life is full of inconsistencies", und wendet sich am Ende der "Wandering Jew"-Trilogie, im Nachwort des "Invincible Adam" (S. 413), gegen die Erwartung von "pedantic consistencies" in seiner Erzählung, was an den Pseudolinken, viel eher konservativ-revolutionären Günther Nenning erinnert, der kundtat, in seinen eigenen Widersprüchen zu "baden". Man muss das alles so ausführlich nacherzählen und analysieren, denn es ist Hirsch- feld, der diesen Viereck 1933 bittet, ihm Asyl zu bereiten, dem 1929 der erste Band der "Wandering Jew"-Trilogie "ausgezeichnet gefallen" hat, der sich 1930 auf den "Salomé"-Band so sehr freut, der Vierecks schriftstellerisches Werk bewundert und auf seinen Vortragsreisen propagieren will (und dies Viereck ankündigt, obwohl er den "Salomé"-Band noch gar nicht gelesen hat; das nennt man blindes Vertrauen!) und der sich 1930/31 als Vierecks Gast in New York ganz sicher mit ihm über die Trilogie und ihr Ende im "Invincible Adam" unterhalten haben wird. Viereck ist Hirschfelds längster und durch vier Jahrzehnte seit Vierecks Kindheit kontinuierlicher Freund, der ihn immer wieder im direkten Kontakt intellektuell beeinflusste. Ohne ein Verständnis Vierecks ist Hirschfeld nicht beizukommen. Die bisherige Hirschfeld-Forschung hat dies jedoch ausgespart. Der Ahasver-Mythos wurde für Hirschfeld 1932 erst durch Viereck interessant, weil ihm selbstverständlich die antisemitische Konnotation vorher bekannt war; denn Viereck erst war es, der sie in die "Menschheitsassimilation" seines Protagonisten auflöste, in die Erlösung durch den "superman", der immer schon der Fluchtpunkt von Hirschfelds biologistischem "Messianismus" war, woraus Hirschfeld, der Nietzsche-Verehrer, auch nie ein Hehl machte. Die Sätze, die Bauer (in seinem 15. Paragraphen) dem "Welt- reise"-Buch entnimmt und als zentral für seine Interpretation des angeblich emanzipa- torischen "jüdischen Messianismus" Hirschfelds darstellt, sind gedanklich identisch in Vierecks Trilogie enthalten. Wenn Bauer Hirschfeld zitiert: "'Nur durch die Überwindung der Angst vor der Zukunft und voreinander [ist] eine Erlösung der Menschheit mög- lich'", oder: "... daß im 'Angstmotiv der Menschen, [in der] bange[n] Angst vor dem Unbekannten, vor der Zukunft' seine anthropologische Konstante zu erkennen ist", so entspricht dies genau der Rede des Viereckschen Maimonides im "Invincible Adam", wo Kotikokura die Allegorie dieser "Konstante" ist: "We fear most what we most desire. ... Do we not fear love, and happiness, and the truth about ourselves?", fragt Maimoni- des, und Viereck lässt den Protagonisten antworten: "I would conquer this unreason- able fear!" (S. 290). Maimonides rät ihm: "Water the roots of your nature abundantly. Feed them with the manure of life. But also tend the flowers of your being. Rejoice in their perfume, in the delicate petals, in the morning dew which studs them like pearls. Discard all fear, all shame. Hush the combat in your soul" (S. 300). Er tröstet den Pro- tagonisten beim Anblick seines Homunculus: "Do not fear, Kot-El-Ko-kura" (S. 300), und als er ihm einen Zaubertrunk gibt: "Do not fear" (S. 301), auch schon vorher sagt er: "Fear not Kot-El-Kokura"(S. 292); "Fear neither me nor yourself" (S. 291). Hirsch- felds von Bauer zitierte Warnung vor der "Flucht vor sich selbst" sagt Maimonides dem Protagonisten der "Wandering Jew"-Trilogie: er müsse sich selbst finden. Bei Viereck gibt es keinen Zweifel, dass all dies biologistisch-eugenisch gemeint ist; Bauers totale Ignoranz gegenüber der Herkunft der zitierten Hirschfeld-Gedanken aus dem Viereck- Werk hindert ihn daran, zu erkennen, dass es Hirschfeld genau so meint. Und dass man das Echo bei der neofaschistischen "Nouvelle Droite" / "Neuen Rechten" lesen kann, siehe oben: Guillaume Faye. Hirschfelds "Überwindung der Angst" ist nichts anderes als das "Selbst Schöpfer sein" der "Konservativen Revolution" / "Neuen Rechten", das letztlich die "ethische" Grundlage der NS-Verbrechen war, wie wir andernorts analy- siert haben. Auch die "Menschenliebe", die Bauer als Zentral für seine Darstellung von Hirschfelds "Messianismus" hält, wenn er (18. Paragraph) den Schlusssatz des "Weltreise"-Buches zitiert: "Nur sie [d. i. die Menschenliebe] kann das verlorene Paradies, das goldene Zeitalter wiederbringen, nur sie kann den Menschheitsorganismus schaffen, erschaffen auf dem Boden der Hoffnungsworte Freiligraths ...", ist nur von Vierecks "love"-Begriff her und aus dem dritten Trilogie-Band geklaut, der - ohne Rückgriff auf Freiligraths "Trotz alledem" und schriftstellerisch anders aufgebaut - inhaltlich mit demselben Gedanken endet. Hirschfelds vermeintliches säkularisiertes "Judentum", das Bauer so sehr beschwört, ist nicht viel anderes als die biologistische Ideologie des Nationalsozi- alisten Viereck, die wohl selbst Bauer nicht als "Judentum" bezeichnen würde. Man müsste noch genauer betrachten, ob nicht die Konzeption des "Weltreise"-Buches insgesamt nur ein Abklatsch der Geschichtsreise ist, die Viereck seinen Ewigen Juden seit 1928 durch die letzten zwei Jahrtausende machen lässt. Während Hirschfeld schon im Vorwort sein Buch der Eugenik als der Hoffnung der Menschheit widmet, setzt Viereck am Ende seiner Trilogie alle Hoffnung in die biologische Entwicklung des Übermenschen. Im Gegensatz zu Bauers uninformierter Interpretation des "Weltreise"- Buches übernimmt Hirschfeld den Ahasver-Mythos in seiner ursprünglichen, antisemi- tischen Form, nämlich biologisiert, von Viereck und integriert ihn in seine eugenische Konzeption völkischer Rassenmischung (siehe "Phantom Rasse"), die Vierecks Protago- nist der "Wandering Jew"-Trilogie durch die Jahrtausende schon praktisch betrieb. Der Inhalt von Hirschfelds "Messianismus" ist eine anti-universalistische Version von Men- schenrechten, die volles Lebensrecht nur für Auserwählte vorsieht. "Mensch-zu-sein" wird nur Bestimmten zuerkannt, bzw. nur vage Bestimmten, den wechselnden gesell- schaftlichen Zwängen anpassbar Bestimmbaren, siehe oben: Hirschfelds und Forels Listen des lebensunwerten Lebens, die weit mehr als "jeden siebten" für eugenisch verdächtig halten! Vom "Vollmann" und "Vollweib" zum Vollmenschen, von den "Zwischenstufen" der Geschlechtlichkeit zu den Abstufungen der Menschheit, zu den Unterstufen der Menschlichkeit. Also, Gender ist das nicht! Weder ist Herzers Versuch zuzustimmen, in dem biologischen Gesellschaftsformierer Hirschfeld einen freiheitlichen ("westlichen") Sozialisten zu sehen, noch Bauers Ver- such, ihn gegen seinen erklärten Willen zum Juden zu machen. Während Herzer an der letztlich in den Ideen der sexuellen Befreiung der "68er"-Generation wurzelnden "linken" Wunsch-Interpretation Hirschfelds aus den 80er Jahren festzuhalten versucht (die längst vom Profitinteressse des sexuell-industriellen Komplexes überrollt wurde), ist Bauer in der aus dem Antikommunismus des Kalten Krieges mit seinem Bestreiten des wissenschaftlichen Anspruchs der Klassiker von Marx bis Adorno stammenden fixen Idee gefangen, dass Sozialist/innen und ihre Vordenker auch nur eine weitere Erlö- sungsreligion predigten (Bauers "Messianismus"), wie es die Noltesche "Ewige Linke" seit Jesu oder gar Mose Zeiten getan haben soll. (Die Idee, Emanzipationsbestrebun- gen - dafür hält Bauer ja fälschlich Hirschfelds Wirken - seien letztlich "jüdisch", ist allerdings genuin nazistisch -- nicht mal das begreift Bauer!) Doch beiden fehlt es leider schon an der Empirie: sie wissen zu wenig von Hirschfeld. Denn viel eher - das zeigen nicht nur der Primat der Eugenik in seiner "Sexualreform" mit den langen Listen der zu Vernichtenden (mehr als "jeder siebte" im Visier, siehe oben; Bauer gibt dies 2011 nicht in einem stalinistischen Schauprozess, sondern auf der HHA-Webseite der Beliner Humboldt-Universität als "vom Humanismus getragen" aus!) und sein Beharren auf biologistischen Erklärungen wie noch in der Artikelserie "Phantom Rasse" von 1934/35, sondern auch sein Brief vom 30. Oktober 1933 an Viereck - stand er bis zum Schluss faschistoiden Konzeptionen einer "formierten Gesellschaft" nahe (die allerdings auch innerhalb der Sozialdemokratie vertreten wurden). Vierecks "Ehrenkomitee" zur Begrüßung Hirschfelds in den USA 1930 Zwei kleine Zeitungsschnipsel aus dem HHA zeigen neben den beiden bisher anschei- nend unveröffentlichten Bittbriefen Hirschfelds an Viereck aus 1933 und seinem Dankesbrief für den ersten Band der "Wandering Jew"-Trilogie aus 1929 ebenfalls die nähe zwischen Viereck und dem von ihm zum "Einstein des Sex" erklärten Magnus Hirschfeld: Die "Evening Post" aus New York, die schon 1928 Vierecks "Wandering Jew" rezensiert hatte, schrieb am 9. Dezember 1930 über eine große Party, die Viereck in seinem Haus in Manhattan zu Ehren Hirschfelds gegeben hatte und auf der Prominente aus der Justiz und der Jugendpflege der Stadt zu Gast waren. Und schon am 16. November 1930 hatte Viereck im "New York American", einer Tages- zeitung der mit deutschen Nationalisten durchsetzten "America First"-Bewegung, die selbst sogar mit der Unterzeile "America First!" erschien, in der Viereck immer wieder schrieb, Hirschfelds Eintreffen in New York angekündigt und ein "Ehrenkomitee" zu Hirschfelds Begrüßung vorgestellt, dass überwiegend aus Personen seines rechtsextre- men und deutschnationalen Dunstkreises bestand (siehe unten). Der "New York American", in dem Viereck auch nach Hirschfelds Eintreffen diesem Zeitungsseiten zur Darstellung seiner Eugenikpolitik freimachte - während das Blatt z.B. am selben Erscheinungstag, dem 30. November 1930, und teilweise auf derselben Seite wie Hirschfelds Ausführungen in einem großen Artikel eine Homestory zu Adolf Hitler brachte, angeblich geschrieben von Hitlers Halbbruder Alois, einem Kleinkriminel- len, der zu der Zeit in England lebte - gehörte ebenso wie der "San Francisco Examiner", der Hirschfelds Anwesenheit an der Westküste publik machte, zum Zeitungs- und Zeitschriften-Imperium des anti-asiatischen und pro-irischen Rassisten William Randolph Hearst, dessen Geschäftsprinzip der Sensationsjournalismus war und der bereits während des Ersten Weltkriegs die isolationistischen Gegner eines Kriegs- eintritts der USA publizistisch unterstützte und damit dem Deutschen Kaiserreich und seinen Kriegszielen half, um Großbritannien - noch Besatzungsmacht ganz Irlands - zu schwächen. Hearst, der vergeblich zum Amt des New Yorker Bürgermeisters und des Gouverneurs des Staates New York kandidierte, verfolgte Geschäftsinteressen, wenn er den großen Immigrantengruppen der Deutschen und der Iren in Amerika nach dem Munde schrieb. Mit dem "Deutschen Journal" ("America's Greatest German Newspaper") hatte er auch eine deutsche Zeitung für die USA in seinem Verlag, galt allgemein als deutschfreundlich, wurde gar der Kollaboration mit dem Kriegsgegner Deutschland geziehen, galt aber insbesondere als anti-britisch motiviert, worin er sich mit Viereck traf, dessen ideologischer Deutschnationalismus diesen zum erbitterten Gegner Englands machte. Weil Hearst zum Ende des Ersten Weltkriegs offen Deutschland unterstützte, wurden seine Zeitungen z.B. in Kanada und in einzelnen Städten der USA verboten, vielfach auch mit Boykottaufrufen belegt und schließlich vom britischen und französischen Nachrichten-Nachschub ausgeschlossen, sodass die Blätter fast nur noch deutsche Kriegsinformationen (-propaganda!) zum Weltkrieg brachten. Die "New York Times" forderte daraufhin ein kriegsrechtliches Verbot der Hearst-Presse, die New Yorker Staatsanwaltschaft ermittelte schließlich sogar gegen Hearst wegen seiner Unterstützung des Kaiserreichs. (Vgl. die Dissertation "Macht und Ohnmacht der Worte. William Randolph Hearst und der Weg der USA zur Weltmacht, 1898 - 1917" von Martin Bethke, der sich vielfach unkritisch auf Vierecks Angaben und damit letztlich auf Hearst selbst und die Deutschnationalen als Quellen stützt, Universität Jena 2001.) Hearsts Kino-Nachrichten-Kurzfilme wurden damals in den Stummfilm-Kinos immer wieder ausgebuht, wie dann auch in den 30er Jahren, als Hearst 1934 Hitler besuchte (den er vorher schon in den USA in seinen Medien populär zu machen versucht hatte) und sich vor der US-Präsidentenwahl 1936 mit seinen Medien gegen den im "New Deal" zum Volkshelden gewordenen Franklin D. Roosevelt stellte, der die Wahl jedoch mit über 60 Prozent der Stimmen gewann. Mit "America First!" meinte diese Szene immer nur das weiße Amerika der europäischen Kolonialisten und Einwan- derer. Hearst positionierte seine Blätter dann auch gegen den Versailler Friedensver- trag. Der "New York American" war auch im Zweiten Weltkrieg ein Sprachrohr der nun von Nazis und Antisemiten durchsetzten "America First"-Bewegung, zu der in beiden Weltkriegen auch Viereck zentral gehörte (siehe unten). Hier also wurde Hirschfelds Amerika-Besuch angekündigt und das "Ehrenkomitee" zu seiner Begrüßung vorgestellt. Wenn die MHG auf ihrer Webseite zu dem Hirschfeld-Bittbrief an Viereck vom 22. 10. 1930 schreibt: "Die journalistische Begleitung der USA-Reise Hirschfelds hat G. S. Vier- eck zuverlässig übernommen" (und zwar in den Blättern des Hearst-Konzerns, die auch schon das Erscheinen von Vierecks Büchern zuverlässig begleitet hatten!), so kann man die Bedeutung dessen nur ermesssen, wenn man die Unterstützung der Hearst- Presse für die deutschen Kriegsziele einerseits und die Begeisterung Hirschfelds für den Beginn des Ersten Weltkriegs durch den deutschen Überfall auf Russland, Belgien und Frankreich andererseits im Kopf hat. Es waren die Blätter der Deutschnationalen in den USA, die Hirschfelds Reise publizistisch begleiteten. Der Hearst-Konzern drehte mit seiner politisch-dokumentarischen Kurzfilm-Nachrichten-Produktionsgesellschaft "Hearst Metrotone News" nach Hirschfelds Ankunft in New York auch einen Kurzfilm mit Hirschfeld, der hier seine Theorien darlegte; er wurde in den "Newsreel"-Kinos in New York und anderen Städten gezeigt. Auch die "New York Evening Post", die über Vierecks Hirschfeld-Party berichtete, bediente vor allem die Deutsch-Amerikaner und war, bis 1918 im Besitz der Familie des deutschen Einwanderers Heinrich Hilgard / Henry Villard, ebenfalls wegen ihrer Haltung im Ersten Weltkrieg pro-deutscher Sympathien bezichtigt worden. Zu den Chefs der "Evening Post" gehörte im 19. Jahrhundert Carl Schurz: das Blatt hatte eine lange Tra- dition in der deutschen Kolonie, und es war Viereck, der in Artikeln in seiner eigenen Zeitschrift "Fatherland" ausgerechnet den verstorbenen internationalistischen Demo- kraten Carl Schurz zum "Führer" ("Wanted - A Leader"; "Where is the Leader") der Deutschnationalen in den USA aufzubauen versuchte, bevor er in Adolf Hitler diesen Führer auch für die Deutsch-Amerikaner zu erkennen glaubte. (Die zeitweise von Schurz in New York geführte Schifffahrtsgesellschaft "Hamburg-Amerika-Linie" HAPAG finanzierte durch Anzeigen die deutsch-amerikanischen Zeitschriften der Viereck Publishing Company mit, siehe unten.) Der angeblich so "begeisterte Empfang" für Hirschfeld 1930 in den USA, den die heuti- gen Apologeten immer wieder anführen (z.B. Bauer: "enthusiastic reception of Hirsch- feld in America", in Bauers Artikel "Magnus Hirschfeld: Panhumanism and the Sexual Cultures of Asia" von 2006, der auf der HU-HHA-Webseite online zu lesen ist. -- Was ist das eigentlich für ein Begriff: "Panhumanismus"? Gibt es auch einen "Humanismus", der Teile der Menschheit ausnimmt? Den "Humanismus" Mengeles etwa, der nicht "pan-", sondern nur "Arier"-bezogen das "Beste" nur für Deutsche wollte? Die Absurdi- tät des Begriffs zeigt Bauers nicht reflektierte, statt dessen wichtigtuerisch aufgebla- sene Sprache an, sonst nichts. Der Begriff "Panhumanismus", von Hirschfeld 1935 in "Phantom Rasse" benutzt, scheint tatsächlich etwa gleichzeitig von dem Nazi-Philoso- phen Gerhard Kränzlin ausgearbeitet zu sein, dessen Bücher in den 30er Jahren in demselben Leipziger Verlag "S. Hirzel" erschienen, der auch Gustav Freytags antisemi- tischen Roman "Soll und Haben" herausbrachte.) -- dieser Empfang Hirschfelds in New York, nun, war vor allem von Viereck über seine publizistischen Beziehungen in den deutschnationalen Kreisen organisiert worden, und zwar maßgeblich mittels der Hearst-Presse, in deren verschiedenen Lokal-Ausgaben über die USA hinweg immer wieder dieselben Artikel Hirschfelds und Vierecks erschienen. Es ist Erwin J. Haeberle, dem HHA und seiner HU-Webseite zu verdanken, dass der Kreis, der Hirschfeld in den USA empfing, überhaupt bekannt geworden ist. Allerdings wissen Haeberle und das HHA mit diesem Schatz nichts anzufangen. Denn der Zusam- menhang zu Vierecks Eugenik-Propaganda über die "Wandering Jew"-Trilogie und zu seiner Gruppe aus z. T. rechtsextremistsichen deutschnationalen Pangermanen wird erst durch die Analyse deutlich, die das BIFFF... vorliegend erstmals veröffentlicht. Der kleine Zeitungsausschnitt (unten), der seit Jahren schon auf der HHA-Webseite zu sehen ist, bezieht sich schon in der Überschrift auf Vierecks "love"-Konzept zur Züch- tung des Übermenschen: "Greatest Expert on Love To Study Romance in U. S." besagt in Wahrheit nichts anderes als das, und Viereck zitiert Hirschfeld dann auch mit dem Satz: "The marriage of the future will be made not in heaven, but in the laboratory". Die Liebenden haben nur noch dem höheren Ziel zu dienen und sich dem Diktum des Laborwissenschaftlers zu fügen, wie es Viereck im "Invincible Adam" seinen Maimonides sagen lässt und wie es Hirschfeld in den Zeitungsartikeln, die Viereck für ihn organi- sierte, selbst schrieb. Im letzten Abschnitt dieser Ankündigung Hirschfelds zählt Viereck die Personen auf, die das "honorary committee for his reception" in den USA bildeten: neben Viereck selbst waren dies Benjamin Barr Lindsey als "Vorsitzender", Harry Elmer Barnes, Harry Benja- min, Abraham Arden Brill, Mary Ware Dennett, Charles Fleischer, A. A. Goldwater, Horace Brisbin Liveright, William Josephus Robinson, Gregory Strangnell, Samuel Aaron Tannenbaum und Albrecht Paul Maerker-Branden. Viereck schreibt die Namen z. T. falsch: so hieß Robinson nicht "William B.", Maerker-Branden schrieb sich ohne "c" und Tannenbaum sprach sich englisch "Tennenbaum" aus, schrieb sich aber mit "a". So
präsentiert das Haeberle-Hirschfeld-Archiv der
Humboldt-Universität
zu Berlin den Zeitungsschnipsel von George Sylvester Viereck online: Klickt man auf den Schnipsel, erscheint er vergrößert so: (BIFFF...-Screenshots von der
HHA-Internetseite der Humboldt-Universität.)
Interessant ist der letzte Abschnitt mit
den Namen des "honorary committee", das Viereck für Hirschfeld
zusammenstellte. Im HHA erfährt man nichts weiter über die
dort genannten Personen; wir haben sie uns einmal näher angesehen
und können so erstmalig das geistige Umfeld beleuchten, in dem
sich Hirschfeld in den USA bewegte.
Wir haben die Personen recherchiert und werden sie im folgenden porträtieren (mit Ausnahme von A. A. Goldwater, zu dem wir bisher nichts finden konnten). Neben Ben- jamin und Robinson aus der "Weltliga für Sexualreform" waren dies Bekannte Vierecks aus der deutschnationalen Bewegung in den USA und aus Vierecks aktuellen Publika- tionsprojekten, desweiteren 1930 aktuell bekannte New Yorker Psychoanalytiker, eine gerade mit viel publizistischem Wirbel vor Gericht stehende Bevölkerungspolitikerin und ein damals international sehr bekannter Jugendrichter und Jugendpolitiker. Sie verbin- det untereinander und mit Hirschfeld ihr eugenisches Verständnis von "love" bzw. ihre Bekanntschaft mit Viereck, der mit diesem "Ehrenkomitee" Hirschfelds Wunsch aus sei- nem Bittbrief vom 22. Oktober 1930 an Viereck, "Einiges für einen würdigen Empfang vor[zu]bereiten", nachkam. Herausragend sind dabei selbstverständlich Viereck selbst und sein langjähriger Mit- streiter Harry E. Barnes, die sich beide dem Nationalsozialismus anschlossen, und Barnes dann auch dem Neonazismus und der Auschwitz-Leugner-Szene anschloss, deren führender Vertreter in den USA er wurde, was ihn zu einem Kronzeugen auch der deutschen Holocaustleugner und zu einem in Deutschland breit bekannten Objekt anti- faschistischer Kritik werden ließ, während Viereck in Deutschland kaum bekannt wurde. Aber auch der Extrem-Eugeniker Robinson und der Menschenexperimentator und Homosexuellen-"Heiler" Benjamin - der noch 1986 in seinem letzten Interview, das Erwin J. Haeberle mit ihm führte, von Viereck als "unserem gemeinsamen Freund" sprach, obwohl der wegen seiner Nazi-Unterstützung, seiner darin begründeten lang- jährigen Haftstrafe in den USA und seiner anschließenden Weigerung in den 50er Jahren, sich vom Nationalsozialismus zu distanzieren, längst zur breit bekannten poli- tischen Unperson geworden war -, beide enge Hirschfeld-Freunde, lohnen eine nähere Betrachtung. George Sylvester Viereck Viereck, den wir bereits 2008 kurz porträtierten, ist bis heute eine bekannte Größe in den USA, wenn es um den deutschen Einfluss auf die amerikanische öffentliche Mei- nung gegenüber dem Ersten Weltkrieg, der Revision des Versailler Vertrages und der Revision der Schuldzuweisung an Deutschland für diesen Krieg und gegenüber Nazi- Deutschland geht. Während sein dichterisches Werk überwiegend als das betrachtet wird, was es tatsächlich war: drittklassige Gebrauchsliteratur für die gesellschaftlich- moralisch desorientierte, ökonomisch prosperierende US-Mittelschicht mit deutschen Wurzeln, und der Bezug zu Hirschfelds Werk, der sich dort allerorten findet, ebenso ignoriert wird wie Hirschfelds Bezug auf Viereck in der neuen deutschen Hirschfeld- Rezeption seit den 80er Jahren, wird in den USA bis heute vor allem Vierecks politische Arbeit intensiv betrachtet. Erst kürzlich tauchte sein Name wieder in einem Internet- Blog auf, wo eine Parallele zwischen antisemitischen Angriffen auf den heutigen US- Finanzminister und den US-Notenbankchef und Vierecks Angriffen auf den US-Präsi- denten Woodrow Wilson gezogen wurde, der laut Viereck vor dem Ersten Weltkrieg mit "jüdischen Bankiers konspiriert" habe, um die US-Zentralbank zu errichten. Unzählige politik- und kulturwissenschaftliche Artikel und Bücher, die sich zentral oder am Rande mit Viereck befassen, sind vor allem in den USA erschienen. Zahlreich sind die sich oftmals widersprechenden und teilweise erkennbar falschen Angaben, die man im Internet (auch über seinen Vater Louis) finden kann. Schon 1943 hatte der antifaschistische Enthüllungsjournalist Avedis Boghos Derounian unter seinem Pseudonym John Roy Carlson Vierecks Aktivitäten für Nazi-Deutschland in dem Buch "Under Cover. My Four Years in the Nazi Underworld in America" (Dutton, New York) zusammengetragen. 1971 hatte die Havard-Professorin Phyllis Keller im Journal of Interdisciplinary History (Vol. 2, 1, 1971, pp. 59-108) ihre lange Studie "George Sylvester Viereck: The Psychology of a German-American Militant" veröffentlicht, in der sie Viereck als "spokesman for militant pro-Germanism" während des Ersten Weltkriegs und als "one of the major pro-Nazi propagandists" bezeichnete. (Die Studie konnte hier noch nicht vollständig ausgewertet werden.) Eine oberflächliche und teilweise auch fehlerhafte Kurzbiographie über Viereck veröf- fentlichte 1968 aufgrund des nachgelassenen Materials in den Archiven der Bibliothe- ken der University of Iowa Niel M. Johnson: "George Sylvester Viereck: Poet and Pro- pagandist", erschienen in der 9. Ausgabe von "Books at Iowa", einer Schriftenreihe der Universität; die "Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V." verlinkt hierauf bei ihrer Inter- net-Veröffentlichung des Hirschfeld-Briefes an Viereck vom 22. Oktober 1930 im Jahr 2005, ohne jedoch die Bedeutung Vierecks zu erkennen. 1972 ließ Johnson eine wesentlich erweiterte Buchausgabe folgen: "George Sylvester Viereck. German-Ameri- can Propagandist" (University of Illinois Press). Mit dieser Biographie bestimmte John- son weitgehend das heutige Bild Vierecks. Lamar Cecil hatte sich 1976 in seinem Artikel "Wilhelm II. und die Juden" in dem von Werner E. Mosse herausgegebenen Sammelband "Juden im Wilhelminischen Deutsch- land 1890 - 1914" (London, Tübingen 1976/1998) intensiv mit Viereck und seiner Beziehung zum entmachteten Kaiser Wilhelm II. auseinandergesetzt, der Viereck in den 20er Jahren mit antisemitischen Briefen bombardierte, die Viereck - um die schlimmsten Ausfälle entschärft - in Hearst-Blättern wie dem "New York American" veröffentlichte. 1978 brachte der jüdisch-amerikanische linksliberale Bürgerrechts-Anwalt Elmer Gertz seine persönliche Abrechnung mit Viereck heraus, die er schon Ende der 40er Jahre geschrieben hatte, die aber damals niemand drucken wollte: "Odyssey of a Barbarian: The Biography of George Sylvester Viereck" (New York). Er hielt Viereck für einen begnadeten Poeten (der seine Gedichte in den USA zuerst mit Hilfe deutsch-jüdischer Emigranten publizierte), der ihn dann mit seiner pro-Nazi-Politik bitter enttäuscht hatte. Neben Stablefords oben angeführter literaturkritischer Studie von 2007 zu Vierecks "Wandering Jew"-Trilogie erschienen jüngst erst wieder zwei Studien, die sich mit Vierecks Rolle in der deutsch-freundlichen Propaganda in den USA befassen. Peter Conolly-Smith von der City University of New York schrieb 2009 im "Columbia Journal of American Studies" (Vol. 9, Fall 2009, pp. 48-83) den Artikel "Casting Teutonic Types from the Nineteenth Century to World War I: German Ethnic Stereotypes in Print, on Stage, and Screen" mit langen Passagen zu Vierecks Kritik an anti-deutschen US- Filmen der Erste-Weltkriegs-Zeit. Gregory J. Kupsky behandelt im Jahr 2010 in seiner Dissertation "'The True Spirit of the German People'. German-Americans and National Socialism 1919 - 1955" (Ohio State University, Columbus, Ohio) in dem großen Kapitel "'Hitler or Chaos': George Sylvester Viereck and Ethnic Chauvinism" Vierecks Politik und politische Publizistik in den 10er bis 40er Jahren. Allen Autoren fehlt weitgehend die Kenntnis der "Konservativen Revolution" als literari- sche Bewegung der Vordenker und (nur wenig kritischen) Begleiter und Mittäter des Faschismus und Nationalsozialismus und folglich das Verständnis der Rolle Vierecks hierin als ihr US-amerikanischer Vertreter seit dem Beginn des Zwanzigsten Jahrhun- derts. In Johnsons Arbeiten wird sogar Vierecks Verharmlosung des Antisemitismus weitgehend ausgespart. Gertz versteht den Zusammenhang von Vierecks Handeln durch die Jahrzehnte nicht und teilt ihn in verschiedene Leben des Poeten und des Politikers auf. Stableford fehlt jedes Verständnis für den Zusammenhang zwischen Fantastischer Literatur und Topoi der faschistischen Literatur und Ideologie. Auch Kupsky ist nicht in der Lage, die Beziehung zwischen Vierecks poetischem Werk und seiner politischen Agitation zu erkennen und darzustellen. Allen (außer Stableford) gemeinsam ist jedoch die eindeutige Einordnung Vierecks als dem bis heute in den USA prominentesten deutsch-amerikanischen Unterstützer der Kriegsziele des Deutschen Kaiserreiches, des Kaisers Wilhelm II. als Person, der Revision der deutschen Kriegsschuld und der Propaganda für das untergegangene Kaiserreich während der 20er Jahre und der bedingungslosen Unterstützung Nazi- Deutschlands. Weitgehend gemeinsam ist ihnen auch, dass sie Hirschfeld nicht kennen und daher unerwähnt lassen (mit Ausnahme von Johnson, der Hirschfeld am Rande erwähnt. Allerdings findet sich in den vielen Briefen der Viereck-Sammlung der University of Iowa, auf die sich Johnson stützte, auch kein einziger Brief von oder an Hirschfeld, auch nicht in der zweiten großen Viereck-Sammlung der Yale University Library in New Haven, Connecticut.) Andererseits verweist dies auf die völlige Unbedeutendheit Hirschfelds in den USA - im Gegensatz zu den Erfindungen Haeberles und anderer -, denn Vierecks sexualreformerische Agitation, seine (auch homo-) erotische Dichtung, die ihm bisweilen unterstellten eigenen homoerotischen Neigungen, seine bei der University of Iowa gut dokumentierten Kontakte zu Alfred C. Kinsey und seine Versuche, sich mit Hinweisen auf seine jüdischen Freunde vom Vorwurf des Nazismus reinzuwaschen, hätten sehr wohl auf die Verbindung der beiden verweisen können. Weil aber in keiner US-amerikanischen Diskussion außerhalb des sehr engen Kreises um das Kinsey-Institut und die insbesondere von Haeberle mit beeinflussten zweifelhaften Sex-Institute in San Francisco und Orlando Hirschfeld irgendeine Rolle spielt - und ganz bestimmt nicht in der Bürgerrechtsbewegung der Schwulen, Lesben und Transsexuellen der USA, wo man nicht einmal seinen Namen, geschweige denn die Inhalte seiner Schriften kennt! - sind die wechselseitigen inhaltlichen Einflüsse der beiden aufeinander und ihre gegenseitigen Unterstützungen für ihre Veröffentlichungen bisher kein Gegenstand der Forschung geworden. Der sechzehn Jahre ältere Hirschfeld lernte George Sylvester Viereck wohl als Fünfjäh- rigen während seiner kurzen Münchner Studienzeit 1889/90 kennen, und zwar im Hause des bereits aus der Sozialdemokratie ausgeschiedenen Louis Viereck und seiner amerikanischen Frau Laura, mit denen sich Hirschfeld befreundete. Der 1851 in Berlin unehelich geborene Franz Georg Edwin Louis Withold war Sohn der preußischen "königlichen Hofschauspielerin" Edwina Viereck ("als Salondame vortrefflich" auf der Bühne: Deutscher Bühnen-Almanach 1857) und - so verbreitete es Louis selbst im 19. Jahrhundert und auch sein Sohn George Sylvester im 20. Jahrhundert - des preußi- schen Thronfolgers Wilhelm Friedrich Ludwig von Hohenzollern: späterer König Wilhelm I. von Preußen und noch späterer Reichsgründer und Deutscher Kaiser Wilhelm I. Louis war also ein Halbbruder des Deutschen Kaisers Friedrich III., sein Sohn George Syl- vester somit eine Art "Halbcousin" von Friedrichs Sohn Kaiser Wilhelm II. Allerdings behauptete Hirschfelds Mitstreiter Eugen Steinach, der von George Sylvester verehrt wurde, in den 20er Jahren, dies sei alles erlogen. Belastbare Quellen fehlen offenbar für die eine wie für die andere Aussage, doch George Sylvesters Vater Louis wird bis heute breit als "illegitimer Sohn" des späteren Kaisers Wilhelm I. ausgegeben, der sodann von einem weniger prominenten Mitglied der Hohenzollern-Familie, als es der Thronfolger war, als Sohn "übernommen" und offiziell anerkannt wurde, um den Skandal zu vermeiden. Die lebenslange Freundschaft Hirschfelds zu George Sylvester Viereck rührte her von seiner tiefen, wenngleich erst einmal nur kurz lebbaren Freundschaft zu Louis Viereck, der mit seiner Familie 1896/97 in die USA auswanderte und erst 1911 bis 1921 wieder in Berlin lebte. Louis, der ein Medizinstudium abgebrochen und ein Jurastudium zwar mit einem Univer- sitätsabschluss, aber letztlich ohne Staatsexamen beendet hatte, war nach Referen- dariatstätigkeiten bei preußischen Gerichten 1877 der Sozialdemokratie beigetreten und arbeite ab 1878 für sozialdemokratische Blätter als Journalist und Verleger, musste aufgrund des Sozialistengesetzes schon Anfang 1879 Berlin nach Leipzig hin verlassen, wo er trotz fehlender betriebswirtschaftlicher Kenntnisse zum (wenig erfolgreichen) Geschäftsführer der (unter dem Sozialistengesetz getarnt für die Partei geführten) Leipziger Genossenschaftsdruckerei und privat ihr finanzieller Teilhaber wurde; mit den in Leipzig ansässigen Parteiführern August Bebel und Wilhelm Hasenclever arbeitete er dabei eng zusammen, musste aber nach Verhängung des Belagerungszustandes über Leipzig (zur Unterdrückung der dort starken Sozialdemokratie) nach München fliehen, wo er weitere Zeitschriften und Verlage für die illegale Sozialdemokratie gründete und führte. Bei diesen Blättern hatte er oftmals pro forma gegenüber dem Staat als Privat- person die Verlagsrechte inne, was ihm offenbar "nebenbei" zu einem kleinen Privatver- mögen verhalf. Briefwechsel mit Karl Marx und Friedrich Engels über taktische Fragen der Parteipresse, ihren für Vierecks Geschmack zu radikalen Ton u.a. sind in den Jahren 1879 bis 1881 bekannt. Anfang 1881 schickte die Parteispitze Viereck in die USA auf eine Geld- Bettelreise, die als Vortragsreise über die deutsche Sozialdemokratie und den Sozialis- mus stattfand; er brachte zur Finanzierung des Reichstagswahlkampf 1881 ganze "fünfzehntausend Mark Reinertrag" von der Reise zurück (schreibt August Bebel in "Aus meinem Leben", Kapitel 18; andere wollen von 30.000 Mark oder 13.000 Mark wissen), und zusätzlich seine amerikanische Ehefrau Laura, die angeblich seine Cousine war und Tochter eines nach der gescheiterten 1848er Revolution aus Deutschland nach Ame- rika emigierten Revolutionsteilnehmers; sie brachte am 31. Dezember 1884 in München George Sylvester zur Welt. Seit 1882 war Louis in München, wo er nun meistens lebte, offizieller Eigentümer (als Tarnung unter dem Sozialistengesetz), Redakteur und geistiger Kopf der liberal-sozial- demokratischen "Süddeutschen Post", die 1884 verboten und 1888 von Viereck als "Münchner Post" wiederbegründet wurde. Lange Zeit war Louis Viereck ein offener Anhänger und Propagandist des anti-marxisti- schen "natürlich-organischen" Sozialismus Eugen Dührings, seiner "organischen Volks- wirtschaftslehre" und seiner "sozialen organischen Form der Gesellschaft", dessen dann weiter entwickelte antisozialistische, antisemitische und antifeministische Ideen zu einem "Sozialismus des arischen Volkes" (Dühring) führen sollten. Louis Viereck propa- gierte Dühring, der an der Berliner Universität lehrte, um 1880 herum auch im "Mohren- club", einem Treff sozialdemokratischer Politiker der innerparteilichen "Dühring-Bewe- gung" in der Berliner Mohrenstraße, dessen Vorsitz Viereck inne hatte. Dührings Philo- sophie verwies schon früh auf die faschistische formierte Gesellschaft; gegen seine zahlreichen Anhänger in der deutschen Sozialdemokratie kämpften insbesondere Fried- rich Engels und August Bebel vehement an, weshalb Engels' "Anti-Dühring" von 1878, in dem die Irrationalität des frühen Dühring bloßgelegt wird, als eine der ersten antifa- schistischen Schriften angesehen werden kann! Mit seinem Pamphlet "Die Judenfrage als Rassen-, Sitten- und Kulturfrage. Mit einer Weltgeschichtlichen Antwort" von 1881, das den späteren NSDAP-Chefideologen Houston Stewart Chamberlain maßgeblich beeinflusste, war Dühring dann gänzlich ins Fahrwasser des Vernichtungsantisemitis- mus eingetaucht und gilt als Vorläufer des Nazismus. Für Louis Viereck war weniger die (erst später ausformulierte) antisemitische Ausrichtung als vielmehr die anscheinend an der Natur orientierte "organische" (und das heißt zuerst: anti-aufklärerische und anti-liberale), auf "das Interesse des Ganzen und der Ordnung" (die nicht weiter hin- terfragte, sondern als natürlich vorgegeben angenommene "Ordnung", so Dühring 1866 in der Vorrede zu seiner "Kritischen Grundlegung der Volkswirtschaftslehre") gerichtete Stoßrichtung von Dührings Weltanschauung und Gesellschaftstheorie interessant, die Louis - wie sein Sohn George Sylvester! - auch im 20. Jahrhundert weiter vertrat. Es wäre näher zu betrachten, inwieweit Hirschfelds "Menschheitsassimilation" und der von ihm gemeinsam mit George Sylvester Viereck angestrebte "Einigungsprozess" des deutschen Volkes im Ersten Weltkrieg und in der Weltwirtschaftskrise sich aus der prä- faschistischen organizistischen Gesellschaftslehre des frühen Dühring speist, die Hirschfeld als noch sehr junger Mann - und damit prägend - im Hause Viereck kennen- lernen konnte -- in einer aufregenden Zeit für die Viereck-Familie, als nämlich Louis aus der Sozialdemokratie völlig hinausgedrängt wurde und sich (mit seinem abgebro- chenen Medizinstudium!) der Naturheilbewegung anschloss, zu der sich Hirschfeld ja ebenfalls bekannte. Klar ist aufgrund unserer früheren Recherchen, dass dem dann schon als antisemitischer Agitator bekannten Dühring auch Ideologen aus dem Umfeld des Hirschfeld-Mitarbeiters Arthur Kronfeld anhingen, selbst wenn diese aus früher jüdischen Familien stammten. Dass der späte Dühring Antisemitismus, Antifeminismus und Homophobie verband (worauf Herzer in seiner äußerst mangelhaften Hirschfeld- Biographie richtigerweise hinweist - ein das heutige Hirschfeld-Bild prägendes Buch, das Hirschfelds Freundschaft zu Louis <dort: "Ludwig"> Viereck nur einmal am Rande und seine lebenslange Freundschaft zu George Sylvester Viereck gar nicht erwähnt!), stand dem offenbar nicht entgegen, auch nicht der Dühring-Verehrung des direkten Hirschfeld-Mitarbeiters Benedict Friedlaender, ebenfalls aus jüdischer Familie stam- mend, auf die Herzer hinweist. Für die Sozialistische Arbeiterpartei August Bebels und Wilhelm Liebknechts wurde Louis Viereck bei der überraschend guten Reichstagswahl von 1884 bis zur Neuwahl 1887 einer von zwei Dutzend sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten, und zwar für den Wahlkreis Leipzig-Land, nachdem er schon 1878 und 1881 vergeblich kandidiert hatte, u.a. als Zählkandidat in Magdeburger und Berliner Wahlkreisen (damals waren Mehrfachkandidaturen bei einer Wahl in verschiedenen Wahlkreisen möglich). 1887 wurde er trotz erneuter Kandidatur nicht wiedergewählt. Im Handbuch des Reichstages von 1884 wurde er als "Sozialdemokrat" (Mitglied des SPD-Vorläufers "Sozialistische Arbeiterpartei", die sich nach dem Fall des Sozialistengesetzes 1890 in Sozialdemokra- tische Partei Deutschlands SPD umbenannte) und konfessionsloser (er war aus der evangelischen Kirche ausgetreten; Johnson nennt ihn "agnostic pantheist") Journalist in München erwähnt. Die Protokolle des Reichstages enthalten eine stundenlange Rede Vierecks am 24. 03. 1886 zur von ihm mitbeantragten Aufhebung des Dynamitgesetzes ("Gesetz gegen den verbrecherischen und gemeingefährlichen Gebrauch von Spreng- stoffen", das wegen der politischen Attentate, wie z.B. dem gescheiterten auf Kaiser Wilhelm I. - Louis' Vater! - und den ganzen Hofstaat bei der Einweihung des Nieder- walddenkmals 1883, beschlossen worden war) wegen der Benachteiligung der Arbeiter der Sprengstoff- und Metallindustrie durch die Kontrollvorschriften des Gesetzes, und am 18. 09. 1886 zur Aufhebung des Belagerungszustandes über Leipzig, weiterhin eine Rede zum Post- und Telegraphen-Etat. 1886 war Viereck in einem groß angelegten Strafprozess mit anderen Prominenten der Partei, darunter Bebel, Auer und Vollmar, wegen des Vorwurfs, eine unter dem Sozialistengesetz illegale sozialdemokratische Organisation gründen zu wollen, zu neun Monaten Haft verurteilt worden. Voran gegangen war am 03. 04 1883 Vierecks Festnahme auf dem Bahnhof von Kiel (gemein- sam mit Prominenten der Parteispitze wie Vollmar) nach der Teilnahme an dem wegen des Sozialistengesetzes in Kopenhagen illegal stattfindenden Parteitag; dabei war von der Polizei eine Schrift "Entwurf einer geheimen Organisation der Sozialdemokratie" beschlagnahmt worden, die Staatsanwälte des Königreichs Sachsen zum Anlass der Anklage wegen "Geheimbündelei" nahmen (§ 129 des Reichsstrafgesetzbuches, der die Teilnahme an einer Verbindung, zu deren Zweck und Beschäftigung es gehört, Maß- regeln der Verwaltung oder Vollziehung von Gesetzen durch ungesetzliche Mittel zu verhindern, mit Gefängnis bis zu einem Jahre bedrohte). Das Strafverfahren zog sich nach dem anfänglichen Freispruch, der durch das Reichsgericht wieder aufgehoben worden war, bis 1886. Louis Viereck wurde mit weiteren Strafverfahren wegen der Teilnahme an - unter dem Sozialistengesetz illegalen - Versammlungen im Reich und wegen Beleidigung über- zogen, die wegen seiner Parlamentszugehörigkeit jedoch durch Reichstagsbeschluss ausgesetzt wurden. Nachdem er 1887 nicht mehr gewählt worden war und die Erfah- rung der neunmonatigen Haftstrafe wegen seiner Teilnahme am Kopenhagener Partei- tag usw. hatte machen müssen, wollte er 1887 nicht mehr offen zum Parteitag im schweizerischen St. Gallen aufrufen; wegen dieser als unsolidarisch gewerteten Feigheit vor den Bedrohungen durch das Sozialistengesetz wurde er vom Parteitag von St. Gallen im Oktober 1887 gerügt; dort wurde als Resolution die Erwartung beschlos- sen, dass ihm und weiteren, die ebenso gehandelt hatten, in Zukunft keine Vertrauenspositionen der Partei mehr überantwortet würden. (Es war nicht der Parteitag von Wyden, wie es fälschlich in der Internet-Datenbank "biosop. Biographien sozialdemokratischer Parlamentarier in den deutschen Reichs- und Landtagen 1867 bis 1933" von Wilhelm H. Schröder, Zentrum für Historische Sozialforschung im Leibniz- Institut für Sozialwissenschaften der Universität Köln, heißt und sich von dort ver- breitet, denn Wyden fand 1880 statt, St. Gallen dagegen 1887.) Louis Viereck wird von den heutigen Hirschfeld-Apologeten wegen seiner Freundschaft zu ihrem Idol gerne dafür genutzt, Hirschfeld als einen braven Sozialdemokraten vor- zustellen. Dabei wird Vierecks zunehmende Ausgrenzung aus der Sozialdemokratie und seine Propaganda für den prä-faschistischen Eugen Dühring verschwiegen. Wie Wilhelm Blos in seinem zweibändigen Buch "Denkwürdigkeiten eines Sozialdemokra- ten" (München 1914/1919) schrieb, habe sich Louis Viereck, der ohnehin "innerlich wohl nie Sozialdemokrat gewesen" sei, nach der Parteitagsrüge von St. Gallen schnell von der Partei abgewandt. Blos weist auch darauf hin, dass Louis - wie er selbst - Burschenschaftler war, und zwar als Korpsstudent im vollen Wichs ein "Marburger Teutone". (L. V. war Mitglied des Corps Teutonia Marburg und des Corps Normannia Berlin.) Tatsächlich jedoch kam es erst 1889/90 zu einem Zerwürfnis mit dem bayri- schen SPD-Vorsitzenden Georg von Vollmar, weshalb Viereck die "Münchner Post" ver- lassen musste, die er gerade erst wieder unter dem noch geltenden Sozialistengesetz getarnt für die Partei als Privatverleger gegründet hatte und die dann nach diesem Zerwürfnis erst von Vollmar, dann nach dem Fall des Sozialistengesetzes 1890 von der Partei direkt übernommen wurde. (Ein Buch über "Louis Viereck und seine Münchner Blätter für Arbeiter 1882 - 1889" von Ulrich Hess und Margot Lindemann erschien schon 1961, konnte hier aber nicht ausgewertet werden.) August Bebel äußerte sich in seiner Autobiographie "Aus meinem Leben" nur am Rande über Louis Viereck, und zwar äußerst distanziert und ihn beschuldigend, aus innerparteilichen Streitigkeiten um den taktischen Kurs der illegalen Sozialdemokratie nur für sich selbst Kapital schlagen zu wollen. Eduard Bernstein, mit dem Viereck anfänglich in der "Dühring-Bewegung" zusammengearbeitet hatte, nannte ihn schon vor der Wahl 1884 in einem Brief an Friedrich Engels einen "sehr unsicheren Kantonisten", was er politisch meinte, nachdem es auch schon viel Kritik an Vierecks "unproletarischem" Auftreten während der Ame- rika-Reise 1881 gegeben und Engels am 18. 01 1884 an Bebel geschrieben hatte, Vier- eck und sein Begleiter Friedrich Wilhelm Fritzsche hätten in den USA "den Parteistand- punkt ins Vulgärdemokratische, Biedermännisch-Philisterhafte" verfälscht, was duch "keine Summe von amerikanischem Geld" wieder gut gemacht werden könne. Karl Kautsky (später einer der Hauptförderer eugenischer Konzepte in der SPD) hatte sich 1885 in einem Brief an Engels von Viereck distanziert, zu dem es "so weitgehende prin- zipielle und taktische Differenzen [gibt], dass ich ein Zusammenarbeiten mit ihm für unmöglich halte." Spott erntete Louis Viereck wegen seiner angeblichen Abstammung von Wilhelm I., was damals bereits in der Sozialdemokratie kolportiert wurde. Als Viereck auf einer Arbeiterversammlung im August 1885 in München gesagt hatte, der Kaiser würde bestimmt mehr für die armen Arbeiter tun, wenn er wüsste, wie schlecht es ihnen gehe, und sich daraufhin Protest gegen Viereck in der sozialdemokratischen Presse erhob, reagierte auch Friedrich Engels: an Karl Kautsky schrieb er am 06. 09. 1885: "Der Mann will sich liebes Kind bei seinem Papa machen." An Hermann Schlüter in Zürich schrieb Engels am 23. 09. 1885: "[] ist unverbesserlich. Der Appell an seinen Papa ist rührend. Der Alte wird ihm die Rute geben." Hier hatte Engels bereits ein Vier- eck "[]" gezeichnet, um L. V. zu bezeichnen! Nach seinem Ausscheiden aus der Sozialdemokratie war Louis Viereck von 1890 bis 1894 in München und bis zur Auswanderung in die USA 1896 in Berlin für die Natur- heilkundebewegung tätig, wo er u.a. 1890 Vorsitzender des Vereins für naturgemäße Gesundheitspflege in München und in Berlin Vorsitzender des Nationalvereins zur Hebung der Volksgesundheit war. Es brachte nun Gesundheitszeitschriften wie die "Hygienische Korrespondenz" oder "Die Gesundheit" heraus. In den USA, wo ihm alte Verbindungen zu Exilanten der gescheiterten bürgerlichen 1848er Revolution, die zu Geld gekommen waren, ebenso wie Bekanntschaften aus seiner Parteireise 1881 und die Verwandtschaft seiner amerikanischen Frau Laura für den Neubeginn nützlich waren, baute Louis Viereck von New York aus Zeitschriften und Verlage für die große deutschsprachige Einwandererkolonie auf. Er engagierte sich für muttersprachliche Schulausbildung und die Übernahme der deutschen Sprache als Amtssprache der USA oder zumindest in Teilen der USA. 1901 US-naturalisiert, brachte er 1902 gemeinsam mit dem United States Office of Education die Schrift "German Instruction in American Schools" heraus. Seine politisch-kulturellen Pamphlete zu Einzelthemen des Deutschtums und seine Zeitschriften wie "Der deutsche Vorkämpfer" (monatlich erschienen ab 1907 in der "Viereck Publishing Company": "Directors: L. Viereck, President; George Sylvester Vier- eck, Vice-President and Secretary", wie es im Mai 1908 im Impressum hieß; G. S. V. wurde 1911 President der Firma; Einzelheft in den USA 10 Cent, im Jahresabo einen Dollar und vier Mark "im Deutschen Reiche oder dessen Kolonien" bzw. fünf Kronen in Österreich-Ungarn; ab 1911 doppelter Preis; mindestens 10.000 Exemplare Auflage nach eigener Angabe 1910) und dem zweisprachigen Nachfolgeblatt "Rundschau zweier Welten / Review of Two Worlds" (ab 1911), ab 1912 zusätzlich auch "The Internatio- nal", in denen dann auch sein Sohn schrieb und redigierte und die George Sylvester schon ab 1909 in alleiniger publizistischer Verantwortung, ab 1910/11 als "President" des Verlags und "Schriftleiter" (Chefredakteur) führte, enthielten praktische Hinweise zur Einwanderung, Situationsbeschreibungen deutscher Kolonien in US-Bundesstaaten ("Zustand des Deutschtums in ..."), regelmäßige Wirtschafts- und Handelsnachrichten (denn deshalb war man ja nach Amerika ausgewandert!), "Arbeitsmarkt"-Übersichten zu Stellenangeboten von und für Deutschstämmige in den USA (z.B.: "Lediger, erfah- rener Mann für allgemeine Farm- und Molkereiarbeit. Muss gut melken und mit Pferden umgehen können. $20-$25 Monatslohn"; ohne Erfahrung gab es dann auch nur 10 bis 15 Dollar im Monat -- da zahlten ja sogar die ostelbischen Landjunker im fernen Reich mehr als Vierecks Anzeigenkunden!) und die ständige Agitation aus der Feder George Sylvesters und anderer gegen die beginnende Prohibitionsbewegung (wegen der vielen deutschen Bierbrauer in den USA, die in Vierecks Zeitschriften annoncierten und sei- nem Verlag so Geld einbrachten; das war zeitlebens der einzige Dissenz zwischen dem anti-Alkohol-bewegten Hirschfeld und G. S. V.!), Literaturhinweise auf neue deutsche Bücher und "amtliche Anzeigen des kaiserlich-deutschen Generalkonsulates" sowie Werbeanzeigen für deutsche (Naturheil-) Ärzte, für deutsche Inkasso-Unternehmen, die gegen verarmte Einwanderer vorgingen, für die Dampfschifflinien in die alte Heimat, für Leasing-Firmen, die Schreibmaschinen mit deutschen Schrifttypen ausliehen, und so weiter und so fort. Mehr und mehr schaffte es Viereck, neben den großen Schiff- fahrts-Linien (die HAPAG und dann auch der Norddeutsche Lloyd kauften ganze Sei- ten in seinen Heften) auch andere finanzkräftige Anzeigenkunden für seine Blätter zu gewinnen: Großbrauereien wie Anheuser-Busch und Pabst, deutsche Luxus-Restau- rants in New York, Wein- und Champagne-Vertriebe oder auch den Steinway-Piano- hersteller, die mit Großannoncen die Existenz der Viereck Publishing Co. sicherten. Schon bald florierte sein Geschäft mit den Deutschen und dem Deutschtum. Die redaktionellen Beiträge waren immer auch von ungebändigtem Chauvinismus geprägt. "Für die deutsche Sache einstehen" ("Vorkämpfer" 1908) war eben im begin- nenden 20. Jahrhundert und im Zeitalter des Imperialismus weniger völkische Brauch- tumspflege mit "deutschem Turnverein in Texas", "deutscher Sangeskunst" und den monatlichen Treffen des "Verbandes alter Korpsstudenten" ("Der Bezirksverband New York hat seine regelmäßigen Zusammenkünfte in Farben auf der Kneipe, 54 Second Avenue"), die im "Deutschen Vorkämpfer" angekündigt wurden, als viel mehr eine politisch-wirtschaftliche Parole; wenn zu "Fichte-Feiern" anlässlich des Jahrhundert- Jubiläums der anti-napoleonischen, chauvinistischen "Reden an die deutsche Nation" aufgerufen wurde, waren nationalistischer Pathos des aktuellen, wenn auch fernen, Kaiserreiches und Hass auf Fremdes ebenso wie Fichtes Hass auf Juden ebenso mitge- dacht wie Fichtes "Antiimperialismus" gegen das mit Napoleons Armeen den ganzen europäischen Markt erobernde französische Kapital. Auf der Grundlage des Wilhelminis- mus wollte Louis Viereck in Amerika mit den deutschen Einwanderern eine "Aristokratie des Denkens und Empfindens" (L. V.) errichten. Darin war er der erfolgreiche Lehrer seines Sohnes George Sylvester. Wenn z.B. im "Deutschen Vorkämpfer" vom Januar 1908 (Ausschnitte siehe unten) der Nachdruck eines Artikel aus den "Alldeutschen Blättern" des berüchtigten "Alldeutschen Verbandes" (Carl Peters, Heinrich Claß) zu lesen war mit dem Satz: "Seit sehr vielen Jahrtausenden hängt die Kultur der Mensch- heit hauptsächlich von unserer arischen Rasse ab", und dieser Artikel im redaktionellen Vorspann besonders empfohlen wurde, dann kann man sich vorstellen, wie die Leserin- nen und Leser des Blattes auch im "liberalen" Norden der USA ihre schwarzhäutigen Hausbediensteten behandelten, die sich partout nicht erbleichen ließen. Agitation gegen "die Mittelmäßigkeit der großen Volksmassen" im selben Artikel lässt erkennen, was Vierecks "Aristokratie"-Plan für Arbeiterinnen und Arbeiter bedeuten würde, deren Interessen der frühere Weggefährte August Bebels schon lange nicht mehr vertrat. "Die deutsche Geisteskultur", so hieß es hier weiter, müsse "die Führerin der Mensch- heit" werden, "das Deutschtum in den Staaten muss es sich zum Ziele setzen, diesem Lande die Sprache seiner Geistes-Aristokratie zu geben." Das war der Sinn der Titels "Der deutsche Vorkämpfer" und eine Version von "Menschheitsassimilation". Und selbstverständlich wollten viele viele deutsche Einwanderer mit diesem Chauvinis- mus gar nichts zu tun haben, das sollte man nicht vergessen. Die pangermanische Agitation der Deutsch-Amerikaner durch die beiden Vierecks stand von Anfang an unter der Parole: Am deutschen Wesen soll die Welt genesen, die auf die USA angewandt wurde. Die deutschen Einwanderer sollten die führende Kraft der USA werden. Die Agitation war rassistisch, chauvinistisch und elitistisch, gegen die Demokratie als Staatsform gerichtet, den Kaiser Wilhelm II. als gottgleichen Führer verehrend, der auch die sich angeblich in den USA entwickelnde "arische" Unterrasse Nordamerikas zur Weltherrschaft führen sollte. Dabei fand George Sylvester mehr und mehr zur Distanz gegenüber der Erbmonarchie zugunsten der faschistischen Wahl- führerschaft bei gleichzeitig fortgesetzter Verehrung Wilhelms II., der - so schrieb er 1909 - so genial sei, dass er von den Deutschen sowieso auch gewählt würde. "Der deutsche Vorkämpfer" und seine Nachfolgerin "Rundschau zweier Welten" sowie die von George Sylvester für den Verlag hinzugekaufte Literaturzeitschrift "The Internatio- nal", die G. S. V. 1912 mit der "Rundschau" verschmolz, wurden mit der Ver schärfung der internationalen wirtschaftlichen und politischen Lage im Vorfeld des Ersten Welt- kriegs immer hetzerischer und radikaler. Im "literarischen" Teil der Zeitschriften erschienen auch Erstabdrucke von George Syl- vesters Poetik und Romanen, z.B. in Fortsetzungsfolgen eine deutsche Version seines Buches "The House of the Vampyre", das bereits Themen der "Konservativen Revolu- tion" im Stil der Fantastik bearbeitete. Viereck Vater und Sohn zogen mit dieser Publi- zistik für deutsche Einwander/innen an einem gemeinsamen Strang. "Der Deutsche
Vorkämpfer":
Um noch mehr Geld aus
den anfänglich oftmals hilflosen deutschen Einwanderern, die fast
alle zuerst in New York landeten, pressen zu können, hatten die
Vierecks den "Einwanderungsausschuss" des "Deutschamerikanischen
Nationalbundes" in New York übernommen: mit Louis als "Vorsitzer"
und seinem Sohn, der jetzt nur noch "Georg" statt nach seinem
englisch-amerikanischen Taufnamen George hieß, als seinem Stell-
vertreter. Louis trat zeitweilig öffentlich nur noch als "L.
Viereck" in Erscheinung, um wegen seines französischen Vornamens
keine Irritationen auszulösen. Louis' Schrift "Leitfaden für
deutsche Einwanderer" wurde zu einem Verkaufsschlager des Aus-
schusses. Die University of Wisconsin hat Exemplare der Viereck-Zeitschrift online gestellt. Weltweit kann man nachlesen, um wen es sich bei den Hirschfeld-Freunden Louis und George Sylvester Viereck eigentlich handelte. Das Blatt brachte Arier-Wahn als "zeitgemäße Betrachtung" ... ... und machte klar, wie unter der erstrebten Vorherrschaft der weißen "Rasse" die >Menschheitsassimiliation< aussehen solle: (Nebenbei: Magnus Hirschfeld hatte schon 1884 einen Artikel "Traum einer Weltsprache" geschrieben.) George Sylvester Vierecks schon als "konservativ-revolutionär" zu wertendes Vampir-Buch als Fortsetzungsgeschichte, beginnend im selben Heft Januar 1908 des "Deutschen Vorkämpfers": März-Ausgabe des "Deutschen Vorkämpfers" 1908 mit George Sylvester Viereck im Impressum als "Literary Editor": Im Mai 1908 hieß George Sylvester Viereck dann "Schriftleiter des Feuilletons" und war als "Vice-President and Secretary" des Verlagsunternehmens "Viereck Publishing Company" in New York angebenen: Im Januar 1910 versuchten die Vierecks, ihr Unternehmen in eine breiter aufgestellte Aktiengesellschaft umzuwandeln, und forderten die Leserschaft "mit deutschen Gruß" auf, Anteilsscheine für 100 Dollar und mit vier Prozent p.a. verzinsliche "Vorzugsaktien" für 10 Dollar zu kaufen: Im selben Heft: >Menschheitsassimilierung< wie in der "Wandering Jew"-Trologie: gegen die abwertende Rede von der "Bastardisierung im Schmelztiegel" wird die "Veredelung" durch "Rassen"-Mischung gesetzt, wie bei Hirschfeld, aber selbstverständlich im Sinne des blonden, blauäugigen und hellhäutigen "Ariers": (Alle Abbildungen aus dem "Deutschen Vorkämpfer" oben: BIFFF...-Screenshots von der Internet-Darstellung durch die University of Wisconsin. Gelbe Markierungen durch BIFFF...) Der in dem obigen Artikel missinterpretierte antirassistische, kulturrelativistische deutsch-amerikanische Anthropologe und Ethnologe Franz Boas, aus einer ursprünglich jüdischen, atheistischen Familie stammend, der u.a. wegen des Antisemitismus an den deutschen Universitäten in die USA ausgewanderte, war ein Verwandter des Reeders und Generaldirektors der "Hamburg-Amerika"-Schifffahrts- linie HAPAG, Emil L. Boas, dessen Anzeigen die Viereck-Blätter mitfinanzierten und dem G. S. V. 1912 in der "Rundschau" einen zweiseitigen Nachruf widmete. 1909 kehrte Louis nach Deutschland zurück und lebte ab 1911 wieder in Berlin, wo er seitenweise Exzerpte aus deutschen Zeitungen für seine New Yorker Blätter verfasste, die jetzt von seinem Sohn George Sylvester geführt wurden. Dabei stellte er sich (mit seinen ganzen drei Reichstagsreden!) als "L. Viereck, früher Mitglied des deutschen Reichstages" vor, um die Bedeutung seines Reader's Digest zu heben. Am Ende des Ersten Weltkriegs wurde er von der US-Administration beschuldigt, mit Hilfe seines weiterhin in New York lebenden, inzwischen zum "President" des Viereck-Verlagsunter- nehmens gewordenen und dort die deutschen Kriegsziele propagierenden Sohnes George Sylvester Spionage für das Kaiserreich zu betreiben, mit dem die USA seit 1917 im Krieg standen (siehe unten). Die von George Sylvester organisierte Festschrift zu seinem 70. Geburtstag 1921 enthielt auch einen Beitrag Hirschfelds, der nach dem Tod von Louis 1922 in Bad Wildungen (für dessen Heilwässer gegen Unterleibsleiden Louis im "Deutschen Vorkämpfer" Werbeanzeigen abgedruckt hatte) weiterhin mit dessen Frau Laura in Berlin Kontakt hatte. Auch über Louis Viereck ist in den USA gearbeitet und geschrieben worden, weil er durch seine publizistische Tätigkeit ein herausragender Vertreter der deutschen Kolo- nie in den USA und Propagandist des Pangermanismus war. Sein deutschsprachiges Buch "Zwei Jahrhunderte deutschen Unterrichts in den Vereinigten Staaten" wurde gerade erst (2010) dort wieder neu aufgelegt. In diesem Umfeld verlief also die Freundschaft Hirschfeld-Louis Viereck. Doch mit sei- nem Sohn hatte Hirschfeld dann die längere und intensivere Beziehung. George Syl- vester Viereck, angelernt in den Publikationen seines Vaters, ausgestattet mit einem reichen Vermögen, dass die deutschen Leser/innen des völkisch-rassistischen Mists aus der "Viereck Publishing Company" und die deutsch-amerikanischen Großunterneh- men als Anzeigenkunden gezahlt hatten, trat nicht nur in dessen Fußstapfen, sondern weitete die pangermanische chauvinistische Agitation radikal aus. Durch den bekann- ten deutschen Chauvinisten und kaiserlichen Kriegshetzer Hugo Münsterberg (ein Indu- strie- und Arbeitspsychologe von der Harvard-Universität, der schon G. S. V.'s frühe Gedichte der Jahrhundertwende geschätzt hatte) unterstützt, kannte G. S. V. nun kein Halten mehr. "Rundschau zweier
Welten" unter der Leitung von George Sylvester Viereck:
Die University of Michigan hat Exemplare der "Rundschau zweier Welten", die den "Deutschen Vorkämpfer" ablöste, online gestellt. Begeistert hießen George Sylvester Viereck und Hugo Münsterberg in einer Sonderausgabe der "Rundschau" (Abbildungen oben und unten) die Kriegsflotte Kaiser Wilhelms II. bei einem Flottenbesuch in New York willkommen ... ... und bereiteten auf den kommenden Weltkrieg vor, besiegelt mit Münsterbergs Unterschrift: 1912 (!) wurde der "deutsche Gruß" in der "Rundschau" sogar noch mit einer Hakenkreuz-Leiste verstärkt ... ... und die den Krieg vorbereitende deutsche Politik als Großtat des Kaisers, die auch den USA (wenn sie denn deutsch geführt wären!) nutzen würde, verherrlicht: (Alle Abbildungen oben aus der
"Rundschau zweiter Welten": BIFFF-Screenshots von der
Internet-Darstellung der University of Michigan. Gelbe Markierungen
duch BIFFF...)
Wenn Hirschfeld also in seiner Freundschaft zu dem nun wieder in Berlin lebenden Louis Viereck, der regelmäßig in der von seinem Sohn George Sylvester geführten "Rund- schau zweier Welten" seinen "Brief aus Berlin" zur politischen Lage in und um das deut- sche Kaiserreich brachte, und der immer wieder von seinem Sohn George Sylvester in Berlin besucht wurde, 1915 in seinen "kriegspsychologischen Betrachtungen" unter dem bezeichnenden Titel "Warum hassen uns die Völker?" den deutschen Kriegs-Über- fall auf Russland, Belgien und Frankreich und das deutsche Militär abfeierte, so erkennt man nun, aus welcher geistigen Atmosphäre heraus er dies tat. Wie unsere früheren Forschungen bereits zeigten, war die ganze Umgebung Hirschfelds auch noch während des Krieges so eingestellt. Die emotional überschwänglichen Briefe Hirschfelds an George Sylvester Viereck von 1929, 1930 und 1933, und Hirschfelds Beitrag in der "Festschrift" für Louis Viereck von 1921 lassen wohl kaum vermuten, dass Vater und Sohn Viereck bei ihren Berlin-Auf- enthalten ab 1908/09 einen Bogen um den alten Freund Hirschfeld gemacht hätten. Im Gegenteil. Es ist davon auszugehen, dass es jedesmal und mit Louis ab 1911 kontinu- ierlich anhaltend ein freudiges Wiedersehen und einen regen Gedankenaustausch gab. George Sylverster Viereck reiste laut Johnson 1908 - 34-jährig - erstmals wieder nach Deutschland und schrieb seine Reiseerfahrungen in der Artikelserie "Bekenntnisse eines Barbaren" nieder, die 1909 im "Deutschen Vorkämpfer" erschien, und als Sammlung der englischsprachigen Versionen in dem Buch "Confessions of a Barbarian" 1910 (siehe unten). Für das adelige (familiär verwandte) Publikum der Hohenzollern und gutbürger- liches Salon-Publikum Berlins hielt er Vorträge über das deutsch-amerikansiche Ver- hältnis. 1911 hielt er an der Berliner Universität - d.i. die heutige Humboldt-Universität - "lectures" (Vorlesungen, Gastvorträge) über amerikanische Literatur. 1907 hatte Hirschfeld als Gerichtsgutachter an der "Harden-Eulenburg-Affäre" um Homosexualität im engsten Beraterkreis Wilhelms II. teilgenommen, über die G. S. V. 1909 in Amerika in seinen "Bekenntnissen" im "Deutschen Vorkämpfer" schrieb (siehe unten). Hirschfeld war zu dieser Zeit politisch und sexualreformerisch äußerst aktiv, und G. S. V. war an allen - gerade auch homosexuellen - Phänomenen - nur literarisch? - äußerst interes- siert; bereits 1904 soll es einen Schriftwechsel G. S. V.'s mit dem Sexualphysiologen Eugen Steinach gegeben haben, verzeichnet die Viereck-Sammung der University of Iowa. Johnson weist darauf hin, dass G. S. V. Bücher Hirschfelds gelesen habe, die er in der Bibliothek seines Vaters gefunden hatte. Kaum zu glauben, dass er bei seinen Berlin-Besuchen nicht auch Hirschfeld aufgesucht hätte. Und nachdem Louis Viereck 1909 mit seiner Frau nach Deutschland zurückkehrte und das Ehepaar ab 1911 sogar in Berlin lebte, wurden sicher alte Freundschaften neu belebt, zumal alte Freundschaf- ten in der SPD nach dem Zerwürfnis von 1887/89/90 und der öffentlichen Hinwendung Vierecks zum Kaiserhof und seiner Politik, die von der SPD bekämpft wurde, wohl nicht mehr getragen haben dürften. Mit wem also Kaffee trinken, wenn nicht mit der buck- ligen Verwandtschaft am Hofe und mit Hirschfeld, der auch noch außerhalb der Bad Wildunger Wasserkuren das Unterleibs-Leiden behandeln konnte? Man kann nun treff- lich spekulieren, ob Hirschfeld seine "eugenischen" Tratschgeschichten über die "Dege- neration" im deutschen Adel, mit denen er seine sexual-"wissenschaftlichen" Bücher garnierte, vielleicht von Louis Viereck erzählt bekommen hatte. In den zutiefst antidemokratischen, rassistischen und elitistischen "Confessions of a Barbarian" (New York 1910), die George Sylvester Viereck zuerst als Artikelserie zur Orientierung des "führungslosen amerikanischen Denkens" (Viereck) geschrieben hatte, die in deutscher Sprache 1909 auch im "Deutschen Vorkämpfer" erschien und die er dann als Buch herausbrachte, ist bereits Vierecks faschistsiches Weltbild im Wesent- lichen enthalten. Wegen seines "doppelten Rassebewusstseins" (Viereck) als (Indo-) Europäer und Amerikaner sei er dazu auserwählt, den US-Amerikaner/innen den Wilhel- minismus als Zukunftshoffnung nahe zu bringen, schrieb er hier. Er wollte Amerika "germanisieren". Dabei benutzte er es als plumpen schriftstellerischen Trick, die ameri- kanische Zivilisation als "barbarisch" auszugeben, dagegen "Europa", worunter er das Deutsche Kaiserreich und seine nördlichen Nachbarstaaten verstand, als die kulturelle Alternative darzustellen, ohne deren Übernahme die USA untergehen würden. Er erfand hier den "American furore" gegen den damals schon stehenden Ausdruck des "Furor Teutonicus" als der Bedrohung der europäischen Nachbarn. So verdrehte er den damals schon in der zivilisierten westlichen Welt kritisierten Barbarismus der Deutsch- tümler zur höchsten Stufe der Menschheitsentwicklung. "Confessions of a Barbarian" in
deutscher Übersetzung 1909
als Fortsetzungsgeschichte im "Deutschen Vorkämpfer": Wie der Hirschfeld-Kreis noch 1917, ruft er 1909/10 Wilhelm II. als den geborenen Führer Europas und der USA, wenn nicht der ganzen Welt aus. Der "Machiavellismus" Wilhelms II. und seine Religiösität, in der die Notwendigkeiten der Industrialisierung mit dem ans Mittelalter anknüpfenden Romantizismus germanentümelnder Legenden ver- bunden würden, machten ihn zu "the authentic exponent of modern Europe" (S. 40, wie im folgenden nach der englischen Buchausgabe 1910, Übersetzung P. K.), der vom Volk "intuitiv" als Führer auf Lebenszeit angenommen werde, während die "barbari- schen" USA wegen ihrer Verfassung ihre Präsidenten spätestens nach acht Jahren "an Afrika" verlören. Viereck bringt hier - wenn auch gedanklich und sprachlich flach - die faustische Verknüpfung von Spiritualität und Technizismus als "innerer Widersprüch- lichkeit" Wilhelms II., die ihn zum richtigen Führer in dieser Zeit (die Zeit der "Stahlge- witter" in jeder Hinsicht und im übertragenen Sinne!) erhebe, und spricht das mit ihr verbundene quasi naturwüchsige Herauswachsen des richtigen "Führers" aus dem rechtgläubigen Volk an -- Positionen, die wir andernorts als zentral für die "Konservative Revolution", den Faschismus und Nationalsozialismus, die "Neue Rechte"/ "Nouvelle Droite" und verwandte Ideologien analysierten. George Sylvester Viereck sieht Wilhelm
II. als den idealen Führer:
Schwärmerischer geht's nicht mehr: "lavendelduftende Herrlichkeit mittelalterlicher Überlieferung", "großartiger Widerspruch", "idealer Kaiser", "in Harmonie mit dem Zeitgeist", "Strahlenglanz der Tradition". Mit Sätzen wie: "Man is divine because he is human" (S. 88) beschreibt er den An- spruch des deutsch geführten Europa und kritisiert, dass sich die US-Amerikaner dieser Selbstgöttlichkeit schämen würden. Die im "Deutschen Vorkämpfer" abgedruckte deutschsprachige Version des Kapitels der "Confessions" über Wilhelm II., den er hier sogar mit Jesus Christus parallelisiert, haben wir HIER EXTRA UND VOLLSTÄNDIG (bitte anklicken!) vom Original dokumentiert. Es zeigt in aller Deutlichkeit am Original, wie man Hirschfelds Freundschaft zu diesem Autoren eigentlich politisch verstehen muss. Der den Körper und den Geist stählende und deshalb lebensverlängernd wirkende preußische Militärdrill ("lengthens the German average of life by ten years", "Confes- sions", S. 54), die Bismarcksche Sozialgesetzgebung, der wilhelminische Polizeistaat, die energisch durchgreifende preußischen Regierungs- und Verwaltungsart werden als vorbildlich herausgestellt, der Liberalismus der USA als bedrohlich gegeißelt. Schon hier scheint das Bild des "formierten" totalen Staates (vgl. den "Kriegssozialismus" im Ersten Weltkrieg!) durch, lange bevor der Begriff "Faschismus" sich verbreitet hatte. Das Glanzbild des "jungen deutschen Soldaten" hätten die Nazis nicht besser beschreiben können: "The young soldier is a powerful factor in German asthetics. ... There is nobility in his carriage. His eyes flash fire. He is handsome, being healthy, young" (S. 56). Bertel Thorvaldsen, der dänische Bildhauer des antik-idealen Körpers, wird breit belobigt, und über viele Seiten hinweg wird die Weltsicht des dänischen Elitisten Georg Brandes, der Nietzsche in Skandinavien popularisierte und 1883 (beim Parteitag von Kopenhagen, siehe oben) Vierecks Vater Louis in Kopenhagen vor der Polizei versteckt hatte, dargestellt; er sei der größte Denker seit Voltaire, so G. S. V. Massiv sind Vierecks Ausfälle gegen die Frauenemanzipation und den angeblich ver- weichlichenden amerikanischen (Ehe-) Mann: Wer freiwillig Hausarbeit mache oder einen Kinderwagen schiebe, sei geisteskrank, "a specimen from Krafft-Elbing" (S. 89), dem Psychiater und Nestor der deutschen Sexualwissenschaft sowie Autor des Werkes "Psychopathia sexualis". Frauen brauchten ihren "master", so Viereck, sie fühlten sich von "masterful masculinity" angezogen (S. 91). Für Viereck ist klar: "I shall never marry a clever woman" (S. 189), aber eine kluge Frau würde sich wohl um ihn bemühen, meint er. Hier schreibt er 1910 fast wörtlich das, was Guillaume Faye 1988 mit den Worten wiederholen wird: die "Entvirilisierung des Europäers" sei ein "Selbst- mord 'mit Lächeln', wie das eines traurigen Clowns" (Faye, S. 213, siehe oben). Hirschfelds und Havelock Ellis' erwähnt Viereck eher randständig und phantasievoll (S. 121), beschreibt aber im Kapitel über "Seine Majestät" breit die Harden-Eulenburg- Affäre als "one of the blackest chapters in the history of the German people" (S. 46ff). Der Publizist Maximilian Harden hatte die "Kamarilla" um Wilhelm II., die dessen Regie- rungsentscheidungen, soweit sie nicht von den "Ruhrbaronen" usw. diktiert wurden, mitbeeinflusste, als teilweise schwul geoutet und angedeutet, die deutsche Politik, insbesondere Wilhelms Steckenpferd, die holprige Außenpolitik der großen Geste, werde von einem homoerotischen Kaffee- und sonstwas-Kränzchen unprofessionell ins Chaos geführt. In der juristischen Folge der Affäre trat Hirschfeld als sexualwissen- schaftlicher Gerichtsgutachter auf, der zuerst die Homosexualität eines Mitglieds der "Kamarilla" um Wilhelm II. bestätigte, im Wiederaufnahmeverfahren aber seine Begut- achtung zurückzog mit der Folge der Verurteilung Hardens als Verleumder. Viereck nimmt radikal Position gegen Harden und für den Kaiser-Kreis, erwähnt aber die Rolle Hirschfelds mit keinem Wort. Den Ausgang der Affäre, den Hirschfeld mit seinem Rück- zieher maßgeblich beeinflusst hatte, kommentiert Viereck so: "The shield of the Hohenzollern gleams brighter than ever" (S. 48). Preußens Glanz und Gloria. Viereck lässt schon 1910 keinen Zweifel daran aufkommen, dass er ein völkischer Rassist ist, der die Amerikaner auf das Deutschtum einschwören möchte: "We are Germanic, not an Anglo-Saxon people", schreibt er gegen die Einordnung der USA in den angelsächsischne Kulturkreis (S. 185). "The Germans are the salt of the earth, the chosen people of the New Order" (ebd.), schreibt er als seine eigene Meinung, und fährt mit Bezug auf die Rassisten Arthur de Gobineau und Houston Stewart Chamber- lain (dem von Eugen Dühring, dem Idol seines Vaters Louis, beeinflussten späteren Chefideologen der NSDAP, siehe oben!) fort, diese beiden hätten dies erkannt und die Geschichte neu aus dem Blickwinkel "of the Aryan" geschrieben (ebd.). Neben einer rassistischen Suada gegen die amerikanischen Schwarzen, die das Land durch Rassen- mischung und ihre anwachsende schiere Biomasse in den Abgrund ziehen würden, folgen weitere Standardbehauptungen des damaligen Pangermanismus über die Welt- bedeutung der Deutschen, die einzig die Rettung für die USA sein könnte. Dann schil- dert er seinen kürzlichen Besuch in Berlin, seinen Vortrag vor Regierungs- und Militär- vertretern des Kaiserreichs sowie Mitgliedern der Adelsgesellschaft und (groß-) bürger- lichen Schickeria im "Hôtel de Rome" 1908 (S. 183) und lässt in diesem Zusammenhang (schriftstellerischer Trick!) "a certain Distinguished Personage", die unschwer als Wilhelm II. persönlich zu erraten ist, eine lange ausschweifende Rede halten: "We Aryans are the appointed masters of the world. God has made the white race the guardian of His holy fire. We must cast out the halfbreed from the sanctuary" (S. 191). Die anonym bleibende Persönlichkeit, die Viereck am Ende der Rede wie einen kommenden Führer der Deutschen präsentiert, spricht sich gegen Rassenmischung in den Kolonien des Deutschen Reiches aus und erklärt die dortigen "Eingeborenen" zu Untermenschen: "An intelligent negro, like the child prodigy, is a monster. The negro, like woman, is incapable of self-government. He is inferior even to woman" (ebd.). Dann rät sie den USA zur Unterdrückung der asiatischen Einwanderer (ein damals aktuelles Thema in den USA, das in einzelnen US-Staaten zu eugenischen Gesetzen mit Verboten der Heirat zwischen Asiaten und Europäern führte) und predigt die Zusammenführung des deutschen Volkes: "We know that blond and muscle are precious. We actually do import German peasants from Russia" (S. 192). Viereck kommentiert diese Rede als "strangely prophetic" und "extraordinary prediction" (ebd.) und fürchtet, ihre Botschaft werde in Amerika nicht beachtet werden, was den sicheren Untergang der USA zur Folge haben werde. Mit Beginn des Krieges gründete George Sylvester Viereck seine eigene Zeitschrift "The Fatherland", in der er - nunmehr wöchentlich - "unapologetisch" (wie Robert J. Gangi 2008 in seiner Master of Arts-Examensarbeit "The German-American Bund as a Unique American Phenomenon: The Amalgam of Deutschtum, Americanism and National Socialism" <William Patterson University of New Jersey> schreibt) die Kriegsziele des Deutschen Kaiserreiches in den USA zu popularisieren versuchte. Der Verlag wurde in "Fatherland Corporation" umbenannt (in der er dann 1921 auch die "Festschrift" für seinen Vater Louis mit dem Hirschfeld-Beitrag herausbrachte). Sein Trick war es dies- mal, die neutralistische und isolationistische Bewegung in den USA mit Argumenten zu versorgen. Vom Auswärtigen Amt in Berlin bekam er Geld für dieses Zeitschriften- Projekt, das zur besten Zeit zu Beginn des Krieges 65 000 Abonnenten und 100 000 Leser/innen gehabt haben soll. Der britische Okkultist Aleister Crowley war nun sein Angestellter in New York, Crowley schrieb auch selbst vor allem anti-britische Propa- gandaartikel, die ihm nach Kriegsende Probleme bereiteten; die Verbindung kam wohl über die fantastische Literatur zustande. Artikel zur "natürlichen Sexualität" dienten nun vor allem dazu, den viktorianischen Puritanismus der britisch orientierten Amerika- ner und damit Deutschlands Kriegsgegner Großbritannien und seine potentiellen ameri- kanischen Unterstützer und Verbündeten anzugreifen und zu schwächen. Viereck ver- suchte, auf die amerikanische Präsidentenwahl 1916 Einfluss zu nehmen, damit ein isolationistischer Kandidat gewählt würde, der sich einem möglichen Kriegseintritt der USA gegen die Mittelmächte widersetzen würde. Zahlreiche Angriffe Vierecks auf den pro-englischen US-Präsidenten Woodrew Wilson folgten in "The Fatherland", bis hin zur Anschuldigung, "degenerierte Amerikaner" beugten ihren Rücken vor englischen Inter- essen. Wie bei allem, was er tat - auch eine Gemeinsamkeit mit Hirschfeld! -, über- schätzte er seinen Einfluss auch hierin maßlos, wenngleich seine politisch-publizisti- sche Arbeit aufgrund seiner früheren Erfolge als Poet der in den USA sehr kurzen "Dekadenzperiode" in der gehobenen (und gelangweilten) Gesellschaft New Yorks zur Kenntis genommen wurde, zumal "The Fatherland" nur noch englischsprachig erschien. Außerdem waren viele zu Geld gekommene Einwander/innen auch in den bis 1917 noch neutralen USA vom Krieg dennoch betroffen, weil wegen des deutschen U-Boot- Krieges kaum noch Schiffe nach Europa fuhren, sie also nicht mehr reisen konnten. Er hatte inzwischen begriffen, dass sich das "Deutschtum" nicht als Insel in den USA werde halten können und versuchte verstärkt, auch die englisch sprechenden Vertreter des US-Isolationismus zu agitieren. Der Poet Viereck wurde zum Bündnis- politiker. Er arbeitete nun auch verstärkt für die Hearst-Presse, die auch aus Gründen des irischen Nationalismus (ganz Irland ist damals noch von Großbritannien besetzt; jede Schwächung Englands kommt den irischen Nationalisten, die in den USA von den meisten der zahlreichen irischen Einwanderer unterstützt werden, gelegen), den Vier- eck nun taktisch übernahm, gegen die Entente (Frankreich, England, Russland und Verbündete) und deshalb für die Mittelmächte (Deutschland, Österreich-Ungarn, Osmanisches Reich) Propaganda machte. Hauptsächlich versuchte er nun, mit Hilfe der einflussreich gewordenen deutschen Einwanderer, der Iren und der von ihnen gepräg- ten isolationistischen Bewegung den Kriegseintritt der USA auf der Seite der Entente zu verhindern; ein Kriegseintritt auf Seiten der Mittelmächte stand nicht zur Debatte, weshalb lediglich der Neutralismus als Propagandaposition der Deutschtümler in Frage kam, um die deutsche Position im Weltkrieg (indirekt) zu stärken. Seine poetische Arbeit stellte Viereck nun zugunsten der politischen Agitation weit- gehend ein, veröffentlichte aber 1916 noch den Gedichtband "Songs of Armageddon", der voller chauvinistischer Gesänge auf Wilhelm II., Bismarck und Deutschland war. Peinliche Wilhelm II.-Verehrung des
Poeten Viereck
als blutige Kriegshetze: . "Zieh Dein unbeflecktes Schwert, Deine heilige Wut soll die Bluthunde von Deines Landes Pfad vertreiben. In Deine Hand wurde das Schwert gezwungen von verräterischem Freund und verräterischem Feind. ... Zerschmettere Du die Kosackenarmee ... Rette Goethes Traum, Luthers Sprache, Du bist der Wächter des Lichts! ... Wen Du fällst, wird eine Welt fallen!" Das Gedicht auf den "Friedensprinzen" Wilhem II., der erst im Kriege so richtig der Prinzenrolle entwächst und zum "Herrn" wird, stammt aus Vierecks Buch "Songs of Armageddon And Other Poems" von 1916, das voller chauvinistischer Gedichte war, die er zwischen 1914 und 1916 geschrieben hatte, und entspricht inhaltlich der Rede Wilhelms II. vom 06. August 1914, in der er nach Jahren intensiver Kriegsvorbereitung frech log: "So muss denn das Schwert entscheiden. Mitten im Frieden überfällt uns der Feind. Drum auf! Zu den Waffen! ... Um Sein oder Nichtsein unseres Reiches handelt es sich ... Um Sein oder Nichtsein deutscher Macht und deutschen Wesens." Vierecks populärste Zeit als Poet in den USA war von 1907 bis 1912; mit dem "Arma- geddon"-Band wandte sich sein schöngeistiges Publikum von ihm ab. Schon 1915 war jedoch eine breite Diskussion darüber in Gang gekommen, dass er auf der Gehaltsliste des Auswärtigen Amtes in Berlin stehe; immer wieder gab es hierzu kritische Artikel in der "New York Times". Mehr und mehr wurde Viereck der Spionagetätigkeit für Deutschland bezichtigt. Die Versenkung des Schiffes "Lusitania" Anfang Mai 1915 auf dem Weg von New York nach Liverpool mit 1200 Toten, darunter 128 US-amerikani- sche Opfer, die als Zivilisten auf dem Atlantik-Liner reisten, durch deutsche U-Boote wurde Viereck direkt angelastet: er habe den Tag festgelegt, an dem das Passagier- schiff versenkt werden solle bzw. zumindest vorher davon gewusst, dass und wann es geschehen werde, ohne die unschuldigen Passagiere zu warnen. Er verteidigte sich damit, in der Ausgabe von "The Fatherland", die einige Tage vor der Torpedierung der "Lusitania" in Druck gegangen war, doch nur vorhergesagt zu haben, dass "a large passenger ship like the Lusitania" im totalen U-Boot-Krieg der Deutschen im Atlantik dasselbe Schicksal erleiden werde wie ein ähnliches ziviles Passagierschiff, dass zuvor versenkt worden war, wenn die USA nicht aufhörten, die Entente mit Kriegsmaterial zu beliefern. Wenn ein Amerikaner dumm genug sei, so beantwortete Viereck nun eine Anfrage der "New York Times" nach seiner Rolle in der Lusitania-Affäre, sich trotz der Warnungen der Deutschen Botschaft auf einen englischen Dampfer einzuschiffen, sei er selbst schuld, wenn ihm ein Unglück geschehe, denn "the Germans are not a nation of poker players, Germany does not bluff"; die Versenkung jedes englischen Schiffes sei gerechtfertigt (New York Times vom 09. 05. 1915). Diese Äußerung beruhigte die aufgeregte Debatte in New York um seinen Verrat Amerikas an Deutschland jedoch keineswegs, denn die Versenkung der Lusitania hatte einen vergleichbaren Effekt in der Öffentlichkeit und der Politik wie "9/11" im Jahr 2001; der Kriegseintritt der USA wurde nun massenhaft gefordert, dann jedoch noch verschoben. Es kam am Ende gar zu Demonstrationen gegen Viereck vor seinem Haus, und der Schöngeist, der Politiker geworden war, bekam es mit der Angst zu tun, weil ihm Tätlichkeiten angedroht wur- den: Viereck floh in ein Hotel. Die Debatte um seine Mitwisserschaft beim Plan der deutschen Admiralität, das zivile Passagierschiff "Lusitania" in einem Terrorangriff zu versenken, reichte bis in die 20er Jahre, als Journalisten der Hearst-Blätter sich im Zusammenhang mit pro-deutscher Propaganda vor Gericht verantworten mussten. Noch 1922 bestritt Viereck gegenüber der "New York Times", von dem Plan gewusst zu haben, obwohl Zeugen im gleichen Jahr vor Gericht aussagten, er habe drei Tage vor der Versenkung den Wochentag genannt, an dem dieses Schiff torpediert werden würde (und dann tatsächlich wurde). Das Echo auf die skrupellose Versenkung der Lusitania in der amerikanischen Öffent- lichkeit wurde zum Wendepunkt der amerikanisch-deutschen Beziehungen und zum Wendepunkt in Vierecks US-amerikanischer publizistischer Karriere: er wurde aus dem Schriftstellerverband "Authers League of America" und der "Poetry Society of America" ausgeschlossen, sogar aus dem "Who is Who?" und zahlreichen Anthologien, die alte Gedichte von ihm enthielten, gestrichen, seine bisherigen deutsch-jüdischen Förderer distanzierten sich von ihm, Verleger schickten beriets erstellte Druckplatten unge- druckt an ihn zurück, "The Fatherland" erlitt einen dramatischen Abonnenteneinbruch. Mit einem, der die Torpedierung von Zivilisten, von Frauen und Kindern an Bord der "Lusitania" guthieß und ihnen selbst die Schuld an ihrem Tod gab, weil sie ein briti- sches Schiff bestiegen hatten, obwohl das Kaiserreich sie davor gewarrnt habe, wollte damals kaum noch jemand etwas zu tun haben (außer Hirschfeld, versteht sich). Viereck musste 1917/18, nach dem Kriegseintritt der USA, vor einer Grand Jury er- scheinen und sich gegen Spionagevorwürfe verteidigen, weil seine Propaganda-Zeit- schriften vor dem Kriegseintritt der USA mit Geldern der deutschen Regierung finanziert wurden; eine Verletzung der Neutralitätsgesetze der USA durch Viereck stand zur Debatte. Ihm und seinem Vater Louis wurde dabei auch vorgeworfen, dass sie in ihren Briefwechseln zwischen New York und Berlin einen Geheimcode verwendeten, um mit harmlos erscheinenden Familien-Nachrichten in Wahrheit Kriegsgeheimnisse mitzu- teilen; die New York Times veröffentlichte den angeblichen Code. Zu einer Anklage gegen Viereck kam es jedoch nicht, sein Vater saß ohnehin in Berlin (an Hirschfelds Kaffeetafel?). Am 16. 08. 1915 rechnete die "New York Times" vor, dass Viereck allein im Juni 1915 - gleich nach der Lusitania-Versenkung - insgesamt 1 750 Dollar von der deutschen Regierung für seine Propaganda bekommen hatte. Viereck soll auch Agita- toren bezahlt haben, die sich auf den Plätzen und in den Parks Manhattans unters Volk mischten, aufgeregte Debatten entfachten und dabei deutsche Propaganda verbreite- ten; solche Leute seien direkt aus Vierecks Bürohaus gekommen, schrieb die NYT am 17. 08. 1915. Am 26. 07. 1918 druckte die NYT Teile der Aussage Vierecks vor der Grand Jury, wonach er offenbar insgesamt mehrere Hunderttausend Dollar - damals ein riesiges Vermögen - aus verschiednen, teilweise auch privaten Quellen in Deutschland und Österreich erhalten hatte, um seine pro-Entente-Propaganda in den USA zu finan- zieren; 100 000 Dollar von der deutschen kaiserlichen Regierung konnten von der NYT direkt nachgerechnet werden. (Allerdings erhielten andere Propagandaorgane in den USA weitaus höhere Zuwendungen aus Deutschland, wobei u.a. die HAPAG und deut- sche Großbrauereien in den USA als Geldwaschanlagen benutzt wurden.) Wir zeigen diesen Artikel HIER (bitte anklicken!), weil Viereck im nächsten, dem Zweiten Welt- krieg, exakt wieder genau so seine Propaganda für Nazi-Deutschland organisierte, diesmal aber erfolgreich angeklagt und verurteilt wurde und etliche Jahre im Knast saß (siehe unten). Interessant an dem New-York-Times-Artikel von 1918 ist auch, dass hier bereits Vierecks Kontakte zu Franz von Papen (dem späteren Reichskanzler und 1933 Vize-Kanzler unter Hitler, mit dem Viereck auch in den 10er, 30er und 50er Jahren korrespondierte, wie die Sammlung der University of Iowa zeigt) und zu Ernst Graf zu Reventlow (einem völkisch-religiösen Sektengründer im Umfeld des "Monisten- bundes", dem Hirschfeld angehörte, und NSDAP-Vordenker innerhalb des Strasser- Flügels der Nazi-Partei, dem wiederum auch Werner Otto von Hentig nahe stand: der deutsche Konsul in San Francisco, der Hirschfeld so warmherzig verabschiedet hatte, siehe oben; mit Reventlow korrespondierte Viereck in den 20er Jahren) angesprochen wurden -- was als Pangermanismus und Prä-Futurismus begann, wird mehr und mehr zum nazistischen Netzwerk! Viereck hatte während des Krieges neben der nun zeitweise auch wöchentlich erschei- ndenden Zeitschrift "The Fatherland" auch pro-deutsche Propaganda-Broschüren und -Taschenbücher herausgebracht; Johnson behautet, es seien "Hunderttausende" gewesen. Diese Propagandaarbeit für das kriegführende deutsche Kaiserreich betrieb er in enger Abstimmung mit der deutschen Botschaft und dem deutschen Generalkon- sulat in New York, von wo er Anweisungen, Entwürfe und das Geld erhielt. Viereck selbst behauptete, beim deutschen Generalkonsulat habe ein "Propaganda-Kabinett" bestanden, dem er angehört habe. Ist es eigentlich denkbar, dass Viereck mit seinem alten Freund Hirschfeld, der ihn doch sonst auf dem Weg "Wilhelminismus - Romantik - Lebensreform" begleitete, nie- mals über das alles sprach, obwohl er deshalb sogar durch das US-Justizministerium staats- anwaltschaftlich verfolgt und auf der Straße von einem "lynch mob" - wie er es sah - körperlich bedroht wurde? Wohl kaum, denn Hirschfeld schreibt in seinem Brief vom 30. Oktober 1933 an Viereck, dass er dessen "Mentalität zu genau kenne" und deshalb "voraussah, dass Du der Hitlersuggestion nicht würdest widerstehen können." Trotz- dem wollte Hirschfeld mit Viereck nicht brechen - im Gegensatz zu Sigmund Freud und Albert Einstein, die in den 20er Jahren auf ihn herein gefallen waren und sich von ihm interviewen liessen, mit verheerenden Folgen (siehe unten). Nach Kriegsende gründete Viereck die "Steuben Society" mit, die weiterhin die Welt- kriegsinteressen Deutschland verfocht; nach Carlson schrieb er 1921, nur deutsch- stämmige Amerikaner, die "'never betrayed or denied their race'" (so Viereck laut Carlson), hätten hier Mitglied werden können. Er kämpfte gegen den Versailler Vertrag und die Kriegsschuld-Zuweisung an Deutschland und Österreich und gegen den Völker- bund. Seine Zeitschrift, die er nun in "American Monthly" umbenannte und die in den 20er Jahren (nach Kupsky) noch 5 000 bis 10 000 Leser/innen hatte, stellte er der neu entstandenen, die deutsche Position im Weltkrieg weiterhin vertretende Historiker- schule der "Revisionisten" zur Verfügung, die den Versailler Vertrag und die Forschung zur Kriegsschuld zugunsten Deutschlands revidieren wollten. Sein engster Mitstreiter hierbei wurde der spätere Nazi und Auschwitzleugner Harry E. Barnes (siehe unten), der seine revisionistischen Artikel in Vierecks Blatt und der Hearst-Presse veröffent- lichte und den Viereck dann 1930 in das "Ehrenkomitee" für Hirschfelds USA-Reise berief. Im "American Monthly" vertrat Viereck in den 20er Jahren durchweg die Posi- tionen der Deutschnationalen, des "Stahlhelm" (Vereinigung ehemaliger Erster-Welt- kriegs-Soldaten und militaristischer Kaisertreuer) und von Teilen der Nazi-Partei, also im wesentlichen derer, die sich am Ende der Weimarer Republik politisch hinter dem deutschen rechtsextremen Verleger Alfred Hugenberg - mit dem Viereck in den 20er Jahren korrespondierte, wie das Viereck-Archiv der University of Iowa zeigt - zur "Harzburger Front" zusammenschlossen und die politische Machtübertragung an Hitler und Konsorten vorbereiteten und dann 1933 Hitlers erstem Kabinett als Minister angehörten. Schriftstellerisch bemühte er sich um die Ausarbeitung der Positionen der "Konservativen Revolution", wie sie dann in der "Wandering Jew"-Trilogie erschienen. Ab 1921 besuchte er regelmäßig jedes Jahr den im niederländischen Doorn im Exil lebenden Ex-Kaiser Wilhelm II. (seinen "Halb-Cousin"), mit dem er auch in einen regen Schriftwechsel trat. Es ist wohl anzunehmen, dass er bei diesen jährlichen Besuchen in Europa auch seine Mutter in Berlin und seinen alten Freund Hirschfeld im 1919 ent- standenen Berliner "Institut für Sexualwissenschaft" traf. Lamar Cecil analysierte in seinem Artikel "Wilhelm II. und die Juden", der 1975/1998 (Tübingen) in Werner Eugen Mosses Sammelband "Juden im Wilhelminischen Deutschland 1890 - 1914" erschien, diesen Briefwechsel Wilhelm II.-Vierseck aus den 20er Jahren. Darin äußerte sich Wilhelm immerzu extrem antisemitisch, auch im Bezug auf den dann 1922 von deutsch- nationalen Antisemiten ermordeten Außenminister der Weimarer Republik, Walter Rathenau. Der Erste Weltkrieg "sei von jüdischen Freimaurerlogen in den Ländern des Dreibundes [Mittelmächte] mit Unterstützung durch das internationale Kapital und seine Presse angezettelt worden"; dabei habe sich Wilhelm auf die antisemitischen "Protokolle der Weisen von Zion" gestützt (Cecil, S. 344). Exakt dieselbe Argumenta- tion wurde 15 Jahre später von den Viereck-Getreuen im "America First Committee" gegen Roosevelt und eine US-Beteiligung am Zweiten Weltkrieg vorgebracht, die auch die "Protokolle", gedruckt mit Geld des Antisemiten und Hitler-Fans Henry Ford, verteil- ten (siehe unten). Cecil schreibt: "Der Sturz der alten Monarchie, versicherte er [Wilhelm] Viereck, war das Werk der Juden, nicht weniger als die an ihrer Stelle gegründete Republik" (S. 345). 1925 habe Wilhelm an Viereck geschrieben: Gefahr drohe "den angelsächsischen und europäischen Rassen" vor allem von den "Moskauer Juden", die von den Franzosen unterstützt würden, die in Wahrheit "negrid-afrikani- scher Abstammung" seien; "Verrat an der Rasse" gebe es auch bei den britischen Kolonial-Korps (Cecil S. 346). Viereck präferierte jedoch statt Wilhelms antisemitischer Leugnung der deutschen Kriegsschuld den Revisionismus von Barnes u.a., nach der England und Polen den Welt- krieg verursacht hätten (siehe unten). Doch folgte er Wilhelm in dessen Begeisterung für den Aufstieg Hitlers als dem neuen Führer Deutschlands. Diese Briefe Wilhelms II. veröffentlichte Viereck - um allzu radikale antisemitische Ausfälle gesäubert, von ihm ins Englische übersetzt und kommentiert - in den 20er Jahren vornehmlich in der Hearst-Presse, so auch im "New York American", und in seinem "Amercan Monthly". Johnson nennt Viereck (1968 in seinem heute im Internet lesbaren Artikel) "the chief American spokesman for the ex-Kaiser". Martin Kohlrausch nennt ihn in seinem Buch "Der Monarch im Skandal" (Berlin 2005, S. 234) einen "von Doorn inspirierten Kaiser- apologeten". Seine Besuche Wilhelms II. in Doorn benutzte Viereck, um zahlreiche andere Personen für die Hearst-Presse zu interviewen, mehr oder weniger Prominente. 1923 interviewte er einige Wochen vor dem Putschversuch an der Münchner Feldhernhalle auch Adolf Hitler, den er als moderaten kommenden Führer Deutschlands darstellte. Viereck war davon überzeugt, dass Deutschland den Weg Italiens, dass seit 1922 unter der Terror- herrschaft der Schwarzhemden Mussolinis stand, in eine faschistisch formierte Gesell- schaft gehen müsse. Es war das erste englischsprachige Interview mit Hitler über- haupt. Das Gespräch wollte jedoch 1923 niemand drucken, weshalb Viereck es dann in seinem "American Monthly" brachte. 1932 wurde es - von Viereck verändert, ent- schärft und mit Aktualitäten aufgeblasen - als Broschüre in Großbritannien und in einem Artikel in Hearsts Lifestile-Magazin "Liberty" gedruckt, in dem Viereck oft schrieb und in das er 1931 auch Hirschfeld hinein gebracht hatte; es handelte sich aber um dieselben Antworten Hitlers aus 1923. Mit der "Liberty"-Version und der Broschüre wollte er Hitler noch einmal als den kommen Führer und wichtigsten deutschen Politiker einem englsichsprachigen Publikum vorstellen und die Übertragung der Kanzlerschaft an Hitler befördern. Gregory Kupsky schreibt 2010: "Even before 1933, Viereck did little to conceal his admiration for Hitler, ... a man he clearly regarded as Germany's best hope" (S. 73). zur Beförderung von Hitlers Kanzlerschaft. Ian Kershaw verglich 2007 für die britische Zeitung "The Guardian" die beiden Versio- nen des Interviews. Viereck benutzte es in den 30er Jahren, um sich gegen Vorwürfe des Antisemitismus zu verteidigen, denn Hitler habe hier - heute als ethnopluralistisch zu wertende - Kompromissvorschläge zur "Judenfrage" gemacht und nicht die sich brav "partikular" (Bauer) verhaltenden Juden, sondern die "Internationalistischen", also das "Weltjudentum" der USA und den "jüdischen Weltbolschewismus" der Sowjetunion, einzig als Gefahr dargestellt. Insbesondere mit der 1932er Version zeigt Viereck Hitler als weitsichtigen Weltpolitiker, der schon 1923 gesehen habe, was 1932 nötig sei. Doch Viereck interviewte 1925 auch Sigmund Freud für die Hearst-Presse ("New York American"), der wohl nicht recht wusste, auf wen er sich da eingelassen hatte. 1926 folgte ein zweites Interview mit Freud, das Viereck in seinem "American Monthly" abdruckte. Viereck erhoffte sich im Rahmen seines anti-britischen Hasses von der Psychoanalyse ein Aufbrechen der viktorianischen puritanischen Moral, was Großbri- tannien (und seine Verbündeten in Amerika: die britischen Einwanderer) quasi ins geistig-moralische Chaos stürzen und damit gegenüber den Angriffen des Pangerma- nismus hilflos machen würde; eine Befreiung von moralischen Fesseln im Sinne der Eugenik, wie sie seine "Wandering Jew"-Trilogie propagierte, würde zudem den biologi- schen Sieg der "arischen Rasse" befördern. Es war dies der Grund, weshalb Viereck bei der Verbreitung der Ideen Freuds in den USA helfen wollte, und seine Motivation erinnert richtigerweise an etwas wie die "Lebensborn"-Organisation der SS zur Höher- züchtung der Rasse. Nachdem Freud im fernen Wien klar geworden war, welche Motivation Viereck eigentlich verfolgte, distanzierte er sich Ostern 1933 entrüstet von Viereck, der sich an ihn gewandt hatte, damit Freud mässigend auf amerikanische jüdisch-deutsche Psychoanalytiker einwirke, die den Deutschland-Boykott nach der Machtübertragung an die NSDAP in den USA mit organisierten und unterstützten (siehe unten). Freud verbat sich schroff jede weitere Kontaktaufnahme Vierecks mit ihm -- auch ein Unterschied zwischen Freud und Hirschfeld, die so gerne von den Hirschfeld- Apologeten parallelisiert werden! Viereck hatte auch 1929 Albert Einstein (für Hearsts "Sunday Evening Post") über seine - bis heute breit umstrittenen - philosophisch-pantheistischen Gedanken inter- viewt. Einstein reagierte 1933 offenbar ähnlich wie Freud, was Hirschfelds Brief vom 30. Oktober 1933 an Viereck nahe legt, in dem Hirschfeld die uns nicht bekannte Reak- tion Einsteins auf Viereck bedauert und betont, er - Hirschfeld - jedenfalls werde sich im Gegensatz zu anderen "jüdischen Freunden" in den USA "nicht von Dir abwenden". Allerdings waren weder Freud noch Einstein mit Viereck in irgend einer Weise befreun- det gewesen; allenfalls kann sich Hirschfeld hierbei auf Mitglieder des "Ehrenkomitees" von 1930 beziehen, die wie Hirschfeld jüdische Vorfahren hatten (siehe unten), oder auf Eldridge, den Koautor der "Wandering Jew"-Trilogie, der sich tatsächlich auch von Viereck distanzierte, während Benjamin noch 1985 ohne jede Einschränkung von "unserem gemeinsamen Freund George Sylvester Viereck" sprach. Die "Wandering Jew"-Trilogie zeigt, weshalb sich Viereck für Freud (siehe oben) oder Einstein - den Wissenschaftler, der schon erdachte, was noch nicht möglich war - begeisterte: sein Futurismus, sein Technizismus, sein Wahn, irgendwie gegen die existierende, aber als unzureichend beurteilte Menschheit den "Neuen Menschen" möglich zu machen. 1923 brachte Viereck den Essay "Rejuvenation: How Steinach Makes People Young" unter dem Pseudonym George F. Corners heraus, in dem er Steinachs "Verjüngungs- operationen" durch Hodenverpflanzungen, bei denen etliche Patienten zu Schaden kamen, nicht nur darstellte, sondern so beschrieb, als sei der angebliche Menschheits- traum der ewigen Jugend nun in greifbarer Nähe. Doch bei Steinach, mit dem auch Hirschfeld eng zusammenarbeitete, dessen Experimente er ebenfalls in seinen Schriften bekannt machte, auf dessen falscher endokrinologischer Theorie Hirschfeld große Teile seiner eigenen Sexualtheorie aufbaute und dem er sogar Patienten für die gefährlichen und sinnlosen Schnibbeleien an den Geschlechtsteilen verschaffte, stimmte medizi- nisch-wissenschaftlich nichts -- auch eine Parallele zu Hirschfeld! Steinachs Schrift "Verjüngung durch experimentelle Neubelebung alternder Pubertätsdrüsen" von 1920 wurde von der medizinischen Wissenschaft, die keine "Pubertätsdrüsen" finden konnte und auf die Risiken der Transplantationen hinwies, verlacht und verurteilt, was Stei- nach zu dem Vorwurf veranlasste, man wolle ihm aus antisemitischen Gründen (auch er entstammte einer früher jüdischen Familie) diese bahnbrechende Entdeckung nicht gönnen. Vierecks Begeisterung für die biologische Erhaltung der Jugend war konser- vativ-revolutionär philosophisch: er vergottete die Jugend wegen der ihr angedichte- ten Eigenschaften: Kraft, Mut, Rebellion, Rücksichtslosigkeit, sexuelle Potenz. Obwohl Steinachs Menschenversuche in dieser Hinsicht gänzlich erfolglos blieben, hielt Viereck am Jugendlichkeitswahn als einer Voraussetzung auf dem Weg zur "New Order" fest, wie auch seine "Wandering Jew"-Trilogie, insbesondere der letzte Band von 1932, zeigt. Steinach war von dieser plötzlichen Publicity in den USA keineswegs begeistert, denn er wusste ja, dass er ein Scharlatan war; je mehr Aufsehen, desto genauer würde man hinsehen, desto weniger Reiche wären bereit, Steinach für die wirkungs- losen Operationen gut zu bezahlen. Er protestierte gegen Vierecks Schrift und stei- gerte sich in einen Hass gegen den Autoren, der darin gipfelte, dessen angebliche Hohenzollern-Abkunft als Lüge zu bezeichnen. 1927 gab Viereck die Zeitschrift "American Monthly" auf und konzentrierte sich als Autor auf die Hearst-Presse, nahm die vor dem Ersten Weltkrieg schon begonnene Arbeit an der "Wandering Jew"-Trilogie wieder auf, schrieb aber auch weiter politische Bücher. 1930 erschien der Sammelband "Glimpses of the Great" (den die "Magnus- Hirschfeld-Gesellschaft e.V." auf ihrer Webseite zu dem Hirschfeld-Viereck-Brief von 1930 erwähnt und den das HHA der Humboldt-Universität auf seiner Webseite zeigt und im Regal der Haeberle-Büchersammlung hat), in dem er seine alten Interviews mit Prominenten (Ausnahme: Hitler) und neue Artikel über Personen, die er bewunderte, verarbeitete und zusammenstellte. Hier kommen dann Hirschfeld, den er hier erstmals "The Einstein of Sex" nennt, Freud und Einstein mit dem Eugeniker und Herrenmen- schen-Ideologen George Bernhard Shaw, dem Menschenexperimentator Eugen Stei- nach und seinem verbrecherischen medizinischen Zwilling Sergej Woronow (Serge Voronoff) - und zwar hintereinander als Folge (!): Steinach, Voronoff, Hirschfeld -, mit dem von Viereck verehrten Benito Mussolini, mit Wilhelm II. und dem 1930 (!) von Vier- eck "crown prince" betitelten Wilhelm-Sohn Wilhelm (III.), dem Weltkriegs-Generalfeld- marschall des Kaisers Paul von Hindenburg, der dann Hitler zum Reichskanzler ernann- te, und Hindenburgs Stellvertreter, dem Weltkriegs-General und Hitler-Putschisten vom 9. November 1923 Erich Ludendorff, dem Antisemiten Henry Ford, dem konservativ- revolutionären deutschen Reichsbankchef und späteren Finanzchef der Hitler-Diktatur Hjalmar Schacht, dem rechtsextremen Okkultisten Albert von Schrenck-Notzing, dem antisemitischen elitistischen Irrationalisten Hermann Graf Keyserling u.a. zusammen: für Viereck sind sie alle großartige Persönlichkeiten der Zeitgeschichte, die zu seinem Weltbild beigetragen haben. Ludendorff, der Antisemit und Propagandist der "Protokolle der Weisen von Zion", war 1930 schon Mitbetreiber der von seiner psychisch kranken, unter dem Wahn, von Juden und Freimaurern verfolgt zu sein, leidenden Frau Mathilde gegründeten neopa- ganen Sekte "Bund für deutsche Gotterkenntnis - Ludendorffer", die heute noch existiert und vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingeschätzt wird. Sie ist nach wie vor eine der größten rechtsextremistsichen "Kultur"-Organisationen in Deutschland. Der "großartige" Antisemit und Hitler-Fan Ludendorff: (Wikimedia Commons, Bundesarchiv) Oben: Ludendorff und Hitler beim Strafprozess nach dem Putschversuch 1923. Unten: Das Inhaltsverzeichnis von Vierecks "Glimpses of the Great" 1930 (Ausschnitt), kommentarlos auf die HU-HHA-Webseite geknallt: (gelbe Markierungen durch BIFFF...) Held Ludendorff im Viereck-Buch: "Niemand kann Ludendorff den Ruhm nehmen, der größte Stratege seiner Generation zu sein", beschrieb Viereck 1930 überschwänglich sein Idol vom Hitler-Putsch im Vorspann zu seinem Artikel. Ludendorff "sieht den gemeinsamen Feind
aller Nationen in dem, was er Supra-Natio- nalismus zu nennen
gewählt hat", so Viereck. Hinter dem gedrehten Satz verbirgt sich
das Wahnkonzept der Weltverschwörung
"überstaatlicher
Mächte" (Ludendorff) wie der "Juden", der "Freimaurer" und auch
der "Jesuiten", die die Weltherrschaft gegen jede Nationalität und
völkische Eigenart, also auch gegen das Deutschtum anstrebten und
gegen die man deshalb gewaltsam vorgehen müsse, um die
ethnopluralistische Ordnung der Welt zu verteidigen. Viereck und
Ludendorff befruchteten sich gegen- seitig: "My contacts with
Ludendorff have been many", schrieb Viereck hier 1930 weiter, "I
secured from him
the German version of the second Battle on the Marne. He also wrote, at
my suggestion, a surprisingly frank estimate of the American soldier."
"The Two Battles of the Marne" war ein von Viereck 1927 herausgegebenes
Buch der Sichtweisen der an der Marneschlacht beteiligten obersten
Militärs beider
Seiten. Im selben Jahr 1927 hatte Ludendorff sein Buch "Vernichtung der
Freimaurerei durch Enthüllung ihrer Geheimnisse"
veröffentlicht, auf das Viereck auch 1937 in seinem Buch "The
Kaiser on Trial" hinwies.
Im selben Jahr 1930 brachte Viereck eine Abrechnung mit der US-Regierung und den US-Medien während des Ersten Weltkriegs heraus: "Spreading Germs of Hate". In dem Buch behauptet er zu analysieren, wie Regierung und Medien einen Propaganda-Feld- zug gegen das kaiserliche Deutschland geführt hätten, um die amerikanische Bevölke- rung für einen Kriegseintritt der USA aufseiten der Entente zu mobilisieren. Er beklagt hierin, es habe "Terror" gegen deutsche Kultur in den Schulen, Kirchen und der Presse in den USA und gegen den Schulunterricht der deutschen Sprache gegeben, es seien anti-deutsche Horrorgeschichten erfunden worden, die er im einzelnen darlegt und zu widerlegen versucht, usw. Auch der Lusitania-Fall wird wieder behandelt. Viereck will auch aufzeigen, wie durch außenpolitische Ränkespiele das kaiserliche Deutschland (das immerhin anderen den Krieg erklärt und Russland, das neutrale Belgien und Frank- reich überfallen hatte!) von den USA international mehr und mehr isoliert worden sei. Insbesondere hob er darauf ab, dass gezielt, aber subtil, "Keime des Hasses" verbreitet worden wären, die sich erst im Laufe der Zeit entwickelten und zu einer antideutschen Bewegung angewachsen seien. Das auf Englisch geschriebene Buch, eigentlich eine Kritik subtiler Public Relations-Methoden, richtete sich an die Bevölkerung in Deutsch- land und wollte belehren darüber, wozu die feindliche Propaganda fähig war und was daraus für die Zukunft zu lernen sei. Mit der Botschaft: Deutsche, passt auf!, orien- tierte er auf einen kommenden neuen Krieg. Es muss offen bleiben, ob Hirschfeld in seinem Brief an Viereck vom 22. Oktober 1930, in dem er diesem ankündigt, bei seiner Vortragsreise nach Jugoslawien auch "auf Deine letzten beiden großen Bücher hinzuweisen", mit dieser Ankündigung die beiden ersten Bände der "Wandering Jew"-Trilogie meinte (obwohl er den zweiten, "Salomé", noch nicht gelesen hatte und erst auf dem Schiff nach Amerika lesen wollte, wie er in die- sem Brief schrieb) oder die beiden ebenfalls 1930 erschienenen Bücher: "Glimpses of the Great" mit dem Artikel über Hirschfeld als "Einstein of Sex" und den Lobhudeleien der Hohenzollern und Rechtsextremisten, und "Spreading Germs of Hate" mit der Ver- teidigung der deutschen Politik im Ersten Weltkrieg. Die zweite Möglichkeit hieße, Hirschfeld habe angekündigt, zwei dezidiert rechtsextremistische Bücher zu empfehlen. Mit der Nachricht, der von ihm verehrte und mit ihm bekannte Hindenburg habe den von ihm verehrten Hitler, den er schon 1923 mit dem Interview als kommenden Führer Deutschlands und Europas dargestellt hatte, endlich zum Reichkanzler ernannt, sah Viereck die letzte Stufe, die sein "Adam"/"Kotikokura" noch zu erklimmen hatte auf dem Weg zur Übermenschenrasse, erreicht. Die "New Order", die er schon 1910 in den "Confessions of a Barbarian" herbei zu schreiben versucht hatte, war für ihn nun greif- bar. Vierecks Lebensziel war mit der Übertragung der Regierungsmacht, die seine Hohenzollern 1918 hatten abgeben müssen, an die Nazis und ihre Verbündeten (Papen, Hugenberg, Reventlow, Schacht, Hanfstengel -- mit ihnen hatte er die beiden vorheri- gen Jahrzehnte korrespondiert, wie die Viereck-Sammlung der University of Iowa zeigt) erreicht, für das er all die Jahre publizistisch gearbeitet hatte. Mit Hilfe des New Yorker Generalkonsulates, mit dem er schon im Ersten Weltkrieg so gut zusammen gearbeitet hatte, stieg er sofort in die publizistische Förderung des NS-Regimes ein. Er schloss einen Vertrag mit dem deutschen Tourist-Informations-Büro über Tourismus-Werbung für Nazi-Deutschland und die Verbreitung eines regelmäßigen deutsch-amerikanischen Wirtschafts-Bulletins für die Jahre 1933-1934. Doch das verbreitete Material - so schrieben es Zeitungen, vgl. Kupsky S. 79 - war überwiegend antisemitisch. Jüdische Deutschstämmige und andere deutsch-amerikanische Organisationen riefen im März 1933, nachdem mit dem "Ermächtigungsgesetz" die Nazi-Diktatur, die vorher nur in Preußen bestand aufgrund des 1932 vorangegangenen "Preußenschlags", des Putsches durch Reichskanzler von Papen im Staat Preußen, nun in ganz Deutschland zugunsten der Reichsregierung unter Hitler errichtet worden war, zum Boykott deut- scher Waren in den USA auf, was Viereck sofort in der Hearst-Presse scharf kritisierte: der Boykott würde nur den Antisemitismus anheizen, und zwar mehr, als es Nazi-Pro- pagandisten jemals tun könnten. Doch wie schon bei seiner Agitation gegen die Prohibition, war er auch hier nur der Vertreter deutscher Geschäftsinteressen. Als im April 1933 die Bilder vom "Judenboykott", den die Nazis für den 1. April ausgerufen hatten, um die Welt gingen, verstärkte sich die Boykottwelle in den USA drastisch. In nietzscheanischem Größenwahn bot sich Viereck nun als Vermittler an. Erst telegra- phierte er zu Papen und Schacht, dann reiste er selbst nach Deutschland und traf angeblich Josef Goebbels, den Nazi-Propagandaminister, und Hitler persönlich, sowie wohl auch die konservativ-revolutionären Minister (Hugenberg, Schacht und Papen), mit denen er vorher schon korrespondiert hatte. Er wollte sie in Verkennung der Rolle des Antisemitismus innerhalb der NS-Ideologie und der -Pläne von weiteren Judenver- folgungen abbringen - so behauptete er später -, weil diese das Ansehen des neuen Regimes beeinträchtigten. Er gab es als Erfolg seiner Interventionen aus, dass der "Judenboykott" am 1. April nur einen Tag gedauert hatte. Er bot sich auch dem gerade inaugurierten neuen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt als Vermittler zwischen den USA und Nazi-Deutschland an, mit dem Argument, er sei mit Hitler und Goebbels "befreundet" (was nicht den Tatsachen entsprach) und wollte auch noch seine Bezie- hung zu Wilhelm II. ins Spiel bringen, der in Doorn im Exil saß und dort auch blieb, weil die Nazis und die hinter ihnen stehenden Kapitalien kein Interesse hatten, eine mittel- alterlich-romantizistische Monarchie in die zu formierende moderne Wirklichkeit zurück zu holen. Die Roosevelt-Administration ging jedoch nicht auf Vierecks Angebot ein und wollte sich angesichts der weltweiten Reaktionen liberaler Kräfte auf den Nazi-Terror lieber als Förderer von Demokratie und Freiheit darstellen. Viereck ging nun sogar so weit, die antisemitischen Verfolgungen und Morde im Frühjahr als deutsche Reaktionen auf den Deutschland-Boykott in den USA hinzustellen, wobei er behauptete, es sei nur die Gegenwehr der Deutschen gegen den "jüdischen" Boykott aus den USA (vgl. Kupsky, S. 73 ff). Nun schrieb Viereck an Personen, die er in den 20er Jahren einmal interviewt hatte, wie Einstein und Freud, und wollte wohl mit ihnen eine Kampagne zur Beendigung des Deutschland-Boykotts in den USA zimmern, wobei die prominenten deutschen bzw. österreichischen Juden die boykottierenden Juden Amerikas zur Beendigung des Boy- kotts aufrufen sollten. Vierecks Idee war es, von der Hitler-Regierung ethnopluralisti- sche Garantien für deutsche Juden im Tausch gegen ein Ende des Wirtschaftsboykott zu erreichen. Einstein und Freud lehnten es jedoch ab, sich für das Mörderregime, das Viereck unterstützte, einspannen zu lassen. Freud verbat sich erbost jeden weiteren Brief Vierecks. Und auch auf Nazi-Seite dürften die Reaktionen nicht freundlicher ge- wesen sein, denn die deutsche Wirtschaft erlebte 1933 einen derartigen Aufschwung (durch Schachts Finanzpolitik, das Verbot der Gewerkschaften und die Versklavung der SA-Mitglieder im "Deutschen Arbeitsdienst"), dass der Boykott der amerikanischen Juden für die Nazis nicht ins Gewicht fiel. Wie Viereck darauf antwortete, wissen wir nicht. Auch nicht, ob er Hirschfeld (wie Einstein und Freud) zur Vermittlung bewegen wollte. Jedenfalls hatte sich Freud schon zu Ostern (16. April 1933, also vor den Bücherverbrennungen, die um den 10. Mai herum stattfanden) barsch von Viereck distanziert, während Hirschfeld ihn im Juni um Rat und Hilfe bat und ihn weiterhin als enge Vertrauensperson behandelte. Nach Hirschfelds Brief vom 30. Oktober an Viereck hatte dieser am 13. Oktober (an Hirschfeld?) einen Brief geschrieben, dessen Inhalt Hirschffeld "sehr" interessierte, den er aber offenbar noch nicht kannte. Zumindest in dieser Zeit hatte er auch an Hirsch- feld geschrieben und dabei über seine Deutschland-Reise und seine Versuche geplau- dert, Einstein für die Vermittlungssache zu gewinnen, denn darauf antwortet Hirschfeld hier. Vielleicht kannte Hirschfeld den Briefwechsel Viereck-Einstein aber auch aus der Zeitung. Der Wortlaut des Briefes spricht aber dafür, dass beide im Jahr 1933 mehr- fach wechselseitig korresondierten. Dann bedauert Hirschfeld offenbar ("ich befürch- te"), dass sich "viele", und zwar "nicht nur unter Deinen jüdischen Freunden", von Viereck abgewandt hätten bzw. noch abwenden würden und versichert ihm, er würde das nicht tun. Hirschfeld begründet dies mit der politischen Gemeinsamkeit der beiden ("Einigungsprozess", Formierung): "das, was auch wir seit langem wünschten" und sich jetzt - 1933 - in Deutschland vollziehe, leider mit zu viel Gewalt. Viereck hatte die Parole "Hitler or Chaos" als die einzige Alternative Europas ausgege- ben; Hirschfeld widerspricht dem nun und setzt auf "die drei großen Demokratien Frankreich, England und Amerika" als "Zukunftshoffnung" und Alternative zu dem Zwang zu einer "bolschewistische[n] oder faschistische[n] Phase" der Welt, den Vier- eck behauptete, um die "New Order" zu errichten. Das ist eine erstaunliche Wende in Hirschfelds Denken, denn bisher hatte er noch Vierecks Schriften kritiklos bejubelt und sogar in sein "Weltreise"-Buch eingebaut. Vielleicht hatte er sie und ihre gesellschafts- politische Konsequenz aber auch nicht verstanden; doch das ist weniger anzunehmen, weil er ja 1934 forderte, "die Hitlerschen Experimente ab[zu]warten", statt in Opposi- tion, Widerstand und Boykott zu gehen, und sich in "Phantom Rasse" auf Mussolini berief. Vielleicht hatte er die wirre Hoffnung, seine langen Listen der zu Vernichtenden ("jeder siebte"!) könne er auch in einer Demokratie abarbeiten. Doch schon bald, nachdem die eugenische Wirklichkeit aus Nazi-Deutschland bekannt wurde, fielen die eugenischen Gesetze in den USA wieder. Hirschfeld war ein Fähnchen im Wind, jetzt wieder, unter den Exilanten, sprach er für die Demokratie, oder er mag sich nicht im Klaren gewesen sein, dass seine Vorstellung von der Formierung der Gesellschaft nur mit faschistischen Gewaltmethoden zu erreichen ist. Doch auch das hätte ihm eigent- lich auffallen müssen, wenn er Eheberatung mit abstrakten Fragebögen "im Labor" und "wie in der Autowerkstatt" betrieb: welche Liebenden würden dem freiwillig folgen? Der große Zampano, der "love" die Wege weist und die Weichen stellt, der die von Liebe Verblendeten bevormundet, sich doch besser zu trennen -- so hatte er sich in den USA präsentiert, das zeigen seine dortigen Zeitungsartikeel, die Viereck für ihn in der Hearst-Presse organisierte. Hirschfelds Vision der Höherzüchtung der "Rasse" bei gleichzeitiger Vernichtung all derer, die er für "lebensunwert" hielt, war faschistisch, zumindest totalitär, jedenfalls niemals mit einer freiheitlichen Demokratie und dem Selbstbestimmungsrecht des Individuums zu vereinbaren. Doch Hirschfeld konnte die Konsequenz der Ideen aus Vierecks Schriften, die er bisher sogar anderen empfohlen hatte und die er vielleicht auch teilweise überlesen statt überdacht hatte, nicht mittragen; den Schritt des "Kotikokura" auf die letzte Stufe zur Neuen Menschheitsrasse, den Viereck am Ende der Trilogie mit Hirschfelds Namen und Werk verbunden hatte, scheute dieser nun, denn dort stand schon sein Erzfeind der letzten Jahre, der Antisemit Adolf Hitler. Es war nicht die faschistische Gesellschafts- formierung, und ganz bestimmt nicht der endlich zur Regierung gekommene Eugenik- wahn, den die Weimarer Republik bisher dann doch noch verhindert hatte, was Hirsch- feld abschreckte, sondern vielmehr die persönliche existenzielle Lebensgefahr, nach- dem die Nazis - und auch namentlich Hitler - ihn schon seit Jahren als "Juden" angrif- fen. Er konnte nicht. Vielleicht hätte Hirschfeld, wäre er Italiener gewesen, unter Mussolini Gesundheitsminister werden können; in Deutschland verstellte ihm dies seine jüdische Geburt. Der Wahnsinn des Antisemitismus hinderte ihn, an der Verwirklichung des eugenischen Wahns teilzuhaben, den er mit Viereck und den Nazis als höchste Entwicklungsstufe der Menschheit ansah: selbst Schöpfer sein! Derart um die Früchte der Lebensarbeit gebracht -- da kann man schon sauer werden! Doch Hirschfeld wollte erst noch "abwarten". Vielleicht hätten ja die Initiativen seines amerikanischen Freun- des zur Vermittlung zwischen "Deutschen" und "Juden" Erfolg. Ende Oktober 1933 bat Hirschfeld Viereck noch (in diesem Brief), ihm alle Artikel zu schicken, die Viereck in Amerika über Deutschland schreiben würde. Sein Text zum Rassismus, der dann als Artikelserie "Phantom Rasse" 1934/35 und in englischer Über- setzung und Bearbeitung von Eden und Cedar Paul 1938 in London als Buch erschien, war also schon im Oktober 1933 fertig. Er enthielt erneut das vorherige Bekenntnis zur Eugenik, inklusive seiner Forderung nach einer Verschärfung des Nazi-"Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" mit Bezug auf Alkoholkranke. Auch 1935 meinte er noch, erst "die Zukunft" könne "zeigen", ob dieses Gesetz "zum Wohl der Bevölke- rung Deutschlands" sei. In seinem französischen Exil in Nizza bekam das wohl niemandd mehr so recht mit; von einer kritischen Debatte um seine "Phantom Rasse"-Thesen ist nichts bekannt. Viereck musste sich dagegen in den USA für seine Unterstützung des Nazi-Regimes rechtfertigen, was ihn immer weiter in die Solidarität trieb. Auf einer Großkundgebung von 20 000 zum Nationalsozialismus übergelaufenen Deutsch-Amerikanern am 17. Mai 1934 im New Yorker Madison Square Garden, der mit Hakenkreuzfahnen und Sternen- bannern übersäht war, hielt er eine flammende Rede mit der Aufforderung, Hitler zu unterstützen; die Veranstaltung, nach der Viereck bei den meisten Deutsch-Amerika- nern nur noch Ablehnung erfuhr (man verspottete ihn jetzt als "George Swastika Viereck"), nannte sich "Friends of the New Germany" und speiste sich aus der rassi- stischen "Steuben Society", die er mitbegründet hatte, und offenen Nazis, die wenig später den "German-American Bund" gründeten. Die Propaganda-Veranstaltung, die nun eine Zeitlang jährlich stattfand, war aus Berlin organisiert worden. Viereck nannte die von Gräueltaten geprägte erste Zeit der "nationalsozialistischen Revolution" die "most civilized revolution in history" und verharmloste die zahlreichen Morde als Rowdytum einzelner, wenn er sie nicht gänzlich negierte und als "Alliiertenpropaganda" abtat; man lebe eben in einer "imperfect world". Den Antisemitismus spielte er als Randerscheinung herunter, so, wie er es schon bei den Briefen Wilhelms II. in den 20er Jahren gemacht hatte, die er edierte, und meinte: "It is possible to sympathize with National Socialism without embracing anti-Semitism" (Kupsky, S. 80). Die Literaten- szene der Ostküste nahm ihm dies jedoch nicht ab, warf ihm vor, gemeinsame Sache mit Antisemiten zu machen (offenbar war sie bisher schlecht über seine Freundschaft mit Wilhelm II. und seine Arbeit für Ludendorff informiert), und isolierte Viereck nun. Madison
Square Garden
Oben: Deutsch-amerikanische Nazi-Kundgebung der rassistischen "Steuben Society", die Viereck 1919 mit gegeründet hatte: George Washington wird eingenordet. An der Bühne ziehen vor einem riesigen Washington-Bild Hakenkreuzfahnen vorbei; der "YouTube"-Film zeigt Szenen wie aus dem Berliner Sportpalast. Bei späteren Nazis-Veranstaltungen hängen hier neben Washington- und Lincoln-Bildern auch riesige Hitler-Portraits. Finanziert werden die Veranstaltungen samt Ausstattung vom deutschen Generalkonsulat in New York, mit dem Viereck nun erneut, wie während des Ersten Weltkriegs, propagandistisch zusammenarbeitet. Unten: George Sylvester Viereck (gelber BIFFF...-Pfeil) klatscht der "New Order", die er schon in seinem Buch "Confessions of a Barbarian" von 1910 herbei zu schreiben versuchte, begeistert Beifall: statt Wilhelm nun Adolf. Im Madison Square Garden feierte Viereck Hitler als Befreier der ("arischen") Mensch- heit, als den Fleisch gewordenen "Kotikokura" am Beginn des so lange erstrebten Übermenschentums. Er sagte (zitat nach Kupsky, S. 74): "When Adolph Hitler freed the German soul, he freed not only the Germans within the Reich but one hun- dred million Germans throughout the world. Cowed by years of abuse, crucified by their enemies, Americans of German descent, like their co-racials across the ocean, had developed a sense of inferiority. Relieved at last from this burden, the German Americans are better able now than at any time in all their history to collaborate with the forces of reconstruction in American life." Nachdem er beteuert hatte, kein Anti- semit zu sein, beschuldigte er "gewisse Berufsjuden und ihre bolschewistischen Ver- bündeten" ("certain professional jews ..."), den Boykott deutscher Waren organisiert zu haben; der Boykott sei "the dictation of a racial minority that is in itself a minority within a minority" (Krupsky, S. 78 f). Dennoch wollte er kein Rassist sein. Nach diesem Auftritt, der großes Aufsehen in den USA erregte, musste Viereck vor einem Ausschuss des Kongresses erscheinen, der ausländische Spionage und Propa- ganda gegen die USA und ihre Bevölkerungsteile untersuchte; hier wurde auch Vier- ecks Arbeitsvertrag mit dem deutschen Touristenbüro Gegenstand der Untersuchung. Erst griff er den Ausschuss als "bolschewistisch" beeinflusst an, dann verteidigte er sich unter Hinweis auf seine "Wandering Jew"-Trilogie und jüdische Freunde gegen den Vorwurf des Antisemitsmus, und schließlich verteidigte er hier auch noch Hitler vor dem Vorwurf des Antisemitismus, denn in seinem Hitler-Interview von 1923/1932 habe dieser sich ethnopluralistisch über die Juden geäußert, als er zwischen "gute Juden" und den bösen "Internationalisten" unterschieden habe (Kupsky, S. 80). Doch, so zitiert Kupsky (S. 80 f) aus einem Brief Vierecks von 1936 an einen jüdischen Fotografen, um Vierecks Haltung zum Antisemitismus deutlich zu machen: "I do not wish to decide between the Jews and the Germans. If I am forced to do so by the Jews, I shall side with my own people." 1935 starb Magnus Hirschfeld. Für ihn war der kaisertreue Faschist George Sylvester Viereck sein längster und engster Freund, von dem er sich noch Mitte 1933 Aufnahme und Asyl in Amerika erhoffte. Das Andenken an den Ersten Weltkrieg und seine Opfer ist in den USA - ebenso wie in Frankreich, England, Kanada und Australien - bis heute lebendig, auch wenn es bald hundert Jahre her sein wird, dass die Deutschen den Krieg begannen und die Opfer der weltweiten Entente forderten. Zu viele Tote in zu vielen Familien. Gedenktage und Kranzniederlegungen der Regierungs- und Staatschefs sind bis heute selbstverständ- lich, auch wenn kürzlich der letzte Veteran gestorben ist. Das unterscheidet diese Länder von Deutschland, wo man sich weder an die militärische Niederlage von 1918 noch an die anschließende Revolution hin zu Demokratie und Republik gerne erinnert, statt dessen aber das Hohenzollernschloss wieder aufbaut. An einem Eingang zum New Yorker Central Park, upper east side, dort, wo traditionell die reichen "Deutschen" wohn(t)en und die Steuben-Parade lang geht, ist heute immer noch ein Denkmal zu sehen für den New Yorker Bügermeister John Purroy Mitchel, der zahlreiche Reformen in der Stadt veranlasste, den man wegen seines Alters "the Boy Mayer" nannte und der 38-jährig als Kriegsteilnehmer 1918 im Krieg gegen die Deutschen starb. New Yorker Reformpolitiker Mitchel,
abgestürzt im Scout-Flieger:
Memorial am Central Park. "My one wish is to get over to the western front, where I can do some work that will count." Viel lebendiger ist in den USA das Andenken an den Schicksalskrieg der 40er Jahre, der für die Amerikaner das Jahrhundert definiert. Zentral mitten in der Mall, wo die Touri- sten sind, wurde in Washington vor wenigen Jahren das riesige Denkmal für den Zwei- ten Weltkrieg gebaut, eingeweiht 2004; es kann sich mit dem Sowjetischen Ehrenmal im Berliner Treptower Park messen. Der Betrachter schaut vom Washington-Memorial hinüber zum Lincoln-Memorial und weiter zum Grab John F. Kennedys am fernen Hügel des Soldatenfriedhofs Arlington, und sieht dazwischen direkt vor sich links den Denk- malteil für den Krieg gegen Japan, rechts den Teil für den Krieg gegen die Deutschen, lauter deutsche Landschaften eingemeißelt in weißgrauen Granit: Schlachten und Stationen zur Befreiung Europas vom Nationalsozialismus und Faschismus: Rheinland, Remagen, Hürtgenwald bei Aachen, darin dazwischen darüber laufen Hunderte Schul- kinder auf Klassenfahrt. Und wessen Füße noch tragen, geht hinüber zum Franklin Delano Roosevelt Memorial am Tidal Basin des Potomac River, eingeweiht 1997, eine Gedenklandschaft, meilenweit, mit immer neuen Statuen, Tafeln, Reliefs in immer neuen kleinen Parks, Felswänden, Wasserfällen, errichtet zum Gedenken an die Politik des Präsidenten, die die USA aus der Weltwirtschaftskrise und dem Zweiten Weltkrieg rettete. Es liegt gleich beim neuen Denkmal für Martin Luther King. Das ist die heutige Erinnerungskultur der USA. World War II National Memorial auf der
Mall in Washington
WW II Memorial (Vordergrund), Lincoln Memorial und Brücke nach Arlington (oben) Pazifik-Seite Atlantik-Seite "Here We Mark the Price of Freedom", den viele der Großväter bezahlt haben, deren Enkel heute schulklassenweise das Denkmal besuchen. Am Franklin Delano Roosevelt Memorial (unten) gedenkt man auch der Opfer der Weltwirtschaftskrise und der Arbeiterinnen und Arbeiter, die sie besiegten (links): Rechts: Roosevelt mit seinem
Hündchen. Das künstlerisch eigenartige Denkmal zeigt
über dem Hund Roosevelts Satz: "They who seek to establish systems
of government based on the regimentation of all human beings by a
handful of individual rulers call this a new order. It is not new and
it is not order." Er war auch gegen Vierecks und Hirschfelds
"Einigungsprozess" hin zur formierten Gesellschaft gemeint.
Dort kennt man noch den deutschen Militarismus, seine Verbrechen und die Verbre- chen des Faschismus, und man kennt noch George Sylvester Viereck als ihren flam- menden Unterstützer und Hetzer gegen die GI's im Ersten und im Zweiten Weltkrieg, den Poeten, der die Opfer der Lusitania-Versenkung verhöhnte und den Kriegsverbre- cher Wilhelm II. zum "Prince of Peace" ausrief, der dann Hitler als Befreier feierte und die Deutsch-Amerikaner aufforderte, ihm zu folgen, wie er sie im Ersten Weltkrieg auf- gefordert hatte, Wilhlm II. zu folgen. Und man hasst bis heute Vierecks Freunde, Geld- geber und Unterstützer, schreibt sich über ihn und seine Propaganda die Finger wund. Erst recht, weil er sich seine Unterstützung Nazi-Deutschlands dann noch von der SS bezahlen ließ. Und auch wenn Hirschfeld schon tot war, als Viereck bei Kriegsbeginn mit seinen Publikationen, die z.T. in Berlin geschrieben wurden und die er dann in New York veröffentlichte, immer radikaler gegen die USA agitierte, wird die Frage sein: Der? Mit dem?! Pah!! In Deutschland aber ruft man trotzig eine Stiftung aus, die den Namen des jahrzehnte- langen Viereck-Freundes Magnus Hirschfeld trägt. Die? Schon wieder?! Pah!! Die nazi-treuen Deutsch-Amerikaner entwickelten sich schnell zur Propaganda-Ma- schine für die Politik Deutschlands. Sie wurden direkt vom Auswärtigen Amt und auch von der SS bezahlt, die riesige Geldsummen in die USA schafften, und den PR-Krieg zu finanzieren. In ihren Zeitschriften wurden nun alle Winkelzüge der Hitler-Regierung erklärt und gefeiert. Die Organisationen des Pangermanismus wie die Henlein-Faschi- sten in der Tschechoslowakei bekamen breiten Raum zur Selbstdarstellung, in New York entwickelte sich eine Szene des "amerikanischen Sudentenlandes", die für den Anschluss ihrer alten Heimat an das Deutsche Reich agitierte. In den "Steuben News" der "Steuben Society" konnten sie ihre Politik verbreiten. Nach dem Anschluss Öster- reichs schrieb Viereck in dem amerikanischen Nazi-Blatt "Social Justice", sein Idol Mussolini habe ihm den Anschluss bereits vor vielen Jahren prophezeit: (Abbildung aus: John Roy Carlson: Under
Cover, S. 59)
"Social Justice" wurde vor allem in katholischen (irischen!), klerikalfaschistischen Krei- sen vertrieben; Viereck schrieb hier eine Artikelserie. In der Unterzeile der Überschrift der obigen Abbildung wird Vierecks PR-Buch "Spreading Germs of Hate" von 1930 über Deutschland als Opfer der Propagandaschlacht im Ersten Weltkrieg und sein neuestes, 1937 erschienenes Buch "The Kaiser on Trial", das dies alles noch einmal aufwärmte, genannt. Mit dem Kaiser-Buch wollte Viereck im Vorfeld des Zweiten Weltkriegs, den er vom Spanischen Bürgerkrieg her kommen sah, erneut die Unschuld Wilhelms II. und Deutschlands am Ersten Weltkrieg beweisen und ein weiteres Mal aufzeigen, wie briti- sche und englisch-amerikanische Kräfte den Krieg eingefädelt und geschickt ihre eigene Kriegsschuld auf Deutschland gelenkt hätten. Verschwörungstheoretisch stellt er den Weg in den Weltkrieg als Folge von Intrigen und Verrat dar, stützt sich dabei auf die alten Briefe Wilhelms an ihn und zitiert im Vorwort den Ex-Kaiser: Viereck sei "the sole exponent of my ideas, with my full confidence in the way he thinks best fit for their dissemination" (S. xviii). Viereck schreibt das Buch erneut als Warnung, wie schon "Spreading Germs of Hate", und meint, am Ende der 30er Jahre ginge es genau- so zu wie vor dem Ersten Weltkrieg: "The same intrigues that flourished before 1914 are going on today; the same surreptitious whispers make the rounds at dinner tables and in the clubs; the same obscure plots are being spun from continent to continent, from ocean to ocean." Dem Riesenschinken von mehr als 550 Seiten gibt Viereck mit langen Listen von Quellen, die er verwendet habe, mit Zeittafel, Anmerkungsapparat und Register einen politikwissenschaftlichen Anstrich; doch der Text folgt dem dichte- rischen Phantasie-Plot einer amerikanischen Gerichtsverhandlung gegen Wilhelm II., in dem Personen der Zeitgeschichte als Zeugen, Verteidiger und Ankläger auftreten, fiktive Richter in wörtlicher Rede sprechen usw. Am Ende sollen die Leser/innen die entscheidende Jury-Stimme abgeben und nach Vierecks Aufriss der Weltgeschichte Wilhelm freisprechen. Auch die "Wandering Jew"-Trilogie endete mit einer solchen Gerichtsverhandlung über "Adam"/ "Kotikokura", an der Hirschfeld aus dem fernen Berlin indirekt als Sprecher der Geschworenen teilnahm, und in der der Protagonist schließlich freigesprochen wurde. Kotikokura - Wilhelm - Hitler, so reihen sich die Protagonisten in Vierecks Werk. Auch in "The Kaiser on Trial" 1937 kommt Hirschfeld vor. Im Kapitel "Wilhelm the Lover" betrachtet Viereck wieder die Harden-Eulenburg-Affäre um die teilweise schwule Kamarilla Wilhelms II. (wie in den "Confessions" 1910), wieder ohne Hirschfelds Rolle darin zu erwähnen. Doch er nutzt Hirschfeld, um den Ex-Kaiser als mittelalterlich- ritterlichen "Lover" darzustellen, der nichts von "sexuellen Zwischenstufen" wusste, naiv freudlich mit den Mitgliedern der Kamarilla umging und seit früher Jugend immer nur sein Vollweib Auguste-Viktoria geliebt habe: "Perversion not at all. Pathology was not William's forte. Krafft-Elbings Psychopathia Sexualis was to him a sevensealed book. It is doutful if he ever fingered the pages of Havelock Ellis. If anyone had put on his table Magnus Hirschfeld's voluminous studies on sexual gradiations, he would have consigned the tome to the rubbish heap" (S. 377). In einer Fußnote hierzu schreibt er: "Magnus Hirschfeld was a fearless pioneer of sex reform in Germany. He founded the famed Institut für Sexualwissenschaft in Berlin and died an exile in Nice" (S. 481). Im Personenregister lässt er Hirschfeld allerdings weg; dass seine Nazis das Institut zer- störten, erwähnt er nicht. Viereck engagierte sich nun erneut in der wieder belebten Isolationistenbewegung der USA und im "America First Committee", überließ jedoch die Führungsrolle anderen, wie dem Antisemiten Charles Lindbergh, der flammende Reden dagegen hielt, dass das "jüdische internationale Finanzkapital" erneut einen Weltkrieg plane usw. Um Umkreis Vierecks wurden jetzt auch Ausgaben der antisemitischen "Protokolle der Weisen von Zion" verbreitet, die die behaupteten geheimen Pläne "der Juden" beweisen sollten. Viereck war nun offizieller Amerika-Korrespondent der "Münchner Neuesten Nachrich- ten", einer Nazi-Zeitung, die seit 1933 auf Vorschlag des SS-Chefs Heinrich Himmler von Giselher Wirsing geführt wurde, einem aus der "Konservativen Revolution" kom- menden Anhänger der Strasser-Fraktion der NSDAP und Sturmbannführer der SS. Wirsing arbeitete für das Auswärtige Amt, machte Spionagetätigkeit für den SD (Sicherheitsdienst der SS) und war Vierecks Hauptansprechpartner und Chef; er vertrat wie Wilhelm II. die These, "die Juden" seien die Hauptschuldigen am Ersten Weltkrieg. Wirsing diente sich nach 1945 gemeinsam mit Werner Otto von Hentig (Hirschfelds Konsul in San Francisco, siehe oben) den Amerikanern als Informant an und bereiste für den US-Geheimdienst 1945/46 gemeinsam mit Hentig Süddeutschland, um den Amerikanern über die Stimmung in der deutschen Bevölkerung zu berichten ("Der Spiegel", Nr. 18, 1952). Es ging ihm weitaus besser als Viereck, der nun im Knast saß und dort Studien über Brutalität und Homosexualität betrieb, die er 1952 als Buch ("Men into Beasts") herausbrachte. Wirsing wurde als "Mitläufer" für 500 D-Mark "Sühne" entnazifiziert, förderte Armin Mohler ("Die Konservative Revolution in Deutsch- land") und wurde schließlich Chefredakteur der evangelischen Wochenzeitung "Christ und Welt", Viereck dagegen blieb in den USA - bis heute - eine Unperson. Viereck arbeitete am Ende der 30er Jahre und bis zu seiner Verhaftung 1942 jedoch hauptsächlich im Hintergrund als Organisator, Redenschreiber, Verleger und Vertrau- ensperson Berlins im nazi-freundlichen Teil der nicht ganz so radikal aufmarschierenden Deutsch-Amerikaner und Isolationisten. Die USA aus dem Krieg herauszuhalten und dazu die isolationistische Bewegung zu stärken, war offizielle Linie des Auswärtigen Amtes in Berlin in den 30er Jahren (wie schon im Ersten Weltkrieg vor Kriegseintritt der USA). Nach Erkenntnissen des US-Justizministeriums, das ihn schließlich anklagte und eine lange Haftstrafe gegen ihn erreichte, hatte Viereck große Teile der Nazi-Propa- ganda in den USA seit den 30er Jahren "financed, controlled and directed" (Carlson, der Zugang zu den Justizakten über Viereck hatte, S. 127). Dazu erhielt er große Mengen Geldes aus Berlin. Viereck knüpfte Beziehungen zu isolationistischen Kongress- abgeordneten, die er mit Informationen aus Berlin versorgte und denen er Reden schrieb; er habe "21 congressmen and senators" direkt beeinflusst und wöchentliche Geheimberichte über seine Tätigkeit nach Berlin geschickt (Carlson, S. 415). Laut Kupsky (S. 78) war Viereck zeitweise der wichtigste Informant des Auswärtigen Amtes über die politische Stimmung in Washington. Zentral im Gerichtsprozess gegen ihn wurde eine Aktion im Washingtoner Kapitol, bei der die Frankiermaschine eines Abge- ordneten benutzt wurde, um Vierecks Nazi-Propagandamaterial in hoher Auflage postalisch zu frankieren und zu versenden; die Tatsache, dass die USA über diesen Umweg selbst den Vertrieb der Nazi-Propaganda bezahlten, erboste besonders. In New Jersey betrieb Viereck ab 1940 auch den Verlag "Flanders Hall", für dessen Erwerb er 200 000 Dollar aus Berlin bekam (Kupsky, S. 78, 85); hier wurden Propaganda-Bücher, die in Berlin z.T. von SS-Leuten geschrieben und ins Englische übersetzt worden waren, für die USA produziert und vertrieben. Das Material war geschickt gemacht, und "Flanders Hall" war daran gelegen, moderate Kreise der Deutsch-Amerikaner zu beeinflussen und nicht etwa durch allzu lautes Sieg-Heil-Geschrei zu verschrecken. Hierbei kam Viereck seine jahrzehntelange Erfahrung in deutschfreundlicher Propa- ganda zugute, deren eigentliches Ziel selbst Leuten wie Freud und Einstein erst in höchster Not aufgefallen war -- und Hirschfeld nie. Bei "Flanders Hall" erschien 1941 auch das antisemitische, verschwörungstheoretische Buch "100 Families That Rule the Empire" von Giselher Wirsing, für das Viereck ein Vorwort geschrieben hatte. Der gesamte Propagandaapparat und die isolationistische Bewegung brachen dann mit dem Überfall Japans auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 und der Kriegsserklärung Deutschlands an die USA am 11. Dezember 1941 in sich zusammen. Viereck wurde im Oktober 1942 verhaftet, der illegalen Spionagetätigkeit angeklagt und saß mit einer kurzen Unterbrechung bis 1947 im Knast. Sein Sohn George Sylvster Jr. meldete sich freiwillig als GI zur Armee und fiel im Kampf gegen die Deutschen in Italien. Sein Sohn Peter wurde als GI eingezogen und kämpfte in Nordafrika gegen die Deutschen. Weil sich G. S. V. trotz der ab 1945 breit bekannt werdenden Nazi-Verbrechen, insbeson- dere der Ermordung der europäischen Juden und Jüdinnen, nicht vom Nationalsozialis- mus distanzieren wollte, ließ sich seine Frau Gretchen (der Hirschfeld in seinen Briefen immer wieder Grüße ausrichten ließ) von ihm scheiden, verkaufte ihren Anteil am ehe- lichen Vermögen, das mit seiner publizistischen Arbeit verdient worden war, und spen- dete es jüdischen und katholischen Hilfsorganisationen. In den 50er Jahren nahm Vier- eck wieder Kontakte zu alten Nazi-Freunden auf, z.B. zu Franz von Papen 1952 und 1957/58 zu dem völkischen Schriftsteller Hans Grimm aus der rechtsextremen Sekten- szene, den er schon vom "Deutschen Tag" der "Steuben Society" im Madison Square Garden kannte (Carlson, S. 119), und zu Wirsing 1954. Über Viereck ist viel geschrieben worden, und auch viel Unsinn. Selbst renommierte Zeitschriften wie "The New Yorker" (im Jahr 2005) machen falsche Angaben über sein Leben. Dem hat Viereck selbst durch oftmals widersprüchliche Angaben, durch Leug- nen und Heimlichtuerei, durch sein oftmals unverstandenes dichterisches Werk hier und seine politische und Spionage-Tätigkeit dort selbst Vorschub geleistet. Johnson, der zwar den Antisemitismus kaum beachtet und auch Vierecks Bedeutung als "Konser- vativen Revolutionär" nur indirekt versteht, ansonsten aber wohl am besten und tief- sten Vierecks Biographie beschrieben hat, kommt angesichts der Widersprüchlichkeiten zu dem Schluss, Viereck sei eigentlich nichts anderes als ein Lump gewesen, der letzt- lich alle betrog, der keine Vorstellung von Gut und Böse und von Schuld hatte, sich von Hybris und Überheblichkeit treiben ließ und vor allem sich selbst promotete, wobei ihm Pangermanismus und Deutschnationalismus als Folie dienten. Implizit gab Johnson damit eine Beschreibung ab, die auf viele Autoren der "Konservativen Revolution" in Deutschland zutrifft. (Ausführungen zu den anderen Mitgliedern des "Ehrenkomitees" für Hirschfeld folgen in den nächsten Tagen auf dieser Webseite.) Das letzte, was von Hirschfeld noch geblieben war, nachdem sich seine medizinisch- biologischen Wege wissenschaftlich als Irrwege erwiesen hatten, war seine angebliche Emanzipationspolitik für sexuelle Minderheiten, die jedoch schon längst als bloß euge- nisch motiviert und die Ordnung des preußisch-wilhelminischen Polizeistaats schützend erkannt ist, und sein angeblicher politisch-gesellschaftlicher Humanismus, der nun im Pangermanismus versinkt (und nicht etwa "hin zu den universal entwickelten Menschen des Kommunismus" führt, wie Herzer in seinem "Argument"-Artikel im September 2011, S. 570, schreibt, denn mehr als "jeder siebte" dieser Menschen wäre schon Hischfelds Eugenik zum Opfer gefallen, siehe oben). Was wir recherchiert haben - und das meiste davon ist heute relativ leicht im Internet recherchierbar, sogar Teile der Akten der Prozesse gegen Viereck sind online! -, wirft die Frage auf, weshalb die in Berlin einflussreiche und die Hirschfeld-Forschung mono- polisierende Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. und das großkotzig "Haeberle-Hirsch- feld-Archiv" genannte Projekt der Humboldt-Universität dies bisher nicht recherchiert und veröffentlicht haben. Sollte der Deutsche Bundestag tatsächlich - wie beabsich- tigt - die Stiftung zur Wiedergutmachung des NS-Unrechts an den Homosexuellen nach Magnus Hirschfeld benennen, könnte dies international eine Wirkung haben wie das Debakel um die Libyen-Politik der Bundesregierung. Zwar ist Hirschfeld internatio- nal und auch in den USA so gut wie unbekannt; doch der Name George Sylvester Viereck elektrisiert in den USA bis zum heutigen Tag. Auch die politisch einflussreiche Bürgerrechtsbewegung der Schwulen, Lesben und Transgender-Orientierten bzw. Trans- und Intersexuellen wird es kaum goutieren, wenn in Deutschland ein Projekt für Homosexuelle und andere sexuelle Minderheiten nach dem besten Freund eines Nazi und Deutschtum-Fanatikers und dessen pangermanischen Vaters benannt wird. Dass beide Vierecks für die Interessen des Krieg führenden Deutschland in beiden Weltkrie- gen sogar mit den US-amerikanischen Gesetzen in Konflikt gerieten, ist in den USA bis heute ein aktuelles und heißes Thema. Die Verbindung Viereck-Hirschfeld wird sich dort sehr schnell herum gesprochen haben, wenn erst einmal eine deutsche regierungsoffi- zielle "Schwulen-Stiftung" nach Hirschfeld benannt sein wird. Eine "Hirschfeld-Stiftung" wird dann von vielen als neuerlicher Angriff Deutschlands gegen die USA im Stile und Sinne der Vierecks verstanden werden. DOKUMENTATION Hirschfeld an Viereck, 11. März 1929, Wortlaut nach der Fotokopie des maschinengeschriebenen Briefes im Haeberle-Hirschfeld-Archiv der Bibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin: Berlin, 11. III. 1929 Herrn Georg Sylvester Viereck. New-York. Mein lieber Freund! Du hast Dich mit recht gewundert, von mir so lange nichts gehört zu haben, Du hast aber auch den richtigen Grund vermutet, daß körperliche Erkrankung mich nicht zum Schreiben kommen ließ. Ich bin im letzten Jahre sehr viel leidend gewesen, zuletzt bekam ich sogar noch eine doppelseitige Lungenentzündung und Gesichtsrose. Da kannst Du wohl verstehen, dass es mir beim besten Willen nicht möglich war, Dir zu schreiben. Jetzt bin ich seit einigen Tagen aus dem Bett, und da möchte ich Dir zunächst einmal sagen, wie ausgezeichnet mir Dein Buch vom Ewigen Juden gefallen hat. Es ist ein grandioses Werk, und ich habe es bereits mehrfach empfohlen und überall dasselbe günstige Urteil gehört, wie ich es selbst habe. Ich hoffe bestimmt, daß Du dieses Jahr nach Europa kommst und ich Dich dann sehen und ausführlich mit Dir sprechen kann. Vom 9.-13. September werde ich wohl in London sein, wo um diese ["Zeit" handschriftlich eingefügt] die Weltliga für Sexualreform auf sexualwissenschaftlicher Grundlage tagt, von der ich Dir ein Programm beifüge. Kannst Du es nicht einrichten,, um diese Zeiit auch dort zu sein? Du würdest viele "Prominenzen" zum mindesten viele wertvolle Menschen kennen lernen. Mit besten Grüßen an Dich an Dich [sic!], Frau, Mutter und Kind Dei [sic!] alter Freund ["M. Hirschfeld" handschriftlich] Kongreßprogramm folgt gesondert DOKUMENTATION Hirschfeld an Viereck, 22. Oktober 1930, Wortlaut nach der Internet-Darstellung der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e. V., hirschfeld.in-berlin.de/hirschfeld/img/SBriefViereck001.jpg Herrn George Sylvester Viereck 627 West 113. St. U.S.A. New York Berlin, den 22. Oktober 30 Mein lieber Freund! Herzlichen Dank für Deine Zeilen vom 29. IX. und Dein gestern empfangenes Buch "Salome". Ich bewundere Deine schöpferische Kraft und Deinen umfassenden Geist und freue mich auf die Lektüre dieses Buches ganz besonders. Ich werde es - höre und staune - ,wenn alles gut klappt, an Bord des Columbus lesen, der mich am 15. November nach New York bringen soll. Ich hatte Dir ja schon öfter davon gesprochen, wie sehr es mich interessieren würde,nach 37 Jahren (1893 Weltausstellung von Chikago) die Vereinigten Staaten wiederzusehen mit ihren nicht nur baulichen "Wolkenkratzern". Jetzt, wo meine Geschlechtskunde fertig geworden ist (mit ihren 3000 Seiten auch so eine Art Koloß) kann ich diesen alten Plan verwirklichen, zumal augenblicklich in Deutschland für kulturelle Freiheitskämpfer kein günstiger Boden ist. Meine Reise nach Amerika soll eine Erholungs-, Studien- und wenn möglich auch Vortragsreise sein. Ueber Einzelheiten berichte ich Dir besser mündlich, da ich bis zu meiner Abreise noch sehr mit Terminen, Vorträgen und anderweitigen Dingen besetzt bin. Nur könntest Du vielleicht einiges für einen würdigen Empfang (Interviews) vorbereiten. Ich füge Dir zu diesem Zwecke ein Verzeichnis meiner Schriften und Vorträge bei. Im letzten Heft finden sich auch brauchbare biographische Notizen. Vielleicht setzt Du Dich auch mit Benjamin in Verbindung, der ja mit der letzten Europa nach dort sich eingeschifft hat. Als er von hier fortging, standen wir ganz unter dem Eindruck des so überaus tragischen Endes von Peter Schmidt, den Du ja auch kanntest. Der Tod dieses sprudelnden Menschen erschütterte mich tief. Besprich auch bitte mit Benjamin, wo ich am besten zuerst absteige. Am liebsten wäre mir das höchste Hotel, das es in New York gibt, ich möchte so gern einmal im 40. oder 50. Stock wohnen. Ich muß heute noch zu einer Vortragsreise, die mich bis nach Agram (Jugoslavien) führt und werde Gelegenheit nehmen, unterwegs auf Deine letzten beiden großen Bücher hinzuweisen. Schrieb Dir Deine Mutter, dass ich sie im Zoo überraschte? Das Wiedersehen mit ihr war für mich eine der schönsten Stunden des vergangenen Sommers. Aber nun Schluß und auf frohes gesundes Wiedersehen und schönes Zusammensein in Amerika (wie lange ich dort bleiben werde, weiß ich noch nicht). Ich erwarte Dich bei der Landung des Columbus etwa am 22. November und bin mit vielen Grüßen an Dich und Deine Familie in alter Freundschaft ["Dein M. Hirschfeld" handschriftlich] DOKUMENTATION Hirschfeld an Viereck, 9. Juni 1933, Wortlaut nach der maschinengeschriebenen Abschrift im Haeberle-Hirschfeld-Archiv der Bibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin: 9. Juni 1933 Mein lieber George Sylvester: Vielen Dank fuer Deine teilnahmsvollen Zeilen. Ich habe furchtbares durchgemacht. Unser schönes Institut ist behördlich geschlossen, der grösste Teil meiner Bücher und Sammlungen vernichtet. Ich lege Dir zwei Zeitungsausschnitte bei, die Dir ein ungefähres Bild der Situation geben. Nach Deutschland bin ich, seit wir uns in New York sahen, nicht wieder zurückgekehrt, da ich "die Lunte roch". Ich war ein halbes Jahr in der Schweiz, wo ich meine "Weltreise eines Sexualforschers" beendete und das Glück hatte, einen Schweizer Verleger zu finden. Nach der Verbrennung meiner Bücher und Büste auf dem Scheiterhaufen zog ich es aber vor, nach Frankreich zu gehen, weil hier verhältnismässig die deutschen Emigranten -es giebt allein in Paris über 20.000 - den weitgehendsten Schutz vor Auslieferung, Ausweisung etc. geniessen und durch Männer wie Andre Gide, Herriot, Coilent und viele andere Personen und Organisationen am besten betreut werden. Von bekannteren Schriftstellern Deutschland's sind weit über 100 hier, darunter auch Heinrich, Thoams, Klaus Mann etc. (Kl. spricht heute Abend im Deutschen Schriftsteller Verband - ich werde hingehen). G. Hauptmann ist in Deutschland geblieben und hat sich, wenn auch nicht gerade "gleichgeschaltet", so doch "angepasst". Gesundheitlich geht es mir nicht gut; die furchtbaren Aufregungen haben mich doch sehr mitgenommen. Trotzdem (vielleicht auch deshalb) zieht es mich immer wieder nach Amerika, weil ich der englischen Sprache mächtiger bin, wie der französischen und glaube, mich doch [sic!] eher betaetigen zu koennen, vor allem publizistisch. Denn die geistige Arbeit ist für mich eine Notwendigkeit, um einigermassen Ruhe zu finden. Wie denkst Du über New York (d.H. Umgebung am Wasser - Ocean oder Hudson) fuer mich? Ich hätte gern Deinen Rat und Deine Meinung. Ich brauche nicht allzuviel verdienen, da mein guter Schweizer Verleger mich einigermassen über Wasser hält. Mir sind natürlich die schweren, wirtschaftlichen Nöte der U.S.A. auch bekannt, doch glaube ich immerhin, dass es doch für mich allerlei Entfaltungs-und Erwerbsmöglichkeiten geben würde. Schreibe mir bitte bald unter der Adresse von Dr. Dalsace Paris VIII 31 rue St.Guillaume. Grüsse recht herzlich das liebe Gretchen, Deine verehrte Mutter, Benjamin's etc. von Deinem treuen alten Freunde Magnus Hirschfeld Deine Bücher wurden auch mitverbrannt; der wandernde Jude sogar mit einem bes. "Feuerspruch". DOKUMENTATION Hirschfeld an Viereck, 30. Oktober 1933 Wortlaut nach der Fotokopie des maschinengeschriebenen Briefes im Haeberle-Hirschfeld-Archiv der Bibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin: 30. Oktober 1933 Lieber G. S.! Es ist schade, dass wir uns bei Deinem Besuch in Europa nicht gesprochen haben. Als ich in der Zeitung las, dass Du in Hamburg gelandet seist, befand ich mich gerade in Le Havre, um meine amerikanische Cousine Dr. Agnes Mann auf dem Schiff "Manhattan" zu begrüßen. Da ich annehme, dass Dein Schiff wohl in Cherbourg Station machte, hätten wir uns dort auch sehen können. Dein Brief vom 13. Oktober interessiert mich natürlich sehr, ebenso Dein Briefwechsel mit Einsteins. Ich fürchte, dass in Amerika sich viele in ähnlicher Weise verhalten werden, und zwar nicht nur unter Deinen jüdischen Freunden. Ich selbst werde mich nicht von Dir abwenden, da ich Deine Mentalität zu genau kenne und deshalb voraussah, dass Du der Hitlersuggestion nicht würdest widerstehen können. Ich nehme an, dass Du meinen Brief erhalten hast, in dem ich Dich vor dem Blendwerk warnte und der Gefahr, die für Dich und Deine amerikanische Produktion daraus entstehen könnte. Gewiss ist der Einigungsprozess, der in Deutschland jetzt durchgeführt wird, in mancher Hinsicht das, was auch wir seit langem wünschten, aber die Kosten dieser Prozedur, die Gewaltmässigkeit und vor allem die Intoleranz sind allzu hohe Einsätze. Ich habe ein kleines Buch über den "Racismus" geschrieben, und hoffe, dass es Dich überzeugen wird. Ich denke, es wird im November in französischer Sprache erscheinen und auch bald auf Deutsch und Englisch. Es schließt mit den Worten: "Nazismus ist Narzismus!" Ich glaube auch nicht, dass, wie Du schreibst, die ganze Welt durch eine bolschewistische oder faschistische Phase gehen muss; ich finde im Gegenteil, dass die drei großen Demokratien Frankreich, England und Amerika sich bisher, vor allem kulturell, als starker Block erwiesen haben und sollten wir alles tun, als Weltbürger - und ein solcher bist Du ja auch - in noch höherem Masse als Deutscher und Amerikaner - diese Zukunftshoffnung zu erhalten. Ich könnte Dir noch vieles antworten, will aber nicht meine noch Deine Zeit allzusehr in Anspruch nehmen. Branden sah ich wiederholt. Grüsse Deine Mutter, die Dir hoffentlich noch lange erhalten bleibt, und das liebe Gretchen und Deine beiden Jungen. Sende mir bitte Deine Artikel, die Du über Deutschland schreibst. Persönlich geht es mir leidlich, nur meine Gesundheit lässt viel zu wünschen übrig. ["Dr. M Hirschfeld" handschriftlich] |